Bilaterale Kataraktchirurgie

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Bilaterale Kataraktchirurgie
H. Häberle
Zusammenfassung
Eine simultane Operation an einem Tag ist in der refraktiven Chirurgie seit einigen Jahren Standard. Bei der heutigen atraumatischen minimalinzisionalen Kataraktchirurgie ist dank Tropfanästhesie und Weglassen des Augenverbandes in der Konsequenz
sofortiges Sehen postoperativ ebenso möglich – trotzdem bleibt das simultane Vorgehen eine individuelle Entscheidung des Patienten und Operateurs und aus Sorge vor
bilateralen visusbedrohenden postoperativen Komplikationen keine Routineprozedur.
Der Anteil an hochbetagten und immobilen Patienten mit erheblichem perioperativen
Pflege- und Betreuungsaufwand wächst. Bei Patientenwunsch oder Immobilität und
Vorliegen von Komorbiditäten ist simultanes Operieren berechtigt, um den perioperativen Betreuungsaufwand zu halbieren. Die kompetente und sensibilisierte Nachsorge
muss sichergestellt sein. Kontraindikationen stellen komplizierte okuläre Situationen
dar wie fortgeschrittenes nicht reguliertes Glaukom, Endotheldystrophie oder Linsenluxation. Bei sehr hohem Anspruch an die Zielrefraktion und schwieriger Biometrie ist
ein sequenzielles Vorgehen zu bevorzugen. Für jede Ophthalmochirurgie sind besondere Prozess- und Hygienestandards einzuhalten und infektionsprophylaktische Maßnahmen zu ergreifen. Das Risiko einer Endophthalmitis ist nicht verdoppelt.
Linsenchirurgie heute
Die Ergebnisvorhersage in der modernen Kataraktchirurgie ist so sicher wie noch
nie. Dank optischer Biometrieverfahren und Linsenberechnungsformeln der neuesten Generation besteht bereits präoperativ eine ziemlich genau vorhersagbare Zielrefraktion. Der standardisierte Verzicht auf injektive Anästhesieverfahren schließt
lokale und allgemeine Risiken wie Bulbusperforation, periorbitales Hämatom oder
Hirnstammanästhesie aus. Tropfanästhesie und Weglassen eines Augenverbandes
erlauben dem Patienten sofortiges Sehen nach der Operation. Kleinstschnitttechnologie führt zu einem minimalinvasiven Operieren im praktisch geschlossenen System. Einmalmaterialien und anwenderorientierte OP-Pakete bis hin zu gebrauchsfertigen preloaded Linsenmodellen erhöhen für das OP-Team die Sicherheit bei
hochfrequenten OP-Zahlen. Die verbliebene aufwendige Instrumentenaufbereitung
und Sterilisation erfolgt seit der BSE-Krise an Kliniken inzwischen maschinell und
validiert und wurde auf ein Minimum an wiederzuverwendenden Materialien beschränkt. Erfahrene Operateure haben kurze Schnitt-Naht-Zeiten. Umso mehr fällt
die perioperative apparative und räumliche Logistik als personalintensiver und
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zeit­limitierender Faktor ins Gewicht. Kontinuierliches Qualitätsmanagement und
High-volume-Chirurgie führen zu hohen Prozessstandards intra- und perioperativ. In der refraktiven Hornhautchirurgie ist das bilaterale Vorgehen für die LASIK
bereits seit 2000 von der Kommission für refraktive Chirurgie zugelassen. Für ein
serviceorientiertes Vorgehen und um eine rasche visuelle Rehabilitation zu erreichen, wird auch die Implantation phaker Linsen zur refraktiven Korrektur gern simultan praktiziert. In einer aktuellen Umfrage der ESCRS führten 2009 10 % aller
Kataraktchirurgen bereits bilaterale Eingriffe durch [2]. Im Jahr 2008 gründete
Steve Arshinoff die iSBCS, um Grundregeln für die simultane bilaterale Katarakt­
chirurgie zu etablieren (www.ISBCS.org) sowie mehr statistisches Material zu erlangen.
Allerdings gibt es auch Länder, in denen simultanes Operieren unter finanzieller
Strafe steht (Ungarn, Israel, Japan, USA) [3].
Indikationen simultaner Kataraktchirurgie
Die Patienten zur immer selteneren stationären Kataraktoperation mit lediglich
24 h Aufenthalt sind überdurchschnittlich oft hochbetagt, immobil und haben nicht
nur internistische, sondern auch neurologische, psychiatrische und orthopädische
­Komorbiditäten. Der demografische Wandel ist Alltag. Dies macht Transport und Lagerung des Patienten sowie seine Sedierung während der Operation anspruchsvoll.
Dabei handelt es sich bei 35 bis 45 % aller Kataraktoperationen um einen Eingriff
am zweiten Auge. Um den perioperativen Aufwand für alle Beteiligten zu halbieren,
liegt es nahe, aus klinischer, ökonomischer und sozialer Sicht beide Augen simultan zu operieren. Die Phase der visuellen Rehabilitation wird verkürzt und die Bin­
okularfunktion mit Stereopsis sofort wiederhergestellt, das Sturzrisiko gemindert.
Simultane Operation bedeutet definitionsgemäß Operation unmittelbar nacheinander, sequenzielle Operation innerhalb von vier bis sechs Wochen. Bei schwieriger
Biometrie ist eine Operation auch an zwei aufeinanderfolgenden Tagen während
eines stationären Aufenthaltes sinnvoll. Für die Patientensicherheit sind für dieses
Vorgehen die operativen Aspekte wie Vermeidung frühpostoperativer Komplika­
tionen wie Tensioentgleisung, Hornhautdekompensation sowie Erreichen der Zielrefraktion, Risiko eines toxischen anterioren Segmentsyndroms (TASS) oder einer
akuten Endophthalmitis wesentlich. Daneben gilt es von nachbetreuender Seite, die
adäquate und sensible Nachsorge und Therapie sicherzustellen.
Frühpostoperative Komplikationen
Ein transienter Druckanstieg wird in 1,2 bis 4,3 % der Fälle beobachtet und lässt
sich durch sorgfältige Entfernung von Viskoelastika und ggf. prophylaktische Gabe
lokaler und systemischer antiglaukomatöser Therapie vermeiden. Patienten mit
Glaukom sind keine geeigneten Kandidaten für simultane Operation. Das Risiko von
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Spezielle OP-Techniken
transienten Endotheldekompensationen liegt bei 2 %, Augen mit Endotheldystrophie sollten ebenso von simultaner Operation ausgeschlossen werden. Das Auftreten einer expulsiven Blutung ist äußerst selten und tritt in der Regel intraoperativ
auf, würde somit sofort bemerkt. Die OP des Partnerauges müsste dann unterlassen
werden. Risikofaktoren stellen dekompensierter Hypertonus, ausgeprägte Arteriosklerose und extreme Achsenlängen dar. Solche Patienten sind keine Kandidaten
der ersten Wahl für simultanes Vorgehen.
Abweichung von der Zielrefraktion
Im Jahr 2011 wurden an der Klinik für Augenheilkunde in Neukölln 58 Patienten bilateral während eines stationären Aufenthaltes operiert, 80 % simultan, 20 % an
zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Bei 14 % lag eine unilaterale mature Katarakt
vor, bei 10 % bilateral. Bei 20 % der Fälle war aufgrund der Linsensituation oder
der Immobilität nur eine Ultraschallbiometrie möglich. Darüber hinaus schwankte
die Achsenlänge zwischen 19 und 32 mm (im Mittel 23,3 mm). Bei 75 % der Augen
wurde die Zielrefraktion innerhalb 1,0 dpt erreicht, bei 50 % innerhalb 0,5 dpt und
bei 28 % innerhalb 0,25 dpt. In der Helsinki-Studie, die seit 2002 507 Patienten
mit simul­taner Phako versus sequenzieller Phako u. a. hinsichtlich Erreichen der
Zielrefraktion unter Ausschluss extremer Achsenlängen und K-Werte einschloss,
ergab sich kein statistisch signifikanter Unterschied im Abweichen von der Ziel­
refraktion zwischen beiden OP-Zeitabständen. Wenn allerdings von Patientenseite
ein ­hoher Anspruch an die gewünschte Zielrefraktion im Vordergrund steht und
­darüber h
­ inaus eine Achsenlänge unter 22 mm oder über 25 mm besteht oder keine
­optische Bio­metrie möglich ist, empfehlen wir ein sequenzielles Vorgehen (mind.
zwei Wochen Abstand zwischen beiden OPs) für einen individuellen Korrekturfaktor nach subjektivem ­Refraktionsabgleich bei der Wahl der Linsendioptrie des
zweiten ­Auges.
TASS (Toxic Anterior Segment Syndrom)
Beim TASS handelt es sich um eine frühpostoperative (d. h. nach zwölf bis 48 h
auftretende) fibrinogen- und endotoxinassoziierte sterile anteriore Uveitis, die
sich unter Steroidgabe bessert. Serienausbrüche in OP-Zentren sind in der Li­tera­
tur mehrfach beschrieben. Ursächlich waren hierbei entweder intraokular verwendete Medikamente und Spüllösungen, deren pH-Wert oder Osmolarität nicht
stimmte aufgrund falsch angemischter selbsthergestellter Konzentrationen, oder
die intraokulare Verwendung von nicht dafür zugelassenen Substanzen. Andere
Haupt­ursachen waren in einer Serie Rückstände von Detergenzien, Seifen oder
Enzymen aus dem Ultraschallbad oder dem Reinigungs- und Desinfektionsgerät. Weitere Ursachen waren Eiweißablagerungen auf sterilisierten, jedoch
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ungenügend vorgereinigten Instrumenten und oxidierte Metallrückstände. Auch
BSS-Lösungen können vom Hersteller mit erhöhten Endotoxinkonzentrationen belastet sein.
Akute postoperative Endophthalmitis
Die akute Endophthalmitis tritt innerhalb 14 Tagen postoperativ mit einer Inzidenz
von 0,2 bis 0,5 % auf, in einer Analyse über 1 Mio. Kataraktoperationen in Schweden
sogar bei nur 0,1 bis 0,04 %. Klinisch imponiert eine Uveitis anterior und posterior. Ein Erregernachweis gelingt nicht immer, in bis zu 80 % der Fälle ist Staph.
epidermidis ursächlich. Einzig nachgewiesene Risikofaktoren sind in der großen
ESCRS-Endophthalmitisprophylaxe-Studie eine Wundinsuffizienz bei Clear-CorneaTunnel bzw. Hypotonia bulbi. Serienausbrüche sind extrem selten und wenn, dann
sind nicht alle OPs eines Programms oder eines Tages betroffen gewesen. Externe
Risikofaktoren stellen hier laut Literatur kontaminierte Spüllösungen, insbesondere
durch Hinzugabe von Medikamenten, wiederverwendete kontaminierte Schlauchsysteme oder auch ungenügend gewartete Klimaanlagen dar. Beschriebene Fall­
serien waren nicht an einem OP-Tag/-Saal oder bei jeder OP, nicht immer gelang der
Erreger-/Quellennachweis. Gefundene Erreger bei den Serien waren Pseudomonas,
Strenotrophomonas maltophilia, Empedobacter brevis, Fusarium, Aspergillus. In
einer aktuellen Analyse der ISBCS wurden 18 unilaterale und keine bilaterale Endo­
phthalmitis nach intrakameraler Gabe von Antibiotika bei 125.188 simultan operierten Augen gesehen. Insgesamt lag die Endophthalmitisquote hier bei 1 : 10.000
(intrakamerales Cefuroxim) vs. 1 : 55.000 (intrakamerales Vancomycin). Allerdings
bleibt das Berechnen statistischer Risiken sehr großen Fallzahlen vorbehalten, die
für die simultane bilaterale Chirurgie noch nicht existieren.
Infektionsprophylaktische Maßnahmen
Bei simultaner OP erfolgt ein komplett neuer Sterilaufbau im OP. Verschiedene
Chargen werden pro Auge verwendet und werden speziell dafür bereitgehalten (OP-­
Instrumente, Spüllösungen, Viskoelastika, preloaded IOL). Bei Komplikationen
während der OP des ersten Auges wird vom simultanen Vorgehen Abstand genommen. Bei vier Fällen in der Weltliteratur, die seit 1952 eine bilaterale Endophthalmitis
entwickelten, waren die strengen Sterilmaßnahmen mit komplett neuem Sterilaufbau nicht eingehalten worden.
Präoperativ gilt die zehnminütige Einwirkdauer von PVP Iod 5 %-Lösung im
Bindehautsack und unverdünnt auf die periokulare Hautregion als einzig wirksam.
­Zilien müssen sicher durch eine Klebefolie bedeckt werden, zusätzlich breitbasige
Metalllidsperrer sind hierbei günstig. Wesentlich ist eine perfekte Wundarchitektur
mit einem dichten und sicheren Wundverschluss. Als Linsenmaterial ist die Verwen-
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Spezielle OP-Techniken
dung von Intraokularlinsen mit Silikonoptik zu vermeiden, da sie in der ESCRS-­Studie
eine höhere Inzidenz für Endophthalmitis aufwiesen. Postoperativ gelten antibiotische und steroidhaltige Augentropfen als Standardtherapie. Intraoperativ dürfen­
nur intraokular zugelassene und konservierungsmittelfreie Medikamente, BSS
und Spüllösungen verwendet werden. Einmalmaterialien und Fertigspritzen sind
zu bevorzugen. Flusenfreies Arbeiten und maschinelle validierte spezielle Augen­
instrumentenaufbereitung ist Voraussetzung. Das von der ESCRS-Leitlinien am Ende
der OP intrakameral empfohlene Cefuroxim (1 mg in 0,1 ml BSS) ist als Fertigspritze
nicht erhältlich, das Kontaminationsrisiko durch Anwendungsfehler ist nicht ausgeschlossen. Andere intrakameral verwendete Antibiotika mit breiterem Wirkspektrum
und geringerer Resistenzquote sind Vancomycin (1 mg in 0,1 ml BSS) und Moxifloxacin
(100 bis 500 µg/0,1 bis 0,2 ml BSS). Die Überlegenheit eines intrakameralen bestimmten Antibiotikums ist bisher statistisch nicht nachgewiesen. Moxifloxacin zeigt als
einziges der intrakameral verwendeten Antibiotika keine zeitabhängige, sondern
eine dosisabhängige bakterizide Wirksamkeit und ist am einfachsten herzustellen,
um das Risiko falscher Konzentrationen zu verringern. Die Resistenz­entwicklung
wird allerdings durch Flächeneinsatz für alle Antibiotika gefördert. Die Infektionsquote wird somit niemals auf null sinken können.
Neben der Noncompliance des Patienten können immer zusätzlich andere räumlich-bauliche oder menschliche Faktoren (Operateur, OP-Schwester) eine Endo­
phthalmitis begünstigen.
Fazit
Die bilaterale simultane Phako ist keine Routineprozedur, sondern erfordert eine
individuelle Entscheidung und Operation durch einen erfahrenen Operateur. Ausschlusskriterien sind komplizierter Verlauf des ersten Auges und komplexe ophthalmologische Situationen. Das Risiko einer Endophthalmitis ist nicht erhöht unter
Einhaltung strenger Steril- und Hygienestandards und infektionsprophylaktischer
Maßnahmen.
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