Die evangelische Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus Ansprache von Dr. Hartmut Ludwig im Gottesdienst in Schöneiche am 8. Mai 2005 In der Zeit vor und nach 1933 saßen in den Gemeinden und Gemeindekirchenräten nicht alle so friedlich nebeneinander, wie wir das heute gewohnt sind. Da gab es, wie im Parlament, Fraktionen, die um die Macht kämpften. Im Januar 1932 forderte der Fraktionsführer der NSDAP im Preußischen Landtag Wilhelm Kube: "Nationalsozialisten ... Erorbert euch eure Kirche!" Er regte die Gründung einer Gruppe an, die sich Deutsche Christen nannte und bei den nächsten Gemeindekirchenratswahlen möglichst viele Sitze erringen sollte. In ihrem Programm bekannten sie sich zu einem "artgemäßen Christus-Glauben", "deutschem Luther-Geist und heldischer Frömmigkeit". Sie lehnten Judenmission und "Rassenvermischung", d. h. die Heirat von sog. "Ariern" und "Juden" ab und forderten den "Schutz des Volkes vor den Untüchtigen und Minderwertigen", d. h. vor den geistig Behinderten. Das Programm war vorweggenommene NS-Ideologie und man fragt sich: Wie war es möglich, dass man damals diese Deutschen Christen auf Grund dieses Programms in den Gemeindekirchenrat wählte? Der Kampf in der Kirche begann also nicht erst nachdem Hitler 1933 Reichskanzler geworden war, sondern bereits im Jahr zuvor. Im Juli 1933 erhielten die Deutschen Christen durch Manipulation und Wahlfälschung die Mehrheit in fast allen Gemeinden und kirchlichen Institutionen. Sie sollten die evangelische Kirche von innen heraus mit dem Naziregime gleichschalten, d.h. jede Opposition unmöglich machen. Trotzdem entstand eine solche kirchliche Opposition. Von den etwa 18000 Pfarrern in Deutschland schlossen sich 7000 im Pfarrernotbund zusammen. Die Gemeinden kamen zu großen Bekenntnis-Versammlungen zusammen. Man berief "Freie Synoden" ein. Für die Ev. Kirche der altpreußischen Union und für die Gesamtkirche, die DEK, fanden Bekenntnissynoden vom 29.–31. Mai 1934 in Wuppertal-Barmen statt. Für die altpreußische Union wurde der Aufbau einer Bekennende Kirche beschlossen, nicht nach dem Führerprinzip von oben nach unten, sondern von der Gemeinde aus, von unten nach oben. Für die DEK wurde die Barmer Theologische Erklärung beschlossen, die heute in unserem Gesangbuch Nr. 810 steht. In sechs Thesen wurden die Irrlehren der Deutschen Christen abgelehnt. Behaupteten die Deutschen Christen, Gott offenbare sich in Personen, zum Beispiel in Hitler, oder im deutschen Volk und Rasse, heißt es in der 1. Barmer These: "Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben." In der Bekennenden Kirche lag also der Schwerpunkt auf den bekennenden Gemeinden, nicht nur auf den Pfarrern, sondern gerade auf der aktiven Mitarbeit jedes einzelnen. Mitglied wurde man, indem man eine rote Verpflichtungskarte unterschrieb. In der Gemeinde, im Kirchenkreis, der Provinzial- und Landeskirche wurden Bruderräte und Bekenntnissynoden als Organe der Leitung gebildet. D. h. es entstand eine komplette Kirche neben der von den Deutschen Christen beherrschten Kirche. Die meisten BK-Pfarrer lehnten das Konsistorium ab und anerkannten nur noch den Bruderrat als Kirchenleitung. Viele Gemeinden waren gespalten in eine DC- und in eine BK-Gemeindehälfte. Oftmals verweigerten die DC der BK die Benutzung der Kirche, so dass diese sich andere Räume suchen musste. In den Gottesdiensten kam es manchmal zum offenen Kampf zwischen dem DC-Pfarrer Seite 1 von 2 und dem BK-Pfarrer um die Kanzel. Manchmal zog eine Gemeinde aus der Kirche aus, weil sie den Prediger ablehnte, und kam an einem anderen Ort wieder zum Gottesdienst zusammen. In der Provinzialkirche der Mark Brandenburg, so hieß damals die Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg, gab es 75 Kirchenkreise. Zum Kirchenkreis "Berlin Land I" gehörten 17 Gemeinden. Eine davon war Kleinschönebeck. Die Bekennende Kirche setzte in jedem Kirchenkreis einen eigenen Superintendenten ("Ephoralamtsverwalter") und einen Kreisvertrauensmann ein. Der BK-Superintendent für Berlin-Land I war Pfarrer Emil Vogel aus Berlin-Weißensee, der Kreisvertrauensmann war der Kaulsdorfer Pfarrer Heinrich Grüber. Sein Stellvertreter war Pfarrer Joachim Heinrichs. Die 1. Kreissynode fand am 3. März 1935 in der Schöneicher Dorfkirche statt. Und in der Kapelle Fichtenau fand für die BK-Gemeinden ein Vortrag über "Wesen und Aufgaben der Bekennenden Gemeinde" statt. Am 4./5. März trat die preußische Bekenntnissynode in Dahlem zusammen. Sie beschloss ein Wort gegen die Unterdrückung des Christentums durch ein neues Heidentum, das mit der NS-Ideologie weitgehend identisch war. Um die Verlesung dieser Erklärung von den Kanzeln am 17. März zu verhindern, wurden 715 Pfarrer fast eine Woche in Gefängnissen eingesperrt. Im Dezember 1935 verbot der neue Reichskirchenminister Hanns Kerrl die kirchenleitende Tätigkeit der Bekennenden Kirche. Sie ging trotzdem weiter, war nun aber ein Akt des Widerstandes. Das betraf vor allem die Ausbildung und Ordination junger Theologen und Theologinnen durch die Bekennende Kirche. Weil die Kirchensteuer allein der DC-Kirche zugute kam, wurde die Arbeit der Bekennenden Kirche durch Kollekten finanziert. In den Gottesdiensten wurde der gemaßregelten und verhafteten Glieder in namentlicher Fürbitte gedacht. In den Bekennenden Gemeinden wurde viel gesungen. Auch in Schöneiche fanden Singwochen statt. Es gab kleine Hefte mit Liedern, deren Texte extra für die BK-Gemeinden geschrieben worden waren. In den Bekenntnisgemeinden durften Vikarinnen im Gottesdienst predigen, was ihnen in der übrigen Kirche damals noch verboten war. Auch in Schöneiche gab es zu verschiedenen Zeiten solche BK-Vikarinnen. Eine neue Phase der Verfolgung und administrativen Drosselung der Bekennenden Kirche setzte 1937/38 ein. Es wurde verboten, Kollekten für die Bekennende Kirche zu sammeln, die Namen der aus der Kirche Ausgetretenen zu verlesen, für die Inhaftierten oder Ausgewiesenen namentliche Fürbitte zu üben. Wer dem zuwider handelte, bekam Amts- oder Redeverbot oder kam ins Gefängnis. Als Hitler im März 1938 Österreich okkupierte, schworen die DC-Pfarrer einen Treueid auf Hitler. In der Bekennenden Kirche rang man sich nur unter Vorbehalt dazu durch, eine Minderheit verweigerte sich völlig. Als Hitler im September 1938 mit Krieg drohte, wenn das Sudentenland nicht wieder deutsch würde, rief die Bekennende Kirche zu einem Gebetsgottesdienst für den Frieden auf. Das wurde als Landesverrat bezeichnet und die Verantwortlichen mit Gehaltssperre und Entzug des Pfarramtes bestraft. In ganz Deutschland solidarisierten sich deshalb etwa 1000 Pfarrer mit den so Bestraften. Zu den etwa 150 Berliner Pfarrern gehörte auch Joachim Heinrichs. Im Zweiten Weltkrieg wurde die kirchliche Arbeit – abgesehen davon, dass viele Pfarrer Kriegsdienst leisten mussten – noch weiter eingeschränkt, indem zum Beispiel die gesamte Kirchenpresse verboten wurde. Auch wenn die Bekennende Kirche durch die Verfolgung immer kleiner wurde, hat sie doch bis zum Ende des Naziregimes und der Deutschen Christen im Mai 1945 durchgehalten. Seite 2 von 2