Biographie Staatskapelle Weimar

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rankfurter llgemeine Zeitung vom 07.11.2016
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14
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Tageszeitung
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Was ert die Kunst und as sie gilt
Kirill Karabits gibt mit ichard Wagners per Die Meistersinger von Nürnberg in Weimar
seinen Einstand als musikalischer Chef Ein erstaunlicher bend.
Als das Leben nach dem letzten Krieg in
Deutschland langsam wieder in Gang
kam, besang man die Auferstehung aus
Ruinen hüben wie drüben am liebsten
mit Richard Wagners "Meistersingern
von Nürnberg". Die Staatsoper Unter
den Linden im Ostteil Berlins - damals
"Deutsche Staatsoper" genannt - wurde
1955 mit dem fanfarenglänzenden
Volksfeststück ebenso eröffnet wie die
Bayerische Staatsoper in München
1963, jenes Theater, an dem Wagners
Werk knapp hundert Jahre zuvor seine
Uraufführung erlebt hatte. Man feierte
den raschen Wiederaufbau der zerbombten Traditionshäuser, zugleich aber auch
die Einheit der staatlich getrennten Kulturnation, ganz im Sinne von Wagners
Schlusschor: "zerging in Dunst das
heil'ge röm'sche Reich: uns bliebe gleich
die heil'ge deutsche Kunst!". Ein Schuft,
wer Arges dabei dachte.
Vera Nemirova erinnert nun in ihrer
Inszenierung dieses Stücks am Deutschen Nationaltheater Weimar an den
Pomp und die Umstände von damals.
Die Chöre von Weimar und vom Theater Erfurt sitzen vereint in einem Saal,
den der Bühnenbildner Tom Musch an
das Haus des Rundfunks der DDR in der
Berliner Nalepastraße angelehnt hat. Es
laufen Schwarzweißfilmbilder von der
Wiedereinweihung der Opern in Berlin
und München über die Kinoleinwand,
und die Staatskapelle Weimar liefert
dazu die Kulturstaatsaktsmusik des
"Meistersinger"-Vorspiels: satt, voll, in
großen Streicherbögen, von den Bläsern
weich gepolstert, anfangs noch recht
großspurig, bald aber immer feiner,
immer zierlicher, mit wachsender Zärtlichkeit für alle Details.
Kirill Karabits, vor bald vierzig Jahren
in Kiew geboren, inzwischen sehr
gefragt in Großbritannien und seit September neuer Generalmusikdirektor in
Weimar, steht am Pult. "Die Meistersinger" sind seine erste Premiere - und er
zeigt, was er kann: Sänger tragen, nicht
zudecken, Pointen setzen, das Erzähltempo so steuern, dass auch bei vollen
sechs Stunden Spieldauer (Pausen eingeschlossen) kein Gefühl von Leerlauf
oder Stillstand aufkommt. In der Lehrstunde die der quicklebendige, herrlich
frisch singende Jörn Eichler als David
dem zunächst etwas plump wirkenden
Heiko Börner als Walther von Stolzing
gibt, prickelt, perlt und knistert es im
Orchester, als wär's ein Stück von Jacques Offenbach.
Aber dann, im Vorspiel zum dritten
Aufzug, hört man auch Musik voll
Nacht und Trauer, die allem Glanz erst
Tiefe geben. Die Hoffnung und der Bürgerstolz auf das, "was wert die Kunst
und was sie gilt", sind erkauft mit Not
und Verzicht, beim Einzelnen wie in der
Gemeinschaft.
Die sängerische Qualität dieser "Meistersinger" ist beachtlich, in zwei Fällen
grandios: nämlich bei Frank van Hove
als Hans Sachs und Bjørn Waag als Sixtus Beckmesser. Beide singen mit einer
Leichtigkeit, Deutlichkeit und silbenschnell wechselnden Nuancen wie bei
einem Liederabend. Van Hoves Stimme
sitzt perfekt in der Maske, sein Sachs
klingt hell, seine Konsonanten auf M
und N sind so durchdringend klangvoll,
dass er die Vokale wie im gesprochenen Deutsch färben kann, was dem
Gesang hohe Textverständlichkeit
sichert, ohne stimmliche Präsenz zu verlieren. Waags Beckmesser ist hochgradig sensibel, ein Kunstfanatiker von
enormer Kompetenz, der zugleich Haare
auf den Zähnen hat, schlagfertig ist aber mit der maliziösen Schmallippigkeit einer boshaften alten Jungfer. Das
Duett zwischen Sachs und Beckmesser
über das gestohlene Preisgedicht im
dritten Akt ist ein Höhepunkt dieser
Aufführung, auch das wenig später folgende Quintett mit Sachs, Beckmesser,
Magdalene (Sayaka Shigeshima),
David, Stolzing und Eva (Larissa Krokhina) - Wagnergesang von einer Intimität und Präzision, die vorbildlich sind.
Nemirovas große Begabung ist seit jeher
die Bewegungsregie von Chören: Wie
die Lehrbuben im ersten Aufzug die
Saalbestuhlung besorgen, wie die Prügelszene im zweiten Aufzug im Gegenstrom zweier Gruppen organisiert ist,
wie die Volkstänze auf der Festwiese im
dritten Aufzug die Bühne übersichtlich
gliedern und nicht erstarren lassen - das
ist nicht nur schön anzusehen, sondern
zugleich so gemacht, dass zwischen
Chor und Orchester nichts klappert und
alle Abstimmung funktioniert.
Wer heutzutage die "Meistersinger" in
Deutschland inszeniert, von der oder
von dem verlangen die Rituale des
Betriebs erstens eine Umwertung Beckmessers vom reaktionären Spießer zum
Mann des Fortschritts (schon gar nicht
darf er, wie von Wagner beabsichtigt,
als bösartige Judenkarikatur wirken) und
zweitens die Distanzierung von der
chauvinistischen Schlussansprache des
Sachs, der die "heil'ge deutsche Kunst"
über den "welschen Tand" stellt. Nemirova folgt diesen Regeln mit eigener
Kreativität: Beckmesser, als Rockmusiker und sexueller Avantgardist, der
Frauen wie Männer gleichermaßen mag,
kommt nicht zu spät, sondern zu früh für
diese Epoche der aufopferungsvollen
Wiederverbürgerlichung der Welt nach
dem katastrophalen Krieg. Und Sachs
meint seine Ansprache wirklich nur gut,
als Plädoyer für die Kunst, die uns trägt
und stärkt. Entsetzt schlägt er die Hände
über dem Kopf zusammen, als er das
nationalistische Gebrüll des Mobs hört,
den die Kostümbildnerin Marie-Thérèse
Jossen in völkische Reichsbürgerwehrtrachten gesteckt hat. Sachs wurde
missverstanden, Wagner durch Nemirova freigesprochen vom Missbrauch
seiner Gedanken.
Der Satz des Sachs, "Uns dräuen üble
Streich", wird hier - durch leere Orchesterstühle auf der Bühne - kulturpolitisch gedeutet und auf die Fusionspläne
bei der Theaterreform in Thüringen
bezogen, zu der die Kooperation zwischen den Opern Erfurt und Weimar bei
diesen "Meistersingern" ein Pilotprojekt
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sein könnte. An die verantwortlichen
Planspieler stellt Nemirovas Inszenierung die Frage, warum in die Theaterlandschaft so viel Mühe und Geld
gesteckt wurde, als das Land arm und
zerstört war, während nun, bei einer
recht stabilen Grundversorgung, der
rbeiten kooperativ zusammen Die
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oto Lutz Edelhoff
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Rückbau beginnt. Geltung und Kosten
der Kunst sind offenbar doch zwei ganz
verschiedene Dinge.
JAN BRACHMANN
pernch re aus Weimar und Erfurt in der Prügelfuge des z eiten
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