Nebenwirkungen medikamentöser Therapie in der Neurologie

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O. Kastrup, D.M. Hermann, H.C. Diener
Nebenwirkungen
medikamentöser
Therapie in der Neurologie
ISBN 978-3-17-024543-3
Kapitel M1 aus
T. Brandt, H.C. Diener, C. Gerloff (Hrsg.)
Therapie und Verlauf
neurologischer Erkrankungen
6., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2012
Kohlhammer
BDG_neu.book Seite 1487 Mittwoch, 15. August 2012 9:16 09
M1
Nebenwirkungen medikamentöser Therapie in der
Neurologie
von O. Kastrup, D. M. Hermann und H. C. Diener*
Unerwünschte Medikamentenwirkungen stellen ein
erhebliches Versorgungsproblem in der Medizin
dar. In der ambulanten Versorgung weisen 20 % aller
älteren Patienten Arzneistoff-Nebenwirkungen auf,
die zum Absetzen oder Wechsel der Präparate zwingen (Shi et al. 2008). Etwa 5–10 % aller Hospitalisierungen sind auf Arzneistoff-Nebenwirkungen
zurückzuführen (Shi et al. 2008). Unter den Arzneistoffen, die in besonderer Weise zur Hospitalisierung führen, sind zahlreiche Substanzen, die in der
Neurologie zum Einsatz gelangen, nämlich Blutdruckmittel, Antikoagulanzien und Digitalispräparate (Shi et al. 2008).
Viele in der Neurologie gebräuchliche Medikamente
haben ihren Angriffspunkt im zentralen oder peripheren Nervensystem. Derartige Arzneistoffe verursachen 2–4 % aller stationären Aufnahmen (Dickey und Moro 1990). Nebenwirkungen dieser
Arzneistoffe sind ebenfalls oft zentralnervöser Natur. Infolge der Gabe derartiger Substanzen treten
typischerweise Schwindelbeschwerden, Gleichgewichtsstörungen, kognitive Störungen oder Schlafstörungen auf. Das Vorhandensein zentralnervöser
Nebenwirkungen impliziert, dass die Substanzen in
der Lage sind, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, die für die allermeisten Arzneistoffe eine
unüberwindbare Diffusionsbarriere darstellt (Hermann et al. 2006). Bemerkenswerterweise ist die
Blut-Hirn-Schranke allerdings bei vielen neurologischen Erkrankungen gestört. Auch im Alter besitzt
die Blut-Hirn-Schranke eine erhöhte Permeabilität.
Dies dürfte ein wichtiger Grund für das häufige Auftreten von Arzneistoff-Nebenwirkungen in dieser
Patientengruppe sein.
Auch andere Aspekte sollten bei der ArzneistoffTherapie älterer Menschen Berücksichtigung finden. Die Resorption oral aufgenommener Arzneistoffe erfolgt bei älteren Menschen etwas verzögert
(Shi et al. 2008). Dies ist vermutlich auf die reduzierte Darmperistaltik, die verminderte Darmdurchblutung und geringerer Absorptionsflächen
im Darm zurückzuführen. Arzneistoffe fluten somit
langsamer als bei jungen Menschen im Körper an.
Das Verteilungsvolumen der Arzneistoffe hingegen
nimmt aufgrund der im Regelfall bestehenden Zunahme der Körpermasse zu, was für lipophile Substanzen zu niedrigeren, für hydrophile Substanzen,
angesichts des verhältnismäßig kleineren wässrigen
Verteilungsraums, zu höheren Plasmakonzentrationen führt (Shi et al. 2008). Für zahlreiche hydrophile
Pharmaka, wie z. B. Digoxin, kann hieraus die Notwendigkeit einer Dosisreduktion resultieren.
Die Plasmaeiweißbindung wird durch das Alter
wahrscheinlich nicht nennenswert beeinflusst. Allerdings kann es infolge von Hyponatriämien im Zusammenhang mit anderen medizinischen Zuständen, z. B. einer Niereninsuffizienz, zu verminderter
Plasmaeiweißbindung kommen, weshalb Arzneistoffe im Blut vermehrt in freier, d. h. ungebundener
Form vorliegen. Hieraus kann eine Arzneiüberdosierung erfolgen, die unter Umständen klinisch
symptomatisch wird. Als Konsequenz der Reduktion des Lebervolumens und der Leberdurchblutung
verlangsamt sich im Alter der hepatische Stoffwechsel (Shi et al. 2008). Aus diesem Grund ist die Arzneistoff-Clearance, insbesondere im Rahmen von
Cytochrom-P450 abhängigen Phase-I-Stoffwechselprozessen, vermindert. Dies in Zusammenhang mit
einer oftmals ebenfalls bestehenden Niereninsuffizienz kann Konsequenzen für die Arzneistoff-Elimination haben, sodass Medikamente verstärkt im Blut
anfluten.
Polypharmazie und Polypragmasie sind wichtige
Gründe für das Auftreten unerwünschter Arzneistoffwirkungen in der Medizin. Vor dem Hintergrund der oftmals bestehenden Multimorbidität
sind ältere Menschen vorrangig von diesem Problem betroffen (Hermann 2010). Beim Einsatz multipler Arzneistoffe steigt die Rate unerwünschter
Wirkungen keinesfalls linear, sondern exponentiell
mit der Medikamentenzahl. Durch ArzneistoffInteraktion kann es zur wechselseitigen Verdrängung der Substanzen aus ihrer Plasmaeiweißbindung mit hieraus resultierendem Anstieg der Konzentration freier Arzneistoffe kommen, darüber
hinaus zur wechselseitigen Beeinflussung der zentralnervösen Arzneistoff-Elimination über die Induktion und Inhibition von Blut-Hirn-Schrankeständigen Transportproteinen sowie zu wechselseitigen Veränderungen des Arzneistoffmetabolismus über die Induktion oder Inhibition von hepatischen Cytochrom P450 Oxidasen.
Aus den genannten Gründen sollte der VielfachEinsatz von Medikamenten i. S. einer symptomorientierten Polypragmasie insbesondere bei älteren
Menschen kritisch evaluiert werden. Arzneistoffe
mit unscharf umrissener Indikation – Benzodiazepine, Neuroleptika und Schmerzmittel sind hierfür
ein gutes Beispiel – sollten, wenn möglich und ärzt-
* Autoren dieses Kapitels in der 5. Auflage: O. Kastrup und H. C. Diener.
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Therapieinduzierte Nebenwirkungen in der Neurologie
lich vertretbar, weggelassen werden. Benzodiazepine, Neuroleptika und Schmerzmittel sind ein häufiger Grund für Stürze im Alter (Hegemann et al.
2009). Benzodiazepine beeinflussen aufgrund ihrer
die Muskeln relaxierenden und sedierenden Wirkung zudem die Rehabilitation der Patienten in ungünstiger Weise. Neuroleptika erhöhen wahrscheinlich auch noch die kardiovaskuläre Mortalität (Ray
et al. 2001).
Im Folgenden wird auf Medikamentengruppen, die
in der klinischen Neurologie von besonderer Bedeutung sind, im Einzelnen eingegangen.
M 1.1 Zentral wirksame Pharmaka
M 1.1.1 Neuroleptika
Neuroleptika wirken sedierend und antipsychotisch.
Sie entfalten ihre Wirkung neben der Blockade von
anderen Neurotransmittern hauptsächlich über eine
Blockade der Dopaminrezeptoren, nicht nur im
mesolimbischen Bereich, sondern bei klassischen
Neuroleptika ausnahmslos und bei atypischen Neuroleptika geringer im extrapyramidal-motorischen
(nigrostriatalen) System und im Hypothalamus. Die
extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen sind
an die im extrapyramidal-motorischen System
angreifende antidopaminerge Potenz gekoppelt.
Weitere Nebeneffekte werden durch die antimuskarinerge, antinikotinerge, antiserotonerge, antihistaminerge und alphablockierende Wirkung der Neuroleptika ausgelöst.
Wichtigste Nebenwirkungen
Von den typischen Neuroleptika bewirken insbesondere Phenothiazine und Thioxanthene durch
die Blockade von Alpharezeptoren eine orthostatische Hypotension. Die kardiotoxische Wirkung
führt insbesondere bei trizyklischen Neuroleptika
zu Repolarisationsstörungen. Phenothiazine können insbesondere bei vorbestehender kardialer
Schädigung einen AV-Block und Tachykardien bis
zum Kammerflimmern provozieren. Besonders
trizyklische und klassische Neuroleptika haben
häufig anticholinerge Nebenwirkungen: Mundtrockenheit, Obstipation, Harnverhalt bei Prostataadenom, Akkomodationsstörungen und Engwinkelglaukom. Neuroleptika können Hautreaktionen mit
Erythem, Fotodermatitis und Exantheme hervorrufen. Seltene Nebenwirkungen sind: Atemdepression (nur bei vorbestehender respiratorischer
Insuffizienz), Temperaturregulationsstörung mit
Hyperthermie, Hyperprolaktinämie mit Galaktorrhoe und Impotenz, Amenorrhoe und Gewichtszunahme. Sehr selten kommt es zu Agranulozytose,
häufig allerdings zu einer isolierten, zum Teil passageren Leukopenie (bis zu 10 % der behandelten Patienten). Neuroleptika können hepatotoxisch wirken.
Nebenwirkungen im Bereich des peripheren
und zentralen Nervensystems
Alle typischen Neuroleptika bewirken im Bereich
des motorischen und extrapyramidal-motorischen
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Systems Nebenwirkungen (siehe Kap. J 3). Im Einzelnen kommt es gehäuft zu:
a) Parkinsonoid (4–30 %) mit Hypokinese, mimischer Starre, axialer Apraxie und geringem Tremor;
b) Frühdyskinesien (2–10 %) mit tonischen
Zungen- und Schlundkrämpfen, Dyskinesien des
Gesichts, Blickkrämpfen mit okulogyren Krisen,
Torsionsdystonie und choreatiformen Bewegungsabläufen. Selten sind Myoklonien. Akute Dyskinesien werden mit Anticholinergika wie Biperiden
(Akineton®) intravenös behandelt;
c) Akathisie (7–10 %). Dieses ist eine quälende Unruhe in den Beinen mit dem Zwang umherlaufen zu
müssen. Anticholinergika sind hierbei relativ wirkungslos, Dosisreduktion oder Umsetzen auf atypische Neuroleptika ist nötig. Die oben genannten Nebenwirkungen (a bis c) bilden sich zumeist nach
Absetzen der Neuroleptika folgenlos zurück.
d) Spätdyskinesie tritt bei individueller Prädisposition nach langfristiger Neuroleptika-Therapie auf.
Das Risiko steigt mit der neuroleptischen Potenz,
dem Alter und der Behandlungsdauer. Es treten
Hyperkinesen, vor allem orofazial wie auch choreatiforme, ballistische oder athetoide Bewegungsstörungen auf. Bei der auch als Spätdyskinesie gewerteten sogenannten tardiven Dystonie treten
insbesondere axial dystone Phänomene auf. Zerebrale Vorschädigung prädisponiert zur Entwicklung
von Spätdyskinesien. Die Therapie der Spätdyskinesie ist schwierig und häufig unbefriedigend, weshalb
ihre Prävention besonders wichtig ist. Da besonders
hochpotente Neuroleptika die Ausbildung von Spätdyskinesien auslösen können, sollten diese möglichst niedrig dosiert und nicht langfristig verabreicht werden. Die Symptome nehmen nach
Reduktion der Neuroleptika vorübergehend zu. Als
langfristige Therapieoption ist Neuroleptikaverzicht
(wenn möglich) oder alternativ das Umsetzen auf
atypische Neuroleptika (Clozapin, Leponex®
Olanzapin, Zyprexa® oder Quetiapin, Seroquel®) erforderlich. Kurzfristig kann die Gabe von Clonazepam (Rivotril®) sinnvoll sein, auch wurden unter
hoch dosierter Gabe von Vitamin E (1 600 I. E./d
über 8 Wochen) oder Sulpirid bis 600 mg/d (Dogmatil®) positive Effekte berichtet.
Unter den klassischen Neuroleptika können insbesondere Thioxanthene und Phenothiazine über eine
Senkung der Krampfschwelle zu einer Auslösung
von Grand mal-Anfällen führen. Dieses muss insbesondere bei Patienten mit einer Epilepsie berücksichtigt werden. Die Wirkung von Phenytoin und
anderen Antiepileptika kann hierdurch antagonisiert werden. Eine bedenkenswerte Nebenwirkung
aller, selbst schwach potenter Neuroleptika kann
eine neuroleptikainduzierte Depression sein. Dieses
gilt auch für intramuskulär verabreichte DepotNeuroleptika in der Indikation als Tranquilizer wie
Fluspirilen (z. B. Imap®) oder Flupentixol (Fluanxol®). Eine sehr seltene und gravierende Nebenwirkung ist das maligne Neuroleptika-Syndrom mit
hohem Fieber, Tachykardie, Inkontinenz, massivem
Rigor und Bewusstseinstrübung bis zum Koma. Parallel steigen CK und LDH an. Unbehandelt beträgt
die Mortalität über 50 %. Therapeutisch werden
Dopaminagonisten, Amantadin (PK-Merz®) oder
Dantamacrin intravenös (Dantrolen®, 4–10 mg/kg
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Nebenwirkungen medikamentöser Therapie in der Neurologie
Tab. M 1.1:
Medikamente mit extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen
Antihistaminika
Doxorubicin
Metoclopramid
Carbamazepin
Fenfluramin
Ondansetron
Chloroquin
Flunarizin
Papaverin
Cimetidin
Fluoxetin
Phenytoin
Cinnarizin
L-Dopa
Reserpin
Lithium
Valproat
Selten
Häufig
Sehr häufig
Chlorprothixen
Chlorpromazin
Benperidol
Levomepromazin
Perphenazin
Flupentixol
Pipamperon
Triflupromazin
Fluspirilen
Neuroleptika
Perazin
Haloperidol
Promethazin
Pimozid
Sulpirid
Thioridazin
Körpergewicht/Tag) empfohlen. Auch die Elektrokrampf-Therapie (EKT) ist wirksam.
prid (Solian®) zeigt als eher niederpotentes atypisches Neuroleptikum kaum EPMS.
Unter Therapie mit hochpotenten Neuroleptika
(Haloperidol, Benperidol) wurden plötzliche Todesfälle beobachtet, deren Genese unklar ist (Herzstillstand?, Bulbärparalyse?). Neuere Studien zeigten bei
alten dementen Patienten auch bei Verwendung moderner Atypika (auch Olanzapin, Quetiapin) eine erhöhte zerebrovaskuläre Mortalität, sodass bei der
Verwendung in der Indikation »Dämpfung von Agitiertheit bei Dementen« zu größerer Vorsicht geraten wird. Risperidon hat als einziges Atypikum die
Zulassung zur Therapie dementer Patienten.
Absolute Kontraindikationen
M 1.1.1.1 Atypische Neuroleptika
Insbesondere das atypische Neuroleptikum
Clozapin (Leponex®) zeigt bis auf Einzelfallberichte
keine extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen und kann unter Beachtung des AgranulozytoseRisikos und der obligaten wöchentlichen Blutbildkontrollen (für 18 Wochen und dauerhaft alle 4 Wochen) bei Patienten mit unvertretbar starken Frühoder Spätdyskinesien nach klassischen Neuroleptika
verabreicht werden. Auch bei Patienten mit Morbus
Parkinson kann Clozapin antipsychotisch eingesetzt
werden. Auch Clozapin selber kann bei prädisponierten Patienten über die Senkung der Krampfschwelle Krampfanfälle auslösen. EEG-Veränderungen mit schwerer Allgemeinveränderung und steilen
Abläufen ohne klinisches Korrelat sind nicht selten.
Die Hoffnung, dass auch die anderen atypischen
neuen Neuroleptika weniger extrapyramidale Nebenwirkungen haben, hat sich leider nicht erfüllt.
Risperidon (Risperdal®) hat laut neueren Studien
eine verglichen mit Haloperidol nicht deutlich niedrigere Rate an extrapyramidal-motorischen Symptomen (EPMS). Olanzapin (Zyprexa®) scheint allerdings im Vergleich zu Haloperidol seltener EPMS
auszulösen (19 versus 45 %). Quetiapin (Seroquel®)
scheint auch deutlich seltener EPMS auszulösen und
ist dementsprechend als Alternative zu Clozapin
auch bei Parkinson-Patienten zu erwägen. Amisul-
Patienten mit Parkinson-Syndromen sollten als absolute Kontraindikation nicht mit klassischen Neuroleptika behandelt werden. Relative Kontraindikationen stellen dar: Epilepsie, Glaukom, arterielle
Hypotonie, Depressionen, Ulcus ventriculi und
duodeni, Niereninsuffizienz und Herzinsuffizienz.
Wechselwirkungen
Neuroleptika können die Wirkung von Antihypertensiva, Antihistaminika und Sedativa potenzieren.
Es besteht bei gleichzeitiger Gabe von Kaffee, Tee,
Cola-Getränken, Milch, Antazida und Anticholinergika eine verminderte Resorption. Wirkungsverstärkung findet sich bei gleichzeitiger Einnahme
von Antikonvulsiva, Phenylbutazon, Lithium,
Doxycyclin und bei Rauchern (Nikotin).
Rückbildungstendenz der Nebenwirkungen
Nach Absetzen bilden sich Nebenwirkungen gut
und rasch zurück. Spätdyskinesien können allerdings persistieren.
M 1.1.2 Thymoleptika
Die klassischen trizyklischen Antidepressiva ähneln
sich sehr im Spektrum ihrer zentral-nervösen Nebenwirkungen. Hierbei kann es durch eher sedierende Antidepressiva, wie Amitriptylin (z. B. Saroten®), Doxepin (Aponal®) oder Trimipramin (z. B.
Stangyl®), zu zentraler Dämpfung mit Sedierung
und Müdigkeit, bei Überdosierung auch Eintrübung
kommen. Aktivierende Antidepressiva wie z. B.
Desipramin (z. B. Pertofran®), Imipramin (z. B. Tofranil®) können zur Antriebssteigerung mit innerer
Unruhe und Schlafstörung führen. Dieses gilt auch
für MAO-Hemmer, wobei ältere MAO-Hemmer
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Therapieinduzierte Nebenwirkungen in der Neurologie
(Tranylcypromin, Jatrosom®) wegen ihrer zahlreichen Nebenwirkungen nur beschränkt eingesetzt
werden sollten. Neue selektive MAO-A-Hemmer
wie Moclobemide (Aurorix®) erlauben wegen ihrer
guten Verträglichkeit eine breitere Anwendung.
Wichtigste Nebenwirkungen
Bei Behandlungsbeginn können Tachykardien, orthostatische Hypotension und bei vorbestehender
Herzerkrankung Rhythmusstörung sowie ein AVBlock auftreten. Häufige Nebenwirkungen sind bei
trizyklischen Antidepressiva orthostatische Hypotension, verminderte Magenmotilität, Mundtrockenheit, Harnverhalt, vor allem bei Prostata-Adenom, Impotenz, Erhöhung des Augeninnendrucks
und Hörstörungen. Seltene Nebenwirkungen sind
Blutbildveränderungen mit Thrombozytopenie und
Agranulozytose (selten bei Mianserin, Tolvin®)
sowie die Entwicklung eines cholestatischen Ikterus. MAO-Hemmer können Leberschäden, Hyperund Hypotension, Gewichtszunahme und Obstipation verursachen, Moclobemide (Aurorix) verursacht als relevante Nebenwirkung Irritation und
Unruhe. Bei alten Patienten mit Ulcusleiden kann
es unter SSRI zu vermehrtem Magenbluten kommen.
Nebenwirkungen im Bereich des peripheren
und zentralen Nervensystems
Trizyklika können zu zentraler Dämpfung mit
Müdigkeit (Amitriptylin, Doxepin oder Trimipramin) oder zur Antriebssteigerung mit innerer
Unruhe und zu Schlafstörungen (Desipramin, Imipramin) führen. Gefährlich ist das besonders bei
vorgeschädigten oder älteren Menschen auftretende
zentral-anticholinerge Intoxikationssyndrom (ZAS)
mit vegetativen Entgleisungen und Verwirrtheitszuständen bis zum Delir (Kastrup et al. 2000). Es tritt
zumeist auf bei Überdosierung eines oder in der
Kombination mehrerer anticholinerg wirkender
Thymo- oder Neuroleptika. Durch trizyklische
Thymoleptika kommt es zu einer Senkung der
Krampfschwelle, wobei insbesondere auch das tetrazyklische Maprotilin (Ludiomil®) zur Krampfschwellensenkung und deutlichen EEG-Veränderungen führen kann. Zu Beginn der Behandlung
kommt es unter Trizyklika häufiger zu Parästhesien
und Kopfschmerzen, bei Langzeitbehandlung in höheren Dosen tritt ein hochfrequenter Haltetremor
auf. Therapeutisch ist, falls eine Dosisreduktion
nicht möglich ist, die Beigabe eines Betablockers,
z. B. Propranolol hilfreich. Spezielle Nebenwirkungen der neueren nicht-trizyklischen Thymoleptika
sind die Auslösung von Migräneattacken bei Viloxazin (Vivalan®) sowie parkinsonoidartige und
extrapyramidale Nebenwirkungen bei Fluoxetin
(Fluctin®). Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Fluoxetin (Fluctin®), Fluvoxamin (Fevarin®), Citalopram (Cipramil®), Sertralin
(Gladem® oder Zoloft®) und Paroxetin (Seroxat®
oder Tagonis®) verursachen in der genannten Reihenfolge in absteigender Häufigkeit Unruhe, Tremor und Schlaflosigkeit. Die neuen Antidepressiva
der Gruppe der Noradrenalin-Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (NSRI) wie Venlafaxin (Trevilor®) können Agitiertheit, Angst, Schwindel und
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Sehstörung auslösen. Die neuere Substanz Duloxetin (Cymbalta®) löst ähnliche NW, zumeist aber
Nausea aus. Noradrenerge und spezifisch seroteninerge Antidepressiva (NaSSA) wie Mirtazapin
(Remergil®) können ähnliche Nebenwirkungen haben, führen allerdings häufiger zu einer Sedierung.
Auch unter Therapie mit Nefazodon (Nefadar®)
kommt es gelegentlich zur Sedierung. Der erste selektive Noradrenalin-Wiederaufnahme-Inhibitor
(selektiver NARI) Reboxetin (Edronax®) scheint bis
auf einen leichten Tremor keine gravierenden ZNSNebenwirkungen zu haben. Häufiger wird allerdings über Blasenstörungen geklagt, bei rascher
Aufdosierung über Schwindel und Übelkeit. Die
neue Substanzgruppe der Melatoninagonisten wie
Agomelatonin (Valdoxan®) scheint bis auf initiale
Müdigkeit und Schwindel nebenwirkungsarm.
Tab. M 1.2:
Medikamente, die Verwirrtheitszustände
und Delirien auslösen können
Amantadin
Antiarrhythmika (Disopyramid, Giluritmal, Mexiletin,
Propafenon)
Antihistaminika
Anticholinergika (Biperiden, Benzatropin,
Trihexyphenidyl)
Amphetamine
Atropin
Baclofen
Barbiturate
Benzodiazepinentzug
Betablocker
Bromocriptin
Chinidin
Glukokordicoide
Glykoside
Isoniazid
L-Dopa
Lisurid
Lokalanästhetika (paravasal oder i v.)
Meprobamat
Methyldopa
Miconazol
Morphin
Neuroleptika (Phenothiazine und Thioxanthene
z. B. Perazin)
Pergolid
Opiatentzug
Reserpin
Scopolamin
Spironolacton
Sympathomimetika
Theophylline
Thymoleptika (nur anticholinerg wirkende Tri- und
Tetrazyklika, z. B. Amitritpylin, Imipramin, Maprotilin)
Valproat
Vigabatrin
Zolpidem
Absolute Kontraindikationen
Eine Kombination mit Sedativa und hochpotenten
Neuroleptika muss mit Vorsicht erfolgen. Kontraindikationen sind Epilepsie, akute Schizophrenie, Delir, Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen und
Niereninsuffizienz.
Wechselwirkungen
Nebenwirkungen der Thymoleptika werden durch
die gleichzeitige Gabe von Neuroleptika, hormona-
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