Physikalische Chemie für Energy Science

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Vorlesung Physikalische Chemie
Im Studiengang Energy Science (Christian Mayer)
Vorlesung:
Übungen:
Mittwoch, 08:00 bis 10:00, MB 243
Mittwoch, 10:00 bis 11:00, MB 243
Beginn der Vorlesung:
Ende der Vorlesung:
Mittwoch, den 13. April 2016
Mittwoch, den 20. Juli 2016
Inhalt:
1
2
3
4
5
6
7
Einführung
Grundlagen der Thermodynamik
2.1
Grundlegende Begriffe und Parameter
2.2
Der Nullte Hauptsatz der Thermodynamik und die
Temperaturskala
2.3
Zustandsfunktionen
Beschreibung gasförmiger Systeme
3.1
Die Gasgesetze und das ideale Gas
3.2
Das Kinetische Gasmodell
Der Erste Hauptsatz der Thermodynamik
4.1
Weiterführende Begriffe: Arbeit, Wärme und Energie
4.2
Die Innere Energie und der Erste Hauptsatz
4.3
Das Perpetuum mobile: ein Gedankenexperiment
4.4
Messung von Änderungen der Inneren Energie
4.5
Die Enthalpie
4.6
Messung von Änderungen der Enthalpie
4.7
Relation zwischen Innerer Energie und Enthalpie
4.8
Die totalen Differentiale von Innerer Energie und Enthalpie
4.9
Die Temperaturabhängigkeit der Inneren Energie und der
Enthalpie
4.10 Die Volumenabhängigkeit der Inneren Energie
4.11 Die Druckabhängigkeit der Enthalpie
4.12 Reaktionsenergie und Reaktionsenthalpie
Der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik
5.1
Die Entropie
5.2
Entropieänderungen bei ausgewählten Prozessen
5.3
Der Carnotsche Kreisprozess
5.4
Wirkungsgrade von Wärmekraftmaschinen
Der Dritte Hauptsatz der Thermodynamik
6.1
Formulierung des Dritten Hauptsatzes
6.2
Erzeugung tiefer Temperaturen
Freie Energie und Freie Enthalpie
7.1
Definition und Bedeutung
7.2
Die Fundamentalgleichung
7.3
Die Maxwellschen Gleichungen
7.4
Die Abhängigkeit der Freien Enthalpie von Temperatur und Druck
7.5
Das chemische Potential
7.6
Das chemische Gleichgewicht
7.7
Die Elektromotorische Kraft
2
1
Einführung
Die Wissenschaft der Thermodynamik beschäftigt sich, wie der Wortstamm
verrät, mit dem Begriff der Temperatur und den damit verbundenen dynamischen Vorgängen. Historisch betrachtet verdankt sie ihre Entstehung in erster
Linie einer Vielzahl an Beobachtungen, die im praktischen Umgang mit dem
Phänomen Temperatur gesammelt wurden.
In der langen Geschichte der Anwendungen thermischer Prozesse standen
insbesondere folgende Zielsetzungen im Vordergrund:
-
Das Erreichen einer bestimmten vorgegebenen Temperatur zum
Zweck des menschlichen Wohlbefindens, der Konservierung, etc.
(z.B. Heizung, Klimaanlage, Kühlschrank)
-
Die gezielte Änderung des Zustands eines vorgegebenen Werkstoffs durch Temperaturänderung (z.B. Konservieren oder Garen
von Lebensmitteln, Erweichen und Schmelzen von Metallen, Glas
oder Kunststoff, thermische Ausdehnung)
-
Die Gewinnung von Arbeit unter Nutzung thermischer Energie
(z.B. Dampfmaschine, Stirlingmotor, Peltier-Element)
Insbesondere der letztgenannte Punkt, die Herausforderung, Wärme möglichst
effektiv in Arbeit zu verwandeln, führte dazu, dass sich bereits vor etwa 200
Jahren eine Anzahl von Wissenschaftlern intensiv mit grundlegenden Fragestellungen der Thermodynamik beschäftigte. Er gab schließlich auch den
Anlass zur Formulierung wichtiger Naturgesetze, der Hauptsätze der Thermodynamik.
Aus heutiger Sicht, unter Einbeziehung aller historischen Entwicklungen,
welche die Thermodynamik als Wissenschaft vollzogen hat, lässt sich
zusammenfassend vielleicht folgende Definition festlegen:
„Die Thermodynamik ist die Lehre von der Nutzung
und Umwandlung von Energie.“
Der Bezug zur Chemie konnte erst wesentlich später geschaffen werden, als
klar wurde, dass die Triebkraft aller chemischen Reaktionen auf den Grundlagen der Thermodynamik beruht. Darüber hinaus wurde gefunden, dass auch
die Lage eines chemischen Gleichgewichts und die Geschwindigkeit einer
chemischen Reaktion eng mit thermodynamischen Gegebenheiten verknüpft
sind. Die so genannte chemische Thermodynamik beantwortet damit sowohl
die Frage nach dem „warum“, als auch die Frage nach dem „wie“ einer
chemischen Umsetzung.
3
2
Physikalische Beschreibung eines Systems
2.1
Grundlegende Begriffe und Parameter
Aus der Sicht der Thermodynamik betrachtet man bei allen anstehenden Messungen, Versuchen oder theoretischen Betrachtungen stets eine mehr oder
weniger scharf umrissene Gesamtheit von Stoffen. Diesen momentan interessierenden Ausschnitt des Universums nennt man ein System. Das kann der
Inhalt eines Kolbens oder Reaktors sein, oder auch eine lebende Zelle, die
Atmosphäre der Erde, ein Teich oder einige wenige Moleküle im Raum. Hat
man sich einmal für ein System entschieden, so betrachtet man den Rest des
Universums als Umgebung. Je nachdem, wie das System von der Umgebung
abgetrennt ist, unterscheidet man drei Arten von Systemen:
a) Offene Systeme: Hier werden sowohl Stoffe als auch mindestens eine
Form der Energie zwischen System und Umgebung ausgetauscht.
b) Geschlossene Systeme: Hier findet zwar ein Austausch von Energie
statt, nicht aber ein Austausch von Stoffen.
c) Abgeschlossene Systeme: Hier werden weder Stoffe noch Energie mit
der Umgebung ausgetauscht.
Darüber hinaus gibt es noch weitere Charakteristika eines Systems, die thermodynamisch von Bedeutung sind. Eines der wichtigsten ist das thermodynamische Gleichgewicht: ein System kann sich in Bezug auf verschiedene Systemvariablen (chemische Umsetzungen, Temperatur, Druck etc.) im Gleichgewicht oder im Ungleichgewicht befinden. Weiterhin unterscheidet man zwischen homogenen und inhomogenen Systemen, je nachdem, ob im System
Phasengrenzen vorliegen oder nicht. So betrachtet man eine Emulsion oder
einen Nebel als inhomogenes System, eine Kochsalzlösung oder ein Gasgemisch dagegen als homogenes System.
Bei der Beobachtung von Materie bei unterschiedlichen Vorgängen wurde früh
erkannt, dass äußerliche Veränderungen bei jeder Art von Materie stets mit
Änderungen gewisser Zustandsparameter verbunden sind. Um den Zustand
eines Stoffes in Abhängigkeit von der Temperatur vollständig festzulegen,
benötigt man zunächst die Begriffe Stoffmenge, Volumen, Druck und
Temperatur:
n
Stoffmenge:
Die Stoffmenge wird über die Teilchenzahl definiert:
Einheit der Teilchenzahl: 1 Mol
Definition:
Ein Mol eines Stoffes enthält dieselbe Anzahl an
Teilchen wie 0,012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops
12
C (1 Mol  6.022.1023 Teilchen)
Dabei muss eindeutig festgelegt sein, was unter
einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist.
Ist die Stoffmenge konstant, so spricht man von
einem geschlossenen System.
4
V
Volumen:
Die Definition des Volumens erfolgt über die
festgelegte Längeneinheit und den geometrischen
Volumenbegriff:
Einheit des Volumens: 1 m³
Definition:
Ein m³ ist das Volumen eines würfelförmigen Raums
mit einer Kantenlänge von einem Meter. Ist das
Volumen konstant, so spricht man von einem
isochoren Vorgang.
P
Druck:
Die Definition erfolgt über die Kraft, die ein Stoff auf
jede Flächeneinheit eines ihn einschließenden
Behälters ausübt.
Einheit des Drucks:
= 10-5 bar
1 Pascal = 1 Pa = 1 N/m²
Definition:
Ein Pascal ist der Druck, bei dem auf jeden
Quadratmeter der Behälterwände eine Kraft von
einem Newton ausgeübt wird. Ist der Druck konstant,
so spricht man von einem isobaren Vorgang.
Die vielleicht wichtigste Zustandsgröße der Thermodynamik ist gleichzeitig diejenige, die sich am schwierigsten definieren lässt, die Temperatur. Die menschliche Wahrnehmung liefert zwar einen subjektiven Temperaturmaßstab
(„warm“, „kalt“), ermöglicht jedoch keine objektive Festlegung einer Temperaturskala. Man kann, abgeleitet aus dem allgemeinen Erfahrungsschatz,
zunächst nur eine Methode zum Vergleich von Temperaturen festlegen.
Entscheidend hierfür ist die Beobachtung, dass zwischen zwei Systemen mit
unterschiedlicher Temperatur Wärme fließt. Dies äußert sich darin, dass die
Temperatur des Mediums, aus dem Wärme abfließt, abnimmt, während
gleichzeitig die Temperatur des Mediums, dem Wärme zufließt, zunimmt.
T
Temperatur:
Der Temperaturvergleich erfolgt über die
Bestimmung der Richtung des Wärmeflusses.
Definition:
Stehen zwei Systeme S1 und S2 miteinander in thermischem Kontakt, so
bestimmt die Temperaturdifferenz den Wärmefluss. Ist T1 größer als T2,
so fließt Wärme von S1 nach S2. Ist T1 kleiner als T2, so fließt Wärme
von S2 nach S1. Ist T1 gleich T2, so kommt der Wärmefluss zum
Stillstand. Man nennt diesen Zustand das thermische Gleichgewicht.
hohe
Temperatur
niedrige
Temperatur
Wärme
niedrige
Temperatur
hohe
Temperatur
gleiche Temperaturen
Wärme
Ist die Temperatur konstant, so spricht man von einem isothermen
Vorgang.
5
2.2
Der „Nullte Hauptsatz“ der Thermodynamik und die
Temperaturskala
Die so festgelegte Form des Temperaturvergleichs führte zu grundsätzlichen
Überlegungen zur Natur eines thermischen Gleichgewichts und schließlich zur
Formulierung eines grundlegenden Naturgesetzes, des „Nullten Hauptsatzes“
der Thermodynamik:
Nullter Hauptsatz der Thermodynamik:
Sind zwei Systeme im thermischen Gleichgewicht mit einem dritten
System, dann sind sie auch untereinander im thermischen Gleichgewicht.
Auf den ersten Blick scheint diese Aussage banal und ohne größere Konsequenz zu sein. Sie erst ermöglicht allerdings, bei genauerer Betrachtung, das
Einbringen eines „fremden“ Systems, beispielsweise eines Thermometers, in
ein zu untersuchendes System zum Zweck der Temperaturbestimmung. Nur
unter der obengenannten Voraussetzung erhält man dann, nach Einstellung
des thermischen Gleichgewichts zwischen dem Thermometer, der Umgebung
des Thermometers und dem übrigen zu untersuchenden System, schließlich
eine Situation, bei der die Temperaturen aller beteiligten Komponenten
identisch sind:
Umgebung
des
Thermometer
Thermometers
Übriges
System
1) Gleichgewicht zwischen Thermometer und Umgebung des Thermometers
2) Gleichgewicht zwischen Umgebung des Thermometers und dem übrigen System
Aus 1) und 2) folgt gemäß dem Nullten Hauptsatz:
3) Gleichgewicht zwischen dem Thermometer und dem übrigen System
Aus 1) , 2) und 3) folgt gemäß der Definition des Temperaturvergleichs:
4) Die Temperatur des Thermometers ist gleich der Temperatur des übrigen Systems
Wie alle Hauptsätze der Thermodynamik ist auch der Nullte Hauptsatz nicht bewiesen, sondern beruht auf einer Vielzahl von Beobachtungen. Seine elementare Aussage bildet die Ausgangsbasis für das Verständnis fast aller Systemparameter, insbesondere der Temperatur. Erst auf dieser Grundlage kann man
sich der nächsten Aufgabe zuwenden, der Messung der Temperatur und der
Festlegung von Temperaturskalen.
6
Thermometer
Zur Verwendung für Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische
oder chemische Vorgang, der reproduzierbar mit einer Temperaturänderung
verknüpft ist. Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgänge von
Gasen, Flüssigkeiten und Festkörpern:
Festkörperthermometer werden gewöhnlich nach dem
Prinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganz
links). Dabei werden zwei verschiedene Festkörper
(z.B. zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flächig
miteinander in Kontakt gebracht. Bedingt durch die
unterschiedliche
thermische
Ausdehnung
der
Materialien krümmt sich das Bimetall-Blech abhängig
von der Temperatur mehr oder weniger stark zu einer
Spirale.
Hg
Flüssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer
(rechts) nutzen die Volumenänderung eines fluiden
Mediums mit der Temperatur. Die Genauigkeit kann
erhöht werden, indem einem großvolumigen Vorratsbehälter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- und
Ablesebereich gegenübergestellt wird.
In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der
Temperaturmessung zum Zug, die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren. Neben der Messmethode ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig. Dazu dienten zunächst einige Fixpunkte, die heute teilweise
noch historische Bedeutung haben:
1) Die tiefste Temperatur des Winters 1708/1709 in Danzig:
- 17,8°C
2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr
(760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa):
0°C
3) Koexistenztemperatur von Eis, Wasser und Wasserdampf:
0,01°C
(exakt)
4) Die durchschnittliche Körpertemperatur eines
gesunden Menschen:
37,8°C
5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr
(760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa):
100°C
Die Punkte 1 und 4 bildeten die erste vorläufige Grundlage des FahrenheitSystems, die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala. Bei beiden Systemen
wurde der definierte Bereich zunächst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt,
dann extrapoliert. Beide Definitionen wurden später verfeinert (Celsius: 99,99
Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5, Fahrenheit: 180 Grade F zwischen
den Fixpunkten 1 und 5). Trotzdem mangelt es außer Punkt 3 allen genannten
Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit. Der Punkt 3, der so
genannte Tripelpunkt des Wassers, bei dem Wasserdampf, flüssiges Wasser
und Eis miteinander im Gleichgewicht stehen, ist als einziger exakt einstellbar.
Das zweite Problem, nach der Unvollkommenheit der meisten Fixpunkte, besteht in der Festlegung einer systemunabhängigen linearen Teilung.
7
Gewöhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewählten Medium abhängig: Eine
lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilberthermometers entspricht daher
nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers, da die
Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur
abhängt.
Beide Probleme, sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die
Festlegung einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die
Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala gelöst. Grundlage
hierfür sind übereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern:
V
-273,15°C
-300
-200
-100
0
100
200
T
Bei wiederholten Messungen mit verschiedenen
Gasthermometern, verschiedenen Gasen und
Gasvolumina und bei verschiedenen Drucken stellt
man fest, dass sich die Verlängerungen aller in den
jeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einem
Punkt schneiden. Dieser Punkt entspricht auf der
Volumenachse dem Wert V = 0 und auf der
Temperaturachse dem Wert T = -273,15 °C.
Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen, dass der Temperatur am gemeinsamen Schnittpunkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische
Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet. Weiterhin wurde festgestellt, dass zwar alle Gase in ihrem
Ausdehnungsverhalten von dem idealen linearen Verlauf abweichen, dass aber
unter bestimmten Umständen (z.B. niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf
angestrebt wird. Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise
absinkenden Drucken, dessen Verhalten sich für P ® 0 zum idealen Verhalten
extrapolieren lässt. Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten
Temperaturskala in Kelvin:
1) Unterer Fixpunkt: Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven „idealer“ Gase
(z.B. Helium für den Grenzfall P®0):
0 Kelvin
2) Oberer Fixpunkt: Koexistenztemperatur von Eis, Wasser und Wasserdampf
273,16 Kelvin
3) Das Volumen eines „idealen“ Gases (z.B. Helium für den Grenzfall P®0) ist
bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare
Teilung der Temperaturskala
Gemäß dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines
„idealen“ Gasthermometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt.
Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenüber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physikalischer Vorgänge eindeutig von
Vorteil. Vorgänge, bei denen die Temperatur konstant ist, nennt man isotherm.
Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n, Volumen
V, Druck P und Temperatur T besteht nun die Möglichkeit, das Verhalten
makroskopischer Materie zu beschreiben. Am einfachsten gelingt das im Fall
von Gasen.
8
2.3
Zustandsfunktionen
Die somit eingeführten Größen Teilchenzahl, Volumen, Druck und Temperatur
beschreiben den Zustand eines Systems. Man nennt sie deshalb Zustandsgrößen oder, falls sie als Funktionen anderer Parameter gegeben sind,
Zustandsfunktionen. Sie besitzen eine Reihe von gemeinsamen Eigenschaften:
1)
Der Wert einer Zustandsfunktion Z(x, y) hängt nur von der Größe
der Variablen x und y ab, nicht von dem Weg, über den der
entsprechende Zustand erreicht wurde. Beispiel: Eine Zustandsfunktion
Z(V, T) unterscheidet sich von der Nicht-Zustandsfunktion Z’(V, T)
dadurch, dass eine Veränderung der Parameter T und V um T bzw. V
in jedem Fall reproduzierbar zu einer identischen Veränderung in Z führt
(s. folgende Abb. links). Bei Z’ ist diese Veränderung abhängig vom Weg
in T und V (s. folgende Abb. rechts).
Zustandsfunktion:
Nicht-Zustandsfunktion:
Z’
Z
Weg 1
Weg 1
Weg 2
Weg 2
Z
Z’1
Z’2
Z+Z
T
T
V
V
T
T+T
V
T+T
V+V
V+V
2)
T
V
Für die mathematische Formulierung der Zustandsfunktion gilt der
(
Schwarzsche Satz:
Z( x, y)
)
x
y
(
=
Z( x, y)
)
y
x
das heißt, bei der Bildung der gemischten Ableitung ist es egal, ob zuerst
nach x oder zuerst nach y abgeleitet wird.
3)
Zustandsfunktionen besitzen ein Totales Differential.
Innerhalb der Zustandsgrößen wird weiterhin zwischen sogenannten intensiven
Größen und extensiven Größen unterschieden:
9
Intensive Zustandsgrößen sind von der Masse des Systems unabhängig.
Greift man aus dem betrachteten System einen kleinen Ausschnitt heraus, so
bleiben intensive Zustandsgrößen auch dort unverändert. Man kann diese
Größen also messen, ohne das Gesamtsystem zu erfassen. Beispiele: Druck,
Temperatur, Dichte.
Extensive Zustandsgrößen sind abhängig vom Umfang des Systems. Im
Allgemeinen sind sie proportional zur Größe eines betrachteten Teilsystems.
Um sie zu messen, ist es nötig, das Gesamtsystem zu erfassen. Beispiele:
Masse, Volumen, Teilchenzahl.
Extensive Parameter können in intensive überführt werden, indem man sie auf
die Stoffmenge bezieht. Beispiele: das Molvolumen Vm = V/n oder die
Konzentration c = n/V oder die Molmasse M = m/n.
3
Beschreibung gasförmiger Systeme
3.1
Die Gasgesetze und das ideale Gas
Mit den Parametern n, V, P und T sind die wichtigsten Zustandsgrößen zur Beschreibung eines gasförmigen Systems eingeführt. Es gilt nun, die grundlegenden Zusammenhänge zwischen diesen Messgrößen experimentell zu erfassen.
Zunächst führte die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Volumen
und Druck zur Formulierung des Boyle’schen Gesetzes (1660):
3.1.1
Das Boyle’sche Gesetz
Auf eine Verringerung des Volumens reagieren Gase grundsätzlich mit einem
Anstieg des Drucks. Der Physiker Robert Boyle stellte darüber hinaus fest,
dass bei konstanter Temperatur das Produkt aus Druck und Volumen
annähernd konstant ist. Bei der Auftragung von P gegen V in einem Diagramm
ergibt sich somit für jede eingestellte Temperatur eine Hyperbel. Boyle
interpretierte das Ergebnis fälschlich als Folge von intermolekularen
Wechselwirkungen („spring of the air“), eine Vorstellung, die durch Mariotte
unter Postulierung des kinetischen Gasmodells (s. 3.2) berichtigt wurde.
10
P
P
T5
T4
T3
T2
T1
V
Das Boyle’sche Gesetz lässt sich auf folgende einfache Aussage reduzieren:
mit konstantem n und T:
P.V = const.
(Boyle)
Untersuchungen bei variabler Temperatur führten 1787 schließlich zum
Charles’schen Gesetz:
3.1.2
Das Charles’sche Gesetz
Charles beobachtete, dass das Volumen eines Gases bei konstantem Druck
annähernd linear mit der Temperatur ansteigt (Gasthermometer).
V
11
P3
V
P2
P1
T
Zusammengefasst lässt sich nach Charles festhalten:
mit konstantem n und P:
V = const..T
(Charles)
Beobachtungen hinsichtlich des Volumens von
Teilchenzahl führten zum Avogadroschen Gesetz.
3.1.3
Gasen
bei
variabler
Das Avogadro’sche Gesetz
Bei konstanter Temperatur und konstantem Druck nimmt ein Mol eines beliebigen Gases stets ein Volumen von etwa 22 Liter ein (ideal: 22,4 L bei 273 K
und 1,013 bar). Mit anderen Worten: das Volumen eines Gases (bei T, P =
const.) ist proportional zur Teilchenzahl:
mit konstantem T und P:
V = const..n
(Avogadro)
Eine Kombination der drei Gasgesetze liefert schließlich das ideale Gasgesetz.
3.1.4
Die Verknüpfung der Gasgesetze - das ideale Gasgesetz
Grafisch lassen sich die Gasgesetze nach Boyle und Charles kombinieren,
indem man ein dreidimensionales Koordinatensystem einführt:
P
T
V
Mathematisch führt die Kombination aller Gasgesetze zu dem Ausdruck:
(PV) / (nT)
=
const.
12
oder:
PV
=
const.
.
nT
Wie alle genannten Gasgesetze ist auch diese Kombination ein Grenzgesetz,
d.h. es wird von allen Gasen zunächst nur annähernd erfüllt. Generell wird
beobachtet, dass die genannte Gleichung um so genauer gilt,
 je niedriger der Druck P
 je höher die Temperatur T
 je geringer Wechselwirkungen zwischen den Gasteilchen
Alle Gase streben unter diesen Bedingungen ein gemeinsames Grenzverhalten
an. Die Konstante der Gleichung, auch allgemeine oder ideale Gaskonstante
R genannt, beträgt dann:
R
=
8,314 J K-1 Mol-1
Diese Größe ist eine auch in anderer Hinsicht sehr wichtige Naturkonstante.
Der hypothetische Grenzfall eines Gases, das exakt die oben genannte
Beziehung erfüllt, wird Ideales Gas genannt. Die Gleichung
PV = nRT
heißt auch Ideale Gasgleichung. Festzuhalten ist die Tatsache, dass solch ein
Gas nicht real existiert, sondern nur einen idealisierten Grenzfall beschreibt.
Unter den real existierenden Gasen kommt wohl Helium bei niederen Drücken
und hohen Temperaturen diesem Idealfall am nächsten. Mathematisch handelt
es sich bei der Idealen Gasgleichung um eine Zustandsgleichung, die (gleichgültig, welche Größen als Variablen geführt werden) ein totales Differential
besitzt.
3.2
Das Kinetische Gasmodell
3.2.1
Grundlagen
Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgeführten Gasgesetzen handelt es sich
um mathematische Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgängen. Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen. Das erfolgreichste unter ihnen war das
sogenannte Kinetische Gasmodell. Es beruht auf der Vorstellung, dass ein
Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht, die folgende Bedingungen
erfüllen:
1)
Sie besitzen eine endliche Masse m, einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in ständiger und ungeregelter Bewegung.
2)
Die Größe der Teilchen ist im Verhältnis zum freien Volumen
vernachlässigbar.
3)
Zwischen den Teilchen finden elastische Stöße statt. Ansonsten
existieren keine weiteren Wechselwirkungen.
13
3.2.2
Definition des Drucks im Kinetischen Gasmodell
Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kräfte (pro Flächeneinheit), die durch auf eine Fläche aufprallende
Gasteilchen ausgeübt werden. Die Impulsänderung p, die jedes Teilchen
dabei erfährt, beträgt
p
=
2 mvx
Dabei steht p für den Gesamtimpuls, vx für die Geschwindigkeitskomponente in
x-Richtung und m für die Masse eines Teilchens. Die Kraft, die pro
Teilchenstoß auf die Fläche wirkt, beträgt dann:
F
=
dp/dt 
2 m vx / t
Das Volumen Vstoß, in dem sich Teilchen befinden, die potentiell innerhalb
eines Zeitintervalls t auf die Wand stoßen können, beläuft sich auf:
Vx t
Vstoß =
A vx t
wobei A der betrachteten Fläche entspricht. Die Zahl der Teilchen nStoß (in
Mol), die pro Zeiteinheit auf die Fläche stoßen, beträgt dann:
nStoß
=
½ Vstoß (n/V)
=
½ A vx t (n/V)
Dabei wird zunächst davon ausgegangen, dass alle Teilchen die gleiche
Geschwindigkeitskomponente vx aufweisen. Der Faktor ½ berücksichtigt, dass
sich im Durchschnitt nur die Hälfte aller Teilchen aus dem betrachteten
Volumen in Richtung der Fläche A bewegt. Die Gesamtmasse mStoß der
Teilchen, die pro Zeiteinheit auf die Wand stoßen, beläuft sich somit auf:
mStoß
=
M nstoß
=
M ½ A vx t (n/V)
14
wobei M die Molmasse der Gasteilchen benennt. Die insgesamt ausgeübte
Kraft beträgt also:
F

mStoß 2vx / t
=
M ½ A vx (n/V) 2 vx
und damit beläuft sich der Druck auf:
P
=
F/A
=
M vx² (n/V)
Bisher wurde der Einfachheit halber davon ausgegangen, dass alle Teilchen
betraglich gleiche Geschwindigkeitskomponenten vx in x-Richtung aufweisen.
Dieser Ansatz entspricht natürlich nicht den Gegebenheiten eines reellen
Gases. Um der Realität gerecht zu werden, muss in der letztgenannten
Gleichung die Größe vx² durch das entsprechende mittlere Geschwindigkeitsquadrat vx² ersetzt werden (wobei vx²  vx² !). Das mittlere Quadrat vx²
der Geschwindigkeitskomponente in x-Richtung sollte, da alle Raumrichtungen
gleichberechtigt sind, folgende Beziehung erfüllen:
vx²
=
vy²
=
vz²
Außerdem erfordert die Tatsache, dass sich die Gesamtgeschwindigkeit
vektoriell aus den Komponenten zusammensetzt, die Gültigkeit folgenden
Zusammenhangs:
v² = vx² + vy² + vz² = 3 vx²
das mittlere Geschwindigkeitsquadrat v² der Teilchen wird im Allgemeinen als
c² bezeichnet, es gilt:
v²
=
c²
Daraus ergibt sich abschließend folgender Ausdruck für den Druck nach dem
kinetischen Gasmodell:
P
=
1/3 M c² (n/V)
oder, in der Schreibweise der idealen Gasgleichung:
PV
=
1/3 n M c²
15
3.2.3
Die Bewegungsgeschwindigkeit von Gasteilchen
Zieht man nun das ideale Gasmodell hinzu und formuliert die ideale Gasgleichung entsprechend:
PV
=
nRT
so erhält man durch Koeffizientenvergleich:
nRT =
1/3 n M c²
oder:
RT
=
1/3 M c².
Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem völlig neuen
Verständnis des Phänomens Temperatur kommen: Die Temperatur eines
Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen (und damit auch zur kinetischen Energie):
weiter gilt:
T

c

c²
T
oder
T

Ekin 
und
c

M1
Leichtere Teilchen sind im Mittel schneller als schwere, wobei die Halbierung
der Masse zu einer Erhöhung der Geschwindigkeit um den Faktor Wurzel zwei
führt.
Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeitsquadrat, also die Größe c, liegt
üblicherweise in der Größenordnung der Schallgeschwindigkeit (zum Beispiel
für Stickstoff bei Raumtemperatur: c = 516 m/s).
Es ist festzuhalten, dass c (die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeitsquadrat) nicht gleich der mittleren Geschwindigkeit ist. Der Wert für c ist stets
größer als die mittlere Geschwindigkeit, da bei der Berechnung von c die
höheren Geschwindigkeiten ein größeres Gewicht besitzen.
Für den Zusammenhang zwischen Teilchengeschwindigkeit und Temperatur
spielt es in erster Näherung keine Rolle, ob sich die Teilchen bezüglich einer
Oberfläche bewegen oder eine Oberfläche sich in Bezug auf die Teilchen
bewegt. Daher erhitzt sich die Oberfläche beispielsweise eines Flugzeugs, das
sich mit Überschallgeschwindigkeit bewegt.
Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist, stellt
sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion der Teilchen. Teilt
man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf, und
zählt man die Teilchen, die gemäß ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen
Intervallen zugeordnet werden müssen, so ergibt sich für die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v folgendes Bild:
16
n(vx)
n(vx)
Temperaturerhöhung
-
0
+
vx-Intervall
n(v)
-
0
+
vx-Intervall
n(v)
Temperaturerhöhung
0
+
v-Intervall
0
+
Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsätzlich Null. Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets
eine endliche, von Null verschiedene Größe. Bei einer Erhöhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter, der Mittelwert von v vergrößert
sich. Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung):
f(vx)
=
[M/(2RT)]1/2 exp [-Mvx²/(2RT)]
f(v)
=
4 [M/(2RT)]3/2 v² exp [-Mv²/(2RT)]
Die Temperatur eines Gases äußert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat, sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion. Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss, um
die o.g. Forderung zu erfüllen, aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue, der Mischtemperatur entsprechende Verteilungsfunktion
entstehen. Dies ist nur unter der Annahme möglich, dass ein Austausch
kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann. Diese Tatsache bedingt
die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstößen, also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen. Darin besteht der wesentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas.
v-Intervall
17
4
Der Erste Hauptsatz der Thermodynamik
4.1
Weiterführende Begriffe: Arbeit, Wärme und Energie
Die ursprüngliche Formulierung des ersten Hauptsatzes basiert auf der Erfahrung, dass ein Perpetuum Mobile erster Art nicht existiert. Er lautet in seiner
empirischen Form:
Es ist unmöglich, eine Maschine zu konstruieren, die kontinuierlich
Arbeit leistet, ohne dabei Energie zu verbrauchen.
In dieser Formulierung tauchen die Begriffe Arbeit und Energie auf, die
zunächst in physikalischer Hinsicht zu definieren sind. In engem Zusammenhang mit den Größen Arbeit und Energie steht die Wärme, die im Folgenden in
die Betrachtung mit einbezogen wird.
4.1.1 Arbeit (w)
Im Verlauf eines Vorgangs, bei dem die Position eines Gegenstands entgegen
einer Kraft verschoben wird, wird Arbeit geleistet. Die dabei aufgebrachte Arbeit
lässt sich (mit w als Arbeit, F als Kraft und x als Ortskoordinate) in folgender
Weise formulieren:
dw
=
-F dx
Das negative Vorzeichen deutet an, dass bei positiver („am System geleisteter“)
Arbeit der Kraftvektor und der Ortsvektor entgegengesetzte Ausrichtung aufweisen. Wirkt die Kraft automatisch der Bewegungsrichtung entgegen (wie z.B. bei
der Hubarbeit), so kann auf das negative Vorzeichen verzichtet werden.
Beispiele:
Anheben einer Masse im Schwerefeld:
dw = mg dh
Spannung einer Feder mit der Federkonstante k:
dw = kx dx
Beschleunigung eines Körpers mit der Masse m:
dw = m
Arbeit, um n geladene Teilchen in einem elektrischen Feld mit dem Potential E zu verschieben:
(Faraday-Konstante: F = 96 485 Coulomb / Mol)
d w = F E dn
²x
dx
t ²
.
Die Einheit der Arbeit beträgt in jedem Fall 1 [N m] oder 1 [Joule]. Sie ist definiert als diejenige Arbeit, die benötigt wird, um ein Objekt gegen die Kraft von
einem Newton einen Meter weit zu verschieben.
Eine im Umfeld der Thermodynamik besonders wichtige Form der Arbeit ist die
Volumenarbeit. Die zu überwindende Kraft besteht hierbei in einer Druckkraft
PA, die Ortsveränderung in einer Bewegung des Kolbens entlang der Ortskoordinate x. Damit gilt für die bei der Kompression geleistete (oder bei der Expansion maximal erhältliche) Arbeit:
18
x
dw = -PA dx
=
-P dV
Die gesamte, im Verlauf eines Kompressionsvorgangs entwickelte Arbeit ergibt
sich aus dem Integral über dw bzw. -PdV zwischen den Grenzen V1 und V2. Im
PV-Diagramm entspricht dies einer von Diagrammverlauf eingeschlossenen
Fläche:
dw = - P dV
P
2
w=
Arbeit
w
V1
V
V2
dw =
1
- P dV
V1
V2
V2
V1
Für die Kompression eines Gases wird immer die Arbeit dw = -PdV benötigt.
Bei der Expansion eines Gases hängt das Maß an freigesetzter Arbeit dagegen
von den äußeren Bedingungen ab. Sie entspricht nur dann der Kompressionsarbeit, wenn zu jedem Zeitpunkt der Expansion ein Kräftegleichgewicht
zwischen Druckkraft und Gegenkraft am Kolben herrscht. In diesem Fall ist
der Vorgang an jedem Punkt des Ausdehnungsprozesses umkehrbar. Man
nennt eine so geführte Expansion deshalb reversibel. Bei allen anderen,
irreversiblen Expansionen ist die erhaltene Arbeit kleiner, im Extremfall der
freien Expansion gleich Null (s. folgende Abb.).
Das Maß an zurückgewonnener Volumenarbeit ist also davon abhängig, wie
viel Arbeit „abgeschöpft“ wird. Die im reversiblen Fall freigesetzte Arbeit
entspricht dem erreichbaren Maximum, es gilt also:
wrev
=
wmax
und
wirrev
<
wrev, wmax
Für das Vorzeichen der Arbeit gilt stetes folgende Konvention: wird Arbeit w an
einem betrachteten System geleistet, so wird sie mit positivem Vorzeichen
angegeben (w > 0). Leistet dagegen ein System Arbeit an seiner Umgebung, so
versieht man sie mit einem negativen Vorzeichen (w < 0). Im Folgenden sind
exemplarisch drei verschiedene Expansionsprozesse gegenübergestellt:
19
p
p
reversibel
Arbeit
V
p
irreversibel
gegen Pex =0
Arbeit
=0
pex
V
dw = 0
dwrev = - P dV
irreversibel
gegen
konstanten
Druck
Arbeit
dw = -Pex dV
Wichtig: die Größe Arbeit bezieht sich immer auf einen Vorgang, hier auf eine
Volumenänderung. Sie ist wegabhängig und keine Zustandsfunktion.
4.1.2 Wärme (q)
Ursprünglich stellte der Begriff der Wärme für die Naturwissenschaft ein
ebenso großes Rätsel dar wie der Begriff der Temperatur. Die Naturforscher
Benjamin Thompson und Robert Mayer stellten unabhängig voneinander fest,
dass es eine gewisse Äquivalenz zwischen Arbeit und Wärme geben müsse.
Ihre Beobachtungen wurden nachträglich durch J.P. Joule bestätigt und wesentlich verfeinert. Demnach lässt sich durch einfache mechanische Anordnungen (z.B. aufeinander reibende Flächen, mechanische Deformation oder ein
Rührwerk in einer Flüssigkeit) ein bestimmtes Quantum Arbeit in ein genau
entsprechendes Quantum Wärme umwandeln. Robert Mayer berichtete, dass
man mittels einer bestimmten Portion Arbeit „ein Liter Wasser entweder um 365
Meter anheben oder um ein Grad erwärmen könne“ (heute weiß man, dass der
genaue Wert für den genannten Höhenunterschied 426,4 m beträgt).
Es liegt also nahe, Wärme (üblicherweise bezeichnet durch die Variable q) und
Arbeit mit denselben Einheiten zu benennen. Die ursprüngliche Einheit der
Wärme, die Kalorie, war definiert als diejenige Wärmemenge, die (unter
Normalbedingungen) die Temperatur von einem Gramm Wasser um genau ein
Grad Celsius (bzw. ein Kelvin) erhöht. Unter Nutzung der Äquivalenz von Arbeit
und Wärme ergibt sich:
1 Kalorie

4,184 Joule
20
Damit ist die Definition einer eigenen Einheit für die Wärme überflüssig,
dementsprechend sollten Wärmemengen nur noch in der SI-Einheit Joule und
nicht mehr in Kalorien ausgedrückt werden.
Beide Phänomene, sowohl Arbeit als auch Wärme, sind eng mit der Bewegung
von Teilchen verknüpft. Der eigentliche Unterschied besteht darin, dass im Fall
der Arbeit eine gerichtete, gleichsinnige Bewegung entsteht, während im Fall
der Wärme chaotische, nur statistisch fassbare Bewegungsvorgänge erzeugt
werden. Betrachtet man ein einzelnes Teilchen eines Systems, so existiert
dieser Unterschied nicht mehr. Ein einzelnes Wassermolekül erhält durch einen
freien Fall über 426,4 m (in 9.3 s auf etwa 91 m/s) genau so viel zusätzliche
kinetische Energie wie durch eine Temperaturerhöhung um 1 Grad Celsius.
Genau betrachtet ist eine Unterscheidung zwischen Arbeit und Wärme,
zwischen kinetischer und thermischer Energie nur dann sinnvoll, wenn das
betrachtete System aus einer Vielzahl nur statistisch zu erfassender Teilchen
besteht. Das Phänomen der Wärme verknüpft in randomisierter Form alle in
einem System möglichen Arten von Arbeit. Daher gibt es stets nur eine
Erscheinungsform von Wärme, obwohl die Arbeit in sehr vielen verschiedenen
Erscheinungsformen auftreten kann.
Wie die Arbeit ist die Wärme ebenfalls eine wegabhängige Größe, die einen
Vorgang beschreibt. Sie ist damit keine Zustandsgröße.
4.1.3 Energie
Der dritte Begriff, der im Zusammenhang mit dem ersten Hauptsatz zu definieren ist, ist die Energie. Allgemein ließe sich aufgrund der Äquivalenz von
Wärme und Arbeit folgendes festlegen:
Energie ist die Fähigkeit, Arbeit zu leisten oder Wärme freizusetzen.
Energie kann in einem System in verschiedenster Weise vorliegen, beispielsweise als kinetische Energie, thermische Energie, Gravitationsenergie, chemische Energie, oder elektromagnetische Energie. Um alle im Inneren eines
Systems vorhandenen Formen der Energie zusammenzufassen, spricht man
von ihrer Summe als der Inneren Energie U und definiert:
U
=
Ekin + Etherm + Egrav + Echem + Eelmag + ....
Zur Inneren Energie gehören dabei nicht solche Energieformen, die Lage und
Bewegung des Systems als Ganzes betreffen, also nicht die Potentielle Energie
des Behälters im Schwerefeld der Erde oder die mögliche Bewegungsenergie
aufgrund der Bewegung des Systems als Ganzes. Die Größe U beschränkt
sich daher ausdrücklich auf den inneren Zustand des Systems, nicht auf
Zustände oder Vorgänge, die sich auf die Außenwelt beziehen. Bezugsmaßstab für alle Bewegungsvorgänge ist immer ein Koordinatensystem, das sich
am Schwerpunkt des Systems orientiert.
21
4.2
Die Innere Energie und der Erste Hauptsatz
Die Gesamtenergie eines Systems aus der Sicht einen systemfesten Koordinatensystems ist somit identisch mit dessen Innerer Energie U. Aus den
Beobachtungen bezüglich der Äquivalenz von Wärme und Arbeit sowie aus der
Tatsache, dass beide Prozesse die Innere Energie eines Systems zu verändern
vermögen, werden folgende Schlüsse gezogen:
Die Innere Energie eines Systems erhöht sich, wenn man an dem System
Arbeit leistet oder Wärme zufügt, sonst nicht.
Die Innere Energie eines Systems vermindert sich, wenn das System an seiner
Umgebung Arbeit leistet oder Wärme abgibt, sonst nicht.
Aus diesem Postulat (das, wie alle Hauptsätze, nicht bewiesen werden kann)
folgt schließlich die thermodynamische Formulierung des Ersten Hauptsatzes:
Die Änderung der Inneren Energie ergibt sich aus der Summe der
ausgetauschten Beträge von Wärme und Arbeit:
U
dU
=
=
w + q
dw + dq
Mit der gewählten Definition für die Systemeigenschaften „offen“, „geschlossen“
und „abgeschlossen“ (s. Abschnitt 2.1) folgt als weitere Formulierung des
ersten Hauptsatzes:
Die Innere Energie eines abgeschlossenen Systems ist konstant.
Der erste Hauptsatz enthält in dieser Form zwei Aussagen: die Äquivalenz von
Wärme und Arbeit und die Forderung nach der Erhaltung der Energie. Die
Innere Energie ist eine Zustandsgröße, da sie einen energetischen Zustand
eines Systems beschreibt. Arbeit und Wärme sind keine Zustandsgrößen, da
sie nur Änderungen bedeuten, die am System vorgenommen werden. Die
Summe aus Arbeit und Wärme beschreibt die Änderung der Zustandsgröße
Innere Energie.
Diese Beziehung zwischen den Größen Innere Energie, Arbeit und Wärme
lässt sich beispielsweise mit der analogen Beziehung zwischen Kontostand,
Überweisung und Barscheckeinzahlung verdeutlichen. Weder die Barscheckeinzahlungen noch die Überweisungen sagen allein etwas über die Zustandsgröße „Kontostand“ aus. Über die Summe beider Parameter kann jedoch auf
die Veränderung des Zustands geschlossen werden. Arbeit und Wärme sind
zwar selber keine Zustandsfunktionen, beschreiben aber in ihrer Summe die
Veränderung einer Zustandsfunktion, nämlich die der Inneren Energie.
Im allgemeinen Fall ist die Innere Energie eine Funktion aller grundlegenden
Zustandsgrößen T, V, P und n. Im Sonderfall eines Gases nach dem
kinetischen Gasmodell vereinfacht sich die Situation allerdings erheblich. Die
einzige Energieform, die ideale Gasteilchen nach dem kinetischen Gasmodell
beinhalten können, ist die kinetische Energie. Mit dem Ausdruck
22
RT
=
1/3 M c²
(s. Kapitel 3.2.3) folgt mit Ekin = ½ mv² die Beziehung
RT
=
2/3 Ekin
oder Ekin = U = 3/2 R T
Das bedeutet, dass die Innere Energie U(T) eines idealen Gases grundsätzlich
allein von der Temperatur abhängt, nicht dagegen vom Druck oder vom Volumen.
Bei einem realen Gas sind die Gegebenheiten komplizierter, da hier Wechselwirkungen zwischen den Teilchen auftreten können. Betrachtet man denjenigen
Kompressionszustand eines realen Gases, bei dem die Teilchen sich jeweils im
Minimum eines durch die Wechselwirkungen bedingten Energiepotentials (des
so genannten Lennard-Jones-Potentials) aufhalten, so führt sowohl eine
Kompression als auch eine Expansion des Gases zu einem Anstieg der potentiellen Energie, auch wenn dabei die kinetische Energie der Gasteilchen (sprich
die Temperatur) konstant bleibt. Das Phänomen ist vergleichbar mit der potentiellen Energie einer Feder, die sich sowohl auf Zug als auch auf Druck
spannen lässt. Die molare Innere Energie U(T,P) bzw. U(T,V) ist damit bei
realen Gasen auch eine Funktion des Drucks bzw. des Volumens. Sie ergibt
sich aus der Summe der kinetischen Energie Ekin = 3/2RT und der potentiellen
Energie nach dem Lennard-Jones-Potential.
Anmerkung: Die Freisetzung von Energie durch Verminderung der Masse (oder
umgekehrt) gemäß der relativistischen Äquivalenz von Masse und Energie
nach E = mc² ist hierbei nicht berücksichtigt. Die hier dargestellte Form des
Ersten Hauptsatzes lässt sich jedoch problemlos in diesem Sinne erweitern.
Die Gleichung U = q + w enthält dann einen dritten Term der Form mc²,
welcher der Energieänderung durch den Masseverlust bzw. Massezuwachs
entspricht.
Dieser Masseverlust tritt theoretisch auch bei chemischen Reaktionen auf,
konnte allerdings bisher experimentell noch nicht nachgewiesen werden. Der
Grund dafür liegt vor allem in den geringen Masseänderungen, die selbst bei
energiereichen Reaktionen und leichten Reaktionspartnern kaum detektierbar
sind. Eine Rekombination von 400 t atomaren Wasserstoffs ergibt beispielsweise nur einen Masseverlust von etwa einem Gramm.
4.3
Das Perpetuum mobile: ein Gedankenexperiment
Der Zustand eines idealen oder realen Gases lässt sich (bei konstanter Teilchenzahl n) mit den Systemzustandsgrößen P, V und T eindeutig beschreiben.
Da die drei Parameter gemäß einer realen Gasgleichung miteinander verknüpft
sind, reichen schon zwei der Größen, beispielsweise T und V, zur Beschreibung des Systems vollkommen aus. Die Innere Energie ist eine Zustandsfunktion. Jeder denkbare Zustand des betrachteten Gases ist also eindeutig mit
einem Wert für die Innere Energie verbunden, so dass man die Innere Energie
als Funktion von T und V ausdrücken könnte (s. Abb.). Variiert man nun die
23
Parameter T und V ausgehend von einem Startpunkt Tstart|Vstart derart, dass
man nach einiger Zeit wieder an den Startpunkt zurückkehrt (Tend =Tstart, Vend =
Vstart), so erhält man in der T-V-Ebene eine geschlossene Linie, die am
Anfangs- und Endpunkt genau den gleichen Zustand des Systems markiert. Da
Anfangs- und Endzustand identisch sind, müssen hier auch die zugeordneten
Inneren Energien identisch sein; somit müssen, über den Zyklus hinweg, auch
die Funktionswerte für die Innere Energie U(T,V) eine geschlossene Linie
beschreiben:
U(V,T)
T
V
Mathematisch formuliert lässt sich zusammenfassen:
T = 0 und V = 0

U = 0
Die Summe aller Veränderungen im Verlauf der zyklischen Zustandsänderung
ist also gleich Null. Mathematisch lässt sich diese Tatsache in folgender
Schreibweise darstellen:
 dU

0
Das bedeutet, dass im Verlauf eines vollständigen Zyklus des Systems weder
Energie verbraucht noch Energie freigesetzt werden kann. Dem ersten Hauptsatz gemäß gilt:
U
woraus folgt:
=
0
=
w + q
w
=
-q
Jeder Betrag an geleisteter Arbeit wird damit durch ein entsprechendes Quantum an zugeführter Wärme kompensiert. Es ist demnach also unmöglich, unter
Nutzung eines idealen oder realen Gases eine Anordnung zu konstruieren, die
in einem zyklischen Prozess Arbeit leistet, ohne Wärme aufzunehmen.
Sinngemäß gilt diese Aussage ebenso für Flüssigkeiten, Festkörper und
beliebige andere Phasenzustände. Sie entspricht der klassischen Formulierung
des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik: Es gibt kein Perpetuum mobile
erster Art. Arbeitsleistung ohne Wärmeaufnahme ist nur in einem nichtzyklischen Prozess unter Verringerung der Inneren Energie möglich.
24
4.4
Messung von Änderungen der Inneren Energie
Prinzipiell ist dem ersten Hauptsatz gemäß die Änderung der Inneren Energie
einfach über die Summe der ausgetauschten Wärme und der ausgetauschten
Arbeit zu bestimmen. Es sind jedoch vereinfachende experimentelle Ansätze
denkbar:
a) Vollständige thermische Isolierung des Systems. Es gilt damit: q = 0,
die Versuchsdurchführung ist adiabatisch. Daraus resultiert nach
dem ersten Hauptsatz: U = w + q = w. Die Änderung der
Inneren Energie kann somit in Form der ausgetauschten Arbeit
gemessen werden.
b) Beibehaltung eines konstanten Volumens. Die Versuchsdurchführung
ist isochor, es gilt: dV = 0. Somit verschwindet die Volumenarbeit
gemäß dw = - P dV = 0. Daraus resultiert nach dem ersten
Hauptsatz: U = w + q = q. Die Änderung der Inneren Energie kann
dann in Form der ausgetauschten Wärme bestimmt werden.
Gewöhnlich wird die zweite, die isochore Variante genutzt, da Wärme in der
Praxis einfacher messbar ist als Volumenarbeit. Hierzu dient das sogenannte
Bombenkalorimeter, in dem eine abgewogene Probenmenge einer Reaktion
unterzogen wird. Die frei werdende Wärmemenge führt zu einer entsprechenden Erwärmung des Druckbehälters und des umgebenden Wasserbads, die
gemessen und ausgewertet werden kann (Abb.).
+
-
Thermometer
O2
Probe
Bombe
Zünddraht
Wasserbad
4.5
Die Enthalpie
Bei konstantem Volumen ist die Änderung der Inneren Energie gleich der ausgetauschten Wärme, es gilt
dV = 0

U = q
Dies ist eine für experimentelle Auswertungen sehr bequeme Beziehung, da
sich nun jede Änderung der Inneren Energie in Wärme bzw. Temperaturänderung bemerkbar macht. Allerdings sind in der Praxis Prozesse mit konstantem
25
Volumen eher selten. Chemische Umsetzungen werden zumeist in offenen Gefäßen oder in Gefäßen mit Druckausgleich durchgeführt. Deswegen ist eine
Zustandsfunktion gesucht, die einen Bezug zur Inneren Energie hat, deren
Änderung aber dem Wärmeaustausch bei konstantem Druck entspricht.
Diese Funktion wurde in der Enthalpie H gefunden:
H
=
U + PV
Diese auf den ersten Blick nicht unbedingt einleuchtende Definition führt zu der
Beziehung
HP=const. = q
Begründung:
dH
und, mit dP = 0:
dH
=
=
=
=
=
=
dU +
dU +
dw +
- P dV
dq +
dq
d (P V)
P dV + V dP
dq + P dV + V dP
+ dq + P dV + V dP
V dP
Die Enthalpie ist wie die Innere Energie eine Zustandsfunktion, da P und V
(und somit auch PV) ebenfalls Zustandsfunktionen darstellen, und eine Summe
von Zustandsfunktionen stets ebenfalls eine Zustandsfunktion ergibt. Der
eigentliche Nutzen der Enthalpie besteht darin, dass Angaben über die
Enthalpieänderung eines Systems direkte Aussagen über die bei konstantem
Druck ausgetauschte Wärme zulassen:
q = U
geschlossenes
System
Geschlossenes
System dV=0
bei
konstantem Volumen
4.6
q = H
offenes System
Geschlossenes
dP=0
System bei
konstantem Druck
Messung von Änderungen der Enthalpie
Die Messung von H erfolgt analog zu der von U unter Bestimmung des Wärmeflusses, hier bei konstantem Druck, also unter isobaren Bedingungen. Dies
könnte beispielsweise in einer Bombe mit Druckausgleich erfolgen. Bei Gasreaktionen (z.B. zwischen Luft und Erdgas) wird die Verwendung des so
genannten Flammenkalorimeters bevorzugt:
26
Zur Messung der Enthalpieänderung bei der Reaktion
zwischen zwei Gasen werden die Gase in einer
Kammer mit zwei Zuführungen zur Reaktion gebracht.
Über einen Wärmetauscher gelangt die bei der
Reaktion freigesetzte Wärme in das umgebende
Kühlbad, dessen Temperaturänderung bestimmt wird.
Diese Temperaturänderung ist eine Funktion der bei
konstantem Druck freigewordenen Wärme, die wegen
HP=const = q genau der Enthalpieänderung entspricht.
Ein in der physikalisch-chemischen Analytik sehr häufig praktiziertes Verfahren,
bei dem unter anderem die Enthalpieänderung gemessen werden kann, ist die
sogenannte Dynamische Differenzkalorimetrie (auch Differential Scanning
Calorimetry, DSC). Bei dieser Art der thermischen Analyse wird eine Probe
zusammen mit einer Referenzzelle einem genau festgelegten Temperaturprogramm (z.B. ein Temperaturanstieg von 10 K/min) unterworfen und der zur
Einhaltung der Temperaturänderung benötigte (oder freigesetzte) Wärmefluss
gemessen.
4.7
Relation zwischen Innerer Energie und Enthalpie
Aus der Definition der Enthalpie
H
=
U + PV
folgt zunächst, dass H immer größer ist als U (PV ist grundsätzlich positiv).
Allerdings ist der Betrag, um den die Enthalpie die Innere Energie überschreitet, sehr stark von den Gegebenheiten abhängig. Bei der Betrachtung von
Änderungen der Inneren Energie und der Enthalpie kann man im Wesentlichen
zwei Fälle unterscheiden:
a) Abläufe, bei denen keine Gase beteiligt sind. Hier ist, bei nicht allzu
hohem Druck, PV sehr klein. Daraus folgt, dass die Änderung der
Enthalpie und die der Inneren Energie etwa den gleichen Betrag
besitzen: H  U.
b) Abläufe, bei denen Gase beteiligt sind. Hier ist PV im Allgemeinen
nicht vernachlässigbar. Unter Ansatz des idealen Gasgesetzes als Näherung erhält man: (PV) = (nRT), woraus folgt: H = U + (nRT).
Unter der Voraussetzung, dass die Temperatur in etwa konstant ist,
wird also die Veränderung der Teilchenzahl zum entscheidenden Kriterium.
Die Enthalpie ist eine künstlich geschaffene Größe, die bei chemischen
Reaktionen, die in den meisten Fällen unter konstantem Druck ablaufen, deutlich praxisgerechter ist. Sie erlaubt unter Verwendung tabellierter Enthalpiewerte direkte Aussagen über die zu erwartenden Wärmeflüsse. Bei veränderlichem Druck sind Enthalpiewerte lediglich abstrakte Größen von geringer
praktischer Bedeutung.
27
4.8
Die totalen Differentiale der Inneren Energie und der
Enthalpie
Da es sich bei der Inneren Energie U und der Enthalpie H um Zustandsfunktionen handelt, kann man auch entsprechende totale Differentiale formulieren. Dabei muss zunächst festgelegt werden, welche Zustandsgrößen als variable Parameter angesetzt werden. Im Falle der Inneren Energie betrachtet
man bevorzugt Prozesse bei konstantem Volumen. Es ist deswegen von
Vorteil, als einen der beiden Parameter das Volumen zu wählen, da dann der
entsprechende Term dV häufig entfällt. Als zweiten Systemparameter kann
man beispielsweise die Temperatur verwenden (es wird sich später zeigen,
dass ein anderer, noch einzuführender Zustandsparameter besser geeignet
ist). Man erhält damit für das totale Differential zunächst folgenden Ausdruck:
dU(T,V)
=
 U 
  dT
 T  V
+
 U 
  dV
 V  T
Im Falle der Enthalpie wird als zweiter Parameter sinnvollerweise der Druck
verwendet, da hier häufig Prozesse bei konstantem Druck betrachtet werden,
wobei der Term dP verschwindet. Man erhält entsprechend:
dH(T,P)
=
 H 
  dT
 T  P
+
 H
  dP
 P  T
Alle genannten partiellen Differentiale sind für das Verständnis von prozessbedingten Veränderungen der Inneren Energie und der Enthalpie von großer
Bedeutung. Auf sie wird deshalb in den folgenden Kapiteln eingegangen.
4.9
Die Temperaturabhängigkeit der Inneren Energie und
der Enthalpie
Bei konstantem Volumen, einer bei Verwendung der Inneren Energie häufig
erfüllten Forderung, verschwindet in dem totalen Differential der Inneren
Energie der zweite Summand und man erhält:
dU(T,V)
=
 U 
  dT
 T  V
V = const.
Das partielle Differential der Inneren Energie nach der Temperatur bei konstantem Volumen ist von großer Bedeutung und wird Wärmekapazität bei konstantem Volumen CV genannt. Es gilt also:
CV
=
 U 
 
 T  V
Diese Wärmekapazität ist zunächst eine extensive, d.h. von der Stoffmenge abhängige Größe. Um intensive Größen zu erhalten, definiert man die molare
28
Wärmekapazität CV,m = CV/n oder die spezifische Wärmekapazität CV,s= CV/m.
Insgesamt sind also folgende Größen gebräuchlich:
Wärmekapazität CV :
 U 
CV =  
 T  V
molare Wärmekapazität CV,m :
 U 
CV,m =   1/n
 T  V
Einheit: J/(Kmol)
spezifische Wärmekapazität CV,s :
 U 
CV,s =   1/m
 T  V
Einheit: J/(Kg)
Einheit: J/K
In der grafischen Darstellung von U(T,V) entspricht CV der Steigung der Funktionswerte von U gegen eine Veränderung von T bei konstantem V (s. Abb.
links):
U
U
( dU
dT )V
T
V
T
T1
Im Allgemeinen ist CV temperaturabhängig. In den meisten Fällen steigt der
Wert von CV mit der Temperatur an, die Temperaturabhängigkeit von U erhöht
sich also (Abb. rechts).
Bei konstantem Volumen (dV = 0) gilt gemäß dem ersten Hauptsatz:
dU
=
dq + dw
=
dq - P dV
=
dq
worauf sich die Definition der Wärmekapazität auch schreiben lässt:
Cv
=
 U 
 
 T  V
=
 q 
 
 T  V
In dieser Formulierung macht auch der Begriff Wärmekapazität einen Sinn.
Anschaulich lässt sich also die Wärmekapazität folgendermaßen verstehen:
Die Wärmekapazität bei konstantem Volumen CV ist diejenige Wärmemenge in J/K, die benötigt wird, um die Temperatur eines Systems bei
konstantem Volumen um ein Grad zu erhöhen.
29
Die Messung der Wärmekapazität geschieht üblicherweise unter Einbringung
einer definierten Wärmemenge z. B. in Form von elektrischer Arbeit bei gleichzeitiger Temperaturmessung:
+ - el. Arbeit w = q
dT
e
V = const.
Um die Wärmekapazität bei konstantem Volumen zu
messen, wird ein isochores System mit einer
elektrischen Heizung versehen. Die elektrische
Leistung der Heizung multipliziert mit der Heizdauer
ergibt eine elektrische Gesamtarbeit in Joule (Watt.s).
Diese Arbeit wird bei der gewählten Versuchsanordnung direkt in Wärme umgewandelt, die sich in
Form einer Temperaturerhöhung des Systems äußert.
Die Wärmekapazität wird dann als Steigung in einer
Auftragung der Wärmemenge (= elektrische Arbeit)
gegen die Temperatur bestimmt:
wel = q
Steigung = CV
T
Völlig analog verläuft die Behandlung des entsprechenden partiellen Differentials der Enthalpie nach der Temperatur bei konstantem Druck:
dH(T,P)
=
 H 
  dT
 T  P
=
CP dT
P = const.
Die Größe CP heißt entsprechend Wärmekapazität bei konstantem Druck.
Die Definition der entsprechenden intensiven Größen spezifische Wärmekapazität bei konstantem Druck CP,s und molare Wärmekapazität bei konstantem
Druck CP,m erfolgt völlig analog zu CV,s und CV,m. Die Einheiten der Wärmekapazitäten bei konstantem Druck und bei konstantem Volumen sind identisch.
Der Wert von CP entspricht der Steigung der Funktionsfläche von H gegen T
bei konstantem P (Abb. links). Die Wärmekapazität bei konstantem Druck ist
wie CV temperaturabhängig (Abb. rechts):
H
H
( dH
dT )P
T
P
T1
T
Somit gilt folgende anschauliche Definition:
Die Wärmekapazität bei konstantem Druck CP ist diejenige Wärmemenge
in J/K, die benötigt wird, um die Temperatur eines Systems bei konstantem Druck um ein Grad zu erhöhen.
30
Die Messung verläuft analog zur Messung von CV unter Einbringung von elektrisch erzeugter Wärme in ein Medium unter Bestimmung der Temperaturänderung, hier allerdings unter isobaren Bedingungen. Unter der
letztgenannten Voraussetzung gilt (mit dHP=const. = dq):
CP
=
 H
 
 T  P
=
 q 
 
 T  P
Die Differenz zwischen den Werten der Wärmekapazitäten bei konstantem
Druck beziehungsweise bei konstantem Volumen resultiert aus den
Definitionen von Innerer Energie und Enthalpie:
CP  C V
 H 
 U 
   
 T  P  T  V
 (U  PV ) 
 U 

  

 P  T  V
T
 U 
 (PV ) 
 U 
  
  
 T  P  T  P  T  V
Für ein ideales Gas gilt PV = nRT, somit lässt sich hier formulieren:
CP  C V
 U 
 (nRT) 
 U 
   
  
 T  P  T  P  T  V
 U 
 U 
    nR   
 T  P
 T  V
Für ein ideales Gas ist die Innere Energie nur von der Temperatur abhängig,
daher ist jedes partielle Differential der Inneren Energie nach der Temperatur
identisch. Im Fall eines idealen Gases gilt damit:
CP  C V
 nR
Diese Gesetzmäßigkeit wird von realen Gasen nicht exakt, aber doch in guter
Näherung erfüllt. Allgemein gilt: Die Wärmekapazität bei konstantem Druck ist
(vor allem bei Gasen) stets größer als die bei konstantem Volumen. Anschaulich erklärt sich dies aus der Tatsache, dass bei konstantem Druck während
einer Erhöhung der Temperatur neben der reinen Erwärmung der Substanz
auch ein gewisser Betrag an Volumenarbeit anfällt, für den ein zusätzliches
Quantum an Wärme aufgewendet werden muss.
4.10
Die Volumenabhängigkeit der Inneren Energie
Das Joule’sche Experiment
Der Physiker James Prescott Joule beabsichtigte die Messung der Volumenabhängigkeit der Inneren Energie mittels folgender Versuchsanordnung:
31
2
1
Ein Gasbehälter (1, links) ist mit Gas unter Druck gefüllt, das bei Öffnen des
Ventils in den rechten Behälter strömt (2). Der Vorgang ist exakt gleichbedeutend mit dem der irreversiblen Expansion gegen den Druck Null (s. Kapitel 4.1),
das Gas leistet dabei keine Arbeit. Joule beobachtete keine Temperaturänderung eines umgebenden Wärmebades, ein Ergebnis, das für die Verhältnisse
bei idealen Gasen exakt zutrifft. Da keine Arbeit geleistet wird und offensichtlich auch kein Wärmeaustausch stattfindet, gilt dU = 0 und damit:
 U 
  0
 V  T
(für ideale Gase)
Bei realen Gasen und genaueren Messungen stellt man allerdings für gewöhnlich (bei nicht allzu hohen Drücken) fest, dass die Temperatur des Wasserbades nach dem Experiment geringer ist als vorher (T1 > T2). Das Gas hat also
während des Expansionsvorgangs Wärme aufgenommen (somit ist die
Expansion während des Joule’schen Experiments nicht adiabatisch, aber
natürlich auch nicht exakt isotherm). Da nach außen keine Arbeit geleistet wird,
gilt dU = dq. Die Wärmeaufnahme durch das System entspricht einem positiven
Wert für q, damit gilt:
 U 
  0
 V  T
(für reale Gase unter Normalbedingungen, außer Helium und Wasserstoff)
Der Grund für die Erhöhung der Inneren Energie ist darin zu sehen, dass unter
den gegebenen Voraussetzungen die anziehenden Wechselwirkungen zwischen den Teilchen überwiegen. Expandiert man nun das Gas, so wird eine zusätzliche potentielle Energie aufgebaut, die sich anschaulich mit dem Bild einer
Vielzahl von auf Zug gespannten Federn interpretieren lässt. Bei einem realen
Gas kann also Innere Energie nicht nur in Form von kinetischer Energie (als
thermische Bewegung) sondern auch in Form von potentieller Energie bei
gegenüber dem Idealwert vergrößertem Teilchenabstand vorliegen (s. LennardJones-Potential).
Bei sehr hohen Drücken kann sich z.B. Stickstoff bei der Ausdehnung auch erwärmen, die Verhältnisse sind dann genau umgekehrt. In diesem Fall wird dann
sozusagen eine auf Druck gespannte Feder entspannt, potentielle Energie wird
freigesetzt, die Innere Energie vermindert sich.
32
4.11
Die Druckabhängigkeit der Enthalpie
Der Joule-Thomson-Versuch
Das Experiment wurde später von James Joule in Zusammenarbeit mit William
Thomson (später Lord Kelvin) verfeinert. Sie verwendeten eine Versuchsanordnung, bei der ein Gas adiabatisch und irreversibel von einem Zustand P1, V1
und T1 in einen zweiten Zustand P2, V2 und T2 überführt wird (P1>P2):
1
2
Der Vorgang ist exakt gleichbedeutend mit einer Expansion gegen einen konstanten Gegendruck (s. Kapitel 4.1). Da der Vorgang adiabatisch verläuft, wird
keine Wärme ausgetauscht, es gilt zunächst q = q1 = q2 = 0. Da zu keinem
Zeitpunkt ein Gleichgewicht besteht, ist der Vorgang irreversibel.
Weiterhin lässt sich die Arbeit w1, die bei dem Absenken des linken Kolbens
am System geleistet wird, sowie die Arbeit w2, die beim Heben des rechten
Kolbens vom System abgegeben wird, formulieren als:
V2
0
w 2  P2  dV  P2 V2
w 1  P1  dV  P1V1
0
V1
Mit U = w+q muss dann gelten:
U  U 2  U1  q1  q 2  w 1  w 2  P1V1  P2 V2
Durch Umstellen der Summanden erhält man:
U1  P1V1  U 2  P2 V2
H1  H 2
oder
Das überraschende Ergebnis dieser Betrachtung ist, dass der Prozess ohne
Veränderung der Enthalpie abläuft, also ganz so, als wäre er unter den
gegebenen adiabatischen Bedingungen isobar geführt worden (was nicht der
Fall ist). Richtig ist dagegen, dass der Prozess entlang einer Linie gleicher
Enthalpie (entlang einer Isenthalpe) verläuft (Abb. links):
“Isenthalpe”
H
1
H = const.
T
H = const.
1
2
2
T
P
P
33
Die Schnittlinie mit der entsprechenden Ebene in T und P (Abb. rechts) gibt die
Druckabhängigkeit der Temperatur bei konstanter Enthalpie wieder. Aus ihr
lässt sich also entnehmen, wie stark die Temperatur im Verlauf eines JouleThomson-Versuchs mit fallendem Druck sinkt. Ihre Steigung, also die Größe
(T/P)H, wird als Joule-Thomson-Koeffizient  bezeichnet. Der Wert dieses
Koeffizienten lässt sich aus dem Totalen Differential der Enthalpie berechnen.
Da die Enthalpie bei dem betrachteten Vorgang konstant ist, muss gelten:
 H 
 H 
dH    dT    dP  0
 T  P
 P  T
H P T
1  H 
 T 

 
  
 P  H
C P  P  T
H TP
oder
Der Wert für den gesuchten Koeffizienten (H/P)T ergibt sich daraus als
 H 
 T 
    C P    C P 
 P  T
 P  H
Für ideale Gase ist die Innere Energie nur von der Temperatur abhängig, daher
gilt in diesem Fall (H/P)T = ((PV)/P)T = ((nRT)/P)T = 0 und =0. Für reale
Gase kann der Joule-Thomson-Koeffizient positive und negative Werte annehmen.
Der Temperatureffekt bei dem Joule-Thomson-Versuch lässt sich nutzen, um
ein Gas abzukühlen. Die Abkühlung kann so weit betrieben werden, dass das
Gas sich verflüssigt (Linde-Verfahren). Voraussetzung für die Abkühlung
während des Expansionsvorgangs ist ein positiver Wert für den JouleThomson-Koeffizienten . Der Wert für  (der Steigung im T/P-Diagramm)
hängt sowohl vom Druck als auch von der Temperatur ab (Abb.):
<0 : Erwärmung bei Expansion
T
1
=0 : Keine Temperaturänderung
2
>0 : Abkühlung bei Expansion
P
Die meisten Gase besitzen bei Raumtemperatur einen positiven Wert für .
Ausnahmen bilden Wasserstoff und Helium, die bei etwa 300 K auf Expansion
mit Erwärmung reagieren. Die Temperatur, bei der sich das Vorzeichen des
Joule-Thomson-Koeffizienten bei einem bestimmten Druck umkehrt, nennt man
Inversionstemperatur.
Bei >0 bedeutet eine Expansion eine Erhöhung der potentiellen Energie, da
anziehende Wechselwirkungen bei der Expansion des Gases überwunden wer-
34
den müssen und sich dadurch ein Spannungszustand aufbaut. Da die Innere
Energie dabei konstant bleiben muss, wird der zusätzliche Energiebeitrag im
adiabatischen Fall durch eine Abkühlung kompensiert. Umgekehrt gilt für <0,
dass eine Expansion die potentielle Energie vermindert, da der durch abstoßende Wechselwirkungen bedingte Energiebeitrag abgebaut wird. Dabei erwärmt sich das Gas. Die mit einer adiabatischen Expansion ohne Austausch
von Arbeit verbundenen Veränderungen der thermischen und potentiellen
Energie sind in dem folgenden Diagramm zusammengefasst:
ideales Gas mit  = 0:
reales Gas mit > 0:
Etherm
E
0
reales Gas mit < 0:
Etherm
Etherm
Epot
Epot
Epot
V
V
V
In allen Fällen ist die Summe beider Energien, die Innere Energie, konstant (dw
= 0, dq = 0, dU = 0).
4.12
Reaktionsenergie und Reaktionsenthalpie
4.12.1
Vergleich zwischen Reaktionsenthalpie und Reaktionsenergie
In der Chemie interessieren in erster Linie Energie- und Enthalpieänderungen,
die mit chemischen Reaktionen verbunden sind. Je nach den gewählten Bedingungen ist, wie bereits begründet, die Reaktionsenergie (bei V = const.) oder
die Reaktionsenthalpie (bei P = const.) die bevorzugte Größe. Da in der
Praxis chemische Reaktionen zumeist bei konstantem Druck ausgeführt werden, besitzt die Reaktionsenthalpie die weitaus größte Bedeutung. Allgemein
gelten folgende Definitionen:
=
rU
=
Differenz der Gesamtenergien
des Systems vor und nach dem
Ablauf einer chemischen Reaktion
Reaktionsenthalpie =
rH
=
Differenz der Gesamtenthalpien
des Systems vor und nach dem
Ablauf einer chemischen Reaktion
Reaktionsenergie
Bei konstantem Volumen entspricht der Betrag der Reaktionsenergie, bei konstantem Druck der Betrag der Reaktionsenthalpie der aufgenommenen
Wärmemenge q. Wird bei einer chemischen Reaktion unter gegebenen
Bedingungen Wärme frei, so spricht man von einer exothermen Reaktion, im
umgekehrten Fall von einer endothermen Reaktion. Damit ist beispielsweise
35
eine Reaktion mit negativem rH bei konstantem Druck oder mit negativem rU
bei konstantem Volumen exotherm. Die Tatsache, dass ein Prozess bei konstantem Volumen exotherm ist, besagt jedoch nicht, dass die Reaktionsenthalpie negativ ist (und umgekehrt). Allgemein gilt:
rH
=
rU + r(PV)
Beispiel: Chlorknallgasreaktion in einem offenen bzw. geschlossenen System
= H2
= Cl2
q = H
offenes System
(P = const.)
System
mit Druckausgleich
q = U
geschlossenes
(V = const.)
System ohne System
Druckausgleich
Findet eine chemische Reaktion nur zwischen Festkörpern und/oder Flüssigkeiten statt, so sind Reaktionsenergie und Reaktionsenthalpie einander sehr
ähnlich. Sobald Gase an der Reaktion beteiligt sind, können sich beide Werte
drastisch voneinander unterscheiden.
4.12.2
Standard-Enthalpieänderungen
Bei chemischen Umsetzungen und den meisten anderen in der physikalischen
Chemie betrachteten Vorgängen stehen nicht absolute Enthalpien, sondern lediglich Enthalpieänderungen im Vordergrund. Es ist deswegen sinnvoll, zur Referenzierung sogenannte Standardbedingungen festzulegen:
Eine chemische Substanz liegt in ihrem Standardzustand vor,
wenn:
1)
2)
P = 1,000 bar
Die Substanz in dem zu diesen Bedingungen stabilsten
Phasenzustand bzw. in der stabilsten Modifikation
vorliegt.
Weiterhin wird definiert, dass alle Elemente im Standardzustand die
Enthalpie Null besitzen.
Die Temperatur wird nicht zu den Standardbedingungen gerechnet
und stattdessen separat angegeben.
Enthalpien zu den Standardbedingungen werden üblicherweise mit dem Kürzel
H bezeichnet, die entsprechende Enthalpieänderung unter Standardbedingungen mit H (unter Angabe der Temperatur im Index).
36
Abhängig von dem betrachteten Vorgang definiert man eine Reihe von Standardenthalpien:
S.-Phasenübergangsenthalpie trsH : S.-Schmelzenthalpie fusH
S.-Verdampfungsenthalpie vapH
S.-Sublimationsenthalpie subH
S.-Reaktionsenthalpie rH :
S.-Bildungsenthalpie fH
S.-Aktivierungsenthalpie  H
S.-Verbrennungsenthalpie cH
Alle diese Enthalpiegrößen sind tabellarisch als Standard-Enthalpien (z.B.
Standard-Reaktionsenthalpie bei 298 K: rH 298) erfasst, wobei der StandardPhasenzustand und der Standarddruck vorausgesetzt, die Temperatur dagegen angegeben wird (zumeist 298 K).
Wegen der extrem großen Zahl an denkbaren chemischen Reaktionen ist eine
komplette Tabellierung aller Reaktionsenthalpien nicht möglich. Man behilft sich
mit der Erfassung von Standard-Bildungsenthalpien fH , die angeben, welche
Reaktionsenthalpie mit der Bildungsreaktion von einem Mol der entsprechenden Verbindung aus Elementen bei Standardbedingungen und der angegebenen Temperatur verbunden ist:
Die Standard-Bildungsenthalpie fH einer Verbindung ist gleich
der Reaktionsenthalpie der Bildungsreaktion der Verbindung unter
der Voraussetzung, dass
1)
2)
P = 1,000 bar
die Bildung aus den Elementen verläuft, die
jeweils in den unter den gegebenen Umständen
stabilsten Zuständen vorliegen.
Die jeweils gültige Temperatur wird für gewöhnlich angegeben. Diese StandardBildungsenthalpien werden dann genutzt, um im Einzelfall die Reaktionsenthalpien zu berechnen. Dazu bedient man sich des Hess’schen Satzes und eines
Born-Haber’schen Kreisprozesses (s. folgender Abschnitt).
4.12.3
Berechnung von Reaktionsenthalpien
Kann eine Reaktion gedanklich in Teilreaktionen zerlegt werden, so gilt unter
Berücksichtigung des ersten Hauptsatzes und der Tatsache, dass H eine Zustandsfunktion darstellt, folgender Satz:
Hess’scher Satz:
Die Reaktionsenthalpie einer chemischen Reaktion entspricht der
Summe der Reaktionsenthalpien jener Teilreaktionen, in welche die
ursprüngliche Reaktion zerlegt werden kann.
Die gedachten Teilreaktionen müssen dabei nicht unbedingt einem realistischen Reaktionsverlauf entsprechen.
37
Der Hess’sche Satz lässt sich nun nutzen, indem man eine beliebige Reaktion
in Teilschritte zerlegt, die alle der Bildung eines der Reaktionsteilnehmer aus
den Elementen entsprechen. Durch Aufaddition dieser Teilschritte und der
dazugehörigen Standard-Bildungsenthalpien (jeweils mit entsprechenden
positiven oder negativen Vorfaktoren) erhält man die Gesamtreaktion und
deren Standard-Reaktionsenthalpie. Als einfaches Beispiel sei ein solcher
sogenannter Born-Haber’scher Kreisprozess an der Reaktion A  B gezeigt:
H
H
0
Standardenthalpien der Elemente
0
Standardenthalpien der Elemente
A
A
Born-Haber’scher
Kreisprozess
rH298 (A B)=?
B
B
Hess’scher Satz:
rH298 (A B) = - fH298 (A) +fH298 (B)
Betrachtet man eine allgemeine Reaktion mit beliebigen Reaktionspartnern Ni,
|1|N1 + |2|N2 + ...

... |i-1|Ni-1 + |i|Ni
so lässt sich zur Berechnung der Reaktionsenthalpie aus den Bildungsenthalpien demnach folgende allgemeingültige Beziehung heranziehen:
 rH
   i  f Hi
Dabei sind die so genannten stöchiometrischen Koeffizienten der Reaktionspartner i für alle Edukte negativ und für alle Produkte positiv.
Dieses Vorgehen ermöglicht die Berechnung einer Standard-Reaktionsenthalpie bei derjenigen Temperatur, bei der die Referenzwerte angegeben
wurden (gewöhnlich bei 298 K). Hat man es mit anderen Temperaturen zu tun,
so ist die Temperaturabhängigkeit der Reaktionsenthalpie zu berücksichtigen.
Man könnte, um die Abweichung von der Reaktionsenthalpie bei Standardtemperatur zu ermitteln, gedanklich folgende Reaktionsführung verfolgen (1-23-4 statt 1-4):
38
T
1
4
rHT = ?
HT
H298
298
(Produkte)
(Edukte)
298 K
2
T
Standardtemperatur
3
rH298
Um den ersten Schritt (1-2) vorzunehmen, müssen alle Edukte zunächst auf
Standardtemperatur gebracht werden. Die damit verbundene Enthalpieänderung ergibt sich für jedes Edukt aus:
298K
dHEdukt  C P,Edukt dT oder
HEdukt 

T
C P,Edukt dT  
T

C P,Edukt dT
298K
Der Reaktionsablauf (2-3) findet dann bei Standardbedingungen statt und ist
mit der bekannten Enthalpieänderung rH verbunden. Anschließend werden
die Produkte der Reaktion von der Standardtemperatur zurück zur Ausgangstemperatur gebracht, (3-4) wobei für jedes Produkt folgende Enthalpieänderung
eintritt:
T
dH Pr odukt  C P,Pr odukt dT
HPr odukt 
oder

C P,Pr odukt dT
298K
Die gesamte, temperaturbedingte Änderung der Reaktionsenthalpie erhält man
damit als:
C
d r H 
P,Pr odukt
Pr odukte
oder
 r H 
T2

dT 
C
Edukte
P,Edukt
dT 
 C
i
P,i
dT   r C P dT
i
 r C P dT
T1
oder, für annähernd temperaturunabhängige Wärmekapazitäten:
 r H   r C P T
Dieser Zusammenhang wird als das Kirchhoffsche Gesetz bezeichnet.
Die Temperaturabhängigkeit der Reaktionsenthalpie hängt also stark von der
Änderung der Wärmekapazität des Reaktionsgemisches im Verlauf der Reaktion ab. Besitzen Edukte und Produkte jeweils in der Summe die gleiche Wär-
39
mekapazität, so ist die Reaktionsenthalpie temperaturunabhängig. Ist die Wärmekapazität der Produkte insgesamt größer als die der Edukte (rCP > 0), so
steigt die Reaktionsenthalpie mit steigender Temperatur an. Ist die Wärmekapazität der Produkte insgesamt kleiner als die der Edukte (rCP < 0), so verringert sich die Reaktionsenthalpie bei steigender Temperatur.
Zusammen mit dem Hess'schen Wärmesatz ermöglicht das Kirchhoffsche
Gesetz die Berechnung von beliebigen Reaktionsenthalpien unter Kenntnis der
Standard-Bildungsenthalpien. So sind für Rektionen, die unter konstantem
Druck ausgeführt werden, Abschätzungen der Wärmetönung, d.h. der dabei
freiwerdenden oder verbrauchten Wärmemengen möglich. Die allgemeine
Feststellung, dass dabei exotherme Reaktionen häufiger beobachtet werden
als endotherme, verleitete viele Chemiker zu der Annahme, dass in einer
negativen Reaktionsenthalpie die Triebkraft einer Reaktion zu suchen sei.
Diese Annahme ist, wie an vielen Beispielen gezeigt werden kann, falsch. Die
Tatsache, dass eine gegebene chemische Reaktion freiwillig abläuft, hängt dies
in keiner Weise davon ab, ob dabei Energie freigesetzt wird oder nicht.
5
Der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik
5.1
Die Entropie
Die klassische Formulierung des Zweiten Hauptsatzes sagt aus, dass ein
Perpetuum mobile zweiter Art nicht existiert. Er lautet:
Es ist unmöglich, eine Maschine zu konstruieren, die kontinuierlich
Arbeit leistet und dabei nur von der Wärme eines Wärmebades
gespeist wird.
Der zweite Hauptsatz verbietet somit die Umwandlung von Wärme in Arbeit,
solange nur ein Wärmereservoir zur Verfügung steht, ein Vorgang, der nach
dem Ersten Hauptsatz durchaus zulässig wäre. Die Umkehrung, also eine vollständige Umwandlung von Arbeit in Wärme, wird dagegen sehr häufig
beobachtet. Der Zweite Hauptsatz ordnet gewissen Prozessen somit eine
bestimmte Richtung zu, insofern besitzt er die unter den bekannten Naturgesetzen einzigartige Eigenschaft einer Richtungsweisung.
Für solche, anscheinend nur in eine Richtung ablaufende Prozesse gibt es in
der alltäglichen Praxis viele Beispiele:
1) Ein Wärmefluss strebt immer einem Temperaturausgleich zu. Nie kommt es
spontan zu einer Auftrennung in zwei Teilbereiche unterschiedlicher Temperatur.
2) Ein Gas strömt stets aus einem Behälter in ein Vakuum hinein. Nie kommt
es dagegen zur spontanen Bildung eines Vakuums durch Ausströmen eines
Gases in einen zweiten angeschlossenen Behälter.
3) Eine Kaffeetasse zerbricht beim Aufschlag in viele unzusammenhängende
Scherben. Die spontane Bildung einer Kaffeetasse aus den Scherben wird
nicht beobachtet.
40
4) Eine Kugel fällt auf eine Tischplatte, springt dabei mehrere Male auf und
bleibt schließlich ruhig liegen. In diesem Fall hat sich die kinetische Energie
der Kugel in Wärmeenergie verwandelt. Nach dem Ersten Hauptsatz der
Thermodynamik könnte sich die dabei freigewordene Wärme spontan wieder
in kinetische Energie verwandeln, wobei die ruhende Kugel plötzlich aufspringen würde. Ein solcher Vorgang wird nicht beobachtet.
5) Eine Uhr mit mechanischem Uhrwerk wird aufgezogen und läuft ab. Dabei
wird die potentielle Energie der gespannten Uhrfeder allmählich in Wärme
umgesetzt. Der umgekehrte Vorgang, also ein spontanes Rückwärtslaufen
des Uhrwerks unter Wärmeentzug aus der Umgebung und Anspannen der
Feder findet nicht statt.
potentielle
Energie
Wärme
Alle genannten Beispiele besitzen zwei Gemeinsamkeiten:
a) Stets findet in einem abgeschlossenen System ein spontaner,
zeitlich gerichteter und nicht umkehrbarer Prozess statt.
b) Stets verläuft dieser spontane Prozess unter Zunahme von Unordnung.
Letzteres, die Zunahme der Unordnung ist beispielsweise im Fall 3 (die zerbrochene Tasse) offensichtlich, in Fall 4 dagegen nicht unbedingt. Wo findet
bei der Umwandlung von kinetischer Energie in Wärme die Bildung von
Unordnung statt? Bei näherer Betrachtung ist die Entstehung von Chaos
offensichtlich: jeder Aufprall der Kugel auf die Oberfläche führt zur
Impulsübertragung auf die im Gitter der Oberfläche befindlichen Teilchen.
Diese können keine geregelte, gemeinsame Bewegung ausführen, da sie, im
41
Gegensatz zur Kugel, örtlich fixiert sind. Der Impuls führt daher zu gewöhnlich
ungeregelten Schwingungsvorgängen im Gitter, also zu nichts anderem als
einer Temperaturerhöhung des Oberflächenmaterials (s. Abbildung).
kinetische
Energie
kinetische
Energie
+ Wärme
Offensichtlich ist die kinetische und die potentielle Energie als „geordnete“, die
thermische Energie dagegen als „ungeordnete“ Energieform zu betrachten.
Damit lässt sich ein aus der ursprünglichen Formulierung des Zweiten Hauptsatzes verallgemeinertes Naturgesetz formulieren:
Mit fortschreitender Zeit tendieren alle abgeschlossenen Systeme zu einer
Erhöhung der Unordnung:




Zeit
Unordnung
Die Zeit ist dabei als physikalische Größe leicht messbar. Problematisch erscheint die Quantifizierung des Begriffs „Unordnung“. Hierfür ist die Definition
eines neuen Parameters notwendig. Dieser Parameter wird Entropie genannt
und mit dem Kürzel S bezeichnet. Es gilt:
Die Entropie ist ein Maß für die Unordnung in einem System
vollständig geordnetes System:
ungeordnetes System:
S
S
=
>
0
0
[Einheit ?]
[Einheit ?]
Über die thermodynamische Definition und die Einheit der Entropie wird zunächst eine Plausibilitätsbetrachtung angestellt:
Aus mehreren der genannten Beispiele geht hervor, dass Wärme die Unordnung eines Systems und damit dessen Entropie erhöht. Also könnte man
postulieren:
dS

dq
Liegt in dem betrachteten System bereits ein hohes Maß an Unordnung (d.h.,
eine hohe Temperatur T) vor, so ist die Zunahme der Entropie pro Wärmeeinheit relativ gering. Umgekehrt wirkt sich die gleiche Wärmeeinheit auf ein
extrem geordnetes System auf dessen Entropie sehr viel dramatischer aus.
Man könnte diesen Zusammenhang formulieren als:
42
dS

1/T
Die aus den genannten Zusammenhängen hervorgehende Definition der Entropie lautet:
dS
=
dq / T
Einheit:
J/K
oder: Die Entropieeinheit 1 J/K entspricht genau dem Maß an Unordnung, das
die einfließende Wärmemenge 1 Joule anrichtet, wenn das System die Temperatur 1 Kelvin besitzt.
Wärme
q
T
System
System
Voraussetzung für diese Definition ist natürlich, dass nicht
andere Weise Unordnung entsteht. Dies lässt sich durch die
Reversibilität des betrachteten Vorgangs festschreiben, was
Index „rev“ der Wärme markiert. Die exakte Definition der
daher:
dS
=
gleichzeitig auf
Forderung nach
man durch den
Entropie lautet
dqrev / T
Die Entropie beschreibt die in einem System bestehende Unordnung, also
einen Zustand des Systems. Es liegt deshalb nahe, in der Entropie eine
Zustandsfunktion zu sehen (der Beweis folgt in Kapitel 5.3). Diese Tatsache
wird genutzt, wenn eine nicht oder nicht nur durch Wärmeeinwirkung
hervorgerufene (also irreversibel entstandene) Entropieänderung berechnet
werden soll. In diesem Fall ist die Gleichung dS = dq/T nicht direkt anwendbar, da dq nicht mit dqrev identisch ist. Da aber S eine Zustandsfunktion
darstellt, ist es völlig gleichgültig, auf welchem Wege man vom Anfangszustand
zum Endzustand des Prozesses gelangt. Die Entropie ist hier also zu
berechnen, indem man irgendeinen reversiblen Prozess sucht, der den
Anfangs- in den Endzustand überführt:
Anfangszustand
irreversibler
Prozess, S = ?
reversibler
S = dqrev/T
Prozess,

Endzustand
43
Unter Nutzung des Entropiebegriffs lässt sich die Aussage des Zweiten Hauptsatzes mit Berücksichtigung der aus den genannten Beispielen gewonnenen
Erkenntnisse folgendermaßen zusammenfassen (Clausius 1854):
In einem abgeschlossenen System nimmt die Entropie im Verlauf
eines nicht umkehrbaren (irreversiblen) Prozesses grundsätzlich
zu.
Ergänzend lässt sich feststellen:
In einem abgeschlossenen System bleibt die (Gesamt-) Entropie im
Verlauf eines umkehrbaren (reversiblen) Prozesses konstant.
Prozesse, die zur Verminderung der (Gesamt-) Entropie eines
abgeschlossenen Systems führen, sind nicht möglich!
Diese Aussagen bilden zusammen die thermodynamische Formulierung des
Zweiten Hauptsatzes:
Irreversibler Prozess
Reversibler Prozess


Sges > 0
Sges = 0
(Clausius’sche Ungleichung)
Wie die Doppelpfeile in der schematischen Schreibweise andeuten, sind auch
die Umkehrungen der genannten Formulierungen richtig. Eine wichtige Konsequenz dieser Aussagen ist die Tatsache, dass die Triebkraft sämtlicher
(chemischer, physikalischer, oder sonstwie gearteter) Prozesse, die freiwillig
(=irreversibel) ablaufen, einzig und allein in der Zunahme der Entropie des
Universums besteht. So ist beispielsweise die Frage, ob eine chemische Reaktion abläuft oder nicht, nur durch die Frage nach einer eventuellen Entropiezunahme zu beantworten. Diese Frage muss bezogen auf ein abgeschlossenes
Gesamtsystem gestellt werden, nicht nur für ein eventuell die Reaktion
umgebendes, geschlossenes Teilsystem:
Gesamtsystem
beobachtetes
System
(geschlossen)
Umgebung
(abgeschlossen)
freiwillig ablaufende Reaktion wenn Sges > 0
statisches Gleichgewicht wenn
Sges = 0
Reaktion läuft nicht ab wenn
Sges < 0
Sges = Sbeobachtetes System + SUmgebung
Die Entropie des beobachteten Teilsystems kann bei einem spontan ablaufenden Prozess durchaus abnehmen, solange diese Abnahme durch eine entsprechend große Zunahme der Entropie der Umgebung überkompensiert wird.
In diesem Fall muss eine Art „Entropieopfer“ gebracht werden.
44
5.2
Entropieänderungen bei ausgewählten Prozessen
Im Folgenden soll zunächst einmal der Zusammenhang zwischen der Clausiusschen Formulierung des zweiten Hauptsatzes und dem Verbot des Perpetuum
mobiles zweiter Art herausgearbeitet werden. Anschließend werden Entropieänderungen berechnet, die mit verschiedenen reversiblen und irreversiblen
Prozessen in abgeschlossenen Systemen verbunden sind.
5.2.1
Betrachtung eines Perpetuum mobiles zweiter Art
In einem Perpetuum mobile zweiter Art soll Wärme aus einem einzelnen Wärmebad (T1) direkt in Arbeit umgewandelt werden:
abgeschlossenes System
Perpetuum
Mobile
zweiter Art:
q
T1
w
Vorausgesetzt, dass es sich um einen kontinuierlich wiederholbaren Prozess
handelt, also dass die Arbeit w nicht dazu verwendet wird, die Entropie eines
anderen Systems zu erhöhen, gilt für die Änderung der Gesamtentropie:
dS ges

=
dq
<
T1
0
!!
Der Prozess würde so zu einer Verminderung der Gesamtentropie führen und
verstößt damit gegen die thermodynamische Formulierung des zweiten Hauptsatzes.
Wie lässt sich dieser Mangel beheben? Die Entropieabnahme durch die
Wärmeabfuhr aus dem betrachteten System müsste durch eine entsprechende
Wärmezufuhr in ein anzuschließendes Teilsystem kompensiert, oder besser,
überkompensiert werden:
abgeschlossenes System
w
T1
q1
T2
q2
Die gesamte Entropieänderung errechnet sich nach:
dS ges
=
dS1  dS 2
=

dq1
T1

dq 2
T2
45
Damit der Prozess die Forderung des Zweiten Hauptsatzes erfüllt, muss der
zweite Summand betraglich größer sein als der erste. Nach dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik (dU = 0) muss weiterhin gelten:
dq1  dq 2
=
dw
Das bedeutet, dass der Temperaturunterschied zwischen den Teilsystemen
letztlich darüber entscheidet, welches Quantum Arbeit abgeschöpft werden
kann.
5.2.2
Temperaturausgleich zwischen zwei Teilsystemen
Zwischen zwei geschlossenen Teilsystemen mit unterschiedlichen Temperaturen T1 und T2 (wobei T1 > T2), die zusammen ein abgeschlossenes Gesamtsystem bilden, finde ein Temperaturausgleich statt. Der Vorgang ist offensichtlich irreversibel und verläuft spontan:
abgeschlossenes System
q
T1 > T2
T1
T2
Teilsystem 1
dS1 = - |dq| / T1
dS2 = |dq| / T2
Teilsystem 2
Wie groß ist die Entropieänderung des Gesamtsystems? Es gilt:
dS ges
=
dS 1  dS 2
=

dq
T1

dq
T2
| dq|  T1  T2 
=
T1T2
Mit T1 > T2 ist der genannte Betrag immer positiv. Damit ist die Forderung des
zweiten Hauptsatzes nach einer positiven Änderung der Gesamtentropie erfüllt.
5.2.3
Reversible, isotherme Expansion eines idealen Gases
Bei der reversiblen isothermen Expansion eines idealen Gases ist zu beachten,
dass das zunächst betrachtete System (das ideale Gas) kein abgeschlossenes
System darstellt. Um die Einhaltung des zweiten Hauptsatzes zu überprüfen,
muss ein übergeordnetes, abgeschlossenes System eingeführt werden. Aus
der Tatsache, dass es sich insgesamt um einen reversiblen Vorgang handelt,
folgt automatisch, dass sich die Entropie Sges dieses übergeordneten
Gesamtsystems nicht ändert. Es gilt:
dS ges
=
0
46
Die Entropieänderung des Gases berechnet sich nach:
dS Gas
=
S Gas
=
dqrev
=
T
2

1
dq
T
dq
T
Da die Temperatur konstant ist, muss auch die Innere Energie des idealen Gases unveränderlich bleiben. Damit folgt aus dU = dw + dq = 0, dass |dq| = |dw|:
2
S Gas

=
1
dw
T
V2
V2
=
PdV
V T
1
=
nR ln
=
nR
dV
V
V1

V2
V1
Das Gas erfährt somit bei einer Expansion (V2 > V1) eine positive Entropieänderung. Die Änderung der Entropie der Umgebung ist dementsprechend
betraglich gleich, aber negativ. Insgesamt ergibt sich damit folgendes Bild:
Gesamtsystem
(abgeschlossen)
w<0
- isotherm
- reversibel
SGas
= nR ln(V2/V1)
SUmg
= -nR ln(V2/V1)
Sges
= 0
ideales Gas
(geschlossenes
System)
q>0
Umgebung
5.2.4
Irreversible, isotherme Expansion eines idealen Gases
Betrachtet wird ein irreversibler Vorgang, bei dem das Gas im Verlauf der Ausdehnung keinerlei Arbeit leistet. Auch hier gilt die thermodynamische Definition
der Entropieänderung, also der Ausdruck dS = dqrev/T. Allerdings ist in diesem
Fall dqrev nicht bekannt. Da die Entropie eine Zustandsfunktion ist, genügt es,
die Entropieänderung eines beliebigen reversiblen Prozesses zu berechnen,
der mit dem irreversiblen Prozess den Anfangs- und den Endpunkt gemeinsam
hat. Ein solcher Prozess ist die in 5.2.3 besprochene reversible Expansion. Für
die Entropieänderung des Gases gilt also:
47
dS Gas
=
dqrev
SGas =
T
nR ln
V2
V1
Da in diesem Fall der irreversiblen Expansion vom Gas keine Arbeit geleistet
wird, darf gemäß dem Ersten Hauptsatz auch keine Wärme in das Gas einfließen, wenn dessen Temperatur konstant sein soll. Folglich fließt von der
Umgebung auch keinerlei Wärme ab. Sie bleibt, auch hinsichtlich ihrer
Entropie, unverändert: dSUmg = 0. Die Entropie Sges des Gesamtsystems ändert
sich damit genau wie die des Gases, d.h. sie steigt um den Betrag:
=
dS ges
dqrev
T
V2
V1
Sges =
nR ln
SGas
= nR ln(V 2/V1)
SUmg
= 0
Sges
= nR ln(V 2/V1)
Man erhält damit folgende Situation:
Gesamtsystem
(abgeschlossen)
w=0
- isotherm
- irreversibel
ideales Gas
(geschlossenes
System)
q=0
Umgebung
5.2.5
Reversible, adiabatische Expansion eines idealen Gases
Im Verlauf einer adiabatischen Expansion fließt keine Wärme in das
betrachtete Gas ein (q = 0). Da der Prozess weiterhin reversibel sein soll, ist
damit q = qrev. Es gilt also:
dS Gas
=
dqrev
T
=
dq
T
=
0
Da die Umgebung keine Wärme abführt, ist außerdem:
dS Umg
=
0
und damit:
Die Situation stellt sich also wie folgt dar:
dS ges
=
0.
48
Reversible adiabatische Expansion
Gesamtsystem
(abgeschlossen)
w<0
- adiabatisch
- reversibel
SGas
= 0
SUmg
= 0
Sges
= 0
ideales Gas
(geschlossenes
System)
q=0
Umgebung
Obwohl das Gas seinen Zustand wesentlich verändert, tritt keinerlei Entropieänderung ein. Dieses zunächst überraschende Ergebnis erklärt sich dadurch,
dass im adiabatisch reversiblen Fall die Entropieerhöhung durch die Volumenexpansion und die Entropieverminderung durch das Sinken der Temperatur
einander genau kompensieren.
5.2.6
Irreversible, adiabatische Expansion eines idealen Gases
Das Gas soll im Verlauf dieses Prozesses keine Arbeit leisten (dw = 0). Wie im
vorangegangenen Beispiel fließt keine Wärme in das Gas ein, da der Prozess
adiabatisch geführt wird (dq = 0). Der Erste Hauptsatz schreibt unter diesen
Bedingungen vor, dass die Innere Energie konstant bleibt (dU = 0). Bei einem
idealen Gas bedeutet dies, dass sich die Temperatur nicht ändert. Die irreversible, adiabatische Expansion ist damit bezüglich aller Zustandsparameter identisch mit der irreversiblen, isothermen Expansion (s. 5.2.4).
Das Ergebnis lässt sich also völlig analog darstellen:
Irreversible adiabatische Expansion
Gesamtsystem
(abgeschlossen)
w=0
- adiabatisch
- irreversibel
SGas
= nR ln(V2/V1)
SUmg
= 0
Sges
= nR ln(V2/V1)
ideales Gas
(geschlossenes
System)
q=0
Umgebung
5.3
Der Carnotsche Kreisprozess
Der zweite Hauptsatz und damit der Begriff der Entropie sind direkt mit den
technischen Möglichkeiten zur Umwandlung von Wärme in Arbeit verknüpft. Die
Theorie der Wärmekraftmaschine, die sich letztlich auf eine Betrachtung der
Entropieänderungen stützt, wurde von Sadi Carnot erarbeitet („Reflexions sur la
Puissance Motrice du Feu“, 1824), lange bevor der Begriff der Entropie eingeführt war (Clausius, 1850). Carnot beschäftigte sich mit der grundsätzlichen
49
Darstellung der Funktion einer verallgemeinerten Wärmekraftmaschine in
einem PV-Diagramm. Die von ihm erdachte Carnot-Maschine arbeitet mit
einem idealen Gas, zyklisch und völlig reversibel. Der Vorgang beinhaltet vier
Einzelschritte:
isotherm
1) Isotherme, reversible
Expansion im Wärmebad
adiabatisch
4) Adiabatische,
reversible
Kompression
2) Adiabatische,
reversible
Expansion
isotherm
3) Isotherme, reversible
Kompression im Kältebad
In einem PV-Diagramm erhält man unter den gegebenen Voraussetzungen folgendes Bild:
Adiabaten
PV = const.
P
VA
1
4
Isothermen
PV = const.
VB
2
VD
3
Tw
VC
Tk
V
Carnot war bei der Betrachtung der Wärmekraftmaschine daran gelegen, einen
reversiblen, zyklischen Prozess in einem PV-Diagramm möglichst einfach zu
beschreiben. Seine Wahl fiel dabei auf eine einfache Kombination von je zwei
isothermen und adiabatischen Prozessen, weil dabei sowohl die Änderungen
der wichtigsten Zustandsparameter P, V, T, U und S als auch die ausgetauschten Beträge an Wärme und Arbeit rechnerisch am leichtesten zugänglich sind.
Die Zustandsgrößen des in der Maschine eingeschlossenen idealen Gases
sollen nun im Einzelnen aufgeführt werden:
Schritt 1:
Reversible, isotherme Expansion
Druck:
Volumen:
Temperatur:
Innere Energie:
PA
VA
Tw
Uw

PB

VB
(konstant)
(konstant, da ideales Gas bei T = const.)
Arbeit:
dw
=
 PdV
50
VB
w1
=
  PdV
=
 nRTw ln
=
nRTw ln
VA
Wärme:
q1
=
U1  w1
Entropie:
S1
=
nR ln
Schritt 2:
VB
VA
VB
VA
VB
VA
<0
>0
>0
Reversible, adiabatische Expansion
Druck:
Volumen:
Temperatur:
Innere Energie:
PB
VB
Tw
Uw




PC
VC
Tk
Uk
Arbeit:
dw
=
 PdV
w2
=
(mit U = w, da q = 0)
=
dU
Tk
U 2
=
C
V
dT
<0
Tw
Wärme:
Entropie:
Schritt 3:
q2
S 2
=
=
0
0
Reversible, isotherme Kompression
Druck:
Volumen:
Temperatur:
Innere Energie:
PC
VC
Tk
Uk

PD

VD
(konstant)
(konstant, da ideales Gas und T = const.)
Arbeit:
dw
=
 PdV
VD
w3
=
>0
VD
VC
<0
=
 nRTk ln
=
nRTk ln
VC
Wärme:
q3
=
U3  w 3
Entropie:
S 3
=
nR ln
Schritt 4:
VD
VC
  PdV
VD
VC
<0
Reversible, adiabatische Kompression
Druck:
Volumen:
Temperatur:
Innere Energie:
PD
VD
Tk
Uk




PA
VA
Tw
Uw
Arbeit:
dw
=
 PdV
(mit U = w, da q = 0)
=
dU
51
w4
=
Tw
U 4
=
C
V
>0
dT
Tk
q4
S 4
Wärme:
Entropie:
=
=
0
0
Carnot war nun insbesondere daran interessiert, etwas über den Wirkungsgrad
dieser hypothetischen Maschine aussagen zu können. Der Wirkungsgrad
(häufig mit  oder  bezeichnet) ist dabei definiert als Quotient aus der
insgesamt geleisteten Arbeit (wges) und der vom System aufgenommenen
Primärenergie (Wärme q1):

=
geleistete Arbeit
aufgenommene Wärme
 w ges
=
q1
Dieser Term lässt sich unter Zusammenfassung der für die Schritte 1 bis 4
gefundenen Daten errechnen. Man erhält:
Carnot =
 w ges
q1
 (w 1  w 2  w 3  w 4 )
q1
=
T
nRTw ln
=
T
k
w
V
VB
  C V dT  nRTk ln D   C V dT
VC Tk
VA Tw
nRTw ln
Tw ln
=
VB
VA
VB
V
 Tk ln D
VA
VC
V
Tw ln B
VA
Um diesen Ausdruck zu vereinfachen, wird die Adiabatengleichung zu Hilfe
genommen:
PV 
=
const.
nRT 
=
const.
V
V
nRTV  1
=
const.
 1
TV
=
const.’
Für die im Carnot-Prozess relevanten Adiabaten gilt also:
Tw VB
Tk VD
 1
 1
=
=
Tk VC
 1
Tw VA
 1

Tw
Tk

Tw
Tk
 1
=
 VC 
 
 VB 
 1
=
 VD 


 VA 
52
Aus den beiden rechten Gleichungen folgt direkt, dass
VC
VB
=
VD
VA
VC
VD
bzw.
=
VB
VA
Mit dieser Beziehung lässt sich für den Wirkungsgrad schreiben:
Tw ln
Carnot =
VB
V
 Tk ln B
VA
VA
V
Tw ln B
VA
oder:
Carnot
=
Tw  Tk
Tw
Dieses Ergebnis, das zunächst nur für die Carnot-Maschine Gültigkeit besitzt,
besagt Folgendes: Der Wirkungsgrad ist um so größer, je kleiner Tk bzw. je
größer Tw ist. Für die Grenzfälle Tk  0 und Tw   tendiert der Wirkungsgrad jeweils gegen den Wert eins. Darüber kann der Wirkungsgrad niemals
steigen (ansonsten wäre auch der erste Hauptsatz der Thermodynamik verletzt).
Neben der Berechnung des Wirkungsgrades ist auch die Betrachtung der
Entropieänderungen interessant. Summiert man die Einzelbeiträge aller Einzelschritte auf, so erhält man:
S ges
=
S 1  S 2  S 3  S 4
=
nR ln
VB
V
 0  nR ln D  0
VA
VC
unter Berücksichtigung der Adiabatengleichung (s.o.) gilt:
S ges
=
nR ln
VB
V
 nR ln B =
VA
VA
0
Das heißt, nach Ablauf eines vollständigen Zyklus der Carnot-Maschine haben
sich sämtliche Änderungen der Entropie kompensiert. Diese treten im Einzelnen nur bei den isothermen Teilschritten auf. Die isotherme Expansion (Schritt
1) führt zu einer Entropieerhöhung, die isotherme Kompression (Schritt 3) zu
einer betraglich exakt gleichen Entropieverminderung. Grafisch lässt sich der
Ablauf durch ein neben das PV-Diagramm gestelltes TS-Diagramm verdeutlichen:
53
Adiabaten
PV = const.
P
T
A
VA
4
1
1
B
4
2
VB
2
VD
3
T1
VC
D
T2
C
3
V
S
Dabei entspricht die eingeschlossene Fläche im PV-Diagramm der insgesamt
geleisteten Arbeit w1+w2+w3+w4. Die im TS-Diagramm eingeschlossene Fläche
entspricht der dabei insgesamt ausgetauschten Wärme q1 + q3 und ist damit
ebenso gleich der insgesamt geleisteten Arbeit w1+w2+w3+w4.
Die Tatsache, dass die Entropieänderung bei einem kompletten Durchlauf des
Prozesses verschwindet, ist eine notwendige Bedingung dafür, dass die Entropie eine Zustandsfunktion darstellt. Ließe sich zeigen, dass diese Bedingung
für beliebige Kreisprozesse erfüllt ist, so wäre diese Tatsache, die bisher nur
stillschweigend vorausgesetzt wurde, bewiesen (s. folgendes Kapitel).
5.4
Wirkungsgrade von allgemeinen Wärmekraftmaschinen
Die große Leistung Carnots bestand darin, erkannt zu haben, dass seine ursprünglich auf die Carnot-Maschine bezogenen Ergebnisse auf alle Arten von
Wärmekraftmaschinen zu verallgemeinern sind. Der grundsätzliche Denkansatz
ist dabei folgender: Jede Zustandsänderung, die ein beliebiges Medium einer
reversibel arbeitenden Wärmekraftmaschine durchläuft, muss irgendeinem zyklischen Weg in einem PV-Diagramm folgen (s. z.B. Abb. links).
P
P
PV-Diagramm
zu beliebiger
Wärmekraftmaschine
V
V
Andererseits lässt sich jeder beliebige zyklische Weg im PV-Diagramm durch
einen Satz von gekoppelten Carnot-Prozessen so „ausfüllen“, dass sich diese
im Inneren des geschlossenen Gebildes paarweise berühren und außen den
Umriss des zyklischen Weges exakt nachzeichnen (Abb. rechts). Da an den
Berührungsstellen zwischen einzelnen Carnot-Prozessen deren Ablauf entgegengesetzt, die betraglichen Änderungen aller Zustandsgrößen jedoch iden-
54
tisch sind, heben sich dort sämtliche Beiträge von w, q und S gegenseitig auf.
Addiert man also alle Werte für w, q und S der einzelnen Carnot-Schritte,
so erhält man genau die Werte, die dem Ablauf des äußeren Umrisses entsprechen. Alle Befunde, die für den Carnot-Prozess bezüglich Wirkungsgrad
und Entropieänderung gefunden wurden, gelten auch für eine Summe von
Carnot-Prozessen und somit für jeden beliebigen Prozess im PV-Diagramm.
Damit wird der maximale Wirkungsgrad max für alle Wärmekraftmaschinen
durch die Carnot'sche Formulierung festgelegt:
max
=
Tw  Tk
Tw
Ein größerer Wirkungsgrad als max kann definitiv mit keiner Konstruktion erreicht werden. Um diesen Maximalwert zu erreichen, muss die betrachtete Wärmekraftmaschine, wie die Carnot-Maschine auch, reversibel betrieben werden.
Dann, und nur dann, kann max ausgeschöpft werden. Das bedeutet aber auch,
dass in diesem Fall die Maschine nicht spontan arbeitet, da die Entropie
konstant wäre. In der Praxis muss daher ein gewisser Wärmebetrag (qspontan)
„geopfert“ werden, um Entropie zu erzeugen und damit einen spontanen Ablauf
zu gewährleisten. Der Wirkungsgrad wird dadurch natürlich verkleinert. Die
Situation stellt sich damit (am Beispiel der Carnot-Maschine) schematisch
folgendermaßen dar:
Warm
q1 = S.Tw
CarnotMaschine
reversibler Fall:
T
A
1
B
4
D
2
3
S
q3 = S.Tk
+qspontan
w = q1 - q3
Kalt
C
S
Die bereits bei der Carnot-Maschine angestellten Grenzwertbetrachtungen gelten für jede beliebige Wärmekraftmaschine. Ihr Wirkungsgrad tendiert gegen
eins, wenn die obere Temperatur beliebig groß und/oder die untere Temperatur
beliebig klein gewählt wird.
Die Verallgemeinerung der Carnot-Maschine auf alle reversiblen Prozesse ermöglicht auch den abschließenden Nachweis, dass es sich bei der Entropie um
eine Zustandsfunktion handelt. Wie bei der Carnot-Maschine selbst ist auch bei
einem beliebigen zyklischen Durchlaufen eines Weges im PV-Diagramm die
Entropie von Anfangs- und Endpunkt identisch. Damit ist jedem Punkt im PVDiagramm genau ein Entropiewert zuzuordnen, das Kennzeichen einer Zustandsfunktion.
55
Die Formulierung des maximalen Wirkungsgrads einer Wärmekraftmaschine
bietet die Möglichkeit, sie zur Festlegung der absoluten Temperaturskala zu
nutzen (s. Kapitel 2.2). Legt man einen Fixpunkt fest (z.B. Tw oder Tk als
Tripelpunkt des Wassers), so kann man über die Beziehung max = (Tw-Tk)/Tw
eine zweite Temperatur (Tk oder Tw) über den maximalen Wirkungsgrad
bestimmen. Diese Methode wurde von William Thomson (Lord Kelvin) genutzt
um die thermodynamische Temperaturskala einzuführen.
Der Zyklus einer Wärmekraftmaschine (beispielsweise der einer CarnotMaschine) kann auch in umgekehrter Richtung durchlaufen werden. Dabei wird,
unter Aufwenden von Arbeit, Wärme von einem kalten Wärmebad in ein
warmes transportiert:

P
Umkehrung des Carnot-Prozesses
= Wärmepumpe
Warm
VA
2
umgekehrte
CarnotMaschine
1
VB
4
VD
3
q3
T1
VC
q1
T2
w = q1 - q3
Kalt
V
Eine nach diesem Prinzip arbeitende Maschine wird als Wärmepumpe bezeichnet. Sie kann genutzt werden, um tiefe Temperaturen Tk zu erreichen
(Kühlmaschine), oder um die Temperatur Tw in einem warmen Raum auf
Kosten der Umgebung weiter zu erhöhen (Wärmepumpe zur Heizung von
Wohnräumen). Auch solche Aggregate besitzen Kenngrößen, die ihre
Effektivitäten benennen. In diesen Fällen spricht man, da sie größere Werte als
eins annehmen können, nicht von Wirkungsgraden (für die streng gilt: 1),
sondern von Leistungskoeffizienten c (oder von dem "cop", dem „Coefficient of
Performance“).
Für Kühlmaschinen kann der Maximalwert von c analog zum Wirkungsgrad 
abgeleitet werden:
cmax
=
| q3 |
=
|w|
Tk
Tw  Tk
Der maximal erreichbare Leistungskoeffizient einer Kühlmaschine ist also umso
höher, je geringer der Temperaturunterschied Tw-Tk ist.
Entsprechend erhält man für eine als Heizung verwendete Wärmepumpe den
Ausdruck:
| q1 |
Tw
cmax =
=
Tw  Tk
|w|
56
Auch eine als Heizung verwendete Wärmepumpe arbeitet umso effektiver, je
geringer der Temperaturunterschied zwischen den beiden Medien wird. Sie
erreicht dabei sehr leicht maximale Leistungskoeffizienten, die ein Vielfaches
von eins betragen. Bei Temperaturbedingungen von 20°C (innen) und 5°C
(außen) erhält man beispielsweise einen theoretischen Maximalwert von cmax =
19,5. Die technisch tatsächlich erreichbaren Leistungskoeffizienten liegen weit
darunter (etwa bei 2 bis 3), trotzdem wird dem Innenraum dabei eine Wärmemenge zugeführt, die immerhin dem Doppelten der verbrauchten (beispielsweise elektrischen) Energie entspricht.
q1
w
q3
Damit können solche Wärmepumpen als Raumheizung durchaus mit anderen
Systemen konkurrieren.
6
Der Dritte Hauptsatz der Thermodynamik
6.1
Formulierung des Dritten Hauptsatzes
Versucht man, mit physikalischen Methoden immer tiefere Temperaturen zu erreichen, so stellt man fest, dass der dazu nötige Aufwand umso größer wird, je
näher man dem absoluten Nullpunkt der Temperatur kommt (T = -273,15°C
bzw. 0 K). Da es trotz vieler Versuche nie gelang, diesen absoluten Nullpunkt
zu erreichen oder gar zu unterschreiten, wurde postuliert, dass er einen natürlichen, unerreichbaren Grenzwert darstellt. Diese Erfahrung wurde zur Grundlage der empirischen Formulierung des Dritten Hauptsatzes der Thermodynamik (W. Nernst, 1912):
Es ist unmöglich, den absoluten Nullpunkt der Temperatur zu
erreichen.
Bei der thermodynamischen Betrachtung des Problems wurde schnell klar,
dass wieder die Entropie die entscheidende Rolle spielt, wenn es um eine
präzise Begründung für dieses Phänomen geht. Dazu muss zunächst einmal
festgestellt werden, welche Entropieänderungen im Verlauf einer systematischen Abkühlung stattfinden.
Entzieht man einer Substanz reversibel Wärme, so lässt sich die damit
verbundene Entropieänderung formulieren als:
dS
=
dq
T
Wird dieser Vorgang bei konstantem Druck ausgeführt, so gilt mit dq = dH:
57
dH
T
=
dS
Finden dabei keine Phasenumwandlungen statt, so ist die Änderung der
Enthalpie allein temperaturbedingt. Dann gilt dH = CP(T) dT und somit:
CP (T) dT
=
dS
T
Damit erhält man für die gesamte Entropieänderung von T1 nach T2, wenn in
diesem Temperaturbereich keine Phasenumwandlungen stattfinden:
T2
S
CP ( T )
dT
T
T1

=
Am Ort von Phasenumwandlungen sieht die Situation anders aus. Die hier
fließende Wärme wird durch die Phasenumwandlungsenthalpie trH bestimmt,
für die entsprechende Entropieänderung ergibt sich der Betrag:
 tr S
 trH
Ttr
=
wobei Ttr für die Phasenumwandlungstemperatur steht. Der Entropiebetrag trS
wird sinnigerweise als Phasenumwandlungsentropie bezeichnet. Die abkühlungsbedingte Entropieänderung einer Substanz lässt sich also allgemein
formulieren als:
S =
 tr1H
C (T)
T PT dT + Ttr1
1
Ttr 2
Ttr 1
+
C (T)
T PT dT
tr 1
+
 tr 2H
Ttr 2
Ttr 3
+
CP ( T )
dT + ...
T
Ttr 2

Auf diese Weise lässt sich die Entropieänderung einer Substanz in einem Temperaturfenster zwischen der Umgebungstemperatur und dem absoluten Nullpunkt berechnen. Die mit dem Aufheizen und Abkühlen verbundenen Entropieänderungen sind betraglich gleich, besitzen aber unterschiedliche Vorzeichen.
Bei zwei Phasenumwandlungen (Schmelzen und Verdampfen) erhält man beispielsweise für das Aufheizen zwischen 0 K und T:
S
TSchmelz

=
0
 SchmelzH
CP (T )
dT +
+
TSchmelz
T
TVerdampf
 Verdampf H
CP (T )
dT +
TVerdampf
T
TSchmelz

T
+
CP ( T )
dT
T
TVerdampf

was sich in einer Auftragung von S gegen T folgendermaßen darstellen lässt:
58
S
Verdampf.S
SchmelzS
S0
TSchmelz
TVerdampf.
T
Wäre die Größe S0 bekannt, so könnte man neben der relativen Änderung der
Entropie auch deren Absolutbetrag bestimmen. Da bisher der Absolutwert einer
Entropie nicht einmal definiert ist, müssen hierzu noch grundsätzliche Überlegungen angestellt werden. Diese beruhen insbesondere auf experimentellen
Beobachtungen von T.W. Richards (um 1900).
Richards beobachtete Systeme, bei denen jeweils zwei Zustände bei
konstanter Temperatur miteinander im Gleichgewicht stehen, also isotherme
B wie z.B.:
Zustandsänderungen A
Sn (grau)
Sn (weiß)
S (rhombisch)
S (monoklin)
2 Ag + PbSO4
Ag2SO4 + Pb
Er bestimmte dabei die Entropieänderungen im Verlauf solcher Umwandlungen
und stellte fest, dass diese umso kleiner wurden, je niedriger er die Temperatur
wählte. Eine Auftragung einer solchen Reaktionsentropie rS gegen die
Temperatur ergab etwa folgenden Verlauf:
S
A
A
B
S
B
S0
T
Nernst zog aus dieser Beobachtung den Schluss, dass die Reaktionsentropien
isothermer Prozesse bei Annäherung an den absoluten Nullpunkt gegen Null
59
tendieren. Er formulierte damit das Nernst’sche Wärmetheorem, das als eine
thermodynamische Formulierung des Dritten Hauptsatzes gilt:
Die mit einem isothermen Prozess verbundene Entropieänderung
strebt gegen Null, wenn man sich dem absoluten Nullpunkt nähert.
limT0 rS
=
0
Später fand man heraus, dass dieses Theorem nur für Prozesse gilt, die sich in
einem stabilen Gleichgewichtszustand befinden. Max Planck ging einige Jahre
später (1912) noch einen Schritt weiter. Er postulierte, dass Entropieunterschiede nicht zwischen Reaktionspartnern eines chemischen Gleichgewichts, sondern zwischen allen Stoffen verschwinden. Das bedeutet, dass am absoluten
Nullpunkt jedes System die gleiche absolute Entropie besitzt. Er definierte darüber hinaus diesen Punkt als den Nullpunkt der Entropieskala. So lautet die
Planck’sche Formulierung des Dritten Hauptsatzes:
Die Entropie einer chemisch homogenen Substanz strebt gegen
Null, wenn man sich dem absoluten Nullpunkt nähert.
limT0 S
=
0
Diese Formulierung kann als abschließende thermodynamische Formulierung
des Dritten Hauptsatzes gelten, wenn man zwei Bedingungen hinzufügt:
a) Die Substanz muss bei Annäherung an den absoluten Nullpunkt ideal
kristallisieren, d.h. ihre Atome oder Moleküle müssen ideal geordnet
vorliegen.
b) Der Nullpunktsentropie der ideal kristallisierten Elemente muss der
Wert Null zugeordnet werden. Das bedeutet, dass die trotz idealer
Kristallstruktur noch vorhandene Unordnung der Elementarteilchen
(z.B. Elektronenspins) vernachlässigt wird.
Aus der Planck’schen Formulierung des Dritten Hauptsatzes (limT0 S = 0) folgt
automatisch die Nernst’sche Formulierung (limT0 rS = 0), nicht aber
umgekehrt. Aus der Planck’schen Aussage resultiert weiterhin, dass absolute
Entropien berechnet werden können. Besitzt eine Substanz bei niedrigen
Temperaturen einen eindeutigen, maximal geordneten kristallinen Zustand, so
kann man ihr am absoluten Nullpunkt die Entropie Null zuordnen, wie im
folgenden Beispiel einer Substanz AB:
A B
S0 = 0 J/K
60
Verbleibt dagegen auch bei niedrigsten Temperaturen ein gewisses Maß an
Unordnung, z.B. eine energetisch gleichwertige Umkehrung der Orientierung
eines Moleküls im Kristallgitter, so erhält man eine positive Nullpunktsentropie:
A B
S0 > 0 J/K
Ein Beispiel für den letztgenannten Fall bildet Kohlenmonoxid, in dessen Kristallgitter der Einbau des Moleküls CO offensichtlich gleichermaßen in beiden
Orientierungen möglich ist. Die daraus resultierende Nullpunktsentropie des
Kohlenmonoxids beträgt 4,2 J/(K Mol). Ähnliche Erscheinungen sind auch bei
NO, N2O und bei Wasser zu beobachten, in diesen Fällen liegen die Nullpunktsentropien zwischen 3 und 6 J/(K Mol).
Häufig wird, insbesondere beim raschen Abkühlen einer Substanz, die Unordnung des flüssigen Phasenzustandes „eingefroren“. Eine ungeregelte Struktur
bleibt aus kinetischen Gründen erhalten, obwohl die geordnete Struktur energetisch günstiger wäre. Typische Vertreter solcher Zustände sind Gläser, beispielsweise glasartig erstarrtes Glycerin (Abb.).
S
TSchmelz
TVerdampf.
eit
sigk
Flüs
-1
23,4 JK mol
-1
Glas
 SchmelzS
Kristall
T
Angesichts der nun sehr unterschiedlichen Formulierungen des Dritten Hauptsatzes („Der absolute Nullpunkt ist unerreichbar bzw. limT0 S = 0) stellt sich
die Frage, welcher Zusammenhang zwischen dem Erreichen des absoluten
Nullpunkts und dem Wert der Nullpunktsentropie besteht. Im Folgenden wird
deshalb näher auf die Methodik zum Erreichen tiefer Temperaturen eingegangen.
61
6.2
Erzeugung tiefer Temperaturen
Die niedrigste Temperatur in der Natur beträgt 2,7 Kelvin, jede tiefere Temperatur muss künstlich erzeugt werden. Die technische Erzeugung tiefer Temperaturen bedeutet aber stets den Entzug von Wärme und damit die Vernichtung
von Entropie. Diese Entropie muss zur Erfüllung des zweiten Hauptsatzes an
anderer Stelle erzeugt werden. Dies geschieht beispielsweise bei der Verdunstung einer Flüssigkeit durch die Erzeugung von ungeordneten Zuständen auf
Teilchenebene.
Unter Nutzung der Verdunstungskälte kann mit Helium bei vermindertem Druck
eine Temperatur von 0,7 K erreicht werden, darunter ist kein geeigneter Phasenübergang mehr zugänglich. Zur Erreichung noch tieferer Temperaturen wird
auf Prozesse zurückgegriffen, die sich auf der Ebene der Elementarteilchen
abspielen. Am bekanntesten ist dabei die adiabatische Entmagnetisierung.
Voraussetzung für die Anwendung dieser Methode ist eine Substanz, die Elementarteilchen mit eigenen magnetischen Momenten besitzt, welche sich in
einem äußeren Magnetfeld ausrichten (z.B. ungepaarte Elektronen bei paramagnetischen Substanzen wie Gadoliniumsulfat oder Manganchlorid). Die Versuchsanordnung besteht aus einer in einen Heliumstrom getauchten Probe, die
sich zwischen den Polen eines Elektromagneten befindet:
+
N
Probe
(paramagnetischer
Kristall)
Helium
S
Der eigentliche Kühlvorgang besteht aus folgenden Einzelschritten:
1) Ausgangszustand: Die Probe befindet sich in einem Strom aus flüssigem
Helium bei etwa 1 K, der Magnet ist abgeschaltet, die magnetischen Momente der Elementarteilchen sind regellos verteilt.
2) Isotherme Magnetisierung: Das Magnetfeld wird eingeschaltet und die
magnetischen Momente ordnen sich parallel zum Magnetfeld. Da das System weiterhin in Kontakt mit dem flüssigen Helium steht, hat sich die Temperatur im Vergleich zu 1) nicht geändert, wohl aber die Entropie der Probe (sie
sinkt bei gleichzeitiger Wärmeabfuhr an das Helium).
3) Adiabatische Entmagnetisierung: Das Helium wird entfernt, so dass der
folgende Schritt adiabatisch verläuft. Das Magnetfeld wird abgeschaltet, wobei die magnetischen Momente spontan (unter Entropiegewinn) ihre unregelmäßige Anordnung zurückgewinnen. Dabei wird ihnen von der umgebenden
Substanz (unter Entropieverlust) Wärme zugeführt. Insgesamt ist die Entropieänderung der Probe nahe Null, die Temperatur der Probe hat sich verringert (Abb. links).
62
S
Probe
He
Probe
S1
gn
eti
sie
rt
1
3
er t
t is i
gn e
T2
gn
eti
s
q
ma
S0
Magnetfeld
He
q
un
ma
S2
ier
un
ma
t
S Probe
2
T
T1
S0
gn
ma
etis
iert
T
Der Vorgang kann mehrfach wiederholt werden, so dass die Temperatur schrittweise weiter absinkt (Abb. rechts). Dabei wird die Probenmenge stufenweise
vermindert und flüssiges Helium eingesetzt, das bei dem jeweils vorhergehenden Schritt abgekühlt wurde. Der Temperaturrekord, der über ein derartiges
Verfahren erreicht wurde, liegt bei 2.10-8 Kelvin.
Trotz allem ist auf diese oder ähnliche Weise der absolute Nullpunkt nicht erreichbar. Gäbe es einen der Abbildung entsprechenden Zickzackkurs im STDiagramm, der wirklich zum absoluten Nullpunkt führen würde, so müsste sich
dieser umgekehrt von T=0 aus geometrisch konstruieren lassen. Da gemäß der
Formulierungen des Dritten Hauptsatzes nach Nernst und Planck alle Entropieunterschiede am absoluten Nullpunkt verschwinden, sähe die Startbedingung
etwa folgendermaßen aus:
un
ma
gn
eti
s
ier
t
isotherm
S Probe
Startpunkt der Konstruktion eines umgekehrten
Abkühlweges im ST-Diagramm
gn e
ma
tisi
ert
T
adiabatisch
T=0
Da wegen lim(T0) rS = 0 keine Möglichkeit für einen isothermen Prozess und
wegen der mit steigender Temperatur ansteigenden Entropie keine Möglichkeit
für einen adiabatischen Prozess besteht, kann dieser erste Schritt (bzw. der
letzte Schritt bei der Abkühlung zum absoluten Nullpunkt) nicht formuliert
werden.
rH.
63
7
Freie Energie und Freie Enthalpie
7.1
Definition und Bedeutung
Bisher wurde für das Konzept einer Energiespeicherung lediglich der Ansatz
der Wärmekraftmaschine in Betracht gezogen: eine exotherme chemische
Reaktion (oder eine Nuklearreaktion bzw. die Sonne) wird dazu herangezogen,
Wärme zu erzeugen. Diese Wärme wird dann unter Verwendung einer
Wärmekraftmaschine (unter Wahrung des maximalen Wirkungsgrades) in
nutzbare Arbeit umgesetzt. In diesem Fall ist die maximale Energiemenge, die
gemäß dem Carnotschen Prinzip umgesetzt werden kann, gleich dem Betrag
der Reaktionsenthalpie rH. Nach dem zweiten Hauptsatz sollte es aber
eigentlich möglich sein, einem Prozess annähernd so viel Energie zu
entziehen, wie es die dabei erzeugte Entropie zulässt. Dies ist besonders dann
interessant, wenn die chemische Reaktion in ihrem Reaktionsgemisch selbst
Entropie erzeugt. In diesem Fall könnte sogar Energie aus einer endothermen
Reaktion genutzt werden. In den meisten praktischen Fällen sind aber solche
Reaktionen exotherm und laufen zusätzlich unter Zugewinn an Entropie ab. Ein
praktisches Beispiel hierfür sind die so genannten Kombikraftwerke, bei denen
eine Gasturbine mit einem Dampfkraftwerk verknüpft wird.
Um den dabei angestrebten idealen Grenzfall auszuleuchten, betrachten wir
zunächst die Entropiebilanz eines Reaktionsablaufs am Beispiel einer
chemischen Reaktion.
q
dSReakt.
dSUmg.
dSUniv. > 0
Die Änderung der Entropie des Universums, die mit dem Verlauf der Reaktion
verbunden ist, besteht dann aus der Entropieänderung der Reaktionsmischung
(im Folgenden einfach als dS bezeichnet) und der durch Wärmeaustausch
bedingten Entropieänderung der Umgebung dSUmg.. Sie lässt sich damit
schreiben als:
dS Universum =
dSReakt.

+ dS Umg.
0
oder, mit dS = dq/T für den reversiblen, wärmeflussbedingten Anteil der Entropieänderung und unter Berücksichtigung der Vorzeichenumkehr von q:
dS Universum =
dS
- dq / T

0
Wieder bezieht sich dS > 0 auf eine spontan ablaufende Reaktion und dS=0
auf den Gleichgewichtszustand. Die Triebkraft der chemischen Reaktion misst
sich daran, welche Menge an „nutzbarer Energie“ der Reaktion zu entnehmen
64
wäre, ohne sie zu stoppen. Die nutzbare Energie einer chemischen Reaktion
entspricht aber genau der Wärme qmax, die man theoretisch der Reaktion
entziehen und in Arbeit umwandeln könnte, ohne durch die damit verbundene Entropieverminderung den zweiten Hauptsatz zu verletzen (s. Abbildung).
q
dS
qmax wmax
+ dSUmg - dqmax/T
=0
Die maximale theoretisch erzeugbare Arbeit, die unter den gegebenen Voraussetzungen zu erhalten wäre, steht in direkter Beziehung zu dem bereits formulierten Betrag von dSUniversum:
dwmax/T
oder
= - dqmax / T =
dwmax
=
- (dS + dSUmg) = - dS Universum
- dqmax
=
- T dS Universum
Die Größe (- TdSUniversum) stellt damit ein Maß für die Triebkraft einer Reaktion dar und ist in der Chemie von zentraler Bedeutung. Aus der Definition von
dSUniversum folgt:
- T dS Universum
=
- T dS
+ dq

0
Weiterhin gilt bei konstanter Temperatur und...
...bei konstantem Volumen:
dq
=
-T dSUniversum =
(und, mit SdT = 0)
...bei konstantem Druck:
dU
dq
=
dU - T dS
-T dSUniversum =
=
dU - TdS - SdT
(mit SdT = 0)
=
d (U-TS)
=
dF
Freie Energie
 0
F = U - TS
dH
dH - T dS
= dH - TdS - SdT
= d (H-TS)  0
=
dG
Freie Enthalpie G = H - TS
(häufig auch mit dem Kürzel "A" statt "F" bezeichnet)
Die Ausdrücke Freie Energie F und Freie Enthalpie G haben jeweils bei konstantem Volumen bzw. bei konstantem Druck die gleiche Bedeutung wie die
Schlüsselgröße -TdSUniversum, sie charakterisieren damit unter den gewählten
Bedingungen die Triebkraft einer chemischen Reaktion. Damit folgen aus der
thermodynamischen Formulierung des zweiten Hauptsatzes folgende Aussagen:
65
1) Eine Reaktion läuft dann und nur dann freiwillig ab, wenn die damit
verbundene Änderung der Freien Energie (bei konstantem Volumen) bzw.
der Freien Enthalpie (bei konstantem Druck) einen negativen Wert besitzt:
dF
<
0
bzw.

dG
<
0
spontane Reaktion
2) Eine Reaktion läuft so lange ab, bis die Freie Energie (bei konstantem
Volumen) oder die Freie Enthalpie (bei konstantem Druck) einen Minimalwert erreicht haben:
dF
=
0
bzw.

dG
=
0
Gleichgewicht
3) Die maximale Arbeit, die aus einer chemischen Reaktion bezogen werden kann, entspricht bei konstantem Volumen der Änderung der Freien
Energie. Die maximale Nicht-Volumenarbeit, die aus einer chemischen
Reaktion gezogen werden kann, entspricht bei konstantem Druck der Änderung der Freien Enthalpie:
wmax =
F
bzw.
wmax - wVol
= G
Zusammenfassung:
F
spontane
Reaktion
G
spontane
Reaktion
spontane
Reaktion
spontane
Reaktion
maximal erhältliche
Nicht-Volumenarbeit
maximal erhältliche
Gesamtarbeit
Gleichgewicht
Gleichgewicht
Wie Energien und Enthalpien sind auch Freie Energien und Freie Enthalpien
umfassend tabelliert. Freie Enthalpien sind wegen der größeren Bedeutung
isobarer Reaktionsbedingungen auch von größerem Interesse. Um Freie Reaktionsenthalpien rG zu berechnen, wird (analog zu rH) von Freien StandardBildungsenthalpien ausgegangen. Unter Nutzung der Beziehung G = H - TS
können aus Reaktionsenthalpien und Freien Reaktionsenthalpien die Reaktionsentropien berechnet werden.
Aufgrund der Definitionen von F und G ist ersichtlich, dass es sich jeweils um
Zustandsfunktionen handelt, denn alle beteiligten Größen U, H, S und T sind
ebenfalls Zustandsfunktionen.
Neben den Zustandsgrößen Innere Energie und Enthalpie sind somit zwei weitere Zustandsgrößen bekannt, die als „energetische“ Größe aufgefasst werden
66
können. Alle vier Parameter stehen miteinander in Beziehung, zusammengefasst lauten ihre Definitionen:
dU
dH
dF
dG
=
=
=
=
dU + d(PV) =
dU - d(TS) =
dH - d(TS) =
dq
dq
dq
dq
+
+
+
+
dw
dw + PdV + VdP
dw - SdT - TdS
dw + PdV + VdP - SdT - TdS
Aus der Formulierung G = H - TS könnte man ableiten, dass die freie
Enthalpie aus einem „Energieterm“ („H“) und einem „Entropieterm“ („-TS“)
besteht. In Wirklichkeit repräsentiert auch H einen "Entropieterm", nämlich das
Produkt aus Temperatur und der Entropiezunahme der Umgebung. Trotzdem
wird das genannte Bild häufig herangezogen, um den Verlauf chemischer
Reaktionen zu interpretieren. Man nennt Reaktionen, deren Triebkraft
hauptsächlich auf dem Term „-TS“ beruht, „entropiegetrieben“. Der Einfluss des
„Entropieterms“ wird durch die Temperatur bestimmt. Beispiele:
a) Die Verdunstung einer Flüssigkeit: Der Übergang von der flüssigen Phase
zur Gasphase vergrößert in starkem Maße das den Teilchen zur Verfügung
stehende Volumen. Die dadurch bedingte Entropiezunahme treibt die Reaktion.
b) Polykondensation von Polyestern oder Polyamiden: Die bei der Kondensationsreaktion entstehenden Wassermoleküle sorgen für einen großen
positiven Entropiebeitrag.
c) Bildung von Chelatkomplexen in wässriger Phase: Die bei dem Vorgang der
Chelatbildung freigesetzten Wassermoleküle der Hydrathülle verursachen
eine Entropiezunahme.
Tatsächlich ist die Entropiezunahme die Triebkraft aller spontan ablaufenden
Reaktionen, nur wird diese in vielen Fällen durch die Erwärmung der Umgebung verursacht.
7.2
Die Fundamentalgleichung
Nach dem ersten Hauptsatz gilt folgender, bereits geläufiger Zusammenhang:
dU
=
dq + dw
Für reversible Prozesse gilt dw = -PdV und, gemäß dem zweiten Hauptsatz,
dS = dq/T; also folgt:
dUrev =
TdS - PdV
Diese Formulierung ist damit zunächst auf reversible Vorgänge beschränkt.
Aber: gilt sie für einen reversiblen Weg von 1 nach 2 (s. Abb.), dann muss sie
auch für jeden beliebigen irreversiblen Weg von 1 nach 2 gelten, denn U(S,V)
ist als Zustandsfunktion unabhängig vom zurückgelegten Weg:
67
irreversibler Weg
U
S
1
re
W
ler
sib
r
e
v
eg
U
2
2
S
1
V
V
Es gilt also grundsätzlich für alle Systeme das Gesetz
dU
=
TdS - PdV
Diese Gleichung wird, ihrer großen Bedeutung wegen, Fundamentalgleichung
genannt. Die Innere Energie U lässt sich statt in S und V auch als Funktion
vieler anderer Zustandsgrößen darstellen. In keinem anderen Fall könnte man
dann jedoch einen ähnlichen Zusammenhang formulieren wie dies in Form der
Fundamentalgleichung mit S und V möglich ist. Man nennt deshalb S und V die
natürlichen Variablen der Inneren Energie. Das dazugehörige totale Differential
dU
=
 U 
 U 

 dS  
 dV
 S  V
 V  S
führt mit der Fundamentalgleichung
dU
=
T dS - P dV
über Koeffizientenvergleich zu:
 U 

 T
 S  V
und
 U 

  P
 V  S
Auf diese Weise werden völlig neue thermodynamische Zusammenhänge gewonnen, die für sich gesehen wenig anschaulich sind, aber trotzdem eine wichtige Rolle spielen können. So stellt beispielsweise die linke Gleichung eine weitere thermodynamische Definition der Temperatur dar.
Es liegt nun nahe, für die verwandten Zustandsgrößen H, F und G nach ähnlichen Zusammenhängen zu suchen. Die Ansätze dazu entsprechen der beschriebenen Herleitung für die Innere Energie.
Fundamentalgleichung für die Enthalpie:
Es gilt nach der Definition der Enthalpie und unter Nutzung der Fundamentalgleichung der Inneren Energie
dH
=
dU
+ PdV + VdP
dH
=
TdS - PdV
+ PdV + VdP
dH
=
TdS + VdP
68
Fundamentalgleichung für die Freie Energie:
Man erhält mit der Definition der Freien Energie und unter Nutzung der Fundamentalgleichung der Inneren Energie
dF
=
dU
- TdS - SdT
dF
=
TdS - PdV
- TdS - SdT
dF
=
- SdT - PdV
Und schließlich die Fundamentalgleichung für die Freie Enthalpie:
Über die Definition der Freien Enthalpie und unter Nutzung der Fundamentalgleichung der Enthalpie erhält man
dG
=
dH
- TdS - SdT
dG
=
TdS + VdP
- TdS - SdT
dG
=
- SdT + VdP
An sich sind diese Herleitungen nicht unbedingt aufwändig; trotzdem kursiert
ein Merkschema, das die zugeordneten natürlichen Variablen und die Fundamentalgleichungen relativ einprägsam zusammenfasst:
S
+
H
+
U
G
V
P
A(F)
T
Die vier Funktionen U, H, F (bzw. A) und G stehen dabei auf den Seiten des
Quadrats, jeweils in direkter Nachbarschaft dazu die entsprechenden natürlichen Variablen (z.B. S und V für U). Die Vorfaktoren der in den Fundamentalgleichungen als Differentialausdrücke verwendeten natürlichen Variablen stehen jeweils diagonal gegenüber (z.B. T für dS und P für dV). Die Differentialausdrücke, deren Variablen im Diagramm mit „„ markiert sind (dS und dP)
werden stets mit positivem Vorzeichen, die anderen (dV und dT) mit negativem
Vorzeichen versehen (z.B. +TdS und -PdV). Im englischsprachigen Raum
kennt man für dieses Schema die Eselsbrücke „SHiP UG VAT“, was zugegebenermaßen nicht besonders viel Sinn macht, sich aber vielleicht gerade
deswegen gut einprägen lässt.
69
7.3
Die Maxwellschen Gleichungen
Die Herleitung der Maxwellschen Gleichungen beruht auf dem Schwarzschen
Satz, der allgemein für Zustandsfunktionen und somit auch für die Funktionen
U, H, F und G gelten muss. Dieser lautete (zur Erinnerung):
  f ( x, y)  
 
 
  x  y 


y



x
=
  f ( x, y)  
  
 
  y  x 


x




y

oder
fxy
=
fyx
Damit kann man beispielsweise für die Innere Energie U formulieren:
USV
=
UVS
Mit der Fundamentalgleichung dU = TdS - PdV, nach der gilt:
 U 
Us = 
 T
 S  V
folgt demnach:
 T 


 V  S
 U 
UV = 
  P
 V  S
und
=
 P 
 
 S  V
Ein solcher Zusammenhang läuft unter der Bezeichnung Maxwellsche Gleichung.
Entsprechend kann man nun für die Zustandsfunktionen H, F und G vorgehen,
wobei jeweils der Satz der dazugehörigen natürlichen Variablen und die Fundamentalgleichung verwendet wird.
Für die Enthalpie H gilt:
HS,P
=
HP,S
mit dH = TdS + VdP folgt:
 H 
HS = 
 T
 S  P
folgt demnach:
 T 
 
 P  S
 H 
HP = 
 V
 P  S
und
=
 V 


 S P
=
FV,T
Für die Freie Energie F (A) gilt:
FT,V
70
mit dF = -SdT - PdV folgt:
 F 
FT =    S
 T  V
folgt demnach:
 S 


 V  T
 F 
FV = 
  P
 V  T
und
=
 P 
 
 T  V
=
GT,P
Für die Freie Enthalpie G gilt:
GP,T
mit dG = -SdT + VdP folgt:
 G 
GT = 
  S
 T P
folgt demnach:
 S 
 
 P  T
und
=
 G 
GP = 
 V
 P  T
 V 


 T P
Zusammengefasst lauten damit die vier Maxwellschen Gleichungen:
 T 


 V  S
 T 
 
 P  S
 S 


 V  T
 S 
 
 P  T
=
=
=
=
 P 
 
 S  V
 V 


 S P
 P 
 
 T  V
 V 


 T P
Daraus ergeben sich einige interessante Relationen. So kann beispielsweise
mittels der dritten und vierten Maxwellschen Gleichung eine Aussage über die
Abhängigkeit der Entropie von Volumen und Druck (jeweils bei konstanter Temperatur) abgeleitet werden. Auch die Maxwellschen Gleichungen sind aus dem
bei den Fundamentalgleichungen erwähnten Merkschema ableitbar.
7.4
Die Abhängigkeit der Freien Enthalpie von Temperatur
und Druck
Die Frage nach der Temperatur- und Druckabhängigkeit von G wird direkt
durch die Fundamentalgleichung für die Freie Enthalpie beantwortet:
dG
=
-SdT + VdP
71
Für die Temperaturabhängigkeit bei konstantem Druck gilt daher zunächst die
bereits bekannte Formulierung:
 G 
 
 dT  P
=
-S
Da die Entropie stets einen positiven Wert besitzt, muss die Temperaturabhängigkeit zwangsläufig negativ sein, d.h. die Freie Enthalpie nimmt bei konstantem Druck mit der Temperatur ab. Aus diesem Ergebnis folgt auch, dass
die Temperaturabhängigkeit der Freien Reaktionsenthalpie durch die Reaktionsentropie beschrieben wird:
  R G 


 dT  P
=
-RS
Das wiederum bedeutet, dass eine Reaktion mit steigender Temperatur dann
an Triebkraft gewinnt, wenn die dazugehörige Reaktionsentropie positiv ist (und
umgekehrt). Da die Reaktionsentropie aus der Differenz zwischen einfacher
Reaktionsenthalpie RH und freier Reaktionsenthalpie RG hervorgeht, kann
man diese Gleichung umformen und erhält (ohne Herleitung):
 (  R G / T) 



P
T
=
  RH
T2
Diese Gibbs-Helmholtz-Gleichung ermöglicht eine direkte Abschätzung der
Temperaturabhängigkeit der Triebkraft der Reaktion aus der Wärmetönung (die
im Allgemeinen bekannt oder leicht messbar ist). Ist die Reaktion exotherm
(RH < 0), so steigt mit steigender Temperatur auch der Quotient RG/T an.
Ein entsprechendes Gesetz ist auch bezüglich der Druckabhängigkeit bekannt.
Um dies thermodynamisch zu untermauern, wird zunächst die Druckabhängigkeit der Freien Enthalpie zugrunde gelegt:
 G 
 
 P  T
=
V
Das bedeutet, dass die Freie Enthalpie mit steigendem Druck grundsätzlich (V
ist immer positiv) ansteigt. Daraus lässt sich für chemische Reaktionen leicht
ableiten:
  R G 


 P  T
=
RV
Im Gegensatz zu RS ist diese Größe in der Praxis entweder zu vernachlässigen (z.B. bei ausschließlich festen bzw. flüssigen Reaktionspartnern) oder
leicht messbar. Eine der Gibbs-Helmholtz-Gleichung entsprechende Berechnungsmethode für die Druckabhängigkeit ist also nicht notwendig. Die Konsequenzen dieses Zusammenhangs treten insbesondere dann zutage, wenn
gasförmige Komponenten abreagieren oder entstehen: Steigt dabei das Volu-
72
men des Reaktionsgemisches (RV > 0), so nimmt die Triebkraft der Reaktion
bei steigendem Druck ab. Sinkt das Volumen (RV < 0), so steigt die Triebkraft
der Reaktion bei steigendem Druck an. Dies entspricht wieder exakt der Aussage des Gesetzes des kleinsten Zwangs.
Gleichgültig, ob die Temperatur oder der Druck verändert wird: eine chemische
Reaktion zeigt in der Regel die Tendenz, einem äußeren Zwang auszuweichen,
indem sie stets den Reaktionsablauf bevorzugt, bei dem die ursprünglichen
Gegebenheiten bezüglich T und P angestrebt werden.
Ein solches Verhalten scheint in gewissem Sinne naturgegeben. Die anschauliche Betrachtung sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der eigentliche Grund für dieses „Ausweichen“ des Systems wieder in einer Maximierung
der Entropie des Universums zu sehen ist.
7.5
Das Chemische Potential
Die bisher betrachteten Abhängigkeiten der Freien Enthalpie beziehen sich auf
rein physikalische Größen, nämlich auf die Temperatur und den Druck. Zur
Betrachtung einer chemischen Reaktion muss ein Parameter eingebracht werden, der die Zusammensetzung des Reaktionsgemisches beschreibt. Unter den
Möglichkeiten, die sich hierfür anbieten, ist die Nutzung der Molzahl n sicherlich
die praktikabelste. Dieser Parameter wurde bereits bei der Formulierung des
idealen Gasgesetzes erwähnt, trat danach jedoch in den Hintergrund, da
zwischenzeitlich nur reine Systeme betrachtet wurden.
Um die Zusammensetzung eines Gemisches zu beschreiben, werden Molzahlen eingeführt, die sich auf die einzelnen Komponenten (1, 2, 3, ... k) in jeweils
einem gegebenen Phasenzustand beziehen. Dann gilt:
k
nges
=
n
i
i 1
Mit der Einführung dieser Parameter wird die Freie Enthalpie auch eine Funktion der Größen ni:
G(T, P, n1, n2, n3, ... nk)
Damit erweitert sich folgerichtig auch das Totale Differential von G zu:
 G 
 G
dT   
dP  

 T  P,n1,n2 ,n3 ,...nk
 P  T,n1,n2 ,n3 ...nk
 n1  T,P,n
dG =  G
 G 
dn1  
dn 2 ...


n


2
T,P,n1,n3 ,...nk
2 ,n3 ,...nk
 G 
 G 
=  S dT  V dP  
dn1  
dn 2 ...


 n1  T,P,n2 ,n3 ,...nk
 n 2  T,P,n1,n3 ,...nk
Somit hätte man die komplette Beschreibung aller Abhängigkeiten der Freien
Enthalpie, die nun auch die Zusammensetzung eines Reaktionsgemisches
berücksichtigt. Etwas unbefriedigend dabei ist, dass zwar die partiellen
73
Differentiale nach T und P, nicht jedoch die partiellen Differentiale nach den
Molzahlen durch andere physikalische Größen zu ersetzen sind. Die partielle
Ableitung der Freien Enthalpie nach der Molzahl einer Komponente k ist eine
Größe, die stark stoffspezifisch ist. Sie beschreibt den Beitrag der jeweiligen
Komponente i an der gesamten Freien Enthalpie, und ist insbesondere in
der Chemie von großer Bedeutung. Sie wird deswegen Chemisches Potential
genannt und üblicherweise mit dem Kürzel i bezeichnet:
i
=
  G



n

i  T,P,n
k i
Damit ist eine angenehme Vereinfachung des totalen Differentials von G möglich, es lautet nun:
dG
=
-S dT + V dP + 1 dn1 + 2 dn2 + ...
Die Größen i erscheinen etwas unanschaulich, besitzen jedoch eine konkrete
Bedeutung. Komponenten, die (im positiven oder negativen Sinne) stark zur
gesamten freien Enthalpie beitragen, besitzen ein betraglich großes (positives
oder negatives) chemisches Potential und umgekehrt. Bei Komponenten mit
stark positiven Beiträgen zum chemischen Potential erfährt das Reaktionsgemisch die Tendenz, den Anteil der Komponente abzubauen. Dagegen
werden Komponenten mit stark negativen Beiträgen zum chemischen Potential
in einer gegebenen Reaktionsmischung bevorzugt angereichert.
7.6
Das chemische Gleichgewicht
Ausschlaggebende Bedeutung besitzt das chemische Potential bei der Betrachtung von chemischen Gleichgewichten. Bei konstanter Temperatur und
konstantem Druck gilt:
k
dG
=

i dni
i 1
Gleichzeitig repräsentiert ein eingestelltes, stabiles Gleichgewicht den Fall
eines statischen Zustands mit dSUniversum = 0 , damit gilt auch:
dG
=
0
Daraus resultiert, dass bei Einstellung des Gleichgewichts ein Zustand vorliegt,
bei dem sich die Beträge von i dni gegenseitig genau kompensieren. Gleichzeitig stellt dieser Punkt das Minimum von G(ni) dar, da dieser Zustand von
jedem anderen Punkt aus spontan angestrebt wird.
Um dies anschaulicher darzustellen, betrachten wir ein einfaches Gleichgewicht
des Typs AB, zum Beispiel das Gleichgewicht zwischen „Sessel-„ und
„Wannenform“ des Cyclohexans in der Gasphase:
74
Cyclohexan
“Sesselform”
“Wannenform”
G
Gleichgewichtszustand
100% “Sessel”
100% “Wanne”
Dazu sei ein Verlauf der chemischen Potentiale postuliert, der etwa folgende
Gestalt besitzt:
Wanne
Sessel
i
Gleichgewichtszustand
100% “Sessel”
100% “Wanne”
Befindet man sich an einem Punkt außerhalb des Gleichgewichtszustands (beispielsweise bei 100% „Sessel“), so ist das chemische Potential der Sesselform
offensichtlich höher als das der „Wanne“. Jedes Molekül, das aus der Sesselform in die Wannenform übergeht, sorgt dann für eine Verminderung der gesamten Freien Enthalpie. Es resultiert ein spontaner Ablauf der Reaktion. Dabei
ändern sich die chemischen Potentiale von „Wanne“ und „Sessel“ bis zu einem
Punkt, wo diese gleich sind:
Sessel
=
Wanne
Mit
dGP,T=const.
=
Sessel dnSessel+ Wanne dnWanne
und
dnSessel
=
- dnWanne
folgt:
dG
=
Sessel(dnSessel + dnWanne)
=
0
An diesem Punkt kann also ein Molekül „Sessel“ in ein Molekül „Wanne“ übergehen, ohne dass sich G verändert. Somit ist hier der statische Zustand eines
Gleichgewichts erreicht, der dem Minimum der Enthalpiekurve entspricht.
Der Gleichgewichtszustand, der durch dG = 0 gekennzeichnet ist, bedeutet also
auch die Gleichheit der chemischen Potentiale. Verallgemeinert kann man
sagen, dass sich ein chemisches Gleichgewicht durch die Gleichheit der
aufaddierten chemischen Potentiale der Edukte i mit den aufaddierten chemi-
75
schen Potentialen der Produkte j auszeichnet, wenn man dabei die stöchiometrischen Koeffizienten i berücksichtigt. Im Gleichgewicht gilt dann:
k
 |ni| i
i 1
m
=

m
|nj| j
 ni i
oder
j 1
=
0
i 1
In diesem Zustand erhält man unter Ansatz der Konzentrationsabhängigkeit
des chemischen Potentials (ohne Herleitung) für eine beliebige chemische
Gleichgewichtsreaktion vom Typ:
n1 A1 + n2 A2 + ...


m1 B1 + m2B2 + ...
das so genannte Massenwirkungsgesetz:
K
 c B1m1  c B2 m 2 ... 


n1
n2
 c A1  c A 2 ... 

Dabei steht jedes cX für die dimensionslose „relative“ Konzentration des
Reaktionspartners X nach der Definition cX = cX / (1Mol/L). Das bedeutet, dass
sich im Gleichgewicht eine feste Relation zwischen den Konzentrationen aller
Reaktionspartner einstellt.
7.7
Die Elektromotorische Kraft
Bei der Einführung der freien Enthalpie in Kapitel 7.1 wurde festgehalten, dass
die negative Änderung der freien Enthalpie, die mit einem betrachteten
Vorgang verbunden ist, mit der maximalen Nicht-Volumenarbeit gleichgesetzt
werden kann. Eine sehr wichtige Art von Nicht-Volumenarbeit ist die elektrische
Arbeit wel, die sich zum Beispiel bei der Verschiebung von Ionen in einem
elektrischen Feld ergibt. Diese elektrische Arbeit errechnet sich aus dem
Produkt aus der Ladung (n z F) und der Potentialdifferenz E. Es gilt:
wel
=
nzFE
Dabei steht z für die (dimensionslose) Ladungszahl, n für die Zahl der Ionen (in
Mol), E für die angelegte Spannung (in Volt) und F für die Faraday-Konstante.
Letztere bemisst die Gesamtladung von einem Mol einer einfach geladenen
Ionensorte und beträgt
F
=
96 485 Coulomb / Mol
Die Einheit „Coulomb“ für die elektrische Ladung wird generell mit „C“
abgekürzt. Es gilt:
1C
=
1As =
1J/V
Die letztgenannte Einheit bedeutet eigentlich „Arbeit pro Spannung“. Man kann
also sagen, dass 1 Coulomb diejenige Ladung bedeutet, die bei der Verschie-
76
bung gegen eine Potentialdifferenz von einem Volt eine Arbeit von einem Joule
erfordert.
Stoff 2
Stoff 1
Angenommen, eine chemische (Redox-) Reaktion zwischen zwei Elektroden,
an der zwei verschiedene z-fach positiv geladene Kationen 1 und 2 beteiligt
sind, führe zu einer Ladungstrennung, die sich in einer Spannung E äußert.
Dabei sei der Stoff 1 derjenige, der bei der Reaktion oxidiert wird und damit den
negativen Pol bildet. Eine typische experimentelle Anordnung dieser Art ist in
der folgenden Abbildung wiedergegeben. Man spricht dabei von einer elektrochemischen Zelle, die elektrische Spannung E zwischen den Elektroden bezeichnet man in diesem Zusammenhang als Elektromotorische Kraft.
Stromschlüssel
Kation1n+
Kation2n+
Unter Standardbedingungen (die Konzentrationen c1 und c2 beider Ionensorten
besitzen den Wert 1 Mol/L) erhält man dann unter Ansatz von wel = -rG0 die
Gleichung:
z F E0
=
- rG0
wobei der erhaltene Wert auf ein Mol Stoffumsatz bezogen ist und die Einheit
J/Mol besitzt. Die Vorzeichenumkehr ergibt sich aus der Tatsache, dass die
Reaktionsenthalpie negativ ist (Triebkraft!) und die Spannung im Normalfall
positiv angegeben wird. Der Wert der Spannung E0 (s. Tabelle S. 77) wird dann
als Normalpotential der Zelle bezeichnet. Weichen die Konzentrationen der
Ionensorten bezüglich Stoff 1 und Stoff 2 von der Standardkonzentration 1
Mol/L ab, so ergibt sich ein zusätzlicher Beitrag wkonz für diejenige Arbeit, die für
die Aufkonzentration der Ionen von 1 nach 2 benötigt wird (bei einer
Verringerung der Konzentration kehrt sich entsprechend das Vorzeichen dieses
Beitrags um). Dieser Beitrag errechnet sich in Analogie zur in Kapitel 5.3
eingeführten integrierten Volumenarbeit w = - RT ln (V2/V1) als
V 
- RT ln  2 
 V1 
=
wkonz
=
c 
- RT ln  1 
 c2 
Die neue Spannungsdifferenz ergibt sich dann wie folgt:
zFE
=
zFE
0
-
c 
RT ln  1 
 c2 
=
c 
- rG0 - RT ln  1 
 c2 
Daraus ergibt sich schließlich die Nernstsche Gleichung für die Berechnung
der Elektromotorischen Kraft als:
77
E
=
E0
c 
RT
ln  1 
zF
 c2 
-
Die Spannung der Zelle kann also dadurch erhöht werden, dass man entweder
die Ionenkonzentration desjenigen Partners, der oxidiert wird (Stoff 1),
verkleinert, oder die Konzentration desjenigen Partners, der reduziert wird
(Stoff 2), vergrößert.
Durch Einsetzen der Konstanten R und F, Ansatz von T = 298 K als Raumtemperatur und unter Berücksichtigung des Faktors zwischen natürlichem
Logarithmus und dekadischem Logarithmus erhält man daraus die bekannte
und praxisgerechte Form der Nernstschen Gleichung:
E
=
E
0
c 
(1/z) (0,059 V) log10  1 
 c2 
-
Misst man die Normalpotentiale E0 verschiedener Kationensorten gegen eine
so genannte Normalwasserstoffelektrode,
X
H2
Xn+
H+
(alle Werte gegen H2 gemessen und in Volt)
Li
K
Ca
Na
Mg
Al
Mn
Zn
Cr
Fe
Lithium
Kalium
Calcium
Natrium
Magnesium
Aluminum
Mangan
Zink
Chrom
Eisen
- 2.96
- 2.92
- 2.76
- 2.71
- 2.34
- 1.33
- 1.10
- 0.76
- 0.51
- 0.44
Schwache Reduktionsmittel
Starke Reduktionsmittel
so erhält man die bekannte Spannungsreihe der Kationen, welche die Stärke
der Reduktionswirkung durch die entsprechenden ungeladenen Stoffe (meistens Metalle) bzw. die Oxidationswirkung der dazugehörigen Kationen wiedergibt:
Cd
Co
Ni
Sn
Pb
H2
Cu
Ag
Hg
Au
Pt
Cadmium
Cobalt
Nickel
Zinn
Blei
Wasserstoff
Kupfer
Silber
Quecksilber
Gold
Platin
- 0.40
- 0.28
- 0.23
- 0.16
- 0.12
0
0.34
0.79
0.85
1.36
1.60
Die Differenz zwischen zwei der hier aufgelisteten Spannungswerten ergibt die
Spannung, die aus einer Kombination von den betreffenden zwei Halbzellen zu
erzielen ist.
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