2002 Wolfgang Michalka Deutschland 1918-1945 Widerstand in der NS-Zeit Die Weimarer Republik trug schwer an der Hypothek der Kriegsniederlage des Deutschen Reiches und an den Lasten des Versailler Vertrages, so dass sie wenig Akzeptanz erfuhr und auch keine eigene Identität hervorbrachte. Die gesellschaftlichen und politischen Eliten des Kaiserreichs blieben weitgehend erhalten, und es war eine Frage der weiteren Entwicklung, wie lange sie die politische Verfassung der parlamentarischen Demokratie zu dulden bereit waren und wie sich die Kräfteverteilung im Parteienspektrum gestalten würde. Die Gegner standen sowohl auf der politischen Rechten als auch auf der politischen Linken. Neben der wirtschaftlichen Krise und der Inflation belasteten in der Anfangszeit Attentate und Putschversuche den politischen Alltag. Erst 1924 mit dem Abbruch der Ruhrbesetzung durch französische und belgische Truppen und durch die Regelung der Reparationszahlungen begann eine etwas ruhigere Phase, die mit Stresemanns Locarnopolitik auch zu einer allmählichen internationalen Konsolidierung führte. Die Auswirkungen der vom New Yorker Börsenkrach 1929 ausgelösten Weltwirtschaftskrise und vor allem der rapide Anstieg der Arbeitslosigkeit ließen jedoch die latente Krise des Parlamentarismus deutlich zu Tage treten. Fehlende Konsensbereitschaft machten von der Präsidialgewalt abhängige Minderheitenregierungen notwendig. Diese politische Pattsituation blockierte den politischen Entscheidungsprozess und radikalisierte den politischen Alltag. Die auf der extremen Linken und Rechten angesiedelten Parteien erhielten dadurch Auftrieb. Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) wurde 1932 zur stärksten Partei. Die Wahlerfolge auch der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) alarmierten konservative Kreise aus Wirtschaft, Reichswehr und Politik. Trotz der deutlichen Stimmenverluste der NSDAP im November 1932 sahen sie in einem Kabinett Hitler das geringere Übel. Die am 30. Januar 1933 gebildete Koalitionsregierung von NSDAP und Deutschnationale Volkspartei (DNVP) stellte angesichts der die Weimarer Republik paralysierenden Krise des parlamentarischen Systems den Versuch traditioneller Eliten dar, in einem Bündnis mit der NSDAP die eigene politische Vorherrschaft zu erhalten. Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler konnte für den zeitgenössischen Beobachter kaum als „nationalsozialistische Machtergreifung“ verstanden werden. Denn nicht Hitler und seine beiden nationalsozialistischen Kabinettskollegen, Wilhelm Frick als Innenminister und Hermann Göring als Minister ohne Geschäftsbereich, Reichskommissar für den Luftverkehr und kommissarischer Innenminister in Preußen, waren die dominierenden Persönlichkeiten in der neu gebildeten Regierung, sondern allem Anschein nach Franz von Papen als Vizekanzler und Reichskommissar in Preußen Deutschland 1918-1945: Widerstand in der NS-Zeit Seite 2 sowie vor allem der DNVP-Vorsitzende Alfred Hugenberg, dem die Ministerien für Wirtschaft und Landwirtschaft zugefallen waren. Die Nationalsozialisten waren demnach regelrecht von nationalkonservativen Politikern eingerahmt, und das in der Präsidialphase der Weimarer Republik oft erwogene „Zähmungskonzept“ schien realisiert worden zu sein. Kein Wunder auch, dass die Gegner dieser restaurativen Politik, in erster Linie die Sozialdemokraten und Kommunisten, die noch im November über ein Drittel der Wählerstimmen auf sich vereinigten konnten, in ihren ersten Reaktionen auf das Hitler-Kabinett besonders Hugenberg und Papen angriffen und ihre Mitglieder einerseits zur Legalität verpflichteten und andererseits zum Streik aufriefen. Diese Einschätzung der Machtverhältnisse im neuen Präsidialkabinett sollte sich bald als folgenschwerer Irrtum erweisen. Die Nationalsozialisten verstanden es nämlich, konsequent und in atemberaubendem Tempo, ihre nationalkonservativen Koalitionspartner zu überspielen, ihre Gegner auszuschalten und in kurzer Zeit die Macht im Staat zu erobern. Der Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 diente als Vorwand, um die Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft zu setzen. Das mit Hilfe der bürgerlichen Mitte- und Rechtsparteien und gegen die Stimmen der SPD (die Reichstagsabgeordneten der KPD konnten bei der Abstimmung am 23. März 1933 schon nicht mehr teilnehmen) verabschiedete „Ermächtigungsgesetz“ liquidierte vollends die Weimarer Verfassung und machte Hitler vom präsidialen Notverordnungsrecht und von der Kontrolle des Reichstags unabhängig. Verbot oder Selbstauflösung der Parteien, die Entmachtung der Gewerkschaften und die Erhebung der NSDAP zur alleinigen Staatspartei sowie die Gleichschaltung der Länder und der politischen Institutionen waren die wichtigsten Stationen zur Errichtung des nationalsozialistischen Führerstaates und der persönlichen Diktatur Hitlers, die in der Vereinigung der Ämter des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten am 2. August 1934 ihren sichtbarsten Ausdruck fand. Die nationalsozialistische Propaganda wurde nicht müde, die Eroberung der Macht und die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur als einen gleichermaßen legalen und revolutionären Vorgang zu deuten mit dem erklärten Ziel, den Marxismus zu vernichten und die demokratisch-parlamentarischen Verfassungsstrukturen abzubauen mit der Vorgabe, die nationale Einheit wiederherzustellen. Wichtige Unterstützung erhielten die neuen Machthaber dabei von namhaften Staatsrechtlern, die das Konzept des totalen Staates entwickelten. Charakteristisches Strukturelement des den liberalen Parlamentarismus überwindenden „neuen Staates“ war das „Führerprinzip“, das die Identität von Volk und Führung postulierte und damit den Dualismus von Staat und Gesellschaft aufheben sollte. Ein beispielloser Prozess wurde damit regelrecht als notwendig und rechtskräftig unterstützt, der einerseits staatlich gefördert und durch Erlasse und Gesetze legalisiert wurde, andererseits aber kaltblütig und brutal Gewalt und Terror als Mittel der Machteroberung einsetzte. Die politischen Gegner, wie vor allem die parteipolitisch und gewerkschaftlich organisierte Arbeiterbewegung, Intellektuelle und zahlreiche Christen, sowie schließlich die als rassisch minderwertig diffamierten Juden, Sinti und Roma und andere ethnische Minderheiten, wurden isoliert, entrechtet, vertrieben, inhaftiert, gefoltert, getötet. Dies alles geschah mit dem Anspruch auf „nationale Erneuerung“, als „Abwehr heimtückischer Angriffe“ und in der Absicht, die alle Klassengegensätze Deutschland 1918-1945: Widerstand in der NS-Zeit Seite 3 überwindende „Volksgemeinschaft“ zu schaffen. Zustimmung und Angst, Begeisterung und Terror, Opportunismus und Resistenz, Integration und Ausrottung waren die Extreme, zwischen denen sich die „nationalsozialistische Machtergreifung“ und die Errichtung des „totalen Staates“ vollzogen. In einem derartigen Herrschaftssystem war Opposition im parlamentarischen Sinne unmöglich. Den zahlreichen Kritikern und Gegnern dieser Politik verblieben neben der Resignation entweder die Emigration - wenn diese überhaupt möglich war - oder - was ein folgenschwerer Entschluss war - nur noch der Widerstand, der angesichts des beinahe perfekten Überwachungs- und Terrorsystems nahezu chancenlos war. Phasen, Möglichkeiten und Formen von Widerstand Der allmähliche Übergang von Kooperation und Kollaboration mit der NS-Führung bis zum konsequenten, auf Destabilisierung und letztlich Beendigung dieser politischen Herrschaft zielenden Widerstand verlief in mehreren Stufen. Die erste, den Zeitraum von 1933 bis 1935 umfassend, bezeichnet die „Formierung des Widerstandes, der sich zu dem Entschluss durchringen musste, einerseits halböffentliche Aktionen zu vermeiden, andererseits konspirative Organisationsformen zu entwickeln.“ Die zweite, die Zeit 1936 bis 1938 betreffend, ist „durch das Vordringen konspirativer Arbeitsformen vor allem bei der Arbeiterbewegung“ gekennzeichnet. Das Jahr 1938 schließlich gilt in vielen Beziehungen als Wendepunkt, der eine dritte Phase des Widerstands einleitete und die Zeit bis 1940 umfasst. Sie ist „durch das neue Element des Kampfes gegen den Krieg und - nach dem Polenfeldzug - gegen die Ausweitung des Krieges zum Weltkrieg“ bestimmt. In diesem Zeitabschnitt bildete sich die Widerstandsgruppe im Auswärtigen Amt und parallel dazu die Militäropposition. Aber auch Widerstand einzelner war möglich und hätte durchaus erfolgreich sein können. Dies zeigt das im Alleingang verübte Bombenattentat Georg Elsers im Bürgerbräukeller am 8. November 1939.1 Im Frühsommer 1940 stand der Widerstand vor einer vollständig neuen Situation. Für den nun einsetzenden harten, zähen, aufopfernden Widerstandskampf zählte nicht mehr die Hoffnung, rasche Erfolge erzielen zu können. Zugleich bedurfte es nicht nur sorgfältiger Planung des angestrebten Umsturzes selbst, sondern auch der Erarbeitung einer tragfähigen und glaubwürdigen Alternativkonzeption zum bestehenden Regime. Jetzt setzte eine verschärfte Welle von Verfolgungen, Verhaftungen und Hinrichtungen ein. Die Periode von 1941 bis 1943 ist durch wiederholt scheiternde Bemühungen, Hitler zu verhaften oder ihn durch ein Attentat zu beseitigen, charakterisiert. Daneben ist an den spontanen Protest zu erinnern, der beispielsweise 1943 in der Berliner Rosenstraße mehrere hunderte Frauen zusammenführte, die gegen die drohende Deportation ihrer jüdischen Ehepartner in Arbeits- und Tötungslager nach Osteuropa lautstark und öffentlich demonstrierten und damit Erfolg hatten. Die letzte Phase, 1944-1945, ist geprägt vom Attentatsversuch auf Hitler am 20. Juli 1944 und den rigiden Verfolgungs- und Bestrafungsaktionen. Zu Beginn ihrer Herrschaft war es in erster Linie die Arbeiterklasse, die parteipolitisch und gewerkschaftlich organisiert - als kollektive Einheit für die Nationalsozialisten die größte Gefahr bedeutete und daher auch nach der Deutschland 1918-1945: Widerstand in der NS-Zeit Seite 4 Zerschlagung ihrer Organisationen der größten Aufmerksamkeit der neuen Machthaber bedurfte. Da es im nationalsozialistischen Führerstaat keine Stelle zur offenen und verfassungsrechtlich institutionalisierten Konfliktaustragung bei widerstreitenden Interessen geben durfte - was zwar unternehmerfreundlich, nicht jedoch im Sinne der Arbeitnehmer war -, wurde systematisch das Sozialsystem der Weimarer Republik abgebaut, die Arbeiterbewegung als eigenständige politische Kraft entmachtet, und die Arbeiterschaft politisch diszipliniert. Dies wurde geschickt flankiert und kompensiert durch propagandistisch hochgespielte Aktionen wie beispielsweise durch die Einführung des 1. Mai als „Tag der nationalen Arbeit“ und durch das Zusammenfassen aller aufgelösten Gewerkschaftsverbände in der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF), die bald mit 20 Millionen Mitgliedern zum größten Verband im nationalsozialistischen Deutschland wurde. Besonders wirksam waren jedoch die spektakulär dargebotenen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und die generell sinkenden Arbeitslosenzahlen, so dass Ende 1936 nahezu Vollbeschäftigung erreicht werden konnte. Die Exilzeitung der SPD „Die Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SOPADE)“ beschreibt das politische Verhalten der Arbeiter, nachdem sie nach langer Arbeitslosigkeit endlich wieder Beschäftigung gefunden haben: „Es zeigt sich, daß die Wirkungen der Wirtschaftskrise auf die innere Widerstandskraft der Arbeiterschaft verheerender waren, als man bisher glaubte. Immer wieder wird dieselbe Erfahrung gemacht: Der mutigste Kämpfer, der rücksichtsloseste Gegner des Regimes ist in der Regel der Erwerbslose, der nichts mehr zu verlieren hat. Kommt aber ein Arbeiter nach jahrelanger Arbeitslosigkeit in den Betrieb, so wird er - und seien Lohn und Arbeitsbedingungen noch so schlecht - auf einmal ängstlich. Jetzt hat er wieder etwas zu verlieren, und sei es noch so wenig, und die Furcht vor dem neuen Elend der Erwerbslosigkeit ist schlimmer als das Elend selbst. Die Nationalsozialisten haben die Betriebe nicht erobert. ...Aber die Nationalsozialisten haben das Selbstvertrauen der Arbeiterschaft zerstört; die Kräfte der Solidarität verschüttet und ihren Willen zum Widerstand gelähmt.“2 Ein differenziert gefächertes System von Überwachung, Denunziation, Einschüchterung, Drohung und Terror auf der einen und Befriedigungsversuche, wie Versprechungen, soziale Bestechungen, materielle Zugeständnisse und graduelle Verbesserung der speziellen Lage auf der anderen Seite dienten zur Bändigung und Integration der Arbeiterklasse, deren politischer Aktionsraum auf ein Minimum reduziert war. Da die Führungsspitzen der zerschlagenen KPD und der verbotenen SPD entweder streng überwacht, inhaftiert und sogar brutal ermordet waren oder sich in der Emigration befanden, bestand die verlustreiche Widerstandstätigkeit der in die Illegalität abgetauchten Parteirestbestände im Aufrechterhalten und Knüpfen von geheimen Kontakten und Verbindungen, im Verteilen von meist aus dem Ausland bezogenen Flugblättern und Aufklärungsschriften und in der Organisation von partiellen Sabotageakten. Die politische Linke wurde durch das NS-Regime von Anfang an in die Opposition und in die Illegalität gezwungen. Nach dem Verbot und der Auflösung der parteipolitischen und gewerkschaftlichen Institutionen in den Jahren 1933/34 und 1935 nach der Zerschlagung der meisten sozialistischen Widerstandsgruppen verlagerte sich das Gewicht der Opposition allmählich auf bürgerliche Kreise, die das neue Regime zunächst begrüßt und dieses loyal mitgetragen hatten. Deutschland 1918-1945: Widerstand in der NS-Zeit Seite 5 Um ihre welthistorische und revolutionäre Mission erfüllen zu können, benötigten die Nationalsozialisten einen „neuen Menschen“, der - ohne Skrupel und moralische Hemmungen - dazu ausersehen war, diese Zukunftsvision bereits in der Gegenwart zumindest ansatzweise zu erfüllen. In dieser Absicht erhielt das am 15. März 1933 geschaffene Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda eine zentrale Funktion. Unter der Leitung von Joseph Goebbels wurden nicht nur die Presse und der Rundfunk „gleichgeschaltet“ und damit das Nachrichten- und Interpretationsmonopol durchgesetzt, sondern es wurde auch, durch die Einführung der Reichskulturkammer und des Schriftleitergesetzes, dirigistischer Einfluss auf das gesamte Kulturleben in Deutschland ausgeübt. Eine Welle von Säuberungen, Reglementierungs- und Überwachungsmaßnahmen im deutschen Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftsbetrieb zwang viele namhafte Künstler und Forscher, in die Emigration zu gehen. Goebbels erklärtes Ziel war: „Wir wollen die Weltanschauung des Liberalismus und die Anbetung der Einzelperson beseitigen und ersetzen durch einen Gemeinschaftssinn, der wieder das ganze Volk umfasst und das Interesse der Einzelperson wieder dem Gesamtinteresse der Nation einund unterordnet. Damit wird das Jahr 1789 aus der Geschichte gestrichen.“3 Besondere Aufmerksamkeit bei der Durchsetzung der „weltanschaulichen Revolution“ galt der totalitären Erfassung und der Indoktrination der Jugend als der kommenden Elite, deren anfängliche Begeisterung geschickt verstärkt, gleichzeitig aber manipuliert, uniformiert und in den Dienst nationalsozialistischer Zwecke und Ziele gestellt, kurz: missbraucht wurde. Das daraus resultierende Protestverhalten einzelner Gruppen pendelte zwischen Verweigerung und Widerstand. Die SOPADE konstatiert: „Die Jugend ist stimmungsmäßig leichter zu beeinflussen als die Erwachsenen. Diese Tatsache hat es in den ersten Jahren nach dem Umsturz dem Regime erleichtert, die Jugend für sich zu gewinnen. Es scheint, daß derselbe Umstand jetzt dem Regime es schwer macht, die Jugend an sich zu fesseln. ... Es kommt ... hinzu, daß die Jugend Anlaß zu besonderer Enttäuschung hat. Ihr sind besonders große Versprechungen gemacht worden, die aber nur für einen kleinen Teil in Erfüllung gehen. ... Auf Dauer empfindet auch die Jugend den Mangel an Freiheit und den geistlosen Drill, der in den nationalsozialistischen Organisationen geübt wird, besonders lästig. Daher ist es kein Wunder, daß in ihren Reihen die Ermüdungserscheinungen besonders deutlich hervortreten....“4 Nach der Machtübernahme der NSDAP wurden alle Jugendverbände gleichgeschaltet und der Hitlerjugend (HJ) unterstellt. Dies geschah nicht unbedingt mit Billigung der Betroffenen. Für viele Jugendliche war das Grund und Beginn stiller Verweigerung bis hin zur offenen Auflehnung. Neben den Jugendorganisationen der KPD und SPD, die analog zu ihren Dachverbänden politischen Widerstand leisteten, gab es auch oppositionelles Verhalten bei den konfessionellen Jugendverbänden. Aus den Gestapoberichten geht hervor, dass die Opposition von Jugendlichen – durch Verweigerung oder durch Auflehnung bis hin zu Widerstandsformen, in denen mit Flugblättern oder Wandparolen der Sturz des Regimes gefordert wurde – eine beträchtliche Größenordnung annahm. Während des Krieges bildeten sich in Großstädten Cliquen und Jugendbanden, bekannt unter den Namen „Edelweißpiraten“, „Swing-Jugend“ und „Meuten“, die Deutschland 1918-1945: Widerstand in der NS-Zeit Seite 6 durch nonkonformes Verhalten den Behörden ein Ärgernis wurden. Im Herbst 1944 gab der „Reichsführer SS“ und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, einen Erlass heraus, in dem es hieß: „In allen Teilen des Reiches, insbesondere in größeren Städten haben sich seit einigen Jahren – und in letzter Zeit in verstärktem Maße - Zusammenschlüsse Jugendlicher (Cliquen) gebildet. Diese zeigen z.T. kriminell-asoziale oder politisch-oppositionelle Bestrebungen und bedürfen deshalb, vor allem in Hinblick auf die kriegsbedingte Abwesenheit vieler Väter, Hitler-Jugend-Führer und Erzieher, einer verstärkten Überwachung.“ An der Münchener Universität bildete sich eine Widerstandsgruppe, deren Mittelpunkt die Geschwister Scholl, Sophie (1921-1943) und Hans (1918-1943), sowie der Professor für Philosophie Kurt Huber (1893-1943) waren. Nach der Niederlage der 6. Armee in Stalingrad im Januar 1943 und nach Goebbels Aufruf zum „totalen Krieg“ im Berliner Sportpalast verteilten sie nicht nur in München Flugblätter, mit denen sie auf die Brutalität und Sinnlosigkeit nationalsozialistischen Politik aufmerksam machten und zur Beendigung des Krieges aufriefen. Sie und andere Mitglieder der „Weißen Rose“ wurden verhaftet. Viele von ihnen wurden vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt.5 Der totalitäre Anspruch des Nationalsozialismus auf das Individuum und vor allem seine Rassenlehre bzw. Judenpolitik mussten über kurz oder lang den Widerspruch der Kirchen provozieren. Jedoch waren deren Reaktionen keinesfalls einheitlich. Die protestantischen Landeskirchen standen der Weimarer Republik und besonders der SPD und KPD distanziert gegenüber, so dass viele ihrer Mitglieder zunächst das Hitler-Hugenberg-Kabinett begrüßten, zumal die Nationalsozialisten spätestens seit Sommer 1932, vor den Toren der Macht stehend, wohl hauptsächlich aus wahltaktischen Erwägungen die Kirchen zu respektieren vorgaben, und Hitler in seinen ersten Erklärungen als Reichskanzler stets die vermeintlich christlichen Grundlagen seiner Politik beteuerte. Dieser betont gemäßigte und kirchenfreundliche Kurs der NSDAP in der Anfangsphase ihrer Herrschaft blieb nicht ohne Wirkung. Besonders nach der Reichstagswahl im März 1933 häuften sich die Sympathieerklärungen aus kirchlichen Kreisen. Diese Haltung änderte sich jedoch; denn es wurde deutlich, dass die Nationalsozialisten die Kirchen keinesfalls von ihrer Gleichschaltungspolitik verschonen würden. Sie verfolgten vielmehr, wie in den anderen Bereichen des politischen und gesellschaftlichen Lebens auch, deren Zentralisierung und Ausrichtung nach dem „Führerprinzip“. Die Favorisierung der sogenannten „Deutschen Christen“ und die Einsetzung eines „Reichsbischofs“ im Sinne der „Gleichschaltung von Staat und Kirche“ ließen die Unvereinbarkeit der Kirchen mit dem nationalsozialistischen Regime unübersehbar zu Tage treten. Bereits im Mai 1934 wurden auf der Synode in Wuppertal-Barmen grundsätzliche Einwände gegen die Vereinnehmungspolitik der Nationalsozialisten erhoben; denn auch der totale Staat müsse seine Grenzen an den Geboten Gottes finden und es sei Aufgabe der Kirche, „an die Verantwortung der Regierenden und Regierten“ zu erinnern.6 Widerstand im politischen Sinne haben die sich gegen die „Deutschen Christen“ auflehnenden Mitglieder der „Bekennenden Kirche“ nicht geübt. Sie setzten sich ein für die Erhaltung der organisatorischen Strukturen und für die Unabhängigkeit der kirchlichen Lehre. Ihrem Gewissen verpflichtet kämpften sie Deutschland 1918-1945: Widerstand in der NS-Zeit Seite 7 gegen die Übergriffe des Staates in das kirchliche Leben und dann vor allem gegen die nationalsozialistische Ideologie und Rassenpolitik. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch bei der katholischen Kirche beobachten. Straffer organisiert als die protestantischen Landeskirchen und ursprünglich von der Zentrumspartei politisch vertreten, bewahrten die Katholiken der nationalsozialistischen Bewegung gegenüber eine entschiedenere Distanz. Aber auch diese Haltung wurde besonders nach Abschluss des Reichskonkordats mit dem Heiligen Stuhl, das die Rechte der katholischen Kirche in Deutschland festlegte und garantierte, am 28. März 1933 unterlaufen. Die Fuldaer Bischofskonferenz setzte auf ein Arrangement mit den neuen Machthabern. Aber dieser Kurs sollte sich ebenfalls als Illusion erweisen. Der Konflikt zwischen Loyalität zum Staat und Kritik am Regime bestimmte die nicht eindeutige Haltung der Kirchen im Dritten Reich. Insgesamt wurde nicht geschlossen als Institution, dafür aber von einzelnen mutigen Christen Kritik geübt, dem Konflikt nicht ausgewichen und somit kirchlicher Widerstand geübt. Dieser manifestierte sich anfangs in der Verteidigung der kirchlichen Organisation und Lehre, weitete sich aber analog zur Verschärfung des nationalsozialistischen Terrors auf den politischen Bereich aus. Die mutigen Proteste einzelner Kirchenvertreter gegen die barbarische Euthanasie- und Judenvernichtungspolitik und gegen die Pervertierung des Krieges schenkten vielen an der zum Teil unverständlichen Haltung der kirchlichen Organisationen irritierten Gläubigen Mut und Hoffnung und konnte sogar die nationalsozialistischen Machthaber zu einer allerdings nur begrenzten - Mäßigung veranlassen. Die Reichswehr wurde von Beginn seiner Kanzlerschaft von Hitler umworben, stellte sie doch den stärksten Machtfaktor dar. Das gelang ihm relativ leicht und schnell. Obwohl sich die Reichswehr der Weimarer Republik gegenüber neutral, ja sogar loyal verhielt, war es kein Geheimnis, dass sie sich mit diesem „sozialistischen“ aus Weltkriegsniederlage und Revolution entstandenen Staat niemals identifizieren konnte. Die 1933 neu gebildete Regierung, die sich betont national und vor allem antimarxistisch verstand und eine autoritäre Staatsordnung versprach, wurde daher bei durchaus vorhandener Skepsis von den meisten, besonders jüngeren Soldaten und Offizieren als willkommen begrüßt; zumal es Hitler verstand, sie als wichtige „Säule“ zu bestätigen und sie in den neuen Staat einzubinden. Kritik und Konflikte entstanden in der Anfangsphase des Dritten Reiches aus ihrem Verhältnis zur SA, die als Rivale gefürchtet und abgelehnt wurde. Als Hitler im Sommer 1934 angebliche Putschabsichten der SA zum Vorwand nahm und ihre Führungsspitze aber auch andere politische Gegner, ja sogar zwei Reichswehrgeneräle ermorden ließ, applaudierte ihm die Reichswehr und ließ sich sogar nach dem Tode von Reichspräsident Hindenburg auf ihn als „Führer und Reichskanzler“ vereidigen. Diese unkritische Komplizenschaft sollte jedoch die militärische Führung bis zum Ende des Dritten Reiches kompromittieren. Als Hitler im November 1937 unmissverständlich seinen Entschluss zum Krieg offenbarte, war dies der Anlass für Vertreter des Auswärtigen Amtes, Führungspersönlichkeiten der Wirtschaft, aber auch des Generalstabs, einen Gegenkurs anzusteuern. Ernst von Weizsäcker, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, plädierte anlässlich der Sudetenkrise im Jahre 1938 für politische und wirtschaftliche Sanktionen gegenüber der Tschechoslowakei, weil seiner Meinung nach die Westmächte bei Deutschland 1918-1945: Widerstand in der NS-Zeit Seite 8 einer kriegerischen Aktion nicht tatenlos zusehen würden. Dies war auch die Meinung von Generaloberst Beck, der im übrigen Hitlers mittelfristigen Planungen durchaus zu folgen bereit war. Das Münchener Abkommen, das den europäischen Konflikt friedlich-schiedlich regelte, vereitelte jedoch einen von Militärs und Diplomaten geplanten Putschversuch. Nachdem Hitler schließlich den Befehl gegeben hatte, Polen anzugreifen und dadurch der Zweite Weltkrieg ausgelöst wurde, formierte sich eine zum Widerstand entschlossene Anti-Kriegsgruppe. Durch den triumphal gefeierten Sieg über Frankreich im Sommer 1940 schien Hitlers Politik erneute Bestätigung zu finden, so dass seine Gegner einen Staatsstreich nicht wagten. Viele der diplomatischen und militärischen Eliten – wie generell die meisten der Deutschen – ließen sich von Hitlers Erfolgen blenden und glaubten darüber hinaus, für eine gute Sache, für ein größeres und besseres Deutschland und gegen den Bolschewismus zu kämpfen. Die immer deutlicher werdende barbarische Zielsetzung und Realität der nationalsozialistischen Politik sowie die zunehmende Lockerung und Öffnung der Herrschaftsstruktur im zivilen und militärischen Bereich infolge der Kriegslage schufen jedoch eine Situation, die Kritik, Verweigerung und letztlich aktiven Widerstand im Ansatz möglich und immer notwendiger werden ließ. Die Skala des resistenten Verhaltens reichte von der politischen Aktion in Betrieben, in der Organisation von Diskussionen, Drucken und Verteilen von Flugschriften und geheimer Propaganda, Sabotage in der Wirtschaft und Rüstung, Kontaktaufnahme mit dem Ausland bis zum Sturz des Regimes und zur Beseitigung Hitlers. Spätestens mit dem Angriff auf die Sowjetunion und dem befohlenen ideologischen Vernichtungskrieg wurde der Weg zum Widerstand für viele Nationalkonservative die einzige, allerdings nahezu chancenlose Konsequenz ein Widerstand, der im Attentat vom 20. Juli 1944 seinen für die traditionellen Eliten in Deutschland tragischen Höhepunkt erreichte. Das Attentat auf Hitler war zwar das sichtbarste Ergebnis der unterschiedlichen Widerstandsbewegungen und -aktivitäten, jedoch nicht das einzige. Es demonstriert gleichermaßen die Entschlossenheit einiger, das Regime Hitlers unter Aufopferung des eigenen Lebens zu beseitigen, wie die nur minimale Aussicht auf Erfolg und damit die Tragik der Widerstandskämpfer. Das am 20. Juli 1944 von Claus Graf von Stauffenberg im Führerhauptquartier auf Hitler verübte Bombenattentat war für die überwiegende Mehrheit der Zeitgenossen die - sieht man von dem ebenfalls missglückten Sprengstoffattentat des Einzelgängers Georg Elser am 8. November 1939 im Münchener Bürgerbräukeller ab - einzige deutliche Demonstration einer entschlossenen Widerstandsbewegung in Deutschland. Hitler, der wie durch ein Wunder nahezu unverletzt blieb, diskriminierte in seiner wenige Stunden nach der Bombenexplosion vom Rundfunk ausgestrahlten Rede Stauffenberg und seine Helfer als „eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich verbrecherisch dummer Offiziere.“ Mit dieser Charakterisierung entsprach Hitler durchaus den Vorstellungen der Bevölkerung, die größtenteils mit Unverständnis, Entsetzen, ja mit Abscheu reagierte. Denn kaum jemand vermochte zu diesem Zeitpunkt, als sich das Kriegsglück längst an die Fahnen der Gegner geheftet hatte und die Fronten immer bedrohlicher an die Grenzen des Deutschen Reiches rückten, den Sinn einer derartigen Tat einzusehen. Hatten die Alliierten doch längst die bedingungslose Kapitulation Deutschland 1918-1945: Widerstand in der NS-Zeit Seite 9 Deutschlands gefordert, wonach nichts anderes als ein die Niederlage von 1918 bei weitem übertreffender Zusammenbruch, ja eine nationale Katastrophe zu erwarten war. Wie konnte also gerade Hitler, der als „Führer“ von vielen immer noch als letzter Retter in dieser schier ausweglosen Situation verehrt wurde, meuchlings ermordet werden? Seine Attentäter mussten in der Tat als schändliche Vaterlandsverräter verurteilt und verdammt werden. Aber auch die Widerstandskämpfer waren sich ihrer unseligen Lage bewusst. Siegte die deutsche Wehrmacht, so war Hitler als der „Größter Feldherr aller Zeiten“ populär; erlitt sie Niederlagen, so musste ein Staatsstreich zu einer neuen Dolchstoßlegende führen. Ulrich von Hassell, in den Jahren 1932 bis 1937 deutscher Botschafter in Rom, erklärter Gegner Hitlers und eng mit Goerdeler und Beck zusammenarbeitend, brachte dieses Dilemma auf folgende Formel: „Der Zustand, in dem sich mitten in einem großen Kriege Deutschlands die Mehrzahl der politisch klardenkenden, einigermaßen unterrichteten Leute befinden, die ihr Vaterland lieben und sowohl national wie sozial denken, ist geradezu tragisch. Sie können einen Sieg nicht wünschen und noch weniger eine schwere Niederlage, sie müssen einen langen Krieg fürchten, und sie sehen keinen wirklichen realen Ausweg. Letzteres deshalb, weil man nicht das Vertrauen haben kann, dass die Führung der Wehrmacht Einsicht und Willen genug besitzt, um sich im entscheidenden Augenblick einzusetzen...“7 Hans Mommsen hat die exponierte Grenzsituation der zum Staatsstreich und zum Attentat auf Hitler nun entschlossenen Widerstandskämpfer in Deutschland im Gegensatz zu denen in anderen Staaten folgendermaßen umschrieben: „Eine der Grundtatsachen des deutschen Widerstandes - im Unterschied zur Résistance in den von Deutschland besetzten Ländern - bestand darin, dass er sich notgedrungen im Gegensatz zu der nationalen Einstellung der Bevölkerung befand, insbesondere unter den Bedingungen des Zweiten Weltkrieges. Es war daher tendenziell immer Hochverrat und Landesverrat zugleich. Teile des bürgerlich-konservativen Widerstandes scheuten zunächst davor zurück, diese Konsequenzen nachzuvollziehen. Gewiss konnte die Opposition mit Recht behaupten, gegenüber der NSDAP die wahren Interessen des deutschen Volkes zu vertreten. Für den Durchschnittsbürger, der sich dem Regime anpasste und ihm loyal diente, obwohl Teilerscheinungen wie die Bonzenwirtschaft der NSDAP und die Terrormethoden Himmlers und der Gestapo allgemein auf Widerwillen stießen, war es schwierig, diesen Sachverhalt anzuerkennen“.8 Angesichts dieses Dilemmas fragte sich Stauffenberg, ob ein Attentat auf Hitler bei dieser aussichtslosen militärischen Lage überhaupt noch einen Sinne habe. Generalmajor Henning von Tresckow, der gemeinsam mit Stauffenberg den Putsch geplant hatte, gab ihm die berühmt gewordene Antwort: „Das Attentat muss erfolgen, coûte que coûte. Sollte es nicht gelingen, so muss trotzdem in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.“ Für den Umsturzversuch des 20. Juli 1944 war es daher kennzeichnend, dass er aus dem Bewusstsein heraus unternommen wurde, „in einer Grenzsituation zu stehen, in der es jenseits der Frage von Erfolg und Misserfolg darum ging, durch die offene Auflehnung gegen das NS Gewaltregime einen unübersehbaren Akt des Protestes zu vollziehen“9. Deutschland 1918-1945: Widerstand in der NS-Zeit Seite 10 Es ist daher unerheblich, die widerständigen Aktionen der Gegner Hitlers hauptsächlich hinsichtlich ihrer Erfolgsaussichten zu bewerten. Den Frauen und Männern, die sich der nationalsozialistischen Politik entzogen und entgegenstellten und sogar unter Gefährdung von Leib und Leben gegen die Terrorherrschaft opponierten, ging es primär auch darum, vor sich und ihren Mitbürgern ein Zeichen zu setzen und ihre eigene Individualität und Würde zu bewahren. Das Gewissen dieser Widerstandskämpfer gebot es, „eine Regierung zu beseitigen, die von Erfolg zu Erfolg schritt und der alles zu gelingen schien. Die Angehörigen des Widerstands hatten nichts anderes dagegen zu setzen, als ihre ethische Grundhaltung und die Überzeugung, dass der Erfolg die Verbrechen Hitlers nicht aufwiegen konnte. Wer die Weltgeschichte kennt, weiß, wie selten mit solchen Maßen gemessen wird und wie selten ein solcher Opfergang Verbrechen sühnt“10. Angesichts dieser Haltung in einer extremen Grenzsituation mit nur minimaler Erfolgsaussicht ist es nur von sekundärer Bedeutung, die Ziele und Vorstellungen im Hinblick auf ihre ethischen oder demokratischen Werte zu messen. Diese Problematik umriss Helmuth James von Moltke, in dem er betonte, dass es in erster Linie darum gehen müsse, „das Bild des Menschen im Herzen unserer Mitbürger“ wieder aufzurichten.11 Nach dem gescheiterten Attentat ließ Hitler die Spitzen des Widerstandes hinrichten. Viele ihrer Angehörigen, die nichts mit dem Umsturzversuch zu tun gehabt hatten, kamen in Sippenhaft. Mit Tausenden von Regimegegnern wurde ebenso verfahren. Viele wählten den Freitod. Die Prozesse vor dem „Volksgerichtshof“ dauerten bis zum Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes im Mai 1945. Bilanz Motivationen, Umstände, Interessenlagen, die den Einzelnen zum Widerstand führten, waren höchst unterschiedlicher und häufig gegensätzlicher Art. Das Milieu, in dem sich der Widerstand der Arbeiterschaft abspielte, war von demjenigen der bürgerlich-konservativen Opposition weit entfernt. Die zukünftige politische Ordnung, die die einzelnen Richtungen des Widerstandes anstrebten, ihr ideologisch-politischer Hintergrund, war meist grundverschieden. Aber es war nicht das, was zählte. Entscheidend war, dass man bereit war, über die alltäglich erschreckendere Wirklichkeit des NS-Regimes hinauszudenken und ihr Alternativen entgegenzuhalten. Besonders erschwerend war die Tatsache, dass derjenige, der sich gegen Hitler und dessen Politik auflehnte, sich notgedrungen außerhalb der Nation stellte. Daraus folgert Hans Mommsen: „Der Widerstand war, bei aller Vielfältigkeit der Ebenen und der sozialen Träger, ein Widerstand ohne Volk.“12 Trotzdem setzten die sich formierenden Gegner des nationalsozialistischen Regimes und zum Widerstand Entschlossenen mit ihrem Handeln ein Zeichen, „dass die Bewahrung menschlicher Würde inmitten eines Meeres der Unmenschlichkeit möglich ist.“13 Deutschland 1918-1945: Widerstand in der NS-Zeit Seite 11 1) Vgl. Widerstand und Opposition im Dritten Reich, = Studieneinheit 6 von Fernstudium Geschichte. Nationalsozialismus im Unterricht, hg. vom Deutschen Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen (DIFF), Tübingen 1984. 2) Die Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SOPADE), 1980, Bd. 2 (1935), S. 137. 3) Goebbels, Joseph, Revolution der Deutschen. 14 Jahre Nationalsozialismus, Oldenburg 1933, S. 155. 4) Deutschland-Berichte...a. a. O., Bd. 5 (1938), S. 1390ff. 5) Katalog des Ausstellungsbereichs „Die Weiße Rose. Der Widerstand von Studenten gegen Hitler, München 1942/43“, München 1995. 6) Barmer Theologische Erklärung 1934, in: Denzler, Georg/Fabricius, Volker (Hg.), Die Kirchen im Dritten Reich. Dokumente, Bd. 2, Frankfurt/M. 1984, S. 8. 7) Hassell, Ulrich von, Vom anderen Deutschland. Aus den nachgelassenen Tagebüchern 1938-1944. Mit einem Geleitwort von Hans Rothfels, Frankfurt/M. 1964, S. 82. 8) Mommsen, Hans, Widerstand und Opposition im Dritten Reich, a. a. O., S. 8. 9) Ebd. S. 5. 10) Aretin, Karl Ottmar von, Der deutsche Widerstand gegen Hitler, in: Ulrich Cartarius, Opposition gegen Hitler. Ein erzählender Bildband, Berlin 1984, S. 26. 11) Zitiert nach Mommsen, Hans, Die Opposition gegen Hitler und die deutsche Gesellschaft 1933-1945, in: Klaus-Jürgen Müller (Hg.), Der deutsche Widerstand 1933-1945, Paderborn 1986, S. 23. 12) Ebd., S. 9. 13) Ebd., S. 38f.