Förderung der Geisteswis- senschaften im Zeitraum 2002–2012

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Bulletin SAGW 2 | 2014
Förderung der Geisteswissenschaften im Zeitraum
2002–2012 – ein Grundlagenbericht
Sabina Schmidlin, across • concept
Die SAGW gab eine Studie in Auftrag, um eine empirisch
gestützte Datengrundlage zur Situation der Geisteswissenschaften zu erhalten. Insbesondere sollten die Umsetzung
und die Wirksamkeit der in den Jahren 2002 vom BBW (jetzt
SBFI) und 2002 und 2006 vom SWTR (jetzt SWIR) eingeleiteten Massnahmen zur Förderung der Geisteswissenschaften
geprüft werden. Die Ergebnisse werden nun veröffentlicht.
Zur Jahrtausendwende – im Vorfeld zur Botschaft des
Bundesrats über die Förderung der Bildung, Forschung
und Technologie (BFT 2004–2007) – beauftragte der
Bund eine Arbeitsgruppe mit der Ausarbeitung von
Leitlinien für eine verstärkte Förderung der Geistesund Sozialwissenschaften. Die Arbeitsgruppe empfahl
verschiedene Massnahmen, die zu einer Verbesserung
der Betreuungssituation, der Nachwuchsförderung sowie der Forschungsrahmenbedingungen in den Geisteswissenschaften führen sollten.
Ausgehend von einer Standortbestimmung beschäftigte sich in jüngerer Zeit auch die SAGW verstärkt
mit den Problemlagen der Geisteswissenschaften in
einem zunehmend auf Grossprojekte und disziplinäre Verschmelzung ausgerichteten Forschungsumfeld.
Dabei stellte die SAGW wiederholt fest, dass es einer
empirisch gestützten Datengrundlage zur Situation
der Geisteswissenschaften bedarf. Im Rahmen des vorliegenden Grundlagenberichts soll daher überprüft
werden, ob die Empfehlungen der Arbeitsgruppe umgesetzt wurden und wie sich die Situation der Geisteswissenschaften heute präsentiert.
Betreuungssituation
Bund und Universitäten sind den Empfehlungen der
Arbeitsgruppe gefolgt und haben in den zehn Jahren 2002–2012 beträchtliche Mittel in den Ausbau der
wissenschaftlichen Personalstellen investiert. In den
Geisteswissenschaften sind im zehnjährigen Beobach-
tungszeitraum 60,4 neue Professuren (Vollzeitäquivalent, VZÄ) entstanden. Die steigenden Studierendenzahlen in den Sozialwissenschaften veranlassten die
Universitäten dazu, vor allem in diesem Fachbereich in
den Stellenausbau zu investieren (+166,1 Professuren in
VZÄ).
Indes fühlt sich der Lehrkörper sowohl auf Professorenstufe als auch auf Stufe Mittelbau nach wie vor stark
belastet. Die Statistik vermag die Erfahrungsrealität
nur ungenügend abzubilden, da sie für die Geisteswissenschaften wichtige Aspekte wie etwa die Nebenfachstudierenden oder die administrative Mehrbelastung
aufgrund der Bologna-Reform unberücksichtigt lässt.
In der Regel kommt in den Geisteswissenschaften auf
eine/einen Hauptfachstudierenden eine Person im Nebenfach. Auch wenn die derzeit vorliegenden Zahlen
die Realität nicht vollkommen erfassen, zeigen Schätzungen – unter Berücksichtigung der Nebenfachstudierenden – dass eine Professur in den Geisteswissenschaften nach wie vor mehr als 40 Studierende betreut.
Nachwuchsförderung auf Doktoratsstufe
Eine bessere Strukturierung der Doktoratsausbildung
und die Stärkung von Graduiertenkollegs wurden zwischen 2006 und 2012 insbesondere durch den SNF mit
den Pro*Docs gefördert. In den Geisteswissenschaften
konnten so 73 Programme realisiert und insgesamt 730
Stipendien an DoktorandInnen vergeben werden. Die
CRUS führt das Programm seit 2012 in eigener Regie
weiter, jedoch ohne Ausschüttung von Doktoratsstipendien.
Der SNF hat zwischen 2002 und 2012 in der Karriereförderung ein besonderes Augenmerk auf die Unterstützung von NachwuchswissenschaftlerInnen in
den Geistes- und Sozialwissenschaften gelegt. Von den
beantragten Stipendien für angehende ForscherInnen bewilligte der SNF jeweils mehr als 70%. Mit dem
Förderprogramm Doc.CH richtete der SNF zudem ein
Programm ein, dass den besonderen Bedürfnissen der
Geistes- und Sozialwissenschaften Rechnung trägt.
Trotz besserer Positionierung bei der Karriereförderung promoviert weniger als ein Drittel der GeisteswissenschaftlerInnen im Rahmen eines grösseren Forschungszusammenhangs bzw. geht mehr als die Hälfte
einer ausseruniversitären Erwerbstätigkeit nach.
Die durchschnittliche Dissertationsdauer bleibt im
Beobachtungszeitraum 2002–2012 annähernd unverändert bei fünf Jahren. In den Historischen und den
Kulturwissenschaften hat sie sich gar auf 5,3 Jahre verlängert. Auch die Erfolgsquote liegt auf Stufe Doktorat
in den Geisteswissenschaften nach wie vor deutlich un-
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SAGW-News | News ASSH
ter dem Gesamtdurchschnitt (71%). Nur gut jeder/jede
zweite GeisteswissenschaftlerIn schliesst das Doktorat
auch tatsächlich ab.
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Laufbahnförderung
Der Weg zur Professur dauert in der Schweiz in den
Geisteswissenschaften nach Abschluss der Dissertation im Durchschnitt 12 Jahre. Die GeisteswissenschaftlerInnen habilitieren in der Regel mit 45 Jahren und
sind deutlich älter als die Habilitierten anderer Fachbereiche (42 Jahre). Zwar zeichnen sich in den universitären Nachwuchsförderungsstrategien zunehmend
auch alternative Wege ab, trotzdem ist das traditionelle
Berufungsmodell in den Geisteswissenschaften immer
noch weitverbreitet. Echte Tenure-Track-Systeme mit
Aussicht auf eine Lebenszeitprofessur nach erfolgreicher Bewährungszeit treten nur vereinzelt auf.
Die vom SNF unterstützten Förderprofessuren sind
insbesondere für die Geisteswissenschaften ein wichtiges Instrument der Nachwuchsförderung, da die
jungen WissenschaftlerInnen im Vergleich zu ihren
KollegInnen in anderen Wissenschaftsbereichen deutlich weniger bis gar nicht in grosse Forschungszusammenhänge eingebunden sind. Der SNF förderte in den
Jahren 2002–2012 überdurchschnittlich häufig Anträge
der Geisteswissenschaften auf Förderprofessuren (insgesamt 79).
Forschungsförderung
Die Forschungsausgaben sind in den Geisteswissenschaften seit 2006 stark gestiegen. Dennoch liegt der
Ausgabenanteil für die Forschung 20 Prozentpunkte
tiefer als in den Naturwissenschaften. Dafür liegt der
Aufwand für die Lehre (Bachelor- und Masterstufe) in
den Geisteswissenschaften um 24 Prozentpunkte höher. Insbesondere gestiegen sind in den letzten Jahren
die den Geisteswissenschaften zugesprochenen Fördersummen im Rahmen der Projektförderung des SNF. Mit
der Projektförderung begünstigt der SNF «bottom-up»Forschung. Sie entspricht der Wissenschaftskultur der
Geisteswissenschaften, die sich durch methodische
Vielfalt und eine starke Individualforschung auszeichnet, besser.
Bedeutend weniger gut vertreten sind die Geisteswissenschaften in den Förderlinien, die insbesondere
Langzeitprojekte im Rahmen von nationalen Schwer-
punktthemen mit interdisziplinärer und kooperativer
Ausrichtung fördern. Das schlechte Abschneiden und
die tiefe Beteiligungsrate der Geisteswissenschaften an
den Schwerpunktprogrammen gilt es weiter abzuklären. Sie hängen unter anderem auch mit der hochschulund gesellschaftspolitischen Schwerpunktsetzung der
Universitäten, der Politik und der Wirtschaft bei der
Themenwahl zusammen.
Sondermassnahmen für «kleine» Fächer
Im Zeichen von Bologna kamen die sogenannten kleinen Fächer unter Druck, da die neuen Studienordnungen verstärkt auf Studiengänge fokussieren, die kleinen
Fächer für eigene Studiengänge aber nicht die Kapazitäten haben. Zudem wurde von der CRUS gefordert,
dass ein Studiengang mindestens 20 StudienanfängerInnen pro Jahr haben muss. Strategien zur Stärkung
der kleinen Fächer waren gefragt: Um die Stellung und
Sichtbarkeit der kleinen Fächer innerhalb der Philosophisch-historischen Fakultät zu verbessern, leiteten
die meisten Fakultäten Restrukturierungen ein, die zu
Zusammenschlüssen von kleinen Seminaren zu grösseren Einheiten führten.
In den letzten Jahren sind verschiedene geisteswissenschaftlich ausgerichtete Forschungszentren
entstanden. Sie unterstützen die Fokussierung auf
Forschungsgebiete, fördern die Suche nach Forschungsclustern und tragen zur Profilierung bei. Zudem haben
sie das Potenzial, Netzwerke von nationaler Reichweite
zu bilden, und könnten künftig für die Geisteswissenschaften eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung an den nationalen Förderprogrammen werden.
Zur Publikation
Weitere Informationen
«Grundlagenbericht: Förderung der Geisteswissenschaften in der
Schweiz im Zeitraum 2002–2012»
104 Seiten
Download unter: http://www.sagw.ch/geisteswissenschaften
Bulletin SAGW 2 | 2014
Zur Autorin
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Sabina Schmidlin
Sabina Schmidlin, lic. phil., studierte
Soziologie, Philosophie und angewandte Statistik in Basel, Rom und
Freiburg im Breisgau. Von 2001 bis
2008 leitete Sabina Schmidlin die
Hochschulabsolventenbefragungen
des Bundesamtes für Statistik und
war an verschiedenen europäischen
Forschungsprojekten zu den Themen
Berufseinstieg und Karrieren von Hochqualifizierten beteiligt. Seit 2012 ist sie selbständig und Geschäftsführerin des Forschungs- und Beratungsbüros across•concept
GmbH.
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