Gezeugt oder gemacht? – Umstrittene - Paulus

Werbung
aufbruch.ch
http://www.aufbruch.ch/4672
Gezeugt oder gemacht? – Umstrittene Fortpflanzungsmedizin
Bei der In-Vitro-Fertilisation wird das Spermium mit einer Pipette (rechts) in Eizelle (links) eingebracht. (Bild: Wikicommons)
Wann beginnt das menschliche Leben? Darf der Mensch in die Schöpfung eingreifen? Welche Folgen hat
künstliche Befruchtung für die so entstandenen Kinder? Vertreter aus drei Religionen debattierten in Zürich
brisante ethische Fragen der Fortpflanzungsmedizin.
Von Martina Läubli
Die Anzahl der Kinder, die im Reagenzglas gezeugt wurden, hat sich in den letzten zehn Jahren in der Schweiz
verdoppelt. Das Tempo, mit dem sich die Fortpflanzungsmedizin technisch weiterentwickelt, ist rasant. Besonders
die zunehmenden Möglichkeiten von Präimplantationsdiagnostik – Untersuchungen des In Vitro erzeugten Embryos
auf Erbkrankheiten und Erbgut hin – gaben dieses Jahr im Stände- und Nationalrat zu reden. Im September hat sich
der Ständerat unerwartet für eine Liberalisierng der Tests an Embryonen entschieden. Im Jahr 2015 soll dazu eine
Volksabstimmung stattfinden. Grund genug, sich dem ethisch brisanten Thema auseinanderzusetzen.
Ein hochkarätiges Podium von Vertretern des Judentums, des Islams und der Reformierten und Katholischen Kirche
hat am 13. November in Zürich über Fortpflanzungsmedizin diskutiert. Veranstaltet wurde das Podium von der
Paulus-Akademie, moderiert von Susanne Brauer. Dabei wurde deutlich, dass je nach Religion ganz andere Aspekte
der medizintechnischen Reproduktion problematisch sind.
Selektion von Embryonen
Für die christlichen Kirchen ist die Frage zentral, wann das menschliche Leben überhaupt beginnt. Definiert man wie
die Katholische Kirche den Beginn des menschlichen Lebens mit der Verschmelzung von Eizelle und Samen, ist die
In-Vitro-Fertilisation insgesamt problematisch. „Bei jeder In-Vitro-Befruchtung werden Embryonen selektioniert und
vernichtet“, stellt die Ärztin Barbara Biedermann klar. Künstliche Befruchtung sei nur um den Preis aussortierter
Embryonen zu haben. Für die Ärztin, die in der Bioethikkommission der Schweizer Bischofskonferenz mitwirkt,
bedeutet dies „weggeworfenes Leben“.
Andererseits zeigt Biedermann auch Verständnis für das Leiden unfruchtbarer Paare und rät dazu, bei einer
Entscheidung im Bereich Fortpflanzungsmedizin spirituelle Begleitung in Anspruch zu nehmen. Letzlich seien solche
Entscheidungen als Gewissensfrage zu prüfen, darin stimmen die beiden christlichen Konfessionen überein.
Ausweg aus der Kinderlosigkeit
Für Islam und Judentum dagegen sind die weggeworfenen Embryonen kein Grund zur Sorge. Sowohl in der
islamischen als auch in der talmudischen Tradition beginnt das menschliche Leben erst 40 Tage, nachdem
Samenzelle und Ei zusammengekommen sind. So betont Rabbiner Marcel Yair Ebel denn auch die pragmatische
jüdische Haltung gegenüber Fortpflanzungsmedizin – Israel ist führend in der Stammzellenforschung und hat eine
hohe Abtreibungsquote.
Die pragmatische Haltung gründet darin, dass Kinderlosigkeit im Judentum als Krankheit gilt. Kinderlosigkeit sei
nicht gottgewollt, so dass die Menschen sich mit allen Kräften bemühen können, um sie zu heilen. In den durch
menschliches Wissen erreichten medizinischen Fortschritten könne man durchaus Göttliches erkennen, so Ebel.
Zugleich ist im Judentum die Frage der familiären Abstammung zentral, was wiederum die Verwendung von
anonymen Samenspenden problematisiert.
Der Schutz der Familie und der Nachkommenschaft ist auch im Islam ein entscheidendes Prinzip. Um über
fortpflanzungsmedizinische Eingriffe nachzudenken, müsse man verschiedene Prinzipien der Scharia
gegeneinander abwägen, erklärt die Islamwissenschaftlerin Rifa’at Lenzin, beispielsweise der Schutz des Lebens,
der Schutz der Nachkommenschaft und das Allgemeinwohl. Grundsätzlich sieht Lenzin kein Problem in der In-VitroBefruchtung, wenn Eizelle und Samen von einem Ehepaar stammen. Der Schutz der Ehe müsse gewährt sein.
Zugleich weist sie darauf hin: „Fortpflanzungsmedizin ist kein Problem der islamischen Welt. Wir sprechen hier über
ein westliches Luxusproblem.“
Ungeborenes Leben schützen
Demgegenüber stellt das protestantische Christentum ganz andere Fragen an die Fortpflanzungsmedizin. Hier gilt
jedes Leben als Schöpfung Gottes. Was passiert, wenn die Menschen nun, Leben produzierend oder gar
selektionierend, in die Schöpfung eingreifen? „Kann man Biologie als Schöpfungsakt begreifen?“, fragt der Theologe
und Ethiker Frank Mathwig. In der ganzen Geschichte der Menschheit war das Leben stets etwas Gegebenes,
etwas Unverfügbares. Nun werde es plötzlich zum Gegenstand menschlicher Entscheidungen – und somit
verhandelbar und begründungsbedürftig, ja willkürlich. „Das wäre eine revolutionäre Umwälzung mit
unvorhersehbaren Konsequenzen“, sagt der Theologe, der auch Mitglied des Schweizerischen Evangelischen
Kirchenbundes (SEK) ist.
Ebenfalls weist Mathwig darauf hin, dass man in der Diskussion und Gesetzgebung zu Fortpflanzungsmedizin nicht
vergessen dürfe, dass es letztlich um das Wohl des Kindes gehe. Der SEK betrachtet das Kindeswohl als
unantastbar; es umfasse auch ungeborenes Leben. Die gesetzliche Unterscheidung zwischen „Embryo“ und „Kind“
sei reine Bürokratie. Laut Mathwig sind Embryonenschutz und Kindeswohl nicht trennbar. „Ungeborenes Leben
muss geschützt werden.“
Neue Verwandschaftsbeziehungen
Wenn man die künstlich erzeugten Kindern in den Blick nimmt, taucht auch ein längerfristiges Problem auf, das
besonders virulent ist, wenn die Kinder mit einer fremden Samenspende gezeugt wurden (und noch mehr im Fall der
Leihmutterschaft, die in der Schweiz aber nicht erlaubt ist). Diese Kinder werden wissen wollen, wer ihre biologische
Eltern sind. Welche Antwort gibt man ihnen? Ein anonymer Spender? Die Frage nach den „richtigen“ Eltern ist stellt
sich jeder Mensch im Prozess des Erwachsenwerdens, wie man von Adoptionsfamilien lernen kann, inklusive
Identitätskrisen und psychischer und familiärer Probleme. Dies würde sich mit den neuen medizinischen
Möglichkeiten noch verstärken, darüber sind sich die Podiumsteilnehmer einig. Ebenfalls einig sind sie sich darin,
dass Einzellenspenden und die aktuell diskutierte Möglichkeit des „Social Freezing“ viel problematischer sind als die
aktuell in der Schweiz praktizierte künstliche Befruchtung. „Wir müssen immer unterscheiden, wem und wofür die
Fortpflanzungsmedizin dient“, gibt Rabbiner Ebel zu bedenken.
Herunterladen