M 097/2002 STA Motion 0173 Rytz, Bern (GB) 7

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22. Januar 2003 42C
M 097/2002 STA
Motion
0173
Rytz, Bern (GB)
Weitere Unterschriften:
7
Eingereicht am:
03.06.2002
Proporzwahlen für den Regierungsrat
Der Regierungsrat wird aufgefordert, eine Verfassungsrevision zur Änderung des
Wahlverfahrens für den Regierungsrat einzuleiten. Der Regierungsrat soll neu im
Proporzverfahren gewählt werden.
Begründung:
An den Gross- und Regierungsratswahlen 2002 haben sich nicht einmal mehr 30 Prozent
der Stimmberechtigten beteiligt. Trotz wichtigen Weichenstellungen in den nächsten Jahren
(Strategische Aufgabenüberprüfung, Zukunft des Service Public usw.) glaubt offenbar eine
Mehrheit der Stimmberechtigten nicht mehr daran, mit der Teilnahme an Wahlen etwas
beeinflussen zu können.
Tatsächlich ist es im Kanton Bern strukturell schwierig, politische Mehrheiten zu verändern
und damit Weichenstellungen zu prägen. Das Wahlsystem begünstigt auf Grossratsebene
die grossen Parteien (hohe Quoren bei den Grossratswahlkreisen) und auf
Regierungsebene unabhängig von der Leistung die Mehrheitskoalition. Durch das
Majorzstystem ist es den Oppositionsparteien strukturell unmöglich, gemessen am Anteil
der WählerInnen in der Regierung vertreten zu sein.
Für die nächsten Wahlen werden auf Grossratsebene mit einer Wahlkreisreform
Verbesserungen angestrebt. Es ist deshalb höchste Zeit, gleichzeitig auch das
Regierungsratswahlsystem zu reformieren. Mit der Umstellung auf den Proporz:
-
wird die politische Willenskundgebung der Bevölkerung besser berücksichtigt als heute
wird der Leistungsausweis von KandidatInnen und politischen Parteien stärker
gewichtet als heute
erhalten auch unabhängige, innovative KandidatInnen mit herausragenden Fähigkeiten
eine echte Chance (zum Vergleich: Im Kanton Zug wurde die Rückkehr zum
Majorzsystem von der Bevölkerung mehrfach angelehnt, um Regierungsmitgliedern wie
Hans-Peter Uster von der SGA die Wahl strukturell nicht zu verunmöglichen).
Es wird Dringlichkeit verlangt.
Abgelehnt: 06.06.2002.
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2
Antwort des Regierungsrates
1. Allgemeines
Artikel 85 der Kantonsverfassung legt fest, dass die Mitglieder des Regierungsrates im
Mehrheitsverfahren gewählt werden. Die Wahl findet gleichzeitig mit der ordentlichen
Gesamterneuerung des Grossen Rates für vier Jahre statt. Für die Wahl bildet das ganze
Kantonsgebiet einen einzigen Wahlkreis. Dem Berner Jura ist ein Sitz garantiert. Im ersten
Wahlgang sind – unter Vorbehalt des dem Berner Jura garantierten Sitzes – diejenigen
Personen gewählt, die das absolute Mehr der gültigen Stimmen auf sich vereinigen. In
einem allfälligen zweiten Wahlgang sind diejenigen Personen gewählt, welche die höchste
Stimmenzahl erreichen.
2. Vorgeschichte
Im Kanton Bern werden die Mitglieder des Grossen Rates seit dem Jahre 1921 nach dem
Verhältniswahlverfahren
gewählt.
Die
Forderung
nach
Einführung
des
Verhältniswahlverfahrens auch für die Mitglieder des Regierungsrates wurde mehrmals
erhoben. In den Jahren 1932 und 1988 wurden Volksinitiativen der Sozialdemokratischen
Partei zur Einführung des Proporzes für die Regierungsratswahlen verworfen. Auch bei der
Schaffung der neuen Verfassung wurde im Grossen Rat ein Antrag auf Einführung des
Proporzverfahrens für die Wahl der Regierungsmitglieder abgelehnt.
Das Mehrheitswahlrecht kann theoretisch dazuführen, dass die stärkste politische
Gruppierung alle Sitze des Regierungsrates für sich beansprucht. In der politischen Praxis
werden jedoch Vertretungsansprüche grösserer politischer Gruppierungen respektiert. Dies
hängt mit dem Grundsatz der „Machtteilung“ zusammen, welcher kennzeichnend ist für das
politische System in der Schweiz – im Bund und in den Kantonen. Dieses System des
„freiwilligen Proporzes“ ist auch eine Folge der ausgebauten Volksrechte. Mit Ausnahme
des Kantons Appenzell Innerrhoden weisen alle Kantone Regierungskollegien auf, die sich
aus Mitgliedern von drei bis fünf Parteien zusammensetzen.
3. Argumente für das Majorz- und für das Proporzverfahren
Für das Majorzverfahren werden in der Regel die folgenden Argumente vorgebracht:
Regierungsratswahlen sind Persönlichkeitswahlen. Das Mehrheitswahlverfahren
ermöglicht die Auswahl geeigneter Kandidatinnen und Kandidaten durch die politischen
Gruppierungen. Es muss sich dabei um konsensfähige Persönlichkeiten handeln.
Personen, die stark polarisieren oder nur ein bestimmtes Spektrum der Partei vertreten,
haben in der parteiinternen Vorauswahl geringe Chancen. Als Kandidatinnen und
Kandidaten werden in der Regel Persönlichkeiten bestimmt, welche über die
Parteigrenzen hinaus respektiert werden. Dies erhöht die Chancen dieser Personen in
der Volkswahl und ist eine gute Voraussetzung für die spätere konstruktive
Zusammenarbeit aller Mitglieder des Regierungskollegiums.
Mit dem Mehrheitswahlverfahren sind Kontinuität und Stabilität der Regierungsarbeit
eher erreichbar als mit dem Verhältniswahlverfahren. Beim Proporz können geringe
Stimmenverschiebungen zum Ausscheiden eines Regierungsmitgliedes führen.
Beim Majorz haben die Wählerinnen und Wähler die Möglichkeit, eine bestimmte
Person zu wählen. Bei der Proporzwahl geht die Stimme in erster Linie an eine
politische Gruppierung.
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Für die Proporzwahl des Regierungskollegiums werden etwa die folgenden Argumente
vorgebracht:
Das Proporzverfahren ermöglicht es, den politischen Kräfteverhältnissen im Kanton
besser Rechnung zu tragen. Gerade in einem System mit ausgebauten Volksrechten
können längerfristig gute Lösungen gefunden werden, wenn alle grösseren politischen
Kräfte einen Vertretungsanspruch im Regierungsrat durchsetzen können.
Auch im Proporzverfahren werden letztlich Persönlichkeiten gewählt, die über die
Parteigrenzen hinaus respektiert werden. Die Wählerinnen und Wähler haben je nach
Ausgestaltung des Verfahrens auch die Möglichkeit des Kumulierens und des
Panaschierens.
Die Wählerinnen und Wähler haben grössere Auswahlmöglichkeiten als im
Majorzsystem.
4. Vergleich mit anderen Kantonen
In allen Kantonen werden die Mitglieder des Regierungsrates direkt durch das Volk
gewählt. Dies geschieht mit Ausnahme der Kantone Tessin (seit 1893) und Zug (seit 1894)
im Majorzverfahren. In zahlreichen Kantonen wurde der Übergang zum Proporzverfahren
vom Volk abgelehnt: Bern (1932 und 1988), Wallis (1980), Freiburg (1981), Schwyz (1982),
Basel-Stadt (1984), Zürich (1990) und neuestens Luzern (22.9.2002).
In Kantonen mit dem Proporzwahlverfahren für den Regierungsrat wurden in letzter Zeit
relativ hohe Stimmbeteiligungen erzielt: Tessin 1999: 65,7 %; Zug 2002: 47,4 %.
5. Zusammenfassung
Das Wahlverfahren für die Mitglieder des Regierungsrates wurde im Kanton Bern mehrmals
diskutiert und entschieden. Die neue Kantonsverfassung hält am Majorzverfahren fest, weil
Regierungsratswahlen in erster Linie Persönlichkeitswahlen sein sollen. Mit dem
Mehrheitswahlverfahren sind Kontinuität und Stabilität der Regierungsarbeit eher erreichbar
als mit dem Verhältniswahlverfahren. Das Majorzsystem gilt in 24 Kantonen und
Halbkantonen. In der Praxis hat sich ein System des „freiwilligen Proporzes“ etabliert, das
zu einer angemessenen Repräsentation der grösseren politischen Kräfte führt.
Antrag: Ablehnung der Motion.
An den Grossen Rat
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