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Nicht zur Verwendung in Intranet- und Internet-Angeboten sowie elektronischen Verteilern.
Prothetik Embedded-Messsysteme
Kommunikation setzt gutes Hören voraus. Ein Forscherteam der Universität Stuttgart hat daher das Zusammenspiel der Gehörknöchelchenkette im Mittelohr untersucht, um herauszufinden, wie sich Mittelohrprothesen verbessern lassen.
Schon gehört? Bessere
Mittelohrprothesen in Sicht
D
er Hörvorgang setzt sich
aus einer komplexen Kette
funktional ineinandergreifender Elemente zusammen. Einfach ausgedrückt gelangen Schallwellen als Druckschwankungen der
Luft in den Gehörgang und verursachen im Mittelohr eine Bewegung
der Gehörknöchelchen, also von
Hammer, Amboss und Steigbügel
(Bild 1). Der Steigbügel grenzt mit
seiner Fußplatte an das Innenohr.
Hinter der Fußplatte befindet sich
die Innenohrflüssigkeit, die das
Gleichgewichtsorgan und die Hörschnecke ausfüllt. Durch die Bewegung der Steigbügelfußplatte
kommt die Flüssigkeit im Innenohr
in Bewegung, was wiederum die
Haarsinneszellen reizt. Deren Deformation erzeugt elektrische
Signale, die über den Hörnerv in das Gehirn geleitet werden und
den eigentlichen Höreindruck hervorrufen.
Um Hörprothesen verbessern zu können, hat das Forscherteam
der Universität Stuttgart erforscht, wie die Gehörknöchelchenkette stimuliert werden muss, damit der
Mikroelektronik erlaubt
Mensch möglichst
Messen der Kippbewegung
gut hört. Der Steigbügel führt je nach Frequenz kolbenartige und kippende Bewegungen aus. Im niederfrequenten Bereich kommt es hauptsächlich zu einer Kolbenbewegung. Im hochfrequenten Bereich kommen auch Kippbewegungen hinzu.
Die klassische These des Hörens besagt, dass lediglich die kolbenartige Bewegung der Steigbügelfußplatte das Hören unmittelbar
beeinflusst, nicht jedoch die kippende. Forscher der Universität
Stuttgart und am Universitätsspital Zürich haben in In-vivo-Versuchen an Meerschweinchen getestet, ob und inwieweit auch die
Kippbewegungen die Haarzellen reizen, sowie Signale an das Ge-
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Die Anatomie des menschlichen Gehörs
hirn senden und ob dabei ein Höreindruck entsteht. Der Versuchsaufbau (Bild 2) besteht aus dem Narkose- und Überwachungs-gerät für das Versuchstier und dem schwingungsgedämpften
Versuchsstand in einer vor akustiSteigbügel gezielt schen Nebengeräuschen und
mit Piezoaktoren elektromagnetischer Einstrahlung
bewegen isolierten Kabine. Die mechanische
Steigbügelerregung über einen
piezoelektrischen Aktor sowie die Messgrößenerfassung der Steigbügelbewegungen und des Nervenpotenzials übernimmt das Embedded-System Auto Box.
»Aufgrund unzureichender Messmethoden hat man angenommen, dass die Kippbewegungen der Steigbügelfußplatte keine
Nervenreizung zur Folge haben«, so Dr. Albrecht Eiber (Bild 3,
rechts) vom Institut für Technische und Numerische Mechanik an
der Universität Stuttgart. »Erst die moderne Mikrosystemtechnik
ermöglicht es, die Kippbewegung und ihre Auswirkungen im hochfrequenten Bereich zu messen.«
Bei der Untersuchung von Schwingungen der Gehörknöchelchen im Nanometerbereich werden häufig LaserKontakt
Doppler-Vibrometer eingesetzt. Bei diesem VerdSPACE GmbH
such erfasst der 3D-Laser
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die Geschwindigkeiten
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Fax +49 (0)5251 16198-540
des Steigbügelkopfs in
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allen
Raumrichtungen
simultan. Ein hochohmiInstitut für Technische
ger Biosignalverstärker
und Numerische Mechanik
Universität Stuttgart
verstärkt die elektrische
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Spannung der elektrophyTel. +49 (0)711 685-66393
siologischen Antwort vom
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Hörnerv des Versuchswww.itm-uni-stuttgart.de
tiers.
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Unter Aufrechterhaltung der Innenohrfunktion
wird der Steigbügel des Versuchstiers chirurgisch freigelegt. Somit haben Aktor und Laserstrahlen direkten Zugang zum Steigbügelkopf. Die Kopplung des piezoelektrischen Aktors an den Steigbügelkopf erfolgt mit einer speziell gefertigten Nadel
und feinstem Augenoperationsfaden. Den
chirurgischen Eingriff und die Überwachung
des Versuchstiers in der Narkose hat PD Dr.
med. Alexander Huber vom Universitätsspital
Zürich übernommen.
Im Unterschied zur akustischen Erregung über
einen Lautsprecher lässt sich durch die mechanische Anregung des isolierten Steigbügels am
Steigbügelkopf die Bewegung der Steigbügelfußplatte vorgeben. Der Aktor mit drei unabhängigen
Piezoaktoren kann jede beliebige räumlich komplexe
Bewegung ausführen (Bild 4), also auch rein kolbenförmige Bewegungen des Steigbügels oder reine Kippbewegungen. Demgegenüber steht bei der akustischen Anregung
das Verhältnis von Kipp- und Kolbenbewegung des Steigbügels
in einem festen frequenzabhängigen Verhältnis, das durch die Dynamik der Kette bestimmt wird. Es kann am Steigbügelkopf auch
eine Bewegung aufgeprägt werden, die der akustischen Anregung
entspricht. Damit lassen sich die gemessenen Nervenpotenziale
mit den Ergebnissen anderer Forschungsgruppen vergleichen.
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Der zeitliche Verlauf der Steigbügelbewegung bestimmt den
Frequenzinhalt des Signals und somit die Erregung der inneren
und äußeren Haarzellen am frequenzspezifischen Ort der Basilarmembran. Der üblicherweise in der Elektrocochleografie verwendete akustische Klickreiz besitzt ein breites Frequenzspektrum.
Durch die Dynamik des schwingungsfähigen Systems bei akustischer Anregung, besteElektrophysiologische hend aus Lautsprecher,
Antwort auch Übertragungsschlauch,
auf Kippbewegung Ohrkanal und Mittelohr,
tritt der zeitliche Verlauf
der Anregung am Innenohr deutlich tiefpassgefiltert auf. Dabei
wird ein kurzer hochfrequenter Klick am Schallwandler in der
Bandbreite eingeschränkt und erfährt eine Verzögerung durch die
Signallaufzeit. Dies ermöglich es, einen akustischen Klick durch
die direkte Anregung am Steigbügelkopf mit einem trägeren mechanischen Antriebssystem nachzustellen.
»Im Experiment wird der Aktor vom DS1005 PPC Board von
dSPACE gesteuert«, erklärt Dipl.-Ing. Michael Lauxmann (Bild 3,
links), vom Institut für Technische und Numerische Mechanik der
Universität Stuttgart. »Wir rechnen unter Berücksichtigung der Dynamik der Gehörknöchelchenkette und des Aktors im Vorfeld aus,
wie wir den Aktor betreiben müssen, damit wir die gewollte Anregung am Steigbügelkopf erhalten. Zur Identifikation der Systemdynamik nutzen wir ein Multisinussignal.«
Ein Verstärker mit hochohmigem Eingang und großem Verstärkungsfaktor misst die Signale der Reizantwort. Diese enthält je-
doch einen hohen Störanteil resultierend aus Versuchsumgebung
und Grundaktivität der Nerven. Daher werden viele Reizantworten aufgezeichnet und durch Mittelung die unkorrelierten Störanteile verringert. Klicks werden hierzu in Abständen von beispielsweise 50 ms ausgegeben. Um konsistente Messdaten zu erhalten, müssen sowohl der physische Zustand des Versuchstiers
als auch die Position der Elektroden wie bei einer realen Operation überwacht werden und sollten möglichst konstant bleiben.
Durch das Einprägen von elementaren kolbenförmigen Bewegungen und elementaren Kippbewegungen ließen sich die aus der
Elektrocochleografie bekannten Nervenpotenziale nachweisen.
Die Versuche zeigten, dass auch die Kippbewegungen einen Ner-
„Bei einem Implantat
muss man die optimale
Befestigung finden.”
venreiz auslösen. Antworten der Sinneszellen auf Kippbewegungen stimmen in Form und Latenzzeitverschiebung abhängig von
der Intensität des Stimulus mit der Antwort der Nerven überein,
wie sie bisher nur bei kolbenförmigen Bewegungen beobachtet
wurden.
Die AutoBox betreibt den Versuchsstand und
wertet die Daten aus. Auf dem DS1005 PPC
Board läuft das Messprogramm in Echtzeit. Die
analogen Werte des Messprogramms gibt
Kabine
das High Resolution D/A-Board DS2102 aus,
Versuchsstand
und das DS2003
3D-Laser
Das DS1005 Board
Multi-Channel
A/D Board übermisst in Echtzeit
Mikromanipulator
nimmt das EinVorverstärker
lesen analoger Signale. Aufgrund des moduAktor
Versuchstier
laren Aufbaus lässt sich das System flexibel und
schnell an biomechanische Anwendungen anpassen. Das Messprogramm auf dem EchtzeitLinearverschiebe rechner wird über die Experimentiersoftware
tische
ControlDesk bedient.
Automatisieren und beschleunigen lässt sich
die Versuchsdurchführung mit MATLAB 2008a.
Die Bibliothek MLib stellt Funktionen für den DaBiosignal
Verstärker
verstärker
tentransfer zwischen dem Messrechnerspeicher
und dem Arbeitsspeicher von MATLAB bereit.
AutoBox
Computer
Nach der Versuchsdurchführung werden die
Daten nach MATLAB übertragen, was die Zeit
DS1005
zwischen zwei Messzyklen minimiert, weil sich
DS2102
DS2003
die Anzahl der manuellen Schritte reduziert
und die Dokumentation von Parametern der
Versuchseinstellung entfällt. Der automatisierte Messablauf verläuft in folgenden Schrit2 Komponenten im Versuchsaufbau und Signalfluss
ten: Anregung in ControlDesk eingeben, Messprozedur aus der Kommandozeile in
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Prothetik Kurzinterview
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Dr.-Ing. Albrecht Eiber (rechts) und
Dipl.-Ing. Michael Lauxmann (links)
vom Institut für Technische und
Numerische Mechanik haben herausgefunden, dass die Kippbewegung
des Steigbügels wie die
Kolbenbewegung eine elektrophysiologische Antwort hervorruft
Mikromechanische Aktoren bieten Potenzial
MED: Herr Dr. Eiber, was moti-
EIBER: Wenn man eine Hörprothese verbessern will, muss man
viert einen Maschinenbauer
dazu an Mittelohrprothesen
zu forschen?
nicht nur den Hörvorgang verstehen, sondern auch herausfinden,
wo sich der optimale Befestigungspunkt für ein Implantat befindet. Das Implantat muss mechanisch halten. Schließlich werden
Kräfte und Bewegungen beispielsweise auf den Steigbügel übertragen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Anregungsrichtung
der Ohrknöchelchen. Wählt man eine ungünstige Richtung, verschlechtert sich die Schallübertragung. Kurz gesagt, es handelt
sich um Mechanik, Aktorik und Schwingungstechnik, was typische
Maschinenbauthemen sind.
MED: Sie haben mit Ihrem Team
EIBER: Das bedeutet, dass sich das Hörvermögen nicht nur über
die künstlich erzeugte Kolbenbewegung des Steigbügels, sondern
auch über Kippbewegungen verbessern lässt.
nachweisen können, dass das
Hörvermögen auch durch die
Kippbewegung des Steigbügels
beeinflusst wird. Welche Konsequenz hat das für eine
Hörprothese?
MED: Lässt sich das so
einfach steuern?
EIBER: Nein, es handelt sich hier um einen komplexen dynamischen Prozess. Wir können jedoch sehr viele Möglichkeiten über
die Schwingungssimulation testen. Natürlich hat auch die Anatomie einen entscheidenden Einfluss. Man muss wissen, wie man
das Implantat chirurgisch ankoppelt. Daher lässt sich eine Lösung
nur in Zusammenarbeit mit den Chirurgen finden.
MED: Wie versorgen Sie die
EIBER: Bei passiven Prothesen, also dem Ersatz der Knöchelchen,
Prothese mit Strom?
ist keine Versorgung erforderlich. Bei den aktiven Prothesen unterscheidet man zwischen teilweise und vollständig implantierten Typen. Die Stromversorgung und das Mikro lassen sich bei Ersteren
hinter dem Ohr anbringen. Vollständig implantierte Prothesen haben absolut versiegelte Komponenten. Die Batterie wird beispielsweise nachts über eine induktive Spule durch die Haut aufgeladen.
MED: Wie sehen Ihre nächsten
EIBER: In Kooperation mit Ärzten und Prothesenherstellern
Schritte aus?
haben wir bereits Grundsatzversuche im Labor und Versuche an
Meerschweinchen gemacht. Der nächste Schritt wird der Test unserer Entwicklung an menschlichen Felsenbeinpräparaten sein.
Da man heutzutage in der Lage ist, mikromechanische Aktoren
zu fertigen, sehe ich noch ein großes Verbesserungspotenzial bei
Hörprothesen in der Zukunft.
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Nervenpotential CAP [µV] Verschiebung [nm]
150
100
50
0
-50
x
x
x
y
z
y
z
y
z
20
0
-20
-40
-60
0
2
Zeit [ms]
4 0
2
Zeit [ms]
4 0
2
Zeit [ms]
4
Quellenangabe: Dissertation Christian Breuninger, Institut für Technische und Numerische Mechanik, Universität Stuttgart
4 Compound Action Potential (CAP) für kolbenförmige und kippende Bewegungen
der Steigbügelfußplatte. Die durchgängige Linie stellt eine starke
Anregung dar, die gestrichelte Linie eine weniger starke Anregung [1]
Aktivierung des Innenohrs und somit zu
einem Hörereignis führt – und zwar sowohl die kolbenförmigen als auch die kippenden Bewegungen der Steigbügelfußplatte. Zur statistischen Auswertung der
Versuche müssen weitere Versuchstiere
untersucht werden. Sollten weitere Untersuchungen beweisen, dass auch Kippbewegungen des Steigbügels einen Hörreiz auslösen, ließe sich die Bewertung
eines Implantats nicht mehr ausschließlich anhand der mit dem Implantat erzeugten kolbenförmigen Steigbügelbewegung festmachen, sondern die
komplexe räumliche Steigbügelbewegung würde der neue Maßstab für die Bewertung der Leistungsfähigkeit eines Implantats werden.
Literatur
MATLAB starten und anschließend die Messdaten und Kontrolle der Messung in MATLAB speichern.
Die gesammelten Daten stellen die These infrage, dass lediglich
kolbenförmige Bewegungen des Steigbügels, nicht aber die kippenden das Hören beeinflussen. Die Ergebnisse zeigen, dass eine
komplexe Bewegungsstruktur der Steigbügelfußplatte zu einer
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Kippbewegung um die kurze Achse [x] Kolbenförmige Bewegung [y] Kippbewegung um die lange Achse [z]
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[1] Huber A., Sequeira D., Breuninger C., Eiber A.: The effects of complex stapes
motion on the response of the cochlea; Otol Neurotol, 2008 Dec., 29 (8),1187-92.
Albrecht eiber
ist am Institut für Technische und Numerische
Mechanik an der Universität Stuttgart tätig.
[email protected]
MD110011
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