DER GOLDENE DRACHE von Roland Schimmelpfennig Auslöser

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DER GOLDENE DRACHE
von Roland Schimmelpfennig
Auslöser für das Stück waren zwei Begegnungen: Die eine morgens um neun zufällig auf der Straße
mit einem Rechtsanwalt aus dem Freundeskreis, der mich darauf ansprach, ob ich mir nicht vorstellen
könnte, etwas über illegale Einwanderer in Deutschland zu schreiben – wobei er vor allem die
Situation in den Abschiebegefängnissen meinte, die er als Anwalt gut kannte. Mit den Verhältnissen in
den Gefängnissen habe ich mich dann tatsächlich genauer beschäftigt, fand es aber zu komplex, die
unterschiedlichen kulturellen Hintergründe – von Osteuropäern über Asiaten bis zu afrikanischen
Häftlingen – in einem einzigen szenischen Rahmen abzubilden. Diese Schwierigkeiten führten zu der
entscheidenden Überlegung: Wie kann man als deutscher Theatermacher diesem Thema gerecht
werden? Eine schwierige, aus meiner Sicht mit den normalen Theatermitteln so nicht zu lösende
Aufgabe. Die zunehmende Globalisierung und die Vernetzung der Welt wird das Theater in Zukunft
noch oft mit dieser Aufgabe konfrontieren. Der andere Auslöser war der Besuch von zwei
Mitarbeiterinnen vom Riksteatern aus Stockholm, die mir einen Auftrag für ein neues Stück gaben, das
körperlich, narrativ und surreal sein sollte.
Die Illegalen, die ich selbst kannte – eher aus lateinamerikanischen Ländern – brachten mich
schließlich auf das eigentliche Thema: nicht die Abschiebehaft, sondern die Situation draußen, in der
scheinbaren Freiheit – keine Papiere, keine medizinische Versorgung, und die dauernde Angst vor der
Entdeckung, in der U-Bahn, auf der Straße.
Nicht jeder Arzt behandelt Illegale umsonst. Es können wahnsinnige Kosten entstehen. Der kariöse
Zahn im „Goldenen Drachen“ ist genau die Art von Kleinigkeit, die ein Desaster auslösen kann.
Mir ging es nie um Dokumentation. Das können Film und Fernsehen besser. Mir ging es um
Verdichtung. Der „Drache“ arbeitet mit den einfachen Mitteln der Ansage und der Verstellung und des
„Vorspielens“, aber das Ziel des Stücks ist nicht Distanz, sondern das Gegenteil: Nähe. Identifikation.
Es geht darum zu ermöglichen, dass das Publikum den Figuren so nah wie nur irgend möglich kommt.
Was wäre, wenn ich jemand anderes sein könnte; was ist, wenn ich nicht mehr sein will, was ich bin?
Wenn ich mir etwas wünschen könnte – das steht über dem ganzen Stück. Formal bewegt sich das
Stück in einem Mikrokosmos: Jeder hängt mit jedem zusammen, die einen sind die Kunden der
anderen; man lebt letztendlich voneinander – gemeinsam unter einem Dach.
Man kann sich ja über das Leben der Illegalen viel Wissen aneignen, die Informationen sind verfügbar,
recherchierbar, aber was nützt mir das, wenn ich trotzdem keine wirkliche Verbindung dazu herstelle
– zumindest für die Dauer eines Theaterabends. Das klingt konstruiert – aber im Fall des Stücks
entsteht die Verbindung im Grunde erst durch den fremden Zahn im eigenen Mund.
DAS IST ABSOLUTES SCHAUSPIELERTHEATER UND EINE GROßARTIGE
HERAUSFORDERUNG!
DIE REGISSEURIN PETRA LUISA MEYER ZU „DER GOLDENE DRACHE“
In 48 Szenen verwebt Roland Schimmelpfennig in seinem Theatertext „Der goldene Drache“ die
unterschiedlichsten Geschichten. Wie ist es Dir mit dem Stück nach der ersten Lektüre ergangen und gibt es für
Dich ein Hauptthema?
Als erstes hat man mir völlig begeistert von der Uraufführung in Wien erzählt. Daraufhin habe ich das Stück gelesen
und war ebenfalls total begeistert. Neben dem spielerischen Aspekt des Stückes, geht es für mich um das Ausgeliefertsein
vieler ausländischer Mitbürger in unserem Land - ihr seltsames Verschwinden im Nichts. Die teilweise menschenunwürdigen
Bedingungen, in denen sie leben und arbeiten müssen. Leider oft am Rande der Illegalität. Dafür hat der Autor berührende
Szenen und Bilder gefunden.
Petra, Du bist nicht nur eine Regisseurin, sondern auch gelernte Schauspielerin. Was sagst Du als
Schauspielerin zu Schimmelpfennigs Spielprinzip, bei dem die Kollegen nicht nur ihre Rollen sondern auch ihre
Geschlechter wechseln und sich sogar in Tiere verwandeln müssen?
Das ist absolutes Schauspielertheater und eine großartige Herausforderung! Wie spielt man einen Asiaten? Wie spielt
man ein Tier? Wie schaffe ich die Wechsel von jung zu alt, von Frau zu Mann und umgekehrt? Da ist man als Schauspielerin
bzw. Schauspieler in allen Richtungen gefragt. Und besonders interessant finde ich das enorme Tempo, in dem die Wechsel
von statten gehen müssen. Einfach toll! Ich glaube aber, dass man sich auf den Proben erst einmal Zeit für die Entwicklung
der Einzelfiguren nehmen muss. Das Schöne ist, dass die Figuren eine Entwicklung durchmachen, dass sie eine Tiefe haben
und man sie in ihren menschlichen Krisen erleben kann. Das Stück ist überhaupt durch eine große Menschlichkeit
gekennzeichnet, auch bei den fabelhaften Figuren Grille und Ameise geht es immer um die Nöte und Sorgen der Menschen.
Um Situationen von Verrohung und sozialer Kälte. Das gefällt mir an diesem Stück, dass die Figuren sehr weit gehen und wir
unter die Oberfläche schauen können.
Ist „Der goldene Drache“ für Dich eher eine Komödie oder eine Tragödie? Welchen Stellenwert hat für Dich
Humor bei diesem Stück?
Eigentlich hat es etwas Trauriges, Menschen in ihrer Einsamkeit, in ihren winzigen Wohnzellen zu erleben, aber
trotzdem ist es auch unheimlich komisch. Das Stück hat einen ganz speziellen Humor, jenseits der üblichen Klischeebilder.
Wenn ich an unsere Besetzung denke, freue ich mich schon jetzt darauf beispielsweise Jutta Richter-Haaser als junges
Mädchen, Pius Maria Cüppers als Stewardess oder Michael Hochstrasser als Grille zu sehen.
Die Fragen stellte Horst Busch
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