Gesellschaftstheorien I - Juristischen Fakultät Basel

Werbung
Vorlesung Rechtssoziologie
HS 2012
Gesellschaftstheorien und
das Recht
Emile Durkheim
Ass.-Prof. Dr. Michelle Cottier
Juristische Fakultät
Universität Basel
Emile Durkheim (1858-1917)
Rechtssoziologie HS 2012
2
Emile Durkheim
Durkheims Fragestellung:
• Wie gelingt es unter den Bedingungen der Moderne
(Arbeitsteilung, Bevölkerungswachstum, Verstädterung,
Individualisierung), eine Gesellschaft zusammenzuhalten?
Diskussion:
• Welche Bedrohungen gesellschaftlichen Zusammenhalts
bestehen heute?
• Welche rechtlichen Instrumente werden heute zur
Sicherung gesellschaftlicher Solidarität eingesetzt?
Rechtssoziologie HS 2012
3
Emile Durkheims Soziologie
Soziologie als Untersuchung von „faits sociaux“:
• Die «faits sociaux» sind:
– dem Menschen äusserlich und haben ihre
Wurzeln im «kollektiven Bewusstsein»
– zwanghaft, üben Druck auf das Individuum aus
• Aufgabe der Soziologie: Erforschung der sozialen
Tatsachen „wie Dinge“
• Unterscheidung normale und pathologische «faits
sociaux»
Rechtssoziologie HS 2012
4
Emile Durkheims Soziologie
Begriff der Arbeitsteilung:
„Niemand mehr kann sich über die Tendenzen unserer
modernen Industrie täuschen. Sie verschreibt sich immer
mehr den grossen Maschinen, den grossen Kraft- und
Kapitalballungen und folglich der äussersten
Arbeitsteilung. Nicht nur innerhalb der Fabriken sind die
Beschäftigungen getrennt und bis ins Unendliche
spezialisiert, sondern jede Fabrik stellt ihrerseits eine
Spezialisierung dar, die andere voraussetzt.“ (Über soziale
Arbeitsteilung, 83)
Rechtssoziologie HS 2012
5
Emile Durkheims Soziologie
Arbeitsteilung und soziale Solidarität:
• Untersuchungsgegenstand: Zusammenhang von
Arbeitsteilung und sozialer Solidarität.
• Begriff der Solidarität: Soziale Solidarität liegt dann vor,
wenn die Organisationsform einer Gesellschaft mit
einem bestimmten Moraltypus übereinstimmt.
Rechtssoziologie HS 2012
6
Fragen zur Lektüre
Fragen zu Durkheim und Raiser:
• Welches Verhältnis besteht für Durkheim zwischen
Rechtsentwicklung und sozialer Entwicklung?
• Welche Arten der gesellschaftlichen Solidarität
unterscheidet Durkheim und welche Arten von Recht
entsprechen ihnen?
Rechtssoziologie HS 2012
7
Rechtssoziologie HS 2012
8
Emile Durkheims Soziologie
Entwicklung der Gesellschaft
• Idee der Entwicklung vom segmentierten zum
arbeitsteiligen Gesellschaftstypus  fortschreitende
Arbeitsteilung als historisches Gesetz
• Entwicklung der Gesellschaft von Religiosität zu
Säkularismus, von Kollektivismus zu Individualismus
Rechtssoziologie HS 2012
9
Recht und gesellschaftliche Solidarität
Die segmentierte Gesellschaft:
• niedrige Bevölkerungszahl, Organisation in Clans und
Horden, relativ geringe Interdependenzen zwischen den
Gruppen
Dominanz der mechanischen Solidarität:
• starkes Kollektivbewusstsein: Grosse Übereinstimmung
(Ähnlichkeit) von Anschauungen und Gefühlen innerhalb
der Gruppe
• Orientierung an religiösen Vorstellungen, das Kollektiv
steht im Vordergrund.
Rechtssoziologie HS 2012
10
Recht und gesellschaftliche Solidarität
Die arbeitsteilige Gesellschaft:
• funktionale Differenzierung, Entstehung grosser Märkte,
Wachstum der Städte, ausgeprägte Interdependenzen
zwischen den Gruppierungen, hohe Bevölkerungszahl
Dominanz der organischen Solidarität:
• Soziale Bande verdanken sich der „ergänzenden
Unähnlichkeit“ und der gegenseitigen Abhängigkeit 
die Arbeitsteilung selbst stiftet Integration
• Das Kollektivbewusstsein bildet sich zurück zugunsten
von Eigeninitiative und individueller Reflexion
Rechtssoziologie HS 2012
11
Recht und gesellschaftliche Solidarität
Krankhafte Erscheinungen der Arbeitsteilung:
• Anomische Arbeitsteilung: Zu rascher sozialer
Wandel, zu starke Betonung des Individualismus
• Erzwungene Arbeitsteilung: durch soziale
Ungleichheit, Klassen etc. besteht keine echte Freiheit
der Wahl der eigenen Aufgabe
• Anormale Form der Arbeitsteilung: Arbeitsteilung ist
dysfunktional, z.B. mangelnde Ausbildung der einzelnen,
Überspezialisierung, Kompetenzwirrwarr etc.
Rechtssoziologie HS 2012
12
Recht und gesellschaftliche Solidarität
Das repressive Recht als Ausdruck mechanischer
Solidarität:
Dem Rechtsbrecher wird Schmerz und Sühne zugefügt,
das Leben, die Freiheit, die Ehre oder das Vermögen
genommen: Strafrecht
Das restitutive Recht als Ausdruck organischer
Solidarität:
Das restitutive Recht zielt darauf, Störungen zu
beseitigen, die in den sozialen Beziehungen aufgetreten
sind: Zivil- und Handelsrecht, Prozessrecht,
Verfassungs- und Verwaltungsrecht.
Rechtssoziologie HS 2012
13
Recht und gesellschaftliche Solidarität
Diskussion:
Interpretation neuerer strafrechtlicher Entwicklungen vor
dem Hintergrund der Durkheimschen Theorie?
–
–
–
–
Mediation und Täter-Opfer-Ausgleich
Electronic Monitoring statt Gefängnisstrafen
Geldstrafen statt kurze Freiheitsstrafen
Ruf nach härteren und längeren Strafen z.B.
gegenüber delinquenten Jugendlichen oder „Rasern“
Rechtssoziologie HS 2012
14
Emile Durkheims Rechtssoziologie
Rolle des Rechts in Durkheims allgemeiner
Soziologie:
•
•
•
•
•
Recht als „fait social“
Recht (wie Sitte) als Organisation des sozialen Lebens
Rechtliche Entwicklung folgt der sozialen Entwicklung
Recht als Indikator der gesellschaftlichen Solidarität
Idee der Normalität der Existenz von Verbrechen (crime)
und abweichendem Verhalten allgemein
Rechtssoziologie HS 2012
15
Fragen zur Lektüre
Zu David Trubek
• Welche Rolle spielt gemäss Max Weber das Recht in der
Entwicklung des modernen Kapitalismus?
Zu Weber und Durkheim
• Weber und Durkheim beschreiben beide die Rolle des
Rechts in der Entwicklung zur modernen Gesellschaft.
Inwiefern unterscheiden sich ihre Analysen?
Rechtssoziologie HS 2012
16
Herunterladen