"40 Jahre Stuttgarter Ballett", Zwei Ballettabeflde

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"40 Jahre Stuttgarter Ballett", Zwei Ballettabende
"40 Jahre Stuttgarter Ballett", Zwei Ballettabende
Kunsthandwerk für Besserverdienende
Veröffentlicht am 03.11.2001, von Bernd Krause
Stuttgart - Obwohl die Tradition des Balletts in Stuttgart bis auf das Jahr 1609 zurückverfolgt werden kann und der Tanz in
Stuttgart von 1759 bis 1767 unter dem Reformer Jean Georges Noverre eine Blütezeit erlebte, feiert die Compagnie
gegenwärtig mit einer Festwoche "40 Jahre Stuttgarter Ballett" und bezieht sich damit selbstverständlich auf John Cranko, der sie
von 1961 bis zu seinem Tode im Jahre 1973 zum Weltruhm geführt hatte. Bei der Programmgestaltung blickt Ballettintendant Reid
Anderson weniger in die Zukunft, sondern erinnert vor allem mit Wiederaufnahmen und Neuinszenierungen an große
Choreografen, die in dieser Zeit aus dem Stuttgarter Ballett hervorgegangen sind oder mit ihm gearbeitet haben.
Nur eine Uraufführung des neu bestallten "Hauschoreografen" Christian Spuck schmückte den Eröffnungsabend der Festwoche. Sie
wurde umrahmt von Jiri Kylians Tanzmonolithen "Vergessenes Land" (Britten), der, exzellent einstudiert und vom Staatsorchester
unter James Tuggle fulminant gespielt, wohl nur selten mit einer solchen Wucht und künstlerischen Intensität aufgeführt worden ist,
an seiner Spitze die bewunderungswürdigen Sue Jin Kang und Tamas Detrich, sowie von Uwe Scholzens "Siebter Sinfonie"
(Beethoven), diesem jugendfrischen, überbordenden, immer währenden Spurt, der im dritten Satz mit der stillen Versammlung um
einen gleißenden Lichtfleck vor Morris Louis' Bühnenbildkrallen beklemmend an den "Ground Zero" in New York erinnert. Auch
hier die Truppe mit den führenden Julia Krämer und Roland Vogel in allerbester Form.
Wohin Spucks künstlerische Reise gehen wird, das ist auch in seiner neuen, überaus eklektischen Choreografie "Songs" nicht zu
erkennen, außer vielleicht, dass er künftig in jedem Stück Yseult Lendvai irgendwelche Texte aufsagen lässt.
Noch bei hellem Saallicht sitzt ein Falkner mit seinem Vogel im Hintergrund der weißen Bühne, die Mezzosopranistin Lani Poulson
steht im grauen Samtanzug, verdorrte Zweige im Arm, neben ihm, Lendvai rezitiert englisch Rilkes "Sonette an Orpheus", neun
weitere Damen und Herren treten zuweilen an Mikrofone und sagen auch etwas über Beziehungen, man macht hier eine Pirouette
und dort einen Sprung.
Irgendwann beginnt der Tanz zu Arien von Purcell und Händel, man geht kurze Bindungen ein, löst sie wieder auf, bleibt
allerdings meistens allein. Das alles in dunkelpastellfarbenen Kleidchen von Nicole Siggelkow und auf Spitze, vorwiegend
klassisch, geheimnisvoll, sehr elegant und gekonnt, blendend getanzt und ziemlich banal. Ein kurzer Blick in träumende und
sehnende Herzen. Christian Spuck als Kunsthandwerker für die Besserverdienenden. Quo vadis Spuck? Am zweiten Abend dann
eine Lehrstunde mit meisterlichen Choreografien ausschließlich des Holländers Hans van Manen: "Kleines Requiem", "Twilight",
"Solo" und "5 Tangos". Hier beeindruckten namentlich die hocherotische Bridget Breiner und der kluge Douglas Lee in "Twilight",
einem furiosen, erregenden Geschlechterkampf vor grauer Industrielandschaft zu pochender Klaviermusik von John Cage (David
Diamond), sowie die Ensembleleistung in "5 Tangos" (Astor Piazzolla), denen Friedemann Vogel und Douglas Lee mit ihrem vor
Spannung vibrierenden Liebesduo im vierten Tango ein Glanzlicht aufsetzten. Das Stuttgarter Ballett tanzt gegenwärtig auf einem
bisher kaum erreichten Niveau, was vor allem angesichts der gegenwärtigen Belastungen höchste Anerkennung verdient.
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