Institut für Sozialwissenschaften

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Institut für Sozialwissenschaften
Proseminar:
Organisation als System
Essay:
Organisationen reduzieren Komplexität. Diskutieren Sie die Form in
der Organisationen dies tun und deren Probleme und Chancen.
Abgabetermin:
01. Dezember 2008
Kai Gärtner
E-Mail: [email protected]
Kai Gärtner – Essay: Reduktion von Komplexität in Organisationen
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Die Reduktion von Komplexität in Organisationen
In der Systemtheorie von Niklas Luhmann ist die Reduktion von Komplexität
die Hauptaufgabe von sozialen Systemen und somit auch von Organisationen.
Nur durch diese Reduktion wird eine Lebensführung für Individuen in einer
überaus komplexen und kontingenten Welt erst ermöglicht. Um zu zeigen welche Chancen und Risiken diese Reduktion für Organisationen und ihre Teilsysteme bedeutet, ist es notwendig ihre genaue Funktionsweise zu verstehen und
sich über die Bedeutung gewisser Grundbegriffe der Luhmann'schen Theorie
klar zu werden. So wird in Systemen und Organisationen im besonderen, die
Reduktion von Komplexität auf verschiedene Weise erreicht. Es ist ein, sich
ständig verändernder Prozess, verschiedener Mechanismen, die gemeinsam die
Komplexität der Welt so weit reduzieren, dass sie von Systemen bearbeitet werden kann.
Wie Systeme Komplexität Reduzieren
Die Komplexität der Welt bedeutet nach Luhmann die unendliche Kombinationsmöglichkeiten möglicher Ereignisse. Dies umfasst zum einen die unendliche
Anzahl kombinatorischer Möglichkeiten, wie auch eine Menge von Kontingenz,
also von möglichen, aber nicht notwendigen Möglichkeiten. Eine so geartete,
komplexe Welt würde jedes Individuum, das sich damit konfrontiert sieht, überfordern und jedweder Lebensgrundlage berauben. Es scheint also notwendig
diese Komplexität der Welt zu reduzieren. Luhmanns Theorie arbeitet hier mit
der Idee der Systembildung. Systeme stellen eine klare Abgrenzung zu ihrer
Umwelt dar, mit der Eigenschaft die Komplexität der Welt nur reduziert aufzunehmen. Dafür stehen Systemen verschiedene Formen der Komplexitätsreduktion zur Verfügung. Als wichtigstes Werkzeug ist sicherlich die Kommunikation
zu benennen. Für Luhmann bildet die Kommunikation, mit ihrer Auffassung als
Handlung, die Grundvoraussetzung für die Bildung von sozialen Systemen.i
Wenn ein Kommunikationsprozess einmal in Gang gekommen ist, wird sich
nach Luhmanns Auffassung, auch immer ein soziales System bilden, dass diesen Kommunikationsprozess umgibt.ii Da Kommunikationsprozesse nicht auf
sich selbst beschränkt, sondern über ihre eigenen Refernzgrenzen hinweg funktionieren, entstehen über Kommunikation weitere Formen der Reduktion von
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Komplexität. Dafür ist es jedoch nötig, dass die Kommunikation erfolgreich ist.
Hier drängt sich natürlich die Frage auf, was passiert wenn der Kommunikationsprozess nicht in Gang kommt bzw. nicht erfolgreich ist. Luhmann wendet an
dieser Stelle ein, dass eine Kommunikation die keine Erfolge erbringt, auch
nicht fortgeführt wirdiii, doch bietet er keine eindeutige Erklärung wie das Problem von der Evolution überwunden wurde. Letztendlich gab es für ihn funktionierende Kommunikationsprozesse, aus denen soziale Systeme entstanden.
Neben der Kommunikation bildet der Sinn eine wichtige Möglichkeit der Komplexitätsreduktion in sozialen Systemen. Sinn funktioniert dabei auf mehreren
Ebenen. Auf der sachlichen Ebene bildet er eine klare Zuordnung, indem er
eine bestimmte Bedeutung festlegt und alle anderen negiertiv. In der sozialen
Dimension ermöglicht er die Übertragung von Selektionsleistungen und reduziert Komplexität indem er eine Übertragbarkeit der Perspektive von Teilen des
System sicher stellt. Luhmann beschreibt dies mit der Herausbildung von Erwartungserwartungen, die es einem ermöglichen, das Verhalten anderer im
System vorher zu sehen bzw. Reaktionen auf eigene Handlungen zu erwarten,
ohne darüber kommunizieren zu müssen. Zwar ist es möglich, dass Normen als
manifestierte Verhaltenserwartungen in einem System durch Handlungen verletzt werden, der Handelnde kann dann aber nicht auf Mechanismen zur Enttäuschungsverarbeitung des Systems zurück greifen, um die Reaktion des Systems zu verarbeiten, da er absichtlich gegen die Erwartungen des Systems gehandelt hat.v
Zusätzlich existiert Sinn immer auf einer zeitlichen Ebene. Grundvoraussetzung
für ein Funktionieren des Sinns in der Zeit ist die Gleichzeitigkeit allen Erlebens,
aller Mitglieder des Systems. Dabei bildet die Vergangenheit einen Vorrat an
bereits getätigten Reduktionsleistungen, entweder in Form von erinnerter Geschichte oder anderen Medien der Übertragbarkeit von Selektionsleistungen
wie Macht, Geld oder Wissen, das auf aktuelle Entscheidungen übertragen werden kann.vi Die Gegenwart spiegelt dabei den Zeitpunkt des Handelns, also der
letztendlichen Entscheidung und der daraus resultierenden Konstitution neuer
Komplexität wider. Mit jeder Entscheidung wird Komplexität reduziert, indem
bestimmte Möglichkeiten fixiert und andere ausgeschaltet werden, gleichzeitig
existieren mit Projektion auf die Zukunft wieder unendlich viele neue Hand-
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lungsmöglichkeiten, was wieder eine Form unendlicher Komplexität darstellt.
Während über die sachliche Dimension des Sinns in einem System größtenteils
Einigkeit herrschen wird, erfordern Veränderungen, die durch Handlungen hervorgerufen werden, immer wieder eine Aktualisierung des Sinns innerhalb des
Systems. Das Werkzeug hierfür ist die Kommunikation. Auf diese Weise ist es
dem System möglich mit Störungen, die über Problemverschiebung in das System hinein getragen werden umzugehen und Enttäuschungen im System verständlich zu machen.vii Hierin liegt eine der Hauptleistungen der Kommunikation im System, wobei zu beachten ist, dass mit der steigenden Komplexität eines Systems die Aktualisierung von Sinn für das gesamte System immer
schwieriger wird.
Sinn ermöglicht also die Reduktion der Komplexität und schafft mit der Generalisierung ein Umfeld, das gewisse Sicherheiten für Handlungen bietet. Konstituierende Handlung all dieser Mechanismen ist dabei die Kommunikation, die bereits selbst Selektionsleistungen vollbringt. Diesen zweistufigen Vorgang, durch
Identifikation einer Handlung mit einem Sinn und dem anschließenden Auswählen aus bereits vor strukturierten Handlungsoptionen, mit Hilfe der Übertragbarkeit bisher geleisteter Selektion, bezeichnet Luhman als doppelte Selektivität.
Bis hierher wurden kaum Aussagen über das Zusammenspiel zwischen Systemen und ihrer Umwelt getätigt.
Für Luhmann findet eine Transformation der Probleme der Umwelt in das Innere
von Systemen über die Problemverschiebung statt. Dabei geht er davon aus,
dass ein System in Interaktion mit seiner Umwelt immer auf sein Fortbestehen
als System bedacht ist und bezeichnet diesen Sachverhalt als Bestandsproblem. Als Knappheitsproblem bezeichnet er den Transfer eines, in der Umwelt
existenten Mangels, in systeminterne Medien wie Zeit oder Geld, die von Natur
aus nicht knapp sind, aber eine Bewertung von Entscheidungen anhand ihres
Umgangs mit diesen Medien ermöglichen. Mit dem Problem des Dissens bezeichnet er das soziale Phänomen der abweichenden Meinung, von der vom
System selektierten.viii
Die Klassifizierung von Problem gibt noch keine Lösungsmöglichkeiten vor,
zeigt aber wie mit Störungen aus der Umwelt umgegangen werden kann, um
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sie dann innerhalb des Systems zu lösen.
Das größte Problem dieser Abstraktion von Problemen aus der Umwelt ist die
Tatsache, dass mit einer steigenden Komplexität zwar immer mehr Umweltprobleme verschoben und bearbeitet werden können, damit aber gleichzeitig die
Komplexität des Systems zunimmt.
Auch das Bestandsproblem birgt Konfliktpotential, bedeutet es doch, dass ein
System sein Fortbestehen auch auf Kosten der Umwelt und damit auf Kosten
anderer Systeme durchzusetzen versuchen wird und damit eine Konfliktlinie
zwischen benachbarten Systemen entstehen kann.
Organisationen als besondere soziale Systeme
Bevor wir nun genauer betrachten, welche Besonderheiten bei der Reduktion
von Komplexität in Organisationen auftreten, müssen wir uns klar machen, was
in Luhmanns Systemtheorie Organisation kennzeichnet.
Organisationen sind für ihn soziale Systeme, deren Autopoiesis sich auf die rekursive Anwendung von Entscheidungen gründet. Also Entscheidungen die auf
der Grundlage von bereits getroffenen Entscheidungen getroffen werden, wobei jede getroffene Entscheidung den Raum an Möglichkeiten, der zum Zeitpunkt der Entscheidung bestand, fixiert und dafür einen neuen Raum von möglichen Entscheidungen produziert, aus dem zukünftige Entscheidungen ausgewählt werden können.ix Diese Überlegung führt allerdings in ein gewisses Paradoxon, da hier vorausgesetzt wird, dass Entscheidungen getroffen werden müssen, um Entscheidungen treffen zu können. Wenn Organisation aber aus diesen
Entscheidungen bestehenx, klärt das nicht die Herkunft einer Organisation. Der
Vorteil einer solchen Entstehung von Organisation ist allerdings, dass sich Organisationen über Entscheidungen konstituieren und somit auch darüber entscheiden, wer dazugehört. Dies ermöglicht die spontane Bildung von Organisationen allein durch Entscheidungen, ohne geschichtlichen Hintergrund. Konservativ gesehen kann hierin auch der Grund für die Geschichtslosigkeit moderner
Organisationen begründet sein.xi
Eine Möglichkeit für Organisation Komplexität zu reduzieren sind Entscheidungsprogramme. Sie erlauben es, aus einer Vielzahl möglicher Entscheidungen eine Auswahl zu treffen und die Entscheidung im Nachhinein zu legitimie-
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ren. Dabei werden die Entscheidungen entweder mit dem Erreichen eines bestimmten Zieles (Zweckprogramm) oder für den Fall bestimmter Umstände
(Konditionalprogramm) legitimiertxii und somit die Enttäuschungswahrscheinlichkeit für die Beteiligten gesenkt.
Ein weiterer Vorteil von Organisationen bei der Reduktion von Komplexität ist,
dass sie Entscheidungen nie als ganzes Treffen müssen und somit keinem Aushandlungsprozess des ganzen Systems unterliegen, was Entscheidungen beschleunigen kann. In einer Organisation können Entscheidungen verteilt werden, wobei von Fall zu Fall unterschieden werden kann, ob zur Entscheidung
redundante oder varietäre Entscheidungszusammenhänge genutzt werden.
Um diese Arbeitsteilung zu ermöglichen bilden sich, nach Luhmann in Organisationen Kommunikationswege. Mit ihnen kann über die Festlegung darüber, wer
an einer Kommunikation und damit auch an Entscheidungsprozessen teilnimmt
ebenfalls Reduktion von Komplexität erreicht werden, indem die Menge der teilhabenden Handlungsprämissen limitiert wird.xiii Dieser Vorteil ist gleichzeitig ein
Nachteil, da es immer Teile des Systems geben wird, die von der Entscheidung
ausgeschlossen und außerdem ein Informationsdefizit zu den Entscheidern aufweisen werden.
Eine hohe Redundanz bezeichnet eine Einschränkung der Organisation auf ähnliche Entscheidungen, eine hohe Varietät erlaubt im Gegensatz dazu Entscheidungen zu einer großen Bandbreite von Themen. Dabei sind es vor allem veränderte Umwelteinflüsse, die Auswirkungen auf die Varietät haben, indem sie
Organisationen zwingen, sich an eine veränderte Umwelt anzupassen, wohingegen jede normale Entscheidungsarbeit in einem System die Redundanz erhöhen wird, was im Laufe der Zeit dazu führt, dass sich Organisationen nur unzureichend auf Veränderungen einstellen können und somit eine Neugründung
der Reform häufig vorzuziehen ist.xiv
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Auswirkungen der Reduktion von Komplexität
Es lässt sich also folgendes festhalten: Reduktion von Komplexität ist für Luhmann zuerst einmal keine Besonderheit von Organisationen. Genau wie andere
Arten von Systemen verwenden sie grundlegende Selektionsmechanismen, wie
Kommunikation als Grundvoraussetzung allen Austauschs innerhalb eines Systems, mit all seinen Vorteilen, wie Sinnaktualisierung und Selektionsleistung im
Vorfeld und den Risiken von Unverständnis und Ausbleiben der Kommunikation.
Die zweite Voraussetzung für eine erfolgreiche Reduktion von Komplexität ist
für ihn der Sinn. Dieser schafft eine gemeinsame Grundlage zur Bewertung von
Handlungen, sichert gleichzeitig die Möglichkeit des Austausches über bestehende Optionen und bietet eine Möglichkeit mit Störungen und Enttäuschungen
innerhalb des Systems umzugehen.
Dabei beschreibt die Problemverschiebung, wie Probleme aus der Umwelt aufgenommen und als Probleme im System bearbeitet werden können. Die Problemverschiebung stellt somit die Schnittstelle zwischen der unendlich-komplexen Welt und dem weniger komplexen Inneren des Systems dar.
Die Selektionsleistungen bilden die Grundlage für Entscheidungen, die dann
letztendlich in einer Organisation getroffen werden können. Hierbei geben, neben den Entscheidungsprogrammen, vor allem die Redundanz und die Varietät
Auskunft darüber, wie Entscheidungen getroffen werden, ohne dabei eine Aussage über die Qualität der getroffenen Entscheidungen zu geben. Hierbei sichert die Redundanz die Übertragbarkeit von bereits getroffenen Entscheidungen in neue Situationen, während die Varietät das System flexibel auf Umwelteinflüsse reagieren lässt.
Kommunikationswege und Entscheidungsprogramme sind ebenfalls Möglichkeiten die Komplexität von Handlungsmöglichkeiten zu reduzieren, beinhalten
aber auch das Risiko, dass Teile der Organisation bei Entscheidungen übergangen werden bzw. Alternativen, die nicht im Entscheidungsprogramm enthalten
sind, nicht in Erwägung gezogen werden, was als Bremse von Innovationen wirken kann.
Reduktion von Komplexität innerhalb von Organisationen ermöglicht schnelle
und nachvollziehbare Entscheidungen. Gleichzeitig beinhaltet sie aber immer
das Risiko, dass Teile des Systems nicht an Entscheidungen beteiligt sind oder
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erst gar nicht davon erfahren und führen auf Dauer zu einer statischen Struktur, die Änderungen erschwert oder unmöglich macht. Sie ist also immer positiv wie negativ für Organisationen und erfordert genügend Anpassungsfähigkeit
und Stabilität gleichermaßen.
i Luhmann, Niklas (1984/1999): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, 7. Aufl. Frankfurt/M.:
Suhrkamp, S. 240
ii Ebd., S. 223
iii Ebd., S. 218
iv Luhmann, Niklas (1971): Sinn als Grundbegriff der Soziologie. In: Niklas Luhmann/Jürgen Habermas, Theorie der
Gesellschaft oder Sozialtechnologie – Was leistet die Systemforschung? Frankfurt/M.: Suhrkamp S.48-49
v Ebd., S. 65
vi Ebd., S. 57
vii Luhmann, Niklas (1984/1999): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, 7. Aufl. Frankfurt/M.:
Suhrkamp, S. 237
viiiLuhmann, Niklas (1967/2005): Soziologie als Theorie sozialer Systeme. In: Niklas Luhman, Soziologische
Aufklärung , Bd. 1, 7. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag, S.118
ix Luhmann, Niklas (1988): Organisation. In: Willi Küpper/Günther Ortmann (Hrsg.), Mikropolitik: Rationalität,
Macht und Spiele in Organisationen. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 170
x Ebd., S. 166
xi Luhmann, Niklas (1967/2005): Soziologie als Theorie sozialer Systeme. In: Niklas Luhman, Soziologische
Aufklärung , Bd. 1, 7. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag, S. 123
xii Luhmann, Niklas (1988): Organisation. In: Willi Küpper/Günther Ortmann (Hrsg.), Mikropolitik: Rationalität,
Macht und Spiele in Organisationen. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 276
xiiiEbd., S. 177
xiv Ebd., S. 174
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