1. Bericht - Arme Schulschwestern

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Erster Bericht aus Nsawam, einer
Kleinstadt von der ca. 40 km
entfernten Hauptstadt Accra.
Am 16. August haben mich meine Eltern und mein Freund zum Flughafen gebracht. Als ich
meine Koffer abgeben wollte, standen plötzlich zwei sehr gute Freundinnen hinter mir, Lena
und Agnes. Das war eine tolle Überraschung.
Dann ging es endlich los: Nach einem ca. 8 stündigen Flug mit einem Zwischenstopp in
Istanbul landete ich in der zweieinhalb Millionen Stadt Accra. Vergebens haben ich und viele
weitere Passagiere eineinhalb Stunden auf das Gepäck gewartet. Sie sagten uns, es würde am
nächsten Tag um die gleiche Uhrzeit ankommen. Völlig übermüdet kam ich in die
Ankunftshalle, in der eine riesen Menschenmenge war, die wild durcheinander brüllte.
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Flug über die Sahara und Foto über der zwei Millionen Stadt Ghanas, Accra.
Glücklicherweise haben Schwester Elis (sie kommt ursprünglich auch aus Bayern) und ich uns
gleich gefunden. Peter, ein Driver vom OTC, hat uns nach einer zweistündigen Fahrt mit viel
Verkehr zum Schwesternhaus in Adoagyiri in Nsawam gebracht. Die zwei amerikanischen
Schwestern Sr. Elizabeth und Sr. Cecilia haben bereits im Nachthemd auf uns gewartet. Sie
begrüßten mich sehr herzlich, nach einem kurzen Kennenlerngespräch war ich froh, als Ich
mich ins Bett legen konnte. Die vierte Schwester, Sr. Esther, ist eine ghanaische Schwester, sie
besuchte, als ich ankam, ihre Familie im Norden und war nicht da. Am nächsten Morgen
weckten mich die Hühner vor dem Haus auf. Ich fühlte mich also wie zu Hause.
Das Schwesternhaus in Nsawam. Ich lebe hier mit vier Schwestern.
Nach einem sehr guten Frühstück, Brot (kann man mit Toastbrot vergleichen) mit Avocado ,
führte mich Sr. Elis durch das Orthopedic Training Centre, in dem ich ein Jahr mitarbeiten darf.
Mein Arbeitsplatz ist also ein orthopädisches Therapiezentrum, indem Babys, Kinder,
Jugendliche und auch Erwachsene behandelt werden. Momentan sind es ca. 65 Patienten.
Es werden Kinder mit Klumpfüße, Kinder, deren Arme und/oder Beine fehlen, aufgrund eines
Unfalls/ Gewalteinwirkung und auch angeborener Fehlbildung oder Kinderlähmung behandelt.
Es gibt hier z.B Polio- oder Diphtherie Impfungen, nur können sich das viele nicht leisten bzw.
sind viele gar nicht aufgeklärt darüber.
Im OTC werden für die zum größten Teil kleinen Patienten Schienen, Prothesen, spezielle
orthopädische Schuhe angefertigt und sie erhalten täglich Physiotherapie.
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Das ist wirklich beeindruckend hier. Es ist sehr groß, sauber, freundlich und einladend. Das
OTC besteht aus einem großen Workshop, dort werden z.B. Beinprothesen hergestellt, weitere
Räume wie Physiotherapieräume, drei Klassenzimmer für die Kinder, ein Computerraum, eine
Küche, Wasch und Schlafräume, ein Swimmingpool in dem viele Therapieeinheiten für Kinder
mit spastischen Lähmungen stattfinden ( so genannte Hydrotherapie). Zudem haben wir auch
viele Studenten mit extra Klassenräumen hier, dieser Studiengang ist eine Mischung aus
Physiotherapie und Orthopädietechnik.
Herstellung einer Prothese im Workshop und Beispiel eines Klassenzimmers
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Das ist ein großer Teil der kleinen Patienten am
Morgen nach dem Gebet.
In der ersten Woche durfte ich mir erst einmal alles anschauen. Ab der zweiten Woche habe ich
dann feste Aufgaben zugeteilt bekommen bzw. konnte ich mir selbst welche suchen.
Sister Elizabeth, mit der ich auch in der Gemeinschaft lebe, ist die Direktorin des OTC. Sie hat
mir als Aufgabe die komplette Wundversorgung zugeteilt. Erst war Ich nicht begeistert, weil das
bisher eine ghanaische Krankenschwester gemacht hat und ich nicht wollte, dass ich mit ihr in
den Konflikt komme. Aber ihre Qualitäten, auch was Wundversorgung angeht, sind nicht gerade
fachlich korrekt!
Die Wundversorgung macht mir sehr viel Spaß, hier sehe ich bisher immer einen Erfolg und
das motiviert. Obwohl die erste Wunde die ich hier vor sieben Wochen sah, mich erst
überfordert hat.
Der Junge ist 17 Jahre alt, mein erster Gedanke war: oh Gott, hoffentlich können wir die GroßZehe retten und er muss nicht amputiert werden. Die Wunde am Zeh war so tief, dass ich auch
eine Knocheninfektion vermutet habe. Ich kann euch sagen, nach sieben Wochen
Verbandswechsel (anfangs täglicher VW) und Antibiotikatherapie sind alle Wunden
geschlossen, die Wunde am Zeh ist nur noch oberflächlich und fast verkrustet.
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Dieser Fuß gehört nicht etwa einen 70 jährigen Mann, das sind die Wunden des 17 jährigen
Jungen. Das Bild oben links war vor 7 Wochen, unten rechts nach 7 Wochen Verbandswechsel.
Außerdem habe ich ein elf Jähriges Mädchen mit Osteomyelitis zu verbinden, sie hatte anfangs
vier große, eitrige, Ulcus ähnliche Wunden beidseits am Schienbein, jetzt sind es noch zwei
offene Wunden. Die Unterschenkel sind sehr deformiert, sehen halbmondförmig aus. Bei den
ersten Verbandswechseln hat sie sehr geweint vor Schmerzen.
Momentan freut sie sich jedes Mal darauf, weil sich die Wunden etwas verkleinern. Jedoch
kann ich die Wunden niemals schließen, bevor sie nicht eine Operation bekommt. Der Knochen
unter den Wunden ist tot, auch wenn ich die Wunden für kurze Zeit schließen kann, werden sie
wieder und wieder aufbrechen. Natürlich muss auch die Operation bezahlt werden. Ohne
Unterstützung von außen ist dies nicht möglich.
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Genug zum Thema Verbandswechsel.
Weitere Aufgaben sind für mich beim Waschen und Eincremen der Kinder sowie beim An- und
Ausziehen der Kleidung und Prothesen mit zu helfen. Für viel Kinder ist es schwierig, diese
Dinge zu bewältigen.
Es macht sehr viel Spaß, die Kinder solange von oben bis unten einzuseifen, bis sie ganz weiß
von dem vielen Schaum werden.
Auch die Begleitung der Kinder ins Krankenhaus gehört zu meiner Aufgabe. Das ist ein 8
jähriges Mädchen mit einem Hydrocephalus.
Eine neue Aufgabe ist der Blutzuckertest bei den Diabetikern. Momentan haben wir 13
Erwachsene Patienten mit Diabetes mellitus Typ II. Sie sind im OTC um ein neues Bein, eine
Prothese angepasst zu bekommen. Sie haben alle bereits ein amputiertes Bein aufgrund der
Zuckerkrankheit.
Die ersten offenen Wunden sind auch schon am erhaltenen Bein vorhanden. In den letzten
Wochen musste ich drei Diabetiker nach Hause zu Ihrem Arzt bzw. ins Krankenhaus aufgrund
der Blutzuckerentgleisung schicken. Es ist schwierig, ihnen z.B. beim Thema Ernährung Tipps
zu geben. Es gibt hier kein dunkles, gesundes Vollkornbrot, Salat findet man selten und ist auch
wie vieles andere Gemüse zu teuer.
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Zwischendurch, wenn ich Zeit finde, unterstütze ich die Arbeit der Lehrer. Es macht Spaß, den
Kindern beim Lesen, Rechnen und Schreiben zu helfen.
Rechtes Bild: Nshyra wurde ohne
Finger, ohne Arme geboren.
Momentan beobachten wir sie
noch, ob sie mehr ihre Füße oder
mit ihren kleinen Ärmchen macht.
Dann wird man je nach Ergebnis
versuchen, ihr den Zeh am Arm zu
transplantieren. Auf diesem Bild
kann man sehen, wie sie lernt, mit
dem Fuß zu malen.
Das ist die sechsjährige Blessing. Sie hat Anomalien an beiden Beinen und an beiden Armen.
Ihr fehlt von Geburt an der linke Arm, am rechten Arm hat sie nur vier Finger. Sie ist ein
unfassbar aufgewecktes, lebensfrohes Mädchen.
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Sie kann dank ihrer zwei Beinprothesen und täglicher Physiotherapie seit ca. 3 Monaten gehen.
Es sieht ein bisschen kegelförmig aus, wenn sie geht und manchmal verliert sie das
Gleichgewicht und fällt wieder hin. Die Mutter von Blessing hatte nach der Geburt die
Krankenschwester gebeten, sie umzubringen.
Die Frau adoptierte daraufhin das Neugeborene und brachte es nach dem ersten Lebensjahr
zum ersten Mal ins OTC.
Ein Junge, er heißt Kofi und ist 12 Jahre alt. Er hat beide Eltern verloren und wurde von seiner
eigenen Oma an Fischer verkauft. Dort musste er täglich sehr hart arbeiten. Eines Tages ist er
ausgerutscht und hat sich dabei einige Wirbel gebrochen.
Keiner von den Fischern hat ihn zum Arzt oder ins Krankenhaus gebracht. Eines Tages haben
ihn Freiwillige einer Mission gefunden und ins OTC gebracht. Er hat ebenfalls eine Operation
erhalten, er musste lange Stützkorsetts tragen. Trotzdem hat er einen ganz verkrümmten
Oberkörper.
Evan, 8 Jahre alt, er hat kein orthopädisches Problem. Zwei Mitarbeiter des OTC haben ihn
gefunden und hierhergebracht, weil seine Mama an Unterernährung gestorben ist und er wäre
ansonsten auch verhungert.
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Sule, er ist 9 Jahre alt. Er hat im Alter von drei Jahren beim Einkaufen von Kohle das Geld
verloren (es war umgerechnet kein Euro). Seine Tante und seine Mama haben ihn zur Strafe
beide Hände und beide Füße ins Feuer gehoben, er hat viele seiner Finger- und Zehenglieder
aufgrund dieser Gewalteinwirkung verloren.
Vor drei Jahren hat ein Doktor in München seine Hände operiert, ohne Geld dafür zu nehmen.
Er hatte acht Operationen. Dank dieses Arztes kann er jetzt einen Stift oder auch eine Tasse
zur Hand nehmen und selbstständig trinken. Seitdem ist Sule viel unabhängiger geworden, in
der Schule hat er keine Probleme beim Schreiben. Die Grobmotorik funktioniert sehr gut, mit
der Feinmotorik wird er immer zu kämpfen haben.
Ich hoffe, ihr konntet nun ein paar Eindrücke von dem OTC und auch von meiner Arbeit
hier gewinnen.
Das ist ein vier jähriger Junge mit Klumpfüße. Er hat bereits eine
Operation erhalten und wird bald wieder eine bekommen.
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Meine ersten Eindrücke von Ghana
Exotische Früchte, klapprige Kleinbusse, urige Trommelrhythmen und zahlreiche ausgefallene
Dialekte sind nur eine Auswahl der vielfältigen Kultur, die einem im westafrikanischen Ghana
erwartet.
Die Ghanaer gelten als eines der kontaktfreudigsten und lebensmutigsten Völker der Erde. Es
gibt hier neun verschiedene ghanaische Sprachen neben der Amtssprache Englisch. Diese sind
aufgeteilt in die verschiedenen Regionen Ghanas. Ein Ghanaer vom Norden kann sich z.B.
nicht mit seiner Volkssprache mit einem Ghanaer vom Süden unterhalten. Fast jeder Ghanaer
wächst zweisprachig auf, der Durchschnitt liegt aber bei 4 – 6 Sprachen.
Die Ghanaer sind sehr gläubig, überwiegend wird hier das Christentum und auch der Islam
verehrt. Der All-sonntägliche Kirchgang und tägliches Beten sind in Ghana selbstverständlich.
Ein normaler Gottesdienst dauert mindestens zwei, meistens drei Stunden. In den ländlichen
Regionen sind die Menschen größtenteils abergläubisch und leben spirituell. Sie versuchen z.B.
durch besondere Dekoration der Häuser böse Geister fern zu halten.
Wenn ich durch die Straßen gehe, bekomme ich mehrmals von den Kindern „Bruni,
Bruni!“ zugerufen was so viel wie „Oh, ein Weißer“ bedeutet, dies ist aber nett gemeint.
Das Hauptnahrungsmittel der Ghanaer ist Reis, der in verschiedenen Variationen zubereitet
wird. Yam ist ein Kartoffelähnliches Gemüse. Lokale Spezialitäten sind Kenkey, Fufu und
Banku. Natürlich werden diese Gerichte scharf zubereitet.
werden
ist
Mit den sogenannten Kochbananen
werden Plantain – Chips gemacht. Ein
sehr leckerer Snack für Zwischendurch.
Banku-Klöße bestehen meist aus
einem Gemisch aus Mais- und
Maniokmehl.
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Die Luftfeuchtigkeit in Ghana ist momentan noch sehr hoch. Ich schwitze manchmal sogar im
sitzen. Aber auch die einheimischen Leute müssen schwitzen.
Eine Straße in Nsawam.
In den Monaten Juli, August und September ist Regenzeit in Ghana. Jetzt wird es langsam
immer heißer und ich hoffe somit auch die Luftfeuchtigkeit etwas geringer.
Wir haben zu Deutschland eine Zeitverschiebung von zwei Stunden. Wenn es zuhause 12 Uhr
mittags ist, ist es in Ghana erst 10 Uhr vormittags.
In Ghana läuft niemand, auch nicht die Kinder, barfuß. Dies ist eine Sitte, die jeder beachtet,
weil er sonst als Armer verachtet wird. Fast alle, auch die älteren Menschen tragen „Flip Flops“.
Die linke Hand gilt grundsätzlich als schmutzig. Deshalb isst und begrüßt man sich
ausschließlich mit der rechten Hand.
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Als Abschluss meines ersten Berichtes ein Foto an meinem Geburtstag im September. Das war
ein sehr schöner Tag. Die Kinder haben von morgens bis abends immer wieder „Happy
Birthday“ oder „You are my sunshine“ gesungen.
Wenn jemand Geburtstag hat, ist es selbstverständlich, dass derjenige dann etwas Süßes oder
Drinks mitbringt.
Ich, Sandra und Blessing
Bis bald, liebe Grüße aus Ghana
Eure Simone
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