Meningokokken-Erkrankungen bei MSM

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HIVreport.de
03
2013
Meningokokken-Erkrankungen
bei MSM
4
Übertragungswege
5
Erkrankung und Therapie
6
Prävention/Impfung
8
Maßnahmen bei Erkrankungshäufungen
aidshilfe.de
2
MeningokokkenErkrankungen bei MSM
Liebe Leserin, lieber Leser,
Meningokokken? Was ist denn das? Kinderärzte kennen das Thema. Seit 2006 sollten Kinder
ab Vollendung des ersten Lebensjahres geimpft werden. Erwachsene haben bisher meist
keine Begegnung mit der MeningokokkenImpfung.
Nun gibt es in den USA und Europa einige Fälle
von Meningokokken-Erkrankungen bei schwulen Männern. In New York wird seit Dezember
2012 geimpft, neuerdings auch in Paris und
demnächst voraussichtlich auch in Berlin.
Eine neue „Schwulen-Seuche“? Nein! Denn die
Infektion tritt schon seit der Antike immer
wieder auch in anderen Bevölkerungsgruppen
auf. Und man kann regionale Häufungen von
Erkrankungen in kurzer Zeit beenden, denn es
gibt eine Impfung.
Inhaltsverzeichnis
Epidemiologie .................................................. 3
Übertragungswege........................................... 4
Erkrankung und Therapie ................................. 5
Impfung ............................................................ 6
Unerwünschte Wirkungen ........................... 7
Empfehlung der STIKO ................................. 8
Maßnahmen bei Erkrankungshäufungen ........ 8
Frühere Ausbrüche und Impfkampagnen .... 8
Fälle in Europa 2013..................................... 9
Empfehlungen der ECDC ............................ 10
Wie kann man sich schützen? .................... 10
Quellen ........................................................... 11
Impressum ..................................................... 11
Bei der Impfstrategie geht es nicht nur darum,
dass die Geimpften selbst geschützt sind. Es
geht auch darum, in kurzer Zeit viele gefährdete Personen zu impfen, um Infektionsketten zu
unterbrechen. Die ganze Community sollte
danach besser geschützt sein, auch diejenigen,
die nicht geimpft sind. Impfempfehlungen gelten daher meist nur für wenige Wochen oder
Monate. Man muss in kurzer Zeit entschlossen
handeln!
Ist der Aufwand gerechtfertigt bei den wenigen Fällen? Die Erkrankungen verlaufen rasant
und enden oft tödlich. Das gilt es zu verhindern, auch wenn es nur wenige betrifft.
Mit freundlichen Grüßen
Armin Schafberger
Steffen Taubert
Meningokokken-Erkrankungen bei MSM (HIVreport 2013/3)
3
Epidemiologie
Was sind Meningokokken?
Es handelt sich um Bakterien der Gattung
Neisserien. Damit sind sie mit Neisseria gonorrhoeae, den Erregern des Trippers verwandt.
Die Erkrankung verläuft allerdings völlig anders.
Der erste Teil des Namens weist auf die Erkrankung hin: Sie können eine Hirnhautentzündung (Meningitis) und/oder eine Blutvergiftung (Sepsis) verursachen. Der zweite Teil
des Namens weist auf die Form hin: Kokken
sind kugelförmige Bakterien.
Insgesamt gibt es zwölf verschiedene Arten
(Serogruppen) von Neisseria meningitidis
(Meningokokken). Die wichtigsten sind die
Serogruppen A, B, C, Y und W-135. In unseren
Breiten kommen am häufigsten Meningokokken der Serogruppen B und C vor. Zwei Drittel
der Fälle in Deutschland geht auf Serogruppe B
zurück, ein Viertel auf Serogruppe C und der
Rest auf Y mit 5% und W135 mit 2% (RKI
2012a).
Sero-
Charakteristika
grup-
INFO MSM: Die Infektionen der schwulen
Männer in New York, Paris, Belgien und Berlin
der Jahre 2010-2013 gingen alle von der Serogruppe C aus.
Das Reservoir
Meningokokken kommen nur beim Menschen
vor, die Übertragung durch Tiere ist somit
nicht möglich. Neisseria meningitidis besiedelt
bei ca. zehn Prozent aller Menschen die
Schleimhäute im Nasen-Rachen-Raum, bei
Jugendlichen zu ca. 20% (RKI 2012d).
Es sind also viele Menschen mit Neisseria meningitidis besiedelt, aber nur wenige erkranken: dann durchbrechen die Bakterien die
Schleimhautbarriere und gelangen ins Blut
bzw. die Hirnhäute. Man spricht dann von einer „invasiven“ Meningokokken-Erkrankung.
Schwule Männer und Meningokokken
Schwule Männer scheinen häufiger mit Neisseria meningitidis besiedelt zu sein. In einer Untersuchung in Chicago, die in den Jahren 19781979 an 815 homosexuellen Männern durchgeführt wurde, fanden sich hohe Prävalenzen
von Meningokokken (Neisseria meningitidis)
und Gonokokken (Neisseria gonorrhoeae).
pe
A
Häufigster Grund für epidemische Meningitis
Prävalenz
Meningokokken
Gonokokken
Europa und Amerika
Rachen
42,5 %
5,6 %
Häufigste Serogruppe in Deutschland/Europa
Harnröhre
0,7 %
18,5 %
Häufigste Serogruppe in Afrika und Asien, selten in
B
Impfung in Deutschland erst seit 2013 entwickelt und
zugelassen
C
Häufig in Europa und Amerika
Alle Ausbrüche bei MSM gehen auf Serogruppe C zurück
Weiterhin auch Ausbrüche z.B. in Schulen, bei Jugendlichen, auf Kreuzfahrtschiffen und in Gruppen von Drogengebrauchern
Y
Verursacht auch Lungenentzündung (v.a. bei Älteren)
Nimmt bei Kindern und Jugendlichen in den letzten
Jahren zu
W135
Weltweit geringe Prävalenz
Ausbrüche bei Hajj-Pilgern ab dem Jahr 2000
Tab 1: Serogruppen von Neisseria meningitidis
Rektum
2,0 %
16,3 %
Tab 2: Prävalenz von Neisserien bei MSM in Chicago,
1978-1979 (Janda et al 1980).
Die Untersuchung aus Chicago stammt aus den
späten 70er Jahren. HIV war damals noch nicht
bekannt, eine Meningokokken-Impfung existierte noch nicht. Die Zahlen sind somit nicht
direkt auf das heutige Europa übertragbar. Wir
wissen allerdings aus einer aktuellen Studie
aus Slowenien, dass die Prävalenz von Meningokokken im Rachen bei schwulen Männern
auch dort fast 50% erreicht (Marcus 2013,
pers. Mitteilung).
Meningokokken-Erkrankungen bei MSM (HIVreport 2013/3)
4
Die Chicago-Untersuchung zeigt jedoch, dass
Meningokokken nicht nur im Rachen zu finden
sind. In der Harnröhre führten sie in fünf von
sechs Fällen zu einer eitrigen Harnröhrenentzündung, im Rachen und Rektum verlief die
Besiedlung in der Regel symptomlos (Janda
1980).
Wer ist gefährdet?
In Deutschland erkranken nur sehr wenige
Menschen, pro Jahr etwa eine von 200.000
Personen (RKI 2012a). In Industrieländern
kommt die Infektion als Einzelerkrankung oder
im Rahmen von kleineren Ausbrüchen vor.
Betroffen sind vor allem Säuglinge und Jugendliche.
In anderen Ländern kommt die Erkrankung
häufiger und auch als Epidemie vor; die Länder
der Subsahara-Zone etwa gelten als „Meningitis-Gürtel1“.
Auch in Asien ist die Erkrankung verbreiteter.
Große Menschenansammlungen in diesen
Ländern bergen die Gefahr von Infektionen.
Für Pilger nach Saudi-Arabien gilt aufgrund des
erhöhten Meningitis-Risikos eine Impfpflicht
(Ministry of Hajj, 2013).
INFO MSM: Dass auch schwule Männer ein
höheres Risiko für eine MeningokokkenErkrankung haben, ist eine relativ neue Erkenntnis. Derzeit gibt es Impfempfehlungen für
MSM in New York, Paris bzw. Frankreich und
voraussichtlich auch bald in Berlin (s. u.).
Übertragungswege
In der Regel werden die Bakterien über
Schleimhautkontakte (z. B. Zungenküsse) und
über Tröpfcheninfektion aus unmittelbarer
Nähe (weniger als ein Meter) übertragen, z. B.
durch Anhusten.
Außerhalb des menschlichen Körpers sind die
Bakterien nicht lange lebensfähig.
Vermutlich können auch durch die gemeinsame Verwendung von Röhrchen zum Drogensniefen Bakterien von Schleimhaut zu Schleimhaut übertragen werden.
Da „invasive Meningokokken-Erkrankungen“
selten sind und die Besiedlung von Schleimhäuten häufig, gibt es zu den möglichen Übertragungswegen wissenschaftlich eher Einschätzungen als klare Nachweise.
Stopp für die Meningitis. In Saudi-Arabien benötigen
alle Pilger (Umrah, Hajj) bei der Einreise den Nachweis
einer Meningitis-Impfung. Bei Pilgern aus Staaten des
afrikanischen Meningitis-Gürtels muss die Impfung
mindestens zehn Tage und max. drei 3 Jahre vor Einreise erfolgt sein. Foto: R_K_by_tokamuwi_pixelio.de
1
Gambia, Senegal, Guinea-Bissau, Guinea, Mali,
Burkina Faso, Ghana, Niger, Nigeria, Cameroon, Chad,
Central African Republic, Sudan, South Sudan, Uganda,
Kenya, Ethiopia, Eritrea.
Meningokokken-Erkrankungen bei MSM (HIVreport 2013/3)
5
INFO MSM: Meningokokken können darüber
hinaus auch sexuell übertragen werden (Janda
1980), z. B. beim Oralverkehr von der Mundschleimhaut auf die Harnröhre, beim Analverkehr ohne Kondom von der Harnröhre auf die
Schleimhaut des Enddarms und vermutlich
auch durch Verwendung von Spucke als Gleitmittel beim Analverkehr.
Als Ursache für die höhere Prävalenz von Meningokokken bei MSM hier spielen möglicherweise Faktoren wie die Zahl der Sexualpartner
und die Sexualpraktiken oder Zungenküsse
bzw. intensive Küsse als Begrüßungsritual eine
Rolle.
Erkrankung und Therapie
Inkubationszeit
Die Dauer zwischen Infektion und Erkrankung
beträgt zwei bis zehn, meistens drei bis vier
Tage.
Verlauf
Kaum eine andere Infektionskrankheit verläuft
so rasant und schwer wie eine invasive Meningokokken-Erkrankung.
Charakteristisch sind:
 ein schweres Krankheitsgefühl
 Fieber
 Übelkeit, Erbrechen
 Schüttelfrost
In zwei Dritteln der Fälle dominiert das Krankheitsbild einer Hirnhautentzündung, in einem
Drittel der Fälle dominiert die Sepsis (Blutvergiftung bzw. Ausstreuung der Bakterien in die
Blutbahn).
Die Hirnhautentzündung verursacht
 Kopfschmerzen
 Nackensteifigkeit
 Reizbarkeit
 Krampfanfälle
 Überempfindlichkeit der Augen gegenüber Licht (Photophobie)
 Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen und
 Schläfrigkeit, schwere Erweckbarkeit
der Patienten
Kopfschmerz,
Fieber,
Übelkeit
und
Nackensteifigkeit sind Kernsymptome einer
Meningitis. Foto: Uta Herbert / pixelio.de
Bei einer Sepsis erfolgt die Streuung der Bakterien ausgehend von einem „Herd“ über die
Blutbahn in den ganzen Körper.


wichtige Organfunktionen brechen zusammen, es kommt z.B. zu Nieren-,
Kreislauf- und Lungenversagen
Eine Komplikation der MeningokokkenSepsis ist der Zusammenbruch des
Blutgerinnungssystems (WaterhouseFriderichsen-Syndrom) mit Einblutungen in die Haut und Organe. Die bläulich-roten Flecken in der Haut sind
dann – im Gegensatz zu anderen Hautausschlägen- nicht wegdrückbar.
Schnell Handeln!
Wer solche Symptome an sich oder seinem
Partner feststellt, sollte sich unverzüglich
in ärztliche Behandlung begeben.
Der Verdacht auf eine MeningokokkenErkrankung sollte (z. B. in der Rettungsstelle des Krankenhauses) gleich an der Anmeldung mitgeteilt werden, damit man
nicht Stunden warten muss und die Diagnose verzögert wird.
Meningokokken-Erkrankungen bei MSM (HIVreport 2013/3)
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Krankheitsfolgen und Tod
Die Erkrankung führt in 10 bis 30 Prozent der
Fälle zum Tod – oft schon in den ersten 24
Stunden oder 48 Stunden.
10 bis 20 Prozent der Überlebenden leiden
zeitlebens unter Spätfolgen: Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, verminderte Intelligenz oder verminderter Leistungsfähigkeit.
INFO MSM Erkrankungen mit Meningokokken
der Serogruppe C führen anscheinend häufiger
zum Tod als z.B. mit der Serogruppe B (RKI
2012a). In New York verstarben sieben der 22
erkrankten schwulen Männer (Simon 2013), in
Berlin drei von fünf.
Therapie
Die Therapie erfolgt stationär, in der Regel auf
einer Intensivstation. Wichtig ist der unverzügliche Beginn einer Antibiotikabehandlung. In
der Regel wird Penicillin oder ein Cephalosporin eingesetzt. Penicilline beenden allerdings
nicht die Meningokokken-Besiedlung des Rachenraumes. Daher wird im Anschluss an eine
Penicillintherapie noch eine weitere antibiotische Behandlung mit Rifampicin, Ciprofloxacin
oder Ceftriaxon durchgeführt.
Impfung
Gegen fünf der 12 MeningokokkenSerogruppen gibt es Impfstoffe. Auch gegen
die unter schwulen Männern gehäuft aufgetretene Infektion mit der Serogruppe C gibt es
zwei Impfstoffe, die als Kombinationsimpfstoff
zudem noch weitere Serogruppen „abdecken“.
Zehn Tage nach der Impfung besteht in der
Regel der volle Impfschutz.
INFO HIV+ Der Impfstoff enthält inaktive Bakterienbestandteile. Anders als eine Impfung
mit Lebendimpfstoff (z.B. Gelbfieber) kann keine Erkrankung ausgelöst werden. Die Anwendung ist daher auch bei HIV-Positiven bzw.
Immungeschwächten problemlos möglich. Wie
bei anderen Impfungen kann bei schlechtem
Immunstatus (<200 Helferzellen/µl) die Immunantwort schwächer ausfallen .
Man unterscheidet zwischen konjugierten und
nicht-konjugierten Impfstoffen. „Konjugiert“
bedeutet, dass die Bakterienbestandteile (Polysacharide) noch an ein Protein gebunden
werden. Als Konjugat wird ein Protein des Tetanus- oder Diphteriebakteriums (Diphterinoder Tetanustoxoid) eingesetzt.
Vorteile von Konjugatimpfstoffen
Konjugatimpfstoffe haben gegenüber nicht
konjugierten folgende Vorteile:

Eine Impfdosis in den Oberarm reicht aus. Foto: Martin
Büdenbender / pixelio.de
Bessere und andauernde Immunantwort. Es kommt zu einer Ausbildung
eines immunologischen Gedächtnisses.
Die Dauer der Schutzwirkung ist länger,
es kommt zu einer stärkeren Immunantwort nach Auffrischimpfungen; demgegenüber schwächt sich die Impfantwort bei nicht-konjugierten Impfstoffen
nach Auffrischimpfungen ab (RKI
2012c, Poland 2010). Wann eine Auffrischimpfung erfolgen sollte, ist wissenschaftlich leider noch nicht geklärt
(Fachinformation Menveo).
Meningokokken-Erkrankungen bei MSM (HIVreport 2013/3)
7

Reduktion des Trägertums: Der Einsatz
von Konjugatimpfstoffen bewirkt nicht
nur die Reduktion von Erkrankungsfällen, sondern auch eine Reduktion der
symptomlosen Träger von Meningokokken (Besiedlung des Rachens). Damit werden auch Nicht-Geimpfte in der
Community besser vor Meningokokken
geschützt.
Unerwünschte Wirkungen
Die Impfung wird im Allgemeinen gut vertragen, unerwünschte Wirkungen (Nebenwirkungen) sind in der Regel milde. Laut Fachinformation (Menveo®, Nimenrix®) können folgende
unerwünschte Wirkungen auftreten:

Keiner der beiden Konjugatimpfstoffe enthält
ein Adjuvans (einen Impfverstärker).
Beide werden intramuskulär verabreicht, eine
Einzelimpfung reicht für die Immunisierung
aus, zur Notwendigkeit von Auffrischimpfungen gibt es derzeit noch zu wenig wissenschaftliche
Daten
–
die
VierfachKonjugatimpfstoffe sind erst seit 2010 bzw.
2012 auf dem europäischen Markt.
Konjugatimpfstoffe
Menveo®
Nimenrix®
Serogruppen
Konjugat
A, C, W135, Y
DiphterieToxoid
11 Jahre
Novartis
ja
A, C, W135, Y
TetanusToxoid
12 Monate
GSK
ja
Zulassung ab
Firma
Vom RKI empfohlen
(RKI 2012c)
Anwendung
Apothekenabgabepreis
Einzelimpfung
intramuskulär, in den Oberarm
46,83€
46,92 €
Tab 3: Nimenrix®, Menveo® und Menjugate® in der
Übersicht, Angaben laut Fachinformation, Preisabfrage
bei „www.rote-liste.de“ am 8.7.2013. Menveo® und
Nimenrix® sind als Vierfach-Konjugatimpfstoffe
gleichwertig. Beide werden vom RKI/von der STIKO
empfohlen (RKI 2012c).
Sehr häufig (bei über 10% der Impflinge
auftretend)
Menveo ®: Kopfschmerzen, Reizbarkeit,
Übelkeit und Schwellung, Schmerzen
bzw. Rötung an der Einstichstelle
Nimenrix ®: Reaktionen an der Einstichstelle , Reizbarkeit, Kopfschmerzen,
Fieber, Schläfrigkeit, Appetitlosigkeit

Häufig (bei 1-10%)
Menveo ®: Temperaturerhöhung
(>38° C), Schüttelfrost, Hautausschlag
Verhärtungen an der Injektionsstelle
Nimenrix ®: Magen-Darmbeschwerden

Gelegentlich (bei 0,1-1%)
Menveo ®: Schwindel, Muskelschmerzen
Nimenrix ®: Hautreaktionen, Unwohlsein, Muskelschmerzen
Empfohlene Impfstoffe
Menveo® und Nimenrix® werden von der
STIKO als Meningokokken-Impfstoff empfohlen und schützen auch vor Infektionen
der Serogruppe C
Weitere konjugierte Impfstoffe gegen die Serogruppe C sind:
 Menjugate®, Novartis, 47,72 €
 Meningitec®, Pfizer, 44,29 €
 NeisVac-C™, Baxter Healthcare, 46,06€
Diese Impfstoffe schützen jedoch nur gegen
Serogruppe C, nicht gegen A, W135 und Y und
spielen daher in der Impfpraxis eine eher untergeordneter Rolle. Für MSM könnten sie
eine Alternative darstellen, wenn Menveo®
oder Nimenrix® nicht zur Verfügung stehen.
Meningokokken-Erkrankungen bei MSM (HIVreport 2013/3)
8
Empfehlung der STIKO
Die Impfung wird von der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Instituts
u. a. für folgende Gruppen empfohlen (RKI
2012 b, c):
 Alle Kinder ab Beginn des zweiten Lebensjahres2.
 INFO HIV+ Personen mit angeborenen
oder erworbenen Immundefekten (HIV
wird nicht ausdrücklich genannt, sollte
aber in der Empfehlung eingeschlossen
sein)
 Personen im Umfeld von (regionalen)
Ausbrüchen auf Empfehlung der Gesundheitsbehörden3
 Reisende in Länder mit vielen Meningitisfällen (Afrika, Asien), Schüler vor
Auslandsaufenthalt in Ländern mit Meningitis-Impfempfehlung
 Kontaktpersonen von Erkrankten. Darunter fasst man Sexualpartner, Haushaltsangehörige und alle, die in den
Tagen vor der Infektion engen Kontakt
mit dem Erkrankten hatten. Zusätzlich
erhalten die Kontaktpersonen eine vorsorgliche (prophylaktische) Antibiotikatherapie.
Kostenübernahme durch Krankenkassen
Für die von der STIKO empfohlenen Indikationen übernehmen die Krankenkassen die Impfkosten. Eine Ausnahme ist die Impfung vor
einer Reise, wie zum Beispiel in afrikanische
Länder südlich der Sahara. Hier sind die Kassen
nicht zur Kostenübernahme verpflichtet, einige Krankenkassen tun dies aber freiwillig.
Ansonsten werden die Kosten noch übernommen:

INFO HIV+ Deutschlandweit für alle
Menschen mit HIV. Grundlage ist die
Impfempfehlung der STIKO, sie wird
jährlich (meist im Juli) aktualisiert. Es
ist davon auszugehen, dass diese Empfehlung dauerhaft bestehen bleibt.

INFO MSM Regional oder überregional,
nur wenn Gesundheitsbehörden Impfempfehlungen für bestimmte gefährdete Gruppen (z.B. MSM in Berlin)
aussprechen. In der Regel sind diese
Empfehlungen zeitlich auf wenige Monate befristet.
sch/tau
Maßnahmen bei Erkrankungshäufungen
Meningokokken-Erkrankungen sind selten,
aber sie verlaufen schwer: die Sterblichkeit ist
hoch, und die Überlebenden müssen nicht
selten mit Spätfolgen leben. Daher reagieren
Gesundheitsbehörden (und betroffene Communities) in der Regel mit entschiedenen
Maßnahmen.
Wenn es gelingt, viele Personen der betroffenen Community in kurzer Zeit zu impfen, können Infektionsketten unterbrochen werden.
Zudem führt die Impfung zu einer Reduktion
der Besiedlung der Schleimhäute mit Neisseria
meningitidis: somit sind auch Nicht-Geimpfte
besser geschützt.
Frühere Ausbrüche und
Impfkampagnen
2
Die Empfehlung existiert seit 2006. Wer heute erwachsen ist,
wurde in der Kindheit nicht geimpft
3
Auf dieser Basis können städtische bzw. kommunale Gesundheitsbehörden Impfempfehlungen für MSM oder andere
Gruppen aussprechen, wenn es in der Region einen Ausbruch
bzw. eine Häufung von Meningitisfällen gibt.
Es gab und gibt schon immer regionale Ausbrüche von Meningokokken-Erkrankungen,
nicht nur bei MSM. Wir dokumentieren hier
einige Ausbrüche und die Maßnahmen der
Gesundheitsbehörden.
Meningokokken-Erkrankungen bei MSM (HIVreport 2013/3)
9
Ausbrüche/ Häufungen von MeningokokkenErkrankungen der Serogruppe C
Fälle in Europa 2013
Aktuelle Fälle bei MSM in Europa
Erkrankungen der Serogruppe C
Toronto
2001
Chicago
2003
Brooklyn
20052006
Toskana
2012
New
York
20102013
Los Ang.
2013
Sechs Fälle bei MSM,
Maßnahmen: Impfkampagne: An 50
Kliniken, in Saunen und an Orten der Community werden in einem Monat
3850 Männer geimpft
Sechs Fälle bei MSM, drei verstorben
Maßnahmen: Impfkampagne: Innerhalb
einer Woche werden an 6 szenenahen
Impfstellen über 14.000 MSM geimpft
Paris
2013
Drei Fälle bei MSM im Juni. Alle HIV-negativ.
Maßnahmen: Seit 1. Juli gilt eine Impfempfehlung von der französischen Gesundheits6
behörde für MSM (< 25 Jahre ) im Raum
Paris, die in den nächsten drei Monaten
Bars oder andere Szeneorte in Paris aufsuchen sowie für MSM in Frankreich, die in
den nächsten drei Monaten an Großveran-
4
23 Fälle bei Drogengebrauchenden ,
sieben verstorben
Maßnahmen: In 29 szenenahen Einrichtungen (u.a. Methadon-Behandlung, Spritzentausch, Suppenküchen) werden von Juli bis
September 2006 knapp 2800 Personen
geimpft. Mit der Impfkampagne endet auch
die Häufung der Fälle (Weiss 2009).
staltungen (CSD…) in Frankreich oder Europa teilnehmen. Die Empfehlung gilt zunächst für drei Monate.
7
Belgien
Ein Fall, MSM, im März 2013 diagnostiziert .
2013
Der Mann war von einem dreiwöchigen
Aufenthalt aus London zurückgekehrt.
Vier Fälle bei Küchenpersonal eines Kreuzfahrschiffes im Hafen von Livorno.
Maßnahmen: Als Prophylaxe erhalten alle
2000 Passagiere und Crewmitglieder eine
Antibiotikaprophylaxe mit Ciprofloxacin
(Stefanelli 2012).
Berlin
Fünf Fälle bei MSM, davon drei verstorben.
2013
Alle waren jung (22-28 Jahre alt) und HIVnegativ.
Fall 1 besuchte vor Erkrankung im Februar
2013 einige Gay-Venues in Berlin.
Fälle 2 und 3 besuchten im Mai 2013 einen
Nachtclub mit Freunden und verbrachten
die Nacht zusammen. Zwei Tage später
22 Fälle bei MSM, sieben verstorben
Maßnahmen: Die Impfempfehlung galt ab
Dezember 2012 zuerst für HIV-positive
MSM und wurde dann auf MSM (mit Risi5
ko ) in Brooklyn ausgeweitet (dort gab es
eine Häufung der Fälle). Information der
MSM über Massenmails, Plakate in Bars und
Clubs, Soziale Netzwerke, Handtelefone,
Community-Persönlichkeiten und Ärztegruppen. Impfungen wurden auch in Bars
angeboten.
Vier Fälle bei MSM
erkrankte der erste, kam auf die Intensivstation und überlebte mit schwerem Hirnschaden. Der Freund erkrankte einen Tag später
und verstarb am darauffolgenden Tag zuhause.
Fall 4 verstorben, vom Oktober 2012 und
Fall 5 vom Februar 2013 wurden durch
Nachrecherchen im Juli bekannt
Maßnahmen: Information durch DAH
(www.aidshilfe.de) und schwule Medien.
Experten gehen davon aus, dass die Gesundheitsbehörden für MSM in Berlin eine
Impfempfehlung aussprechen werden.
4
Eine Untersuchung der individuellen Risiken ergab,
dass Kokain (auch Crack) von den konsumierten Drogen
am stärksten mit Meningitis-Fällen assoziiert war. Wird
über das Teilen des Röhrchens Meningokokken-haltiges
Sekret ausgetauscht? Oder führt die Schädigung der
Schleimhaut zu einer erleichterten Passage der Meningokokken durch die Schleimhaut?
5
Als Risiko gilt in New York das Aufsuchen von Sexualpartnern per Internet, Smartphone-App oder in einer Bar.
6
In Frankreich gilt sowieso eine Impfempfehlung für alle
Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter
von 1-24 Jahren. Eine Ausweitung der Empfehlung ist
somit nur für das Alter über 25 Jahre möglich.
7
Der Fall wurde erst nach den Meldungen aus Berlin
nachrecherchiert und entdeckt.
Meningokokken-Erkrankungen bei MSM (HIVreport 2013/3)
10
Empfehlungen der ECDC
Die Europäische Gesundheitsbehörde (European Centre for Disease Prevention and Control) hat am 3. Juli 2013 auf die Meningokokken-Erkrankungen bei MSM reagiert (ECDC
2013) und empfiehlt u.a. den Mitgliedsstaaten
der EU:
 im Sommer verstärkt nach Meningokokken-Fällen zu forschen und auch
nach Fällen in der jüngeren Vergangenheit zu fahnden (die bislang nicht
gemeldet wurden)


die Wahrnehmung der Erkrankung
durch MSM und Mitarbeiter_innen des
Gesundheitswesens durch Social Media
und Community-Netzwerke zu erhöhen
um
Meningokokken-Erkrankungen
möglichst frühzeitig zu erkennen
Impfmaßnahmen in Erwägung zu ziehen, wenn es regional Ausbrüche gibt
Wie kann man sich
schützen?
Man kann den Kontakt mit Meningokokken
kaum ganz vermeiden. Durch Impfung, die
Senkung von Übertragungsrisiken und die Prophylaxe (im Sinne einer PEP) gelingt ein guter
Präventions-Mix.
Impfung
 Der beste Schutz ist eine Impfung.

Die Impfung verhindert nicht nur die
Erkrankung, sondern auch die Besiedlung der Schleimhäute mit Meningokokken. Damit sind auch die anderen
(z.B. nicht geimpfte Freunde, Sexualpartner) besser geschützt.
Übertragungen vermeiden
Das Risiko senken kann man, wenn man z. B.

beim Drogensniefen nur das eigene
Röhrchen verwendet.

Kondome verwendet und damit das
das Risiko einer Übertragung von der
Harnröhre auf die Schleimhaut des
Enddarms verringert.
Prophylaxe
Wenn man Kontakt zu einer Person mit einer
Meningitis-Erkrankung hatte, sollte man sich in
ärztliche Behandlung begeben. Man erhält
dann – neben der Möglichkeit einer Impfung eine
vorsorgliche
Antibiotikatherapie,
wodurch eine Erkrankung sicher verhindert
werden kann.
Internetportal „Gayromeo/Planetromeo“. In New York
sch/tau
wurden schwule Kontaktportale im Internet für die
vermehrten Meningitis-Fälle verantwortlich gemacht.
Das ist natürlich Unsinn. Sie können jedoch helfen, auf
akute Gesundheitsgefahren aufmerksam zu machen.
Das Ende ist in Sicht
Ausbrüche und Häufungen von Meningokokken-Erkrankungen können durch entschlossenes Handeln (Impfungen u.a.) beendet werden. Danach kann MANN wieder
entspannter küssen und feste feiern!
Meningokokken-Erkrankungen bei MSM (HIVreport 2013/3)
11
Quellen
CDC: Prevention and Control of Meningococcal Disease.
Impressum
MMWR, March 22, 2013
ECDC: Rapid Risk Assessment. Invasive meningococcal
disease among men who have sex with men. 3. July
2013 online
Herausgeberin
Deutsche AIDS-Hilfe e.V., Wilhelmstr. 138, 10963 Berlin
Fon: (030) 69 00 87- 0 , Fax: (030) 69 00 87- 42
www.aidshilfe.de
Ministry of Hajj, Saudi Arabia: Health Requirements.
Juli 2013
Poland GA: Prevention of Meningococcal Disease: Current Use of Polysacharide and Conjugate Vaccines. CID
2010:50
RKI (a): Invasive Meningokokken-Erkrankungen, 20092011. Epidemiologisches Bulletin, 1.Oktober 2012/Nr.
V.i.S.d.P
Armin Schafberger (sch), Steffen Taubert (tau)
[email protected]
Texte
Armin Schafberger, Arzt, MPH
Steffen Taubert, Dipl.-Psychologe
39
RKI (b): Mitteilung der Ständigen Impfkommission am
RKI. Epidemiologisches Bulletin, 6. August 2012/Nr. 31
RKI (c): Änderung der Empfehlungen zur Indikationsimpfung gegen Meningokokken. Epidemiologisches Bulletin,
Bestellung
www.hivreport.de
Spendenkonto der Deutschen AIDS-Hilfe e.V.
Kto.-Nr. 220 220 220, Berliner Sparkasse
BLZ 100 500 00
13. August 2012/Nr. 32
RKI (d): Meningokokken-Erkrankungen. Ratgeber für
Ärzte. August 2012
Simon MS et al: Invasive Meningococcal Disease in
MSM. Ann Intern Med., Published online 17. June 2013
Stefanelli P et al: Cluster of invasive Neisseria meningitidis infections on a cruise ship, Italy, October 2012.
Eurosurveillance (www.eurosurveillance.org), 13. December 2012
Weiss D. et al.: Epidemiologic Investigation and Targeted Vaccination Initiative in Response to an Outbreak of
Meningococcal Disease among Illicit Drug Users in
Hinweis
Die hier genannten Verfahren, Medikamente, Inhaltsstoffe und Generika werden ohne Rücksicht auf die
bestehende Patentlage mitgeteilt. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) sind nicht immer als solche
gekennzeichnet; es darf daher nicht angenommen werden, dass es sich bei den verwendeten Bezeichnungen
um freie Warennamen handelt.
Die Deutsche AIDS-Hilfe übernimmt keine Gewähr für
die Richtigkeit der Angaben und haftet nicht für Schäden durch etwaige Irrtümer. Wir raten unseren Leserinnen und Lesern, auf die Fachinformationen und Beipackzettel der Herstellerfirmen zurückzugreifen.
Brooklyn, New York. CID, 2009:48, 1. April, 894
Weiss D et al.: Serogroup C Invasive Meningococcal
Disease Among MSM – New Yourk City, 2010-2012.
MMWR, January 4, 2013, Vol 61, Nos. 51&52
Meningokokken-Erkrankungen bei MSM (HIVreport 2013/3)
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