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SCHLOSS HEIDELBERG
NEUBAU BESUCHERZENTRUM
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08.02.2012 09:44:36
SCHLOSS HEIDELBERG
NEUBAU BESUCHERZENTRUM
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INHALTSVERZEICHNIS
SCHLOSS HEIDELBERG
NEUBAU BESUCHERZENTRUM
GRUSSWORTE
Dr. Nils Schmid MdL
Stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Finanzen und Wirtschaft des Landes Baden-Württemberg
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Dr. Eckart Würzner
Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg
BAULICHE ENTWICKLUNG UND PERSPEKTIVEN VON SCHLOSS HEIDELBERG
Ministerialdirigent Thomas Knödler
Leiter der Staatlichen Vermögens- und Hochbauverwaltung Baden-Württemberg
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DAS HEIDELBERGER SCHLOSS UND DER NEUBAU DES BESUCHERZENTRUMS
Abteilungsdirektor Prof. Dr. Michael Goer
Stellvertretender Leiter des Landesamtes für Denkmalpflege Baden-Württemberg
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GESTALTUNGSGRUNDSÄTZE FÜR DAS BESUCHERZENTRUM
Prof. Max Dudler
Architekt, Berlin
15
DAS HEIDELBERGER SCHLOSS – ORT DER ERFINDUNG MODERNER DENKMALPFLEGE
Baudirektor Peter Thoma
Abteilungsleiter Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Amt Mannheim
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WEITERE BAUMASSNAHMEN IN DER SCHLOSSANLAGE
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PLANUNGSDATEN / PLANUNGSBETEILIGTE / AUSFÜHRENDE FIRMEN
44
IMPRESSUM
48
3
Besucherzentrum am
Eingang zur Schlossanlage
4
Dr. Nils Schmid MdL
Stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Finanzen und Wirtschaft des Landes Baden-Württemberg
Das Land Baden-Württemberg besitzt mit Schloss Heidelberg ein
herausragendes Kulturgut von internationalem Rang. Die Erhaltung und Präsentation dieses Kulturgutes aus einstmals wehrhaften
und heute kunsthistorisch bedeutenden Bauten ist für die Landesregierung ein hohes Gut. Der Bau des Besucherzentrums ist Beleg
für die Wertschätzung, die dieses romantisch anmutende Schlossensemble in unserem Lande genießt.
Hoch über dem Neckartal auf einer Terrasse des Königstuhls steht
weithin sichtbar das Schloss Heidelberg, das Wahrzeichen der Stadt
Heidelberg. Es ist ein über Jahrhunderte gewachsener Nachfolgebau einer im 13. Jahrhundert errichteten Burg. Das Heidelberger
Schlossensemble steht für deutsche Geschichte, deutsche Romantik
und beispielhafte Denkmalpflege.
Die ruinenhaften Bauwerke der Schloss- und Gartenanlage sind
Zeugnis einer über mehrere Jahrhunderte dauernden, glanzvollen
und wechselhaften Zeit der Kurfürsten von der Pfalz. Die Karlsschanze und die Bauten von Ruprecht, Ludwig, Friedrich und
Ottheinrich geben uns heute noch authentische Einblicke in die
Schlossgeschichte.
Mit dem Neubau des Besucherzentrums wird die Schlossgeschichte respektvoll aber selbstbewusst fortgeschrieben. Als modern ausgestattete Informations- und Anlaufstelle für Gäste aus aller Welt
wird das Besucherzentrum einen wertvollen Beitrag dazu leisten,
das Schlossensemble und die Terrassengärten weiterhin mit Leben
zu erfüllen und den Touristen wie Fachkundigen einen Weg zum
Reichtum der Schlossgeschichte zu weisen.
Das Land Baden-Württemberg investiert in die Bauunterhaltung,
Sicherung und museale Präsentation des weitläufigen Heidelberger Schlossensembles jährlich annähernd 2 Millionen Euro. Für den
Neubau des Besucherzentrums wurden im Rahmen des Landesinfrastrukturprogramms 3 Millionen Euro bereitgestellt. Mit der
Sicherung des „Dicken Turms“, der Instandsetzung von Terrassenmauern und dem Umbau der ehemaligen Sattelkammer wird das
Sanierungskonzept an Schloss Heidelberg auch in den kommenden
Jahren fortgeführt. Die Pflege unserer historischen Bauwerke und
Gartenanlagen und die Wahrung unseres kulturellen Erbes bleiben
eine Daueraufgabe.
Mein Dank gilt allen, die sich für den Neubau des Besucherzentrums eingesetzt haben. Durch die gute Zusammenarbeit der Planer und Bauschaffenden ist hier ein einzigartiges, architektonisch
und funktional gelungenes Informationszentrum entstanden.
Ich wünsche mir, dass alle Besucher des Heidelberger Schlosses
das Informationszentrum rege nutzen. Mit fundiertem Wissen lässt
sich die Geschichte des Kulturgutes Schloss Heidelberg intensiver
erleben und genießen.
5
Die Schlossanlage liegt auf einer vorgelagerten
Bergterrasse 80 m über der Altstadt
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Dr. Eckart Würzner
Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg
Längst schon hat Heidelberg sich vom einstmals romantisch-beschaulichen Städtchen zum international bedeutsamen Wissenschaftsstandort gewandelt, dessen wirtschaftliche Stärke vor allem
auch auf der erfolgreichen Umsetzung und Anwendung der hier
erzielten Forschungsergebnisse – unter anderem auf den Gebieten
der Medizin, Gentechnik und Informatik – aufbaut. Aber auch der
Tourismus stellt nach wie vor einen wichtigen Wirtschaftszweig für
die Stadt und ihre Bewohner dar. Seit es den Fremdenverkehr gibt,
sind die historische Altstadt Heidelbergs und vor allem das sich
stadtbildbestimmend darüber erhebende Schloss die Ziele von Millionen Besucherinnen und Besuchern aus aller Welt.
Diesem großen Interesse an dem zu den herausragenden Kulturobjekten Deutschlands gehörenden Heidelberger Schloss hat das
Land Baden-Württemberg als dessen Eigentümer jetzt Rechnung
getragen und im Eingangsbereich des Schlossgartens das neue Besucherzentrum errichtet. Dessen Service-Einrichtungen sollen den
Gästen einen angenehmen Aufenthalt und einen perfekten Ablauf
ihres Besuchs im Schloss und Schlossgarten ermöglichen. Dazu gehören Informationen, Shop und Vortragssaal, Kassen und Toiletten,
Aufenthaltsbereich, Aussichtsterrasse, Personalräume und Räume
für die Schlossführer.
zurückhaltend in das Ensemble der Wehranlage der Renaissancezeit
eingefügt. Das neue Besucherzentrum wirkt wie ein monolithischer
Block mit Mauern aus Sandstein und einer unregelmäßig gegliederten Silhouette. Seine großen Öffnungen lenken die Perspektiven gezielt auf die Schlossanlage.
Das Land Baden-Württemberg hat über sein Landesinfrastrukturprogramm 3 Millionen Euro in den Neubau investiert. Dafür danke
ich den Verantwortlichen in der Landesregierung und dem Amt
Mannheim von Vermögen und Bau Baden-Württemberg sehr herzlich. Die Heidelbergerinnen und Heidelberger wissen, was sie an
ihrem Erbe aus kurfürstlicher Zeit haben. Die Aufwertung, die das
Schloss durch das neue Besucherzentrum erfährt, ist zugleich eine
Aufwertung für die Besucherqualität der ganzen historisch-romantischen Stadt. Ich wünsche dem Heidelberger Schloss sowie Heidelberg insgesamt weiterhin viele interessierte Besucherinnen und
Besucher zugunsten einer weiteren erfolgreichen Entwicklung für
unser Land und unsere Stadt.
Architekt Prof. Max Dudler hat die Elemente der im Umfeld vorhandenen historischen Architektur aufgegriffen. Er hat das zweigeschossige Gebäude mit seinen rund 490 Quadratmetern Nutzfläche
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Nordseite des Besucherzentrums mit
Haupteingang
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BAULICHE ENTWICKLUNG UND PERSPEKTIVEN VON SCHLOSS HEIDELBERG
Ministerialdirigent Thomas Knödler
Leiter der Staatlichen Vermögens- und Hochbauverwaltung Baden-Württemberg
„Um gut zu wirken, muss eine Ruine den richtigen Standort haben.
Diese hier hätte nicht günstiger gelegen sein können.“
So beginnen die Impressionen des amerikanischen Autors Mark
Twain, nachdem er im Sommer des Jahres 1878 die Ruinen von
Schloss Heidelberg besucht hat. Diese Feststellung hat heute mehr
denn je Gültigkeit.
Die Anfänge des Schlosses reichen bis in das 13. Jahrhundert zurück. Damals beschlossen die rheinischen Pfalzgrafen und späteren
Kurfürsten, sich in Heidelberg mit ihrer Residenz niederzulassen.
So begann die wechselhafte und glanzvolle Geschichte des Heidelberger Schlosses vom Machtzentrum zum heutigen Ort für Romantiker. 1225 wird zum ersten Mal eine Burg erwähnt, die in der
Folgezeit zu einem der repräsentativsten Herrschaftssitze der Hochrenaissance ausgebaut wurde.
Der stufenweise Ausbau der Burganlage zum mittelalterlichen
Stammsitz beginnt 1329 unter Rudolf II. (1306 - 1353), dem ersten
pfälzischen Kurfürsten. Bereits Ruprecht I. (1309 - 1390), der auch
die Heidelberger Universität gründete, erweiterte Wohngebäude
und verstärkte die Wehrhaftigkeit der Anlage. Nachfolgende Kurfürsten bauten die Burg zur Festung mit Repräsentationscharakter aus. Türme, Mauern und Wälle sollten vor Überfällen schützen. Der Ruprechtsbau, der Bibliotheksbau und der Ludwigsbau
dienten vor allem der Repräsentation und zur Machtdemonstration
des Herrschergeschlechts.
Während der Renaissance gelangte das Heidelberger Schloss
zu seiner größten Blüte. Der Gläserne Saalbau (1549) markiert
den Übergang von der Gotik zur Renaissance. Der bedeutendste
Renaissancepalast des Schlosses entstand mit dem Ottheinrichsbau (1557- 1559). Kurfürst Ottheinrich ließ mit diesem Gebäude
ein Monument für sich selbst schaffen. Die Burg wird damit zum
Schloss. In den nachfolgenden Jahren entstehen unter anderem
der Friedrichsbau, der Englische Bau und der unvollendete Garten
Hortus Palatinus.
Der Niedergang des Schlosses Heidelberg begann im Dreißigjährigen Krieg. Die Schlossanlage wurde stark beschädigt und Friedrich V. verlor die Kurwürde. Die endgültige Zerstörung folgte,
als französische Truppen 1688/89 und 1693 während des Pfälzischen Erbfolgekrieges für den französischen König im Namen
Ludwigs XIV. die Stadt Heidelberg eroberten. Das Schloss wurde
geplündert, in Brand gesteckt und gesprengt. Von den Zerstörungen im Erbfolgekrieg hat sich das Heidelberger Schloss nie ganz
erholt, es wurde nicht mehr völlig aufgebaut. Weiteren erheblichen
Schaden richtete 1764 ein durch Blitzschlag verursachter Brand an.
Vom einstigen Schloss blieb eine sich selbst überlassene Ruine, die
zeitweise als Steinbruch für hochwertiges Baumaterial diente.
Die Schlossruine erlebt mit der aufkommenden Romantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine zweite Blüte und wird weltberühmt.
Dies ist wesentlich dem französischen Emigranten Graf Charles de
9
Gaimberg (1774-1864) zu verdanken, der sich um den Erhalt des
zerstörten Schlossensembles bemühte. Mit seinen Landschaftsbildern, Forschungen und Publikationen steigerte er die Bekanntheit
Heidelbergs. Er legt damals bereits den Grundstein für einen florierenden Schlosstourismus, auch als Sehnsuchtsort für Romantiker.
Hochbauverwaltung dieses zu pflegen und zu bewahren. Diese Dokumentation soll nicht allein den Neubau des Besucherzentrums
illustrieren, sie soll gleichzeitig den Blick auf die Vielfalt an Bauaufgaben lenken, die im Heidelberger Schloss in der Vergangenheit
bereits zu bewältigen waren und für die Zukunft anstehen.
Das Land Baden-Württemberg hat in den vergangenen 40 Jahren
über 55 Millionen Euro für die Instandhaltung und Pflege dieses
einzigartigen Kulturguts bereitgestellt. Wichtige Meilensteine waren in der jüngsten Vergangenheit die denkmalgerechte Instandsetzung des Königssaals mit Küchenbereich und die statische Sicherungen am Gläsernen Saalbau und an Teilen der Terrassenmauern.
Mit der Sicherung des „Dicken Turms“ und der Instandsetzung der
Sattelkammer stehen ab dem Jahre 2012 weitere Projekte an.
Mit dem Besucherzentrum bekommt das Schloss ein zeitgemäßes
Servicezentrum mit Shop, Infostellen, Kassen, Konferenzraum
und Büroräume für Servicepersonal. Die Staatlichen Schlösser und
Gärten bieten mit diesem „Werkzeug“ den Besuchern einen umfassenden Service: Der Gast wird auf seinen Erkundungsgang durch
das ehemalige Residenzschloss eingestimmt, die Voraussetzungen
für einen reibungslosen Aufenthalt in der weitläufigen Schlossanlage werden geschaffen. Ein Schlossbesuch wird für die Gäste aus
aller Welt noch attraktiver.
Der Neubau des Besucherzentrums war für die Staatliche Vermögens- und Hochbauverwaltung Baden-Württemberg eine große Herausforderung und Verpflichtung zugleich. Ein Neubau an diesem
geschichtsträchtigen Ort! Und dieser Neubau nach dem Entwurf
des Architekten Professor Max Dudler ist meisterhaft gelungen.
Das Besucherzentrum fügt sich unprätentiös zu den Ruinen des
einst prächtigen Schlosses, was in einem Zeitraum von über 3 Jahrhunderten erbaut wurde.
So schillernd die Geschichte des Heidelberger Schlosses, so groß
ist die Aufgabe für das Land und die Staatliche Vermögens- und
10
Die Fertigstellung des Besucherzentrums möchte ich zum Anlass
nehmen, meinen Dank all jenen auszusprechen, die sich während der vergangenen Jahrzehnte für den Erhalt des Heidelberger
Schlosses eingesetzt haben. Mit dem notwendigen Respekt vor der
historischen Bausubstanz hat der Landesbetrieb Vermögen und Bau
Baden-Württemberg, Amt Mannheim gemeinsam mit Architekten
und Fachingenieuren, Gutachtern und nicht zuletzt Handwerkern
und Baufirmen viele Bereiche am Heidelberger Schloss behutsam
instandgesetzt - dafür meinen herzlichen Dank. In Heidelberg wurde in den vergangenen Jahren herausragende Arbeit geleistet.
Die Staatliche Vermögens- und Hochbauverwaltung Baden-Württemberg unternimmt heute und in Zukunft alle Anstrengungen, das
ihr anvertraute kulturhistorische Erbe des Landes zu pflegen, zu
bewahren und für die Bürgerinnen und Bürgern zu öffnen und erfahrbar zu machen. In diesem Sinne wünsche ich Schloss Heidelberg eine weit über die Landesgrenzen hinaus wirkende Strahlkraft,
wie zu Hochzeiten seiner Geschichte.
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Westliche Schlossanlage
v. l. Bibliotheksbau, Gefängnisturm, Hirschgraben und
Elisabethentor, im Hintergrund das Besucherzentrum
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DAS HEIDELBERGER SCHLOSS UND DER NEUBAU DES BESUCHERZENTRUMS
Abteilungsdirektor Prof. Dr. Michael Goer
Stellvertretender Leiter des Landesamtes für Denkmalpflege
Das Heidelberger Schloss zählt für die Kunstgeschichte zu den
bedeutendsten Zeugnissen der Renaissance in Deutschland. Im
Pfälzischen Erbfolgekrieg wurde der Baukomplex 1689 und 1693
von den Franzosen gesprengt und dabei schwer beschädigt. Nach
einem Blitzschlag im Jahre 1764 brannten die vorher nur notdürftig
instand gesetzten Gebäude abermals aus. Es entstand eine Ruine,
die allmählich von der Natur überwuchert und bereits in der Frühzeit der Romantik als etwas ganz Besonderes empfunden wurde.
Nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 mehrten sich
die Stimmen, das Heidelberger Schloss wiederaufzubauen, um die
Schmach der Zerstörung durch das französische Militär gleichsam
aufzuheben. Vergleichbar mit dem Kölner Dom, der Kaiserpfalz in
Goslar oder der Marienburg des Deutschen Ritterordens in Königsberg sollte das ruinöse Schloss der Pfälzer Kurfürsten nunmehr als
Nationaldenkmal rekonstruiert werden.
Nach langjährigen fachlichen und politischen Debatten, dem Heidelberger Schlossstreit, wurde der Friedrichsbau zwischen 1898
und 1903 historisierend wiederhergestellt, der Ottheinrichsbau und
die sonstigen Bauten hingegen blieben nach einer Entscheidung
von 1905 weitgehend unangetastet. Seither gilt das Heidelberger
Schloss als Ausgangspunkt und Symbol einer modernen Denkmalpflege. Der Historiker und Kunsthistoriker Georg Dehio hatte mit
seinem auf den Engländer John Ruskin zurückgehenden Grundsatz
„konservieren, nicht restaurieren“ Geschichte geschrieben.
100 Jahre später zählt das Schloss Heidelberg zu den bedeutendsten
Kulturdenkmalen Baden-Württembergs und besitzt darüber hinaus
internationalen Rang. Mit dem neuen Besucherzentrum wurde
erstmals wieder ein größerer Neubau innerhalb der denkmalgeschützten Anlage errichtet. Bauen im Bestand, insbesondere im und
am Denkmalbestand bedeutet eine besondere Herausforderung für
Städteplaner, Architekten und Denkmalpfleger. Die aktuelle Landesdenkmalpflege wendet sich gegen fragwürdige Lösungen in der
Form historisierender Nachbildungen, Anpassungen oder Rekonstruktionen. Vielmehr favorisiert sie qualitätsvolle Neubauten in
der Sprache der Gegenwart. Moderne Architektur muss aber dort,
wo sie im Kontext mit Kulturdenkmalen, im Kontext mit historischen Stadtstrukturen, im Kontext mit tradierten Ortsbildern
steht, nachdrücklich überlegt sein und eine erkennbare „Brücke zur
Geschichte“ schlagen. Diese Prämisse erfüllt der Neubau des Architekten Max Dudler in vollem Umfang. Damit erfüllt er zugleich
Prinzipien zum Verhältnis von Alt und Neu wie sie bereits Georg
Dehio 1905 in seiner berühmt gewordenen Straßburger Rede zum
Kaisergeburtstag formuliert hatte: „Es kommt gar nicht darauf an,
bei Neubauten in altertümlicher Umgebung das zu wahren, was die
Leute „Stil“ nennen und was in der Regel nichts ist als eine künstliche, unwahre Altertümelei: sondern allein darauf, in den Massenverhältnissen und in der künstlerischen Gesamterhaltung sich dem
überlieferten Straßenbilde anzupassen, was ganz wohl auch in modernen Formen geschehen kann.“
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Aussichtsterrasse mit Konferenzraum
im Obergeschoss
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GESTALTUNGSGRUNDSÄTZE FÜR DAS BESUCHERZENTRUM
Prof. Max Dudler
Architekt, Berlin
„In dies wunderbare Ganze, aus Vergänglichkeit und Ewigkeit, aus
Kunst, Natur und Geschichte zu einem Eindruck zusammengewoben, wie ihn niemals menschlicher Verstand allein, auch nicht des
größten Künstlers, hätte hervorrufen können, will man gewaltsam
eingreifen — will es verbessern!“ schreibt 1901 ein aufgebrachter
Georg Dehio in seiner Streitschrift „Was wird aus dem Heidelberger Schloß werden?“. Es ist der Schlusspunkt einer Debatte, die
1883 mit einer auch nach heutigen Maßstäben richtungsweisenden
Bauaufnahme begann und mit der Einstellung des seinerzeit aktuellen Rekonstruktionsprojekts des Architekten Schäfer endete. Den
Disput darüber, wie mit dem überlieferten Bestand des Schlosses
zu verfahren sei, hat die Residenz, die zuvor schon zum Inbegriff
romantischer Schlossanlagen avanciert war, auch zum Markstein der
denkmalpflegerischen Debatte um das „Konservieren oder Restaurieren?“ gemacht. Das macht es für einen Architekten schwer im
Bereich des Schlosses ein Gebäude zu errichten.
Gleichzeitig ist es ist aber auch ganz leicht: Seit dem Jahr 1303 ist die
Existenz der unteren Burg gesichert (Sigrid Gensichen). Seit über
700 Jahren also wird am Nordhang des Königsstuhls gebaut. Erst im
siebzehnten Jahrhundert ließen die Kurfürsten jene Paläste bauen,
die die Heidelberger Konglomeratanlage aus heutiger Sicht zu einer renaissancistisch bestimmten Residenz machen: Gläserner Saal,
Ottheinrichsbau, Friedrichsbau, Englischer Bau…. Die Substanz des
Schlosses gleicht einem architektonischen Palimpsest, einem immer wieder ausradierten und überschriebenen Text, in dem viel
Ungleichzeitiges direkt nebeneinander steht. Dieser Reichtum an
architektonischen Formen, ja diese starke Identität macht es leicht ,
Anschluss für die Gestaltung einer Ergänzung zu finden.
Durch ihre Aura lebt die romantische Ruine heute im kollektiven
Gedächtnis als Monument fort, auch wenn sie im Verlauf der Zeit
den Zusammenhang mit ihrer ursprünglichen Funktion verloren
hat. Das neue Besucherzentrum will dazu dienen, die Heidelberger
Anlage auch weiterhin mit Leben zu füllen. Es will auch denjenigen Menschen einen Zugang zum Reichtum seiner Geschichte
eröffnen, die ohne sachkundige Anleitung keinen Zugang finden
würden.
Seiner dienenden Funktion angemessen liegt das neue Zentrum
außerhalb des alten Berings direkt am Eingang zu Schloss und
Hortus Palatinus. Eine enorme Stützmauer, die im siebzehnten
Jahrhundert zur langfristigen Befestigung und Sicherung der in
den Hang geschnitten Parkterrassen errichtet wurde, bildet den
Hintergrund für eine Reihe von Ökonomiegebäuden: Das kleine
Gartenhaus und die unter Friedrich V. errichtete Sattelkammer, auf
die im späteren Verlauf die Grottengalerie folgt. Hier auf einem
langgestreckten, schmalen Grundstück zwischen Sattelkammer
und Gartenhaus entsteht das neue Gebäude.
Der Baukörper des neuen Besucherzentrums vermittelt zwischen
den Höhen und Baufluchten der bestehenden Elemente dieses
Ensembles. Gemeinsamen bilden die drei Gebäude einen neuen
15
Lageplan mit Schloss,
Besucherzentrum und
westlichem Schlossgarten
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baulichen Abschluss für den Stückgarten. Der Neubau ist von der
denkmalgeschützen Stützmauer abgerückt, so dass zwischen Neu
und Alt eine schmale Gasse entsteht, über die auch der Weg der
eintreffenden Besucher geführt ist. Einerseits gelingt es so, die historischen Fundamente der Mauer zu schützen, zugleich verdichtet
sich in dem Raum auch das Spannungsfeld von 500 Jahren Geschichte, die hier unmittelbar aufeinandertreffen.
cherzentrums. Vom Wartebereich aus gelangt man entweder in den
Kassenbereich, mit den dahinter liegenden Sanitärbereichen oder
in den Shop, der an der Westseite einen zusätzlichen Eingang hat.
Die Architektur des Hauses fügt sich zurückhaltend in das historische Ensemble ein, indem Elemente der am Ort vorhandenen
historischen Architektur aufgegriffen und interpretiert werden.
Die verweisende Funktion der aufgenommenen Bilder jedoch wird
durch Abstraktion aufgelöst; das Feld der Bilder wird verlassen.
Gleichwohl bleibt der starke architektonische Bezug in einer zeitgenössischen Sprache lesbar. Die über zwei Meter tiefen Leibungen
der in den Baukörper eingeschnittenen Fenster etwa, geben sich
als Transformation der Architektur der angrenzenden Sattelkammer
mit den hier ebenfalls tief eingeschnittenen großformatigen Öffnungen zu erkennen.
Über den Kassenbereich gelangt man mittels der Treppe oder dem
Aufzug im rückwärtigen Erschließungskern in das Obergeschoss.
Hier liegt der Konferenzraum, der als Ergänzung zu den Schlossführungen für das museumsdidaktische Programm genutzt werden
kann. Von hier aus betritt man die Dachterrasse, die einen herrlichen, erhöhten Blick auf die Residenz bietet. Eine Außentreppe führt von der Terrasse auf der Rückseite des Gebäudes nach
unten. Führungen mit Besuchergruppen müssen auf ihrem Weg
zum Schloss also nicht mehr zurück durch das Gebäude gehen.
Die Verkehrsströme innerhalb des Gebäudes werden dadurch entzerrt. Darüber hinaus ist es auch möglich, zeitversetzt zwei Gruppenführungen über Terrasse und Konferenzraum durchzuführen.
Im ersten Obergeschoss befinden sich außerdem Räume für das
Schlosspersonal. Dazu gehören: ein Aufenthaltsraum, ein Büro für
den Schlossführer, sowie Sanitärräume und Umkleiden.
Durch zwei Eingänge wird das Gebäude betreten. Von der Nordseite, vom Stückgarten kommend, gelangt man in den zentralen Wartebereich. Die angeschrägten Leibungen der großformatigen Öffnung richten den Blick der Besucher gezielt auf das Elisabethentor
und den Seltenleerturm. Unmittelbar vermittelt sich durch diese
der Ruine zugewandten Geste die dienende Bestimmung des Besu-
Die äußeren Fassadenöffnungen des Gebäudes sind entsprechend
der Funktionen im Inneren angeordnet. Vis-à-vis etabliert die Fassade gezielt neue Blickbeziehung zwischen Entreegebäude und
Garten. Insbesondere das beliebte Elisabethentor ist optisch im
Inneren präsent. Die schon beschriebenen, tiefen Leibungen der
Fassade verdanken sich der besonderen Grundrissdisposition des
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Gebäudes. Die starken Wände des Entwurfs sind gewissermaßen
nutzbar. Sie bergen die Nebenräume des Gebäudes wie Technikräume oder Treppen. Das Zentrum des schmalen Gebäudes ist
dadurch freigehalten. Wie Taschen (frz. Poche) weitet sich der zentrale Raum an einigen Stellen für Vitrinen, Regale oder Sitzgelegenheiten, die jeweils besonderen Raumfunktionen zugeordnet sind.
Für die Fassade wurde der für die Anlage typische Neckartäler
Sandstein maschinell gespalten. Die eigentümliche Struktur des
Steins wird dadurch noch deutlicher. Die gespaltenen Steine sind
zu einer fast monolithisch erscheinenden Mauer gefügt, deren Fugen auf ein Mindestmaß reduziert sind. Das Detail ist eine zeitgenössische Interpretation des historischen (von Hand behauenen)
Bruchsteinmauerwerks der hinter dem Gebäude befindlichen
Stützmauer. Während die Oberflächen des Äußeren ein starkes Relief zeigen, bleiben die Oberflächen im Inneren im Kontrast dazu
einfach, bündig und glatt. So sind die großen Glasflächen der Fenster bündig in die weiß verputzten Wände eingelassen, ebenfalls
bündig liegen flächige Lichtfelder in den weißverputzten Decken.
Der Bodenbelag besteht aus einem hellblauen geschliffenen Terrazzo. Alle festen Einbauten der Taschen, aber auch die Türen und
sonstigen Ausstattungsgegenstände sind aus Kirschholz gefertigt.
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Sandsteinformteile als Wasserspeier
in der Aussenwand
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GRUNDRISSE
Obergeschoss
Erdgeschoss
0 1
20
5
10
20m
Eingangshalle,
im Vordergrund mit Shopbereich
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ANSICHT / SCHNITTE
22
0 1
5
10
20m
Rückseitiges Fenster der
Eingangshalle; gegenüber
eine Brunnenstube in der
alten Stützmauer
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Eingangshalle mit Kassenbereich
24
25
DETAIL FENSTER
1,5%
18 7
+6,866
Kantholz
9x9cm
Kantholz
7x7cm
1,24
2,05
2% Gefälle
3,95
6
8 7 18
3,94
12 13
23
14 15 16 17 18 19 20 21 22
1% Gefälle
1% Gefälle
Kantholz
8x8cm
24
31
25
1,085
26
27
32
01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11
28
29
9 7 12
24
30
12
4
9
9
12
2,07
1% Gefälle
Rinne, Fallrohr
26
4
1% Gefälle
Grosses Schaufenster mit Blick
in den Stückgarten
27
28
Besucherzentrum mit seitlichem Ein- und
Ausgang des Shopbereichs; im Hintergrund
Turm- und Brückenhaus
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Umlaufende Gasse zwischen Besucherzentrum und alter Stützmauer
30
Haupteingang in der Sichtachse
zum Elisabethentor
31
Dieser Text beschreibt die Abbildung.
Er ist in der Univers light gesetzt
und in der Auszeichnungsfarbe hervorgehoben.
32
33
34
DAS HEIDELBERGER SCHLOSS – ORT DER ERFINDUNG MODERNER DENKMALPFLEGE
Baudirektor Peter Thoma
Abteilungsleiter Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Amt Mannheim
Die Geschichte des Schlosses
Im Jahr 2014 kann die Kurpfalz das achthundertste Jahr des Überganges der Pfalz an die Wittelsbacher feiern. 500 Jahre, nämlich von
den Anfängen im 13. Jahrhundert bis zum Jahr 1720, residierten die
Kurfürsten von der Pfalz aus dem Geschlecht der Wittelsbacher
in ihrem Stammschloss in Heidelberg, erlebten die Glanzzeiten
und die Jahre des Niederganges. Über Stadt und Neckar thronend
entwickelte sich das Schloss zu einem Ort, an dem Geschichte geschrieben wurde, an dem sich das Geistesleben entfaltete.
Die mittelalterliche Anlage ist ein Geviert von 75 x 90 m; nur dessen
Ecken waren anfangs mit Steinbauten besetzt, die frühen Bauten
des 13. Jahrhunderts sind verloren, deren Reste sind in den Nachfolgebauten aufgegangen. Erst unter Ludwig V. (1508 - 44) entwickelten sich in rascher Folge die spätgotischen Bauten, die auch
heute noch das Bild der Westseite bestimmen: nach dem schon seit
Anfang des 15. Jahrhunderts bestehenden Ruprechtsbau wurden
der Frauenzimmerbau, der Bibliotheksbau und große Teile der Befestigungsanlagen bis in die 1540er Jahre erbaut.
Ein Jahrzehnt später wurde von Friedrich II. der Gläserne Saalbau als erster Renaissancebau errichtet (1549), bis zum Anfang
des 17. Jahrhunderts folgten Ottheinrichsbau, Friedrichsbau und
Englischer Bau. Dessen Erbauer, Friedrich V., sah die glanzvollsten
Zeiten, bevor das Schloss im 30jährigen Krieg und – wenige Jahrzehnte später – im Pfälzischen Erbfolgekrieg zerstört wurde, wieder
instandgesetzt wurde und nach einem Blitzschlag im Jahr 1764 abermals in Schutt und Asche versank.
Die Ruine blieb Ruine, Pflanzen überzogen die Mauern, Bäume
wuchsen in den ehemaligen Palästen, die Dichter und Maler der
Romantik sahen im Gemenge aus Natur und Kunst eine neue
ästhetische Qualität.
Der Heidelberger Schloss-Streit
Dass sich der sogenannte Heidelberger Schloss-Streit gerade hier
und gerade zu diesem Zeitpunkt entzündete, geht im Wesentlichen auf drei Aspekte zurück: Zum Ersten war das Schloss nach
den schmachvollen Niederlagen im Pfälzischen Erbfolgekrieg zum
Nationaldenkmal auserkoren, zum Zweiten begründete die romantische Verklärung den Mythos des Schlosses und der Stadt, der bis
heute den Besucher einnimmt. Drittens hatte sich ein Diskurs zum
Umgang mit Denkmalen entwickelt; erstmals wurde der bis heute
Grundrissplan der Bauaufnahme von
1883 bis um 1889 der Architekten
Julius Koch und Fritz Seitz
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gültige Kernsatz der Denkmalpflege formuliert: konservieren, nicht
restaurieren.
In den Jahren 1883 bis 1889 wurde von den Architekten Koch und
Seitz zur Entscheidungsfindung eine gründliche Bauaufnahme (763
Pläne in verschiedenen Maßstäben) gezeichnet, die in ihrer Genauigkeit bis heute vorbildlich ist; daneben verfassten die Architekten
die ersten Schriften zur Bauforschung am Heidelberger Schloss.
In einer ersten Konferenz von 1891 setzten sich die Befürworter
des Konservierens gegen die Befürworter des Restaurierens durch;
Forderungen wurden formuliert: „Eine vollständige oder teilweise
Wiederherstellung des Schlosses kommt nicht in Betracht.“ Allerdings trat das Gegenteil ein: Carl Schäfer erneuerte um 1900 den
Friedrichsbau – im Sinne des Restaurierens.
kein Restaurierungsziel“ führten im 20. Jahrhundert – neben vielen
richtigen Beispielen – zu Missverständnissen bei Architekten im
Umgang mit Alt und Neu. Die Forderung nach dem Respektieren
aller baulichen Schichten und der Zwang, auch die eigene, neue
Schicht deutlich vom Bestehenden abzuheben, erzeugte mitunter
unglückliche Zwitterwesen.
Große Architekturen als Einfügungen in Bestehendes lassen sich
ohnehin mit den Kategorien „Konservieren oder Restaurieren“
nicht allein fassen: die Umbauten, Instandsetzungen und Kleinarchitekturen in der Burg und in den Burggärten des Hradschin von
Jože Pleÿnik in den 1920er und 30er Jahren oder der Wiederaufbau
der alten Pinakothek in München von Hans Döllgast in den 1940er
und 50er Jahren sprechen eine überzeugende Sprache.
Eine weitere wichtige Konferenz fand 1901 statt, die ein anderes
Ergebnis brachte: die Befürworter des Restaurierens hatten sich
durchgesetzt. Aber wieder trat das Gegenteil des Beschlusses ein:
auf dem Schloss in Heidelberg wurden keine weiteren Bauten restauriert; die öffentliche Meinung hatte sich gewandelt.
Im 21. Jahrhundert weiten sich die Grenzen noch einmal: Schlossanlagen in Potsdam und Berlin werden – teilweise vorlagengetreu,
teilweise in interpretierendem Sinne – wieder aufgebaut. Diese
Vorgänge passen nicht mehr in die bekannten Denkweisen, Architekten und Denkmalpfleger werden ihre Positionen überdenken
und wieder in den Disput mit dem Bürger eintreten müssen.
Das Bild der Denkmalpflege wurde von nun an ein Jahrhundert
lang von der Idee des Konservierens beherrscht, ihre Formulierung erhielt sie in der Charta von Venedig 1964. Deren Kernsätze: „Restaurieren nur bei klarer Quellenlage“ und „Stileinheit ist
Im Heidelberger Schloss wird ein bedeutendes Zeugnis der damaligen Diskussion aufbewahrt: ein Gipsmodell der Jahre 1902 - 03 der
Nord-Ostecke des Schlosses, das eine mögliche Rekonstruktion zeigt;
dies ist ein Exponat auch zur heutigen Diskussion um Alt und Neu.
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Wiederherstellungsmodell der drei
nordöstlichen Renaissancepaläste
von 1903
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Renovierter Königssaal mit neuer
Deckengestaltung
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WEITERE BAUMASSNAHMEN IN DER SCHLOSSANLAGE
Der Frauenzimmerbau und der Fassbau
Auf dem Holzschnitt von Sebastian Münster aus dem Jahr 1550
ist in der Mitte der Schlossanlage ein prächtiges dreigeschossiges
Gebäude zu sehen: der Frauenzimmerbau, das Obergeschoss in
Fachwerk und einer Vielzahl von Erkern mit hohen Dächern. Neun
Erker müssen vorhanden gewesen sein; an der Nordseite der mittige Fürstenerker, die beiden Eckerker, wobei der westliche wohl
aus statischen Gründen im Grundriss gedreht ist, im Osten zwei
Erker, beide verloren, der nördliche davon musste der anschließenden Bebauung weichen, der südliche ist noch im Kellergeschoss
erhalten, im Süden der mittige Erker und der Treppenturm, im Westen zwei weitere Erker, davon ist der nördliche bis zum Obergeschoss auf einem Stützpfeiler errichtet und im Folgenden wegen
des Englischen Baues abgebrochen worden, der südliche ist noch
vorhanden. Diese Erker sind als Herrschaftsgeste zu verstehen: der
Fürst trat hinaus und das Land lag unter ihm, er konnte sein Reich
symbolisch überblicken und beherrschen. Lorenz Lechler errichtete
um 1515 den Bau, im Inneren befand sich der Königssaal, in dem
Dichter ihre Lieder sangen.
Der Bau wurde in der Renaissance zurückhaltend überformt, die
drei Norderker wurden in einer einheitlichen Fläche zusammengezogen, in der Barockzeit fand eine weitere Umgestaltung statt. Die
Stiche von Ulrich Kraus, 1685, zeigen nun eine bemalte Fassade;
im Pfälzischen Erbfolgekrieg zerstört, wurde der Bau unter Carl-
Theodor als eingeschossige Halle mit einem Dach versehen, das bis
heute erhalten ist.
Nach Nutzungen als Bildhauerwerkstatt und Arbeitsraum für Hofküfer und Fassbinder wurde der Saal in den 1930er Jahren zum
Königssaal umgestaltet. Eine Holzvertäfelung vor den mittelalterlichen Wänden, eine „Balkendecke“, die aus Brettkästen besteht,
Messingleuchten und ein gotisch empfundenes Portal an der Westseite bestimmen den Raum, die Erker sind als mittelalterliche Versatzstücke in den Raum einbezogen.
Die Instandsetzungsmaßnahme bis 2009 behält das Bild dieses Innenraumes bei. Die Elemente der 30er Jahre wurden überarbeitet
und erhalten; neue Eingriffe wie Doppelfenster, Stufen, Geländer,
Heizungsgitter nehmen diese Sprache auf: nicht die Konfrontation
zum Bestand wird gesucht, sondern ein kritisches Weiterbauen.
Die sogenannte Fassbaukapelle, die niveaugleich zum Königssaal liegt, wurde in das Baugeschehen einbezogen. Der Fassbau,
in den 1580er Jahren unter Johann Kasimir errichtet, nimmt im
unteren Teil das Große Fass auf. In der Fassbaukapelle fällt ein
großer Bogen in Ost-West Richtung auf, der in der Barockzeit die
Ausbildung einer einheitlichen Fassadenflucht über dem Fassbau
und Frauenzimmerbau von Friedrichsbau zum Englischem Bau ermöglichte. Bemerkenswert am Bau ist der Rückgriff auf gotische
Bauformen zu einer Zeit, die längst Renaissanceformen hervorgebracht hat.
39
Ruine des Gläsernen Saalbaus mit
verglastem Schutzdach
40
Der Gläserne Saalbau und der Glockenturm
Friedrich II. errichtete 1549 auf den Resten des mittelalterlichen
Baues seinen Palast, den ersten Renaissancebau auf Schloss Heidelberg, nachdem sein Bruder und Vorgänger im Amt, Kurfürst
Ludwig V. solange die gotischen Traditionen gewahrt hatte. Im Gläsernen Saalbau liegen „gotische und antikische Formen in offenem
Kampf“, wie Oechelhäuser es ausdrückte, deutlich wird dies am
vorspringenden Torbau oder am gotischen Erker des Festsaales, der
mit venezianischen Gläsern ausgestattet war: die gotischen Gewölberippen werden von bärtigen Faunsköpfen, die schon ganz der Renaissance verpflichtet sind, getragen.
Die Umbaumaßnahmen späterer Zeiten sind am Bau, der uns in
seinem heutigen Zustand als Ruine durch offene Wände und fehlenden Putz alle Bauzustände zeigt, zu lesen wie in einem offenen
Buch. Die beiden Kriege des 17. Jahrhunderts, der 30 jährige Krieg
und der Pfälzische Erbfolgekrieg, hinterließen einen zerstörten Palast, der jeweils wieder instand gesetzt wurde; der Blitzschlag im
Jahr 1764 machte den Bau endgültig zu der Ruine, die wir vor Augen haben und die die Dichter und Maler der Romantik so erfreute.
historischen Oberflächen, wurden Überlegungen zum Einbau von
Nutzflächen angestellt. Voraussetzung dafür ist ein Deckentragwerk
in Stahl über EG und ein Dachtragwerk in Form eines Bogens mit
unterspannten Zugelementen über OG. Die Wände weiterer zwei
Geschosse ragen offen empor.
Einen wichtigen Teil der Maßnahme bildet die denkmalverträgliche
Ausbildung der Oberflächen: nach umfangreichen Voruntersuchungen durch Restauratoren und Bauforscher werden schadhafte
Steine ausgetauscht oder mit Kieselsäureester getränkt, Putze gefestigt, Zugeisen und andere Metallteile ergänzt.
Im Obergeschoss des 36 x 9 m großen Innenraumes wird die notwendige Infrastruktur für den benachbarten Festsaal des Ottheinrichsbaues erstellt.
Schäden am Bauwerk einerseits und Überlegungen zur Nutzung
andererseits haben vom Jahr 2000 an zu Konzeptionen für den
Gläsernen Saalbau geführt. Neben der in jedem Fall notwendigen
statisch-konstruktiven Instandsetzung und der Instandsetzung der
41
Sanierte Terrassenmauer im Bereich der Grossen
Grotte mit „Vater Rhein“ im Vordergrund
42
Der Hortus Palatinus und die Substruktionen der
Terrassen
Eine Radierung von Merian aus dem Jahr 1620 zeigt den Hortus
Palatinus von Osten; eine Baustellensituation wird dargestellt, Hebewerkzeuge, Strukturen im Bau: der Pfälzische Garten Friedrichs
V., den Salomon de Caus erdacht und gebaut hatte, verwirrend in
der Gleichförmigkeit der Wege und Beete, dramatisch in seinen
kühnen Terrassen und steilen Treppen, beeindruckend in den Räumen, die aus Hecken und Bäumen, aus Wasserflächen, Brunnen
und Figuren, aus Bauten für Badeanlagen gebildet wurden.
Gebaut bis 1620 waren die Elemente der Hauptterrasse im Süden
bis hin zum Pomeranzengarten, nicht ausgeführt waren das Wasserparterre und die nach Norden reichenden Anlagen wie Jahreszeitenuhr und Labyrinth, schließlich zerstört wurde der Garten im
30jährigen Krieg. Die Zerstörungen, auch die im Pfälzischen Erbfolgekrieg, waren nicht vollständig, vielmehr bewahrten sich die Strukturen wie Pomeranzengarten und Wege, Stützwände der Terrassen,
und fanden sich in den Planungen des Barock wieder.
Im 19. Jahrhundert wurde der Garten zum Landschaftsgarten umgestaltet. Die Bemühungen des 20. Jahrhunderts zielten auf die
Wiederherstellung der verlorenen Struktur, allerdings führten die
Überlegungen von Schmieder, Hennebo, Gamer und anderen nicht
zu einer tragfähigen Grundlage einer Neugestaltung.
In neuerer Zeit wird diese Neugestaltung des Gartens wieder diskutiert; zuvor müssen allerdings die Stützwände der Terrassen in-
standgesetzt werden. Die Sanierung des 1. Bauabschnittes – Wand
am Schloss-Wolfsbrunnenweg und Wand am Eingang zur Großen
Grotte – haben 2010 begonnen. Innerhalb dieser Maßnahme werden einerseits modernste ingenieursmäßige Methoden zur Verankerung der Wand angewandt, andererseits werden Verfugungen,
Reparaturen von Balustern in handwerklicher Art und Weise durchgeführt.
Teil der Maßnahme sind die Grotten, greifbare Reste der Renaissanceanlage. Wir wissen nicht, ob Salomon de Caus in Florenz und
Pratolino war; dort sind zahlreiche Grotten und Becken vorhanden, die die Vorliebe der Renaissance für unterirdische Anlagen
in den Gärten zeigen. Hier in Heidelberg ist es die Große Grotte
mit dem manieristischen Portal und die kleinen, für technische
Zwecke konzipierten Grotten, die noch die Spuren der Geschichte
bergen und einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht
werden sollen. Gleichzeitig wird die Triumphpforte Friedrichs V.
am östlichen Ende der 8 m hohen Wand saniert – jenes Bauwerk,
dem in 300 m Entfernung die Triumphpforte seiner Gemahlin, Elisabeth Stuart, gegenüberstand – mindesten in der Radierung von
Merian.
In weiteren Bauabschnitten sollen die Scheffelterrassen, die partiell einsturzgefährdet sind und weitere zahlreiche Terrassenmauern,
insgesamt 26 Stück, saniert werden. Man hatte 100 Jahre lang bei
den Sanierungsmaßnahmen das Schloss im Blick, nicht aber die Außenanlagen.
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NEUBAU BESUCHERZENTRUM
PLANUNGSDATEN
PLANUNGSBETEILIGTE
Baugenehmigung: November 2009
Genehmigung Bauunterlage: Februar 2010
Baubeginn: Juni 2010
Fertigstellung: Dezember 2011
Bauherr
Land Baden-Württemberg
vertreten durch
Vermögen und Bau
Baden-Württemberg
Amt Mannheim
L 4, 4-6
68161 Mannheim
Nutzfläche:
490 m²
Bruttorauminhalt: 3.450 m³
Gesamtbaukosten: 3 Mio. Euro
Nutzer
Staatliche Schlösser und Gärten
Baden-Württemberg
Architekt
MAX DUDLER
Projektleitung Simone Boldrin
Mitarbeit Patrick Gründel,
Julia Werner
Oranienplatz 4
10999 Berlin
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Bauleitung
plan-art GmbH
Strassburger Allee 4
67657 Kaiserslautern
Statik
Ingenieurbüro Schenk
Haardter Straße72
67433 Neustadt/Weinstr.
Prüfstatik
Dr. Gauger Prüfstatik
Dossenheimer Landstraße 100
69121 Heidelberg
Ankerprüfung
Gottfried Sawade
Pfaffenwaldring 4f
70569 Stuttgart
Haustechnik
IfG Ingenieurgesellschaft für
Gebäudetechnik
Carl-Theodor-Straße 13
67227 Frankenthal
Akustik und Bauphysik
ITA Ingenieurgesellschaft für
technische Akustik mbH
Max-Planck-Ring 49
65205 Wiesbaden
Bodenanalysen
WESSLING Laboratorien
GmbH
Impexstraße 5
69190 Walldorf
Planung Außenanlagen
TDB Landschaftsarchitektur
Hauptstraße 23-24
10827 Berlin
Flucht- und Rettungswegpläne
Michael Fleischhacker
Uhlandstraße 4
69221 Dossenheim
Bodengutachten
GHJ Ingenieurgesellschaft für
Geo- und Umwelttechnik mbH
Am Hubengut 4
76149 Karlsruhe
Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator
Thomas Hofmann
Kreuzgasse 10
69488 Birkenau
Vermessung
Artmann Consult Geomatik
Am Burgweg 2
76227 Karlsruhe
45
AUSFÜHRENDE FIRMEN
Naturstein
Bamberger Natursteinwerk
Hermann Graser GmbH
Postfach 1209
96003 Bamberg
Lüftung
Lüftungsbau Kellenbenz
GmbH
In den Lachen 15
74235 Erlenbach
Bohrarbeiten
Sidla & Schönberger
Erdbau GmbH
Untergasse 10
55546 Volxheim
Estrich
Foerg & Weisheit
Marmorveredelung GmbH
Lichtensteiner Straße 64
09399 Niederwürschnitz
Rohbau
Reinhard Bauservice GmbH
Gotenstraße 13
68259 Mannheim
Heizung
Keidel Heizungsbau
Pestalozzistraße 18
74915 Waibstadt
Dachdecker
REFA Dachbau GmbH
Planckstraße 10
71691 Freiberg
Trockenbau
AK Krämer GmbH
Philipp-Reis-Straße 8
64404 Bickenbach
Elektroarbeiten
Elektro Steidl
Mierendorffstraße 29
69469 Weinheim
Sanitär
Gramlich Sanitär GmbH
Neugereut 1
74838 Limbach
Fenster
K.-J. Eckert Glas- u. Metallbau
Eschelbronner Straße 57-68
74909 Meckesheim
Tischler
Pfefferle Schreinerei
Untermatten 10a
79282 Ballrechten-Dottingen
Elektrotechnik
GM Elektrotechnik
Grundelbachstraße 48
69469 Weinheim
Baugrunduntersuchung
Terrasond GmbH & Co.KG
Stockfeldstraße 2
79336 Herbolzheim
Automatiktür
Metallbau Albrecht Göbel
GmbH
Schmiedeweg 1
04758 Terpitz
Innenputz
Dursen GmbH
Marienstraße 90
68794 Oberhausen
46
Dämm- und Brandschutzarbeiten
ISSO GmbH
Kopernikusstraße 18
67063 Ludwigshafen
Bauschild
Steffen Böhm, Mediendesign
und sonstige Dienstleistungen
Talstraße 18
69488 Birkenau-Buchklingen
Bewachung
Pfälzische Bewachungsgesellschaft Großhans GmbH
Südring 19
76829 Landau
Architekturmodell
MODELLBAU MILDE
BERLIN
Schönhauser Allee 167 b
10435 Berlin
Fliesen
Stanic GmbH
Im Jonas 25
766446 Bruchsal
Besucherführung
Dupré Bau GmbH & Co. KG
Franz Kirrmeier Straße 17
67346 Speyer
Telefonanlage
EUPLEX new media solutions
Dudenstraße 12-26
68167 Mannheim
Baureinigung
BREER Gebäudedienste
Fritz-Frey-Straße 17
69121 Heidelberg
Brandmeldeanlage
GSA mbH
Am Leimerich 13
97720 Nüdlingen
Gerüst
RJ Stahlerüstbau GmbH
Postfach 410252
68276 Mannheim
Aufzug
ATH GmbH & Co. KG
Austraße 103
74076 Heilbronn
Maler
Malerwerkstätten Schmid
GmbH & Co. KG
Dorotheenstraße 25
08058 Zwickau
Schlosser
Beck GmbH
Stahl- und Metallbau
Benzstraße 1
74389 Cleebronn
Außenanlagen
Antonio Ragucci
Tief- und Straßenbau GmbH
Untere Talstraße 4
69412 Eberbach
47
IMPRESSUM
Herausgeber
Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg
Neues Schloss, Schlossplatz 4, 70173 Stuttgart
www.mfw.baden-wuerttemberg.de
Redaktion
Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Amt Mannheim
Gestaltung
Architekturbüro Max Dudler
Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Amt Mannheim
Druck
CITY-DRUCK HEIDELBERG
Fotonachweis
Stefan Müller, Berlin
Titelseite, 4, 8, 12, 14, 19, 21, 23, 24/25,
27, 28/29, 30/31, 32/33, 49
Johannes Vogt, Mannheim 37, 39, 40
Felix Gross, Karlsruhe
38
Kay Sommer, Mannheim
6
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der Herausgeber reproduziert werden.
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Telefon 0711 279-3511
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Konferenzraum mit Ausblick zur Schlossanlage
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NEUBAU BESUCHERZENTRUM
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