Multimodale Werbekommunikation – Theorie und Praxis

Werbung
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Multimodale Werbekommunikation
– Theorie und Praxis
HARTMUT STÖCKL
Abstract
The present contribution discusses the complex relations between advertising research (theory) and the making of advertising (practice). It argues
that advertising theory may only be useful for the advertising agencies if
the knowledge generated is practically relevant, accessible, comprehensible
and the external conditions favour its application. Based on a concise assessment of the interrelationship between research and practice (2) and a
careful examination of available theory ! mainly from pragmatic linguistics and communication studies (3.1) ! the paper suggests some promising
ways of future advertising research, such as multimodal corpus analysis,
contrastive stylistics, advertising history, professional writing, and empirical reception studies (3.2). The article also proposes and explains some
key-principles of a methodology for contemporary and applied advertising
research (3.3) including a multimodal and holistic perspective, an array of
semiotic tools of analysis, a firm basis of transcription and a focus on
motivating design decisions. Finally, the paper provides a multimodal sample analysis of a recent TV-commercial thus outlining a feasible methodology applicable to a number of practical purposes.
1. Subjektive Theorien der Werbepraxis über Wissenschaft
Für ein methoden-komparatistisches Buch zu multimodaler Textanalyse
(Schneider/Stöckl 2011) habe ich Art-Director und Texter der Agentur
EURO RSCG Düsseldorf interviewt. Neben einigen konzeptionellen
und produktionstechnischen Details zu dem analysierten Werbespot
wurde auch nach dem Nutzen der Theorie für die Praxis und nach deren
Verhältnis zueinander gefragt. Darauf bekam ich die folgende Antwort:
Jede Zeit bringt ihre Werbewirkungs-Theorie(n) mit sich, die für einen kurzen
Zeitraum gilt, und schon beim nächsten Projekt obsolet und überholt ist/
Zeitschrift für angewandte Linguistik (2011), 5!32
DOI 10.1515/zfal.2011.002
14339889/2011/054!0005
! Walter de Gruyter
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scheint. Rapid ablaufende gesellschaftliche sowie technische Prozesse sorgen
dafür. Gewiss gibt es grundlegendere konsumentenpsychologische bzw. kommunikationswissenschaftliche Theorien, die länger Bestand haben, dafür aber
umso allgemeiner und daher für unsere tägliche Arbeit irrelevant sind. Man
kann in der Werbehistorie gewisse „Moden“ erkennen, die von jeweiligen
Theorien begleitet werden. Für Nachbetrachtungen interessant, aber im
schnellen Alltagsgeschäft mit ständig wechselnden Trends dürfte es für wissenschaftliche Arbeit ziemlich schwer werden, da Schritt zu halten. Werbetreibende sind natürlich für wissenschaftliche Unterstützung dankbar, um sich
einen Wettbewerbsvorteil durch Differenzierung zu sichern. Dies funktioniert
aber selbstverständlich nur, solange nicht alle auf den gleichen Zug aufspringen.
(Schneider/Stöckl 2011 i. D.)
Betrachtet man diese Aussage als exemplarische subjektive Theorie der
Praxis, so lassen sich daraus die folgenden Beobachtungen zum Verhältnis von Werbeforschung und Werbepraxis entnehmen und aus der Sicht
des Theoretikers kritisch kommentieren. Ein vordergründiges Interesse
der werblichen Praxis an der Theorie richtet sich auf die Werbewirkung ! dazu können Linguistik, Semiotik und Multimodalitätsforschung prinzipiell wenig aussagen. Sie betrachten ja das Textprodukt
und seine Zeichenstrukturen im breiteren soziokulturellen Kontext; die
empirische Rezeptionsforschung sei hier einmal ausgenommen (Bucher
2011a/b). Es sind neue und spezifische Erkenntnisse gefragt; selbst wenn
es diese gäbe, stünde ihr Nutzwert in Frage, weil die Praxis vielgestaltig
und schnelllebig ist. Dieses Argument ist sehr ernst zu nehmen, da der
Werbeforscher existierende Praxis immer nur post-hoc beschreiben kann.
Vorhersagen oder praktische Handlungsempfehlungen sind wohl kaum
möglich. Für die Theorie sieht der Praktiker das Problem, mit den Beschreibungen und Erklärungsmodellen von Werbetexten beständig der
sich rasch wandelnden Gestaltungspraxis hinterherzulaufen. Auch hier
scheint die Theorie in einer schlechten Position zu sein. Den Nutzwert
von Wissenschaft(en) über Werbung sieht der Praktiker recht klar marktorientiert als Wettbewerbsvorteil oder Alleinstellungskriterium in der
Agenturszene. Dass dies ein Anspruch ist, der sich mit der Ausrichtung
bestehender Werbeforschung kaum erfüllen lässt, dürfte recht zweifelsfrei sein.
Weitere Fragen zur Reflexion der eigenen Arbeit förderten noch eine
erwartbare aber wichtige Aussage zu Tage: „Meistens ist es ein Bauchgefühl ! resultierend aus Erfahrung ! das einem zum richtigen Ergebnis
führt.“ (Schneider/Stöckl 2011 i. D.). Dies bedeutet, dass man positivistisch im Sinne einer Methode-Ergebnis-Relation über Werbegestaltung
denkt und sich dabei auf Erfahrungswissen, Intuition und Kreativität
verlässt. Auch dies heißt zunächst nichts Gutes für den Stellenwert der
Theorie. Soll man daraus den Schluss ziehen, dass sich die Theoretisie-
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rung der Werbung und ihre gestalterische Praxis nichts zu sagen haben?
Muss man akzeptieren, dass zwei soziale Praktiken im Raum einer Gesellschaft auf unterschiedlichen Umlaufbahnen kreisen, die sich kaum
kreuzen und berühren? Ist es nur der Theoretiker, der den Output des
Praktikers zum wissenschaftlichen Bespiegeln benötigt oder gibt es etwas, das die Angewandte Linguistik im Sinne ihres Anspruchs „realworld problems“ (Brumfit 1997: 93) zu lösen dem Praktiker bieten
könnte?
Ich möchte im Folgenden (2) dem Verhältnis von Theorie ! d. h. der
im weiten Sinne pragma-linguistischen Analyse und Beschreibung von
Werbetexten und -kommunikationsprozessen ! und Praxis, also der
Konzeption, Gestaltung und Inszenierung von Werbekommunikaten
nachgehen. Dabei sind zwei Sichtweisen notwendig: 1) Bedarf die Praxis
der in der Wissenschaft generierten Erkenntnisse und Modelle; kann sie
damit etwas anfangen? und 2) Ist die Theorie tatsächlich an der Praxis
interessiert; kann der Theoretiker sie überhaupt wahrnehmen? Aus der
Erkundung dieses Verhältnisses werde ich dann Schlüsse für die mögliche
Ausrichtung linguistischer Werbeforschung ziehen (3); allerdings nicht
ohne zu bewerten, was bereits geleistet wurde und wo Probleme und
Defizite bestehen. Schließlich möchte ich an einem Fallbeispiel zeigen,
welche Erkenntnisse mit einer multimodalen Textanalysemethodik gewonnen werden können und dass diese für den Praktiker relevant sein
können (4). Ein kritischer Ausblick beschließt den Beitrag (5).
2. Werbeforschung und Werbepraxis ! zu einem schwierigen Verhältnis
Die Frage, ob linguistische Theoriebildung und sprachwissenschaftliche
Beforschung einer Praxis diese auch optimieren können, stellt sich nicht
für Werbekommunikation allein, sondern prinzipiell für alle sozialen
Handlungsdomänen, in denen Sprache und andere Zeichenressourcen
zweckorientiert eingesetzt werden. Dazu gibt es stereotype Auffassungen
und Vorurteile auf beiden Seiten: Der Praktiker neigt dazu, sein Tätigkeitsfeld erfahrungsgeleitet und rezeptgesteuert wahrzunehmen und zu
organisieren. Der Theoretiker interessiert sich entweder überhaupt nicht
für die Praxis, weil er einer rein theoretischen Logik folgt, oder legitimiert seine Forschung gerade dadurch, dass er ihren Praxisbezug herausstreicht.
H.P. Krings (Krings 1996) liefert „eine Fallstudie zum Verhältnis von
Wissenschaft und Praxis allgemein“ (ebd. 28), die ich hier auf Werbekommunikation hin konkretisieren und befragen möchte. Krings (1996:
34) nennt vier Bedingungen für die Nutzbarkeit wissenschaftlicher Forschungsergebnisse in der Praxis: 1) Relevanz, 2) Bekanntheit (d. h. Zugänglichkeit & Verständlichkeit), 3) Rahmenbedingungen, die eine Anwendung ermöglichen, 4) Bereitschaft zur Anwendung.
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2.1. Relevanz der Theorie für die Praxis
Vordergründig relevant wären medienlinguistische Erkenntnisse für die
Werbung dann, wenn sie sich in der Werbegestaltung bzw. ihrer Konzeption umsetzen ließen. Dies würde voraussetzen, dass Gestaltungsvariablen werblichen Stils (z. B. Satzlängen, Wortarten, grammatische Konstruktionen, rhetorische Figuren etc.) empirisch auf ihre Wirkungen hin
untersucht werden würden. Diese Art Forschung gibt es nicht, vor allem
weil sie mit Blick auf die enorme Wandelbarkeit des Genres wenig sinnvoll scheint. Zwar gibt es werbetypische Formulierungsmuster und favorisierte sprachliche Mittel ! diese aber setzt der Texter situationsflexibel
und aufgabenbezogen ein. Die Forderung nach verallgemeinerbaren Forschungsergebnissen (Krings 1996: 43) relativiert sich also; Wirkungshypothesen und Wirkungsnachweise (ebd.: 38) über einzelne Gestaltungsvariablen nützen der Praxis wenig, wenn sie so vielgestaltig ist.
Agenturen testen deshalb ihre Entwürfe mit Probandengruppen ! hier
geht es aber um eine ganzheitliche Beurteilung, nicht um „kleine“ linguistische Größen. Wissenschaft wäre für den Praktiker auch dann besonders relevant, wenn ihre Ergebnisse „lösungsorientiert und handlungsbezogen“ (ebd.: 52) wären und sich somit in der Praxis des Textens und
Gestaltens operationalisieren ließen. Auch davon kann nicht die Rede
sein, denn Medienlinguistik beschreibt die Gestaltungsstrukturen von
Werbetexten, kann daraus aber bestenfalls plausible Hypothesen ableiten, keine Schreibtechniken oder Gestaltungsrezepte.
Schließlich darf die Forschung nicht banal sein, d. h. sie sollte über
die Konsolidierung oder Korrektur intuitiver Annahmen hinausgehen.
Dieser Forderung kann auf verschiedene Arten entsprochen werden. Zunächst scheint eine möglichst ganzheitliche, methodisch hoch angereicherte Sicht auf das multimodale Werbekommunikat geboten, um deren
Machart als Gesamttext und das Zusammenspiel der verschiedenen semiotischen Ressourcen beschreiben zu können. Ebenso ist eine Theoretisierung von Werbekommunikation nur auf dem Hintergrund eines aus
der tatsächlichen Praxis rekonstruierten Verständnisses des soziokulturellen Bedingungs- und Kontextgefüges möglich, in dem Werbung funktionieren muss. Mit einer dichten multimodalen Textheuristik aufzeigen
zu können, dass bestimmte Gestaltungsstrategien und Botschaftsausrichtungen der anvisierten Aufgabe dienlicher sind als andere ist dabei im
Sinne einer Bestätigung und Konsolidierung werblicher Praxis nur der
Anfang.
Wertvoller scheint es, aus der längerfristigen und kontrastiven Beobachtung ausgewählter thematischer Segmente des Werbediskurses eine
Neuausrichtung kommunikativer Strategien und Techniken vorschlagen
und begründen zu können. Dies setzt gezielt kompilierte Korpora (mar-
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ken-kontrastiv und Kampagnen nachzeichnend) und eine effektive Analysemethodik voraus, die jeweils relevante und spezifische Gestaltungsmerkmale erkennt und zur designerischen Disposition1 stellt. Wertvoll
kann es auch sein, misslungene Kommunikate oder Kampagnen systematisch zu untersuchen, um daraus Verallgemeinerungen über gestalterisch riskante und für die Wirkung sensible Strukturen der Werbebotschaft abzuleiten.
Schließlich ist eine interdisziplinäre Ausrichtung von Werbeforschung
anzuraten, da es keine Einzelwissenschaft für Werbung gibt. Hier scheint
eine semiotische Sicht von unschätzbarem Vorteil, weil man so alle Zeichenvorkommen der Kommunikate integrativ behandeln kann. Der
Blick muss aber über das semiotische Produkt hinaus auch auf die gesamte soziale Praxis Werbung gerichtet werden, so dass Textproduktionund -rezeption in die Analyse eingehen können.
2.2. Zugänglichkeit und Verständlichkeit von Theorie
Sollen Forschungsergebnisse über Werbung dem Praktiker bekannt werden, so müssen sie zugänglich und verständlich sein. Zwar erfreut sich
der Gegenstand Werbung dank seiner gesellschaftlichen Brisanz und des
popkulturellen Goutierens etwa durch Sammeln, Ausstellen und Prämieren beträchtlicher akademischer Popularität ! der sprach- und kommunikationswissenschaftliche Output ist durchaus groß (vgl. z. B. Janich
2010a, Janich 2011 i. D.). Jedoch hapert es ganz offensichtlich beim
Transfer der Theorie in die Praxis. So kommt Schierl (2002a: 467) zu
dem Ergebnis, dass „kommunikations- und werbewissenschaftliche Erkenntnisse (...) in der Praxis allgemein nicht sehr hoch eingeschätzt werden“. Er eruiert durch Befragung von Werbeagenturen diverse Gründe
dafür, wie z. B. Praxisferne, mangelnde Aktualität, unbrauchbare Interpretationen und inadäquate weil übergeneralisierte Handlungsempfehlungen; bewertet diese aber im Wesentlichen als auf Nichtwissen beruhende Vorurteile (Schierl 2002a: 479). Es sind vor allem die potentiellen
Anwender wissenschaftlicher Einsichten, also die Kreativen (Texter, ArtDirectors), die hier negativer eingestellt sind als die Berater/Kontakter.
Letztere vermuten zumindest, dass Teile der Forschung inspirierend sein
könnten und sich für effektive(re) Konzeption bzw. Gestaltung nutzbar
machen ließen.
Die sprachwissenschaftliche und semiotische Werbeforschung ist der
Praxis mit Sicherheit in ungenügendem Maße zugänglich. Dies liegt zum
einen am Mangel popularisierender Zeitschriften, die markante Studien,
Modelle und Methoden bekannt machen würden. Die brancheneigenen
Blätter (wie z. B. ,Horizont‘, ,werben & verkaufen‘, ,Werbeforschung &
Praxis‘) werden vom Marketing dominiert und behandeln die semioti-
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schen Ressourcen, Strukturen und Techniken zu Gestaltung kaum und
wenig systematisch. Ihre durchaus wertvolle Funktion des Aufzeichnens
werblicher Praxis kommt eher dem Theoretiker als dem Praktiker zugute. Dieses Defizit ließe sich wahrscheinlich leicht beheben; vor allem
wohl durch ein Zugehen der Theorie auf die Praxis und entsprechend
ausgerichtete Publikationen.
Mangelnde Verständlichkeit andererseits scheint ein schwerwiegenderes Problem, denn sie ergibt sich nicht nur aus unterschiedlichen Wissensvoraussetzungen und Erkenntnisinteressen von Theorie und Praxis,
sondern primär aus der nicht selten ausgrenzend wirkenden fachspezifischen Terminologie. Eine vereinfachende, am Alltagssprachgebrauch orientierte Darstellung wissenschaftlicher Überlegungen mag nicht immer
einfach sein, wird andererseits aber viel zu selten praktiziert, wo sie möglich wäre. Auch hier helfen nur aktiver Austausch von Theorie und Praxis und offene Kooperation ! dies würde mit Sicherheit zu einer Harmonisierung von Begrifflichkeiten führen; zumindest was die Beschreibung
von Kommunikaten und Gestaltungsmitteln angeht.
Schierl (2002a: 478 ff.) ist davon überzeugt, dass trotz der Hürden ein
langfristiger Diffusionsprozess von statten geht, der strukturelles Wissen
in die Praxis bringt, und dass „die Werbewirtschaft wissenschaftlichen
Erkenntnissen mit einer relativ starken Zeitverzögerung zumindest unbewusst Rechnung trägt“. Dies geschieht sowohl durch Popularisierung
als auch durch die wie auch immer unsystematische Beobachtung von
Werbekommunikation durch die Agenturen, aus der sich Trends ergeben, die aufgenommen und verstärkt werden können.
2.3. Bedingungen und Bereitschaft zur Anwendung von Theorie
Ein abschließender Blick auf die Rahmenbedingungen für die Anwendung theoretischer Erkenntnisse durch die Praxis und ihre Bereitschaft
dazu ergibt ein widersprüchliches Bild. Akzeptiert man Schierls (Schierl
2002a: 465 f.) These, dass die Werber „Defizite (...) im Bereich des strukturalen Wissens, wie also Werbung mit Hilfe eines entsprechenden kommunikations- und sozialtechnischen Know-Hows effektiv und effizient
gestaltet werden kann“ (ebd. 465), haben, so müsste die Nachfrage nach
Theorie groß sein. Mir scheint dies jedoch eine überzogene, wenn nicht
sogar unzutreffende Unterstellung. Große, in weltweiten Netzwerken
aufgestellte Werbeagenturen bündeln und organisieren gestalterische Erfahrung, betreiben ihre eigenen Archive, beobachten Kommunikation,
reagieren auf neue Trends und müssen Kundenanforderungen situationssensibel und kreativ umsetzen. In diesen Tätigkeiten bilden sich auf praktischem Wege wiederholbare Strategien und Techniken ! subjektive
Theorien der eigenen Arbeit, die für eine Reflexion durch Wissenschaft
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äußerst interessant wären aber auch im Agenturalltag noch besser erfasst
und genutzt werden könnten.
Aber auch wenn man der Werbung „Dilettantismus“ (Schierl 2002a:
466) nicht unterstellen möchte, sind die Bedingungen und Motivationen
zur Anwendung von Theorie eher schlecht. Das Selbstbild des Werbers
und seiner Branche (Hölscher 2002) fußt wesentlich auf Kreativität.
Bauchgefühl, Intuition und Inspiration beißen sich im Allgemeinen mit
theoretischer Modellierung und systematischen, aus der Empirie gewonnenen Prinzipien und Techniken. Daran ändert der Umstand wenig, dass
die „kontinuierliche Verbesserung des bereits Optimalen“ (Zurstiege
2002: 132) als Grundaufgabe der Werber durchaus von Regel reflektierender und systematischer Kreativität profitieren könnte ! so wie dies
Gaede (2002) für das gesamte Spektrum gestalterischer Ebenen des Werbekommunikats vorschlägt. Wenn die Werbung nach immer neuer Varianz bei einem hohen Maß genre-immanenter Redundanz strebt (Zurstiege 2002: 132 f.), so spricht dies klar für die Notwendigkeit einer
ästhetischen bzw. ästhetisierten Werbung (im Sinne von Fix 2001a) !
diese zu erreichen bedeutet fortwährenden Regelbruch und beständiges
Umdeuten der etablierten Konvention. Dabei ist vor allem die Kenntnis
der Konventionen und der semiotischen Regeln von Werbekonzeption
und -gestaltung unabdingbar; hier kann kommunikatbasierte Werbeforschung helfen. Um markante und distinkte Werbe-Ästhetiken zu schaffen, bedarf es nicht allein ungezügelter Kreativität, sondern eines systematischen, strategischen Denkens, das einerseits subjektive Theorien
pflegt und konserviert, andererseits offen für wissenschaftliche Reflexion ist.
Schierl (2002b: 438 ff.) nennt weitere negative Umstände für eine „Anwendung“ von Theorie: Hektik und Zeitdruck im Agenturalltag motivieren kaum zur Auseinandersetzung mit werbewissenschaftlichen Erkenntnissen2. Eine starke Arbeitsteilung in großen Agenturen erschwert den
Informationsfluss; insbesondere erhalten Texter/Kreative wenig ,feedback‘ über Werbewirkungen und Kommunikationseffekte. Sollte dies
tatsächlich so sein, würde ein klares Korrektiv, ein den Vergleich ermöglichender Maßstab für subjektive Theorien über Werbegestaltung fehlen.
Diejenigen, die Werbung tatsächlich „machen“, finden sich zudem oft in
einem Konflikt, der aus einem empfundenen Zwang zur Mehrfachadressierung der entworfenen Kommunikate und Kampagnen resultiert. Zum
einen sollen die Texte in der Markenkommunikation effektiv funktionieren und den Vorstellungen der Auftraggeber entsprechen. Zum anderen
wollen sich Werber in der Agenturszene durch besonders raffiniert inszenierte und kreativ konzipierte Kommunikate einen Namen machen; Prämierungen und die Aufnahme in Jahrbücher/Archive (z. B. Lürzer’s Archiv) spielen hier eine immer größere Rolle. Zwar müssen sich kreative
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und effektive Werbung nicht gegenseitig ausschließen, dennoch befördert
ein Konflikt um Ziele und einzusetzende Mittel das Interesse an systematischer Analyse und Reflexion kaum. Einen letzten, die Berücksichtigung
von Theorie in der Praxis erschwerenden Umstand sieht man oft im
schlechten Ausbildungs- und Professionalisierungsgrad der Werbebranche (...) bezogen auf strukturales Wissen“ (Schierl 2002a: 479, siehe auch
Schierl 2002b: 440 f.). Hier ist m. E. allerdings zu bedenken, dass viele
„Quereinsteiger“ akademisch gut vorgebildet sind (wenn auch nicht spezifisch werbewissenschaftlich) und zumindest die großen Agenturen
Kompetenzen und Eignungen testen, die eine gewisse ! wenn auch eher
intuitive ! Fähigkeit zur Umsetzung strukturalen Wissens über Werbung voraussetzen.
2.4. Fazit
Die oben zusammengetragenen und kritisch kommentierten Beobachtungen zum Verhältnis von Werbeforschung und -praxis lassen sich leicht
zuspitzen: Die Praxis will von der Theorie nichts wissen. Der Theoretiker
wüsste gerne viel mehr über die Praxis. Ganz so einfach ist es dann aber
doch nicht3. Jedenfalls gibt es genügend Gründe, die dafür sprechen,
dass beide Seiten von einer gegenseitigen Öffnung und einem aufeinander Zugehen profitieren können. Für die Wissenschaft scheint es mir ein
Gebot, die tatsächliche Praxis als Ausgangspunkt zu nehmen, sei sie auch
noch so komplex und schwer abzubilden. Nur so hat Theorie überhaupt
eine Chance, in der Praxis gehört zu werden. Der Praxis tut ein Blick
über den Tellerrand ihres intuitiven, routinierten Gestaltungshandelns
gut, denn Kreativität entspringt auch der systematischen Betrachtung
gängiger Muster und zugrunde liegender Techniken, die Wissenschaft
dem Praktiker zu spiegeln vermag.
Gerade weil es „für die Kluft zwischen Wissenschaft und Praxis tief
greifende strukturelle Gründe gibt“ (Krings 1996: 123), müssen beide
Seiten umdenken. Die Werbeforschung sollte ganzheitlich und interdisziplinär arbeiten, die Diffusion und Popularisierung ihrer Erkenntnisse
offensiver betreiben, um eine Innenansicht des Werbens bemüht sein !
d. h. subjektive Theorien über Texten und Gestalten beschreiben und
überprüfen ! sowie in der Lehre Textsortenbeschreibung mit Textproduktion verbinden. Die werbliche Praxis täte gut daran, ihre unrealistischen Erwartungen an lösungs- und handlungsorientierte Forschung in
Richtung Reflexions- und Analysefähigkeit zu korrigieren, die Theorie
mit konkreten, in der Begleitung des Agenturgeschäfts sinnvollen Aufgaben zu konfrontieren und sich den Anliegen der Forschung entgegen
ihrer Neigung zur Geheimhaltung zu öffnen. Beide Domänen können
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sich nur näher kommen und wechselseitig Anwendungen suchen, wenn
sie kooperieren, Informationen austauschen, Verständnis über terminologische Barrieren hinweg schaffen und gemeinsame Projekte bestreiten.
3.
Praxisbezogene Werbeforschung: Agenda und Thesen
3.1.
Aktuelle Werbeforschung ! Status Quo und Überblick
Im Folgenden will ich kurz den aktuellen Stand der linguistischen Werbeforschung bewertend skizzieren und Wege für ihre Ausrichtung an der
Praxis aufzeigen. Sieht man die neuere germanistische und anglistische
Literatur zu Werbekommunikation durch (Beasly & Danesi 2002, Cook
2001, Goddard 2002, Janich 2010a, 2011 i. D., Lombardo 1999, Myers
1994, Sowinski 1998, Tanaka 1994)4, so ergibt sich ein reichhaltiges
Spektrum an Forschungsinteressen und -erkenntnissen. Werbetexte sind
aufgrund ihrer Kürze und Prägnanz sowie dank ihrer Kreativität und
soziokulturellen Salienz generell dankbare Objekte für eine Illustration
und Überprüfung von medienlinguistischen Theorien und Modellen.
Drei große Strömungen der Forschung zum Werbetext sind zu erkennen5:
1. Beschreibungsebenen des Werbetexts und seine sprachlichen Formen
Die Linguistik weiß die werbetypischen Sprachverwendungsweisen
sehr gut zu beschreiben. Dabei werden neben den systemlinguistischen
Ebenen (Morphologie, Lexik, Semantik, Onomasiologie, Syntax,
Phraseologie) auch die text- und diskursbezogenen sowie die soziolinguistischen Dimensionen (Varietäten, Stil) der Beschreibung betrachtet. Es ergibt sich aus diesen Studien letztlich ein Gesamtbild des werblichen Stils, d. h. ein Repertoire sprachlicher und textlicher Mittel, die
auch unter dem Aspekt ihrer Funktionalität und kontextuellen Effekte bewertet werden. Problematisch ist, dass wir mit diesen Erkenntnissen zwar für die Binnensicht der Linguistik relevante Verallgemeinerungen über ein in der Praxis äußerst wandelbares Phänomen
treffen. Für die Gestaltungspraxis aber können die wissenschaftlichen
Befunde nicht direkt nutzbar gemacht werden.
2. Methodiken der linguistischen Forschung
Eine zweite Richtung der Werbeforschung öffnet den Blick über die
Sprache hinaus für andere Zeichenarten und -systeme (z. B. Bilder).
Außerdem erweitert sie die Betrachtung von Werbung als Textprodukt auf einige Aspekte des Kontexts und der Situation (z. B. Medien,
Kultur, Geschichte). Im Wesentlichen aber geht es dabei um systematische methodische Zugänge zu den sprachlich-kommunikativen Eigenschaften der Texte. Hierher gehören solche etablierte Schulen wie
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z. B. Pragmatik, Diskursanalyse, Ethnomethodologie, Kognitive Linguistik, Empirische Linguistik, Semiotik, Kontaktlinguistik, Medientheorie und Kulturvergleich. Auch Bemühungen um integrative praktische Analysemodelle sind Bestandteil dieser Strömung. Abgesehen
davon, dass der Fokus hier auf der stringenten Anwendung einer kohärenten Methode auf Werbekommunikate liegt, liefert auch diese
Forschung vorwiegend Innenansichten der Linguistik. Allerdings
kann man besser erkennen, welche Erkenntnishorizonte die jeweilige
Methode eröffnet. Dies ist eher ein Angebot an die Praxis bzw. ein
Ansatzpunkt für praxisorientierte Forschung, denn nicht die Eigenschaften der Werbung, sondern die Möglichkeiten ihrer Interpretation
werden aufgezeigt.
3. Interdisziplinäre Zugänge zu Werbung
Schließlich sucht die moderne gebrauchs- und kontextorientierte Linguistik auch Anschlussmöglichkeiten in verwandten Disziplinen, die
sich Werbung widmen. Hier wird der Gegenstand erneut erweitert;
weg vom Kommunikat hin zu den kommunikativen Prozessen, sozialen und medialen Bedingungsgefügen sowie zu den Hintergründen der
Produktion und Rezeption von Werbung. Zu den transdisziplinär mit
Linguistik verwandten Forschungsfeldern der Werbung zählen die
Kommunikationswissenschaft, Soziologie und Psychologie, Kulturund Kunstgeschichte sowie das Marketing. Nur in einer Zusammenarbeit der Disziplinen kann der Gegenstand auf breiter geistes- und sozialwissenschaftlicher Basis hermeneutisch „eingekreist“ und praxisnah
erfasst werden. Eine interdisziplinäre Werbeforschung entspricht den
Bedürfnissen der Praxis vermutlich stärker, weil sie ganzheitliche Sichtweisen fördert. Allerdings ist die holistischeBetrachtung meist nur um
den Preis einer starken Verallgemeinerung und einer oft meta-theoretischen Verfahrensweise zu haben.
3.2. Praxisorientierte Werbeforschung ! Eine Agenda
Man mag das Feld der linguistischen Werbeforschung anders strukturieren; die hier präsentierte „Landkarte“ ist nur ein Versuch, grobe Ordnung zu stiften ! Verbindungswege zwischen den Orten gibt es vermutlich mehr als hier verzeichnet. Kritisch angemerkt habe ich, dass erst mit
einem Augenmerk auf anwendbare Methodik und bei Erweiterung des
Gegenstandes Werbekommunikat um seine Produktions- und Rezeptionsaspekte sowie um soziokulturelle Bedingungen und Kontexte eine
Relevanz für die Praxis zu entstehen scheint. Die sprachliche Beschreibung der Textsorte Werbung und ihrer Stilmerkmale allein bringt für die
Werbepraxis wenig. Insgesamt produziert sprach-, kommunikations- und
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medienwissenschaftliche Werbeforschung eher Exemplifizierungen von
Methodiken und theoretischen Modellen als praktisch instrumentalisierbares Wissen über Werbung. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass es
entweder unbesiedelte Gebiete auf der Forschungslandkarte geben
könnte oder bestimmte Wege noch nicht so beschritten worden sind, dass
sie zu einem praxisrelevante(re)n Ziel führen. Fest steht aber auch, dass
der verfügbare Fundus von werbelinguistischen Erkenntnissen (im weitesten Sinn) bereits eine gute Basis für die Reflexion, Begründung und
Kritik von Gestaltungsentscheidungen (s. dazu Friedrich & Schweppenhäuser 2010: 101 ff.) bietet, vorausgesetzt, das Wissen wird wahrgenommen, verstanden und kann angewendet werden. Wie also könnte linguistik-basierte Werbeforschung ausgerichtet werden, um in der Praxis
(besser) von Nutzen sein zu können?
Zunächst empfiehlt sich eine korpusbasierte Untersuchung von Werbekommunikation, d. h. man arbeitet mit einer Sammlung von Texten,
die nach bestimmten praxisrelevanten Kriterien zusammengestellt wird.
Agenturen haben z. B. ein Interesse an der gängigen Art des Werbens
für bestimmte Produktkategorien, spezifische Produkte und Marken zu
einem bestimmten Zeitpunkt oder in einem bestimmten Zeitraum. Die
Logik solcher Untersuchungen besteht darin, dass man die hervorstechenden sprachlich-kommunikativen Eigenschaften auf bestimmten ausgesuchten Ebenen der Kommunikate (Schlüsselwörter, Slogans, Headlines, Bildmotive, Sprache-Bild-Verknüpfung etc.) identifiziert und daraus
allgemein verständliche Beurteilungen über gängige Stile, Techniken,
Muster oder Prinzipien des Werbens gewinnt. Solche Studien sind immer
explizit oder implizit kontrastiv; d. h. sie identifizieren markante Unterschiede in Konzeption und Gestaltung zwischen Produkten und Marken.
Ihr praktisches Ziel ist es, „Hilfe zur Kommunikationsplanung“ (Stöckl
2004: 233) zu leisten, denn Neues entsteht in bewusster Abgrenzung oder
gekonnter Modifikation des Bekannten, oft aber auch durch Aufnahme
und Verstärkung von gerade entstehenden Trends im richtigen Moment6.
Studien an Werbetext-Korpora können aber auch anderen Zwecken
dienen. Noch wenig wissen wir z. B. über die Werbung der jüngeren und
älteren Vergangenheit und über ablaufende Wandelprozesse und ihre Bedingungen und Faktoren (s. dazu Stöckl 2010), auch wenn sich Anthologien aus kulturhistoriographischer Sicht großer Beliebtheit erfreuen (s.
z. B. Pincas/Loiseau 2008. Berger 2001, Heimann 2009a/b7). Das verfügbare Material ließe sich nutzen, um klar erkennbare alte GestaltungsTrends in ihren sprachlich-textlichen Mitteln zu erfassen und vergleichend zu kategorisieren. Für eine systematische Nutzung älterer Designmittel im Agenturbetrieb wäre dies eine nützliche Handreichung. Ein
Recyceln alter Muster und Techniken im Sinne eines historisierenden
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Retrodesigns wäre so strategischer und zielsicherer möglich als durch
Blättern in den Anthologien ! praktiziert wird es ohnehin.
Korpusbasierte Studien helfen auch bei der Erfassung und genauen
Beschreibung neu entstehender Werbestile und -arten. So z. B. wären riskant-provokante Werbung oder ,social advertising‘ ! also Werbung für
gemeinnützige Ziele und Gesundheitskampagnen ! aber auch stark ästhetisierte oder minimalistische Werbung neuere Formen, deren kommunikative Prinzipien und semiotische Techniken noch zu erkunden sind.
Für die Werbepraxis entstünde so ein Bild dieser Trends, das als Reflexionsbasis die strategische Arbeit von Agenturen leiten könnte. Eher auch
als Befähigung zur Begründung und Kritik von Gestaltungsentscheidungen in integrierten Kampagnen könnten Studien dienen, die medienkontrastive Korpora (z. B. Print vs. Radio vs. Film vs. Raum vs. Netz) nutzen, um die spezifischen Potenziale und Defizite bestimmter medialer
Werbeformate zu bestimmen. Also: Was kann ein TV-Werbespot, das ein
Plakat oder ein Hörfunkspot nicht vermag oder umgekehrt? Diese Art
Werbeforschung weist allerdings bereits stark in Richtung empirische
Rezeptionsforschung (s. u.).
Ein wichtiger Begriff in der Beurteilung konkreter Werbung ist ,Tonalität‘. Damit bezeichnet man den komplexen Stileindruck oder die ganzheitliche Anmutung und Ansprache eines Werbekommunikats. Dass hier
Subjektivität und Intuition als Bewertungsmaßstab zum Tragen kommen, dürfte klar sein. Ein Ziel praxisorientierter Werbeforschung könnte
es sein, mittels komplexer Mehrebenenanalyse (s. dazu Janich 2010a:
261 ff.) von sehr verschieden anmutenden Werbekommunikaten die Faktoren und Textmerkmale ausfindig zu machen, die sich auf Tonalität
maßgeblich auswirken. Hier sind hoch angereicherte Einzelanalysen
sinnvoll, die Tonalität konsequent und multifaktoriell als textuelle Mittel-Zweck-Relation empirisch belegen und damit auch eine stilistische
Methode8 der Tonalitäts-Bestimmung liefern.
Bereits mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass sich Erkenntnisse
über die sprachlich-stilistische Beschaffenheit von Werbekommunikaten
nicht direkt in die Praxis umsetzen lassen. Werbepraktiker werden darauf
bestehen, dass sie wissen, wie man Werbung schreibt und multimodal
gestaltet. Zudem werden sie auf Kreativität und Intuition verweisen und
daraus auf die Nicht-Erlernbarkeit des werblichen Schreibens schließen.
Fest steht aber auch, dass das Texten von Werbung aus einem breiten
Spektrum wiederkehrender Schreibaufgaben besteht (s. dazu Stöckl
2008: 66 ff.), die man trainieren kann. Die Schreibforschung hat sich
dieser Spielart des professionellen Schreibens noch wenig angenommen;
hier öffnet sich aber ein großes Betätigungsfeld9, das in Stöckl (2008)
skizziert und methodisch fundiert wird. Die Grundüberlegung ist, dass
es die genaue Kenntnis des Genres erlaubt, ein Schreibtraining zu syste-
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matisieren und zu professionalisieren. Zudem bildet die Förderung einer
praktisch-kritischen Textanalyse-Kompetenz eine weitere Säule. Sie liefert die Grundlage für eine von klaren Ebenen und Kriterien geleitete
Reflexion der eigenen Arbeit wie auch für ihre systematische Optimierung. Ebenso wie in der betrieblichen und institutionellen Gesprächsanalyse und -beratung (Hartung 2004, Habscheid 2004) können gerade aus
kritischen Situation ! für die Werbung sind dies suboptimale bzw. nicht
zur Publikation gelangte Kommunikate (s. dazu Reins 2002, Zwangsleitner 1997/1999) ! wichtige Rückschlüsse auf die Methoden und Bestandteile gelingender Kommunikation gezogen werden. Das linguistische Wissen über Werbung gezielt in praktischen Schreibtrainings einzusetzen wäre
eine sehr angewandte Art der Werbeforschung. Die Theorie könnte die
werbliche Praxis so durch eine vorsichtige, von ganzheitlicher Reflexion
geleitete Didaktisierung des multimodalen Gestaltens begleiten.
Das stärkste Interesse dürfte die Praxis allerdings in einer kompetenten und verlässlichen Beurteilung von Werbewirkungen sehen. Hier investiert sie selbst viel in agenturinterne oder branchentypische Testverfahren. Die linguistisch und multimodal orientierte Rezeptionsforschung
(z. B. Bucher 2011a, Bucher 2011b i. D.) kann hier Wesentliches beitragen, indem sie durch ,eye-tracking‘, Vorwissensanalyse, Verständnistests
und Protokolle des lauten Denkens die Wahrnehmungsmuster und kognitiven Strategien im Umgang mit bestimmten Typen von Werbekommunikaten (z. B. Werbespots in einem ,slice-of-life‘-Format) offen legt. Freilich klafft auch hier noch eine gewisse Lücke zu den Erfordernissen der
Praxis: die Agenturen hätten gern breit angelegte Tests mit großen Probandengruppen über ein ganzes Set marketingrelevanter Kriterien. Aus
den detaillierten Einzelanalysen zur Rezeption hingegen lassen sich eher
allgemeine Erkenntnisse über Wirkungsweise und Wirksamkeit ausgewählter Gestaltungsstrategien gewinnen. Diese Daten sind dafür aber
vermutlich belastbarer und aufgrund ihres Generalisierungsgrads auch
breiter anwendbar, vor allem mit Blick auf das Ableiten Erfolg versprechender Designprinzipien allgemein.
Schließlich kann eine Orientierung der Werbeforschung an der Praxis
auch darin bestehen, dass sie sich für die subjektiven Theorien der Zeichen-Macher und Gestalter zu interessieren beginnt. So wie sich die
Schreibprozesse von Journalisten untersuchen lassen, um sie kritisch zu
hinterfragen (Perrin 2004, 2006: 48 ff.), könnte man auch die multimodalen Konzeptionstechniken der Werber analysieren. Dies gelänge am besten durch projektbezogene Befragung, die Analyse von Entwurfsvarianten, aber auch durch die Betrachtung des Kommunikationsalltags in der
Agentur. In einer solchen auf aus der praktischen Erfahrung gewonnene
Fertigkeiten und routiniert angewandte Methoden fokussierten Forschung ergibt sich eine direkte Verbindung zur Didaktisierung des
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18
Hartmut Stöckl
Werbens. Subjektive Theorien über das Schreiben und Gestalten von
Werbung können in Schreibtrainings reflektiert, überprüft und mit alternativen Lösungsansätzen konfrontiert werden.
3.3. Thesen zur Methodik einer praktischen Werbeforschung
Nachdem skizziert wurde, in welche Richtungen eine praxisorientierte
Werbeforschung arbeiten könnte, will ich im Folgenden kurz Überlegungen zur ihrer methodischen Ausrichtung anstellen. Sie werden in wenigen
knappen Thesen gebündelt.
Ein Kerngedanke meiner Argumentation bestand ja darin, dass die
pragma-linguistische Beforschung aktueller Werbekommunikate für die
Praxis nutzbringend ist. Der Nutzwert kann dabei auf unterschiedliche
Arten zustande kommen. Einerseits beschreiben die Studien wiederkehrende Muster und zugrunde liegende kognitive Techniken der Werbegestaltung. Andererseits zeichnen sie ihre Wahrnehmungs- und Wirkungsmechanismen nach und können Wissen über sprachliche, rhetorische
und designerische Muster in werblichen Schreibschulen instrumentalisieren. Ganz gleich welchem Zweck die Analysen dienen, immer stellt sich
die Frage nach ihrer methodischen Ausrichtung. Welchen Grundprinzipien also sollte die Werbeforschung folgen, um der Praxis gerecht zu
werden und von ihr „gehört“ zu werden?
1. Gegenwärtige Werbung ist multimodal, d. h. sie entsteht im komplexen Zusammenspiel mehrerer Zeichenmodalitäten (Schrift, Rede,
Bild, Musik, Geräusch, Typographie/Layout etc.) und ihrer gestalterischen Ressourcen. Methodisch zwingend ist daher eine Betrachtung
der Gesamttexte und ihrer multisemiotischen Strukturen. Die Frage,
wie im Miteinander der Zeichensysteme ein kohärentes Ganzes entsteht und wie Brücken und Schaltstellen zwischen den ,modes‘ gebaut
werden, steht dabei im Vordergrund ! „intermodale Kohärenz“
(Stöckl 2011 i. D.) ist das zentrale Thema.
2. Will man multimodale Gesamttexte untersuchen, so benötigt man
eine Methodik, die Zeichen verschiedener Kodes möglichst gleichartig
und integrativ behandeln kann10. Hier empfiehlt sich ein einfaches
Repertoire semiotischer Grundbegriffe und -operationen wie z. B. Denotation/Konnotation, Mythos, Metapher/Metonymie. Aber auch
Konzepte der Pragmalinguistik wie kommunikative Indirektheit und
Handlungsstrukturen sind hilfreich. Ebenso gut tragen Ideen und Begriffe aus der Textlinguistik wie ,frame‘/,script‘, Isotopie und Themenstruktur. Über die Grenzen der Kodes operieren auch rhetorische Figuren und Techniken11.
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Multimodale Werbekommunikation ! Theorie und Praxis
19
3. Die Analyse von Werbekommunikaten sollte möglichst ganzheitlich
erfolgen. Dies bedeutet, die einzelnen Zeichenkomplexe in ihrem Bezug zueinander zu erfassen und zu erklären. Das Hauptaugenmerk
muss auf den Strukturen des Gesamttexts liegen, d. h. der logischargumentative Aufbau des Kommunikats, seine Segmentierung in für
die Wahrnehmung und kognitive Verarbeitung wesentliche Teile und
die werbliche Strategie sollen deutlich werden. Detailbeobachtungen
salienter Merkmale sind aber ebenso wichtig für die Bestimmung der
Tonalität; sie sollten in den Strukturen des Gesamttexts lokalisiert
und aus ihnen heraus erklärt werden können.
4. Insbesondere für die Werbeformen zeitbasierter Medien (TV, Film,
Radio, Internet) ist die multimodale Transkription12 der analysierten
Kommunikate unabdingbar. Man schafft so fixe „Abbilder“ der sonst
flüchtigen Texte, die ein eingehendes Studium ! und eine „Relektüre“
im Sinne Jägers (2002) ! überhaupt erst ermöglichen und die zeitlichen und semantisch-funktionalen Bezüge der einzelnen Modalitäten
zueinander erfahrbar machen. Die Transkripte sollten vor allem gut
lesbar sein, d. h. sie müssen die Gesamtarchitektur der Kommunikate
und alle relevanten Beobachtungen zu den verschiedenen ,modes‘
adäquat und stringent wiedergeben13.
5. Damit die Analysen von Werbekommunikaten in der Praxis verwertbar sein können, müssen sie möglichst gut verständlich sein. Dies erreicht man auf verschiedene Weise. Wissenschaftsjargon und spezielle
Termini gilt es in prägnant formulierte Alltagssprache aufzulösen.
Eine auf gestalterische Differenzen und Tonalitäts-Kontraste angelegte Methodik ist besonders hilfreich, um Muster und Techniken zu
verdeutlichen. Ebenso förderlich ist die klare Lokalisierung und Benennung der Phänomene in den Transkripten. Schließlich sollten die
beobachteten Strukturen und Stilmerkmale als Gestaltungsentscheidungen reflektiert werden, die Motiven folgen und Wirkungen beabsichtigen. Mögliche Alternativen können dann mit Blick auf den
Gesamttext und im breiteren sozialen Kontext der Marke, der Kampagne und der Marktsituation allgemein diskutiert werden. Die Analysen also müssen zentrale Gestaltungselemente und -strukturen identifizieren und beschreiben wie auch motivieren und begründen.
4.
Fallstudie ! Multimodale Analyse-Heuristik
4.1.
Anforderungen an komplexe Analysemodelle
Meine bisherigen Überlegungen waren überwiegend meta-theoretischer
Natur. In einem letzten Schritt möchte ich die Analyse eines multimodalen Werbekommunikats kurz illustrieren. Das Ziel kann hier nicht Voll-
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20
Hartmut Stöckl
ständigkeit und Detailtiefe sein; vielmehr will ich zeigen, welcher Grundorientierung und welchen Kriterien die Analyse folgt und welche
Beobachtungen und Erkenntnisse gewonnen werden können. Zunächst
aber noch einige allgemeine Bemerkungen zu bereits verfügbaren komplexen Analysemodellen für Werbekommunikate.
Janich (2010a: 261 ff.) stellt zwei traditionelle Analysemodelle der Werbeforschung (Brandt 1973, Hennecke 1999) vor und synthetisiert daraus
ihr eigenes Modell. In Stöckl (2003, 2006, 2007, 2011) habe ich Analyseheuristiken für multimodale Werbekommunikate entwickelt, die andere
Akzente setzen und vor allem für Bild, Musik und Geräusch diverse
Analysekriterien verfügbar machen und ihr Zusammenspiel thematisieren. Hier ist nicht der Platz, die Unterschiede zwischen den vorgeschlagenen Modellen zu diskutieren. Es ergeben sich aber einige grundlegende
Fragen im Hinblick auf die generelle Ausrichtung und Handhabung der
Methodiken.
Sollen tatsächlich multimodale Textstrukturen modelliert werden, so
erfordert dieses Ziel eine adäquate Methodik sowie ausreichend Fokussierung. Meines Erachtens sind hier alle Zeichenmodalitäten in einem
Transkript zu dokumentieren, es muss ausreichend Parameter für ihre
Beschreibung geben und die Art und Weise der Herstellung von Kohärenz zwischen den Kodes sollte Priorität haben. Die verfügbaren Modelle
differieren diesbezüglich stark. Eine Überfrachtung der Analysemethodiken mit zu spezifischen und detaillierten Kriterien verhindert meines
Erachtens einen klaren Fokus auf die Modellierung multimodaler Strukturen.
Janich (2010: 265 ff.) unterscheidet eine Analyse- von einer Synthesestufe. Hier liegt die Idee zugrunde, dass man zunächst auf verschiedenen
Ebenen Beobachtungen sammelt und diese dann mit Blick auf den Gesamttext und dessen externes Situationsgefüge zusammenführt und interpretiert. Für diese ,bottom-up‘-Methodik spricht ihre Systematik und
das Bestreben, jeden Teilaspekt zu berücksichtigen. Ökonomischer, effizienter und wohl auch im Einklang mit der tatsächlichen Wahrnehmung
und Verarbeitung von Werbung ist eine ,top-down‘-Herangehensweise,
die darauf zielt, die grundlegende Struktur des Kommunikats zu verstehen, seine Argumentation, seine Geschichte (story/plot) und jeweils hervorstechende Eigenschaften. Mir scheint also für praxisnahe Werbeforschung eine Vorgehensweise der Analyse von Makro (Textstruktur/
Segmentierung/Handlungsstruktur) zu Mikro (ausgewählte Merkmale
auf diversen Ebenen) sinnvoll. Die leitende Devise sollt also sein: Nicht
jedes Detail um den Preis einer konsequenten Analyse sondern nur saliente und relevante Aspekte in ihrem wechselseitigen Textzusammenhang.
Der Zweck einer konkreten Analyse bestimmt natürlich ihre Mittel;
hier wird es also Unterschiede geben. Für praxisorientierte Werbefor-
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Multimodale Werbekommunikation ! Theorie und Praxis
21
schung scheinen mir aber zwei Ziele generell vordergründig. Zum einen
mag es darauf ankommen, unterschiedliche Tonalitäten und Anmutungen von Werbekommunikaten, Kampagnen oder Marken zu bestimmen.
Hier richtet sich der Blick ganzheitlich auf den Stil der Texte, seine Mittel
und Wirkungen. Zum anderen kommt es darauf an, rekurrente Gestaltungsmuster in Abhängigkeit von Produkt, Marke, Moden, Zeit etc. zu
beschreiben und zu bewerten. Für beide gilt, dass Erklärungen und Hypothesen über Struktur-Funktions-Zusammenhänge bzw. Mittel-ZweckRelationen konstruiert werden müssen. Dies sind nicht so sehr Aussagen
über vermutete Werbewirkungen, sondern Urteile über Unterschiede in
den Wahrnehmungsqualitäten von Kommunikaten und die sie auslösenden Gestaltungsdimensionen. Derartige Analysen müssen die Verallgemeinerung wagen und Einzelbeobachtungen bündeln; sie dürfen sich
nicht in den Details einer überkomplexen oder tiefen Analyse verlieren.
4.2. Beispielanalyse
Die folgende multimodale Analyse versteht sich nicht als Gegenvorschlag zu bestehenden Modellen. Sie stellt vielmehr eine Vereinfachung,
Reduktion und Fokussierung dar, die den Bedürfnissen der Praxis nach
Verständlichkeit und Verwertbarkeit entgegen zu kommen versucht. Das
praktizierte Modell ist konsequent multimodal ausgerichtet, verfährt von
der globalen Textstruktur hin zu den auffälligen Details und stellt die
generelle Machart und die Tonalität des Kommunikats ins Zentrum. Das
Ziel der Analyse besteht darin, eine handhabbare Heuristik auf der
Grundlage eines gut lesbaren multimodalen Transkripts zu demonstrieren. Außerdem sollen relevante Beobachtungen zu einem allgemein verständlichen Eindruck der Qualitäten des Kommunikats verdichtet werden, der quasi als Tonalitäts-Urteil für Vergleiche genutzt werden kann.
Dabei folge ich den unten aufgeführten Ebenen und Parametern:
a.
b.
c.
d.
e.
Segmentierung des Kommunikats ! Textstruktur/Handlungsstruktur
Verteilung und Strukturierung der einzelnen Zeichenmodalitäten
Semantische Beiträge/Funktionen der ,modes‘
Intermodale Kohärenz ! ,edit points‘
Semiotik salienter Zeichenkomplexe
Als Analyseobjekt dient ein TV-Werbespot für den Saab 9-3X aus dem
Jahre 200914. Prinzipiell zeigen filmische Werbungen den höchsten Grad
an Multimodalität, da sie ein Maximum an ,modes‘ verfügbar machen
und miteinander koppeln ! für die Zielorientierung meines Modells stellen sie insofern ideales Material dar. Das Transkript (s. Abb. 1) zeigt die
Dichte der multimodalen Textstruktur und dient im Folgenden als
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High-key
---
---
Steady
High-key
---
---
Oh there’s a whisper
Chair moving, person
sitting down
CAMERA
MOVEMENT
LIGHTING
SPEECH
WRITING
SOUNDTRACK
NOISE
Hands on paper
Something’s going on
Trollhättan
---
High-key
Steady
Bird’s-eye view
Extreme clos e-up
He scrolls the map up to
a place called Trollhättan
marked by a light bulb –
obviously the headquarters
of Saab.
N° 3 (06:00)
Bulb falling on paper,
fingers tapping the bulb
Paper rustling during
folding
Can’t put my finger on it,
Prototyp e
--among the leaves.
---
High-key
Steady
Eye-level
Medium-close
After folding a toy
aeroplane from paper
with the inscription
‘prototype’ the designer
sets out to fly the plane.
N° 5 (12:00)
---
High-key
Steady
Eye-level, slightly low
angle
Medium-close
The light bulb pops out
of the notepad. The
designer takes the light
bulb off the map,
switches it on by
tapping it and hangs it
up above his head in
midair.
N° 4 (08:00)
Abbildung 1. Multimodales Transkript, SAAB 9–3x, ,Changing Perspectives‘, Schweden 2009.
Pencil scratching
in the wind.
Steady
Bird’s-eye view
Medium long
Eye-level
ANGLE
Close-up
He sketches out a globe
and starts spinning it
around as if on a touch
screen.
N° 2 (03:00)
DISTANCE
Engineer/designer sits
down at writing desk in
office space.
N° 1 (01:00)
Clock ticking (ant
moving), marker pen on
paper
but it’s calling out my
name.
Power
---
High-key
Steady
Eye-level, slightly high
angle
Ex treme close-up
An ant grabs hold of the
plane and carries it off
across a piece of paper
that the designer is just
writing ‘power’ on.
N° 6 (15:00)
Pencil on paper, paper
rustling during folding,
finger on paper, paper
being turned on desk
There’s no mistaking
what this day has to say.
Neig hb our
---
High-key
Steady
Eye-level
Extreme close-up
The designer cuts and
folds an elk figure from
another piece of paper.
The elk comes to life
and stands on the desk.
The designer writes
‘neighbour’ on the
paper.
N° 7 (19:00)
22
FRAME CONTENT
PICTURE
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Hartmut Stöckl
AUTHOR’S COPY | AUTORENEXEMPLAR
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Steady
High-key
---
---
It whispers in my ear
and says:
twigs and needles of
tree rustling
CAMERA
MOVEMENT
LIGHTING
SPEECH
WRITING
SOUNDTRACK
NOISE
Abbildung 1. Fortsetzung.
Close-up
Eye-level
DISTANCE
ANGLE
After turning the paper
to draw another line the
designer pulls a fir tree
from the notepad.
N° 8 (25:00)
FRAME CONTENT
PICTURE
wood on paper, motion
Why don’t you come
out?
Fuel
---
High-key
Steady
Eye-level
Extreme close up
He plucks a pinecone
from the tree and spins
it round. The word ‘fuel’
appears on it.
N° 9 (27:00)
Metal on paper, swoosh
of electric current
I’m waiting on you
waiting on you.
---
---
High-key
Steady
Eye-level
Extreme close-up
When the cone stops, it
has turned into a
cogwheel. As the
designer picks it up, the
wheel is hit by a bolt of
electricity.
N° 10 (29:00)
Pages/paper rustling
during turning, motion
(from the inside of the
car)
Come out.
Playg round
When you have a
different perspective on
things,
High -key
Steady
Bird’s-eye view
Close-up
The designer leafs
through his notepad
revealing the word
‘playground’. As the
pages flip past, a
roadside winter scenery
unfolds as if the viewer
was sitting in the car.
N° 11 (31:00)
Paper rustling being
crumpled
I’m waiting on you
waiting,
---
you don’t end up with
just another car.
High-key
Steady
Bird’s-eye view
Extreme close-up
The designer crumples
up a child-like sketch of
a car to reveal the
technical drawing of a
Saab 9-3X.
N° 12 (35:00)
---
cause the time is now.
The new Saab 9-3X
You end up with a Saab.
…
Steady (object turning
clockwise 180°)
Eye-level
Medium-long
The drawing starts to
turn clockwise to
gradually turn into a
filmed version of the car.
N° 13 (36:00)
---
The time is now.
Saab. Move your
mind TM. Change
perspective at
saab.com
---
…
Steady
Eye-level
(Medium-long)
The final branding
appears on the screen.
N° 14 (40:00)
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Multimodale Werbekommunikation ! Theorie und Praxis
23
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24
Hartmut Stöckl
Referenzpunkt für alle Beobachtungen. Zunächst also einige Beobachtungen zur Text- und Handlungsstruktur des Kommunikats und seiner
generellen Segmentierung in logisch-semantische Schritte.
Aus dem kontinuierlichen Fluss des Filmtexts habe ich 14 Segmente
herausgelöst, die seine Grundstruktur verdeutlichen sollen. Der Spot
gliedert sich in zwei große Teile: eine szenisch entwickelte Mini-Geschichte (N∞ 1!12), die einen Designprozess illustriert und ein ,branding‘ (N∞ 13!14), das Produkt, Firma und Slogan zeigt. In gewisser
Weise bilden N∞ 11 und 12 ein formal wie inhaltlich elegantes Scharnier
zwischen den beiden Hauptteilen des Spots; das Daumenkino ! in Materialität und Ästhetik noch dem kindlich-designerischen „Basteln“ verhaftet ! leitet über zur nüchternen und realen Produktpräsentation. Jeder Teil kann nun dadurch bestimmt werden, dass ihm ein Thema und
eine Handlung zugeschrieben wird. So lokalisieren und identifizieren N∞
1-3 den Handlungsort und die Handlung, N∞ 4 leitet die diversen spielerischen Entwurfshandlungen ein, die von den Anforderungen und Ideen
über die fiktive Erprobung bis hin zum fertigen Produkt hin führen, das
am Schluss gezeigt, benannt und bewertet wird. Diese Geschichte des
Skizzierens, Modellierens und Ausprobierens folgt einem bekannten
kognitiven Skript (,technische Entwicklung‘), das als Methode-ResultatMuster die Makrostruktur des Spots abgibt und auch im gesprochenen
Text expliziert wird (N∞ 11-13). Im Kern des Films stehen also die den
Entwurf leitenden Prinzipien wie z. B. Umweltfreundlichkeit (N∞ 7!9),
Kraft (N∞ 6) und Fahrfreude (N∞ 11). Für die Tonalität leistet die Textstruktur eine Betonung des kreativen Prozesses statt des Autos, eine
durch filmische Tricks erzielte spielerische, naiv-unschuldige Qualität sowie eine stringente Logik der Bedingtheit von Designperspektive und
Ergebnisqualität.
Zur Verteilung und Strukturierung der Zeichenmodalitäten schaut
man auf ihren zeitlichen Verlauf im Gesamtkommunikat sowie ihre generelle Beschaffenheit und Funktion. Der Beispielspot enthält alle im
betreffenden Medium möglichen Kodes: Schrift, Rede, bewegtes und
statisches Bild, Musik, Geräusch und Typographie/Layout. Das Filmbild trägt Handlung und Thematik des Films und füllt den gesamten
Spot als Grundmodalität. Interessant ist die Mischung aus Realfilmpassagen mit eingebetteten Tricksequenzen (N∞ 3, 4, 7, 8, 10) ! hieraus
entsteht die für die Tonalität wichtige Balance aus Fiktion und Wirklichkeit, aus Spielerischem und Ernstem. Die Musik ist ebenso kontinuierlich über die gesamte Länge des Films eingesetzt und zählt damit neben
dem Bild zu den kommunikativen Grundelementen. Wichtig ist, dass
der ,soundtrack‘ zweigleisig angelegt ist: Melodie, Rhythmus, Instrumentierung und Stimmqualitäten transportieren vage und durchgängige
Stimmungen; die ,lyrics‘ liefern sprachliche ,cues‘, die gezielt und kon-
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Multimodale Werbekommunikation ! Theorie und Praxis
25
kret auf andere Botschaftsteile des Spots Bezug nehmen können (s. u.).
Geräusche finden nur punktuell Anwendung. Sie akzentuieren die einzelnen visuell vorgeführten Handlungsschritte des Designers und verleihen der Geschichte so Natürlichkeit und Realität. Ebenso punktuell
wird Schrift an bestimmten ,edit points‘ verwendet; die einzelnen Wörter
kanalisieren bildlich-narrativ konstruierte Bedeutungen und legen sie
fest. Die Schriftzüge des ,branding‘ am Schluss nennen Produkt und
Marke und schreiben ihnen eine Philosophie zu. Gesprochene Sprache
findet sich erst in der Überleitung vom ersten zum zweiten Teil des Kommunikats; sie sichert dem Kommunikat einen festen und rational begründeten Interpretationsrahmen (konditionale Logik) und ist als
Stimme der Marke oder Firma angelegt. Typographie schließlich ist fast
zu vernachlässigen; die konsequent serifenlose und schlicht gehaltene
Schrift in schwarz oder weiß tut aber ihren Teil, die spielerische Einfachheit und unprätentiöse aber moderne Tonalität des Films zu unterstreichen.
Die semantischen Beiträge der einzelnen Zeichenmodalitäten zu untersuchen, erfordert einen etwas genaueren Blick, vertieft aber die bereits
gestreifte Frage nach der intermodalen Funktionsteilung. Hier wäre der
Raum, viele Einzelbeobachtungen nach festen Kriterien zusammenzutragen; also der Analyse Tiefe und Detail zu geben ! ich werde mich
aber im Interesse der Einfachheit und Zielorientierung beschränken. Die
Bilder des Films lokalisieren zunächst die Handlung und liefern ein konkretes Setting; ihre dominant weiße und aufgeräumte Optik ist wichtig
für die Tonalität des Spots ! sie steht für Nüchternheit, Eleganz, die
mentale ,tabula rasa‘ vor der Entwicklung sowie für die Konzentration
auf das Wesentliche. Bei der Entfaltung der Handlung inszenieren die
Bilder einen funktional bedeutsamen Wechsel der Perspektiven: vom
über die Schulter Schauen und Draufschauen (N∞ 2, 3 und 11, 12) zum
genau und aus der Nähe Anschauen bestimmter für die Aussage des
Spots zentraler Objekte (Landkarte, Ameise, Elch, Tannenzapfen,
Zahnrad).
Die Musik15 gewinnt ihre Anmutung zunächst aus Rhythmus (schreitend, tanzend, vorwärts treibend) und Melodie/Stimmqualität (zirkulär
wiederholend, aufstrebend/zart, freundlich, strahlend) ! diese Qualitäten erzeugen eine leichte beschwingte, vorsichtig energetische Grundstimmung, die gut zu der Geschichte von Intuition, Kreation und Gestaltung passt. Eine dichtere Instrumentierung und Zunahme von
Dynamik ab N∞ 8 „dramatisiert“ das Spotgeschehen und verleiht dem
Schlussteil des Spots Dynamik, die mit Handlung und Inhalt harmoniert. Der Liedtext schließlich eröffnet eine eigene Bedeutungsebene, die
solche Konzepte wie Verheißung (a whisper in the wind), Ungewissheit
(something’s going on, can’t put my finger on it) vs. Gewissheit (there’s no
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26
Hartmut Stöckl
mistaking), direkte Ansprache/Aufruf zur Aktivität (why don’t you come
out) und ein carpe diem (the time is now) verfügbar macht. Sie allen
reichern die Lesart der Bilder mit passenden Assoziationen an und verleihen dem dargestellten Designprozess Magie und Beseeltheit.
Sowohl Schrift als auch Rede konkretisieren und kategorisieren bildlich Repräsentiertes. So sind die Aufschriften quasi als Etiketten (Trollhättan, Prototype, Power, Neighbour, Fuel, Playground ) Zuweisungen
und Relevanzsetzungen von visuellen Bedeutungen. Schrift lokalisiert
Elemente, kündigt sie an und zählt sie auf, und dient der expliziten Benennung und Bewertung. Die Rede schafft einen ordnenden Interpretationsrahmen für die Bild-Musik-Geschichte. Sie leistet eine Abgrenzung
der werbenden Firma von anderen (just another car vs. Saab) und subsumiert die visuellen Symbole und Sichtweisen der Geschichte unter einen
Oberbegriff (when you have a different perspective on things), der als Methode zum richtigen Ergebnis führt (you end up with a Saab).
Zusammenfassend kann zur Tonalität festgehalten werden, dass es
sich um einen bild- und musikdominierten Spot handelt, der im Sinne
eines globalen Marketing englische Schrift-Schlüssel zur Bedeutung verwendet und eine knappe Sprecherpassage als logische Folie für die erzählte Argumentation einsetzt. Weil das Werbekommunikat auf einem
allgemein verfügbaren kognitiven Skript basiert, ist es auch ohne die
sprachlichen Schlüssel verständlich. Sein Wirkungspotenzial liegt vorwiegend im atmosphärisch-emotionalen Bereich des Bildstils und der
Musikanmutung. Letztlich aber vermittelt es all dies auf der Basis einer
einfachen (weil bekannten) und klaren Argumentation.
Indem die semantischen Leistungen der einzelnen Zeichenmodalitäten
beschrieben worden sind, ist bereits einiges zur intermodalen Kohärenz
gesagt. Hier geht es aber nicht allein darum, Dominanzen und funktionale Erträge des einen oder anderen Kodes zu skizzieren, sondern vielmehr ihr komplexes wechselseitiges Zusammenspiel zu erfassen. Jeder
,mode‘ trägt Teilbedeutungen bei, sie geben sich gegenseitig Sinn, der
eine wird erst durch den anderen (anders) lesbar. Für die praktische
Analyse ist es sinnvoll, nach ,edit points‘ (Leeuwen 2005) oder ,Kontaktstellen‘ (Stöckl 1992) zu suchen, an denen zwei oder mehrere Zeichenmodalitäten in offensichtlicher Weise so montiert wurden, dass sie semantisch und pragmatisch aufeinander Bezug nehmen und in ihrer
Interpretation voneinander abhängig sind (vgl. ,intersemiotic complementarity‘ Royce 1998 u. 2007). In dem Spot gibt es eine ganze Reihe
solcher Kohärenz erzeugenden Strukturen: die Aufschriften etikettieren
Bildelemente, Schlüsselwörter des Liedtextes geben der gesamten Spothandlung eine eigene Dimension, die Musik akzentuiert die Struktur des
Textes und erhöht seine Spannung und der Sprecher fasst die zugrunde
liegende Logik des Spots zusammen. So entsteht durch eine Vielzahl von
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Multimodale Werbekommunikation ! Theorie und Praxis
27
Kohärenzmitteln ein stringentes, in seiner Deutlichkeit fast didaktisch
wirkendes Kommunikat, das um intuitive Verständlichkeit bemüht ist.
Die Kodes ergänzen sich ! wechselseitig verstärkend und anreichernd !
zu einer direkten und eindeutigen Botschaft16.
Ich hatte für eine ,top-down‘-Analyse plädiert, die von den Details
abstrahiert und sie in größeren Strukturen aufhebt. Einzelne Zeichenkomplexe aber sind in der Wahrnehmung des Spots auffällig und für
seine Interpretation maßgeblich. Diesen widme ich am Schluss einen
kurzen Seitenblick. Interessant sind für die Semiotik salienter Zeichenkomplexe vor allem die konnotativen und metaphorisch-metonymischen
Bedeutungen. So steht das Scrollen der zuvor gezeichneten Landkarte
für den Stellenwert der lokalen Produkt-Entwicklung im globalen Automobilmarkt; die Glühlampe metaphorisch für einen Einfall; Papierflieger, Ameise, Elch und Baum/Zapfen metonymisch für Entwurf, Leistung, Natur und Umwelt. Die kindlich-unschuldigen Konnotationen des
Spots rühren etwa von den verwendeten Kinderzeichnungen und dem
Daumenkino (N∞ 11/12) sowie den verschiedenen Tricktechniken her.
Andererseits geht sein modernistisch-puristischer Charakter ! die „Sauberkeit“ des Spots sozusagen ! auf das minimalistische Setting, die
weiße bzw. helle Farbgestaltung sowie die Fokussierung detailarmer Objekte in Symbolfunktion zurück. Die viel bemühten optischen Tricks
des Spots, insbesondere die Verwandlung der technischen Zeichnung des
Autos in seine wirklichkeitsgetreue Darstellung (N∞ 13) aber auch die
Metamorphose von zweidimensionalen Zeichnungselemente in reale Objekte (z. B. N∞ 7 Umriss Elch in lebenden Elch, N∞ 8 Strich in Baum)
betonen das Magische des Designens, das frischen Gedanken Form gibt
und neue Gegenstände Wirklichkeit werden lässt.
5. Ausblick
Die vorgeführte Analyse hat sich dem Kommunikat quasi in konzentrischen Kreisen genähert und wesentliche Beobachtungen mehrer Beschreibungsebenen integrativ zusammengeführt. Im Mittelpunkt standen größere Strukturen des Gesamttexts und seine durch Bild, Ton und
Sprache konstruierte innere Logik. Die einzelnen Eigenschaften des multimodalen Texts wurden konsequent als Anmutungsqualitäten und Tonalitätsmarker interpretiert, die mit denen anderer Werbetexte effektiv
verglichen werden können. In der Reduktion der Beobachtungen, der
Fokussierung auf zentrale Wahrnehmungsqualitäten und ihrer verständlichen Beurteilung sehe ich eine Annäherung an die Bedürfnisse der die
Praxis begleitenden und unterstützenden Werbeforschung wie auch an
die Erfordernisse der Praxis selbst.
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Hartmut Stöckl
Kritisch ist zu fragen, was solche Analysen tatsächlich leisten. Zunächst rekonstruieren sie gestalterische Arbeit, sie zeichnen ein detailliertes und reflektiertes Bild vom Ergebnis des Textproduktionsprozesses.
So sind die Analysen imstande, Elemente, Muster und Techniken zu
lokalisieren und im Sinne einer plausiblen Mittel-Zweck-Relation zu interpretieren. Auf diese Weise machen sie unbewusst-intuitive Gestaltungsentscheidungen „sichtbar“, sie liefern der Praxis eine Reflektionsgrundlage, die natürlich vor allem in der Zusammenschau und im kontrastiven
Vergleich ganzer Kampagnen oder Marktsegmente etc. an Wert gewinnt.
Eine Anleitung zur Gestaltung können Modell und Analyse nicht sein !
auch produzieren sie vermutlich immer noch einige Redundanz und werden nicht unbedingt universell verständlich sein. Ihr indirekter Nutzen
für die Werbpraxis jedoch ist klar. Erstens fördert eine solche post-hoc
Bespiegelung von Produkten der Werbepraxis die analytische Kompetenz und damit die Bewusstheit der Produzenten selbst. Hier ist die
Hoffnung nicht so sehr, dass unmittelbare Rezepte oder Strategien abgeleitet werden können, sondern vielmehr, dass sich an den Analysen der
Verstand für die eigene Methodik und das Gespür für designerische Einfälle und Entwürfe schärfen lässt. Zweitens können derartige Expertisen
die Grundlage für die Planung, Ausrichtung und Feinjustierung von zukünftigen Werbekommunikaten bilden. Und drittens bietet die objektivierende Analyse eigener Entwürfe im Stile des vorgeführten Modells die
Basis für eine Kritikfähigkeit und für Ansätze zur Optimierung.
In diesem Beitrag habe ich ein differenziertes Bild des Verhältnisses
von Theorie und Praxis der Werbekommunikation zu zeichnen versucht.
Ganzheitliche Analysemodelle und ihre Anwendung für die verschiedensten Fragestellungen und Zwecke sind sicherlich ein zentrales Instrument, das die Forschung der Praxis bieten kann. Andere der Praxis potenziell nutzbringende Felder und Ausrichtungen der Theorie habe ich in
Abschnitt 3 ausführlich skizziert. Zur komplizierten Beziehung zwischen
Werbeforschung und -praxis (s. Abschnitt 2) vertrete ich den Standpunkt, dass eine gegenseitige Annäherung durchaus sinnvoll und nützlich wäre. Damit diese gelingen kann, muss der Praktiker mehr von der
Theorie wissen und umgekehrt der Theoretiker sich stärker für die Praxis interessieren. Die effektivere Didaktisierung des Werbens und eine
stärkere kritisch-ästhetische Aufmerksamkeit ihr gegenüber wären die
unmittelbarsten Effekte einer solchen Annäherung.
Anmerkungen
1. Hier ist vor allem auch an solche übergeordnete stilistische Gestaltungs-Prinzipien
wie Humor, Wissenschaftlichkeit, Nähe/Distanz, Umgangssprachlichkeit, Ironie,
Parodie etc. zu denken.
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Multimodale Werbekommunikation ! Theorie und Praxis
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2. Hölscher (2002: 497) relativiert die Annahme über Zeitdruck und Zeitnot. Mit
Sicherheit wird in Werbeagenturen viel über die eigentliche Arbeit gesprochen;
dies ist eine gute Voraussetzung für Bewusstseinsbildung und subjektive Theorien.
3. Kegel/Vieregge (2011 i. D.) formulieren konkrete Fragen und Erkenntnisinteressen der Praxis. Sie plädieren ! wie ich in diesem Beitrag ! für eine enge Kooperation von Theoretikern und Praktikern.
4. Hier sind nur größere Überblicksdarstellungen, Monographien und Lehrbücher
berücksichtigt.
5. Janich 2011 i. D. wählt diese Dreiteilung als Grundstruktur für das Handbuch.
Stöckl (2004) beinhaltet ebenso ein breites Programm für eine umfassende Werbeforschung.
6. Idealer Weise ist solche Forschung auftragsbasiert.
7. Aus der Feder von Jim Heimann stammt eine lange Reihe von Werbeanthologien,
hauptsächlich nach Dekaden organisiert, manche aber auch nach Produktkategorien.
8. Stil scheint eine zentrale Kategorie für die Werbeforschung. Siehe dazu Janich
2010a: 258 ff. und Janich 2010b. Zu Stil in umfassender linguistischer Sicht siehe
Fix 2007.
9. Agenturen rekrutieren ihre Texter auf der Basis von ,copy tests‘. Diese einmal
näher mit Blick auf die geforderten Schreibaufgaben zu untersuchen, wäre interessant, ebenso wie der Blick auf die wenigen professionellen Ausbildungen für Werbetexter (z. B. Texterschmiede Hamburg).
10. Fix (2001b: 115 ff.) fordert prinzipiell eine semiotische Ausrichtung der Textund Stilanalyse.
11. Zu einem Programm für die ganzheitliche semiotische Werbeanalyse siehe Stöckl
2011 i. D.
12. Zu Prinzipien und Problemen der multimodalen Transkription siehe Schneider/
Stöckl (2011: 13 ff.).
13. Ein Vergleich der in den Agenturen entstehenden ,storyboards‘ mit den Transkripten wäre im Hinblick auf die Erklärungskraft der unterschiedlichen Dokumentationsformen sehr interessant.
14. Der Werbespot findet sich auf der Firmenwebseite unter: www.saab.com/global/
en/start#/world/ media/videos/change-perspective/carrousel:tag1/.
15. Die Musik stammt von der schwedischen Sängerin Asha Ali. Der Titel ,The time
is now‘ ist ein Paradebeispiel für die Vermarktung von Musik in Werbespots; er
ist auch einem der neusten Saab-Spots unterlegt ! die Live-Aufnahmen zu dem
musikvideoartigen Spot sind auf einer Internationalen Automobilausstellung entstanden.
16. Die intramodale Kohärenz, also konzeptueller und formaler Zusammenhalt der
Elemente innerhalb einer Zeichenmodalität, wird hier zwar ausgeblendet, ist aber
ebenso bedeutsam.
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Adresse des Verfassers:
Prof. Dr. Hartmut Stöckl
Universität Salzburg
Anglistik und Amerikanistik
Akademiestraße 24
A-5020 Salzburg
E-Mail: [email protected]
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