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Abb. 1: Dr. Dominik Bomans und Peter-Christian Zinn blicken in unendliche Ferne –
hier auf dem Dach des Gebäudes NA mit einem kleinen Teleskop.
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Astronomen entdecken ersten
rasenden Stern außerhalb der Milchstraße
Der schnellste
Stern im Universum
Auf der Suche nach ihrer Spezialität –
bisher unbekannten „Geistergalaxien“ – haben RUB-Astronomen einen Sensationsfund gemacht: Sie entdeckten einen rasend
schnellen massereichen Stern, den ersten
außerhalb unserer eigenen Galaxie. Und
er ist auch noch der schnellste, den man
bisher nachweisen konnte. 850 Kilometer
pro Sekunde muss er mindestens zurückgelegt haben, bevor er in einer Supernova
verendet ist.
Die Bochumer Astronomen sind auf dem
Gebiet der Low Surface Brightness (LSB-)
Galaxien weltweit als Spezialisten bekannt.
„Ich nenne sie ‚Geistergalaxien‘“, sagt Priv.Doz. Dr. Dominik Bomans (Abb. 1), „weil
sie so dunkel sind, dass man sie eigentlich gar nicht sieht.“ Letzteres ist natürlich
bei der Suche problematisch. Wie kommt
man einer solchen Galaxie auf die Spur?
Die RUB-Forscher nehmen den indirekten
Weg. Aus dem Sternberg Astronomical Institute Supernova Catalogue, einem Verzeichnis aller Sternexplosionen der letzten Jahrzehnte, suchen sie solche Supernovae, Explosionen massereicher Sterne
mit extremer Helligkeit, die praktisch im
Nichts stattgefunden haben. „Wenn ein
massereicher Stern irgendwo fernab von
einer bekannten Galaxie explodiert, ist das
für uns ein Rätsel“, erklärt Peter-Christian
Zinn, Stipendiat der RUB Research School.
Denn Sterne entstehen nicht aus dem
Nichts. Sie brauchen Materie, also Gas und
Staub, weswegen sie normalerweise in Galaxien entstehen. Ein möglicher Grund für
ihre rätselhafte (scheinbare) Einsamkeit ist
eine LSB-Galaxie: „Das würde heißen, dass
der Stern gar nicht weit entfernt von einer
Galaxie explodiert wäre, sondern einfach
in einer, die man bisher nicht kannte“, erklärt Dr. Bomans.
Die Forscher suchten fünf solcher Fälle
aus dem Katalog heraus, um sie genauer
zu untersuchen. Sie beantragten Beobachtungszeit beim Calar Alto Observatori-
um in Andalusien. Mit den dortigen Teleskopen des Deutsch-Spanischen Astronomischen Zentrums kann man den Himmel
der nördlichen Halbkugel beobachten. Ein
paar Monate später war es soweit. Die Astronomen richteten den Blick auf genau die
Orte, an denen Supernovae massereicher
Sterne stattgefunden hatten, die aber weit
entfernt von einer bekannten Galaxie lagen. Sie beobachteten je zwei Stunden lang
diese Stellen – so lange, dass sie die dunkelste bekannte LSB-Galaxie hätten finden
können.
In keinem der fünf Fälle fanden sie tatsächlich LSB-Galaxien als ehemalige Heimat der explodierten Sterne – denn die Selektionskriterien für diese fünf waren bereits ausgewählt, um eher unsichere Kandidaten zu überprüfen. In der Vergangenheit
haben die RUB-Astronomen aber durchaus
solche Fälle dokumentiert, beispielsweise
die Supernova 2009Z (Abb. 2).
Abb. 2: LSB-Galaxie N271, Heimat des Sterns, der
am 2. Februar 2009 als Supernova 2009Z explodierte (der Pfeil zeigt den Ort der Explosion). Weitere Beobachtungen von N271 zeigten, dass es sich
um eine extreme LSB-Galaxie handeln muss, da sie
nicht nur dunkel ist, sondern auch, verglichen mit
der Masse ihrer Sterne, praktisch nur aus Wasserstoff-Gas besteht.
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Abb. 4: Die Bugwelle von ζ Ophiuchi, aufgenommen mit dem Infrarot-Satelliten WISE. Der Stern hat eine
Geschwindigkeit von „nur“ 24 km/s. Verglichen mit unserem superschnellen Stern, der 850 km/s zurücklegt,
ist das sehr wenig.
Deren Vorgänger-Stern war in einer extremen LSB-Galaxie mit dem Kurz-Namen
N271 beheimatet und nicht in einer hellen
Spiralgalaxie ganz in der Nähe, wie zuvor
angenommen.
Wenn aber die LSB-Galaxie als Erklärung
ausscheidet, was sind das dann für Sterne,
die auch nach langen Beobachtungen keiner Galaxie zugehörig scheinen? Die Detektivarbeit ging weiter. „Wenn man die extrem unwahrscheinliche Möglichkeit weglässt, dass ein massereicher Stern wirklich aus dem Nichts entstehen kann, gibt
es zwei weitere mögliche Gründe für eine
solche Supernova“, erklärt Dr. Bomans die
Überlegungen der Wissenschaftler. „Einerseits kann es sein, dass die nächste bekannte Galaxie größer ist als bisher angenommen, sodass der massereiche Stern entgegen dem ersten Anschein doch innerhalb ihrer Ausläufer lag. Andererseits ist
es möglich, dass der Stern sich im Lauf seines Lebens sehr weit von seiner Geburtsgalaxie entfernt hat.“
Um diese These zu prüfen, zogen die Astronomen zunächst neben optischen Aufnahmen der entsprechenden Himmelsbereiche auch UV-Bilder und Beobachtungen
der Radiowellen heran. Und tatsächlich
Abb. 3: Die Galaxie NGC 1058, in der der massereiche Stern lag, der als Supernova 1969L explodierte, ist weit größer als es bisher den Anschein
hatte. Auswertungen der UV- und Radiowellen ergaben große Ausläufer weit jenseits des optisch sichtbaren Zentrums der Galaxie. (Pfeil: Ort der Supernova 1969L)
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Abb. 5: Hier starb der schnellste bisher bekannte Stern im Universum, weit entfernt von seiner Ursprungsgalaxie. Nach der Supernova 2006bx ist nichts mehr von ihm zu sehen. Verbleibende Gaswolken oder ein
Neutronenstern als Überrest sind nicht erkennbar, dafür ist 2006bx schlicht zu weit von der Erde entfernt.
zeigte sich in einem Fall, dass die nächste
bekannte Galaxie weitaus größer ist als es
auf dem optischen Bild schien (s. Abb. 3).
Doch ein Fall blieb weiter ungelöst: Der
Vorläufer-Stern der Supernova 2006bx blieb
heimatlos. „Er ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein superschneller Stern, ein so
genannter Hyper Velocity Star“, folgert Peter-Christian Zinn. Solche Sterne nehmen
vermutlich eine extrem hohe Geschwindigkeit auf, wenn sie besonders nah am zentralen Schwarzen Loch einer Galaxie vorbeifliegen. „Diesen Effekt der Beschleunigung durch den Vorbeiflug an einem anderen, sehr viel massereicheren Objekt macht
man sich auch in der Raumfahrt zunutze,
wenn man z.B. Raketen auf eine Raumflugmission bringen will. Dann lässt man sie
etwa durch den nahen Vorbeiflug an Jupiter zusätzlich Fahrt aufnehmen.“
In unserer eigenen Galaxie hat man in
den letzten Jahren einige wenige solcher
rasenden Sterne entdeckt, die zum Teil um
500 Kilometer pro Sekunde zurückgelegt
haben müssen – die schnellsten Pistolenkugeln schaffen gerade einmal einen Kilometer pro Sekunde. In der relativen Nähe
unserer Milchstraße kann man Hyper Velocity Stars sogar zu ihren Lebzeiten beo-
bachten. Denn das Spektrum der von ihnen ausgesandten Lichtwellen verschiebt
sich durch ihre Geschwindigkeit. Bewegen
sie sich auf den Beobachter zu, verschiebt
sich das Spektrum ins Blaue, entfernen sie
sich, verschiebt es sich ins Rote. „Der Effekt ist so ähnlich wie der akustische, wenn
auf der Straße ein Feuerwehrwagen mit Sirene an einem vorbeifährt. Während er sich
nähert, klingt die Sirene heller, ist er vorbei
und entfernt sich, hört sie sich dunkler an“,
erklärt Dr. Bomans. Außerdem schieben
die schnellen Sterne durch ihre extreme
Überschallgeschwindigkeit eine Bugwelle
aus Gas und Staub vor sich her, die man
sichtbar machen kann (s. Abb. 4). In riesigen Entfernungen – der Ort der Supernova 2006bx ist hundert Mal so weit von uns
entfernt wie unsere nächste Nachbargalaxie, der Andromeda-Nebel – kann man solche Phänomene nicht mehr erkennen. Es
lässt sich nur indirekt auf die superschnellen Sterne zurückschließen.
Die Supernova gibt Aufschluss über die
Masse des Sterns, der ihr zugrunde liegt.
Supernovae vom Typ IIP, wie die zur Beobachtung gewählten, resultieren aus dem
Tod von Sternen mit etwa acht bis 20 Sonnenmassen. „‘Unser‘ rasender Stern muss
also mindestens acht Sonnenmassen gehabt haben“, sagt Peter-Christian Zinn. Man
weiß, dass solche massereichen Sterne vergleichsweise kurzlebig sind, z.B. „nur“ 30
Millionen Jahre existieren. Zum Vergleich:
Unsere Sonne ist vermutlich jetzt schon
4,5 Milliarden Jahre alt und wird noch einmal so lange leben. Die Kenntnis über
die ungefähre Lebensdauer des Sterns ist
wichtig für die Abschätzung der Geschwindigkeit, mit der er sich von seinem wahrscheinlichen Geburtsort, der nächstgelegenen Galaxie, entfernt haben muss.
Die Berechnungen der Geschwindigkeit von 2006bx anhand seiner Lebensdauer und der Entfernung von seinem
Ursprungsort brachte die Astronomen
zum Staunen: 850 Kilometer pro Sekunde
muss er zurückgelegt haben – mindestens.
Denn je nachdem, in welchem Winkel er
sich zum beobachteten Ort seiner Supernova bewegt hat, könnte die Strecke, die
er in seinem Leben zurückgelegt hat, sogar noch länger sein (Abb. 5). „Damit ist
er der schnellste bisher bekannte Stern
überhaupt“, sagt Peter-Christian Zinn, und
sinniert: „Das ist jetzt so, als würden wir
einem Sprinter die Medaille um den Grabstein hängen.“
md
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