Fussdeformitäten

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Fussdeformitäten
Dr. med. Nina Berger (überarbeitet Dr. med. Harry Klima)
Übersicht
In der Entwicklung des Bein- und Fussskeletts des Kindes bestehen verschiedene Besonderheiten:
Ein ausgeprägtes Sohlenfettpolster, verstärkte Valgusstellung im oberen Sprunggelenk, Crus varum
(O-Bein) im Kleinkindalter und später Genu valgum (X-Bein) mit erhöhter Bandlaxität. Ausserdem
besteht eine vermehrte Innendrehung im Oberschenkel (Antetorsion im Schenkelhals) mit „Kneeing
in“ und „Toeing in“ (Einwärtsgang). Im Pupertätsalter (Wachstum) kommt es häufig zu einer relativen Muskelverkürzung mit Spitz- oder Knickfusstendenz. Die Kenntnis dieser Besonderheiten ist
essentiell zur Erkennung von physiologischen Fehlstellungen und zur Diagnose und Therapie von
echten Fussfehlformen im Kindesalter.
Therapiebedürftige Fussfehlformen sind der Klumpfuss, Knickplattfuss, Talus verticalis, Sichelfuss,
Spitzfuss, Hohlfuss und Hackenfuss. Bei rechtzeitigem Therapiebeginn kann oft eine Befundnormalisierung erreicht werden. Ist eine operative Therapie unumgänglich, sollte die Indikation mit Sorgfalt
gestellt werden.
Grundsätzlich muss bei der Untersuchung von Fussfehlformen natürlich immer auch die Situation in
Hüfte und Kniegelenk mit berücksichtigt werden, aber auch Störungen des Nervensystemes können
sich dahinter verbergen (infantile Cerebralparese, Spina bifida, Tethered Cord, Friedreich-Ataxie ,
hereditäre sensomotorische Neuropathie, Arthrogryposis multiplex congenita).
Klumpfuss
Der angeborene Klumpfuss wird unter dem Schwerpunkt „Behandlung des angeborenen Klumpfusses“ abgehandelt.
Sichelfuss
Der Sichelfuss, eine der häufigsten Fussfehlformen, ist durch eine Vorfussadduktion gekennzeichnet. Ätiologisch kann ein Ungleichgewicht der Muskulatur zugrunde liegen. Besteht zusätzlich eine
Valgusstellung im Rückfuss (diese kann am besten in der Rückansicht der Ferse beurteilt werden)
liegt ein Serpentinenfuss (engl. „skew foot“) vor.
Wie beim Knickplattfuss kann beim Sichelfuss in den meisten Fällen davon ausgegangen werden,
dass sich der Befund normalisiert. Kann die Vorfussadduktion passiv in eine Vorfussabduktion überführt werden, wird der Verlauf meist gut sein und es ist keine weitere Therapie notwendig. Sicherster Indikator für eine spontane Selbstheilung ist natürlich, wenn sich der Fuss durch Reizung am
äusseren Fussrand aktiv korrigieren kann. Ist dies nicht der Falls so ist ein hartnäckiger Verlauf zu
befürchten. Vor allem Serpentinenfüsse sollten frühzeitig (in den ersten Lebenswochen) mit Gipsschälchen behandelt werden. Darauf folgen Nachtlagerungsschienen und später gegebenenfalls
Dreipunkteinlagen. Aus heutiger Sicht können wir nicht mehr dazu raten, den Kindern verkehrt herum angezogene Schuhe (rechter Schuh auf den linken Fuss und anders herum) oder „Anti-VarusSchuhe“ zu verordnen, da hier oft mehr Schaden als Nutzen entsteht.
Sollte eine schwerwiegende, dem Kind Beschwerden bereitende Fehlstellung weiterhin bestehen
oder eine starke kosmetische Beeinträchtigung vorliegen, muss die Indikation zur Operation überprüft werden. Wenn ein muskulärer Eingriff nicht ausreichend ist, werden in der Regel zuklappende
Kuboid- oder aufklappende Kuneiformeosteotomien (knöcherne Operationen) durchgeführt, oft in
Kombination mit Osteotomien an den Metatarsalia.
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14.05.2008-tb01
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Knickplattfuss
Unter dem Begriff Knickplattfuss versammeln sich alle Fussdeformitäten, die durch eine Verminderung, Aufhebung oder Umkehrung des Fusslängsgewölbes und Lateralabweichung des Rück- und
Vorfusses in unterschiedlichem Ausmass charakterisiert sind. Innerhalb dieser grossen Gruppe gibt
es jedoch einige auffällige Ausprägungsformen, die mehr die eine oder andere Fehlstellungskomponente betonen und die wir hier vorstellen wollen. Es handelt sich dabei in bezeichnender Weise
um Knickfuss und Plattfuss sowie den schwerwiegenden Talus verticalis. In der Mehrzahl der Fälle
wird man jedoch Kombinationen aus den angesprochenen primären Fehlformen finden. Die Therapie des sekundären, auf dem Boden einer Grunderkrankung entstandenen Knickplattfusses hingegen ist eine schwierige Aufgabe, die dem Spezialisten vorbehalten sein sollte.
Beim Knickfuß (syn. Knick-Senk-Fuss, Pes valgus) besteht vor allem eine Valgusstellung des
Rückfusses. Die Fersenachse ist gegenüber dem Unterschenkel abgekippt. Da das mediale Fussgewölbe der Bewegung folgt, nähert es sich medialseitig dem Boden an oder liegt sogar auf. Im
Fussabdruck ist die mediale Aussparung verschwunden, teilweise ist der Fussabdruck sogar medialseitig verbreitert.
Beim flexiblen Plattfuß (Pes planus) steht im Gegensatz zum Knickfuss die Fehlstellung im Vorfuss
im Vordergrund. Bei relativ normalem Rückfuss bricht das Fussgewölbe ein und liegt flach dem Boden auf, ohne allerdings die dem Knickfuss so typische mediale Einknickung zu zeigen. Im Fussabdruck fehlt jedoch ebenso wie beim Knickfuss die mediale Aussparung der Belastungsfläche.
Grundsätzlich sind die Übergänge zwischen Knickfuss und Plattfuss fliessend und man findet in den
meisten Fällen einen „Knickplattfuss“.
Die betroffenen Kinder sind in aller Regel schmerzfrei. Die Ursachen für den flexiblen Plattfuss sind
häufig in einer konstitutionellen Veranlagung mit vermehrter Bandlaxität bei eventuellem Übergewicht und muskulärer Schwäche zu suchen. Regelmässig haben Kinder mit Knickplattfuss eine verkürzte Wadenmuskulatur besonders im Alter um den pubertären Wachstumsschub. Bei der Aufrichtung wird ein Kippmoment auf den Rückfuss ausgeübt und der Calcaneus wird in den Valgus gezogen. Aufgrund der allgemeinen Bandlaxität und noch nicht so ausgeprägten Muskelkraft kommt es
zur Abflachung des Längsgewölbes. Die Übergänge zwischen normalem und behandlungsbedürftigen Knickplattfuss sind fliessend. Kinder haben, wie oben beschrieben, eine vermehrte Antetorsion
des Schenkelhalses sowie eine physiologische Valgusstellung im Sprunggelenk mit nachfolgender
Abflachung des Längsgewölbes.
Erfolgt die Aufrichtung des Fussgewölbes im Zehenstand und ist der Patient schmerzfrei, so kann
ruhigen Gewissens auf eine Therapie verzichtet werden. In der alltäglichen Praxis ergeben sich immer wieder Schwierigkeiten dadurch, dass die Kinder bereits von anderer Seite mit Einlagen versorgt worden sind. Kann der Rückfuss aktiv aufgerichtet werden, sind Einlagen nicht nur überflüssig, sondern unter Umständen sogar schädlich, da sie dem kindlichen Fuss die Möglichkeit der freien Entwicklung nehmen und den Abrollvorgang einschränken. Sollte sich der Fuss im Zehenstand
nicht aufrichten und weiterhin eine Valgusfehlstellung der Ferse bestehen, kann therapeutisch eingegriffen werden. Allerdings gibt es auch hier viele Orthopäden, die ganz auf eine Behandlung verzichten würden, solange keine Beschwerden bestehen, da die kindlichen Knickfüsse eine grosse
Tendenz zur Spontanheilung haben.
Eine Therapieindikation des primären Knickplattfusses besteht bei folgenden Befunden:
- Strukturelle Bewegungseinschränkungen
- Zunehmende funktionelle Behinderung ohne aktive Ausgleichbarkeit
- Belastungsabhängige Beschwerden
- Zunehmende radiologische Veränderungen
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Therapeutisch kommen mehrere konservative Behandlungsmethoden in Betracht. In der Physiotherapie sollte – falls notwendig – die Wadenmuskulatur gedehnt werden. Dazu muss jedoch vorher die
Fehlstellung im unteren Sprunggelenk reponiert werden, um nicht in den Knickplattfuss zu dehnen.
Ausserdem sollte vor allem die intrinsische Fussmuskulatur gekräftigt werden.
Bei der Anpassung von Einlagen bevorzugen wir langsohlige, schalenförmige Einlagen mit einer
Abstützung des Sustentaculum tali, in einigen Fällen verwenden wir Ringorthesen. Erst nach jahrelanger, erfolgloser konservativer Therapie bei deutlichen klinischen Veränderungen sowie belastungsabhängigen starken Schmerzen sollte eine Operation in Erwägung gezogen werden. Dabei
gibt es weichteilige sowie knöcherne Operationsmethoden. Weichteilig wird etwa an der Achillessehne oder M. tibialis anterior - Sehne eingegriffen, knöchern stehen die stabilisierenden Arthrodesen im Vordergrund.
Beim kongenitalen Plattfuss, dem Talus verticalis (syn. „echter“ Plattfuss), handelt es sich um eine
seltene und schwere angeborene Fussdeformität und meist besteht eine neurologische Erkrankung.
Beim Talus verticalis steht der Talus senkrecht. Da bereits bei Geburt der M. triceps surae verkürzt
ist, steht die Ferse im Spitzfuss und Valgus. Der Mittel- und Vorfuss ist mit dem Kahnbein nach dorsal disloziert. Bei maximaler Ausprägung kann sich klinisch das Bild eines „Tintenlöscherfusses“
oder „Schaukelfusses“ mit plantarkonvex gewölbter Sohle zeigen. Vor allem beim Säugling ist das
genaue Ausmass vorliegenden Talus verticalis klinisch nicht leicht zu erkennen. Eine endgültige Diagnose wird röntgenologisch gestellt.
Unserer Erfahrung nach ist der Talus verticalis im Säuglings- und Kleinkindalter oft relativ weich
und gut korrigierbar. Nach einer Gipsbehandlung können mit Ringorthesen häufig gute Erfolge erreicht werden. Bei kontrakten Füssen muss in den meisten Fällen operativ eingegriffen werden. Der
günstigste Zeitpunkt hierfür ist unserer Erfahrung nach kurz vor der Vertikalisation im Alter von etwa
neun Monaten. Nach der Operation ist eine dreimonatige Gipsbehandlung sowie eine Orthesenversorgung (bevorzugt mit ringförmiger Fussfassung) über mehrere Jahre notwendig, da der Talus die
starke Tendenz hat, wieder in seine ursprüngliche Position zu gleiten.
Spitzfuss
Der Spitzfuss ist durch eine unterschiedlich starke Einschränkung der Dorsalflexion im oberen
Sprunggelenk auf weniger als die Neutralstellung charakterisiert. Die Wadenmuskulatur ist dabei
verkürzt. Beim Gehen wird überwiegend oder ausschliesslich der Vorfuss belastet. Ein Spitzfuss
entsteht in den meisten Fällen neurogen (zum Beispiel durch spastische Diplegie, kaudales Regressionssyndrom, Friedreich-Ataxie, spinale Störungen). Andere Ursachen können idiopathisch/habituell, kompensatorisch (zum Beinlängenausgleich), posttraumatisch (nach Muskel-/Knochenverletzung, nach Kompartmentsyndrom mit Fussheberschwäche) oder postinfektiös (nach Gelenkinfektionen mit Ankylosen) sein. In der Regel handelt es sich beim neurogen verursachten
Spitzfuss um einen Rückfuss-Spitzfuss. Kompensatorisch zur Spitzfussstellung wird das Kind in
leichten Fällen zunächst versuchen, die mechanische Achse durch Rekurvation im Kniegelenk wieder herzustellen oder auch über den Knickfuss abzurollen. Gelingt dies nicht mehr, wird es durch
Knie- und Hüftflexion versuchen, den überlangen Fuss auszugleichen. Einseitige Spitzfüsse müssen
grundsätzlich behandelt werden, denn meistens kommt es dabei zu einem relativen Beinlängenunterschied. Das Gegenteil ist beim Ausgleichsspitzfuss der Fall. Hier muss zunächst die Beinlängendifferenz ausgeglichen werden. Wenn Spitzfüsse beidseitig vorliegen, bei funktioneller Einschränkung, Instabilität, Progredienz oder Asymmetrie sollte therapiert werden. Man wird zunächst versuchen, krankengymnastisch oder durch Redressionsgipse/Orthesen eine Verbesserung zu erreichen.
Zuletzt bleibt die Möglichkeit des operativen Eingriffs. Vor allem im Rahmen der spastischen Diplegie kann in geeigneten Fällen auch ein Therapieversuch durch Botulinumtoxin erfolgen.
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Bevor bei einer operativen Korrektur etwa die Achillessehne verlängert wird, muss zuerst der
muskuläre Ursprung des Fersenhochstandes erforscht werden. Dies gelingt mit dem SilfverskjöldTest, bei dem die Anteile des M. triceps surae, der M. gastrocnemicus und M. soleus, unterschieden
werden können.
Die Indikation zu einer weichteiligen Operation muss sehr genau gestellt werden, da bei einer Überkorrektur ein iatrogener, sehr schwer zu therapierender Hackenfuss resultiert. Grundsätzlich unterscheidet man die Achillessehnenverlängerung von aponeurotischen Verlängerungsmethoden (z.B.
nach Baker, Vulpius, Stryer). Selten ist auch einmal ein knöcherner Eingriff notwendig (z.B. Gelenkversteifung, Keilresektionen, Astragalektomie). Die Patienten müssen darauf hingewiesen werden,
dass nach Korrektur durch die ungewohnte Belastung des Rückfusses vorübergehend Missempfindungen auftreten können.
Hohlfuss
Beim Hohlfuss wird der häufigere Ballenhohlfuss vom Hackenhohlfuss unterschieden. Beim Ballenhohlfuss besteht (bei relativ normalem Fersenstand) ein überhöhtes Längsgewölbe mit stärkerer
Abknickung der medialen Vorfussanteile (v.a. Metatarsalköpfchen) zur Sohle hin. Meist ragt der
Grossenzehenballen plantar markant vor. Oft besteht begleitend ein Hallux valgus oder Krallenzehen. Entwickelt sich ein Hohlfuss erst im Laufe des Wachstums, so ist eine neurologische Ursache
auszuschliessen. Beim Hackenhohlfuss (syn. Pes calcaneus excavatus) steht das Fersenbein steil
und oft varisch, der Vorfuss ist ebenfalls gegenüber dem Rückfuss zur Sohle hin abgekippt und bildet so das überhöhte Längsgewölbe. Auch beim Hackenhohlfuss haben die Patienten oft einen Hallux valgus oder Krallenzehen.
Die Patienten leiden meist erst spät unter einem instabilen, oft schmerzhaften Gangbild. Die Versorgung mit Konfektionsschuhen ist schwierig bis unmöglich. Im Vordergrund stehen bei der Therapie die Wiederherstellung der Funktionalität und Erleichterung der Schuh- und Orthesenversorgung.
Diese Ziele werden oft nur durch eine Operation erreicht, wobei die Grunderkrankung gut bekannt
sein muss. Bei starken, sehr rigiden Verhältnissen hilft manchmal nur eine Operation mit Fussversteifung (Arthrodese) oder der Einsatz eines Fixateur externe nach Ilizarov.
Hackenfuss
Der Hackenfuss ist eine Fussfehlstellung, die vor allem bei Neugeborenen relativ häufig gesehen
wird. Er ist gekennzeichnet durch eine verstärkte Dorsalflexion und eingeschränkte Plantarflexion
im oberen Sprunggelenk, meist infolge einer Schwäche oder eines Ausfalls der Wadenmuskulatur.
Es muss aber die Hackenfusshaltung von der Hackenfussdeformität unterschieden werden. Bei
Neugeborenen sieht man häufig nach dorsal flektierte Füsschen, die im Extremfall mit dem Fussrücken den Unterschenkel berühren. Können die Kinder jedoch bei Stimulation an der Fusssohle die
Füsse aktiv über die Neutralstellung in die Plantarflexion bringen, so ist keine weitere Therapie notwendig und die Eltern können beruhigt werden, dass diese Haltung in den ersten Lebenswochen
verschwinden wird. In den ersten Lebenswochen kann ein erster Therapieversuch durch Anwickelung elastischer Binden erfolgen. Unter Umständen zeigt sich dabei eine deutliche Verbesserung.
Besteht die Hackenfussstellung weiter, sollten Gipsschälchen von ventral angewickelt werden, die
den Fuss nach plantar und medial korrigieren. Nur wenn die Plantarflexion tatsächlich eingeschränkt ist, muss mit Redressionsgipsen behandelt werden. Auch bei älteren Kindern zeigen sich
manchmal Hackenfüsse. Sie sind jedoch sehr selten und werden oft bei bereits voroperierten Füssen gesehen (iatrogen) oder im Rahmen eines Talus verticalis. Bei einem echten Hackenfuss sollten die Therapieziele in der Wiederherstellung einer ausreichenden passiven Plantarflexion im OSG
und der Begrenzung der übermässigen Dorsalflexion im oberen Sprunggelenk liegen. Dazu ist
meistens eine Orthesenversorgung ausreichend und seltener muss eine Operation erfolgen.
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