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Himmelsräume - Himmelsträume
Von Josef Koller, Institut für Astronomie, Universität Innsbruck
Was kann man in der Astronomie entdecken? Einen Stern?
Allein in unserer Milchstraße gibt es über 100 Milliarden
Sterne, im ganzen Universum schätzt man die Anzahl auf 10
Trilliarden. Einen Stern zu entdecken, ist da nichts
Besonderes mehr, es sei denn, es wurde ein ganz seltener Typ
von Stern gefunden. Es gibt aber noch genug andere
Möglichkeiten, denn Entdeckungen sind nicht nur allein die
Funde von neuen oder interessanten Himmelskörpern. Dieser
„handfeste“
Teil
entspricht
zwar
am
ehesten
der
Erwartungshaltung eines Laien, aber da mit ist es noch nicht
getan.
Astronomen und
Astrophysiker
sowie
alle
Naturwissenschaftler können „Ruhm“ erlangen, indem sie
zum Beispiel entdecken, wie ein bestimmter Mechanismus
funktioniert, der bisher noch nicht verstanden wurde.
Ansatzpunkte gibt es viele, denn die vorderste wissenschaftliche Front in der Astronomie ist weit; und oft können Kleinigkeiten große Umwälzungen bewirken.
Natürlich spielt der Zufall bei Entdeckungen einen gewisse
Rolle. Wie arbeiten nun die Astronomen in Innsbruck?
Die Entdeckungsmethodik der Innsbrucker Astronomen
Der Palomar Sky Survery [1] (POSS) stellt das „Hauptinstrumentarium“ dar. Er wurde in den Jahren 1949 bis 1958 am 48inch Schmidt-Teleskop in Südkalifornien erstellt. Mit
enormen Sach- und Zeitaufwand wurde dieses Programm
durchgeführt, das den gesamten von Kalifornien aus
sichtbaren Himmel abbilden sollte. Insgesamt wurden 1620
Plattenpaare aufgenommen, von denen 936 Paare den
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Qualitätskriterien entsprachen. Die Aufnahmen im roten und
blauen Spektralbereich des sichtbaren Lichts überdecken so
ca. drei viertel des gesamten Himmels. Zusammen genommen
ergeben die Platten 292 Quadratmeter – eine wahre
Fundgrube, wie sich herausstellte.
Schon bei der ersten Durchsicht in der selben Nacht der Aufnahme folgten einige Kometenentdeckungen. Von den
Originalplatten wurden zuerst zwei Glaskopien angefertigt, von
denen ein Satz für die bestellten Kopien verwendet wurde. Der
andere Glasplattensatz und die Originale wurden sicher
verstaut. Nach dem Versenden an die astronomischen
Institute folgte eine wahre Entdeckungsflut: Zum Beispiel die
Zahl der entdeckten Galaxien: Vorontsov-Velyaminov u.a.
entdeckten 34.000 Galaxien, Zwicky und Mitarbeiter 28.000,
Nilson 13.000. Andere Objekte warten mit geringeren
Entdeckungszahlen auf und sind umso interessanter, wie zum
Beispiel: Galaxienhaufen, pekuliare Galaxien, Ringgalaxien,
extragalaktische Supernovae, Sternhaufen, Planetarische
Nebel, Supernovaüberreste.
Die systematische Durchmusterung dieses fotografischen Atlanten hat in Innsbruck seit 20 Jahren Tradition. Es wird aber
nicht nur der POSS I verwendet, sondern auch seine Nachahmer am Südhimmel (ESO-Survey) und der Nachfolger POSS II.
Aus der damals dürftigen Ausstattung des Instituts (Not macht
erfinderisch) wurden derartige Himmelsatlanten angekauft
und umfangreiche Suchprogramme gestartet. Die Vorteile
lagen bald auf der Hand: Durch zahlreiche Funde von bisher
unbekannten Objekten konnte eine gewisse Präsenz in
internati onalen Fachzeitschriften erreicht werden, wodurch
wiederum ein guter Ausgangspunkt für internationale
Kooperationen
geschaffen
wurde.
Und
internationale
Kooperation ist heute das Um und Auf in allen
wissenschaftlichen Bereichen, nicht nur in der Astronomie.
Etwas gewöhnungsbedürftig war sicher das Arbeiten mit dem
Mikroskop anstatt mit einem Teleskop. Aber damit konnten
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fast 10.000 Objekte gefunden werden! Diese große Zahl wäre
sicher nicht mit Beobachtungen am Teleskop e rreicht worden,
außerdem hätte niemand ausreichend Beobachtungszeit
bekommen.
Es muß aber betont werden, dass solche Entdeckungen nicht
so einfach vonstatten gehen. Das wichtigste Rüstzeug sind:
höchste Sorgfalt und langsames systematisches Vorgehen am
Mikroskop. Außerdem muß man realistisch abschätzen können, ob es sich überhaupt um ein neues Objekt handeln
könnte. Die Bestätigung erfolgt erst mit der Koordinatenbestimmung und der Überprüfung in Computerkatalogen. Handelt es sich wirklich um einen neuen Fund, dann wird versucht, so viele Parameter wie möglich aus dem Plattenpaar
herauszuholen. Dazu gehören vor allem Typ, Position, Helligkeit, Farbe und Größe. Hat man auf diese Weise ein ganzes
Sammelsurium an Entdeckungen, wird eine Liste der Funde
samt Beschreibung und Interpretation an ein wissenschaftliches Journal gesandt. Bis zur Veröffentlichung sind üblicherweise noch einige Revisionen durchzustehen – erst dann ist
der wissenschaftliche Wert gesichert, und der Artikel kann in
Druck gehen. So vergehen einige Monate – ein langwi eriger,
aber notwendiger Prozess, bis der Fund endlich „offiziell“ wird.
Aufregender wird es, wenn der eine oder andere Fund besonders interessant zu werden scheint. Dann wird Beobachtungszeit an geeigneten Geräten und Teleskopen beantragt. Da
diese auf der ganzen Welt in abgelegenen Gebieten stehen,
muß der nicht unerhebliche Anteil an Reisekosten irgendwie
finanziert werden. Meistens geschieht das über Drittmittel
und nicht aus der eigenen Tasche oder der des Instituts. Hat
man den nervenaufreibenden Teil der Finanzierung
abgeschlossen und tatsächlich ein paar Nächte am
Wunschteleskop bekommen, steht der Reise nichts mehr im
Wege. Heute wird aber immer mehr dazu übergegangen, „on
remote“ zu beobachten, und man erhält nur die Daten. Ein
Nachteil davon ist sicher, dass man als Beobachter nicht mehr
vor Ort ist. Die Vorteile liegen in der effizienteren Nutzung der
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Geräte, da nicht alle drei bis vier Tage ein neuer Beobachter
auf die Geräte eingeschult werden muss und es weniger
Bedienungsfehler gibt. Waren die Wetterbedi ngungen und
Messungen von ausreichender Qualität, kann zur teils sehr
aufwendigen Datenauswertung übergegangen werden. Denn
erst nach der genauen Analyse und Interpretation können die
Ergebnisse an ein Fachjournal gesandt werden. Eine
astronomische Entdeckung zu machen ist also viel mehr als
nur eine Portion Glück, sie ist das Ergebnis von Ausdauer,
Geschick und viel Arbeit.
Was wurde entdeckt? Ein Überblick
In den Jahren von 1978 bis 1980 wurden fünf Kometen auf den
POSS Karten gefunden, die bis vor kurzem zu den einzigen
österreichischen
Kometenentdeckungen
in
unserem
Jahrhundert zählten. Alle waren relativ lichtschwach und
befanden sich außerhalb der Jupiterbahn. Leider konnten die
Kometen nicht mit den Namen der Innsbrucker Entdecker
versehen werden, da sie gewissermaßen nur indirekt auf
Photoplatten
gefunden
wurden.
Allerdings
zeigten
Berechnungen eines japanischen Astronomen, dass eines der
Objekte der im Jahre 1960 entdeckte Komet von Gunn war.
Die Plattenaufnahme wurde schon 6 Jahre vorher gewonnen,
aber erst im Jahr 1980 konnte er den geschulten Augen in
Innsbruck nicht mehr entgehen.
Asteroiden konnten wesentlich mehr entdeckt werden. In den
Jahren von 1978 bis 1989 wurden die Strichspuren von etwa
25 Körpern festgestellt, von denen sich die meisten in einer
starken Inklination zur Ekliptik befinden. Ein sogenannter
earth-crossing Asteroid war auch dabei. Seine Strichspur war
über ein Grad lang (umgerechnet auf einen Tag), was auf eine
große Erdnähe hindeutet. Dieser Körper wurde in die Liste der
Asteroiden aufgenommen, die ständig beobachtet werden soll-
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ten, um die mögliche Gefahr eines Zusammenstoßes
rechtzeitig berechnen zu können.
Eine weitere Besonderheit (Bild 1) stellt der Fund eines „Asteroidencrossings“ dar - ein Projektionseffekt, bei dem sich die
Bahnen zweier Asteroiden kreuzen, in Wirklichkeit aber weit
auseinander liegen. Obwohl es sich dabei um eine wissenschaftlich nicht besonders wertvolle Entdeckung handelt,
wurde bi slang in der astronomischen Literatur noch nie von
so einem Fund berichtet.
Der ganze Stolz der Entdeckungen liegt aber bei den 125 Pla-
Bild 1: Zwei Asteroiden, die sich während
der Aufnahme scheinbar kreuzen.
netarischen Nebeln (PN). Das ist ein wesentlicher Anteil,
wenn man bedenkt, dass man insgesamt nur etwa 1.500
Stück kennt. Das war wohl auch ein Grund, warum erstmalig
ein IAU Symposium der Internationalen Astronomischen
Union in Österreich abgehalten wurde. Dieser astronomisch
besonders hochrangige Kongresstyp fand 1992 in Innsbruck
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statt. Zur Erinnerung: Planetarische Nebel sind die Überreste
von Sternhüllen, die durch den energiereichen Sternwind des
heißen Kerns zum Strahlen angeregt werden. Als vor 200
Jahren die ersten Objekte gefunden wurden, bekamen sie
ihren Namen durch die runde und grünliche Form. Heute
wissen wir, dass eine runde Form eher die Ausnahme ist und
die grüne Farbe nicht durch das postulierte Element
„Nebulium“, sondern durch verbotene Übergänge entsteht.
Fast alle PN sind sehr ausgedehnte Objekte mit bis zu
mehreren Lichtjahren Durchmesser. Sie gehören zu den
schönsten und farbenprächtigsten Himmelsobjekten, die auch
von Amateurastronomen gerne be obachtet werden.
Bei der Namensgebung ist es seit jeher üblich, eine
Nummernbezeichnung
zusammen
mit
den
Anfangsbuchstaben der En tdecker zu vergeben, wobei sich die
Nummer aus den Koordinaten des PN ergibt.
Die nächste Klasse an Entdeckungen sind 12 Sternhaufen, die
sich vor allem hinter Staubwolken im interstellaren Raum
versteckten. Eine Sonderk lasse stellen die Kugelsternhaufen
dar. Sie bestehen meist aus einigen Hunderttausend
manchmal bis zu mehreren Millionen Sternen. Auch handelt
es
sich
dabei
um
langzeitstabile
Haufen,
deren
Mitgliedssterne weitaus älter sind als die Sonne. Einen von
den bisher 250 bekannten und zu unserer Milchstraße
gehörigen Sternhaufen zu entdecken, ist ein Seltenheit. Aber
es konnte durch die Innsbrucker Durchmusterung sogar eine
wahre
Rarität
hinzugefügt
werden
–
ein
schwach
konzentrierter
und
120.000
Lichtjahre
entfernter
Sternhaufen, der somit einer der entferntesten Haufen der
Milchstraße ist.
Weiters sind zwei Supernovaüberreste in Innsbruck entdeckt
worden. Nur etwa ein Prozent aller Sterne hat genug Masse,
um eine Supernovaexplosion hervorzurufen. Für kurze Zeit
leuchten solche Sterne so hell wie die 100 Milliarden Sterne
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einer ganzen Galaxis zusammen. Mit einer Geschwindigkeit
von 10.000 - 20.000 Kilometern in der Sekunde wird die
Materie abgeschleudert und vereinigt sich mit dem
interstellaren Me dium. Übrig bleiben filamentartig leuchtende
Nebel, die auch im sichtbaren Licht strahlen - eben die
Supernovaüberreste.
Vor mehr als 10 Jahren wurde auf einem Atlas ein Nebel gefunden, der einfach nicht in irgendeine Klasse von bekannten
Objekten passen wollte. Die seltsame Form von verschieden
breiten Filamenten, die kreuz und quer verschlungen waren,
wurde noch nie zuvor gesehen. Mehrere Jahre verschwand
das Objekt in der Schublade, bis 1995 auffiel, dass es genau im
Zentrum einer gewaltigen Wasserstoffblase liegt, die im Radiobereich nachgewiesen wurde. Die ersten Spektren, die daraufhin aufgenommen wurden, ergaben, dass es sich um einen
Emissionsnebel handelt, der nur durch einen äußerst unwahrscheinlichen Zufall sichtbar wurde: Die Explosionsfronten
einer nahen Supernova, die auch die riesige Wasserstoffblase
schuf, regen diesen Nebel zum Leuchten an. In ein paar
tausend Jahren wird dieser kleine Nebel, der ca. hundert mal
so groß ist wie unser Sonnensystem, durch die Schockfronten
zerstört sein. Es handelt sich dabei also um eine
Momentaufnahme vor der endgültigen Zerstörung. Der Name
„Criss-Cross Nebel“, der von den Entdeckern vorgeschlagen
wurde, ist inzwischen allgemein akzeptiert.
Mit einer Summe von 9.700 bilden die Galaxien den Hauptanteil der Innsbrucker Entdeckungen und brauchen auch den
internationalen Vergleich nicht zu scheuen. Begonnen hat die
Geschichte damit, als Edwin Hubble 1934 in einer wissenschaftlichen Arbeit zeigte, dass Galaxien überall zu finden sind
außer in einem gewissen Bereich am Himmel, der mit
unserer Milchstraße zusammenfällt. Diese Zone der
Vermeidung (zone of avoidance), wie er sie nannte, kommt
daher zustande, dass galaktischer Staub fast das ganze Licht
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verschluckt. Erst 30 Jahre später wurden durch einen Zufall
zwei Galaxien gefunden, die genau hinter unserer
Milchstraße liegen, noch dazu in nicht allzu großer
Entfernung. Folgeuntersuchungen brachten zutage, dass die
Milchstraße doch an ein paar Stellen etwas transparenter ist,
in denen weitere Galaxien durchscheinen. 1980 führten
Innsbrucker erstmals eine systematische Suche nach
Objekten in diesen Fenstern durch - mit dem Ergebnis von 200
ne uen Galaxien auf einen Schlag. Weitere Durchmusterungen lohnten sich ebe nfalls, aber erst Ende der achtziger
Jahre, als astronomische Nachweis- und Meßtechniken
ausgereifter waren, wurden sie aufgegriffen. Weltweit
machten sich Astronomen auf die Suche und Innsbruck
musste sich der neuen Konkurrenz stellen. In wenigen
Jahren stieg die Anzahl der entdeckten Galaxien auf 9.700
Stück - weltweit mehrere zehntausend. Und alle befinden sie
sich dort, wo Hubble den Entdeckern keine Chance gegeben
hätte - in der „Zone der Vermeidung“.
Die Ausstellung
Das Institut für Astronomie organisierte in Innsbruck eine
Ausstellung mit dem Titel „Himmelsräume - Himmelsträume“.
Die Auswahl der schönsten Kometen, Planetarischen Nebel,
Sternhaufen und Galaxien fiel bei der Fülle von fast zehntausend Objekten nicht leicht, aber es wurde eine farbenfrohe Mischung gefunden, die auch den Laien ansprechen sollte.
Die Entdeckungsmethodik am Mikroskop hört sich vielleicht
eher nüchtern und trocken an. Eine Entdeckung an sich ist
aber immer noch die Realisierung geheimer Träume. Und so
sind doch insgeheim viele Astronomen (nicht nur die
Amateure) Romantiker und Entdecker - auch wenn manche es
nicht zugeben wollen.
Josef Koller
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Nachsatz: Da die Ausstellung in Innsbruck so großen Anklang
gefunden hat, wird ein Teil der Exponate auch in Wien präsentiert. Die zwölf schönsten Bilder können Sie ab sofort im Wiener Planetarium besichtigen. Ein Besuch lohnt sich!
[1] Der Sternbote, Der Palomar Sky Survey - ein Atlas wird zur
Legende, 1983-7, S.130
[2] Der Sternbote, Fünftausend Galaxien, die es gar nicht geben
dürfte, 1995-4, S.70
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