Schnittpunkte I - Markt und Mensch

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Schnittpunktdialog 1:
Markt und Mensch
Dr. Martin Booms
Akademie für Sozialethik und Öffentliche Kultur, Bonn
Hamburg, 05.04.2007
Schnittpunktdialog 1: Markt und Mensch
© Dr.
Martin Booms
1
Einleitung
Markt und Mensch – Einheit oder Gegensatz?
„Marktwirtschaft mit menschlichem Antlitz“ –
Was kann das heißen?
Hamburg, 05.04.2007
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Einleitung
Unterschiedlichkeit der Antwortmöglichkeiten, z.B.:
Einbettung der Moral in den Markt („Marktliberalisierung“):
„Die moralische Vorzugswürdigkeit der Marktwirtschaft liegt darin, daß sie das
beste bisher bekannte Mittel zur Verwirklichung der Solidarität aller Menschen
darstellt. [...] Wettbewerb ist solidarischer als Teilen.“
(Karl Homann)
Einbettung des Marktes in die Moral („Marktregulierung“):
„Der Markt ist gleichsam ethisch blind – er kann das von sich aus nicht ‚wissen’,
wir müssen es ihm schon ‚sagen’. In einem unverkürzten Verständnis
vernünftigen Wirtschaftens ist daher die Effizienz ein systematisch nachrangiges
Kriterium, das erst im Hinblick auf die vorzugebenden Sinnorientierungen und
Legitimitätsbedingungen als lebensdienlich begründet werden kann.“
(Peter Ulrich)
Hamburg, 05.04.2007
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Vorgehensweise zur Beantwortung:
Vorüberlegung 1:
Vorüberlegung 2:
Umsetzung 1:
Umsetzung 2:
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Zur Disziplin der Debatte
Zum Status ökonomischer Realität
Zum Verhältnis von Wirtschaft und Mensch
Zum Verhältnis von Markt und Mensch
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Vorüberlegung I: Disziplin der Debatte
Phänomen 1: Babylon-Syndrom – Verwirrung der Debatte
Schlagworte:
§
„Ökonomische Kolonialisierung der Lebenswelt“(1)
§
„Kapitalismuskritik“ (2)
§
„Heuschrecken-Debatte“ (3)
§
„Humankapital“ (4)
Bezüge:
§ (1): betrifft das Verhältnis von Lebenswelt u. Wirtschaft im Ganzen
§ (2): betrifft ein ökonomisches Organisationsprinzip
§ (3): betrifft das Verhalten/Ethos einer Gruppe von Wirtschaftsakteuren
§ (4): reduktionistische Metapher und bildungsökonomischer Grundbegriff
Erfordernis 1: Kritik der Wirtschaftskritik (Differenzierung)
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Vorüberlegung I: Disziplin der Debatte
Phänomen 2: Wagenburg-Syndrom – Polarisierung der Debatte
§
§
§
Tendenz zur dogmatischen Verfestigung der Standpunkte
Tendenz zur schematischen Gut-Böse-Zuweisung („alles Verbrecher!“)
Tendenz zur unreflektierten Lagerbildung
Erfordernis 2: Aufbrechen des Lagerdenkens
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Vorüberlegung I: Disziplin der Debatte
Phänomen 3: Entrüstungssyndrom – Emotionalisierung der Debatte
Suche nach Schuldigen:
§
§
§
Die Wirtschaftsakteure (Personen)
Die Unternehmen (z.B. TNC‘s)
Das System/die Rahmenordnung/die Politik
Erfordernis 3: Entemotionalisierung der Wirtschaftsethik
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Vorüberlegung II: Status ökonomischer Realität
Ausgangsidee
„Aber wie die Erscheinung eines Religionsstifters keineswegs nur eine religiöse
ist [...]; so ist, daß zwei Menschen ihre Produkte gegeneinander vertauschen,
keineswegs nur eine nationalökonomische Tatsache; denn eine solche, d. h.
eine, deren Inhalt mit ihrem nationalökonomischen Bilde erschöpft wäre, gibt es
überhaupt nicht [...]. Selbst als solche betrachtet [...] wird sie der Gegenstand
der philosophischen Betrachtung, die ihre Voraussetzungen in nichtwirtschaftlichen Begriffen und Tatsachen und ihre Folgen für nichtwirtschaftliche
Werte und Zusammenhänge prüft.“
(Max Weber)
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Vorüberlegung II: Status ökonomischer Realität
Polarisiertes Wirklichkeitsverständnis
„Wirkliche“ Wirklichkeit
??
Wirtschaft
Ethik
Sachzusammenhänge
Wertaspekte
Praktische Handlungserfordernisse
Theoretische Sinnbestimmungen
Harte Fakten
Soft skills (menschliche, ethische)
Reelle Subsysteme: Wirtschaft,
Politik, Gesellschaft etc.
Ideelle Subsysteme: Religion,
Philosophie, Kultur etc.
Macher
„Gutmenschen“
Realisten
Idealisten/Romantiker
wirklich
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nicht-wirklich
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Vorüberlegung II: Status ökonomischer Realität
Ganzheitliches (integratives) Wirklichkeitsverständnis
Die eine „wirkliche“ bzw. „harte“ Wirklichkeit
Materielle Dimension
Ideelle Dimension
Wirtschaft
Ethik
Sachzusammenhänge
Wertaspekte
usw.
usw.
sichtbar und gestaltbar
nicht-sichtbar und wirksam
Oberfläche
Untergrund
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Vorüberlegung II: Status ökonomischer Realität
Fundament nicht-ökonomischer Bezüge von Ökonomie
Handel
Handeln
Ethik
Geld
Geltung
Normative Verbindlichkeit
Gläubiger, Schuldner, Kredit
Glaube, Schuld, Credo
Religion/Weltanschauung
Ökonomie
oikos + nomos
Geschichtliche Herkunft
ökonomischer Begriff
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ideell-kultureller B.
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nicht-ökon. Bezug
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Umsetzung I: Wirtschaft und Mensch
Wirtschaften als existentieller Urmodus des Menschen
Wirtschaften
1. Dimension: Naturnotwendigkeit
2. Dimension: Kulturtätigkeit
Mangelkompensation, Reaktion auf Not
Kulturhandlung, aktive Gestaltung
Mensch als Mängelwesen: materielle
Bedürftigkeit, „Stoffwechsel mit Natur“
Mensch als Mängelwesen: produktiv u.
intentional gerichtet, handlungsoffen
Natur: Ressourcenknappheit
Natur: gestaltbar durch Arbeit
Gegenbild: Mythologien v. Paradies
Gegenbild: Hungerwirtschaft, Löwenrudel
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Umsetzung I: Wirtschaft und Mensch
Ganzheitliche Wirtschaftsethik
1. Dimension: Veranlassung
des Wirtschaftens
2. Dimension: Gestaltung des
Wirtschaftens
Wirtschaft als
Naturnotwendigkeit
Wirtschaft als Handlungs-und
Gestaltungsraum
Wirtschaftsordnung =
Naturgesetze?
Sachzwänge
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SystemLogik
Wirtschaft
Mensch
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Ethik = Orientierung v.Handeln
Sinn/Glück
„das Gute“
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Freiheit
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Umsetzung II: Markt und Mensch
Marktwirtschaft
Definition:
„arbeitsteilig organisierte Wirtschaftsordnung, in der die
Koordination von Produktion und Konsumtion über das
Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage auf Märkten
erfolgt.“
Tausch
„Relativierungs“-Problematik (Wertbegriff)
Wettbewerb
„Egoismus“-Problematik (moralische Haltung)
Profit
„König-Midas“-Problematik (Grenzen d. Systems)
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Umsetzung II: Markt und Mensch
Aristoteles: attac! Die Matrix der Marktkritik
Arbeitsteilung
Tauschwirtschaft/Markt
Spezialisierte Güterprodukt.
Begrenzte Marktwirtsch.: erweiterte
Subsistenzwirtschaft im Sozialbereich
Absolute Marktwirtschaft: „globalisierter“
Güteraustausch/Handelswirtschaft
Naturaltausch/begrenzte
Konvertierbarkeit
Geldtausch: unbegrenzte
Konvertierbarkeit
absoluter Gebrauchswert
relativer Tauschwert
Bedarfsdeckung als Ziel
Profitausrichtung
„natürliche“ Begrenzung des
wirtschaftlichen Handelns
„unnatürliche“ Schrankenlosigkeit des
wirtschaftlichen Handelns
„richtiges Wirtschaften“
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„falsches Wirtschaften“
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Umsetzung II: Markt und Mensch
Warum Geld (angeblich) nicht glücklich macht
Höchstes Gut = Glückseligkeit = etwas, das wir seiner selbst wegen wollen
Ethischer Wert = absoluter Wert
Marktwerte = relative Werte
Feste Orientierung = Sinn
Umsatz = Bewegung (Mobilität)
Gerichteter Endpunkt des Strebens
Geld = totale Konvertibilität, Kreislauf
Wirtschaft ist bloßes Mittel
Wohlstand = nicht Zweck an sich selbst
Markt-Wirtschaft: maßt sich an,
Selbstzweck zu sein
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Selbstwiderspruch/Paradox: König Midas
(relative Werte als absolute Werte)
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Umsetzung II: Markt und Mensch
„Verkehrte Welt?“
Relativierung der Werte durch Geld/Tauschprinzip
Vertauschung = Verkehrung: „verkehrte Welt“
in Bezug auf den Menschen:
In Bezug auf die Dinge:
„Da das Geld als der existierende und sich
betätigende Begriff des Wertes alle Dinge
verwechselt, vertauscht, so ist es die
allgemeine Verwechslung und Vertauschung
aller Dinge, also die verkehrte Welt, die
Verwechslung und Vertauschung aller
natürlichen und menschlichen Qualitäten. Wer
die Tapferkeit kaufen kann, der ist tapfer,
wenn er auch feig ist.“ (Karl Marx)
„Die vielbeklagte Entwertung der Werte, die
den Verlust der eigenständigen Dingqualität
miteinschließt, fängt damit an, daß man alles zu
Werten bzw. Waren macht, also alles mit allem
in Relation setzt und damit relativiert .“
(Hannah Arendt)
Verlust der Menschenwürde
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„Weltverlust“
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Umsetzung II: Markt und Mensch
Das Gegenmodell: Umwertung der Werte
Festschreibung des relativen Wertbegriffs: in Bezug auf den Menschen
„Die Geltung oder der Wert eines Menschen ist wie der aller anderen Dinge sein Preis. Das
heißt, er richtet sich danach, wieviel man für die Benützung seiner Macht bezahlen würde
und ist deshalb nicht absolut, sondern von dem Bedarf und der Einschätzung eines anderen
abhängig.“ (Thomas Hobbes)
Glückseligkeit = rastloses Streben nach materiellen Gütern
„Denn es gibt kein finis ultimus, d. h. letztes Ziel, oder summum bonum, d. h. höchstes Gut,
von welchen in den Schriften der alten Moralphilosophen die Rede ist. [...] Glückseligkeit ist
ein ständiges Fortschreiten des Verlangens von einem Gegenstand zu einem anderen,
wobei jedoch das Erlangen des einen Gegenstandes nur der Weg ist, der zum nächsten
Gegenstand führt. [...] So halte ich an erster Stelle ein fortwährendes und rastloses
Verlangen nach immer neuer Macht für einen allgemeinen Trieb der gesamten Menschheit,
der nur mit dem Tode endet.“ (Thomas Hobbes)
Folge: das Gute = Wohlstand, Wohlstand als Selbstzweck
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Umsetzung II: Markt und Mensch
Die philosophische Idee der Marktwirtschaft
Tauschprinzip als menschliche Konstante
Die Arbeitsteilung […] entsteht vielmehr zwangsläufig, wenn auch langsam und
schrittweise, aus einer natürlichen Neigung des Menschen, zu handeln und Dinge
gegeneinander auszutauschen.“ (Adam Smith)
Eigennutz/Profitstreben als Prinzip
„Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was
wir zum Essen brauchen, sondern davon, daß sie ihre eigenen Interessen
wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe,
und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem
Vorteil.“ (Adam Smith)
Gemeinwohl durch Koordination des Eigeninteresses: invisible hand
„Wettbewerb ist solidarischer als Teilen.“ (Karl Homann)
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Umsetzung II: Markt und Mensch
Ganzheitliches (integratives) Menschenbild: Kant
[...] alles [hat] entweder einen Preis, oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen
Stelle kann auch etwas anderes, als Äquivalent, gesetzt werden; was dagegen über allen
Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde. Was sich auf die
allgemeinen menschlichen Neigungen und Bedürfnisse bezieht, hat einen Marktpreis [...];
das aber, was die Bedingung ausmacht, unter der allein etwas Zweck an sich selbst sein
kann, hat nicht bloß einen relativen Wert, d. i. einen Preis, sondern einen innern Wert, d. i.
Würde.“ (Immanuel Kant)
„Humankapital“
und Menschenwürde:
„Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden
andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ (Immanuel Kant)
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Fazit
Markt und Mensch – Einheit oder Gegensatz?
Frage ist in dieser Absolutheit falsch gestellt:
§
§
§
§
Markt ist nicht an sich (un-)menschlich
Wettbewerb nicht an sich (un-)solidarisch
Marktliberalisierung nicht an sich freiheitsbefördernd (-beraubend)
Wohlstandsmaximierung nicht an sich (un-)moralisch
Notwendig:
§
§
§
Ganzheitliche Topographie (Ortsbestimmung) wirtschaftlicher Fragestellungen
Aufklärung über den Wertekontext als Grundlage für eine
kompetente Urteils- und Diskurskultur
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