Worum geht es? - Hochschule Ravensburg

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Ethische Grundperspektiven in
Wissenschaft und Praxis
Im Blick auf interkulturelle und berufsübergreifende
Kooperationsprozesse
Prof. Dr. rer.soc. Hans Walz, Hochschule RavensburgWeingarten. University of Applied Sciences
[email protected] ; 9/2007
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Worum geht es?
Angesichts zunehmender Globalisierung und Komplexität alltäglicher Aufgabe
in Wissenschaft und Praxis ist es notwendig, sich auf eine gemeinsame
Wertebasis zur Zusammenarbeit beziehen zu können, die wissenschaftlich
(zumindest ‚wissensbasiert’) begründet und damit auch allgemein (‚universal’)
kommunizierbar ist.
Nachfolgend wird eine solche Grundperspektive argumentativ erarbeitet:
- einerseits aus der idealistischen Perspektive von Immanuel Kant’s Ethik
in weltbürgerlicher Absicht und
- andererseits aus einer dazu polar entgegen gesetzten materialistischen
Perspektive im Anschluss an Mario Bunges Konzept der universalen
menschlichen Grundbedürfnisse.
Am Beispiel des Konzepts ‚Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession’ wird
dann exemplarisch aufgezeigt, wie Freiheit und Gerechtigkeit
wissensbasierte Leitperspektiven für interkulturelle und interdisziplinäre
Kooperationsprozesse in Wissenschaft und Praxis sein können.
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Inhaltsübersicht
1.
Welche ethischen Perspektiven leiten uns - bewusst
oder unbewusst - in Wissenschaft und Praxis?
2.
Von Aristoteles zu Kants Ethik der Freiheit in
weltbürgerlicher Absicht
3.
Grundbedürfnisse als Basis für Menschen-Rechte und
Leitperspektive für Wissenschaft und Praxis
4.
Ausblick : Gerechtigkeit als Prozess – dargestellt in
vier Symbolen
3
Welche ethischen Perspektiven leiten
uns in Wissenschaft und Praxis ?
- Eine spezifisch religiöse oder politische
Perspektive ?
- Eine Mischung (‚Patchwork‘ / Fleckerl-Teppich)
aus verschiedenen Wert-0rientierungen?
- Eine gesellschaftskritische Sichtweise wie
z.B. die kritische Theorie der Frankfurter Schule Adorno,
Horkheimer, Marcuse, Fromm, Habermas)
- Eine wissenschaftlich (wissensbasierte)
begründete Wertorientierung?
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2
Werte-Orientierung in der
Wissenschaft
1.
Wenn auch immer wieder persönliche Absichtserklärungen
zur Neutralität abgegeben werden, so können Wert0rientierungen dennoch unbeachsichtigt ForschungsAaktivitäten durchdringen.
2.
Selbst unter grundsätzlichen Gesichtspunkten kann
behauptet werden, dass Neutralität möglich ist.
3.
Es ist auch gar nicht immer einsichtig, dass Neutralität
erstrebenswert ist. Bezüglich bestimmter Fragestellungen
(z.B. Diskriminierung von Migranten, Gewalt gegen Frauen
oder Missbrauch von Kindern) sollte sich niemand neutral
verhalten.
Abercrombie, Nicholas/ Hill, Stephen/ Turner, Bryan S.: The penguin dictionary of Sociology, London
(4.) 2000,372 (‘Value neutrality’)
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2. Von Aristoteles zu Kants Ethik der Freiheit in
weltbürgerlicher Absicht
2.1 Eine ethischen Grund-perspektive für
interkulturelle und interprofessionelle
Kooperationsprozesse
2.2 Aristoteles‘ Sicht vom ‚guten Leben‘
(eudaimonia‘)
2.3 Freiheit und Gerechtigkeit für alle in
Kants Ethik in weltbürgerlicher Absicht
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3
Zu 2.3 Freiheit und Gerechtigkeit für alle in
Kants ethischem Konzept
• Freiheit (für alle!) als das grundlegende
Menschen-Recht
• Gerechtigkeit als Konsequenz des Grundrechts
der Freiheit für alle und der kategorische
Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime,
durch die du zugleich wollen kannst, dass sie
ein allgemeines Gesetz werde.“
• Freiheit in der > Allgemeinen Deklaration der
Menschenrechte von 1948 und >in den
Wissenschaften
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Freiheit in der Allgemeinen
Deklaration der Menschenrechte
• Art. 1: Alle Menschen sind frei und gleich an
Würde und Rechten geboren …
• Art. 29.2: Jeder Mensch ist in Ausübung seiner
Rechte und Freiheiten nur den Beschränkungen
unterworfen, … um die Anerkennung und
Achtung der Rechte und Freiheiten der anderen
zu gewährleisten…
• Art. 28: Jeder Mensch hat Anspruch auf eine
soziale und internationale Ordnung, in welcher
die … angeführten Rechte und Freiheiten voll
verwirklicht werden können (‚Erdenbürgerrecht‘).
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4
Freiheit und Gerechtigkeit in den
Wissenschaften, z.B. bei
• der Philosophin Hanna Arendt
(Elemente und Ursprünge totaler
Herrschaft, Piper Verlag, München-Zürich (2.) 1974.
• dem Wirtschaftsgeographen Arno Peters
(Peters, Arno: Peters Atlas.
Alle Länder und Kontinente in ihrer wirklichen Größe, Verlag Zweitausendeins,
Frankfurt am Main 2002)
• dem Sozialphilosophen und Soziologen Jürgen Habermas: (Die
Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie, Suhrkamp
Verlag, Frankfurt am Main 1999).
• der Sozialarbeitswissenschaftlerin Silvia Staub-Bernasconi
(Das fachliche Selbstverständnis sozialer Arbeit - Wege aus der
Bescheidenheit. Soziale Arbeit als "Human Rights Profession", in:
Wolf Rainer Wendt (Hrsg.): Soziale Arbeit im Wandel ihres
Selbstverständnisses. Beruf und Identität, Lambertus Verlag,
Freiburg/Br. 1995, 57-104.)
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Fortsetzung
• dem Wirtschaftsethiker Josef Wieland (J.W. (Hrsg.) : Handbuch
Wertemanagement. Erfolgsstrategien einer modernen Corporate
Governance, Murmann Verlag GmbH, Hamburg 2004.)
• dem Soziologen Klaus M. Leisinger (Menschenrechte als
Herausforderung der Unteernehmenspolitik, in: Wieland 2004,551-592.)
Aber es gibt auch dazu entgegen
gesetzte wissenschaftliche
Positionen, die grundlegende Werturteilsfreiheit vertreten, z.B. die von
< Niklas Luhmann: (Die Gesellschaft der Gesellschaft. Band 2, Suhrkamp
Verlag, Frankfurt am Main 1997. ( Nc 19,2)
< bzw. allgemein von Wissenschaftlern mit radikal
konstruktivistischem Ansatz
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3. Grundbedürfnisse als Basis für Menschen-Rechte
und Leitperspektive in Wissenschaft und Praxis
3.1 Universale menschliche Grundbedürfnisse als
Basis für die Menschenrechte
3.2 Grundbedürfnisse als Basis für ein wissensbasierte
Selbstverständnis von sozialer Arbeit
3.3 Weiterentwicklung und Konkretisierung der
Menschenrechte durch das Konzept der
Nachhaltigen Entwicklung
3.4 Grundbedürfnisse und Menschenrechte als
Leitperspektive für eine allgemeine Berufsethik
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Zu 3.1
•
•
•
•
Menschliche Grundbedürfnisse
(mGb)
Verschiedene Bedürfnis-Konzepte nach Obrecht (Maslow,
Galtung, Bunge, Fromm…)
Bunge: Grundkategorien: Biologische – psychische –
soziale Grundbedürfnisse
mGB sind universal - ihre Verwirklichung ist verschieden je
nach Lebenslage und ethischer Grundorientierung (human
vs. autoritär) (> Diagramm Wz)
Gerechte Verwirklichungschancen (‚capabilities‘) :Amartya
Sen, Nobelpreis für Wirtschaftsethik 1998
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Zu 3.2
Internationale Definition für
Soziale Arbeit
IFSW Definition, Montreal 2000
„Soziale Arbeit als Beruf fördert den sozialen Wandel und die
Lösung von Problemen in zwischenmenschlichen Beziehungen,
und sie befähigt die Menschen, in freier Entscheidung ihr Leben
besser zu gestalten. Gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnisse
über menschliches Verhalten und soziale Systeme greift soziale
Arbeit dort ein, wo Menschen mit ihrer Umwelt in Interaktion
treten.
Grundlagen der Sozialen Arbeit sind die Prinzipien der
Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit.“
¾ Konkretisiert im ‚Code of Ethics‘ der IFSW und des DBSH bzw.
anderen ‚National Codes of Ethics of Social Work‘ der nationalen
Mitgliedsverbände von IFSW
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Zu 3.3
Leitbild Nachhaltige
Entwicklung
Die als klassisch geltende Definition für
‚Sustainable development‘ aus dem so
genannten Brundtland-Report von 1987:
„Sustainable development integrates
economics and ecology in decision making
and law making to protect the environment
and to promote development. Sustainable
development wants to achieve social equity
between generations and within each
Generation.(…) It meets the needs of the
present without compromising the ability
of future generations to meet their own needs.“
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Definition für nachhaltige
Entwicklung
Nach dem Brundltland-Report von
1987befindet sich unsere menschliche
Gesellschaft dann in einer nachhaltigen
Entwicklung,
“ wenn sie die Bedürfnisse der heute
Lebenden Menschen berücksichtigt,
ohne den zukünftigen Generationen die
Chance zu nehmen, dass auch sie ihre
Bedürfnisse befriedigen können.“
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Beispiele für Nachhaltige
Entwicklung im Alltag
Im Sommer 2007 hat ein Bäcker vor seinem
Laden in Kappel in Schleswig-Holstein
folgendes handgeschriebene Plakat
aufgehängt:
„Kaufen Sie Ihre Brötchen dort, wo Ihre
Kinder eine Lehrstelle bekommen.“
¾Fair-trade-Bilder
¾Get-one-Spreewald-Gurke
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"GET ONE!" - Der neue Gurkensnack
Als absolute Innovation im Sauerkonservenmarkt
präsentiert der Spreewaldhof den ganz anderen
Gurkensnack. Cool und knackig, gibt es jetzt eine
echte Spreewälder-Gurke in der trendgerechten
Ringpull-Weißblech-Dose. Portioniert für die kleine
Mahlzeit zwischendurch - als Alternative zu süßen
Riegeln, Würstchen- und Käsesnacks. Oder als
knackiger Partyspaß, GET ONE! macht Appetit auf
mehr.
Dieser völlig neuartigen Snack wird ab August 2000
im Markt eingeführt und das Ziel ist es, diesen
demnächst an Tankstellen, Supermärkten, Discos
und Sportstudios zu distribuieren.
http://www.spreewaldhof.de/Get_One.html
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Zu 3.4 : Fünf Elemente zur Grundlegung einer
allgemeinen Berufsethik
1. mGb) als BASIS für MR LEITPERSPEKTIVE für eine allgemeine Berufsethik
2. DIVERSITY durch eher humane oder autoritäre Verwirklichung der mGb in
verschiedenen Kulturen, Religionen, Nationen
3. Der AUFTRAG kommt direkt vom betroffenen ‚SozialbürgerIn‘). zum Helfer.
Dieser handelt ver-antowrlich system-orientiert, nicht –dominiert. Organisationen
sind Vermittler durch professionelle, sozialpolitische… erwirklichungsstrukturen.
4. NACHHALTIGER PERSPEKTIVEN: > Gerechte Balance zwischen Ökologie –
Ökonomie - Sozialem; > Förderung der Mitwirkungskompetenz aller
Beteiligten (Mit-Bürger nicht Kunden / Patienten) ( > Inter-professionelle
Kooperation, z.B barrierefreie Stadt Biberach )
5. WISSENSCHAFLICH begründetes Handlungswissen, statt Sozialtechnologie‘
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3.5 Ergebnis: MR + NE als
Leitperspektive
1.
2.
3.
4.
Individuelle und soziale Gestaltungsprozesse im Leben sind auf
konstruktive Zusammenarbeit und Vernetzung angelegt.
Sie bedürfen einer ethischen Grundorientierung als Basis für
Zusammenarbeit zwischen Disziplinen,Berufen,Kulturen,
Weltanschauungen – lokal, regional, national, kontinental und
global.
MR und NE bieten eines solche Basis auf wissensbasierter –
lebensorientierter - Grundlage.
Diese Grundperspektive ist nicht philosophisch beliebig, sondern
rechtsverbindlich für alle Staaten (ca 180), die die Allgemeine
Deklaration der Menschenrechte der Vereinten Nationen von
1948 unterschrieben und diese in ihr nationales Grundgesetz
integriert haben. (> Europäische Menschenrechtkonvention,
Grundgesetz der BRD …)
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4.Ausblick: Gerechtigkeit als Prozess
dargestellt in vier Symbolen
• Spirale: Gerechtigkeit als
Entwicklungsprozess
• Waage: Gerechtigkeit unter der
Leitperspektive von Gleichberechtigung
• Eule: Gerechtigkeit ist oft nicht möglich
ohne > Weisheit
• Wasser: Gerechtigkeit ist wie Wasser ein
Leben spendendes Element, vgl. Amos
5,25.
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Zu Weisheit und Gerechtigkeit
• Vgl. das ‚salomonische Urteil‘ von König
Salomon in der Bibel: 1 Könige3,16-28.
• Aktualisiert von Bert Brecht im
‚Kaukasischen Kreidekreis‘
• Vgl. auch Psalm 84,1: „Barmherzigkeit und
Wahrheit begegnen sich, Gerechtigkeit
und Friede küssen sich.“ > Bild
‚Heimsuchung‘
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Zu ‚Wasser‘ und Gerechtigkeit
•
•
•
•
•
Gerechtigkeit nach dem Propheten Amos (5,21-24):
‚Ich hasse eure Feste[1], ich verabscheue sie und kann eure Feiern nicht
riechen.
Wenn ihr Brandopfer darbringt, ich habe kein Gefallen an euren Gaben und
euere fetten Heilsopfer will ich nicht sehen. Weg mit dem Lärm deiner
Lieder. Dein Harfenspiel will ich nicht hören, sondern das Recht ströme wie
Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“ [2]
[1] In der Übersetzung von „Good News Bible“, The British and foreign
Bible Society2004, 869 ([email protected]): “The Lord says: ‘I hate
your religious festivals; I cannot stand them! When you bring me burnt
offerings and grain offerings, I will not accept them; I will not accept the
animals you have fattened to bring me as offerings. Stop your noisy songs; I
do not want to listen to your harps. Instead let justice flow like a stream, and
righteousness like a river that never goes dry.”
[2] Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung, Herder,
Freiburg, Basel, Wien 1980.
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Literatur
• MR: > Homepages UN, > Univ. Ottawa, Human Rights Research
Centre; NE: www.nachhaltigkeitsrat.de
• Fachartikel zu ‚Wissenschaft‘, ‚Werte‘, ‚Menschenrechte‘,
Nachhaltige Entwicklung in soziologischen und philosophischen
Wörterbüchern; siehe auch Semesterapparat Walz in der
Hochschulbibliothek.
•
Walz, Hans: Menschenrechtsorientierte nachhaltige Sozial- und
Lebens(raum)gestaltung. Ein Konzept für interdisziplinäre und
interkulturelle Kooperationsprozesse, in: Beat Schmocker (Hrsg.):
Liebe, Macht und Erkenntnis. Silvia Staub–Bernasconi und das
Spannungsfeld Soziale Arbeit, Verlag interact Luzern, HSA
Hochschule für Soziale Arbeit Luzern und Lambertus Verlag,
Freiburg im Breisgau 2006, 487 – 512. (dort einschlägige Lit.)
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