Sinn und Unsinn des präventiven Gesundheitssports an

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gesundheitssport
Sinn
präventiven Gesundheitssports
an Krafttrainingsgeräten
bzw. in Fitnessstudios
von Dirk Eberhardt
Einleitung: Mit diesem Beitrag wird die aktuelle Entwicklung auf dem Wellness- und Gesundheitsmarkt aufgegriffen und
der Nutzen eines reinen Krafttrainings untersucht. Festzustellen ist eine rasant ansteigende Zahl von Anbietern und Präventiv-Angeboten. Zur Zeit gibt es in Deutschland über 5.500 Fitnesseinrichtungen mit verschiedenen Schwerpunkte. Einige spezialisieren sich auf ein reines Krafttraining/Hypertrophietraining an Geräten und begründen dies mit dem allgemeinen
Mangel an Kraft oder Bewegung und in Folge mit der Gefahr von Gelenkverletzungen oder Arthrosen. Andere bieten eine
Fülle verschiedener Ausdauertrainingsmöglichkeiten an und argumentieren mit der präventiven Wirkung für Herz- und Kreislauferkrankungen. Viele Studios suchen eine Kombination aus beidem, um sich auf dem hart umkämpften Wellness- und
Gesundheitsmarkt durchzusetzen.
Entscheidend ist, dass sich immer mehr dieser Studios „therapeutisch" einrichten und eine Fülle an Qualifikationsmöglichkeiten entsteht, um das Personal werbewirksam aus ausgebildet darzustellen. Eine weitere Folge ist die unbekannt hohe
Zahl von sogenannten Qualitäts- oder Gütesiegeln, die jedoch aus therapeutischer Sicht zu überprüfen sind. Einzelne Einrichtungen bescheinigen sich diese Auszeichnungen selbst bzw. gegenseitig. Geworben wird aber immer stärker mit der präventiven Wirkung des jeweiligen Trainings, egal ob es sich um ein Ausdauertraining an Cardiogeräten oder um ein reines
Krafttraining an Geräten handelt. Hier muss aber im Hinblick auf die Wirkung deutlich unterschieden werden.
Präventive Wirkung des reinen Krafttrainings
Oft wird das reine Krafttraining mit Slogans, wie „Ein starker Rücken kennt keinen Schmerz" begründet. Auch wird von einer Unfall präventiven Wirkung durch die
sogenannte „Panzerfunktion" oder „Stossabsorbtion eines gut ausgebildeten Muskels" gesprochen. Selbst Pathologien, wie Chondropathia patellae, Bandscheibenvorfälle, instabile Gelenke oder Arthrosen sollen durch ein reines Krafttraining behoben werden können. Leider fallen viele Ärzte, manche Kostenträger, aber insbesondere Patienten auf diese, z.T. aggressiven Werbemassnahmen herein.
Ein reines Krafttraining, mit z. B. 10-15 Wiederholungen und mit 60-80% der
Maximalkraft, vermag jedoch Gelenke nicht zu stabilisieren oder Pathologien zu
beseitigen, denn es ist nicht nur ein „Kraftproblem", sondern auch ein „Verschaltungsproblem". Daher ist ein muskelfaserspezifisches Training angezeigt, da bei einem ausschließlich gerätegestütztem Krafttraining nicht alle Faserarten genügend
angesprochen werden. So kann es passieren, dass die entscheidende Muskelfaserart, die z.B. zur Stabilisation des entsprechenden Gelenkes wichtig ist, überhaupt nicht gekräftigt wird.
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Abb. 1: Falsches Krafttraining am Knieextensor.
Durch die beidbeinige Spannung wird eine unphysiologische Bewegung angebahnt. Des weiteren wird durch den
distalen Hebel das Kniegelenk dezentralisisert und somit
auf Dauer geschädigt. Ein Training der schnellen und somit
gelenkstabilisierenden Muskelfasern des M. vastus medialis ist nicht möglich.
Beispiele aus der Praxis
Zu erkennen ist dieses Problern u.a. bei der Behandlung des vorderen
Kreuzbandes. Hier wird oft die ischiocrurale Muskulatur am Beincurler in der offenen Kette trainiert, weil diese Muskulatur hierdurch in die Lage versetzt werden
soll, die vordere Schublade zu verhindern. Dies gelingt aber nur über die reflektorische Kontraktion der schnellen gelenknahen Fasern, die an diesem Gerät jedoch
nicht trainiert werden. Diese Muskelfasern werden nur über die sensorische Information der Propriozeptoren aktiviert. Das Training an diesem Gerät wird durch den
distalen Hebel und die dadurch ausgelösten Scherkräfte das Gelenk nie stabilisieren können, sondern - ganz im Gegenteil - durch die biomechanischen Hebelgesetze die Schublade noch provozieren und das Gelenk damit weiter schädigen.
Des weiteren sitzt der Patient meist auf der Muskulatur, die gerade kontrahieren soll
und damit eine Raumforderung stellt. Oft entstehen dann Friktionstraumen im Muskelbauch, da das Eigengewicht des Körpers diese Raumforderung nicht zulässt.
Auch der Versuch im sog. Rumpfheber oder im Rumpfrotator die Wirbelsäule muskulär zu stabilisieren, rnuss fehlschlagen. Auch hier werden nicht die tiefen
Rückenmuskeln (Mm. multifidi, Mm. rotatori) trainiert, die als einzige in der Lage
sind, die Wirbelkörper zu stabilisieren, sondern die großen oberflächigen Muskeln.
So mancher Patient hat sich bei solch einem Training schon die Bandscheibe ver-
Abb. 2: Krafttraining am Rumpfheber.
Ein Stabilisationstraining für die Wirbelsäule ist hier nicht möglich, da die tiefen
Rückenmuskeln mit ihren stabilisierenden
Fasern nicht angesprochen werden.
Trainiert werden hierbei die großen oberflächigen Teile des M. erector spinae in
einer einachsigen und geführten
Bewegung. Da der Alltag jedoch nur
freie und dreidimensionale Bewegungen
kennt, ist diese Übung zur echten Gelenkprävention nicht geeignet.
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Abb. 3: Kräftigung am Rumpfrotator.
Auch hier werden gelenksichernde bzw. -führende
Muskelfasern nicht funktioneil trainiert. Ein Training zur
Mobilisation der Wirbelsäule ist möglich,
jedoch nicht zur Stabilisation. Auch stellt der geführte
und einachsige Widerstand die Übung in Frage.
letzt, wobei er ja dies gerade präventiv verhindern wollte. Die Belastung im
Rumpfheber ist zudem mit keiner Belastung im Alltag vergleichbar, da üblicherweise keine geführten oder eindimensionalen Widerstände gefordert
sind - dies erfordert vielmehr ein Training an freien Gewichten. Wir teilen
unseren Patienten immer mit, sie sollen nicht aus dem Rumpf bzw. Rücken
heben. Warum wird dann aber ein Trainingsgerät angeboten, das genau
dies fordert und trainieren soll? Eine präventive Wirkung für den Rücken ist
auch in Kombination mit Geräten für die Rotation oder die Lateralflexion nicht sinnvoll. Diese Muskel können nie selektiv ein Trauma verhindern, sondern nur im koordinierten Zusammenspiel.
Nur wenige Fitnessstudios sind qualitativ in der Lage wirklich präventiv bzw.
therapeutisch zu arbeiten; und diese sind leider nur schwer auszumachen. Werden jedoch neben Kraftqualitäten auch die sensorischen Qualitäten, wie sie durch
ein Koordinationstraining geschult werden, kann ein Qualitätskriterium erfüllt sein.
Nur über diesen Weg sind funktionelle Gelenksicherungen möglich und arthrotische Gelenke wieder in der Lage muskulär gesichert geführt zu werden. Ein Krafttraining in der „offenen kinematischen Kette" mit distalen Widerständen kann demgegenüber ein Gelenk dezentralisieren und somit arthrokinematische Scherbewegungen auslösen. Das Gelenk wird dann weiter geschädigt. Krafttrainingsgeräte, wie z.B. der Beincurler bzw. der Knieextensor, die sogar gleichzeitig beidbeinig angewendet werden, zählen zu diesen „Krankmacher-Geräten", die auch in Studios nur eingeschränkt bzw. gar keine Anwendung finden sollten.
Abb. 4: Propriozeptives Training am Seilzug in Komination mit einer Airex-Matte.
Wenn die Patientin nicht mitbewegt,
kommt es zu einer Kräftigung der tiefen
und somit stabilisierenden Muskeln (Mm.
rotatoris, Mm. multifidi) auf der Gegenseite. Im Vergleich zum Gerätetraining
sind diese Bewegungen im Training wesentlich sinnvoller und erfolgreicher.
Zu unterscheiden sind auch die einzelnen Muskelgruppen, die trainiert werden sollen. In vielen Studios werden die zur Verkürzung bzw. Ionisierung neigenden Muskeln, wie z.B. M. pectoralis, M. biceps, M. trapezius pars descendens usw. zu intensiv trainiert. Dies geschieht oftmals auf
Wunsch des nicht informierten Kunden, da hierbei die gut sichtbaren Muskeln intensiviert werden, Frauen wünchen häufig durch das Training ihres M.
pectoralis im Butterflygerät ihre Brust „anzuheben", was jedoch nicht möglich ist. Wenn dies überhaupt gehen soll, dann nur über den claviculären Anteil, der im Butterfly jedoch nicht adäquat trainiert wird (nur pars transversum). Leider begünstigt das vermehrte Training dieser Muskeln jedoch viele Haltungsprobleme. Sternosymphysale Belastungshaltung, Thoracic-outlet-Syndrom oder der Tennisellenbogen können durch dieses Training begünstigt werden.
Aus präventiver Sicht sollte genau die antagonistische Muskulatur (M.
trapezius pars transversum, pars ascendens, Mm. rhomboideii, M. lattisimus) bedacht werden, da durch den Alltag bedingt die genannte Muskulatur
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Abb. 5: Kräftigung der stabiliserenden Muskelketten
an der Funktionsstemme / Beinpresse.
Durch das Training in der geschlossenen Kette mit
zusätzlichem propriozeptivem Stimulus kommt es
zur funktionellen Kräftigung aller Muskeln, die
z.B. das Kniegelenk arthrokinematisch absichern können.
bei den meisten Patienten hyperton bzw. strukturell verkürzt ist. Ein Training dieser Muskulatur wird die häufigen
Pathologien nur weiter begünstigen. Funktionellerist hingegen ein Training an freien Gewichten, wie z.B. am Seilzug oder mit Hanteln, was jedoch personalintensiver ist
und damit die Kosten erhöhen würde. Allein aus diesem
Grund schrecken viele Studios vor dieser Trainingsmethode zurück. Die Patienten
müssten dann intensiver eingewiesen werden und eine bessere Kontrolle der Trainingseinheiten ist vonnöten.
Nicht nur aus propriozeptiver Sicht haben Kurse wie zum Beispiel „Step-Aerobic" oder „Pump" einen höheren präventiven Effekt, wenn die Intensität nicht zu
hoch ist und individuell an die Gruppe angepasst wird. Die Bewegungen sind den
Alltagsbelastungen relativ ähnlich und durch die freien Gewichte, die als Widerstand angeboten werden, wird die gelenkführende Muskulatur gekräftigt. Entscheidend ist aber die Anzahl der Teilnehmer und die Kursdauer, damit eine gute Kontrolle stattfinden kann und Überbelastungen vermieden werden. Wenn man diese
Belastungen mit einem reinen Gerätetraining vergleicht, schneiden derartige Gruppen aus funktioneller und präventiver Sicht wesentlich besser ab.
Das reine Krafttraining an Geräten sollte aus präventiver Sicht nur einen begleitenden Stellenwert einnehmen. Das Training an Geräten ist grundsätzlich besser,
als zu Hause passiv auf der Couch zu sitzen. Jedoch kann das reine Gerätetraining aus präventiver Sicht lange nicht leisten, was man ihm üblicherweise zubilligt.
Dies erkennt man auch daran, dass viele nach einem derartigen Training Gelenkprobleme bekommen und therapeutisch behandelt werden müssen.
Abb. 6: Unfunktionelles Trainig am Beincurler zur
Kräftigung der ischiocruralen Muskulatur.
Die dezentralisierende Wirkung am Gelenk zeigt sich
schon daran, dass bei diesem Gerät zusätzlich eine
Fixierung an der proximalen Tibia notwendig wird,
um die vordere Schublade zu verhindern.
Auch werden nicht die gelenknahen schnellen Muskelfasern trainiert, die als einzige in der Lage sind,
im Alltag den Stress auf die vordere Schublade zu
verhindern.
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Abb. 7: Auch beim Beincurler im Stand kommt es
durch den distalen Hebel zu unphysiologischen
Gelenkbewegungen, da hierbei die ventrale Muskelkette,
die ja ebenfalls das Gelenk sichern soll, antagonistisch
gehemmt wird. Die präventive Wirkung auf das Gelenk
rnuss in Frage gestellt werden.
Präventive Wirkung eines
„Cardiotrainings" in Fitnessstudios
Einige Studios bieten überhaupt kein Ausdauertraining an, mit der Begründung „das holt man sich billiger im Wald". Aussagen, wie: „Ein Ausdauertraining ist nichts anderes als ein Krafttraining fürs Herz", werden oft als
Argument gehört. Gerade aber das Ausdauertraining bietet aus präventiver Sicht viele positive Effekte. Der Gewinn liegt nicht nur in der Kräftigung
des Herz, sondern auch in der positiven Beeinflussung der Blutbestandteile. Die biochemischen Veränderungen eines ausdauertrainierten Muskels
wirken ebenfalls präventiv.
Durch Ausdauertraining steigert sich die nutritive Durchblutung und die
Mitochondrienzahl, der Muskel wird in die Lage versetzt, längere Zeit aerob zu arbeiten. Dadurch können Laktatproblem verhindert werden und der
Muskel arbeitet gesünder. Ebenfalls steigert sich der Myoglobingehalt und
auch die Enzymaktivität zur aeroben Energiebereitstellung ist erhöht. Ob
dieses Ausdauertraining allerdings an Cardiogeräten durchgeführt werden
muss oder besser im Wald an der frischen Luft und mit freien Bewegungsmustern ist jedem „Patienten" selbst überlassen werden. Das große Problem dieser Geräte liegt meist darin, dass die Bewegungen geführt werden,
wie z.B. beim Crosstrainer. Ein normales Gang- bzw. Laufmuster ist nicht
möglich und es werden Bewegungsabläufe „aufgezwungen", die mit dem
Alltag nicht vergleichbar sind. Auch wird die Intensität oft zu hoch gewählt
und die Belastungszeit wird dann oft für ein Ausdauertraining zu kurz. Allein
für die Fettverbrennung muss eine Belastungsintensität gewählt werden, die ein
Training bei Untrainierten für mindestens 30 Minuten zulässt. Hier bieten sich z.B.
alle Formen des Walking an, hierbei werden auch physiologische Bewegungsabläufe und nebenbei die Sensorik geschult.
Abb. 8:
Ausdauertraining am Crosstrainer.
Nachteilig sind hierbei die aufgezwungenen Bewegungsmuster für die Arme und
Beine. Zur Prävention von Herz-Kreislauferkrankungen geeignet, wenn die
Trainingsparameter beachtet werden.
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Abb. 9: Ausdauertraining am „Sitzergometer".
Dies zeigt zwar präventive Wirkung, u.a. bei Herzund Kreislauferkrankungen, ein echtes Ausdauertraining stellt sich aber durch die sitzende Position
selbst in Frage.
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Zusammenfassung
Zusammenfassend kann man sagen, dass ein präventives Training in Fitnessstudios möglich ist, jedoch nur selten Anwendung findet. Deshalb wird noch immer der Stellenwert des reinen Krafttrainings zu hoch bemessen. Man sollte einen
Muskel lieber in der Funktion kräftigen, nicht aber durch unnatürliche und geführte
Bewegungen. Der Mensch verfügt über dreidimensionale Bewegungsmuster und
trainiert sie an den Geräten auf eindimensionale zurück. Diese werden im Alltag
jedoch nicht gefordert, weshalb aus präventiver Sicht ein reines Krafttraining nicht
optimal ist. Der Leitspruch: „Ohne Sensorik, keine Motorik" sollte endlich anerkannt werden.
Letztendlich überzeugt aber immer erst die Qualität des Trainers, der die
Patienten/Kunden an den Geräten einweist. Dem aktuellen Trend folgend bieten
immer mehr Studios eine Vielzahl von Koordinationsgeräten an und wenden diese
auch in Kombination mit dem Krafttraining an.
Die Akademie Damp bietet hierfür in Kooperation mit dem Sportärztebund
Schleswig-Holstein e.V. (Leitung: Prof. Dr. Jörg Haasters, Ärztlicher Direktorder
Ostseeklinik Damp) und des Instituts für Sport- und Sportwissenschaft der Christian-Albrecht-Universität Kiel (Leitung: Dr. Michael Siewers) eine Ausbildung an,
die sich mit genau diesem Thema befasst. Der Lehrgang dauert 14 Tage mit insgesamt 200 Unterrichtseinheiten, wobei der größte Teil in praktischen Stunden
stattfindet.
Für Therapeuten (Physiotherapeuten, Masseure, Sportlehrer) empfiehlt sich
daher die Ausbildung zur medizinischen Trainingstherapie (MTT/MAT). Diese beinhaltet 125 Unterrichtseinheiten mit einem ebenfalls hohem praktischen Anteil.
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