Begriff der Person und Theorie der Personalität.

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Leipziger Schriften zur Philosophie 19
Herausgegeben vom Institut für Philosophie der Universität Leipzig
Frank Kannetzky I Henning Tegtmeyer
(Hrsg.)
PERSONALITÄT
STUDIEN ZU EINEM SCHLÜSSELBEGRIFF
DER PHILOSOPHIE
LEIPZIGER UNIVERSITÄTSVERLAG 2007
Inhalt
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar
EINLEITUNG
Frank Kannetzky/Henning Tegtmeyer
Begriff der Person und Theorie der Personalität
5
KOGNITIVE VERMÖGEN DER PERSON
Wolfgang Prinz
Subjekte sind Artefakte
19
Henrike Moll
Person und Perspektivität.
Kooperation und soziale Kognition beim Menschen
37
Claudia Henning
Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich
Vom Wahrnehmungs- zum Handlungssubjekt?
57
geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des
Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzu­
lässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,
Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und
Bearbeitung in elektronischen Systemen.
PRAKTISCHE VERMÖGEN DER PERSON
Bettina Walde
Zur dualistischen und zur naturalistischen Sicht auf das Subjekt
am Beispiel der Willensfreiheit
99
Sirnone Dietz
Die Menschenwürde der Rampensau.
Selbstdarstellungskultur in der massenmedialen Gesellschaft
Neil Roughley
Willensschwäche und Personsein
Titelbild: Felix Nadar (Gaspard-Felix Toumachon).
Selbstporträt in einer Fotosequenz von 12 Aufnahmen, um 1865.
© Leipziger Universitätsverlag GmbH 2007
Satz: Institut für Philosophie der Universität Leipzig
Druck: DDF GmbH, Leipzig
Umschlag: Satzstudio Holzinger, Leipzig-Holzhausen
ISSN 0947-2460
ISBN 978-3-86583-2 14-6
119
143
DIE KONSTITUTION VON PERSONALITÄT
Volker Schürmann
Personen der Würde
165
Henning Tegtmeyer
Sünde und Erlösung.
Die Konstitution von Personalität im jüdisch-christlichen Denken
187
Frank Kannetzky
Weder Bewusstseinsimmanenz noch Schnittpunktexistenz.
Personalität als Handlungsbegriff
213
4
PERSON UND GEMEINSCHAFf
· Hans Bernhard Schmid
"Person"- Nostrologische Notizen
EINLEITUNG
255
Frank Kannetzky/Henning Tegtmeyer
Heikki lkäheimo
Personale Anerkennung
275
Geert-Lueke Lueken
Erziehung und Person. Eine Skizze
299
RECHTSDISKURSE
Hans-Ludwig Kröber
Willensfreiheit und strafrechtliche Verantwortlichkeit
aus Sicht der forensischen Psychiatrie
321
Bernd Ladwig
Das Recht auf Leben und der Begriff der Person
ÜBER DIE AUTOREN
341
367
Begriff der Person und Theorie der Personalität
Der Begriff der Person ist schon seit geraumer Zeit ein Gegenstand intensiver
philosophischer Reflexion. Allein in Deutschland sind dem Thema bereits meh­
rere Monographien gewidmet,' von der Flut von Aufsätzen zu systematischen
und historischen Aspekten des Personenbegriffs ganz zu schweigen, die allein in
den vergangenen zehn Jahren publiziert wurden. Es ist sicher nicht übertrieben,
von einem Schlüsselbegriff der Philosophie der Gegenwart zu sprechen. Das war
allerdings nicht immer so. Noch vor zwanzig Jahren schien der Begriff der
Person eher eine Angelegenheit von Theologen und Juristen, und es war eher der
Subjektbegriff, an dem sich philosophische Explikationsbemühungen und philo­
sophischer Streit in vergleichbarem Umfang entzünden konnten, gipfelnd in der
Kontroverse, die zu Beginn der Achtziger Jahre zwischen hermeneutischer und
poststrukturalistischer Philosophie unter dem Schlagwort ,Tod des Subjekts'
ausgetragen wurde. Diese Debatte weckt heute kaum noch mehr als historisches
Interesse, was nicht allein auf Ermüdung, einen Wandel terminologischer Mo­
den, auf strategische Motive und hochschulpolitische Veränderungen zurückge­
führt werden kann. Es gibt dafür auch echte sachliche Gründe. Diesen nachzuge­
hen lohnt sich umso mehr, als Subjekt und Person in philosophischer Terminolo­
gie nahe beieinander liegen. Beide Begriffe bündeln Wesensmerkmale des Men­
schen, Eigenschaften und Fähigkeiten, die den Menschen in der einen oder
anderen Weise vom Tier unterscheiden. Allerdings in bloß partieller semantischer
Überlappung: Scheinen die Begriffe Subjekt und Subjektivität im Kern das
Mentale und Psychische, die kognitiven Vermögen und affektiven Dispositionen
des Menschen zu bezeichnen, so richten sich die Begriffe Person und Persona­
lität wesentlich auch auf den Menschen als wollendes und handelndes Wesen.
Dass der Begriff der Person heute philosophisch attraktiver erscheint als der Be­
griff des Subjekts, hat nun nicht nur mit der lang schon vollzogenen "Rehabilitie­
rung der praktischen Philosophie" (M. Riedel) zu tun, sondern auch mit dem
Streben nach einer Überwindung cartesischer, dualistischer Konzeptionen von
Leib und Seele in der Philosophie des Geistes und dem Bedürfnis, den Menschen
1
Vgl. Robert Spaemann: Personen. Versuche über den Unterschied zwischen "etwas" und "je­
Stuttgart: Klett-Cotta 1996; Dieter Sturma: Philosophie der Person. Die Selbstverhältnisse
von Subjektivität und Moralität. Paderborn: Schöningh 1997; Michael Quante: Personale Identität.
Paderborn: Schöningh 1999; Regine Kather: Person. Die Begründung menschlicher Identität.
Darmstadt WBG 2007.
mand".
6
Frank Kannetzky/Henning Tegtmeyer
als Bürger der einen, ungeteilten Welt aufzufassen, das unter den Titeln ,Monis­
mus' und ,Naturalismus' der philosophische Metaphysik unserer Zeit die Rich­
tung gibt. Der Terminus ,Person' scheint da geeigneter, den Menschen als in der
Welt seiend zu denken als der Terminus ,Subjekt', der sich schon rein konnotativ
eher mit der Vorstellung eines Gegenüberstehens von Subjekt und Objekt, Geist
und Welt verbindet. "Das Subjekt gehört nicht zur Welt, sondern es ist eine
Grenze der Welt". Dieser Satz Wittgensteins (Tractatus, 5.632) ist nämlich bezo­
gen auf den Subjektbegriff ein semantischer Truismus. Gleiches gilt aber nicht
vom Begriff der Person.
Das bedeutet jedoch nicht, dass schon die rein terminologische Umschaltung
von ,Subjekt' auf ,Person' die Probleme des Dualismus und Cartesianismus auf­
löst. Die Fragen zum Verhältnis von Leib und Seele, Geist und Welt stellen sich
lediglich auf neue Weise. Die heutzutage gängigen Fragen, an denen Theorien
der Person arbeiten- z.B. ,Ist der Begriff der Person speziesneutral, oder können
nur Angehörige einer bestimmten biologischen Spezies Personen sein?', ,Welche
Vermögen oder Leistungen muss · ein Wesen vorweisen können, um als Person
gelten zu können?', ,Kann ein Wesen Person sein, auch wenn sein kognitiver
oder evaluativer Weltbezug ernsthaft gestört oder abnorm ist?' -, sind allesamt
von großer Brisanz, nicht bloß in philosophischer, sondern auch in rechtlicher
und politischer Hinsicht, zugleich aber Fragen, die dem dualistischen Denken
keineswegs fremd sind, ebenso wenig wie der Terminus ,Person' als solcher. Der
' Abschied vom Dualismus ist leichter proklamiert als vollzogen.
In der Auseinandersetzung mit derartigen Fragen kann man aber - vielleicht
gerade deswegen - auf eine reiche philosophische Tradition zurückgreifen. Tra­
ditionell wird Personsein dem Individuum zugeschrieben, sofern es über Ratio­
nalität verfügt. So bestimmt Boethius die Person als unteilbares Wesen (sprach­
und) vernunftbegabter Natur (naturae rationabilis individua substantia). Als ratio­
nales Wesen verfügt die Person notwendig über Bewusstsein und vor allem
Selbstbewusstsein, wobei letzteres nach Locke die Identität der Person über die
Zeit verbürgt. Nur so sei Zurechenbarkeit von Handlungen überhaupt möglich,
weshalb nach Locke nur ein selbstbewusstes Ich Rechtssubjekt sein kann. Diese
identitätsstiftende Einheit des Selbstbewusstseins ist nach Kant aber zunächst nur
eine formale Einheit, sie verbürgt noch nicht die materiale Realität der Person.
Diese gewinnt sie als Wesen, welches sich selbst Zwecke setzen und Handlungen
von selbst beginnen kann, also als Wesen mit praktischer Vernunft und morali­
schem Unterscheidungsvermögen. Kant wird damit zugleich zum Verfechter
eines W ürdebegriffs der Person. Das kann allerdings nicht darüber hinwegtäu­
schen, dass der Begriff der Person in Kants Philosophie keineswegs eine so
grundlegende Bedeutsamkeit hat wie der Begriff des Subjekts. Kant bleibt in
terminologischer Hinsicht Cartesianer.
Die neuere Beschäftigung mit dem Konzept der Person wurde auch durch ein
wachsendes Interesse an Fragen der praktischen Ethik ausgelöst, etwa Fragen der
Abtreibung und des Embryonenschutzes, ethischen Fragen der Gentechnologie
Einleitung: Begriff der Person und Theorie der Personalität
7
und Medizin (Stichworte: Klonierung, genetische Identität, Sterbehilfe) oder der
Debatte um die Anerkennung von Grundrechten für Tiere. Dabei rücken Krite­
rien des Personseins in den Fokus des Interesses. Große Teile der einschlägigen
neueren Philosophie der Person lassen sich demnach als der Versuch kennzeich­
nen, vermittels aussondernder Definitionen (letztlich deskriptive) Merkmale des
Personseins zu bestimmen und den so ausgezeichneten ,Entitäten' den Personen­
status zuzuschreiben. Charakteristisch ist dabei ein zweistufiges Verfahren:
Zunächst wird die Frage beantwortet, welche Gegenstände aufgrund bestimmter
Eigenschaften Person genannt werden dürfen, dann wird diskutiert, welchen nor­
mativen Status, also welche Ansprüche, Rechte und Pflichten das Personsein be­
gründet.
Die Vielfalt der Antworten lässt sich allerdings auf eine Handvoll Merkmale
und deren Variation und Kombination zurückführen, woraus sich dann verschie­
dene Kriterienlisten für Personalität und personale Identität ergeben. Etwa wird
diskutiert, welches Maß an Empfindungsfähigkeit erforderlich ist, um den fragli­
chen ,Gegenständen' Personenrechte zuzusprechen. Andere meinen, bloße Em­
pfindungsfähigkeit genüge nicht, vielmehr müssten Personen über Erinnerungs­
vermögen, Bewusstsein und Selbstbewusstsein, über eine Ich-Identität verfügen,
wobei deren Kriterien von der physischen Identität als Leib in Raum und Zeit bis
zum kontinuierlichen Ich-Bewusstsein reichen, oder sie müssten in Diskurse
eintreten können, wozu ein Mindestmaß an Rationalität und Reflexivität erfor­
derlich sei - Personen seien durch das Vermögen, Gründe angeben und Folgen
abschätzen zu können, gekennzeichnet. Wieder andere betonen die Freiheit und
Autonomie der Person i.S. des Vermögens, sich selbst Zwecke zu setzen, oder
auch als Fähigkeit, diese zu verfolgen, also ihre Handlungskompetenz, und ent­
sprechend die Zurechenbarkeit von Handlungen bzw. ihre Verantwortlichkeit für
ihr Tun, wobei sich auch hier unterschiedliche Varianten ergeben, je nachdem,
welche Kompetenzen für grundlegend erklärt weiden. Etwa wird von vielen Au­
toren in der Tradition Kants Moralität als wesentliches Bestimmungsstück von
Autonomie und damit Personalität gesehen; andere buchstabieren Handlungs­
kompetenz als instrumentelle Rationalität. Ebenfalls in der Diskussion sind Arti­
kulationsfähigkeiten als Kriterium des Personseins, die Frage, ob und welche
Formen der Expressivität eine Vorbedingung des Personseins sind und welche
Rolle dabei die Sprachfähigkeit spielt. Als ein weiteres Kriterium wird Indivi­
dualität angeführt, wobei auch hier das Problem besteht, welche Identitätskrite­
rien zählen sollen - die genetische Einzigartigkeit ist offenkundig zu schwach,
um personale Identität zu tragen. Man kann nun weiter fragen, ob und welche
dieser 'Kriterien eine Person in welchem Maße tatsächlich oder nur potentiell er­
füllen muss, und kommt damit zu weiteren Differenzierungen des kriterialen Per­
sonenbegriffs.
Aus diesen Bestimmungsstücken ergeben sich nun unterschiedliche Krite­
rienkataloge des Personseins und der personalen Identität. Debatten entzünden
sich dann daran, dass diese Kataloge z.T. in sich nicht kohärent sind oder einan-
8
Frank Kannetzky!Henning Tegtmeyer
der wechselseitig ausschließen, ganz abgesehen davon, dass die normativen Kon­
sequenzen der kriteriengeleiteten Zuschreibung des Personenstatuts nicht unum­
stritten sind, die Frage also, welche Ansprüche, Rechte und Pflichten mit dem
Status der Person verbunden sind. Diese Probleme einer Philosophie der Person
können jedoch nicht auf der Ebene der Diskussion von Kriterien des Personseins
gelöst werden. Vielmehr stellen sie das Projekt der kriterialen Definition der Per­
son und des Personenseins als ganzes in Frage.
So ist es ein grundsätzliches Problem, dass die Idee allgemeiner Kriterien des
Personseins mit der intuitiv plausiblen Annahme, Individualität sei ein Charak­
teristikum der Person, nicht vereinbar ist. Betrachtet man bspw. Rationalität als
Kern der Person, dann ist diese etwas Allgemeines und bildet gerade deshalb
nicht die Individualität der Person ab- als rationales Wesen ist die Person gerade
nicht einzigartig. Man könnte nun versuchen, ein Konzept individueller Ratio­
nalität oder die Idee einer Stufung rationaler Kompetenzen einzuführen. Damit
würde aber die Allgemeinheit des Kriteriums "Rationalität" flir das Personsein
unterlaufen. Oder man könnte Individualität als natUrliehe Eigenschaft der Per­
son auffassen, etwa im Sinne einer rein indexikalischen Bestimmung. Dann fragt
sich aber, warum Individualität als Kriterium von Personalität überhaupt relevant
sein sollte, denn sie wäre gewissermaßen ein tautologisches Kriterium, also
keines, welches dazu beitragen könnte, Personen von Dingen zu unterscheiden
, und entsprechende normative Konsequenzen zu rechtfertigen. Um etwa einen
Eigenwert des Einzigartigen zu fundieren, muss dieses offenkundig von anderer
Art sein als bloß indexikalische Individualität.
Generell stellt sich die Frage, ob die vermeintlichen Kriterien des Personseins
überhaupt hinreichend bestimmt sind, um sie im konkreten Fall anzuwenden.
Kann man Begriffe wie Rationalität, Selbstbewusstsein etc. als hinreichend ge­
klärt voraussetzen? Handelt es sich bei Rationalität, Selbstbewusstsein, Moralität
und anderen der genannten Kriterien überhaupt um konstatierbare Eigenschaften
von Individuen, wie bspw. ihre Haarfarbe? Was wäre ihr Grundbereich: die
Menge der Menschen, der belebten Dinge oder die aller Gegenstände? Ist es
überhaupt sinnvoll, sie als Begriffe im üblichen Sinne, also mit einem merkmals­
bestimmten Inhalt und einem durch ihren Gehalt festgelegten Umfang aufzufas­
sen? Oder dienen sie nicht vielmehr als "Titelwörter", die es erlauben, sich auf
eine Gesamtheit von aufeinander verweisenden Praxen, Standards, Normen und
Institutionen, die Mensch und Person charakterisieren, im Ganzen, gewisser­
maßen synoptisch zu beziehen? Oder kennzeichnen sie die Einnahme einer prak­
tischen Haltung? Wenn dies zutrifft, dann würde mittels Kriterienkatalogen des
Personseins die Tiefendimension solcher Eigenschaften und damit des Person­
seins verfehlt; wenigstens müssten der Status und die Präsuppositionen solcher
Kriterien, d.h. die Bedingungen, unter denen sie sinnvolle Unterscheidungen arti­
kulieren, neu überdacht werden.
Eine weitere Schwierigkeit kriterienorientierter Ansätze zur Person ist das
Verhältnis von Personsein und Personenstatus. Dies wird gewöhnlich als Fundie-
Einleitung: Begriff der Person und Theorie der Personalität
9
rungsverhältnis gedacht: bestimmte, deskriptiv zugängliche Qualitäten zeichnen
ein Wesen als Person aus und sind damit die Basis der Zuschreibung bzw. Aner­
kennung seines normativen Status als Person. Das scheint sinnvoll: Damit beur­
teilt werden kann, welche Konsequenzen jemand für ein Tun zu tragen hat, muss
sichergestellt sein, dass er überhaupt dessen Urheber ist, d.h. dass es sich nicht
um ein bloßes Widerfahrnis oder ein Versehen handelt, sondern um eine
Handlung, dass er sie als Handlung eines bestimmten Typs überhaupt ausführen
konnte und sie ihm daher zugerechnet werden kann und dass er in der Lage ist,
diese Zurechnung und deren Konsequenzen nachzuvollziehen, d.h. dass er frei
und rational gehandelt hat, über Selbstbewusstsein verfügt etc.
Das Problem ist, dass solche Zuschreibungen nur dann sinnvoll sind, wenn
der Personenstatus schon vorausgesetzt werden kann. Denn gewöhnlich schrei­
ben wir Personen Rationalität, Freiheit, Handlungskompetenz oder Selbstbe­
wusstsein zu und nicht etwa umgekehrt rationalen, freien, kompetenten oder
selbstbewussten Wesen Personalität. Dass zeigt sich daran, dass bspw. der Vor­
wurf der Irrationalität überhaupt nur Personen gemacht werden kann und dass
man nur bei Personen sinnvoll von einem Mangel an Selbstbewusstsein, Hand­
lungskompetenz, Einsichtsfähigkeit etc. sprechen kann. Das verweist darauf,
dass Personalität ein normativ aufgeladener, "dichter" Begriff ist, der sich dem
deskriptiv-kriterialen Zugriff entzieht.
Damit steht man aber vor einem Dilemma: Einerseits können überhaupt nur
Personen normative Konsequenzen tragen. Die Zuschreibung eines normativen
Status setzt demnach schon voraus, dass sein Träger eine Person ist; andernfalls
wäre sie sinnlos. Andererseits kann der Personenstatus nur vermittels der Zu­
schreibung normativer Konsequenzen bestimmt werden und hängt in diesem Sin­
ne gerade nicht von der vorgängigen Erfüllung bestimmter Eigenschaften ab.
Aber kann man sich nicht darin irren, wer oder was als Person zählt, wer oder
was nicht? Und setzt dies nicht von Zuschreibungen unabhängige Kriterien des
Personseins voraus? Wie dem auch sei, allein mittels kriterienbasierter Zugänge
zur Person sind diese Schwierigkeiten weder zu artikulieren noch zu lösen, weil
' sie die Präsuppositionen dieser Ansätze, genauer: deren Sinnbedingungen betref­
fen. Sie verlangen nach einer konstitutionslogischen Bestimmung des Sinnberei­
ches der Rede von Personen, was eine Festlegung des kategorialen Grundberei­
ches solcher Rede einschließt, die es dann auch erlaubt, jeden Menschen grund­
sätzlich als Person anzusprechen, selbst wenn er nicht über jede personale Kom­
petenz verfugt, die man normalerweise von Personen erwarten kann.
Nun sind gemäß dem hier diskutierten zweigliedrigen Konzept der Person die
Ansprüche der Person, insbesondere auch ihre Würde, an ihr kriterial bestimmtes
Personsein gebunden: Danach gewinnt das Individuum mit der Erfüllung der
Kriterien des Personseins Personenstatus und damit auch Würde. Hier wird nun
das grundlegende Problem kriterienorientierter Zugänge zum Problem der Per­
"
son deutlich: Sie laufen letztlich auf einen "Leistungs- bzw. "Kompetenz­
begriff' der Person hinaus, denn die Kriterienlisten sind letztlich Kataloge von
10
Frank Kannetzky/Henning Tegtmeyer
Forderungen, deren Nichterfüllung mit dem Entzug bzw. der Nichtanerkennung
des Personenstatus und der damit verknüpften normativen Konsequenzen
geahndet wird. Genauer: geahndet werden müsste, denn zu dieser Konsequenz
sind die wenigsten Autoren bereit, weil dies mit dem intuitiven "Würdebegriff'
der Person und der entsprechenden Praxis der unbedingten Anerkennung des
Personenstatus eines jeden, Menschen kollidiert. Macht man bspw. Rationalität
zur Bedingung des Personseins, dann könnten irrationale (präziser wäre freilich
,arationale') Lebewesen keine Personen sein und folglich auch keine Personen­
rechte beanspruchen. Nicht jede Person handelt rational - dieser banale, an
erratischem, plan- und grundlosem Tun tausendfach bewährte Satz wäre aus
Sicht einer Theorie, welche Rationalität als Kriterium für Personalität ansieht,
schlicht unsinnig oder hätte zur Konsequenz, dass wir die Menschen, mit denen
wir es gewöhnlich zu tun haben, nicht oder nicht permanent als Personen anse­
hen dürften. (Analoges gilt für andere Kriterien des Personseins.) Das Problem
kann auch nicht durch Abschwächung der Kriterien gelöst werden, etwa indem
man fordert, eine Person müsse nur der Möglichkeit nach über die fraglichen
Eigenschaften und Fähigkeiten verfügen. Damit kommt man vom Regen in die
Traufe. Denn was bliebe dann noch von der ursprünglichen Idee, normative Sta­
tus aufgrund der Erfüllung bestimmter deskriptiver Eigenschaften zuzuschrei­
ben? Modalbegriffe sind keine deskriptiven Begriffe.
Wichtiger ist aber, dass unter den gegebenen Prämissen aus gutem, vortheo.
retischem Grund gänzlich ungeklärt bleibt, wie mit Menschen zu verfahren ist,
denen bspw. jedes Vernunftvermögen fehlt, etwa aufgrund schwerer Hirnschä­
den, oder mit Menschen, denen es an Empathie mangelt, bspw. Autisten. Ein
Leistungsbegriff der Person kann unsere Praxis der unbedingten Zuschreibung
des Personenstatus jedenfalls nicht rationalisieren, und hält man daran fest, dass
die Zuschreibung des Personenstatus von der Erfüllung bestimmter Eigenschaf­
ten abhängt, dann muss die unbedingte Anerkennung eines jeden Menschen als
Person und damit die unbedingte Anerkennung seiner Würde irrational erschei­
nen. Diese vermeintliche Rationalitätslücke kann oder soll dann oft (und oft still­
schweigend) von ,Nutzenkalkülen der Würde' geschlossen werden- womit die
Dimension der Würde geradewegs verfehlt wird: Was eine Würde hat, hat be­
kanntlich keinen Preis. Die Frage ist demnach anscheinend nicht, ob bestimmte
Kompetenzen (und d.h. auch: bestimmte Utilitäten) notwendig sind, um als Per­
son anerkannt zu werden, sondern ob bestimmte Kompetenzen notwendig sein
sollen.
Die Tatsache, dass ein Gegenstand bestimmte deskriptive Kriterien erfüllt
oder nicht erfüllt, besagt nicht unbedingt etwas über seinen normativen Status.
Dass manche Rabenvögel den Spiegeltest auf Selbstidentifikation bestehen,
macht sie nicht zu Personen (oder, wie man unter den Prämissen der deskriptiven
Konzeptionen der Person sagen müsste, nicht zu Personen mit Personenrechten);
dass manche Menschen sich selbst im Spiegel nicht erkennen können, bedeutet
nicht, dass sie keine Personenrechte hätten. Das legt nahe, den Begriff der Person
Einleitung: Begriff der Person und Theorie der Personalität
11
als normativ aufgeladenen Begriff zu deuten. Nennt man jemanden eine Person,
dann ist dies nicht (nur) die Beschreibung eines Zustandes, sondern (zugleich)
die Zuschreibung eines normativen Status, ggf. auch eine Bewertung im Lichte
entsprechender normativer Erwartungen. Es erscheint daher unsinnig anzuneh­
men, man könnte normativ neutral und unabhängig von Anerkennungen das Per­
sonsein konstatieren und den Personen dann, gewissermaßen nachträglich, eine
Würde zuschreiben. Ist Personalität aber ein normativer Begriff und Personsein
ein normativer Status, dann müssen auch die Kriterien des Personseins normativ
verstanden werden, bspw. als Erwartungen oder Forderungen, denen Personen
normalerweise genügen müssen (und deren Verfehlung eigens gerechtfertigt oder
erklärt werden muss), also ebenfalls als normative Zuschreibungen (die freilich
oft in der sprachlichen Form von Eigenschaftsausdrücken daherkommen). Kurz:
Konstitution und Würde der Person sind nicht voneinander zu trennen, was be­
deutet, dass Unterschiede in den personalen Kompetenzen nicht auf Unterscheide
im Personenstatuts zu projizieren sind. Aber auch hier bleibt ein Problem:
Augenscheinlich hat der Personenbegriff auch deskriptiven Gehalt, und darin
liegt das partielle Recht und die Plausibilität kriterienbasierter Ansätze. Denn
auch wenn es Personen nicht unabhängig von personenkonstitutiven Zuschrei­
bungs- und Anerkennungspraxen gibt, macht die bloß subjektive Zuschreibung
oder Anerkennung von Personalität noch keine Person, auch nicht, wenn jedes
Mitglied der Gemeinschaft für sich bestimmten Zuschreibungs- und Anerken­
nungsnormen folgt. Eine Theorie der Personalität, die über bloß formale Defini­
tionen hinauskommen will, muss einen Weg finden, diesen gegenläufigen Intui.
tionen gerecht zu werden.
Den gemeinsamen Hintergrund dieser Schwierigkeiten bildet ein i.w.S. logi­
sches Problem, welches als "Paradox der Analyse" bekannt ist: die Unmöglich­
keit einer formal exakten und zugleich informativen Explikation "dichter", d.h.
immer auch bewertender Begriffe wie "Wissen" {im Falle der Gettierbeispiele)
oder wie vorliegend eben "Person". Keine eigenschaftsbasierte Definition des
Personenbegriffs kann unsere Praxis der Zuschreibung des Personenstatus und
der Anerkennung personaler Ansprüche und Rechte adäquat erfassen, weil, wie
auch der umfangreiche Korpus der Literatur zum Begriff der Person zeigt, jede
Definition durch die Konstruktion von mehr oder minder plausiblen Gegenbei­
spielen systematisch unterlaufen werden kann, was realen Veränderungen in den
Anerkennungspraxen entspräche. Es ist immer möglich, dass manche, die fak­
tisch als Personen anerkannt werden, die von einer Definition geforderten Eigen­
schaften nicht aufweisen und umgekehrt manche-Nicht-Personen diese Eigen­
schaften erfüllen, Definiens und Definiendum demnach in der Anwendung auf
einzelne Personen nicht immer austauschbar sind. Eine formal exakte und formal
korrekte Definition von durch praktische Inferenzen lind faktische Anerkennun­
gen bestimmten Realbegriffen ist immer zu eng oder zu weit, d.h. sie schließt zu­
viel oder nicht genug aus (und manchmal beides). Dies ist nun kein bloß tech­
nisches Problem, welches mittels komplexerer oder exakterer Definitionen zu
12
Frank Kannetzky/Henning Tegtmeyer
beheben wäre. In Frage steht vielmehr das grundsätzliche Herangehen an Fragen
der Personalität.
Vor diesem Hintergrund gibt es gute Gründe, mit einer Philosophie der Per­
son unzufrieden zu sein, die ihre primäre Aufgabe in einer Definition der Person
und der Artikulation entsprechender Kriterien sieht. Die Suche nach einer sol­
chen Definition und solchen Kriterien erscheint nicht nur aussichtslos, sondern
sie führt ggf. sogar dazu, fundamentale Unterscheidungen zu zerstören und prak­
tische Orientierungen zu vernebeln. Das ist z.B. dann der Fall, wenn aufgrund
eines schematischen Umgangs mit idealen Kriterien nicht mehr zwischen Nicht­
Personen und Personen mit ,Defekten' unterschieden werden kann (wie man an
den Debatten zur Sterbehilfe, zur Abtreibung, zur Klonierung etc. sehen kann),
d.h. wenn der Redebereich, in dem bestimmte Unterscheidungen und personale
Kompetenzen erst relevant sind, und seine Konstitution nicht bedacht werden.
Die Konsequenz daraus ist, dass Leistungs- und Würdebegriff der Person not­
wendig auseinanderfallen und es scheinbar keinen Weg gibt, sie wieder zusam­
menzuführen, ohne entweder die Würde oder normalerweise berechtigte Forde­
rungen an Personen aufgeben zu müssen.
Ein tendenziell gemeinsamer Zug der in diesem Band versammelten Texte ist
nun, dass sie die Frage nach der Person nicht primär als Frage nach einer trenn­
scharfen Definition der Person auffassen. Vielmehr wird unterstellt, dass philo­
sophische Analysen über die bloße Beschreibung der Verwendung der interessie­
renden Begriffe und ihre Transformation in möglichst exakte, möglichst opera­
tionalisierbare Definitionen hinausgehen müssen. Der Begriff der Person ist, und
auch das wird in vielen Texten des Bandes deutlich, auf eine Weise in unseren
Praxen verankert, die es erforderlich macht, seine Explikation in eine umsichtige
Reflexion dieser Praxen und ihrer natürlichen und kulturellen Voraussetzungen
einzubetten. Schlagwortartig lässt sich der Unterschied zur üblichen Heran­
gehensweise an das Problem und den Begriff der Person daher wie folgt zu­
sammenfassen: Statt eines fixen Begriffs der Person bedarf es einer Theorie der
Personalität.
Nun ist die Unterscheidung zwischen Begriff und Theorie vage - der volle
Begriff einer Sache umfasst immer Tickets auf erlaubte Schlüsse, Relationen zu
anderen Begriffen, paradigmatische Fälle und paradigmatische Nicht-Fälle, Pro­
jektionslinien auf neue Fälle und vieles mehr, und insofern immer auch Urteile
über die fragliche Sache. Als ein Knotenpunkt im Netz möglicher Inferenzen ist
der Begriff der Person daher letztlich gar nicht anders zu bestimmen als über
eine Vielzahl von Verknüpfungen mit anderen Gebieten der Philosophie und der
Geistes- und Sozialwissenschaften sowie unseren praktischen Welt- und Selbst­
beschreibungen. Dabei wird deutlich, dass ihm umgekehrt eine Schlüsselstellung
im philosophischen Fragen überhaupt eingeräumt werden muss, sofern alther­
gebrachte, zentrale Konzepte der Philosophie wie Subjektivität, Rationalität,
Selbstbewusstsein, Vernunft, Moralität, Handlung, Praxis, Interesse u.a. erst als
Einleitung: Begriff der Person und Theorie der Personalität
13
Vermögen von und Forderungen an Personen überhaupt verständlich gemacht
und ihre Gehalte im Leben verankert werden können.
Diese Art der Annäherung bedeutet nun keinen Bruch mit den traditionellen
Herangehensweisen, markiert aber dennoch eine, wie wir meinen, wichtige
Differenz der Fragestellung, genauer eine Blickwendung, die ihre terminologi­
sche. Entsprechung in der Unterscheidung von Person und Personalität findet.
Nach Personalität zu fragen statt nach der Person ist offener, reflexiver und
nimmt die Frage nach der Person selbst in den Blick. Es geht dabei nicht primär
um die Frage, was eine Person ist und wann wir den Personenstatuts zu Recht
zuschreiben. Vielmehr ist nach den Voraussetzungen solcher Zuschreibungen zu
fragen, also danach, was es heißt, von Personen zu sprechen, und worauf wir uns
damit einlassen, aber auch worauf sich das Vokabular des Subjektiven bezieht
und in welchem Sinn hier überhaupt von Referenzobjekten gesprochen werden
kann, wann und wie und zu welchem Zweck wir das tun, was wir dabei mitsagen
und worauf wir uns damit in normativer Hinsicht festlegen, welche systemati­
schen Fehler und Missverständnisse dabei vorkommen mögen, ferner, wie das
Verhältnis von Sein und Werden der Person zu verstehen ist, wie der Einzelne
überhaupt zur Person werden kann, in welchem Sinne bestimmte Vermögen kon­
stitutiv für die Person sind und wieweit deren Abwesenheit, bspw. spezifische
Formen der Irrationalität, ebenso gut dazugehört, ob bzw. in welchem Sinne
Personalität eine historische Größe ist, d.h. wie sich nicht nur der Begriff der
Person, sondern die Realität, die eine solche Unterscheidung notwendig macht,
verändert hat, und nicht zuletzt, welche auch lebensweltlichen Konsequenzen
verschiedene theoretische Modelle von Personalität haben.
Diese Verschiebung der Fragestellung hin zu Analysen der sinnvollen Ver­
wendung und des Sinns der Verwendung dieses Begriffs spiegelt sich nun auch
im Titel und den Texten des vorliegenden Bandes. Die Artikulation von Kriterien
der Personalität und die Fixierung wichtiger Verwendungsweisen des Personen­
begriffs in definitionsähnlichen Festlegungen betreffen zwar einen wichtigen,
aber eben nur einen, nämlich den expressiven Aspekt der unter dem Titel "Perso­
nalität" reflektierten personkonstitutiven Praxen. Das Unternehmen einer Theorie
der Personalität muss denn auch nicht als philosophische Spezialdisziplin, son­
dern als disziplinübergreifendes und -integrierendes Unterfangen angelegt wer­
den. Die vorliegenden Kriterien und Definitionen sind dabei keinesfalls belang­
los, denn in ihnen werden gewöhnlich wichtige Unterscheidungen artikuliert, die
den Ansatzpunkt und die Reibungsfläche weiterer Analysen bilden. Es bleibt
aber zu klären, vor welchem Hintergrund sie Geltung beanspruchen können,
waruni gerade diese und nicht andere Eigenschaften und Kriterien wichtig sind,
was sie bedeuten, d.h. welche Folgerungen und Projektionen sie zulassen,
welchen theoretischen Status sie beanspruchen können und wie sie in unsere
Theorien und Praxen eingebunden sind. Die philosophischen Probleme mit dem
Begriff der Person sind nicht so sehr auf Mängel an den bisherigen Personendefi­
nitionen zurückzuführen. Was wir brauchen, sind nicht primär bessere Definitio·
14
Frank Kannetzky/Henning Tegtmeyer
nen; schon die Definition des Boethius reicht diesbezüglich im Grunde aus. Im
besten Falle werden Bestimmungen der Person nach dem Muster solcher tradi­
tioneller Definitionen in einer Theorie der Personalität "aufgehoben",. was ein­
schließt, sie bei aller Kritik· nicht schlicht für falsch zu erklären, sondern über
Analysen der Bedingungen ihrer sinnvollen Verwendung ihren guten Sinn und
den Gehalt ihrer Unterscheidungen und damit auch den Sinn des Personbegriffs
freizulegen. In dieser Herangehensweise besteht eine erstaunliche Übereinstim­
mung zwischen der Mehrzahl der im Band versammelten Texte.
Dabei geraten konstitutionslogische Probleme der Person und ihre methodi­
sche Ordnung in den Fokus, und diese sind auch ein zentrales Thema des vorlie­
genden Bandes, wobei die soziale Konstitution von Personalität einen gemeinsa­
men Bezugspunkt vieler Texte darstellt: Das Ich kann nicht sinnvoll ohne ein
"Wir", die Person nicht ohne Verankerung in Gemeinschaften gedacht werden.
Dieser gemeinsame Bezugspunkt wird nun ganz unterschiedlich und z.T. kontro­
vers ausbuchstabiert sowohl mit Blick auf den Menschen als Kooperationswe­
sen als auch unter ontogenetischen Aspekten, von der Konstitution der mensch­
lichen Anschauung und dem Vermögen zum Perspektivenwechsel über Probleme
der Anerkennung und der kollektiven Struktur personaler Identität und der Wür­
de der Person bis hin zur Konstitution des Selbst in Kooperationen, Spiegelprak­
tiken oder auch in Formen der Selbstdarstellung. Die Vielfalt der verhandelten
Probleme reicht dabei von der anthropologischen Diskussion des Tier-Mensch­
Vergleichs und der Diskussion biologischer Dispositionen und Bedingungen des
Personseins über die kulturelle Formbestimmtheit der Person bis hin zum Pro­
blem des Lehrens und Lemens in der Ontogenese. Erst die Gesamtheit solcher
Überlegungen, der synoptische Blick auf die Verfasstheil des Menschen, vermit­
telt einen Begriff von Personalität.
Naturgemäß überschneiden sich die Texte des vorliegenden Bandes thema­
tisch in vielen Punkten ebenso, wie sie hinsichtlich der philosophisch-theoreti­
schen Orientierung, der inhaltlichen und methodischen Herangehensweisen an
ihr Thema divergieren. Deshalb ist die Gliederung des Bandes in verschiedene
Abschnitte eher tentativ zu lesen, die Texte könnten auch anders angeordnet wer­
den. Wir haben sie nach traditionellen Unterscheidungen sortiert. Die einzelnen
Abschnitte sind eher als Aspekte oder zentrale Topoi einer komplexen Debatte
über Personalität zu lesen denn als Stufen eines bestimmten Theorieaufbaus o.ä.
Dass bspw. Spiegelpraktiken als Bedingung von Personalität die Interaktion mit
anderen Individuen voraussetzen, hätte es gerechtfertigt, den Beitrag von
W. Prinz unter die Rubrik PERSON UND GEMEINSCHAFf zu stellen, ebenso gut
wäre er aber in der Rubrik DIE KONSTITUTION VON PERSONALITÄT aufgehoben.
Ähnliches gilt auch von der Mehrzahl der anderen Texte des Bandes. Deshalb
sollte die Anordnung der Texte im Band nicht als Festlegung auf eine Fundie­
rungsordnung verstanden werden, etwa in dem Sinn, dass kognitive und prakti­
sche Vermögen des Individuums dessen Personsein konstituierten und damit
seine Einbindung in Gemeinschaften ermöglichten, die wiederum rechtliche Set-
Einleitung: Begriff der Person und Theorie der Personalität
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zungen erforderten. Warum dies ein grobes Missverständnis von Personalität
wäre, das ist ein zentrales Thema der Beiträge dieses Bandes.
Die vorliegenden Texte, bis auf die Beiträge H. Molls und H. Ikäheimos,
beruhen auf Vorträgen, die im Sommersemester 2005 im Philosophischen Kollo­
quium der Universität Leipzig gehalten worden sind.
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