Ein Käfig ging einen Vogel fangen

Werbung
spielzeiteuropa 05 | 06
Uraufführung | Koproduktion
Ein Käfig ging einen Vogel fangen
(Annäherungen an Kafkas Relativitätstheorie)
Ein mehrstimmiges Echokammerspiel
von Hans Peter Litscher, Paris
> 12. + 13. Januar | 22:00
> 14. Januar | 18:00 + 22:00
> 15. Januar | 16:00, 18:00 + 20:00
> 20. Januar | 18:00 + 20:00
> 21. Januar | 18:00, 20:00 + 22:00
_______________________________________
die nächsten Vorstellungen:
Gilles Jobin, Genf
Steak House
> 25. + 26. Januar | 19:30
Koproduktion
Sarhan / Raynaud / Pommerehn, Paris, Berlin
Les articulations de la Reine
– Die Häutungen der Königin
Groteske Kammeroper für belebte Objekte
> 26. Januar | 21:30
> 27. + 28. Januar | 20:00
Koproduktion
The Forsythe Company, Dresden, Frankfurt/Main
Three Atmospheric Studies
> 2. – 4. Februar | 20:00
Änderungen vorbehalten
Karten + Infos (030) 254 89 100
www.berlinerfestspiele.de
Redaktion spielzeiteuropa / Giselind Rinn
Uraufführung
Ein Käfig ging einen Vogel fangen
(Annäherungen an Kafkas Relativitätstheorie)
Ein mehrstimmiges Echokammerspiel
von Hans Peter Litscher
12. – 21. Januar 2006
Publikumsgespräch am 15. Januar im Anschluss
an die dritte Vorstellung in der Kassenhalle
Stimmen von
Min Xiao Feng, Shirley Barnett, Yvonna Balgova, Curt Bois, Caroline Cohen,
John Cage, Eva Diegritz, Luciana Castellucci, Gilles Deleuze, Albert Einstein,
Iftah Gabbai, Ueli Jaeggi, Jan Kott, Isild Lebesco, Vera von Lehndorff,
Kolia Litscher, Heiner Müller, Margaret Price, Miryam Ruppanner, Franz Schuh,
George Tabori, dem ungarischen Hirtenhund Hapsi, 7 Prager Dohlen (corvus
monedula pragensis), dem Konzertchor der Stadtmission Berlin Capella Kreuzberg
sowie mit folgenden Schattenspielern und Echofängern der Berliner Festspiele
Dutsch Adams, Georg Bugiel, Sandra Blatterer, Christiane Ciniclis, Petra Dorn,
Harald Frings, Edda von Gerlach, Axel Kriegel, Jens Lorenzen, Stella Maxeiner,
Carsten Meyer, Giselind Rinn, Hanka Röhrig, Thomas Schmidt, Manfred Tiesler,
Spencer Weiss, Andreas Weidmann, Martin Zimmermann
Zwei tschechische Garderobieren
Ivonna Balkova | Helena Bandl
Chinesischer k.u.k. Zopf
Duygu Binici, Berlin | Antje Winkler, Berlin | Ina Zäske, Berlin
Feld- und Waldforschung Eva Diegritz, Berlin
Flatternde Dohlenfahne Alice Litscher, Paris | Charles Marty, Marseille
sowie Alexander Brodskis drei entfernte Cousinen aus Moskau
Kammermusik-Sonate in b-moll Guy Peellaert, Paris
Kommt ein Vogel geflogen Adolf Bäuerle, Wien | Wenzel Müller, Wien
Lichtbilder Zora von Westphal, Kaliningrad
Moving Pictures
Manuel Gasquet, Paris | Philippe Radoux, Paris | Camille Viroleaud, Paris
Prager Ärmelschoner Jiri Nedoma, Prag
Wirbelwind-Trommler Iftah Gabbei
Zeit-Rumba Felix Joachimson | Mischa Spoliansky | Marcellus Schiffer
3. Orchesterlied nach Ansichtskarten-Texten von Peter Altenberg von Alban Berg
Margaret Price, Claudio Abbado & the London Symphony Orchestra
Wir danken
Giorgio Agamben, Venedig | Arthur C. Barnett, Chicago | Balthasar Beisert,
Neue Nationalgalerie Berlin | Martin von Bülow, Sankt Gallen | Alice Calaprice, Einstein Archives, Institute for Advanced Study, Princeton University
| Monika Cleres, Wester-Ohrstedt | Jean Daive, France Culture, Paris |
Glorianna Davenport, MIT Media Lab, Cambridge Mass. | Bernhard Echte,
Robert Walser Archiv, Zürich | Jürgen Fiebig, Naturkundemuseum Berlin
| Shula Gabbai, Moshav Bezet | Doris Glaser, Robert Weichinger, ORF
Wien | Eva Glienicke, Askanischer Hof Berlin | Hanspeter Greb, Busswil |
Detlev Knuth, Naturkundemuseum Potsdam | Stephan Kopf, Verlag Felix
Bloch und Erben GmbH, Berlin | Markus Luchsinger, Berlin | Ursula Marx,
Walter Benjamin Archiv, Akademie der Künste Berlin, Abteilung Literatur |
Renate Klett, Berlin | Denise Klossowski, Paris | Arno Jiri Kraehahn, Berlin
| Hans Kukowski, Vogeltrainer | Marie Louise Litscher, Luzern | Heinrich
Pfeilschifter, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin | Cathrin Pichler,
Wien | Rivka Plesser, The Hebrew University of Jerusalem, Department of
Manuscripts and Archives | Timothy Rogers, Department of Special Collections & Western Manuscripts, Bodleian Library | Joachim Sartorius, Berlin |
Carlos Sandoval, Mexico City | Nathalie und Tania Singer, Berlin & London
| Rudis Resterampe, Berlin | Grete Sultan Foundation New York | Andreas
Weinert, Babelsberg | Klaus Wagenbach, Berlin | Arnd Wesemann, BalletTanz International | Alexander Wewerka, Alexander Verlag Berlin | Barbara
Wolff, Albert Einstein Archives, Jewish National & University Library,
Jerusalem | K. D. Wolff, Verlag Stroemfeld Roter Stern, Frankfurt/Main
| Elio Veraldi, Bibliothek ETH-Hönggerberg HDB, Zürich | Sarah Wilson,
Courtauld Institute of Art, London
Hans Peter Litscher, geb. 1955 in der Schweiz, lebt als Ausstellungs- und Filmemacher, Regisseur und Autor in Paris. Er besuchte die Theaterschule von Jacques
Lecoq sowie Seminare bei Gilles Deleuze, bevor er 1983 sein erstes Theaterprojekt
präsentierte. Eindrückliche Kostproben seiner theatralen „Spurensuche“ waren u. a.
Cechows drei entfernte Cousinen am Zürcher Neumarkt-Theater (2004), Potemkinsche Dörfer beim Festival Theater der Welt (2002) oder Die tausend Tode der Maria
Magdalena Brettschneider am Hamburger Schauspielhaus (2001).
Eine Auswahl der letzten Projekte:
2004 Cechows drei entfernte Cousinen, dramatischer Abzählreim, Theater am
Neumarkt, Zürich
Nietzsches Circulus vitiosus Deus und die ewige Wiederkunft der Fotografie,
Gesprächsreihe mit Curt Paul Janz, Friedrich Kittler, Hubertus von
Amelunxen, Jean François Chevrier, Elisabeth Bronfen, Hotel Union Luzern
Post tenebras lux / Wo ist doch der Blitz, der euch mit seiner Zunge lecke?,
Führung durch Jacob Bonnets Wunderkammern im Hotel Union, Luzern
Jules Bonnet Luzern, ein fotografisches Atelier zwischen Folterkammer und
gepinselten Firnen, Ausstellung im Museum Bellpark Kriens
2003 Memento Mozart 2006 bei DenkMal Parcours 02, Öffentlicher Raum Wien,
Tanzquartier Wien, Theater im Bahnhof, Graz
2002 Über allen Gipfeln ist Kaenguru, Mousonturm Frankfurt
Hommage à Antonin Artaud, Ausstellung im Museum Moderner Kunst, Wien
Und dann verschwand alles Licht, Burgtheater Casino, Wien
Denn Bleiben ist nirgends (Ein Singspiel über Väter und Überväter),
Bayrische Staatsoper, Opernfestspiele, München
Potemkinsche Dörfer, Theater der Welt, Bonn, Köln, Düsseldorf, Duisburg
2001 Die tausend Tode der Maria Magdalena Brettschneider, „Schauspielhausdurchsuchung“, Deutsches Schauspielhaus in Hamburg
2000 Et in Andorra ego, Ausstellung über die Tanzpionierin Laura Wolff und
Verleihung des Laura-Wolff-Preises im Rahmen der Expo 2000, Hannover
1998 EX LIBRIS HELVETIÆ / ERLESENE SCHWEIZ, Vorstellung des Schweizer
Sprachforschers Henry von der Weyd und dessen Lesemaschine auf der
Frankfurter Buchmesse
Do Chinese postmen ring twice too?, Aufführung von Sarah Mandelbluts
unvollendetem Klangtangram im Rahmen der Wiener Festwochen
1995 Völkerfreundschaftsmambo (Mambo dru by narodov), Hommage an Irene
Wandel & Die Roten Musen, Wiener Festwochen
1994 Caduta massi, Hommage an Stephan Mahler & Giovanni Segantini,
Steirischen Herbst, Graz
Ein Käfig ging einen Vogel fangen
(Annäherungen an Kafkas Relativitätstheorie)
Ein mehrstimmiges Echokammerspiel
von Hans Peter Litscher, Paris
mit Franz, dem Vogel (Corvus corone cornix),
und Klängen jenseits von Raum und Zeit
von Hans-Jörn Brandenburg & Andres Bosshard
Dauer ca. 1h | keine Pause
Publikumsgespräch am 15. Januar
im Anschluss an die dritte Vorstellung
Gefördert durch die
Uraufführung 12. Januar 2006, Haus der Berliner Festspiele
„Es ist zwar allgemein bekannt, dass Franz Kafka am 24. Mai 1911 einen Vortrag
Albert Einsteins über die Relativitätstheorie im physikalischen Institut der KarlsUniversität in Prag hörte; auch dass er im gleichen Jahr mit Einstein im Salon der
Prager Apothekergattin Berta Fanta verkehrte und mit Einsteins Assistenten Ludwig
Hopf Spaziergänge in der Umgebung Prags unternahm. Laut Elsa Einstein soll Kafka
in seiner Berliner Zeit Einstein auch manchmal in dessen Wohnung in der Haberlandstraße besucht haben. Doch haben sich bisher außer Walter Benjamin, Gilles
Deleuze, Felix Guattari oder Jan Kott so gut wie keine Kafka-Exegeten dafür interessiert, ob – und wenn ja, wie – der Umgang mit Einstein und dessen Denken Kafkas
Schreiben beeinflusst hat …“ (Hans Peter Litscher)
Nach Recherchen in der Bodleian Library in Oxford und diversen anderen Archiven
wird der „Spurensucher“ Hans Peter Litscher in den labyrinthischen Gängen sowie
zwischen und hinter den Kulissen des Hauses der Berliner Festspiele versuchen,
Kafkas ebenso wie Einsteins revolutionär-bahnbrechende Entdeckungen über Raum
und Zeit in seinem Echokammerspiel vor Ort nachhallen zu lassen.
*
*
*
Jan Kott über Kafkas Aphorismus „Ein Käfig ging einen Vogel suchen“ *
„Ein Käfig ging einen Vogel suchen.“ Der kürzeste von Kafkas Aphorismen (Nr. 13 in
der BETRACHTUNG) … Der Käfig wandert auf der Erde, sucht den bewegungslosen
Vogel. Ich sehe diesen Aphorismus als eine Zeichnung oder die kurze Sequenz eines
Zeichentrickfilms. Jan Lenica würde ein kleines Meisterwerk daraus machen.
Dieser Aphorismus ist, übertragen auf ein graphisches Zeichen, eine Ikone; noch
präziser sollte man ihn als ein Emblem klassifizieren. Er scheint der großen Tradition
der Emblemkunst anzugehören, die in Italien und noch mehr in Deutschland in der
Zeit der späten Renaissance und in der Barockära aufblühte. Ein Emblem ist das graphische Bild des Paradoxen oder der Gnome. Zu den bekanntesten Emblemen gehört
„die Schlange, die in den eigenen Schwanz beißt“.
Embleme geben beinahe unbegrenzte Möglichkeiten ihrer symbolischen oder paradigmatischen Interpretation. „Ein Käfig“, der einen Vogel „sucht“, ein Käfig in
Bewegung, ein aktiver Käfig, ein im voraus vorbereiteter Käfig kann im symbolischen
Code die Teufelsfalle, die der Seele gestellt wird, bedeuten, eine geistige Falle, die
Calvinistische Prädetermination der Erlösten und Verdammten oder in der politischen
Symbolik – der Käfig als Staat, der Staat als Gefängnis. In der Freudschen Symbolik
kann ein Käfig, der „sucht“, das Imago des Über-Ichs sein.
Im PROZESS kam der Käfig eines Morgens zu Josef K., wie der Tod zum Sünder in
JEDERMANN, dem größten Meisterwerk des mittelalterlichen Dramas. DER PROZESS ist eine Erzählung, doch diese Erzählung ist ebenso szenisch, ebenso graphisch wie JEDERMANN. In seiner Konkretisierung – man kann es auch Linearität
nennen – der Gesten, der Bewegung und der Interieurs kann man den PROZESS
sehen. DER PROZESS wartet immer noch – nicht auf eine Bühnen- oder Filmadaptation, diese sind gemacht worden, sondern auf eine graphische Übertragung auf die
Bühne, auf die Transkription.
Das graphische Zeichen ist immer eine Ent-symbolisierung, eine Ent-allegorisierung
oder, um eine präzisere Bezeichnung zu gebrauchen, eine De-konstruktion. Das graphische Zeichen und das graphische Verständnis des Textes sind die plötzliche und
heftige Sichtbarmachung der un-erwarteten, un-vermuteten, verborgenen Relationen
und Zusammenhänge. Diesen Schock der Ent-deckung des Versteckten gibt es in
den Bildern von Max Ernst, noch mehr vielleicht bei Magritte. Immer noch wartet das
Buch über den Einfluß Kafkas auf die visuelle postmoderne Kunst darauf, geschrieben zu werden.
Die symbolische Hermeneutik verwandelt das graphische Zeichen in die Allegorie
oder die Metapher zurück: „ein Käfig“ ist eine Metapher, „ging“ ist eine Metapher,
„einen Vogel“ ist eine Metapher, „suchen“ ist eine Metapher. Aber in Kafkas „Käfig“
sind nicht die Metaphorik und die konventionelle Symbolik, sondern die unerwartete
Metonymie neu. Das metaphorische Verständnis dieses Aphorismus ist trivial.
Die Metapher beruht auf der Übertragung von Bedeutungen, auf der Ähnlichkeit oder
ihrer symbolischen Illusion. Die Metonymie beruht auf Relationen von Nähe und
Folge. Die Metonymie ist auch, wie Frazer es lange vor den Strukturalisten und Semantikern beschrieben hat, das Aufzeigen der Relation der Ansteckung und Verunreinigung. Das Grauen der Miasmen entsteht aus der metonymischen Phantasie. Kafka
kannte diese Furcht und dieses Grauen.
Die Beziehung zwischen dem Jäger und dem Wild, zwischen dem Jagenden und dem
Gejagten ist ebenfalls metonymisch. Der Zusammenhang zwischen dem Käfig und
dem Vogel ist metonymisch. Ein Käfig, der „sucht“, ist eine Metonymie in Bewegung.
Diese jagende Metonymie ist ein Schock. Ein Schock, denn sie zeigt, offenbart unsere Situation. L’imaginaire ist Realität.
* im Manuskript auch: „Ein Käfig ging einen Vogel fangen.“
(aus: Jan Kott, Das Gedächtnis des Körpers. Essays zu Literatur und Theater, Deutsch von
Agnieszka Grzybkowska, Alexander Verlag Berlin)
Herunterladen