Montag 18.5.2009

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Algebra II, SS 2009
Montag 18.5
$Id: algab.tex,v 1.4 2009/05/18 14:20:08 hk Exp $
§6
Algebraisch abgeschlossene Körper
Wir bestimmen nun die Mächtigkeit eines Vektorraums in Termen der Dimension
und der Mächtigkeit des Grundkörpers K.
Lemma 6.4: Seien K ein Körper und V ein Vektorraum über K. Dann gilt


V = 0,
1,
dim
V
|V | = |K|
,
K und dim V sind endlich,


max{|K|, dim V }, sonst.
Beweis: Ist dim V = 0, also V = 0, so ist dies klar. Nun nehme 0 < dim V < ∞ an.
Dann ist V gleichmächtig zu K dim V , ist K also endlich so gilt |V | = |K|dim V , und ist
K unendlich, so liefert eine iterierte Anwendung von §5.Satz 6 auch |V | = |K dim V | =
|K| = max{|K|, dim V }. Nun sei dim V unendlich. Dann wählen wir eine Basis B von
V und haben
[
V = {hEi|E ∈ Pe (B)}.
Für jede endliche Teilmenge E ⊆ B wissen wir bereits |hEi| ≤ max{|K|, ℵ0 } und mit
§5.Korollar 7 und Lemma 3 folgt
|V | ≤ max{|K|, ℵ0 , |Pe (B)|} = max{|K|, |B|} = max{|K|, dim V }.
Andererseits ist wegen B ⊆ V sicher |V | ≥ |B| = dim V und da V eine zu K
gleichmächtige Teilmenge enthält, ist auch |V | ≥ |K|. Damit gilt insgesamt |V | =
max{|K|, dim V }.
Dieses Lemma hat eine Vielzahl teilweise recht unerwarteter Anwendungen. Wir wollen
zum Beispiel einmal zeigen, dass die abelschen Gruppen (Rn , +) und (Rm , +) für alle
n, m ∈ N immer isomorph sind. Hierzu fassen wir den Rn als einen Vektorraum über
Q auf. Nach Lemma 4 und §5.Satz 6 ist dann
|R| = |Rn | = max{|Q|, dimQ Rn } = max{ℵ0 , dimQ Rn ).
Da die reellen Zahlen überabzählbar sind, folgt hieraus
dimQ Rn = |R|,
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und insbesondere ist diese Dimension unabhängig von n. Für die Mächtigkeit der reellen
Zahlen schreibt man gerne c, die sogenannte Mächtigkeit des Kontinuums. Also haben
Rn und Rm als rationale Vektorräume dieselbe Dimension c, und sind damit isomorph.
Insbesondere sind die beiden abelschen Gruppen (Rn , +) und (Rm , +) isomorph.
Wir setzen jetzt die Behandlung algebraisch abgeschlossener Körper fort. Wir wollen
bei beliebiger Körpererweiterung L ⊇ K die Mächtigkeit von L in Termen der Mächtigkeit von K und des Transzendenzgrades von L über K ausrechnen. Jede Körpererweiterung zerteilt sich in eine rein transzendente und eine algebraische Erweiterung, und
die nächsten beiden Lemmata behandeln diese Fälle getrennt voneinander.
Lemma 6.5: Sei K ein Körper und bezeichne L seinen algebraischen Abschluß. Dann
gilt |L| = max{|K|, ℵ0 }.
Beweis: Da L unendlich ist und K als Teilmenge enthält, ist sicher |L| ≥ max{|K|, ℵ0 }.
Für jedes Polynom 0 6= f ∈ K[x] ist N (f ) := {a S
∈ L|f (a) = 0} ⊆ L endlich, und da
L über K algebraisch ist, haben wir auch L = {N (f )|0 6= f ∈ K[x]}. Weiter ist
K[x] ein Vektorraum über K mit der Basis (tn )n∈N0 , also dimK K[x] = |N0 | = ℵ0 . Mit
§5.Korollar 7 und Lemma 4 folgt
|L| ≤ max{|K[x]\{0}|, ℵ0 } ≤ max{|K[x]|, ℵ0 } = max{|K|, ℵ0 }.
Damit gilt |L| = max{|K|, ℵ0 }.
Lemma 6.6: Seien K ein Körper und L % K eine rein transzendente Erweiterung.
Dann gilt
|L| = max{|K|, trK L, ℵ0 }.
Beweis: Sei B eine Transzendenzbasis von L über K, also |B| = trK L. Nach §4.Lemma
(B)
9 ist dann L ' K(B). Ist M := N0 die Menge der Monome bei der Konstruktion
von K[B], so ist M eine Basis des Vektorraums K[B] über K, also dim K[B] = |M |.
Wir wollen nun |M | = max{|B|, ℵ0 } einsehen. Da M mit den Monomen von Grad 1
eine zu B gleichmächtige Teilmenge enthält, ist |M | ≥ |B|. Wegen L 6= K ist weiter
B 6= ∅ und M enthält auch eine N0 gleichmächtige Teilmenge, d.h. |M | ≥ ℵ0 . Damit
ist |M | ≥ max{|B|, ℵ0 }. Für jede endliche Teilmenge ∅ =
6 E ⊆ B ist
M (E) := {k ∈ M |∀(t ∈ B\E) : kt = 0} ⊆ M
zu NE
0 gleichmächtig, also |M (E)| = ℵ0 . Wegen B 6= ∅ ist M =
und §5.Korollar 7, Lemma 3 ergeben
S
{M (E)|∅ =
6 E ⊆ B}
|M | ≤ max{ℵ0 , |Pe (B)\{∅}|} ≤ max{|B|, ℵ0 }.
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Damit ist die Zwischenbehauptung |M | = max{|B|, ℵ0 } bewiesen. Mit Lemma 4 folgt
weiter
|K[B]| = max{|K|, |B|, ℵ0 } = max{|K|, trK L, ℵ0 }.
Da K(B) ⊇ K[B] gilt, ist damit auch
|L| = |K(B)| ≥ |K[B]| = max{|K|, trK L, ℵ0 }.
Andererseits ist die Abbildung
f : K[B] × (K[B]\{0}) → K(B) = L; (a, b) 7→
a
b
surjektiv, und mit §5.Lemma 5 folgt
|L| ≤ |K[B] × (K[B]\{0})| ≤ |K[B] × K[B]| = |K[B]| = max{|K|, trK L, ℵ0 }.
Satz 6.7: Seien L ein unendlicher Körper und K ⊆ L ein Teilkörper von L. Dann gilt
|L| = max{|K|, trK L, ℵ0 }.
Beweis: Nach §4.Satz 11 existiert ein Zwischenkörper F der Erweiterung L ⊇ K so,
dass F eine rein transzendente Erweiterung von K ist und L eine algebraische Erweiterung von F ist. Ist F = K, so ist L eine algebraische Erweiterung von K, also ein Unterkörper des algebraischen Abschluss von K, und Lemma 5 ergibt |L| ≤ max{|K|, ℵ0 }.
Nach §5.Lemma 9.(a) ist trK L = 0. Wegen K ⊆ L ist auch |L| ≥ |K| und da L unendlich ist, ist damit |L| = max{|K|, ℵ0 } = max{|K|, trK L, ℵ0 }, und der Satz ist
bewiesen.
Nun nehme F 6= K an. Nach §5.Lemma 9.(a,c) gilt trK L = trK F + trF L = trK F
und mit Lemma 6 folgt
|L| ≥ |F | = max{|K|, trK L, ℵ0 }.
Andererseits ist L ein Unterkörper des algebraischen Abschluss von F , und somit ist
nach Lemma 5 auch
|L| ≤ max{|F |, ℵ0 } = max{|K|, trK L, ℵ0 }.
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Korollar 6.8: Seien K ein Körper und L ⊇ K ein überabzählbarer Erweiterungskörper
von K mit |L| > |K|. Dann ist trK L = |L|.
Beweis: Klar nach Satz 7.
Damit können wir jetzt unsere Frage nach dem Transzendenzgrad von C über Q beantworten. Da Q abzählbar und C überabzählbar sind, liefert Korollar 8 mit §5.Lemma
5 nämlich
tr C = trQ C = |C| = |R × R| = |R| = c.
In unserer Aufzählung der algebraisch abgeschlossenen Körper als Ap,κ ist damit C =
A0,c .
Korollar 6.9: Seien K ein Körper und L1 , L2 zwei überabzählbare, algebraisch abgeschlossene Erweiterungskörper von K mit |L1 |, |L2 | > |K|. Dann sind L1 und L2 genau
dann über K isomorph wenn sie gleichmächtig sind.
Beweis: Klar nach Korollar 8 und Satz 1.
Korollar 6.10: Seien K1 , K2 zwei überabzählbare, algebraisch abgeschlossene Körper.
Dann sind K1 und K2 genau dann isomorph, wenn char K1 = char K2 gilt und K1 und
K2 gleichmächtig sind.
Beweis: Klar nach Korollar 2 und Satz 7 da Primkörper abzählbar sind.
Haben wir also zwei überabzählbare, algebraisch abgeschlossene Körper gleicher Charakteristik und gibt es überhaupt eine bijektive Abbildung zwischen ihnen, so sind sie
schon isomorph. Als ein Beispiel betrachten wir einmal den algebraischen Abschluss
K := C(t) der einfach transzendenten Erweiterung von C. Nach §5.Lemma 9.(a,c) und
§5.Satz 10.(a) ist
trC K = trC C(t) + trC(t) K = 1 + 0 = 1,
also wieder nach §5.Satz 9.(c) auch
tr K = trQ K = trQ C + trC K = c + 1 = c.
Jetzt liefert Korollar 2 die Isomorphie K ' C. Als eine allerletzte Anwendung der
Theorie wollen wir noch einsehen, dass die Automorphismengruppe eines algebraisch
abgeschlossenen Körpers K immer die Mächtigkeit der Potenzmenge von K hat. Insbesondere ergibt sich damit dass es nicht stetige Automorphismen der komplexen Zahlen
gibt, sogar so viele wie es Teilmengen von C gibt. Wir benötigen wieder zwei allgemeine
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Lemmata über die Mächtigkeit gewisser unendlicher Mengen. Um diese bequem aussprechen zu können, ist es nun an der Zeit die sogenannte Kardinalzahlarithmetik einzuführen. In §5 hatten wir bemerkt, dass Kardinalzahlen eine Erweiterung der natürlichen Zahlen sind so, dass jede Menge M zu genau einer Kardinalzahl |M | gleichmächtig
ist. Für Kardinalzahlen α, β definiert man Addition und Multiplikation dann durch
α + β := |{0} × α ∪ {1} × β| und α · β := |α × β|.
Dies ist gerade so gemacht, dass für alle Mengen M, N stets |M ×N | = |M |·|N | und im
Fall M ∩ N = ∅ auch |M ∪ N | = |M | + |N | gilt. Sind α, β 6= 0 und nicht beide endlich,
so wissen wir nach §5 auch α + β = α · β = max{α, β}. Etwas komplizierter verhält
sich die Potenzrechnung für Kardinalzahlen. Wir definieren Potenzen als Mächtigkeit
von Mengen von Abbildungen, also
αβ := |Abb(β, α)|
für je zwei Kardinalzahlen α, β. Für je zwei Mengen M, N ist mit der Notation
M N := Abb(N, M )
dann wieder
|M N | = |M ||N | .
Wir halten nun die Grundregeln der Potenzrechnung von Kardinalzahlen fest.
Lemma 6.11 (Grundeigenschaften der Potenzen von Kardinalzahlen)
Seien α, λ, β, γ vier Kardinalzahlen.
(a) Ist α ≤ β und λ ≤ γ und gilt nicht λ = β = 0 und γ 6= 0, so ist αλ ≤ β γ .
(b) Es ist αβ · αγ = αβ+γ .
(c) Es ist (αβ )γ = αβ·γ .
(d) Für jede Menge M gilt 2|M | = |P(M )|.
(e) Ist λ unendlich und 1 < α ≤ 2λ , so gilt αλ = 2λ .
Beweis: Wähle paarweise disjunkte Mengen A, B, C, L mit |A| = α, |B| = β, |C| = γ
und |L| = λ.
(a) Ist λ = 0, so haben wir β 6= 0 oder γ = 0, also αλ = 1 ≤ β γ . Nun nehme λ 6= 0, also
L 6= ∅ an. Wähle eine injektive Abbildung f : A → B und eine surjektive Abbildung
g : C → L. Betrachte die Abbildung
h
F : AL → B C ; h 7→ f ◦ h ◦ g
L −−−→
x
g

F (h)
A

f
y
C −−−→ B.
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Sind dann h, h0 ∈ AL mit F (h) = F (h0 ), so ist f ◦ h ◦ g = f ◦ h0 ◦ g, also h ◦ g = h0 ◦ g
da f injektiv ist, und h = h0 da g surjektiv ist. Also ist F injektiv, und wir haben
αλ = |AL | ≤ |B C | = β γ .
(b) Die Abbildung
F : AB∪C → AB × AC ; f 7→ (f |B, f |C)
ist bijektiv, und somit
αβ · αγ = |AB | · |AC | = |AB × AC | = |AB∪C | = |A||B∪C| = αβ+γ .
(c) Die Abbildung
E : (AB )C → AB×C ; f 7→ E(f ) : B × C → A; (b, c) 7→ f (c)(b)
ist bijektiv mit der Umkehrabbildung
F : AB×C → (AB )C ; f 7→ F (f ) : C → AB ; c 7→ F (f )(c) : B → A; b 7→ f (b, c),
und damit ist
(αβ )γ = |AB ||C| = |(AB )C | = |AB×C | = |A||B×C| = αβ·γ .
(d) Die Abbildung
F : 2M → P(M ); f 7→ {x ∈ M |f (x) = 1}
ist bijektiv, und somit |P(M )| = |2M | = 2|M | .
(e) Nach (a) gilt αλ ≥ 2λ . Weiter erhalten wir mit (a,c) und §5.Lemma 5
αλ ≤ (2λ )λ = 2λ·λ = 2λ ,
und wir haben αλ = 2λ .
In Aussage (e) interessiert uns hauptsächlich der Spezialfall α = λ. Da die Potenzmenge von α insbesondere die Menge der einelementigen Teilmengen von α enthält, ist
2α = |P(α)| ≥ α und somit besagt (e) dann αα = 2α für unendliches α. Ist M also eine
unendliche Menge, so ist
|M M | = |M ||M | = 2|M | = |P(M )|,
es gibt also genauso viele Abbildungen M → M wie es Teilmengen von M gibt. Wir
wollen jetzt noch zeigen, dass es auch genauso viele bijektive Abbildungen M → M
gibt wie es Teilmengen von M gibt. Hierzu bezeichnen wir für eine beliebige Menge
M die Gruppe der Permutationen von M mit dem Symbol Sym(M ), die symmetrische
Gruppe der Menge M .
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Lemma 6.12: Sei M eine unendliche Menge. Dann ist
|Sym(M )| = 2|M | .
Beweis: Zunächst haben wir wie oben bemerkt nach Lemma 11.(e)
|Sym(M )| ≤ |M M | = 2|M | .
Nach §5.Lemma 3 ist M gleichmächtig zu 2 × M , es gibt also eine bijektive Abbildung
f : 2 × M → M . Setzen wir für jedes i ∈ M dann xi := f (0, i) und yi := f (1, i), so
haben wir M als eine durch M indizierte Menge von Paaren
M = {xi , yi |i ∈ M }
geschrieben. Für eine Teilmenge A ⊆ M betrachte jetzt die Permutation τA : M → M
definiert durch τA (xi ) = yi , τA (yi ) = xi für i ∈ A und τA (xi ) = xi , τA (yi ) = yi
für i ∈ M \A, wir schalten also sozusagen die Transposition (xi yi ) ein oder aus, je
nachdem ob i ∈ A oder i ∈
/ A ist. Für jedes A ⊆ M ist dann
A = {i ∈ M |τA (xi ) 6= xi },
und insbesondere ist die Abbildung τ : P(M ) → Sym(M ); A 7→ τA injektiv. Es folgt
|Sym(M )| ≥ |P(M )| = 2|M | ,
und das Lemma ist bewiesen.
Setzen wir für eine Kardinalzahl α stets α! := |Sym(α)|, so können wir Lemma 12 als
α! = 2α für unendliche Kardinalzahlen α lesen.
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