Document

Werbung
PD Dr. Steffen Augsberg
Organisatorischer Hinweis
Die Korrektur der Klausuren wird voraussichtlich bis spätestens Ende August erfolgen; die
Ergebnisse werden anschließend anonymisiert (nur mit Angabe der Matrikelnummer) hier
und durch die jeweiligen Prüfungsämter bekanntgemacht.
Die Ausgabe der Scheine erfolgt erst zu Beginn des Wintersemesters durch Frau Baumbusch
(Lehrstuhl Brugger) im Juristischen Seminar. Das gilt nicht nur für die Leistungsscheine,
sondern auch für bislang noch nicht abgeholte Sitzscheine.
Die Nachschreibeklausur wird voraussichtlich in der ersten Vorlesungswoche des
Wintersemesters stattfinden; Ort und Termin werden zeitnah bekanntgegeben.
Lösungshinweise:
Die Fallfrage bezieht sich auf die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzesänderung. Das bedeutet
zunächst,
daß
das
Gesetz
sowohl
auf
seine
formelle
wie
seine
inhaltliche
Verfassungsmäßigkeit zu untersuchen ist. Prinzipiell ist dabei in beiden Fällen auf die
unterschiedlichen Bestandteile des Gesetzes (Erhöhung der 5%-Klausel und Streichen der
Grundmandatsklausel) abzustellen.
I. Formelle Verfassungsmäßigkeit
Formell verfassungsmäßig ist das Gesetz, wenn der Bund insgesamt zuständig für die
Änderungen des Wahlrechts ist und keine Verfahrens- oder Formfehler vorliegen.
Vorliegend besteht für beide Änderungen eine (ausschließliche) Gesetzgebungskompetenz
des Bundes aus Art. 38 Abs. 3 GG; Verfahrens- oder Formfehler sind nicht ersichtlich.
II. Materielle Verfassungsmäßigkeit
Das Gesetz müßte aber auch inhaltlich mit den Vorgaben der Verfassung übereinstimmen.
Insoweit ist zwischen den unterschiedlichen Änderungen zu differenzieren.
1. Einführung der 6%-Klausel
Die Änderung ist verfassungswidrig, wenn die in Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG niedergelegten
Wahlrechtsgrundsätze, insbesondere der Grundsatz der Gleichheit der Wahl, der
Gesetzesänderung entgegenstehen. Über die in Art. 21 GG garantierte Chancengleichheit
der Parteien könnte hieraus eine subjektive Rechtsverletzung resultieren.
Anmerkung: Die 5-%-Sperrklausel ist im einfachen Recht, nämlich im BWahlG enthalten.
Die Änderung des BWahlG ist am gesamten Verfassungsrecht zu messen. Damit ist hier
nicht nur auf den Demokratiegrundsatz in Art. 20 GG abzustellen, sondern ist hier
vielmehr die Vereinbarkeit des geänderten Wahlgesetzes auch mit dem insoweit
spezielleren Art. 38 GG zu prüfen.
a) Möglich ist es, ganz grundsätzlich die Festsetzung einer prozentualen Quote – unabhängig
von deren Höhe –, unterhalb derer einer Partei der Einzug ins Parlament verwehrt wird, als
mit dem speziellen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG unvereinbar zu
qualifizieren. Die Gleichheit der Wahl ist im strengen Sinn formaler Gleichheit zu verstehen.
Eine solche formale Gleichheit beinhaltet zunächst sowohl Gleichheit der Chancen bei der
Stimmabgabe, also bezüglich des Zählwertes der Stimme, als auch Gleichheit des
Erfolgswertes jeder Stimme. Die Festlegung einer Klausel, mittels derer Wahlergebnisse
unterhalb
einer
bestimmten
prozentualen
Quote
keine
Auswirkung
auf
die
Zusammensetzung des Parlamentes haben sollen, reduziert aber den Erfolgswert der für
diese Parteien abgegeben Stimmen auf Null. Sie bildet insofern einen Beeinträchtigung der
formalen Wahlrechtsgleichheit gem. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG.
b) Allerdings könnte diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt werden. Dagegen könnte
sprechen, daß sich mit der Erfolgswertgleichheit der demokratische Gedanke einer möglichst
breiten Repräsentation des Wählerwillens in der parlamentarischen Volksvertretung
verwirklichen soll. Das GG legt aber nicht fest, ob ein Mehrheits- oder ein
Verhältnismäßigkeitswahlrecht anzuwenden ist. In einer Mehrheitswahl entscheidet nur die
Mehrzahl der abgegebenen Stimmen über den jeweiligen Repräsentanten, der in das
Parlament entsandt wird, die übrigen Stimmen wirken sich insofern auf das Ergebnis nicht
aus. Mit der Anerkennung des Mehrheitswahlprinzips geht mithin zwingend eine Abkehr von
der reinen Erfolgswertgleichheit einher. Dennoch ist das Mehrheitswahlsystem als
verfassungskonform anerkannt. Ungleichheiten im Erfolgswert der Stimmabgabe sind
demnach nicht schlechthin ausgeschlossen.
Anmerkung: International finden sich sowohl Mehrheits- als auch Verhältniswahlrecht in
als demokratisch anerkannten Staaten. Ein Blick in das geltende Wahlrecht des Bundes,
das zur näheren Ausgestaltung der vom Grundgesetz nicht näher vorgeschriebenen
Organisation und Durchführung der Wahlen erlassen wurde, zeigt, daß dieses eine
Kombination von Mehrheits- und Verhältnismäßigkeitswahl vorsieht. Das geltende
Bundeswahlrecht geht also davon aus, daß bei gleichem Zählwert der Stimmen ein
gegebenenfalls unterschiedlicher Erfolgswert zulässig ist.
Sie stehen aber gleichwohl im Widerspruch zur grundsätzlichen Gleichheitsidee. Die
Rechtfertigung
Gegengrund
der
voraus;
Ungleichbehandlung
es
müssen
sich
setzt
daher
einen
verfassungsrechtliche
verfassungsrechtlichen
Argumente
für
die
Ungleichbehandlung finden lassen. Hier könnte ein entsprechender verfassungslegitimer
Zweck mit der Sicherstellung der Arbeitsfähigkeit des Parlamentes gegeben sein. Wahlen
dienen keinem Selbstzweck, sondern sollen funktionsfähige Repräsentationsorgane bilden.
Eine vollständige Abschaffung der Quote aber könnte das Aufkommen zahlreicher kleiner
(Klientel-) Parteien begünstigen. Eine konstruktive Konsensbildung, wie sie über die
größeren Parteien erfolgt, würde damit deutlich erschwert. Die historische Erfahrung und
der
Blick
über
die
Bundesgrenzen
hinaus
zeigt,
daß
zur
Bildung
stabiler
Regierungsmehrheiten eine Koalition unter Einbezug zahlreicher kleinerer Parteien weniger
geeignet ist. Ein legitimes Ziel der Regelung ist damit grundsätzlich gegeben. Die Einführung
einer Quote ist insofern auch ein geeignetes, nicht schlechthin untaugliches Mittel.
c) Demnach ist die allgemeine Einführung einer prozentualen Quote aus sachlichen Gründen
zulässig. Über die Höhe der Quote ist damit aber noch nichts gesagt. Sie muß sich erneut an
den beiden Vorgaben der Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Arbeit einerseits und
dem Erfordernis einer möglichst breiten Repräsentation des Wählerwillens andererseits
orientieren und insofern verhältnismäßig sein. Insofern ist es verfassungsgerichtlich
anerkannt, daß die Ausgestaltungsfreiheit des Gesetzgebers eine 5%-Hürde umfaßt, wenn
diese die Entstehung regierungsfähiger Mehrheiten ermöglichen soll. Insoweit besitzt das
gesetzgeberische Anliegen, das der bisherigen Regelung zugrunde lag, Verfassungsrang und
rechtfertigt
die
damit
verbundene
Einschränkung
der
Wahlfreiheit
und
der
Chancengleichheit der Parteien.
d) Damit bleibt aber hier noch zu klären, ob solche hinreichenden sachlichen Gründe auch
für die vorliegend streitige Erhöhung der Quote von 5 auf 6 % gegeben sind. An dieser Stelle
dürfte beides vertretbar sein: Für die Zulässigkeit spricht der grundsätzlich akzeptierte
Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers; gegen die Zulässigkeit indes die mittlerweile
konsolidierte Parteienlandschaft, die es neu hinzukommenden Parteien ohnehin schwer
genug macht, sich zu etablieren und Parlamentsmandate zu erringen. Letztlich käme es wohl
auf die – hier dem Sachverhalt nicht entnehmende – Gesetzesbegründung an.
Anmerkung: Eindeutiger wäre dies, wenn etwa die Motivation der
Wahlrechtsänderung darin läge, einen konkreten politischen Gegner aus dem
Bundestag fernzuhalten. Eine solche Auseinandersetzung muß politisch geführt
werden; die Änderung des Wahlrechts ist dafür kein angemessenes Mittel. Das
Parteienprivileg des Art. 21 GG fordert eine grundsätzlich gleiche Behandlung aller –
auch der von anderen, konkurrierenden Parteien für verfassungsfeindlich gehaltenen –
Parteien, solange sie nicht vom BVerfG als verfassungswidrig verboten worden sind.
Eine gesetzliche Regelung, deren primäres Ziel in der Diskriminierung einer kleinen
radikalen Partei liegt, ist damit nicht vereinbar. Die Auseinandersetzung hat auf
politischem, nicht rechtlichem Felde zu erfolgen.
Geht man von der Zulässigkeit aus, ist das Gesetz mithin verfassungswidrig, der Antrag
zumindest insoweit unbegründet.
Zum Nachlesen: Zur Rechtsprechung des BVerfG zu Sperrklauseln: BVerfGE 1, S. 208 (hier
insbes. S. 241 ff.): 7,5-%-Klausel im Schleswig-Holsteinischen Landeswahlrecht, darin u. a.
folgende Leitsätze: „[…] 9. Der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit verlangt bei der
Mehrheitswahl nur gleichen Zählwert, bei der Verhältniswahl und bei MischWahlsystemen für den Verhältnisausgleich auch gleichen Erfolgswert der Stimmen.
10. a) Ausnahmen von der Gleichheit des Erfolgswertes sind aus besonderen zwingenden
Gründen zulässig. b) Als ein besonderer zwingender Grund ist […] anzusehen. […].“ und
BVerfGE 51, S. 222 (233 ff.): 5-%-Sperrklausel im Europawahlgesetz.
2. Abschaffung der Grundmandatsklausel
Die ersatzlose Abschaffung der Grundmandatsklausel des § 6 Abs. 6 S. 1 BWahlG ist nur dann
verfassungswidrig, wenn die bisherige Regelung verfassungsrechtlich zwingend geboten ist.
a) Zunächst ist allerdings festzuhalten, daß die Grundmandatsklausel in der bisherigen Form
eine Ungleichbehandlung darstellt.
 Insofern wird zwar einerseits die Beeinträchtigung der Erfolgswertgleichheit durch
die 5%-Klausel eingeschränkt.
 Zugleich erfolgt aber eine zusätzliche Ungleichbehandlung im Vergleich zu solchen
Parteien, die keine drei Grundmandate erringen konnten. Auch dies bedarf einer
verfassungsrechtlichen Rechtfertigung.
 Gegen die Grundmandatsklausel läßt sich anführen, daß damit das an sich ja
verfassungskonforme Anliegen (Verhinderung von Splitterparteien, Sicherstellung
regierungsfähiger Mehrheiten) geschwächt wird. Auf der anderen Seite kann
allerdings das Erringen von drei Mandaten nach Mehrheitswahlrecht (Erststimme)
ein Hinweis auf eine besondere (regionale) Relevanz einer Partei sein bzw. lieferte
ein Indiz für die dieser in der Bevölkerung entgegengebrachte besondere
Unterstützung. Vor diesem Hintergrund wird die Grundmandatsklausel als
verfassungskonform angesehen, weil sie über mit der „Überwindung“ der 5%-Klausel
den regional oder thematisch besonders erfolgreichen Parteien eine weitergehende
Beteiligung sichert und damit ihre integrierende Funktion stärkt.
 Damit ist indes noch keine Aussage über die verfassungsrechtliche Erforderlichkeit
einer entsprechenden Regelung getroffen. Vielmehr ist lediglich von einer
verfassungsrechtlich
gesetzgeberischen
verfassungsrechtlich
zu
rechtfertigenden,
Ausgestaltung
tragfähig
ist
damit
auszugehen.
eine
aber
Ebenso
Argumentation,
nicht
gut
zwingenden
vorstellbar
die
die
und
regionale
Verwurzelung als durch die unmittelbar gewonnenen Direktmandate hinreichend
repräsentiert betrachtet und weitergehende Bevorzugungen ablehnt.
Letztlich braucht hier nicht entscheiden zu werden, ob angesichts dieser Überlegung nicht
sogar die Grundmandatsklausel verfassungsrechtlich unzulässig ist. Zumindest liegt ihre
ersatzlose Streichung gleichfalls innerhalb des Gestaltungsfreiraums des Gesetzgebers.
III. Ergebnis
Die Änderung des Bundeswahlgesetzes ist, soweit sie sich auf die Erhöhung der 5%-Klausel
bezieht, verfassungswidrig (a.A. vertretbar). Demgegenüber begegnet die Abschaffung der
Grundmandatsklausel keinen durchschlagenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
Zum Nachlesen: Ein ähnlicher Fall findet sich bei Degenhart, Klausurenkurs im Staatsrecht,
3. Aufl. 2005, Fall 6 (dort allerdings eine entsprechend umfangreiche fünfstündige
Examensklausur, die gleichwohl in der Sache nur Grundkenntnisse des
Staatsorganisationsrechts voraussetzt).
Herunterladen