nhaltsverzeichnis - Universität des Saarlandes

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Hausarbeit
Störungen der Sexualität: Paraphilie und
Perversion
lsabel Bordin
Universität des Saarlandes
Seminar: Borderline - Persönlichkeitsstörung
Wutke WS 2005-2006
Wintersemester 2005/2006
Saarbrücken, den 05. Februar 2006
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
Seite l
2. Sexuelle Symptome, die bei Borderline – Patienten
beschrieben werden
Seite 4
3. Paraphilie und Perversion
Seite 6
4. Sadismus und Borderlinestruktur
Seite 10
5. Dekompensation der erotischen Abwehr
Seite 11
6. Über die Rolle des sexuellen Mißbrauchs und anderer
Traumen für späte paraphile Symptome
Seite 12
Literaturnachweis
Seite 14
Anhang: Die Skalen der SCL 90 - R
Seite 15
2
1. Einleitung
Die Borderline - Persönlichkeitsstörung wird im DSM-IV als spezifische
Persönlichkeitsstörung beschrieben, mit Symptomen von Identitätsstörungen,
gesteigerter Selbstunsicherheit und Instabilität von Gefühlen und Interessen, die
sich nachteilig auf Berufsleben, soziale und sexuelle Beziehungen auswirken und
oftmals von erhöhter Reizbarkeit, Angstepisoden, Wut- und Zornausbrüchen
und/oder von impulsiven Handlungen begleitet sind.
Die Symptome der Sexualität spielen bei klinischen Erörterungen über die
Borderline- Persönlichkeitsstörung eine eher untergeordnete Rolle. Vielfältig
beschrieben werden hingegen Affekte, Objektbeziehungen und allgemeine
Impulsivität.
Die Sexualität der Borderline- Persönlichkeitsstörung wird in den
Klassifikationssystemen ICD-10 und DSMIV nur in der Aufzählung der
Symptome unter den fünf Möglichkeiten erhöhter Impulsivität erwähnt. Wie bei
allen anderen Affekt - Symptomen tritt der Beziehungsaspekt des Sexuellen in
den Vordergrund.
Daher wird im Folgenden weniger auf die Funktionsstörungen der Sexualität
eingegangen, als vielmehr auf die Paraphilien.
Paraphilien nennt man wiederkehrende, intensive sexuell erregende Phantasien,
Verhaltenstendenzen oder Handlungen, die sich auf unbelebte Objekte, erfahrene:
oder anderen zugefügtes Leid, auf Partner, andere Personen oder Kinder beziehen
„Die Hauptmerkmale einer Paraphilie sind wiederkehrende intensiv sexuell
erregende Phantasien, sexuell dranghafte Bedürfnisse oder Verhaltensweisen, die
sich im allgemeinen auf 1. nichtmenschliche Objekte, 2. das Leiden oder die
Demütigung von sich selbst oder seines Partners oder 3. Kinder oder andere nicht
einwilligende oder nicht einwilligungsfähige Personen beziehen und die über
einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten auftreten." (DSM IV)
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2. Sexuelle Symptome, die bei Borderline - Patienten beschrieben
werden
Dulz und Schneider (1995, 1996) beschreiben eine „polymorph - perverse
Sexualität" als typisch für die Borderline Persönlichkeitsstruktur. Im Gegensatz
dazu stehen die klassischen, viel konstanteren Muster einer umschriebenen
einheitlichen Perversion - etwa der Vorliebe für bestimmte Wäschestücke (z.B.
Strumpf- Fetischismus).
Als viel typischer für unsere Zeit wird diese polymorph - perverse Sexualität auch
von Fogel und Myers (1991) in ihrem Buch „Perversions an Near-Perversions"
beschrieben.
Sexuelle Hemmung, wie man sie von vielen neurotischen Patienten als ein
allgemeines Begleitsymptom kennt, findet man besonders bei histrionischen
Persönlichkeitsstörungen mit einer Borderlinestruktur.
Die histrionische Persönlichkeitsstörung bezeichnet ein Störungsbild, bei dem
exzentrische, dramatische und expressive Verhaltensweisen des früher
sogenannten hysterischen Charakters vorherrschen.
Dulz und Schneider bevorzugen allerdings statt „polymorph - pervers" den
Ausdruck „anhedonistisch - multivariant". Sie bringen so zum Ausdruck, dass die
gelebte Sexualität ihrer Patienten zwar oft ohne körperliche Funktionsstörung im
eigentlichen Sinne ablaufe, aber Intimität und Tiefe der Gefühle vermeide.
Da die Patienten dann aber doch unter dem Mangel an Beziehung leiden und trotz
unzähliger Kontakte über Jahre keine wirkliche Beziehung aufbauen können, hat
ihr Genuss etwas Unbefriedigendes.
Wrye und Welles (1994) haben in ihrem Buch über erotische Übertragung und
Gegenübertragung bei Borderline - Patienten erörtert, warum wahre Intimität
diesen Patienten so gefährlich erscheint. „Aufgrund von Störungen in ihrer
Frühentwicklung perpetuierten sie alte Phantasien und Impulse, die Intimität zur
Gefahr für die Kohäsion des Selbst werden lassen und gleichzeitig stark
destruktive Impulse gegen andere mobilisieren." (Wolfgang Berner)
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In „Aggression in Personality - Disorder and Perversion" (1992) äußert sich
Kernberg am deutlichsten zum Zusammenhang zwischen der Borderlinestruktur
und perversen Symptomen.
Er führt 5 Schweregrade der perversen Symptombildung an:
1. Die normal - neurotische Ebene: Perverse Anteile sind zumindest
gelegentlich integraler Bestandteil des Liebesspiels.
2. Die neurotisch -perverse Ebene: Eine organisierte umschriebene perverse
Symptombildung ersetzt wichtige Teile heterosexueller Begegnung.
3. Die Borderline -perverse Ebene: Eine konstante relativ umschriebene
Perversion ist eines der Spaltprodukte der Borderline Persönlichkeitsstruktur.
4. Eine malign - narzißtische Ebene: Schwere sadomasochistische
Symptombildungen im Zusammenhang mit der Struktur des „malignen
Narzißmus", bei dem Sadismus und paranoide Einstellungen Ich - synton sind
5. Eine asexuelle Ebene: Völlig fehlende sexuelle Antriebe bzw. polymorph perverse Phantasiebildungen bei einer Borderline- Persönlichkeit, die
beherrscht ist von Vorstellungen tiefer Verletztheit und unaufhörlicher Rache
- hier soll nach Kernberg (1991, S. 135) eine erotische Stimulierung durch
liebevolle Pflege des Säuglings durch die Mutter völlig ausgeblieben sein.
Wolfgang Berner ergänzt noch um eine weitere Ebene:
6. Eine Borderline paraphile Ebene: Eine Borderline Persönlichkeitsorganisation produziert eine Fülle unterschiedlicher
wechselnder „Perversitäten"
5
3. Paraphilie und Perversion
Es ist sinnvoll, in Zukunft zwei Begriffe dafür zu verwenden, was in der ICD-10
als „Störung der Sexualpräferenz" beschrieben wird:
Auf der einen Seite die Störung, die Freud mit dem Begriff Perversion belegt hat
und bei der Spaltung und Agieren neben einer noch überwiegend neurotischen
Struktur mit viel Verdrängung und Hemmung beobachtet werden kann.
Auf der anderen Seite aber Störungen, bei denen Spaltung ganz im Vordergrund
steht, und eine Sexualität ohne sonderliche Funktionseinschränkung völlig in den
Dienst aggressiver Abwehren gerät.
> Perversion für die länger bekannte Pathologie
> Paraphilie für die heute häufiger beschriebene Pathologie, wo mit zunehmend
deutlicherer Borderline - Struktur auch massiv aggressiv gefärbtere perverse
Symptome anzutreffen sind, die eine (zum Teil auch unbewußte) aggressivere
Verweigerung, Partnerinteressen zu wahren enthält.
Die folgenden Beispiele sollen veranschaulichen, wie unterschiedlich „perverse"
Symptome bei Borderline - Patienten zu beurteilen sind.
In den meisten Fällen, in denen eine Borderlinestruktur vorliegt, sind aber kaum,
oder nur vereinzelt, paraphile Symptome erhebbar.
a.) Der neurotisch pädophile Gymnasiallehrer
Der Vierzigjährige sucht psychoanalytische Behandlung nicht ganz freiwillig auf,
sondern weil er pubertierende Schülerinnen so auffällig an Busen und Po berührt
hatte, dass es zu Interventionen der Eltern kam, zu einem Disziplinarverfahren
und zu einer Versetzung, die seinen weiteren direkten Kontakt mit Kindern
verhindern sollte. Erst jetzt wird ihm ein zunehmendes Phantasieren und Träumen
von pubertierenden Mädchen bewußt, ein unerfülltes Sehnen nach einer
Begegnung mit dem reinen Körper des Kindes, der etwas Erlösendes für ihn habe.
Er ist mit einer dominanten, tüchtigen Frau verheiratet, hat selbst zwei Kinder,
die er einfühlsam liebt, und versteht gar nicht, warum er pädophil „veranlagt"
sein soll. Er gibt an, er habe guten, bis vor kurzem auch sexuell befriedigenden
Kontakt zu seiner Frau, und benötigt einige Zeit, um einräumen zu können, dass
er sich von ihr unterdrückt fühle 6
wie seinerzeit auch von der Mutter, die seinen Vater, einen kleinen Mann mit
einer entstellenden Verkürzung des rechten Armes, wohl nicht richtig geachtet
habe. Trotz aller Idealisierung der Elternbeziehung und auch des eigenen
Familienlebens wird die einschränkende Angst vor der als äußerst mächtig
erlebten Mutter deutlich. Bei Nachfragen zeigt sich, dass die Sexualität zwischen
den Ehepartnern etwas ritualisiert und krampfhaft ist. Zu Beginn der Beziehung
sei der Patient zunächst sehr gehemmt gewesen, und er habe längere Zeit
benötigt, um sich seiner Frau körperlich nähern zu können.. Es fällt auch auf,
dass er im Vorspiel stark oral und anal fixiert ist. Wie häufig bei Pädophilen ist
Hautkontakt und Streicheln mit den Händen fast erregender als der
Geschlechtsverkehr. Sich selbst erlebt der Patient als nicht männlich und
durchsetzungsfähig genug. Eigentlich habe er Mathematiker werden wollen, habe
sich aber eine Universitätskarriere nicht ganz zugetraut. Dann habe er in dem,
was zunächst als „Ausweichen " gedacht gewesen sei (der Unterricht am
Gymnasium), erstaunlich starke Befriedigung erlebt. Besonders die Bewunderung
der kleinen Mädchen, die in so anstrahlen könnten, habe ihn immer neue
pädagogische Wege finden lassen, und er sei ein beliebter Lehrer gewesen.
Das rasche Ertasten, welches wie ein Einverleiben wirkt, hat deutliche
Ersatzfunktion und tröstet über eine Unerfülltheit in der Erwachsenenbeziehung
hinweg. Der Patient fühlt sich unter dem Druck, Ansprüche einer mächtigen Frau
erfüllen zu müssen. Wirkliche Intimität kann er da wie dort nicht erreichen, aber
das Zarte, Unschuldige der Kinder entschädigt ihn etwas in seiner Bedürftigkeit,
da er in der Beziehung zur Erwachsenen genau dieses Zarte nicht finden kann und
daher einsam bleibt.
b.) Der Frotteur und obszöne Telefonanrufer - ein Borderline - Patient
Myers (1991) beschreibt einen Patienten, der von seinen aggressiv - sexuellenfast
suchtartig auftretenden Impulsen befreit werden konnte, nachdem er ihre
Bedeutung verstanden hat.
Der Patient - er habe überdurchschnittlich hart in der Administration eines
multinationalen Konzerns gearbeitet und sei dabei ziemlich erfolgreich gewesen kommt auf Intervention seiner Frau zur Analyse. Sonst in der Beziehung eher
etwas zu distanziert, mißbrauche er sie physisch, wenn er betrunken sei. Wie sein
Vater sei er ein periodischer Trinker. Zwei weitere Symptome berichtet er selbst:
er reibe seinen Körper in überfüllten U- Bahn -Zügen scheinbar zufällig an
Frauen, bis er zur Ejakulation komme, und tätige „anonyme " Telefonanrufe, bei
denen er Frauen zunehmend in obszöne
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Gespräche verwickle, was ihn ebenfalls bis zum Orgasmus erregen könne. Aus
seiner Lebensgeschichte berichtet er, dass er das dritte von fünf Kindern einer
eher ärmlichen Familie sei und ab dem zehnten Lebensjahr selbst habe arbeiten
müssen, um seine Ausbildung mitzufinanzieren, und dass er als Junge eine
erotische Beziehung zu einem Gleichaltrigen gehabt habe, wo es auch zu
gegenseitiger Masturbation gekommen sei. Dies und spätere Phantasien, er könne
von einem Mann zu oralem Sex gezwungen werden, hätten zu einer Unsicherheit in
seinem männlichen Identitätsgefühl beigetragen. Nach flüchtigen sexuellen
Beziehungen, die Intimität nicht hätten aufkommen lassen, habe er seine Frau
kennengelernt, mit der es nach anfänglichen Schwierigkeiten zunächst zu
befriedigender Sexualität gekommen sei. Wirkliche Liebe schien er aber für seinen
dreijährigen Sohn zu empfinden. Als er vor ihm seine Trunkenheit habe nicht
verbergen können, habe er sich massiv geschämt. Über alle anderen Menschen
spricht er voll Bitternis, mit Vorwürfen und Enttäuschung.
Im Laufe von drei Jahren zeigt sich, dass der Patient sich auch wegen einer
angeborenen Blindheit auf einem Auge und einer leichten
Wirbelsäulendeformation von Anfang an gegenüber seinen Geschwistern
benachteiligt gefühlt hat - ein Gefühl, dass durch ein Ausgeschlossenwerden aus
dem Schlafzimmer der Eltern anläßlich der Geburt seines jüngsten Bruders (als
der Patient vier Jahre alt gewesen ist) traumatisch verstärkt wurde. Eine weitere
Intensivierung erfuhr dieses Gefühl durch Sexspiele seines älteren Bruders, der
sich im Bett von hinten an ihn gepreßt und so befriedigt habe.
In der Analyse des frotteuristischen Agierens in der U - Bahn wird die bei
Perversionen so drastische Umkehrung von passiv Erlittenem in aktiv
Kontrollierendes deutlich. Der Patient, der sich als Opfer des älteren Bruders
fühlte, macht andere zu Opfern und schützt sich wieder vor weiterer Aggression
durch die Verlegung an einen öffentlichen Ort.
Die Borderline - Struktur dieses Patienten ist auch an seinen
Stimmungsschwankungen, seinen Impulsen zu trinken und sich selbst zu
schädigen, sowie seiner brüchigen Identität zu erkennen.
Der Zusammenhang mit traumatischen Erlebnissen wird klinisch ganz deutlich
und unübersehbar.
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c.) Der malign - narzißtische Sexualmörder
Wir befinden uns nun im Strukturbereich der „Low - Borderline - Organisation",
also einer schweren Störung, die schon an der Grenze zum psychotischen Bereich
liegt.
Die folgende Darstellung zeigt die aggressive Verarbeitung von traumatisch
Erlebtem im Sadismus, sowie die Wichtigkeit der projizierten Selbst - und
Objektanteile für die Symptomatik.
Es handelt sich um einen Patienten, der in einer Einrichtung der Justiz therapiert
worden war, nachdem er 20 Jahre zuvor eine junge Frau mit unzähligen
Messerstichen getötet hatte. Nun, nach der Tötung eines 11jährigen Jungen (dem
Sohn der Lebensgefährtin) mit Messerstichen in ganz ähnlicher Abfolge wie bei
der Frau, war er von der Polizei gejagt und erschossen worden.
Die Sexualität mit der Lebensgefährtin schien äußerlich normal gewesen zu sein.
Bei genauerem Nachfragen stellte sich allerdings heraus, dass die Frau (die
Lebensgefährtin des Patienten) trotz hoher Frequenz anorgastisch geblieben war
und darunter gelitten hatte, dass dieser Mann ständig narzißtische Befriedigungen
benötigt habe, ohne auf sie Rücksicht nehmen zu wollen, ja sogar oft verächtlich
über ihren Körper gesprochen habe. 14 Tage vor dem Delikt hatte er in
hypochondrischer Weise körperliche Beschwerden geäußert und sich der
Sexualität mit der Frau entzogen. Immer öfter habe er sich den ganzen Körper
rasiert, dann vor dem Spiegel masturbiert und sich gleichzeitig mit einer
Selbstauslösekamera fotografiert. Eines der Bilder, das knapp vor der Tat
fotografiert wurde, zeigt ihn als Frau verkleidet, stark geschminkt, den Hals in
der Schlinge, die Zunge herausgestreckt wie beim Ersticken.
Der Therapeut lieferte dazu die Information, dass dieser Patient immer wieder von
dem schrecklichen Erlebnis gesprochen habe, das ihm als Achtjähriger
widerfahren sei, als man ihn in die Werkstadt des Vaters geschickt habe, wo er
diesen erhängt habe vorfinden müssen. Er sei voller Hass auf die Mutter gewesen,
die er verdächtigt habe, den Tod des Vaters durch eheliche Untreue
mitverursacht zu haben und die ihn vor diesem schrecklichen Erlebnis - den Vater
in der Schlinge sehen zu müssen - nicht bewahrt habe.
Der gute Vater wird auf der Fotografie in einer skurril - erotischen Inszenierung
durch die böse Mutter ersetzt. So soll das erschreckende Erlebnis in ein lustvolles
umgewandelt werden - die traumatische kindliche Niederlage in einen Triumph.
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Es kam zu dieser narzißtischen Selbstinszenierung, nachdem der spätere Täter
eine äußere Niederlage hinnehmen musste: nach anfänglichen Erfolgen in der
Schule, in der er die Meisterprüfung nachmachen sollte, versagte er plötzlich und
bestand eine vorgeschriebene Prüfung nicht.
Zu einer weiteren Beschämung kam es, als der elfjährige Sohn der
Lebensgefährtin früher aus der Schule kam und seinen Stiefvater bei einer seiner
merkwürdigen sexuell- masturbatorischen Fotoaufnahmen entdeckte.
Der nackte Mann stach wie von Sinnen mit einem großen Messer auf das Kind
ein: in den Halsansatz, die Herzgegend und das Genitale. Einen Daumen löste er
aus dem Gelenk.
Internalisierte Objektbeziehungen spielen in den narzißtischen
Masturbationsphantasien des Mannes eine zentrale Rolle. Teile von Vater und
Mutter werden zu lächerlichen, miteinander und mit Selbstanteilen
verschmolzenen Karrikaturen.
Mit der Tötung des Kindes werden, ähnlich wie auf dem Foto, Selbst - und
Objektanteile erregenden Inhaltes ohne deutliche sexuelle Differenzierung
vernichtet.
4. Sadismus und Borderlinestruktur
Sadistische Phantasien spielen als Ersatz für eine schutzbietende Beziehung in der
Frühentwicklung vieler späterer Sexualmörder eine große Rolle
Benjamin (1996) hat andererseits hinsichtlich der Entwicklung zur antisozialen
Persönlichkeit darauf hingewiesen, dass es Situationen gibt, in denen von der
Person, die eine „sichere Basis" für die Entwicklung einer Bindung bieten soll,
gleichzeitig massive Bedrohung ausgehen kann, und dass dann ein
„desorganisierter Bindungstyp" entsteht, der starkes Anklammern mit
Feindseligkeit verbindet. Auch in Fällen, wo ein nicht so sehr „vermeidender
Bindungstyp" entsteht, kann die Kombination von Anklammern und
Feindseligkeit oft nur in Form einer sadistischen Erotisierung bewältigt werden.
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In Beobachtungen von Burges, Hartmann et al. (1986) an Sexualmördern mutet
ein jahrelanges einsames Phantasieren von erotisierter Vernichtung in vielen
Varianten allerdings noch narzißtischer an, als dies bei sexuellem Sadismus sonst
der Fall ist.
„Die die narzißtische Frustration abwehrenden erotisierten Rachephantasien
werden zunächst konflikthaft erdacht und später bruchstückhaft zur weiteren
Belebung des Phantasierens in Szene gesetzt." (Wolfgang Berner)
5. Dekompensation der erotischen Abwehr
Schorsch und Becker (1977) haben den Wechsel von der Paraphilie (in der
Aggression noch durch Libido gebunden ist) zum aggressiv - tödlichen
Sadomasochismus als Dekompensationsprozeß beschrieben; als den
Zusammenbruch einer Abwehrstruktur angesichts zunehmender Frustration.
Die Entwicklung zur Dekompensation beim zuletzt beschriebenen Patienten wird
durch die Beschreibung eines weiteren Selbstauslöserfotos besonders deutlich: es
zeigt einen glatt rasierten Unterleib mit erigiertem Penis, an den er eine große
Schere so angelegt hat, als ob sie sein Glied gleich abschneiden würde. Diese
„Als-ob-Kastration" stimulierte ihn offensichtlich zum Orgasmus.
Zum Entstehungszeitpunkt dieses Fotos hatte der Patient die Kohabitation mit der
Frau nicht mehr vollzogen und durch Masturbation ersetzt.
Es ist denkbar, dass er sein Versagen damals „nur" als Kastration, also als
partielle Behinderung und nicht als existentielle Bedrohung erlebt hat und sich das
Gefühl des Kastriertseins nur auf die Beziehung zur Frau bezog, der er immer
etwas schuldig blieb.
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6. Über die Rolle des sexuellen Mißbrauchs und anderer Traumen für
späte paraphile Symptome.
Figueroa, Silk et al. veröffentlichten 1997 eine Untersuchung an 79 Personen, von
denen 45 nach einem standardisierten Verfahren (Family Experience Interview)
als sexuell mißbraucht eingestuft wurden. In dieser Untersuchung waren sogar
79% der Personen mit einer Borderline - Diagnose sexuell mißbraucht worden,
wobei der Mißbrauch bei den Betroffenen im Vergleich zu den Nicht- Betroffenen
zu einer deutlichen (signifikanten) Vermehrung aller möglichen Symptome führte,
wie sie im SCL-90 R erfaßt werden. (Siehe Anhang)
Eine Ausnahme bildeten hier nur die Zwangs - und Somatisierungs - Symptome.
Die Autoren konnten zeigen, dass der Mißbrauch - besonders wenn er von
Familienmitgliedern verursacht ist - zu paranoiden Einstellungen und
„Feindseligkeit" beiträgt.
Eine gewisse „interpersonelle Sensitivität" nehmen die Autoren als wichtigen, für
Borderline - Störungen prädisponierenden Faktor an.
Aufgrund dieser Sensitivität scheint sich die Mißbrauchserfahrung bei den
Borderline - Patienten besonders schädigend und symptomfördernd auszuwirken.
Die zuvor beschriebenen Fallbeispiele sind gute klinische Bestätigungen für die
nach empirischen Untersuchungen gebildeten Hypothesen.
Besonders in den letzten beiden Fällen zeigen sich - auf dem Hintergrund eines
familiären Klimas, das keine sichere Basis darstellte - individuell traumatische
Erlebnisse, die entweder direkt oder indirekt wie sexueller Mißbrauch gewirkt
haben müssen.
Im zweiten Fall (der Patient von Myers) waren es die Erlebnisse mit dem Bruder,
die in dieses Bild passen. Im Fall des sadistischen Mörders war es die untreue
Mutter, die den Jungen dazu aufforderte, den Vater zu suchen, den er dann
erhängt finden mußte.
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Oft schaffen körperliche Mißhandlungen, im Zusammenhang mit sexuellem
Mißbrauch in der Familie, eine traumatisierende und emotional stark
überfordernde Situation, die in späteren erotischen Erlebnissen reinszenierend
„bewältigt" werden muss.
Hier wird eine Niederlage in einen Triumph umgewandelt.
Die sexuellen Symptome bei Borderline - Störungen bestehen entweder in totaler
Hemmung, Pseudo - Hyperaktivität (oft kombiniert mit Hemmung) oder
verschiedenen Formen perverser Symptombildungen.
Diese Symptombildungen werden heute als Paraphilien bezeichnet, da die
Unfähigkeit, Partnerinteressen berücksichtigen zu können, im Vordergrund steht.
Bei besonders schwer gestörten Borderline - Patienten („Low structure
borderline“), kann es in besonderen Dekompensations - Situationen zu einem
massiven Überwiegen von Aggression gegenüber der Libido kommen und damit
auch zur lustvoll erlebten Tötung und/oder Selbstzerstörung.
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Literaturnachweis
Kernberg, Dulz, Sachsse (2000).Handbuch der Borderline - Störungen
Stuttgart: Schattauer
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Anhang
Die Skalen der SCL 90 - R:
Skala l: Somatisierung
Skala 2: Zwanghaftigkeit
Skala 3: Unsicherheit im Sozialkontakt
Skala 4: Depressivität
Skala 5: Ängstlichkeit
Skala 6: Aggressivität/Feindlichkeit
Skala?: Phobische Angst
Skala 8: Paranoides Denken
Skala 9: Psychotizismus
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