TOTALITARISMUS Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit des Vergleichs Bolschewismus und Faschismus 1. Definition Totalitarismus 2. Definition Bolschewismus 3. Definition Faschismus 4. Möglichkeit und Unmöglichkeit des Vergleichs 4.1. Was bedeutet „Vergleichen“? 4.2. Zitate „Vergleichbarkeit ist gegeben“ 4.3. Zitate „Vergleichbarkeit ist nicht gegeben“ Ulf Schaper, Lea Sante, Friederike Früchtenicht Quellenverzeichnis [a] Schmidt, Manfred G.: „Wörterbuch zur Politik“, Stuttgart: Kröner 1995 (Kröners Taschenausgabe; Bd 404) Seite 960 ff. [b] Gerhard Strauß, Ulrike Haß, Gisela Harras: „Brisante Wörter - von Agitation bis Zeitgeist“, Walter de Gruyter & Co, Berlin 1989 [c] Pipers Wörterbuch zur Politik, Politikwissenschaft 1, hrsg. von D. Nohlen und R.-O. Schultze, R. Piper GmbH & Co.KG, München 1985 [d] E. Fraenkel, K. D. Bracher: „Staat und Politik“ , Fischer Bücherei KG, Frankfurt a. M., 1964 [e] Lexikon der Politik 7, politische Begriffe hrsg. von D. Nohlen und R.-O. Schultze, S. S. Schüttemeyer, Verlag C. H. Beck, München 1998 [f] http://www.palais-jalta.de/texte/dikt_vorwort.rtf. Autor: Matthias Vetter (in der Quelle http://www.akweb.de/ sind alle Anmerkungen enthalten) [1] W. Böhme, M. Dehlsen, H. Eisel u. A.: „Kleines politischen Wörterbuch“, Dietz Verlag, 1. Auflage, Berlin, 1967, 3. Auflage, Berlin 1978 [2] H. Pötzsch, I. Möckel u. A.: „Informationen zur politischen Bildung: Kommunistische Ideologie“, BpB, Bonn, 1980 [3] E. Fraenkel, K. D. Bracher: „Staat und Politik“, Fischer Bücherei KG, Frankfurt a. M., 1964 [4] „Der Brockhaus in Text und Bild“, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2002 [5] A. Görlitz, R. Prätorius: „Handbuch Politikwissenschaft Grundlagen – Forschungsstand – Perspektiven, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Hamburg, 1987 [6] Jan Schedler: http://www.ruhr-uni-bochum.de/bsz/518/518totalitarismus.htm 1 1. Definition Totalitarismus Im politischen und im fachwissenschaftlichen Sprachgebrauch allgemein Bezeichnung für eine alles umfassende („totale“) Herrschaftsstruktur, die im Gegensatz zum liberaldemokratischen Verfassungsstaat, aber auch im Unterschied zu autoritären Regimes, keine nennenswerte Grenze zwischen dem öffentlichen und dem privaten Bereich akzeptiert, und drauf gerichtet ist, die Gesamtheit des gesellschaftlichen (ggf. auch des wirtschaftlichen) Lebens zu erfassen und zu reglementieren. Primärphänomene für totalitäre Staaten: eine alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens umfassende, heilsgeschichtliche Züge tragende Ideologie eine hierarchisch geordnete, typischerweise auf einen Führer zugeschnittene der Bürokratie und dem Staat übergeordnete politische Partei ein System des systematischen Terrors gegen Gegner oder gegen um feinderklärte Gruppierungen das Nachrichtenmonopol der politischen Führung das Waffenmonopol ( Gewaltmonopol) die Unterwerfung der Wirtschaft unter die politische Kontrolle von Partei und Staat [a] Definitions-Entwickler: C. F. Friedrich; Z. K. Brezezinski Vertreter: C. Schmitt, E. Forsthoff, E. R. Huber 2. Definition Bolschewismus „Sammelname für Theorie und Praxis des Kommunismus sowjetischer Prägung und der von ihm abhängigen oder beeinflussten Parteien. Der Begriff Bolschewismus ist mit dem zufälligen Mehrheitserfolg der Anhänger Lenins bei der Wahl der Parteileitung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands 1903 verknüpft.“ [4] 3. Definition Faschismus Der Begriff Faschismus ist abgeleitet von dem lateinischen Wort fasces, italienisch fascio, und bedeutet Verein, Bund oder Bündel. In Italien wurden damit zunächst Arbeiterorganisationen, später außer – bzw. antiparlamentarische Vereinigungen mit revolutionärem oder anarchistischem Charakter bezeichnet. Das faschistische Selbstverständnis richtete sich zu Beginn gegen den bürgerlichen Kapitalismus und gegen die bürgerliche Demokratie. Das faschistische Menschenbild geht nicht von dem Dualismus Individuum – Gesellschaft aus, sondern der Mensch zählt nur als Element der Gemeinschaft. Die Gemeinschaft, die Nation ist alles, der einzelne und eben auch andere Völker sind nichts. Die politischen Werte des Faschismus orientieren sich an dieser Grundeinstellung zum Menschen. Der Staat ist das Überindividuum, dem sich der einzelne bedingungslos unterzuordnen hat. Der eigene Staat steht über allen anderen Staaten, Krieg ist deshalb ein legitimes Mittel, die Macht des eigenen Staates zu erweitern. Analog zum Menschenbild und politischen Normen ist das Staatsverständnis. Der Staat als Überindividuum muss zentralistisch, hierarchisch und nach dem Führerprinzip organisiert sein: ein Volk – ein Führer. [5] Die Verallgemeinerung des Faschismusbegriffs von einer zeitlich und national begrenzten Eigenbezeichnung zur Gattungsbezeichnung einer bestimmten Herrschaftsart ist umstritten, besonders für den Nationalsozialismus in Deutschland.“ [4] 4. Möglichkeit und Unmöglichkeit des Vergleichs 4.1.Was bedeutet „Vergleichen“? Zwischen „Vergleichen“ und „Gleichsetzen“ verläuft im deutschen Sprachgebrauch eine sehr undeutliche Grenze. Strenggenommen behaupten wir nicht, zwei Dinge seien gleich, sobald 2 wir sie miteinander vergleichen - im Gegenteil: damit man sie vergleichen kann, dürfen sie ja gerade nicht völlig identisch sein. Dennoch kommen wir vor allem dann auf die Idee, Dinge zu vergleichen, wenn sie Ähnlichkeiten aufweisen. Vergleichen heißt damit immer, etwas genauer hinter die Kulisse vordergründiger Übereinstimmungen zu blicken. [f] Wir werden zweigleisig Vergleichen: Die Frage, ob Faschismus und Bolschewismus im Hinblick auf den Totalitarismus vergleichbar sind, geht eng mit der Frage einher, ob beide Herrschaftsarten überhaupt totalitär sind. 4.2. Zitate „Vergleichbarkeit ist gegeben“ / „Die Systeme sind totalitär“ Faschismus und Bolschewismus ähneln sich in den Methoden zur Ausschaltung politisch Andersdenkender. Ihre Herrschaft ist ein Selbstzweck: [...] Die von L. Sturzo, F. Nitti, E. von Bekkerath, E. Schotthöfer und teilweise auch von O. Bauer bemerkte Ähnlichkeit zwischen dem faschistischen Italien und dem bolschewistischen Russland. In beiden Regimes sei es zu einer Zerschlagung demokratischer Parteien und Kräfte und zur Verwendung von terroristischen Methoden gegen politische Gegner gekommen. Faschistische Staaten seien, wie vor allem R. Hilferding ausführte, in einem bisher nicht gekannten Ausmaß absolut, hätten sich von den sie stützenden Parteien und Schichten völlig verselbständigen können. Diese weitgehende Gleichsetzung von Faschismus / Nationalsozialismus und Kommunismus hat in starkem Maße die Agitation und Propaganda der dt. Sozialdemokratie geprägt wobei man sich sowohl gegen die Nazis wie gegen die [...] Kommunisten wandte, weil man weder zu „Hitler-Knechten noch zu Stalin-Sklaven“ werden wollte. [c] [...] So verschieden geschichtlicher Hintergrund, politische Gestaltungsziele und ideologisch Doktrin bzw. Gedankenführung der drei wichtigsten totalitären Systeme sind, so treffen sich russischer Bolschewismus, italienischer Faschismus und deutscher Nationalsozialismus doch in der Technik allgegenwärtiger Überwachung (Geheimpolizei), Verfolgung (Konzentrationslager) und massiver Beeinflussung bzw. Monopolismus der öffentlichen Meinung (Öffentlichkeit). Die bedingungslose Zustimmung der Massen wird mit allen Mitteln moderner Propaganda- und –Werbetechnik manipuliert[...]. [3] „Stalinismus und Faschismus sind trotz des tiefen Unterschieds ihrer sozialen Grundlagen symmetrische Erscheinungen. In vielen Zügen sind sie erschreckend ähnlich.“ (Trotzki 1938) [f] Mussolini hatte bereits 1938 in einem Kommentar in seinem Blatt Popolo d'Italia anlässlich des Bucharin-Prozesses die Frage aufgeworfen, ob Stalin angesichts der Katastrophe des Leninschen Systems heimlich zum Faschisten geworden sei. [f] Nachdem 1935 erstmals Hans Kohn in einem Aufsatz Faschismus und Kommunismus als zwei Typen der modernen Diktatur untersucht hatte, die sich von allen traditionellen Diktaturformen unterscheiden, wurde 1938 der früheste systematische Vergleich von Demokratie und „totalitärer Herrschaft“ vorgelegt. Als Kennzeichen der letzteren wurde aufgezählt: das Vorhandensein eines Diktators, einer Monopolpartei, eines einheitlichen Glaubens, einer Geheimpolizei, der Ausschaltung der individuellen Freiheit sowie die Wirtschaftslenkung. Diese Ansätze bekamen nach dem Abschluss des deutsch-sowjetischen Paktes und der gemeinsamen Zerschlagung Polens durch die beiden Aggressoren Auftrieb. Im November 1940 wurde als Ergebnis eines Symposions über den totalitären Staat festgehalten, dass dieser etwas vollkommen Neues sei, das über jede bisherige Diktatur hinausgehe. [f] Zum „Klassiker“ wurde die Untersuchung von C.J. Friedrich und Z. Brzezinski. Bei ihrer Forschung versuchten sie vor allem ihre primäre Hypothese zu bestätigen - nämlich „dass die faschistischen und kommunistischen Diktaturen in ihren wesentlichen Zügen gleich sind“. Sie setzten ihr Modell der totalitären Diktatur aus sechs Elementen zusammen: „Eine Ideologie, eine Partei, eine terroristische Geheimpolizei, ein Nachrichtenmonopol, ein Waffenmonopol und eine zentralgelenkte Wirtschaft.“ Dieses Konzept bezog sich nicht nur auf die Hitler- und 3 Stalindiktatur, sondern auch auf den italienischen Faschismus und auch auf die nachstalinistischen Staaten des „Ostblocks“. [f] Fraenkel und Bracher sehen die Quelle des Totalitarismus im Bolschewismus jedoch nicht auf staatlich-gesellschaftlicher Ebene, sondern erkennen die „Bolschewiki“ in Russland schon aufgrund der Parteistruktur als totalitär: „Eine solche Partei ist tatsächlich keine Klassenpartei, weil ihre Organisationsform sie von den Wünschen der von ihr angeblich vertretenen Klasse unabhängig macht und sie sogar befähigt, die soziale Basis zu wechseln, wenn die Bedürfnisse der Machteroberung und Machtbehauptung das erfordern: sie ist eine moderne totalitäre Partei.“ ([3], S. 46-47) Ein Beispiel für diesen Totalitarismus innerhalb der Partei finden Fraenkel und Bracher im März 1921: „Auf den X. Parteitag der Bolschewiki […] wurde auf Lenins Vorschlag sogar die Bildung von ‚Fraktionen’ mit verschiedenen politischen Plattformen innerhalb der bolschewistischen Partei ausdrücklich verboten, weil solche Fraktionen ebenso wie oppositionelle Parteien zu Vertretern der Interessen feindlicher Klassen werden müssten.“ ([3], S. 49) Zumal die Partei über die Sowjets, die Armee und die Bürokratie die Staatsmacht erlangte, wurde ihr Totalitarismus auch auf die Gesellschaft übertragen. Herbert Marcuse schreibt 1974 in „Die Gesellschaftslehre des sowjetischen Marxismus“ über die Identität von Regierenden und Regierten: „Der Sowjetstaat tritt als das institutionalisierte Kollektiv hervor, in dem die Marxsche Unterscheidung zwischen dem unmittelbaren und dem wirklichen (objektiv-geschichtlichen) Interesse zur Grundlage des Ausbaus der politischen Struktur gemacht wird. Der Staat ist die Manifestation des wirklichen (gesellschaftlichen) Interesses, aber als solche ist der Staat „noch nicht“ mit den Interessen des Volkes identisch, das er regiert. Das Volk wünscht beispielsweise weniger Arbeit, mehr Freiheit, mehr Konsumgüter – aber nach der offiziellen Theorie erzwingen die noch herrschende Rückständigkeit und der Mangel die fortwährende Unterordnung dieser Interessen unter das gesellschaftliche Interesse der Aufrüstung und Industrialisierung. Dies ist die alte Diskrepanz zwischen Individuum und Gesellschaft, wie sie im Staat sich darstellt; in der sowjetischen Theorie erscheint sie jedoch auf einer neuen Stufe des geschichtlichen Prozesses.“ ([2], S. 46) Der Staat vertritt das Gemeinwohl, aber Individuen vertreten ihre Einzelinteressen; daher muss der Staat Interessen der Gesellschaft durchsetzten, was eine gewisse Totalität beinhaltet. Marcuse entstammt der „Frankfurter Schule“ und ist daher eher links einzuordnen. Dadurch klingt es noch erstaunlicher, dass er anerkennt, dass das „Gemeinwohl“ (welches im Bolschewismus von oben diktiert wird) sich nicht mit den Interessen des Volkes zu decken hat, es aber (totalitär) durchgesetzt werden muss. Bolschewismus und Faschismus müssen aufgrund vieler Parallelen in der Anwendung von Gewalt vergleichbar sein; dass diese Gewalt als „Totalitarismus“ hingestellt werden muss, wird allenfalls von den Kommunisten selber bezweifelt. Wenn man voraussetzt, dass der Faschismus totalitär ist und anerkennt, dass dieses auch für den Bolschewismus gilt, dann steht einem Vergleich nichts mehr im Wege. 4.3. Zitate „Vergleichbarkeit ist nicht gegeben“ Laut „Brisante Wörter“ kann man Faschismus und Kommunismus nicht vergleichen: „So wird die Vergleichbarkeit z. B. von Faschismus und Kommunismus unter dem Stichwort Totalitarismus als Einebnung inhaltlicher Differenzen und vereinfachende Bewertung konkreter historischer Erscheinungen zurückgewiesen.“ [b] Anders waren die Konsequenzen aus dem zweiten „klassischen“ Ansatz der Totalitarismustheorie, der von Hannah Arendt stammte. Im Gegensatz zum eher 4 positivistischen Ansatz Friedrichs suchte Arendt in einer philosophisch geschulten Geschichtsschau nach elementaren Gemeinsamkeiten der totalen Herrschaft. Sie grenzte den Faschismus aus, da dieser nur die „Etablierung der faschistischen ‚Elite’ im Staatsapparat des Landes“ anstrebte. „Die totale Herrschaft gibt sich niemals damit zufrieden, von außen, durch den Staat und einen Gewaltapparat zu herrschen; in der ihr eigentümlichen Ideologie und der Rolle, die ihr in dem Zwangsapparat zugeteilt ist, hat die totale Herrschaft ein Mittel entdeckt, Menschen von innen her zu beherrschen und zu terrorisieren.“ Im Terror auch nach der Eroberung der Macht und nach der vollständigen Unterwerfung der Bevölkerung sah Arendt das eigentliche Wesen und die grundsätzliche Herrschaftsform der totalitären Regierungen, die damit einen Zustand fortgesetzter revolutionärer Bewegung und permanenter Unstabilität erzeugen müssen, da sie sich nicht halten können, „ohne die gesamte Wirklichkeit der Erde zuverlässig zu kontrollieren und jede Faktizität innerhalb der Menschenwelt auszuschalten.“ Terror ist in diesem Sinn die vermeintliche „Exekution der Gesetze natürlicher oder geschichtlicher Prozesse“, die Menschen nur das Material dazu. Arendt betonte die Gemeinsamkeit totalitär-terroristischer Herrschaft gerade unabhängig von den ihnen zugrunde liegenden Ideologien: einerseits der dialektische Materialismus - „großartig gefüllt mit den besten abendländischen Traditionen“, andererseits „kläglich-vulgär“ - der Rassismus.“ Dass die ideologischen Voraussetzungen verschiedene sind, betonte auch der zweite Klassiker der Totalitarismus-Theorie, C.F. Friedrich: „Man darf daher wohl sagen, dass die soziale Gerechtigkeit als der letzte Wert im Kommunismus anzusehen ist... Demgegenüber ist für die Faschisten der höchste Wert die Herrschaft, und im äußersten Fall die Weltherrschaft.“ Diese Aussagen, so scheint es, sind von den Gegnern der Totalitarismus-Theorie überlesen worden. Tatsächlich war das Ansehen dieses Konzepts gerade unter den westlichen Intellektuellen denkbar gering. Im Rückblick ist kaum von der Hand zu weisen, dass dies mit einer gewissen geistigen Hegemonie der Sympathisanten des sogenannten „realen Sozialismus“ gerade im Lager der bundesdeutschen Intelligenz zu tun hatte. Nur so ist wohl zu erklären, dass in den siebziger Jahren die Behauptung diskussionswürdig - und einem „bürgerlichen“ Verlag druckbar - erschien, die Totalitarismus-Theorie sei nichts als ein Instrument der „durch ihr Bündnis mit dem Faschismus diskreditierten ökonomisch herrschenden Klasse“ zur Abwehr drohender Sozialisierungen im Nachkriegsdeutschland. [f] Der mögliche Vergleich des Faschismus mit einem totalitären Bolschewismus scheitert bereits daran, dass der Faschismus nicht als totalitär angesehen werden kann. Die sozialistische Selbstdarstellung erkennt sich selbst nicht als totalitär an. Dies sei ein Vorwurf des imperialistischen Antikommunismus: „Der Inhalt des Antikommunismus besteht vor allem in der […] Verfälschung des MarxismusLeninismus und der wahren Ziele der kommunistischen Parteien sowie deren Verunglimpfung als ‚totalitär’ […].“ ([1], S. 49). „Unter krasser Entstellung der historischen Tatsachen wurde behauptet, zwischen Faschismus und Sozialismus bzw. Kommunismus bestehe eine Wesensgleichheit, sie entspränge gleichen gesellschaftlichen Ursachen und beraubten die Menschen mit ähnlichen Mitteln ihrer Freiheit“ ([1], S. 656) Fraenkel und Bracher schreiben über die Unterscheidung zwischen Marxismus und Bolschewismus im Hinblick auf den Totalitarismus in Form der Partei: „Die politische Kernlinie des Bolschewismus ist die […] These, dass […] der Aufbau des Sozialismus nur unter der diktatorischen Herrschaft einer zentralistisch organisierten, ‚kommunistischen’ Partei möglich ist, die mit der ‚Diktatur des Proletariats’ im Marxschen Sinne gleichgesetzt wird. […] Während nach Marx der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus […] in ganz vielen politischen Formen erfolgen konnte […], ist dieser Übergang nach bolschewistischer Ansicht nur in der einen politischen Form der Parteidiktatur möglich […].“ ([3], S. 45) Anders formuliert heißt dies: Marx war nicht totalitär, erst der Leninismus hat den Totalitarismus eingeführt. Dieses erklärt auch, wie Kommunisten sich vom Totalitarismus freisprechen können. 5 Ein weiterer Grund, Faschismus und Bolschewismus nicht unter dem Gesichtspunkt des Totalitarismus zu betrachten, ist die Wertbesetztheit des Begriffs selber. „Brisante Wörter“ meint dazu: Die bis in die jüngste Zeit anhaltende Auseinandersetzung über den Begriff Totalitarismus und das in Wissenschaftskreisen verbreitete Widerstreben, den Begriff überhaupt zu verwenden, sind vermutlich darauf zurückzuführen, dass der (negativ) wertende, politisch-ideologische Gehalt, den er vor allem während des kalten Krieges erhalten hat, auch im engeren wissenschaftlichen Gebrauch immer wieder durchschlägt. [b] Eine streng wissenschaftliche, empirische Untersuchung lässt sich also nicht mit dem Begriff „totalitär“ verknüpfen. In den 70er und 80er Jahren erkannte man die Schwächen der klassischen Totalitarismustheorie, wie sie in der Wissenschaft auf C. J. Friedrich, Zbigniew Brzezinski und eben Hannah Arendt, zurückgeht und nach deren Modell sich totalitäre Staaten durch eine vorherrschende Ideologie, Terror, ein Einparteienregime, eine Befehlswirtschaft, ein Waffenmonopol und ein Propagandamonopol auszeichnen, an. So wurde offensichtlich, dass dieses Konzept einerseits in seinem idealtypisch-statischen Charakter weder auf den Nationalsozialismus noch auf die Sowjetunion zutraf und andererseits eine Gleichsetzung von faschistischer Rassen- und kommunistischer Klassenideologie wissenschaftlich nicht haltbar ist. In der Forschung ist man daher von dem Begriff des Totalitarismus mehr und mehr abgerückt und verwendet zumeist das Faschismuskonzept, die meisten deutschen und internationalen Kommunismusforscher haben das Totalitarismusmodell in den 70er und 80er Jahren in Zweifel gestellt und letztendlich verworfen. Auch in der Nationalsozialismusforschung wurde das Totalitarismuskonzept nicht ernsthaft verwendet, Otto Stammer erklärte die These Friedrichs, das „die faschistischen und kommunistischen totalitären Diktaturen in ihren wesentlichen Zügen gleich sind“, schon 1961 für falsch. [6] 6