Job-to-be-done-Logik in der Praxis

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Manuskriptversion - Originalpublikation erschienen in Marketing Review St. Gallen, 2015, DOI 10.1007/s11621-015-0508-6
Eine Kundenkultur schaffen
Job-to-be-done-Logik in der Praxis
Kunden haben sich in den letzten Jahren vor allem wegen der digitalen Revolution zur zentralen
Marktkraft entwickelt. Die neue Macht der Kunden zwingt Unternehmen zu einem radikalen
Umdenken. Die auf der Job-to-be-done-Logik basierende CFI-Methode kann die nötige
Transformation vorantreiben, indem sie einen neuen, unverfälschten Blick aus Sicht der Kunden
möglich macht.
Alice Šáchová-Kleisli, Beat Walther
Transformation wird vom Kunden getrieben
Heute gibt es kaum ein Unternehmen, das nicht für sich in
Anspruch nimmt, kundenorientiert zu handeln. Offen bleibt,
wie konsequent und in welchem Ausmass.
Bei vielen Unternehmen erfolgt die Differenzierung
gegenüber dem Wettbewerb über Technologie oder
Prozessoptimierung. Grosse Innovationssprünge oder
neue Geschäftsmodelle entstehen dabei selten. Der Aufund Ausbau von Wettbewerbsvorteilen erfolgt meist über
Produktverbesserungen, Neuprodukte im bestehenden
Markt und Behebung von Schwächen in den Prozessen.
Während die Fixierung auf Technologie und Prozesse
früher reichte, genügt das heute nicht mehr. In den letzten
20 Jahren ist der Kunde, Konsument und Nutzer mehr
denn je zur aktiven, zentralen Marktmacht geworden. Er
lernt schnell und ändert die Spielregeln laufend. Diente
ihm das Internet vor 20 Jahren der Informationssuche,
dann der Produkt- und Leistungsbeschaffung, so nutzt er
es heute, um Einfluss auszuüben. Er ist nicht mehr nur
Empfänger von Botschaften, sondern auch Mitgestalter,
Bewerter, Blogger, „Empowered Patient“, Meinungsmacher
und vieles mehr. Selbstbewusst nutzt er neue Geräte,
Apps, Internet-Plattformen und Social Media. Scheinbar
treulos wechselt er Marken, Netzwerke, Einkaufskanäle
oder Anbieter. Er nimmt Innovationen an oder auch nicht.
So zwingt er Unternehmen zur Transformation, mit
fundamentalen Veränderungen für Strategie, Prozesse
oder gar ganzer Geschäftsmodelle.
Praktisch jede Branche betroffen
Der CEO eines führenden Hörimplantate-Herstellers
erkennt, dass die letzten Neueinführungen nur marginal
zum Umsatzwachstum beigetragen haben und fragt sich:
Wie schaffen wir in der Produktentwicklung den Wandel
von „physician-centric“ zu „patient-centric“? Die nichtklinischen Einflussgruppen wie Patienten, Angehörige
oder Krankenkassen sind besser informiert als je zuvor
und haben bei der Wahl des Geräts stark an Einfluss
gewonnen.
Der Head of Marketing eines europäischen Distributors
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für elektronische Komponenten in B2B weiss: Unsere
Kunden stellen von Katalog auf Online um, suchen im
Netz statt auf unserer Website und kaufen bald nur noch
beim billigsten Anbieter, wenn es uns nicht gelingt, uns
zu differenzieren. Das Unternehmen schafft gerade
rechtzeitig den Sprung ins Netz, da erwarten die Kunden
bereits mobile Lösungen. Er fragt sich: In welche
Richtung entwickle ich unseren Marketingansatz? Wie
bringe ich andere Funktionsbereiche dazu, den Wandel
mitzutragen?
Zusammenfassung
Der Artikel zeigt, wie Kunden im digitalen Zeitalter die
Spielregeln in fast allen Märkten ändern und Unternehmen
als Folge die Kunden stärker in den Mittelpunkt stellen
müssen. Damit diese Zentrierung auf die Kunden gelingt,
schlagen die Autoren vor, mittels eines gesteuerten
Perspektivenwechsels eine neue Kundenkultur zu schaffen,
die im gesamten Unternehmen so gelebt wird, dass sie in
Strategie-, Innovations- und Marketingentscheidungen
einfliesst. Anhand der Job-to-be-Done-Logik und der
darauf aufbauenden CFI-Methode wird dargelegt, wie ein
Perspektivenwechsel auf die unverfälschte Sicht der
Nutzer eingeleitet werden kann und welche Fallstricke es
dabei zu vermeiden gilt.
Kernthesen
Leitbilder und Change Programme reichen nicht aus, um
eine Transformation zu steuern. Es braucht Inhalte, die
aus der unverfälschten Kundensicht heraus generiert und
validiert werden. Die Kundensicht kann unverfälschter
verstanden werden, wenn die funktionalen, emotionalen
und sozialen Ziele direkt mit dem Nutzer aufgedeckt
werden. Je konkreter und repräsentativer die Kunden und
ihre Schmerzpunkte begriffen werden, desto klarer wird die
Stoßrichtung für die Transformation.
Ein globales Agrochemie-Unternehmen, das seine
Produkte in jeder Ecke der Welt an lokal tief verwurzelte
Vendbridge AG
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Bauern vermarket, beobachtet, dass sein Einfluss auf die
Bauern über die klassischen Retailer, Werbung und die
lokalen Verkaufsberater schwindet, da sie dank
Mobiltelefonen ihre Felderbestellung selber optimieren.
Wie soll die Beziehung zum Bauern aufrechterhalten und
weiterentwickelt werden?
So unterschiedlich die Situationen scheinen, sie werden
immer vom Kunden und seinem zunehmenden
Markteinfluss bestimmt. Viele Entscheidungsträger haben
deshalb die Notwendigkeit erkannt, den Kunden als
Dreh- und Angelpunkt zu etablieren und so eine
Kundenkultur zu schaffen, die alle Funktionsbereiche
durchdringt.
nutzen, schlagen die Autoren ein Vorgehen in drei
Schritten vor, analog Lewins 3-Phasen-Modell für
Verhaltensänderungen (Lewin 1947):
Im ersten Schritt (Unfreeze) werden Management und
Teams aus ihrer Wahrnehmungsrealität herausgeholt.
Eine vertiefte Exploration deckt die unverfälschte und
konkrete Sicht der Kunden auf. Das bestehende
subjektive Kundenverständnis wird ergänzt durch ein
m ö g l i c h s t a u t h e n t i s c h e s Ve r s t ä n d n i s d e r
Lebenswirklichkeiten und der sich daraus ergebenden
Schmerzpunkte der Kunden. Indem eine andere Realität
gezeigt wird, hilft dieser Transformationsschritt,
vorgefasste Meinungen und Widerstände aufzuweichen.
Job-to-be-done-Logik in Theorie und Praxis
Die Grundidee von Job-to-be-done geht auf Ted Levitt zurück, der mit Marketing Myopia eine richtungsweisende
Denkhaltung ins Marketing gebracht hat (Levitt 1960). Seine Aussage „Kunden wollen keinen Bohrer, sondern ein
Loch in der Wand“ erklärt die Idee. Clayton Christensen, der mögliche Handlungsstrategien etablierter
Unternehmen gegen disruptive Innovationen untersucht, verwendet die Logik als Weg, um Erwartungshaltungen
von Kunden zu erkennen. Er sagt, dass Kunden ein Produkt „anstellen“, um damit einen Job auszuführen
(Christensen 2003). Eine mittlerweile führende Denkschule im Marketing, die Service-Dominant Logic (Vargo/
Lusch 2004, Vargo/Lusch 2008), geht von einer verwandten Grundannahme aus, wenn sie sagt, nicht das Produkt
an sich, sondern seine Verwendung stiftet den Nutzen. Es ist der Value-in-Use, der zählt und nicht mehr der Valuein-Exchange, der die Transaktion, d.h. den Kauf, in den Mittelpunkt stellt.
Verschiedene Praktiker nutzen diese Logik ebenso, z.B für Innovationsmanagement (Ulwick 2005) oder
Geschäftsmodellentwicklung (Osterwalder 2011). Die User-Centered-Design-Bewegung verfolgt den Ansatz, um
Handlungen von Kunden zu beobachten und um zu verstehen, welche Ziele diese erreichen wollen.
Der Kunde als Transformationsbeschleuniger
Wer eine Transformation weg von Technologiedominanz
oder Verteidigung des Geschäftsmodells hin zu einer
Kundenkultur einleiten will, muss aus Sicht der Autoren
einen Perspektivenwechsel herbeiführen. Der Blickwinkel
ist nicht mehr vom Unternehmen auf die Kunden,
sondern vom Nutzer und seiner Lebenswirklichkeit auf
die Unternehmen und deren Leistungen.
Der Perspektivenwechsel muss unmissverständlich
erfolgen, damit allen Hierarchieebenen und Funktionsb e re i c h e n d i e B e d e u t u n g d e r u n v e r f ä l s c h t e n
Kundensicht für die tägliche Arbeit klar wird. Wie und
warum nutzen Kunden Produkte oder Dienstleistungen,
was erleben, fühlen und denken sie dabei. Dies lässt sich
effizient erreichen, wenn die Kundenerwartungen konkret,
im Kontext formuliert und repräsentativ gemessen
vorliegen. Darauf bauend kann eine neue Kundenkultur
entstehen und zur steuernden Transformationskraft
werden.
Der "Kunde" wird hier im erweiterten Sinn verstanden und
u m f a s s t a u c h N u t z e r u n d E i n fl u s s n e h m e r a u f
Kaufentscheidungen.
Um den Kunden als Transformationsbeschleuniger zu
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Im zweiten Transformationsschritt (Change) wird die
Überzeugung gestärkt, wie die Kundenrealität konkret
aussieht und welche Stossrichtungen sich daraus
ergeben. Dies wird erreicht, indem die Ergebnisse der
Kundenexploration quantitativ erhärtet, wirkungsvoll
dargestellt und die Implikationen diskutiert werden.
Im dritten Transformationsschritt (Anchor) wird das neue
Verständnis der Kundenwirklichkeit verankert. Dies
erfolgt, indem Entscheidungen, Prioritäten, Strategien
und Massnahmen gemäss Kundensicht erarbeitet
w e rd e n . D i e i n t e n s i v e B e s c h ä f t i g u n g m i t d e r
Kundenrealität anhand von konkreten Aufgaben bewirkt,
dass sich der Perspektivenwechsel manifestiert und eine
echte Kundenkultur entstehen kann.
Fallstricke beim Perspektivenwechsel
Um den Blickwinkel um 180 Grad zu drehen - vom
Kunden zum Unternehmen (anstatt umgekehrt) - sind drei
Fallstricke zu vermeiden:
1. Verzerrte Wahrnehmung in der Organisation.
Jeder Mitarbeiter nimmt selektiv wahr. Ein Produktentwickler entscheidet aus Ingenieursicht und verfolgt
seine technische Agenda. Ein Verkaufsberater ist in
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Gedanken beim letzten Kundenmeeting: Preisforderungen, Qualitätsprobleme oder Produktvorteile der
Konkurrenz. Die Geschäftsleitung fokussiert sich auf die
Verteidigung der Profitmarge und auf die Ansprüche der
Aktionäre. Die selektive Wahrnehmung wird weiter
verzerrt durch systematische Unschärfen im Beurteilungsvermögen. Dieses Phänomen ist wissenschaftlich gut belegt (Bazerman 2013). So neigen
Menschen dazu, nach Bestätigungen für ihr Denken zu
suchen („confirmation bias“) oder sich selbst zu
überschätzen („over-confidence bias“). Entscheider
sollten sich des Phänomens der verzerrten Wahrnehmung sowie der Unschärfen im Beurteilungsvermögen bewusst sein.
2. Kunden bleiben in ihrem Erfahrungsrahmen.
Kunden wissen nur, was sie selbst erfahren oder gehört
haben. Sie können sich nicht vorstellen, was es noch
nicht gibt. Fragt man sie direkt nach Innovationen oder
neuen Technologien, sind sie hilflos (Ulwick 2002).
Kunden hätten nie das Fax erfunden, hätte man sie nach
neuen Ideen zum Briefverkehr gefragt. Kein Kunde würde
vorschlagen, statt mit seinem Geldbeutel mit einer
Armbanduhr zu bezahlen. Deswegen führt das Befragen
von Kunden zu neuen Lösungen bestenfalls zu
marginalen Verbesserungen oder - noch schlimmer - zu
einer weiteren Angleichung der Angebote.
3. Kundenverständnis mit zu geringer Tiefe.
Menschen beur teilen ein Produkt oder eine
Dienstleistung intuitiv aufgrund von Hunderten von
Erwartungskriterien, anhand derer sie den Wert festlegen.
Viele Unternehmen kennen und nutzen diese Erwartungskriterien nicht. Sie bleiben auf der Ebene von
generischen Bedürfniskonzepten stehen wie z.B. dem
Wunsch nach Flexibilität, nach Bequemlichkeit, nach
Sicherheit oder nach Qualität. Auf diesem Abstraktionsgrad sind Bedürfnisse ungeeignet, eine Transformation
zu steuern.
Der Kunde in der Job-to-be-done-Logik
Die hier vorgestellte Job-to-be-Done-Logik und die
darauf aufbauende CFI-Methode (CFI = Customer
Focused Innovation) bieten eine wirksame Möglichkeit,
um die drei Fallstricke zu umgehen und einen wichtigen
Beitrag zum Perspektivenwechsel innerhalb eines
Unternehmens zu leisten.
Die Grundidee ist einfach: Bei allem, was Menschen tun,
verfolgen sie funktionale, emotionale oder soziale Ziele.
In der Job-to-be-done-Logik werden diese Ziele „Jobs“
genannt. Um das jeweilige Ziel zu erreichen, nutzen
Menschen Hilfsmittel, z.B. ein Produkt oder Service, aber
auch eine Handlung oder einen Lieferanten. Jedes Mittel
wird bewusst oder unbewusst danach beurteilt, wie gut
es hilft, den Job zu meistern. Ein so alltäglicher Job wie
z.B. „über Distanz zu kommunizieren“ wird durchgeführt
mit Hilfe von WhatsApp, Telefon, Brief, Fax oder früher
dem persönlichen Boten. Ein Job ist lösungsneutral und
kann deshalb über lange Zeit unverändert bleiben.
Dagegen unterliegen Hilfsmittel einem technologischen
Wandel (Abb. 1).
Ein Hilfsmittel wird solange genutzt, wie es dem Nutzer
dient. Ein Wechsel von der bestehenden zu einer neuen
Lösung erfolgt erst, wenn dieser es aus Sicht des Nutzers
„wer t“ ist. Das kann schnell (Sony Walkman,
Smartphone), langsam (On-demand TV) oder eben gar
nicht erfolgen (Bildtelefon in den 70er Jahren). Die
Geschwindigkeit der Adoption hängt oft von der
Technologie und den Kosten für den Kunden ab.
Die Job-to-be-done-Logik umgeht die drei oben
beschriebenen Fallstricke, da sie a) strikt die
Kundenperspektive einnimmt und so Wahrnehmungsverzerrungen aus der Unternehmens-Innensicht
ausschaltet, b) Lösungen konsequent ausblendet und so
den limitierenden Erfahrungsrahmen der Kunden sprengt,
c) es ermöglicht, den Job dank explorativer Methoden in
kleinste Einheiten aufzubrechen, und so konkrete und
präzise Erwartungskriterien aufdeckt.
Abb. 1: Illustration der Job-to-be-done anhand dreier Beispiel
Job-to-be-done
Hilfsmittel / Lösungen im Zeitablauf
Grosse Entfernungen
zurücklegen
Schiff
Kutsche
Zug, Auto
Flugzeug, Zug, Auto
Flugzeug, Zug, Auto
Über Distanz kommunizieren
Boote
Postkutsche,
Brief, Brieftaube
Telegraf, Telefon
Email,
Mobiltelefon
Social Media, Chat
Musik hören
Sänger
Kammer-
orchester
Vinylplatte
CD. MP3
Streaming
1500
1950
2000
2020
Jahr 2000BC
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Vendbridge AG
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Abb.2: Kernjobs Healthcare am Beispiel Diabetes Typ 1
Einflussgruppen
Funktionaler Kernjob
Emotionaler/sozialer job
Patient
Blutzucker 24/7 regulieren
Ein Leben mit Diabetes führen
Familienangehörige
Auf Notfälle reagieren
Sich keine Sorgen um Partner machen
Behandelnder Arzt
Therapieform bestimmen
In seinem Umfeld akzeptiert sein
Diabetesspezialist
Studien publizieren
Als Experte anerkannt sein
Diabetes-Berater/-in
Therapie auf Patienten abstimmen
Anderen Menschen helfen
Eine neue Kundenkultur schaffen
unverfälschtes Kundenverständnis zu entwickeln.
Um einen Perspektivenwechsel in der Praxis hin zu einer
Kundenkultur durchzuführen, haben die Autoren in der
CFI-Methode verschiedene Ansätze vereinigt und in mehr
als 90 Projekten weiterentwickelt. Die CFI-Methode wird
nachfolgend entlang der drei Phasen einer
Transformation aufgezeigt.
Welches Format für die Exploration genutzt wird, ist eine
Frage der Themenstellung und der angestrebten
Effizienz. Die CFI-Methode kombiniert unterschiedliche
Elemente aus Marktforschung, User-centered Design
Research und Ethnographie. Massgeblich ist, dass die
Erwartungskriterien konkret und präzise formuliert sind
und keine Lösung enthalten. Sie folgen einem
bestimmten Aufbau, aus dem sich eine Syntax ergibt
(Abb. 3):
Transformationsschritt 1 (Unfreeze):
Eine neue Kundenrealität aufdecken
Als erstes werden die für Kauf und Nutzung wichtigsten
Einflussgruppen und deren Kontext bestimmt. Vor
Einstieg in die Kundenexploration ist es entscheidend,
den übergreifenden Kernjob der Kunden als Hypothese
möglichst richtig abzustecken. Er muss ein Ziel oder
einen Zweck ausdrücken, lösungsneutral formuliert sein
und sollte weder zu generisch noch zu eng gefasst sein.
Die Diskussionen und idealerweise eine erste
Explorationswelle verändern bereits den Blickwinkel. Es
wird z.B. klar, dass unterschiedliche Einflussgruppen in
der Regel völlig andere Kernjobs verfolgen (Abb. 2).
Abb. 3: Syntax eines CFI-Erwartungskriteriums
Sich vor dem
Schlafengehen so selten wie möglich zu sorgen, dass der Blutzuckerspiegel absinkt
Kontext
Messgrösse
Erwartetes
Ergebnis
• Erwartetes Ergebnis: Jobs werden ausgeführt, um ein
Basierend auf der entwickelten Hypothese zum Kernjob
und seinen Jobschritten, erfolgt die Tiefenexploration
beim Kunden. Sie ist ein zentraler Baustein der CFIMethode, um die Kundenrealität aufzudecken. Mit der
Exploration werden das Verhalten der Kunden und ihre
funktionalen, sozialen und emotionalen
Erwartungskriterien, sogenannte Value Metrics, möglichst
vollständig und in Kundensprache für jeden Jobschritt
erfasst. Am Ende sind mit anonym rekrutierten Kunden
300-400 Erwartungskriterien aufgedeckt. Diese werden
auf maximal 100 Erwartungskriterien kondensiert. Das
intensive Befassen mit von Kunden formulierten
Erwartungskriterien ist ein wichtiger Schritt, um ein neues,
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Ziel, ein Ergebnis zu erreichen.
• Kontext:
Jobs werden immer in einem spezifischen
Kontext ausgeführt. Der Kontext eines
Diabetespatienten ist im Urlaub ein ganz anderer als
während der Arbeit.
• Messgrösse:
Kunden urteilen aufgrund von
Messkriterien, die sie unbewusst oder bewusst
anwenden. Das können z.B. Zeit, Anzahl Arbeitsschritte
oder Anzahl positiver Reaktionen sein.
Die relativ hohe Anzahl von ca. 100 Erwartungskriterien
ist nach Erfahrung der Autoren nötig, um Fallstrick 3 zu
umgehen. Kunden urteilen aufgrund von vielen konkreten
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Erwartungen, nicht aufgrund von wenigen generellen
Bedürfnissen.
Fallbeispiel: Privatbank
Ausgangslage: Der Leiter Private Banking Schweiz
identifiziert als Wachstumsfeld Personen, die in den
nächsten 5 Jahren in Pension gehen. Das Schweizer
Pensionskassensystem ermöglicht es, mit 65 anstelle
einer monatlichen Rente das angesparte Kapital zu
beziehen. Die verfolgte Wachstumsstrategie nutzt
bewährte Elemente: einen spezialisierten Kundendesk mit
Kundenberatern, passende Produkte aus der
Angebotspalette und eine dedizierte Marktkommunikation
mit Werbematerial und spezieller Internetseite. Die
Kernbotschaft lautet: Geniessen Sie Ihr Leben, wir
kümmern uns um Ihr Vermögen.
Das Ergebnis ist ernüchternd: Trotz zweijähriger
Anstrengungen wird kaum ein Neukunde gewonnen. Das
nachfolgende CFI-Projekt legt zunächst die Perspektive
aus Kundensicht fest. Zielkunden sind Männer und
Frauen, die in 3-5 Jahren in Pension gehen und über ein
definiertes Mindest-Alterskapital verfügen. Der Kernjob
auf oberster Ebene lautet: „die dritte Lebensphase
planen“. Eine Ebene tiefer lautet er: „die Finanzsituation
für die dritte Lebensphase regeln“. Die Kundenexploration
erfolgt über 30 Tiefeninterviews mit anonym rekrutierten
Zielkunden. Sie fokussiert auf diese beiden Jobs und
bricht sie in 125 konkrete und präzis formulierte
Kunde erfüllen möchte, sind wertvolle Puzzleteile. Sie
müssen nun in eine neue, von der Organisation
nachvollziehbare Ordnung gebracht werden. Dies erfolgt
ü b e r d i e q u a n t i t a t i v e Va l i d i e r u n g . M i t e i n e r
repräsentativen Anzahl von Interviews werden alle
identifizierten Erwartungskriterien durch Zielkunden
bewertet. Dabei werden Wichtigkeit und Grad der
Erfüllung im Alltag der Kunden abgefragt.
Das zentrale Ergebnis der Validierung, dem zweiten CFIKernbaustein, ist eine 4-Felder-Matrix, die sogenannte
Kundenwert-Landkarte (Abb. 4). Sie setzt alle erfassten
Jobschritte und Erwartungskriterien zueinander ins
Verhältnis. Somit kann man in einem späteren Schritt
definieren, wie die zukünftige Angebotsstrategie zu
priorisieren und auszugestalten ist und welche
Transformation diese Strategie bedingt.
Alle validierten Erwartungskriterien fallen in eine der vier
Kundenwert-Kategorien:
• Wert
aufbauen (Wichtigkeit > Median, Erfüllungsgrad
< Median): Wichtige Kunden-Erwartungskriterien sind
nicht ausreichend befriedigt und stellen sogenannte
Schmerzpunkte (= Pain Points) für den Kunden dar. Sie
zu adressieren, stellt den größten Mehrwert aus Sicht
der Kunden dar. Hier besteht das höchste Potenzial,
Abb. 4: CFI-Kundenwert-Landkarte
Liste der 1-n CFI-Erwartungskriterien
Kundenwert-Landkarte
1. Dass der Blutzuckerspiegel so präzise wie möglich
vorgesehen werden kann
2. Sich vor dem Schlafengehen so selten wie möglich zu
sorgen, dass der Blutzuckerspiegel absinkt
3. …
n. Dass es so wenige Schritte wie möglich benötigt, um
die Insulindosis an Snacks anzupassen
Erwartungskriterien auf. Die Projektgruppe erkennt, was
die Zielkunden erreichen wollen und wie konkret Kunden
die Angebote und Lösungen bewerten.
Transformationsschritt 2 (Change):
Kundenrealität annehmen und akzeptieren
Die vielen Erwartungskriterien rund um den Job, den der
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sich mit relevanten Innovationen vom Wettbewerb zu
differenzieren.
• Wert
halten (Wichtigkeit > Median, Erfüllungsgrad >
Median): Aus Sicht des Kunden sind dies BasisAnforderungen (= Essentials), die ihm sehr wichtig sind,
deren Erfüllung aber auch erreicht ist. Hier ergeben
sich für Unternehmen wenig Möglichkeiten, sich zu
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d i ff e re n z i e re n , a b e r u n t e r U m s t ä n d e n v i e l e
Hausaufgaben, um mitzuhalten.
• Wert reduzieren (Wichtigkeit < Median, Erfüllungsgrad
> Median): Kundenerwartungen, die nicht wichtig und
gleichzeitig überbefriedigt sind, bieten wertvolle
Ansatzpunkte für Kosteneinsparungen (= Cost Savers)
oder eine Blue Ocean Strategie (Kim 2005). Hier ist in
regelmässigen Abständen ein offenes Hinterfragen des
eigenen Angebots angebracht, da besonders aus
diesem Quadranten disruptive Geschäftsmodelle
entstehen können.
• Wert im Auge behalten (Wichtigkeit < Median,
Erfüllungsgrad < Median): Diese Erwartungskriterien (=
Sleepers) können ignoriert oder selektiv und mit
niedrigerer Priorität als Ideenquelle genutzt werden.
VENDBRIDGE
BereitsT Heine
erste Analyse ergibt wertvolle Erkenntnisse
E GROWTH ARCHITECTS
für die Stossrichtung der Transformation. Um die
Kundensicht weiter zu schärfen, wird die KundenwertLandkarte zusätzlich für weitere Kriterien erstellt, z.B.
S o z i o - D e m o g r a p h i e , R e g i o n , B e d ü r f n i s c l u s t e r,
Produktkategorie, Wettbewerb.
THE GROWTH ARCHITECTS
THE GROWTH ARCHITECTS
Vendbridge ist auf Innovation und Neugeschäft
spezialisiert. Projektschwerpunkte liegen auf
sofortiger Verkaufsaktivierung, Schärfen von Value
Propositions und der Entwicklung marktentscheidender Innovationsinhalte. Durch die von
Vendbridge mitentwickelte Customer-FocusedInnovation-Methode (CFI) werden Kunden-Insights
aufgedeckt, die Unternehmen einen klaren
Wettbewerbsvorteil verschaffen.
Vendbridge arbeitet branchenunabhängig und hat
bisher welt-weit in über 120 Projekten schnell
Ergebnisse mit lang anhaltender Wirkung erzielt.
Kunden sind internationale Industrie- und
Dienstleistungsunternehmen und Technologie-Startups und bestätigen gern den erzielten
Wachstumseffekt.
Kontakt:
Beat Walther ([email protected])
Alice Sachova ([email protected])
Denkanstösse und mehr: www.vendbridge.com
Seite 6 von 7
Fallbeispiel: Privatbank (Fortsetzung)
Die Projektgruppe akzeptiert, dass die Kundenrealität von
der eigenen Wahrnehmung der Kundenprobleme abweicht,
teilweise sogar gravierend. Die Liste der mehr als 100
konkreten Erwartungskriterien von Kunden in Bezug auf die
Organisation der dritten Lebensphase ist beeindruckt. Da
die Kundenexploration qualitativ ist bleibt unklar, welche
Erwartungskriterien am relevantesten sind. In der
Va l i d i e r u n g b e w e r t e n 2 2 0 Z i e l k u n d e n j e d e s
Erwartungskriterium nach Wichtigkeit und Erfüllungsgrad.
Die gemeinsam durchgeführte Analyse deckt auf: Es gibt
14 ausgeprägte Schmerzpunkte, die angehend
Pensionierte bei der Organisation der dritten Lebensphase
erfahren. Weitere 10 Essentials zeigen, welche
Erwartungskriterien das künftige Angebot unbedingt
adressieren muss. Die Analysearbeit führt zu einem
übergreifenden, sehr emotionalen Kunden-Insight: „Ich bin
in Sorge, nach Austritt aus dem Berufsleben nicht mehr
wichtig zu sein, nicht mehr mitbestimmen zu können und
keine sinnvolle Beschäftigung mehr zu haben.“
Transformationsschritt 3 (Anchor):
Kundenrealität verankern und umsetzen
Transformation hin zum Kunden als Zentrum der
Geschäftsstrategie braucht eine breite Verankerung der
Kundenkultur weit über das Marketing hinaus. Daher
werden die Ergebnisse der CFI-Analyse sowohl mit dem
Top-Management wie auch mit der Organisation geteilt.
Ziel ist jedoch nicht nur die Vermittlung der Ergebnisse,
sondern die Erarbeitung von Strategien und
M a s s n a h m e n p ro F u n k t i o n s b e re i c h w i e a u c h
übergreifend. Möglichst schnell werden aus den
gewonnen Erkenntnissen die Prioritäten aus Kundensicht
definiert und ein Vorgehensplan erarbeitet. Das erfolgt in
Workshops und internen Arbeitsgruppen. Themen, die
besonders helfen, die Transformation zu verankern sind:
Schärfung der Value Proposition für bestehende und
neue Marktleistungen, Neuausrichtung der
Innovationspipeline, Ideengenerierung für neue
Innovationskonzepte und Entwicklung von neuen
Elementen für das Geschäftsmodells.
In dieser Phase werden Organisationen oft wieder
„rückfällig“, indem sie in die bisherigen, z.B. vom
Technologie-Fokus geprägten, Entscheidungsmuster
zurückfallen. Wichtig ist es daher, einen Prozess zu
definieren, in dem der Kunde - auch im übertragenen
Sinn - immer mit am Tisch sitzt.
Das gesamte Vorgehen wirkt zweifach beschleunigend
auf die Transformation. Zum einen ergibt sich mit der CFIMethode ein sehr konkreter Entscheidungsrahmen für
schärfere Value Propositions und kundenfokussierte
Innovationen. Sehr früh im Prozess, zum Teil noch vor der
Zusage hoher Investitionen, wird klar, welche Ideen und
Konzepte gute Erfolgschancen im Markt haben werden
Vendbridge AG
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und welche nicht. Zum anderen führt das so gewonnene
Kundenwissen zu einer neuen Qualität der Ziel- und
Vorgehensabstimmung in der Organisation. Spekulative
Diskussionen bekommen keinen Raum, und
Entscheidungen rund um Innovation und Transformation
erfolgen faktenbasiert. Der Go-to-market-Prozess wird
dadurch wesentlich verkürzt.
Fallbeispiel: Privatbank (Fortsetzung)
Die im Zusammenhang mit der Organisation der dritten
Lebensphase aufgedeckten Schmerzpunkte und Essentials
sowie der emotionale Kunden-Insight geben dem
Projektteam die Stossrichtung vor: Das jetzt verfügbare
Vermögen wird zum wichtigen Lebensbestandteil. Die
Zielkunden wollen selber darüber bestimmen, so oft und so
lange wie möglich. Kräfte werden mobilisiert, um den
bestehenden Ansatz zu transformieren. Innert kürzester
Zeit werden neue Serviceangebote entwickelt. Die
Anlagestrategie wird in drei Bestandteile unterteilt:
Sicherheit, Entnahme und Ertrag. Sie lässt sich neu
jederzeit ändern. Ein vom Kunden selbst zu nutzendes
Simulationstool wird entwickelt. Ein neuer Desk wird
aufgebaut mit Finanzexperten aus der
Versicherungsbranche, die näher an der Zielgruppe sind.
Der Beratungsprozess nimmt die identifizierten
Schmerzpunkte und Essentials konkret auf. Die
Werbeagentur findet einen passenden Namen, der den
Kunden-Insight perfekt aufnimmt, und kreiert eine
Kampagne mit einer Kernbotschaft, die die Zielkunden
abholt: Sie wussten schon immer, was Sie mit Ihrem Geld
anfangen. Bleiben Sie dabei.
Das Ergebnis bestätigt den Wert des
Perspektivenwechsels: Die bestehenden Kunden der Bank,
die ins Zielprofil passen, werden für das neue Angebot
begeistert. Viele Neukunden, die vorher keine Beziehung
zur Bank hatten, werden gewonnen. Neugeld in
dreistelligem Millionenbetrag fliessen der Bank zu.
Fazit
Kunden treiben den Wandel mit ihrer Marktkraft - egal ob in
B2B- oder B2C-Märkten - und steuern so die Entwicklung
eines Unternehmens. Täglich von Neuem entscheiden sie mit
ihrem Verhalten und ihrem Geldbeutel über Erfolg und
Misserfolg einer Marktleistung.
Die Kunden - und nicht die Technologie oder den
Wettbewerb - ins Zentrum der Transformation zu stellen,
gehört daher zu den wichtigsten Aufgaben jedes
Führungsteams. Das lässt sich einfacher steuern und voran
treiben, wenn die ganze Organisation die Kunden möglichst
umfassend und unvoreingenommen aus deren Blickwinkel
kennt. Dabei kann die CFI-Methode mit ihrer Job-to-bedone-Logik einen Beitrag leisten. Sie ist eine bewährte
Methode, die nicht nur Kundenerwartungen erfasst und
validiert, sondern spezifische Inhalte für den ganzen
Transformations-, Positionierungs- und Innovationsprozess
liefert und so eine neue Kundenkultur schafft.
Handlungsempfehlungen
1. Sich
so
unbelastet
wie
möglich
auf
die
Lebenswirklichkeit des Kunden einlassen, um typische
Unschärfen der eigenen Beurteilung zu vermeiden.
2. Die
Job-to-be-done
Logik
nutzen,
um
den
Nutzungsprozess und -kontext eines Produktes oder einer
Dienstleistung aus der Kunden-, und nicht aus der
Innensicht, zu begreifen.
3. Lösungsneutrale Erwartungskriterien der Nutzer so
präzise und repräsentativ wie möglich aufdecken, um
maximale Klarheit für die Stoßrichtung und Inhalte der
Transformation zu erhalten.
4. Die neue Kundensicht als operativen Orientierungspunkt
über alle Hierarchien und Bereiche verankern und damit
den Kunden im übertragenen Sinn „an den Tisch
bringen“.
Literaturverzeichnis
• Bazerman, M.H. (2013): Judgement in Managerial Decision
Making, 8. Auflage, John Wiley & Sons
• Christensen M., Clayton (2003): The Innovator’s Solution,
Harvard Business School Press
• Kim, W. Chan (2005): Blue Ocean Strategy: How to Create
Uncontested Market Space and Make the Competition
Irrelevant, Harvard Business School Press
• Levitt, Theodore (1960): Marketing Myopia, in: Harvard
Business Review, 38 (4), S. 45-56
• Lewin, Kurt (1947): Frontiers in group dynamics, in: Human
Relations, S. 5-41
• Osterwalder (2011): Business Model Generation, 8. Aufl.,
Campus Verlag
• Ulwick, Anthony W. (2002): Turn Customer Input into
Innovation, in: Harvard Business Review, 80 (1), S. 91-97
• Ulwick, Anthony W. (2005): What Customers Want: Using
Outcome-Driven Innovation to Create Breakthrough Products
and Services, McGraw-Hill
Seite 7 von 7
• Vargo S. L./Lusch, R.F. (2004): Evolving to a new dominant
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