Zu gesund essen macht auch krank

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22 W ISSEN / G ESUNDHEIT
FREIT AG, 9 . OKT OBER 20 15
Zu gesund essen
macht auch krank
Milch und Weizenmehl sind tabu, Zucker und rotes Fleisch
werden verschmäht. Manche beschäftigen sich so sehr
mit gesunder Ernährung, dass sie dabei übertreiben.
SN- PRAXIS
Friedrich Hoppichler
Immer häufiger ist eine neue Art der Essstörung zu beobachten, bei der die Betroffenen
eine Besessenheit für gesunde Ernährung entwickeln. Von Ärzten wird diese selbstzerstörerische Weise, gesund zu essen, als Orthorexia
nervosa bezeichnet, kurz Orthorexie.
Natürlich ist nicht jeder, der vernünftig isst
und auf eine gesunde Ernährung achtet, ein
Orthorektiker. Wenn jedoch das Sozialleben
darunter zu leiden beginnt, weil Betroffene
nicht mehr ins Restaurant essen gehen können
bzw. sich der Lebensalltag und die Gedanken
nur mehr um das Streben nach gesundem Essen drehen, kommt man der Orthorexie schon
sehr nahe.
Orthorexie wurde erstmal 1997 von dem USamerikanischen Arzt Steven Bratman beschrieben. Dieser hatte bei sich selbst einen krankhaften Umgang mit gesundem Essen festgestellt und war damit selbst von dieser Essstörung betroffen. Immer wieder gibt es neue
Erkenntnisse in der Ernährung und man wird
mit Informationen überschüttet, was „gut“ und
was „schlecht“ für den Organismus sei. Lebensmittelskandale und das zunehmende Angebot an Alternativ- und Bioprodukten ma-
Wenn das Einkaufen
zur Odyssee wird
chen die Lebensmittelauswahl für den Verbraucher noch komplexer.
Welche Lebensmittel als gesund und welche
als ungesund eingestuft werden, wird von Orthorektikern individuell definiert und ständig
enger zusammengefasst. Die Betroffenen sind
zudem meist so sehr von ihren Ansichten
überzeugt, dass sie sich anderen auch überlegen fühlen und oft versuchen, diese zu einem
gesunden Essverhalten zu bekehren. Das kann
für Freundschaften und Familienmitglieder zur
Belastung werden.
Durch den selbst auferlegten eingeschränkten Speiseplan und die übertrieben strenge
Auswahl der Nahrungsmittel kommt es oft
zu einer sehr einseitigen Ernährung, welche
zu Untergewicht führen kann. Auch Mangelerscheinungen können die Folge sein. Einen
ebenso großen Aspekt spielt jedoch die Psyche.
Einladungen zum Essen bei Freunden werden
von Betroffenen oft abgelehnt, weil es für sie
nicht vorstellbar ist, vom Ernährungsplan abzuweichen. Ein Einkauf im Supermarkt entwickelt sich zu einer Odyssee, weil die Zutaten-
Maß halten beim Essen ist gut. Ängstlichkeit nicht.
BILD: SN/UNDERDOGSTUDIOS - FOTOLIA
10 Fragen zur Ernährung.
Der Bratman-Test für Orthorexie:
1. Denken Sie mehr als drei Stunden am Tag
über Ihre Ernährung nach?
2. Planen Sie Ihre Mahlzeiten mehrere Tage
im Voraus?
3. Ist Ihnen der ernährungsphysiologische
Wert Ihrer Mahlzeit wichtiger als die Freude an
deren Verzehr?
4. Hat die Steigerung der angenommenen
Lebensmittelqualität zu einer Minderung
Ihrer Lebensqualität geführt?
5. Sind Sie in letzter Zeit mit sich strenger
geworden?
6. Steigert sich Ihr Selbstwertgefühl durch
gesunde Ernährung?
7. Verzichten Sie auf Lebensmittel, die Sie
listen penibel genau studiert werden. Wird
dann auch noch versucht, anderen die eigene
Überzeugung aufzudrängen, ziehen sich
Freunde und Familie zurück und das soziale
Umfeld von Orthorektikern bricht zusammen.
Da die Orthorexie nicht als Krankheit definiert ist, gibt es folglich noch keine Richtlinien
in der Therapie. Betroffenen kann aber mit
einer Psychotherapie geholfen werden, das
Vertrauen in eigene Entscheidungen und die
Freude am Essen ohne schlechtes Gewissen zurückzugewinnen. Das schafft im Idealfall wieder eine Grundlage für eine gesunde, aber
auch ausgewogene Lebensmittelauswahl. Wer
seinem Körper etwas Gutes tun möchte, sollte
es mit dem Gesunden also auch nicht übertreiben. Änderungen in den Ernährungsgewohn-
früher gern gegessen haben, um nun „richtige“
Lebensmittel zu essen?
8. Haben Sie durch Ihre Essensgewohnheiten
Probleme auszugehen und distanzieren Sie sich
dadurch von Freunden und Familie?
9. Fühlen Sie sich schuldig, wenn Sie von Ihrer
Diät abweichen?
10. Fühlen Sie sich glücklich und unter Kontrolle,
wenn Sie sich gesund ernähren?
Wenn Sie 4 oder 5 dieser Fragen bejahen, ist es
Zeit, mehr Gelassenheit in Bezug auf Ihre Ernährung zu zeigen. Wenn Sie alle Fragen bejahen,
haben Sie bereits eine Besessenheit für gesunde
Lebensmittel entwickelt.
heiten sollten langsam vollzogen werden und
auch zum eigenen Lebensstil passen. Mit einer
gesünderen Ernährung sollte der positive Effekt auf die Gesundheit überwiegen, ohne die
Freuden des Lebens oder zum Beispiel die Geselligkeit bei Tisch einzuschränken.
Die deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) schätzt, dass etwa ein Prozent der
Bevölkerung unter einem zwanghaft gesunden
Essverhalten leidet.
Univ.-Prof. Prim. Dr. Friedrich Hoppichler ist
Facharzt für Innere Medizin sowie Vorstand der
Abteilung Innere Medizin und Ärztlicher Leiter
Krankenhaus Barmherzigen Brüder Salzburg. Er ist
darüber hinaus Vorstand von SIPCAN – Initiative
für ein gesundes Leben.
Homöopathie wird privat bezahlt
Im SN-Saal:
„Alles oder nichts“
Homöopathisch arbeitende Ärzte wollen die Medizin als Kassenleistung.
Homöopathische Medizin
soll eine Kassenleistung werden.
Das jedenfalls ist der Wunsch der
Österreichischen Gesellschaft
für Homöpathische Medizin, der
etwa 850 Mitglieder angehören.
Der Allgemeinmediziner Bernhard Zauner aus Bad Schallerbach in Oberösterreich ist einer
der Initiatoren der Aktion. „Bereits vor dem offiziellen Start der
Initiative haben in Arztpraxen
fast 20.000 Österreicherinnen
und Österreicher unsere Forderung unterschrieben: Die Aufnahme der Homöopathischen
Medizin in den Leistungskatalog
der österreichischen Krankenkassen. Viele Patienten wünschen sich das und Studien zeigen, dass dies auch wirtschaftliche Vorteile hätte“, sagt er.
WIEN.
Besser mit Helm
Radfahrer mit Helm kommen bei
Unfällen vergleichsweise glimpflich davon. Das sagen US-Forscher. Ihre Auswertung der Daten
von mehr als 6200 Patienten, die
nach einem Fahrradunfall ein Gehirntrauma erlitten, zeigt: Bei
Helmträgern ist das Risiko für
schwere Hirntraumata und Tod
um 60 Prozent geringer. BILD: SN/DPA
Laut der GFK-Studie zur Homöopathie in Österreich 2015 mit 2000
Personen ab 15 Jahren nutzt jeder
zweite Österreicher über 15 Jahren
homöopathische Arzneien, mehr
als 71 Prozent der Österreicher haben großes Vertrauen in die Homöopathie. In Österreich wird sie
ausschließlich von speziell geschulten Ärzten angewandt.
Das Vertrauen lässt sich auch davon nicht erschüttern, dass die Studienlage zur Homöopathie nicht
eindeutig ist. Es gibt Erfolge, doch
der Wirkmechanismus der Mittel
ist nicht bekannt. Kritiker schreiben Erfolge dem Placeboeffekt zu,
wenn auch in einigen Studien der
Effekt über dem eines Placebos
liegt. Zudem sind homöopathische
Mittel individuell auf den jeweiligen Patienten abgestimmt, was Ver-
gleiche schwierig macht. Die homöopathische Medizin wird aktuell
in Österreich als „Wissenschaftlich
nicht erprobte Heilmethode“ eingestuft, was eine Abrechnung über einen Tarifposten der Krankenkassen
unmöglich macht.
In Deutschland, der Schweiz, Italien und Frankreich werden die
Kosten von den Krankenkassen
übernommen. „Eine niederländische Studie an 150.000 Versicherten zeigt, dass die Kosten im Vergleich zur konventionellen Behandlung um 15 Prozent niedriger sind“,
sagt Bernhard Zauner. Ziel der Initiative „Ja zu Homöopathie als Kassenleistung“ ist es, 50.000 Unterschriften zu bekommen. „Dann
wollen wir mit Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser sprechen“,
sagt Bernhard Zauner.
u.k.
Andreas Salcher
widmet sich
neuerdings
Glaubensfragen.
BILD: SN/ECOWIN
Wie geht es weiter mit Kirche
und Spiritualität? Der Arzt und
Theologe Johannes Huber und
der Bildungsexperte Andreas
Salcher suchen nach Antworten.
In ihrem neuen Buch „Alles oder
nichts“ zeichnen sie ein provokantes Szenario der katholischen
Kirche bis in das Jahr 2035.
Buchpräsentation und Diskussion mit Autor Andreas Salcher
am Montag, 12. Oktober, um
18.30 Uhr im Saal der Salzburger
Nachrichten, Karolingerstraße
40, Salzburg. Eintritt frei.
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