Rationelle Diagnostik bei frühem Abort

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Rationelle Diagnostik bei frühem Abort - Ursachenspektrum,
Hämostasiologie, Endokrinologie, Immunologie, Serologie und Genetik
Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO)
versteht man unter Fehlgeburt oder Abort den
vollständigen oder teilweisen Abgang von
abgestorbenem Schwangerschaftsmaterial mit
einem fetalen Geburtsgewicht von maximal
500g. Derzeit wird in Deutschland jede
Schwangerschaftsbeendigung bis einschließlich
der 12. Schwangerschaftswoche post menstruationem mit fehlender oder abgestorbener
Kindsanlage als Frühabort bezeichnet und bis
einschließlich der 24. Schwangerschaftswoche
post menstruationem als Spätabort. Im Verlauf
jeder Schwangerschaft beträgt das Abortrisiko
ca. 15%. Bei ca. 5% aller gesunden Paare
kommt es rezidivierend zu einem Abort, so dass
an eine systemische Ursache gedacht werden
muss. Das Risiko für eine Fehlgeburt steigt mit
der Anzahl der vorangegangenen Abgänge an.
Dabei beträgt die Wiederholungswahrscheinlichkeit nach einem Abort ungefähr 21%, nach
zwei Aborten 35% und nach drei Aborten bereits
über 50% (9).
Die WHO definiert „rezidivierende Spontanaborte“
(RSA) und die AWMF-Leitlinien (Register 015/050)
definiert „wiederholte Spontanaborte“ (WSA) a l s
das Auftreten von drei oder mehr konsekutiven
Spontanaborten vor der 20. SSW.
Als mögliche Ursachen der krankhaften Fehlgeburtsneigung kommen genetisch determinierte
Ursachen,
uterine
bzw.
anatomische
Veränderungen, hormonelle Faktoren, Infektionen
sowie immunologische und hämostaseologische
Störungen in Frage.
Die Abklärung erfolgt bei Verdachtsdiagnosen
entsprechend gezielt, kann aber auch umfassende
Untersuchungen erfordern. Bei schrittweiser und
systematischer Abklärung gelingt es, für etwa 75 %
der Paare mit rezidivierenden Spontanaborten eine
ätiologische Zuordnung zu treffen und damit eine
konkrete therapeutische Konzeption anzubieten.
Ätiologie rezidivierender Fehlgeburten
(modifiziert nach Strowitzki 1996)
hämostaseologisch
hormonell
uterin/anatomisch
unklar
immunologisch
genetisch
infektiös
Labordiagnostik verschiedener Ursachen rezidivierender Fehlgeburten
Ursachen
hämostaseologisch
hormonell
uterin/anatomisch
immunologisch
genetisch
infektiös
< 6 SSW
+
+++
+
+++
6-10
SSW
ohne HA
+
6-10
SSW
mit HA
+
10-14
SSW
> 14
SSW
+
++
Untersuchungen
Cardiolipin-AK, Lupus-Anticoagulans, Faktor V/II-Mutation,
Protein C, Protein S
++
+
Östradiol, Progesteron, ß-HCG,
Prolaktin, TSH
++
+
Vaginalsonographie
+
++
+++
++
HLA-A;B:C-Typisierung der
Partner, Crossmatch, HLA-AK,
Gliadin-/Transglutaminase-AK
+++
++
+
+
Spermiogramm, Chromosomenanalyse
+
+
+++
Röteln, Masern, Mumps, CMV,
Pertussis, Ringelröteln,
Toxoplasmose, LCM, Listerien,
Herpes II, GO, Chlamydien,
B-Streptokokken, Ureaplasma
(SSW=Schwangerschaftswoche, HA=Herzaktion)
Material
zur
Labordiagostik
Citrat-, EDTABlut, Serum
Serum
Heparinblut,
Serum
Sperma,
Heparinblut
Serum,
Abstrich,
Abortmaterial
14.06.2007
Hämostaseologische Ursachen
Die führende Störung der Hämostase bei Patienten
mit habituellem Abort ist das sog. AntiphospholipidSyndrom. Es ist durch Antikörper gegen
Gerinnungsinhibitoren charakterisiert, die zu ihrer
Wirkung Phospholipide benötigen. Daneben
können jedoch die angeborenen thrombophilen
Gerinnungsveränderungen ebenfalls zur Mangelernährung durch Plazentainfarkte führen.
Quantitativ führend sind hier die Veränderungen im
Faktor V- und Faktor II-Gen, während die
"klassischen" Mutationen im AT III-, Protein C- und
Protein S-Gen quantitativ in den Hintergrund treten.
Nach Ergebnissen neuerer randomisierter Studien
sind venöse Mikrothromben und Mikroinfarkte
verantwortlich für bis zu 25 % aller Fälle von Präeklampsie, 20-30 % aller intrauterinen Wachstumsretardierungen (IUGR), bis zu 30 % aller Spätaborte und 20 % aller Fälle von intrauterinem
Fruchttod (IUFT). Auch Implantationsstörungen in
der Frühschwangerschaft oder die Abruptio
placentae sind durch die gestörte uteroplazentare
Durchblutung bei bestimmten Thrombophilien
signifikant häufiger. Klinisch spielen nur wenige
Thrombophilien eine Rolle.
Antiphospholipid-Syndrom
Als erworbene Thrombophilie sieht man mit einer
Inzidenz von 1-4 % am häufigsten das
Antiphospholipid-Syndrom mit erhöhten
Anticardiolipin-Antikörpern (IgG oder IgM) und/oder
Lupus Anticoagulans-Antikörpern (1). Klinisch
muss eines der folgenden Kriterien mindestens
erfüllt sein:
1. drei oder mehr Spontanaborte vor der 10.SSW
nach Ausschluss anderer Ursachen
2. eine arterielle oder venöse Thrombose oder ein
unklarer Abort nach 10. SSW bei unauffälliger
Sonoanatomie,
3. eine Frühgeburt vor der 34. SSW mit schwerer
Präeklampsie, HELLP-Syndrom oder Plazentainsuffizienz.
Faktor V Leiden-Mutation
5 bis 9 % der weissen Bevölkerung sind betroffen.
Heterozygote haben ein höheres Risiko für IUFT
nach der 20.SSW, für IUGR und vorzeitige
Plazentalösung. Das Thromboembolie-Risiko ist 5
bis 10fach auf 1 bis 2 % erhöht, bei der homozygoten Form sogar auf 10 bis 20 %, weshalb die
Faktor V Leiden-Mutation auch für 40 bis 60 % aller
Thromboembolien in der Schwangerschaft
verantwortlich sein soll (2). Hingegen gibt es
keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen
Faktor V Leiden-Mutation und Präeklampsie oder
habituellen Aborten.
Prothrombin-Gen-Mutation
Den Heterozygotenstatus findet man bei 2 bis 3 %
der weissen Europäer. Homozygote haben ein
100fach erhöhtes Risiko für Thromboembolien.
Dasselbe gilt für die zufällige Kombination des
Prothrombinmangels mit dem Faktor V LeidenMangel. Ein Zusammenhang mit erhöhtem
Auftreten von IUFT, IUGR, Abruptio placentae und
auch Präeklampsie ist eindeutig, mit habituellen
Aborten eher fraglich.
Hyperhomocysteinämie
Die heterozygote milde Form liegt bei 11 % der
weissen Bevölkerung vor. Schon dann besteht in
der Schwangerschaft ein erhöhtes Risiko für habituelle Aborte, IUGR, IUFT, Präeklampsie und
Abruptio placentae. Ausserdem werden bei den
Kindern heterozygoter Mütter häufiger Neuralrohrdefekte gesehen. Die Rate thromboembolischer
Komplikationen ist bei der Hyperhomocysteinämie
allerdings nicht signifikant erhöht.
Hormonelle Ursachen
Follikelreifungsstörungen, eine Corpus-luteumInsuffizienz oder eine Schilddrüsenfunktionsstörung (3) können Abortursachen sein. Als
endokrine Abortursachen sind Hyper- und
insbesondere Hypothyreosen sowie das PCOSyndrom (4) zu nennen. Die Diagnose lässt sich
durch die Hormone TSH, Östradiol, Progesteron,
Prolaktin und ß-HCG belegen.
Immunologische Ursachen
HLA-Sensibilisierung
Obwohl der Fet in Bezug auf die Antigenverwandtschaft zur Mutter einem Semiallotransplantat mit
haplo-identem HLA-Typ entspricht, bleiben
Abstoßungsreaktionen im Verlauf der normalen
Schwangerschaft aus. Dieses Paradoxon ist nicht
durch eine möglicherweise bestehende generelle
Immunsuppression zu erklären, da nachweislich
sogar eine besondere Sensibilisierung gegen
paternale Antigene besteht. Diese spezifische
Toleranz gegen fetale Alloantigene bei
gleichzeitiger Erkennung (Sensibilisierung der
Mutter) begründete in den letzten Jahren das
Konzept einer für die normale Schwangerschaft
notwendigen Disparität von Histokompatibilitätsantigenen. Demnach findet ein Teil der
immunologisch bedingten Fertilitätsstörungen seine
Ursache in einer Antigenverwandschaft maternaler
und paternaler Antigene mit der Folge einer ausbleibenden protektiven Immunantwort der Mutter
gegen auf der Plazenta exprimierte Fremdantigene. Derartige protektive Antikörper sind zumeist
gegen HLA-Spezifitäten gerichtet und inhibieren im
Gegensatz etwa zu Transplantation-assoziierten
anti-HLA Antikörpern zytotoxische Effektor14.06.2007
mechanismen zwischen maternalen und fetalen
Plazentaanteilen. Andere Typen protektiver
Antikörper neutralisieren als antiidiotypische
Antikörper potentiell toxische anti-HLA-Antikörper.
ätiologische Zuordnung ergibt sich hieraus die Vorrangigkeit der Chromosomenuntersuchung in
fetalem sowie Plazentagewebe.
Bei weitgehender Übereinstimmung im HLASystem besteht ein 66,0-fach höheres Risiko für
einen habituellen Abort im ersten Trimenon
(relatives Risiko RR = 66,0).
Infektiöse Ursachen
Die Diagnostik besteht in der HLA-Typisierung
beider Partner und dem Crossmatch (serologische
Verträglichkeitsprobe) zum Nachweis oder
Ausschluß zytotoxischer anti-HLA Antikörper.
Zur Immuntherapie werden 450 ml buffycoats aus
jeweils 450 ml Partnerblut simultan intrakutan und
intravenös injiziert (5) oder mit Immunglobulinpräparaten letztlich die Bildung protektiver
Antikörper induziert (6).
Zöliakie
In der westlichen Welt haben vier bis acht von
1000 Personen eine Zöliakie. Frauen erkranken
häufiger als Männer, berichten die Forscher von
der Universitätsklinik in Neapel. Viele ZöliakieErkrankungen verlaufen symptomlos oder
zumindest ohne typische klinische Zeichen wie
Diarrhoen und Mangelernährung. Bekannt ist auch,
dass es bei Schwangeren mit Zöliakie gehäuft zu
Fehl- und Frühgeburten kommt. Durch eine
glutenfreie Diät könne nach bisherigen Studien die
Zahl solcher Komplikationen verringert werden. So
hätten in einer Studie 15 Prozent der Frauen mit
Zöliakie, die keine glutenfreie Diät machten,
Fehlgeburten gehabt. Die Krankheitsdiagnose
erfolgt durch Nachweis zöliakiespezifischer
Antikörper gegen Gliadin und Gewebstransglutaminase oder durch Nachweis der
Zottenatrophie in der Dünndarmbiopsie(11, 12).
Genitale Infektionen können einen Abort bewirken,
sind jedoch nur selten Ursache für wiederholte
Fehlgeburten. Eine Ausnahme stellen Spätaborte
dar, bei denen durch eine Besiedelung der Scheide
und des Gebärmutterhalses mit Bakterien eine
Eröffnung des Muttermundes mit oder auch ohne
Wehentätigkeit resultiert (8). Verminderte Immunabwehr, Zervixinsuffizienz und psychosozialer
Stress
scheinen
die
Hauptursachen
aszendierender Infektionen bei einigen Frauen zu
sein. Beim Keimspektrum handelt es sich fast
ausschließlich um Darmflora mit Präferenz von BStreptokokken und E. coli. Letztlich kann jeder
Erreger, der in die Scheide gelangt, einen Abort
auslösen (10).
Literatur:
1.
Empson M, M Lassere, JC Craig, JR Scott: Recurrent
pregnancy loss with Antiphospholipid antibody: a
systematic review of therapeutic trials. Obstet Gynecol
2002; 99:135-144
2.
Rey E, SR Kahn, M.David, I.Shrier: Thrombophilic
disorders and fetal loss: a metaanalysis. Lancet 2003; 361:
901-908
3.
Abalovich M, S Gutierrez, G Alcaraz, G Maccallini, A
Garcia, O Levalle: Overt and subclinical hypothyroidism
complicating pregnancy. Thyroid. 2002; 12: 63 - 68
4.
Jakubowicz DJ, MJ Iurono, S Jakubowicz, KA Roberts, JE
Nestler: Effects of metformin on early pregnancy loss in the
polycystic ovary syndrome. J Clin Endocrinol Metab. 2002;
87: 524 - 529
5.
B. Hinney, H. Neumeyer: Immuntherapie zur Abortprophylaxe. Geburtsh. U. Frauenhk. 51 (1991), 15-22.
6.
Coulam CB, L Krysa, JJ Stern, M Bustillo : Intravenous
immunoglobulin for treatment of recurrent pregnancy loss.
AJRI 1995;34:333-337
7.
Li TC, M Makris, M Tomsu, E Tuckerman, S Laird:
Recurrent miscarriage: aetiology,management and
prognosis Human Reprod Update 2002;8:463-481
8.
Menge,S, C.Müller-Lantzsch, C.Keck, C.Tempfer:
Habituelle Aborte - ein aktueller Überblick über Ursachen
und therapeutische Möglichkeiten. Geburtsh Frauenheil
2004; 64: 574-583
9.
Strowitzki T, Korell M, Thaler C J, Wolff H (1996),
Ungewollte Kinderlosigkeit – Diagnostik und Therapie von
Fertilitätsstörungen. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart
Genetische Ursachen
Die Histopathologie erlaubt, Abnormitäten der
Chorionentwicklung im Rahmen einer primären
Entwicklungsstörung
der
Fruchtanlage
nachzuweisen und durch die Diagnosestellung z.B.
verschiedener Formen einer Plazentabildunsstörung (Embryonalmole, Partialmole,
Blasenmole) gegebenenfalls die Weichen für die
Anwendung zusätzlicher aufwendigerer Spezialtechniken zu stellen.
Unter den zahlreichen genetischen Faktoren, die
mit einer erhöhten Abortrate assoziiert sind, stehen
Chromosomenaberrationen an erster Stelle (7). Bis
zur 20. SSW sind ca. 60 % aller
Schwangerschaftsverluste auf Chromosomenaberrationen des Feten und/oder der Plazenta
zurückzuführen. Lediglich 5 % hiervon sind familiär
bedingt. Mehrheitlich handelt es sich somit um
Chromosomenaberrationen de novo. Für die
10. Petersen E. (1994), Infektionen in der Gynäkologie und
Geburtshilfe. Georg Thieme Verlag , Stuttgart
11. Gasbarrini et al., Recurrent spontaneous abortion and
intrauterine fetal growth retardation as symptoms of coeliac
disease, Lancet 2000; 356:399-400
12. Ludvigsson JF et al., Celiac disease and risk of adverse
fetal outcome: A population-based cohort study.
Gastroenterology 2005; 129:454-463
14.06.2007
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