Ein Eiermann mit Vergangenheit Mit der Uraufführung des Schanz

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Ein Eiermann mit Vergangenheit
Mit der Uraufführung des Schanz-Stückes „Altensalzkoth“ erinnert das
Schlosstheater Celle an Eichmann in der Heide
Von Heinrich Thies
Für Otto Lindhorst ist es ein bisschen, als blicke er in einen Spiegel und
höre sich selbst beim Reden zu. Auf der Bühne nämlich steht ein Bauer wie
er und erzählt von einem berühmt-berüchtigten Mann, der sich in der
Nachkriegszeit auf seinem Hof einquartiert und Wand an Wand mit ihm
gewohnt hat: Adolf Eichmann alias Otto Heninger.
Der Organisator des Judenmords lebte von 1946 bis 1950 unerkannt unter
falschem Namen in dem Heidedorf Altensalzkoth bei Celle als Waldarbeiter
und Hühnerzüchter. Das Schlosstheater Celle hat dieses denkwürdige
Geschichtskapitel jetzt auf die Bühne gebracht – mit einem Stück von Peter
Schanz, das sich als „Recherche in unserer Nachbarschaft“ versteht. Der
erfolgreiche Dramatiker, der gerade mit Stücken über die „Prinzessin von
Zelle“ und die Pornokönigin Beate Uhse hervorgetreten ist, lässt Zeitzeugen
ebenso zu Wort kommen wie Adolf Eichmann in Gestalt einer lebensgroßen
Puppe. Natürlich hat sich Schanz auch mit Otto Lindhorst unterhalten, der
noch ein Schuljunge war, als Eichmann in seinem Elternhaus lebte. Der
heute Achtzigjährige sitzt mit seiner Frau bei der Uraufführung von
„Altensalzkoth“ in der ersten Reihe und lauscht, was sein deutlich jüngeres
Ebenbild auf der Bühne, mit einer Einblendung als Otto L. bezeichnet, über
den einstigen Mieter erzählt: „Der war ganz hilfsbereit und hat mir immer
zurecht geholfen, mit den Maschinen und so… Er konnte immer ganz
interessant erzählen und wusste immer alles, was so los war.“ Nur mit der
Kirche habe Eichmann nichts am Hut gehabt. Stets habe er gesagt: „Ich
verbitte mir, wenn ich mal sterbe, dass da ´n Pfaffe mitläuft.“
Lindhorst fühlt sich korrekt zitiert. „Genauso war das“, sagt der alte Herr
nach der Aufführung. „Der war ganz nett.“ Auch seine Frau findet das
Stück „wunderbar“. Dieser Ansicht sind aber nicht alle in der Familie.
Lindhorsts Nichte fand es so unerträglich, „wie die Dorfbewohner in dem
Stück lächerlich gemacht werden“, dass sie herausgelaufen ist. Auch ihre
17-jährige Nichte Pia meint, dass die Leute im Dorf „diskriminiert“
werden. Nicht ganz ohne Grund. Die Frauen mit Kopftuch und
Kittelschürze etwa wirken schon ziemlich dusselig.
Doch der Skandal bleibt aus. Der Applaus ist laut, anhaltend und von
Bravorufen durchsetzt. Dabei verlangt dieses Stück dem Publikum einiges
ab. Es erzählt keine Geschichte, sondern dokumentiert Geschichte – auf
unterschiedlichen Ebenen und aus wechselnden Perspektiven. Ein
Kaleidoskop der Nachkriegszeit aus Sicht der Einheimischen, der
„Besatzer“, der entlassenen Häftlinge, der Flüchtlinge. Die Darsteller
springen – bravourös – von einer Rolle in die andere, sprechen ins
Publikum, sprechen miteinander, durcheinander oder im Chor.
Es beginnt mit einem Vorspiel, in dem sich fünf Theaterbesucher über das
umgebaute Schlosstheater unterhalten („Ich fand es vorher besser“) und ihre
Erwartungen zu dem bevorstehenden Theaterereignis austauschen, das einer
schon gleich als „Nazi-Scheiße“ abqualifiziert. Dann wird ein Kiefernwald
sichtbar, und die Annäherung an den Kriegsverbrecher in der Heide nimmt
ihren Lauf. Während (wie einst Eichmann) jemand im Hintergrund Holz
hackt, werden Erinnerungen wach: „Er hatte gute Manieren“, heißt es da.
„Er war so tierlieb, so freundlich mit seinen Hühnern…“ Nein, eigentlich
kann niemand etwas Schlechtes über den „Eiermann“ sagen, der seine Eier
auch an die früheren Lagerinsassen in Bergen-Belsen verkauft haben soll,
die noch nach dem Krieg jahrelang als Verschleppte an ihrer Leidensstätte
ausharrten.
Was die Mitbewohner an Eichmann vor allem schätzten, war seine
Musikalität: „Er konnte so zauberhaft Geige spielen.“ Peter Schanz, der sein
Stück auch selbst inszeniert hat, gibt dieser Musik breiten Raum. Es sind
nicht nur heimattümelnde Weisen wie „Auf der Lüneburger Heide“ oder
„Kein schöner Land“, die sich durch das Stück ziehen, sondern auch
klassische Stücke von Beethoven und Mozart. Das Verstörende an
Eichmann war ja gerade die Verbindung von humanistischer Bildung und
der technischen Abwicklung eines beispiellosen Massenmords.
Die Musik in „Altensalzkoth“ spielt aber nicht nur für die Täter, sondern
verleiht ebenso den Opfern Ausdruck. Die Musiker entlocken ihren
Instrumenten auch Kleszmer-Klänge – Ulrich Jokiel mit dem Akkordeon
und Johann-Michael Schneider mit der Strohgeige, einer rumänischen
Fiedel mit Metalltrichter. Die Inszenierung entwickelt auf diese Weise eine
Wärme, die dem Stück emotionale Tiefe verleiht. Besonders bewegend aber
wird es, wenn Theatermusiker Jokiel sich in Jacob R. verwandelt und
erzählt, wie er als Kind jüdischer Eltern 1948 in Bergen-Belsen geboren
wurde und die Spätfolgen des Holocaust mit der Muttermilch aufsog – eine
Geschichte, die Parallelen zur Lebensgeschichte des jüdischen Musikers
aufweist.
„Altensalzkoth“ bleibt nicht in der Vergangenheit. In einem Epilog geht das
Stück auch auf die aktuelle Debatte um Straßennamen ein, die an lokale
Nazi-Mitläufer erinnern sollten – zum Beispiel an Hanna Fueß, nach der bis
2011 in Celle ein Weg benannt war. Dabei hatte die Löns-Freundin in der
Celleschen Zeitung noch in der Nachkriegszeit ausschließlich über die
Leiden der Alteingesessenen geschrieben.
Es gab Zeiten, da hätte diese Art von Vergangenheitsbewältigung im
Schlosstheater Celle heftige Proteste ausgelöst. Dass jetzt der Beifall
überwiegt, ist aber wohl nicht nur eine Frage des Inhalts, sondern auch der
hervorragenden Ensembleleistung.
Weitere Aufführungen um 20 Uhr bis 13. März.
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