Der Prophet bleibt gelassen

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SATIRE IM ISLAM
Der Prophet bleibt gelassen
Humor ist eine Weltsprache: Satire hat im Islam eine jahrhundertelange Tradition. Die heftigen
Reaktionen auf Mohammed-Karikaturen zeugen lediglich von sozialem Frust.
EIN GASTBEITRAG VON MOUHANAD KHORCHIDE
Der Anschlag auf die französische Satirezeitung Charlie Hebdo erschüttert Menschen in der ganzen Welt
und somit auch Anhänger aller Religionen. Es war ein islamistisch motivierter Angriff, um eine Redaktion
zu vernichten, deren Karikaturen sich immer wieder in plakativer Schärfe auch gegen den Islam gerichtet
haben. Man hüte sich davor, aufgrund der Tat islamistischer Fanatiker alle Muslime unter
Generalverdacht zu stellen. Doch schon werden stereotype Fragen laut wie diese: Verstehen Muslime
etwa keinen Humor?
So gut wie jeder, der einmal in Ägypten war und mit den Einheimischen ins Gespräch gekommen ist,
wird die Erfahrung gemacht haben, dass in jedem zweiten Satz eines Ägypters ein Witz oder eine
ironische Bemerkung versteckt ist. Das gehört zur Kultur vieler arabischer und muslimischer
Gesellschaften. Man erzählt sich gern Witze, nimmt die meist schwierige politische und
sozioökonomische Lage humorvoll auf die Schippe und versucht, mit Ironie auf die prekären Verhältnisse
hinzuweisen. So findet man ein Ventil, um Frust abzulassen, aber auch, um Trost und Mut zu tanken.
Gerade unter diktatorischen Regimen, unter denen die Meinungsfreiheit stark eingeschränkt ist, wird
politische und gesellschaftliche Kritik in Form von Satire verpackt, die aber erst entsprechend gedeutet
werden muss. Ein prominentes Beispiel aus dem arabischen Fernsehen ist der zeitgenössische
Komödiant Adel Imam (geboren 1940), den fast jeder in der arabischen Welt kennt. In einer Szene aus
dem Theaterstück Der Herrscher, in dem er eigentlich scharfe Kritik am Mubarak-Regime übt, formuliert
er ironische Bittgebete für den Herrscher: "Gott möge ihm Wassermelonen schenken, so viel er will" und
fährt dann fort: "Kernlose Wassermelonen, denn der Herrscher ist gewohnt, alles gleich
herunterzuschlucken". Damit spielt er auf Mubaraks korruptes Regime an. In einem anderen Film macht
er sich über Islamisten lustig und entlarvt ihre Taktiken, die Religion für ihre eigenen Machtansprüche zu
instrumentalisieren. Alles aber immer zwischen den Zeilen stehend. Der Schauspieler ist übrigens seit
dem Jahr 2000 UN-Sonderbotschafter.
Nasreddin Ḫoca – Humorist des Mittelalters
Ein anderes Beispiel für einen humorvollen Umgang mit einer angespannten Situation zeigt die folgende
Geschichte: Als bei der Qualifikation zur Fußballweltmeisterschaft 2014 in Brasilien die algerische gegen
die ägyptische Mannschaft spielte, kam es zu schweren Ausschreitungen. Daraufhin verbreitete sich vor
dem Rückspiel der beiden Mannschaften unter den Algeriern eine Anekdote, welche die Spannungen
auf humorvolle Weise entschärfen sollte: Ein Ägypter fand eine Wunderlampe. Er rieb sie, bis der Geist
aus der Lampe kam und dem Ägypter drei freie Wünsche gewährte. "Mach mich zum reichsten
Menschen der Erde" war der erste Wunsch des Ägypters, und so geschah es. "Verheirate mich mit der
hübschesten Frau der Welt" lautete der zweite Wunsch, und so geschah es.
Als dritten Wunsch äußerte der Ägypter Folgendes: "Lass meine Mutter von den Toten
wiederauferstehen und zurück zu mir kommen." Da sagte der Geist: "Das ist sehr schwer zu realisieren,
wünsch dir etwas anderes", daraufhin sagte der Ägypter: "Lass Ägypten gegen Algerien 3:1 gewinnen
und sich für die Weltmeisterschaft in Brasilien qualifizieren". Der Geist erwiderte sofort und ohne
nachzudenken: "Dann bleiben wir lieber bei deiner Mutter, ich bringe sie dir zurück." Und so fand die
Rivalität zwischen den Anhängern beider Länder ihren Ausdruck in Satire.
Der prominenteste Protagonist humoristischer prosaischer Geschichten in der islamischen Geschichte ist
Nasreddin Ḫoca. Seine historische Existenz ist umstritten; es wird angenommen, dass er im 13. und 14.
Jahrhundert in Akşehir im südwestlichen Anatolien gelebt hat. Die Anekdoten über Nasreddin Ḫoca
wurden mündlich tradiert und fanden große Verbreitung in der islamischen Welt. Heute gibt es
umfangreiche Sammlungen von Geschichten über ihn, die man sich überall gern erzählt. Vor allem in der
Türkei finden regelmäßig Ḫoca-Nasreddin-Festivals statt, in denen seine Anekdoten inszeniert werden.
Die ihm zugeschriebenen Witze sind eine bunte Mischung aus Volksweisheit, Schlauheit, aber auch
derben oder anzüglichen Inhalten. Nasreddin Ḫoca wird oft als geizig dargestellt. So fragte er einst
seinen besten Freund, was dieser mit ihm machen werde, wenn er verstorben sei. "Ich kaufe dir ein
schönes Kleid, in dem ich dich begraben werde", antwortete sein Freund. Nasreddin Ḫoca bat ihn: "Dann
gib mir jetzt das Kleid und begrab mich später nackt."
Ḫoca war aber auch ein weiser Mann. Eines Tages wollte er seinem Sohn eine Lektion erteilen, sich nie
an den Menschen zu orientieren, denn egal wie man es dreht, sie seien immer unzufrieden. So ritt er auf
seinem Esel und ließ seinen Sohn neben ihm zu Fuß gehen, woraufhin die Menschen ihn als
unbarmherzigen Vater kritisierten. Dann ließ er seinen Sohn auf dem Esel reiten und er ging neben ihm
zu Fuß. Die Menschen kritisierten ihn daraufhin, er habe seinem Sohn keine Manieren beigebracht. Als
beide gemeinsam auf dem Esel ritten, kritisierten ihn die Menschen für seinen unbarmherzigen Umgang
mit dem Esel. Schließlich gingen beide zu Fuß neben dem Esel und die Menschen zeigten auf ihn und
belächelten ihn als einen Narr, der ein Reittier habe und dennoch mit seinem Sohn zu Fuß ging, statt auf
dem Tier zu reiten.
Heute machen sich viele Fernsehsender über die IS-Kämpfer lustig. So zeigte die Show Ktir Salbe eines
libanesischen Senders einen Sketch, in dem ein Salafist mit einem Taxi fährt. Der Salafist bittet den
Taxifahrer, er möge das Radio abdrehen, denn zur Zeit des Propheten habe es keines gegeben. Der
Taxifahrer erwidert daraufhin, dass er dann auch gleich die Klimaanlage abdrehe, denn auch diese habe
es zur Zeit des Propheten nicht gegeben. Wenig später beginnt der Salafist dann, mit seinem Handy zu
telefonieren, woraufhin der Taxifahrer verärgert anhält und den Salafisten mit den Worten aus dem
Auto schmeißt: "Zur Zeit des Propheten gab es keine Handys und übrigens auch keine Taxis. Also warte,
bis ein Kamel vorbeikommt".
Sowohl die islamische Tradition als auch die Gegenwart der Muslime heute zeigen, dass Lachen und
Humor in der islamischen Theologie grundsätzlich positiv besetzt sind. Gleichzeitig muss man jedoch
betonen, dass es keine Witze über Gott, den Propheten Mohammed oder andere zentrale Figuren im
Islam gibt. Es ist für Muslime eine Frage des Respekts, über Gott oder den Propheten nicht zu spotten.
Das Gebot des Respekts bedeutet allerdings keineswegs, dass Muslime humorlos sind.
Mohammed würde heute Karikaturen über sich einfach ignorieren
Mohammed selbst nahm übrigens Spott und Beleidigungen ganz gelassen hin. So wird berichtet, dass er
einen Nachbarn hatte, der ihm jeden Tag Müll vor seine Haustür gelegt hat. Als der Prophet an einem
Tag keinen Müll vor seiner Haustür fand, machte er sich Sorgen um den Nachbarn, dass ihm etwas
Schlimmes widerfahren sein könnte und besuchte ihn. Der Nachbar war in der Tat an dem Tag krank und
war sehr überrascht, dass Mohammed nach ihm fragt. Mohammed hat all die Jahre nichts gegen den
Mann unternommen, er ignorierte seine Handlung und zeigte vorbildlich, wie man erhaben über den
Dingen stehen kann. Mohammed würde heute Karikaturen über ihn ebenfalls gelassen sehen und sie
einfach ignorieren.
Die Aufregung vieler Muslime über die Karikaturen des Propheten ist wohl vielmehr Ausdruck
angestauter Frustrationen im kollektiven Gedächtnis muslimischer Gesellschaften. Die Karikaturen sind
nur der Anlass zur Aufregung, keineswegs die eigentliche Ursache. Denn Grund dieser Frustration ist ein
Komplex sozialer und politischer Faktoren, die wir unbedingt berücksichtigen müssen, um das
Phänomen Gewalt und Radikalisierung im Namen des Islams verstehen zu können.
Aufgaben zum Text
1. Haben Muslime Humor?
Welche Meinung vertritt der Autor des Artikels und wie begründet er diese?
2. Welche Funktion hat Humor nach Ansicht des Autoren in vielen moslemischen Ländern?
3. Worüber spotten Muslime in der Regel nicht?
4. Wer war Nasreddin Ḫoca?
5. Der Autor zeigt an einigen Beispielen, dass es in moslemischen Ländern Humor gibt.
Erzähle einen der Witze nach!
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