2/2015 - Der Thoraxschmerz aus Sicht der Osteopathie

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FREI ES THEMA
Der Thoraxschmerz
aus Sicht der Osteopathie
O
steopathische Medizin ist ein
Zweig der medizinischen Wissenschaften und gründet sich auf
den philosophischen Prinzipien von Dr. A.
T. Still, MD, DO. Sie verbindet diese mit den
allgemein anerkannten Standards der Medizin und ergänzt und erweitert das etablierte
Medizinsystem im Kontext einer integrierenden Patientenversorgung, die sowohl
evidenzbasiert als auch patientenzentriert
arbeitet. Im Fokus steht die wechselseitige
Beziehung zwischen Struktur und Funktion
und die Unterstützung der Fähigkeit des
Organismus, saluto-genetische Ressourcen
zur Wiederherstellung und Erhaltung der
Gesundheit einzusetzen. Osteopathische
Medizin beinhaltet insbesondere eine umfassende manuelle Untersuchung, Diagnostik, Therapie und Prävention von Funktionsstörungen – somatischen Dysfunktionen
– im muskuloskelettalen System (parietal),
den viszeralen Organen (viszeral) und dem
peripheren wie auch zentralen Nervensystem (kranio-sakral).*
INTERDISZIPLINÄRES NETZWERK
Im Verständnis ganzheitlicher Schmerzmedizin ist es unabdingbar, den Thoraxschmerz im interdisziplinären Netzwerk in
enger Abstimmung mit Fachkollegen aus
den Gebieten Innere Medizin/Kardiologie,
Pulmologie, Allgemeinmedizin, Neurologie,
Rheumatologie und bei Bedarf auch Herz-/
Thoraxchirurgie und Wirbelsäulenchirurgie
zu diagnostizieren und zu behandeln. Gerade im niedergelassenen Bereich bedarf es
des Aufbaus eines suffizienten FacharztNetzwerkes, um für bestmögliche Patientenzufriedenheit und Patientensicherheit
zu sorgen.
GRUNDLAGEN
In den Hinterhorn-Laminae des Rückenmarks kommt es bei Afferenzen aus der
Peripherie (C-Fasern, A-beta- und A-delta-Fasern) zu einer Konvergenz von Neuronen aus verschiedenen Organen sowie
aus mehreren Rückenmark-Segmenten.
Hierbei spielen sogenannte „Wide Dyna28
SCHMERZ NACHRICHTEN
VON DR. REINHARD
WALDMANN
Facharzt für Physikalische
Medizin und Rehabilitation,
Ärztlicher Osteopath DO.
DAAO-EROP,
Spezielle Schmerztherapie,
Manuelle Medizin.
Wahlarzt für Schmerztherapie und Osteopathie,
OA am Institut für Physikalische Medizin und Rehabilitation des KH Barmherzige
Schwestern Linz
mic Range“-Neurone (WDR-Neurone) eine
wesentliche Rolle. Durch räumliche und
zeitliche Summation kann es zudem zu
einer verstärkten afferenten Weiterleitung
im ZNS kommen (EPSP – Exzitatorische
postsynaptische Potenziale). Des Weiteren
kommt es auch zu einer Verschaltung auf
efferente Fasern (Alpha-Motoneurone und
autonom sympathische Neurone). Dadurch
kommt es zu typischen Gewebsveränderungen, welche in der osteopathischen Medizin als somatische Dysfunktion beschrieben werden. Diese sind (zusammengefasst
unter dem Begriff TART): Tissue texture
change – Gewebsveränderung; Asymmetrie; Restriction –Bewegungseinschränkung;
Tenderness – Schmerz.
Beim Thoraxschmerz spielen diese afferent-efferenten Regelkreise, viszerosomatisch und somatoviszeral, eine wesentliche
Rolle. So kann es beispielsweise durch eine
längerfristige Pathologie am Herzen zu einem segmentalen Hypertonus der tiefen
kurzen WS-Muskulatur und Dysfunktion
des zweiten bis vierten BWK kommen. Dieses Phänomen wird „Fazilitation“ genannt
und dient in der Osteopathie zur Diagnostik und Behandlung von Dysfunktionen.
In der Diagnostik ist es von Bedeutung, kardiale und vertebragene Erkrankungen – gegebenenfalls durch interdisziplinäre Zusammenarbeit – zu erkennen und zu bewerten,
um inadäquate invasive Diagnostik oder
insuffiziente manuelle Behandlung zu vermeiden.
THORAXSCHMERZ
In der physikalisch-osteopathischen Facharztpraxis werden Patienten meist mit subakut bis chronischem Thoraxschmerz vorstellig, akute Symptomatiken sind die Ausnahme. Die von den Patienten geäußerten
Beschwerden reichen von einem stechenden über ziehenden, brennenden bis drückenden Schmerz, welcher dauerhaft oder
nur gelegentlich auftritt und teilweise bewegungsabhängig oder atemabhängig ist.
Der Schmerz ist im Bereich des Sternums,
der Synchondrose der Rippen, entlang der
Rippen sowie der Rippenzwischenräume
und der BWS lokalisiert. Begleitsymptomatiken wie Unwohlsein, vermehrtes Schwitzen, Blutdruckerhöhung, erhöhter Ruhepuls und Atemnot werden häufig geäußert.
DIAGNOSTIK
Zu unterscheiden ist, ob der Patienten beim
ärztlichen Osteopathen primär zur Vorstellung kommt oder er bereits von einem
oben genannten Kollegen (z. B. von einem
Kardiologen) überwiesen wurde. Bei Überweisung sollten zuerst sämtliche vorliegende medizinische Befunde gesichtet werden
(eventuell wurde bereits im Vorfeld mit
dem Fachkollegen Kontakt aufgenommen
und der Fall interdisziplinär erörtert). In
diesem Fall kann gleich mit der osteopathischen Diagnostik einschließlich einer ausführlichen Schmerzanamnese begonnen
werden. Kommt der Patient jedoch ohne
vorhergehende fachärztliche Abklärung,
so richtet sich die Anamnese zuerst auf
die Symptomatik des Herzens, der Gefäße
und der Lunge (einschließlich der Medikamente) und die Familienanamnese. Daran
schließt eine orientierende Untersuchung
des Herzens, der Gefäße und der Lunge an.
Sollten hier Auffälligkeiten bestehen, wird
der Patient zum entsprechenden Facharztkollegen oder Allgemeinmediziner zur weiteren Abklärung überwiesen.
Anleitung zur adäquaten WS-Haltung. Bei
Bedarf werden physikalische Therapien
wie beispielsweise myofasciale Stoßwelle,
Elektrotherapie, Wärmeanwendungen sowie Neuraltherapie etc. hinzugenommen.
Bei unauffälligem Befund erfolgt nun eine
Untersuchung der gesamten Wirbelsäule
und der Extremitäten. Hier ist insbesondere auf Fehlhaltungen, Bewegungseinschränkungen und Schmerzangaben zu
achten. Von Seiten des Bewegungsapparates sollten insbesondere Hinweise auf
Wirbelkörpereinbrüche bei Osteoporose,
rheumatische Erkrankungen, Hinweise auf
ossäre Metastasierungen oder Primärtumore genauestens erfasst werden. Anschließend erfolgt noch eine neurologische
Untersuchung, vor allem eine Myelopathie
der UEX oder radikuläre Symptomatiken
thorakal gilt es auszuschließen.
Die gesamten erhobenen Befunde ergeben
nun in Zusammenschau mit der Anamnese ein Bild der Schmerzursache. Die Diagnostik wird in den meisten Fällen durch ein
konventionelles Röntgen der BWS in zwei
Ebenen im Stehen ergänzt. Eine weiterführende Bildgebung mittels CT/MRT ist nur in
Ausnahmefällen, bei konkretem Verdacht
auf intraossäre oder neurologische Symptomatik notwendig. Eventuell kann eine
Blutuntersuchung durchgeführt werden.
Osteopathisch finden sich hierbei häufig
Hypomobilitäten, TH2-4 in Steilstellung,
verminderte Kyphose mit CTG-Dysfunktionen der entsprechenden Rippen auf der
schmerzdominanten Seite. Dabei kommt
es oft auch zu einem Druckschmerz an der
zugehörigen Synchondrose. Sind Dysfunktionen TH4-6 zu finden, zeigen sich auch
fast immer schmerzhafte viszerale Dysfunktionen in Epigastrium/Magen/Leber.
Bei Patienten nach kardialen/mediastinalen
Operationen kann eine erhöhte Spannung
der mediastinalen Strukturen diagnostiziert
und dabei der Schmerz unmittelbar ausge-
Thinkstock
Wenn dieser „allgemeine“ Teil der Untersuchung abgeschlossen ist, erfolgt eine
ausführliche manuelle osteopathische Diagnostik von somatischen Dysfunktionen nach
den Kriterien TART an der Brustwirbelsäule
(„Blockierungen“), den Costotransversalgelenken, dem Sternum mit den Synchondrosen, der Interkostalmuskulatur und der
Rückenmuskulatur. Danach erfolgt die viszeral-osteopathische Untersuchung (nach
denselben Kriterien wie parietal thorakal)
von Herz, Lunge, Mediastinum, Zwerchfell,
Magen, Leber und gegebenenfalls auch der
Nieren sowie von Dünn- und Dickdarm.
Die osteopathische Medizin bietet eine
Vielzahl an verschiedenen Behandlungstechniken an, von manipulativem HVLA
(High velocity low amplitude) über MFR
(Myofascial release), MET (Muskelenergietechniken), BLT (Balanced ligamentous
tension) bis zu sanften Techniken im Viscerum, den Gefäßen und Nerven. Eine umfangreiche Ausbildung ermöglicht es dem
Osteopathen, die einzelnen Techniken dem
Patienten anzupassen und ein bestmögliches Behandlungsergebnis zu erzielen.
löst werden. Auch auf Veränderungen der
Haut (Schwitzen, Unreinheit) im Dermatom
wird genauestens geachtet. Entsprechende
Reflexzonen nach Jarricot geben Hinweise auf Störungen innerer Organe, ebenso
Chapman-Reflexpunkte, welche thorakalventral, nahe am Sternum in den Intercostalräumen aufgefunden werden.
Abschließend werden die erhobenen Befunde mit dem Patienten ausführlich besprochen und das weitere Behandlungsregime festgelegt. In Summe sind für die gesamte Diagnostik mindestens 45 Minuten
einzuplanen.
OSTEOPATHISCHE THERAPIE
Der Umfang und die Häufigkeit der Behandlung richten sich nach der Schwere
der Erkrankung, der Dauer der Symptomatik und dem individuellen Ansprechen
des Patienten auf die Behandlung. Erfahrungsgemäß sind drei Behandlungen à 45
Minuten im Abstand von einer Woche und
drei weitere Behandlungen alle drei bis vier
Wochen sinnvoll. Zudem erhält der Patient
ein individuelles Eigenübungsprogramm,
vor allem zur Mobilisation der BWS sowie
Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine rasche
Besserung bei primärer Behandlung der
BWS mit myofascialen und manipulativen
Techniken zu erzielen ist. Anschließend
werden die CTG behandelt. Des Weiteren
erfolgt die Behandlung dysfunktioneller
innerer Organe und des Zwerchfells. Abschließend werden noch detonisierend
myofasciale Techniken und Techniken
zur Behandlung des thorakalen Sympathikus angewendet. Bei sehr irritierbaren
schmerzgeplagten Patienten muss in den
ersten Sitzungen oft auf manipulative
Techniken gänzlich verzichtet werden. Dieser Behandlungsablauf hat sich in den letzten Jahren bei vielen Patienten mit Thoraxschmerzen bewährt. Der Behandlungsablauf und die verwendeten Techniken unterscheiden sich jedoch von Therapeut zu
Therapeut, entsprechend der individuellen
Ausbildung und Erfahrung.
Wichtig ist, dass der Patient ein adäquates Eigenübungsprogramm selbstständig langfristig durchführt, um Rezidive zu
vermeiden. Eine regelmäßige, dauerhafte
Behandlung über einen längeren Zeitraum
ist nur in Ausnahmefällen notwendig. Eine
„Abhängigkeit“ des Patienten von „seinem“
Osteopathen ist unbedingt zu vermeiden.
Osteopathische Behandlungsserien im Intervall, mit entsprechenden Pausen in der
Behandlung und Eigenmanagement durch
den Patienten, sind bei chronischen Beschwerden einer regelmäßigen Dauerbehandlung vorzuziehen.
*Deklaration Osteopathie des European Register for
Osteopathic Physicians /EROP, www.erop.org
SCHMERZ NACHRICHTEN
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