Menschenrechte und Religionen: Gemeinsamer Nenner oder

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Philosophisches Kolloquium „Menschenrechte und Religionen“
Universität Magdeburg/IHRF-StudentTeam
15. Januar 2009
Referat Benjamin Weiner/Stefanie Budmiger
Menschenrechte und Religionen: Gemeinsamer Nenner oder Streitpunkt?
Referat von Benjamin Weiner und Stefanie Budmiger, Mitglieder des IHRF-StudentTeam, gehalten am
Philosophischen Kolloquium „Menschenrechte und Religionen“ am 15. und 16. Januar 2009 im Bildungszentrum Schloss Wendgräben in Zusammenarbeit mit dem Institut für Philosophie der Otto-vonGuericke-Universität Magdeburg.
Inhalt des Referats:
Teil I:
Problematisierung
Teil II: Vermittlungsansätze
Teil III: Philosophische Verortung des IHRF
Teil I: Problematisierung
Unter welchen Voraussetzungen und auf welche Art und Weise geraten Menschenrechte
und Religionen in Spannung zueinander?
Bei den Menschenrechten handelt es sich der Idee und der Entstehung nach um individuelle Freiheitsrechte auf deren Grundlage das Individuum vor Zwang und Fremdbestimmung geschützt und ihm ein
gelingendes Leben nach eigenen Massstäben ermöglicht werden sollte. Die Durchsetzung dieser Idee
und die Geltung dieser Rechte waren jedoch von Beginn an ein Agieren im öffentlichen Raum und an
die Teilnahme am politischen Entscheidungsprozess geknüpft. Die Grenze des Auslebens der individuellen Freiheit ist dabei stets die Achtung der Freiheit der anderen Individuen. Des Weiteren sind Menschenrechte universal und nicht abstufbar: Sie sollen allen in gleichem Masse zukommen.
Bei Religion handelt es sich um eine kulturelle Ausdrucksform, die den Menschen Weltdeutung und –
erklärung und ihnen als Institution das Aufgehen in einer Gemeinschaft ermöglicht.
Als unproblematisch, ja als sich bedingend ist das Verhältnis von Menschenrechten zu Religion insofern
zu sehen, als das Bekenntnis zu einer Religion und die dazugehörige praktische Ausübung des Glaubens
als individuelles Freiheitsrecht gilt und somit unter die Menschenrechte fällt.
Problematisch wird das Verhältnis in dem Masse, wo das Menschenrecht auf Religionsfreiheit direkt in
Kollision zu anderen Menschenrechten tritt. Diese Fälle lassen sich idealtypisch unter zwei Szenarien
subsumieren.
1) (ungleiche) Anwesenheit von Religionen im öffentlichen Raum
Die Darstellung ihrer Religion und damit einer partikularen ethischen Lebensform sollte, der Idee der
Menschenrechte nach (Prinzip der gleichen Freiheit), allen Menschen gleichumfänglich möglich sein.
Zu betonen ist, dass es dabei um die Möglichkeit der gleichen Rechte auf Darstellung und damit der
Möglichkeit des (Aus-)Lebens einer Religion geht. Theoretisch umstritten ist aber auch inwiefern von
einer religiösen Gruppe Exponierung, d.h. die Teilnahme am öffentlichen Leben gefordert werden soll.
2) Einschränkung individueller Freiheit
In der Gewährung von religiösen Gruppenrechten wird der Tatsache Rechnung getragen, dass das individuelle Recht auf Religionsfreiheit in einer Gemeinschaft befördert werden kann, bzw. dieser nachgerade bedürfen kann. Jedoch können religiöse Gruppen nach innen auch derart verfasst sein, dass sie
einzelnen Mitgliedern gewisse Freiheitsrechte aufgrund eines scheinbaren religiösen Dogmas verweigern. Zu denken ist dabei z.B. an Gemeinschaften, die sich nicht nur aus Mitgliedern zusammensetzen,
die von ihrem Recht auf Religionsfreiheit Gebrauch machen, solchen die bestimmte ethische Prinzipien
bewusst und aus freien Stücken bejahen, sondern auch aus solchen, die aufgrund von Tradition und/oder
familiären Beziehungen angehören. Wird diesen die Mitgliedschaft und die Aneignung bestimmter
Praktikten und Werte aufgezwungen, so verstösst dies gegen den Kern der Menschenrechte als individueller Freiheitsrechte.
Nachdem aufgezeigt wurde, wo sich die Spannungsfelder im Verhältnis von Menschenrechten und Religionen befinden, soll im folgenden Teil nun erörtert werden inwiefern eine Vermittlung in den Kernpunkten möglich ist und um welchen Preis (wieviel Öffentlichkeit ist Religionen zuzustehen und zuzumuten?)
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Universität Magdeburg/IHRF-StudentTeam
15. Januar 2009
Referat Benjamin Weiner/Stefanie Budmiger
Teil II: Vermittlungsansätze
Finden Religionen in den Menschenrechten einen gemeinsamen Nenner oder einen Streitpunkt?
Im ersten Teil des Referates wurden die Problemfelder erörtert, die sich in der Spannung zwischen
Menschenrechten und Religionen ergeben können. Den Kampf um Anerkennung, den Minderheiten mit
starken Identitäten innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft führen, spielt sich sowohl auf einer moralischen Ebene (also dem Wahrheitsanspruch der Religionen und ihrem positiv ausformulierten Ethos,
d.h. der partikularen Konzeption des Guten) wie auch auf einer politisch-rechtlichen Ebene ab. Das
zeigte sich an der möglichen Kollision zwischen Individualrechten, die jedem Staatsbürger kraft des
Grundgesetzes und jedem Menschen in Form der Menschenrechte zukommen und den kollektiven
Gruppenrechten. Problematisch wird diese Beziehung, wenn die kollektiven Rechte mit den Rechten des
Individuums unverträglich sind. Diese Spannungen haben wir in der ersten Leitfrage des Internationalen
Menschenrechtsforum 2009 formuliert, die es an der Tagung im Mai zu erörtern gilt:
Schützen die Menschenrechte Religionen oder schränken sie deren Freiheit ein?
Im zweiten Teil des Referats werden Ansätze zur Vermittlung präsentiert, wobei die Konzeption universalistischer Menschenrechte als ein vielversprechender Ausgangspunkt erscheint. Die zweite Leitfrage,
die wir am Internationalen Menschenrechtsforum IHRF 2009 in Luzern uns und den Diskussionsteilnehmer stellen, drückt diesen Vermittlungsansatz wie folgt aus:
Finden Religionen in den Menschenrechten einen gemeinsamen Nenner oder einen Streitpunkt?
Zwei unterschiedliche Konflikte
Die Vermittlung bezieht sich hier auf zwei Fälle von Konflikten: Im ersten Fall handelt es sich um Konflikte, die aus dem Kampf um Anerkennung sich ergeben, wenn also die kollektive Identität der Gruppe
gegenüber anderen Gruppen durchgesetzt werden will.
Der zweite Fall beschreibt Konflikte, die sich aus gruppeninterner Unterdrückung ergeben, d.h. wenn
Individualrechte (z. B. das Recht auf freie Heirat oder freie Religionszugehörigkeit) verletzt werden im
Namen des Weiterbestehens der kulturellen oder religiösen Gruppe (z. B. dem Verbot von Misch-Ehen).
Das geschieht u.a., weil der Staat religiösen Gemeinden und Gemeinschaften Kompetenzen überträgt, z.
B. indem sie sich selbst organisieren können. So schreibt der Staat z. B. der katholischen Kirche nicht
vor, dass sie Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern zu garantieren hat, obwohl eigentlich
der Verfassungsgrundsatz der Gleichheit der Geschlechter verletzt wird, da den Frauen das Priesteramt
verwehrt bleibt. Solange die Kirche aber dem Mitglied nicht verbietet, aus der katholischen Gemeinschaft auszusteigen und seinen Unmut und Protest öffentlich zu bekunden, sieht der liberale Staat kein
Grundgesetz verletzt.
Exkurs: Staat und Religion im modernen Israel
Was ist aber im Falle des modernen Staates Israel, dessen Parlament im Jahre 1953 ein Gesetz verabschiedete, das dem Oberrabbinat die alleinige Zuständigkeit für alle Zivilstandesangelegenheiten des
persönlichen Status zuspricht. Eheschliessung, Ehescheidung und die daraus entspringenden Schuldverhältnisse fallen in den ausschliesslichen Kompetenzbereich der religiösen Gemeinschaften und ihrer
Gerichte. So ist im Staat Israel eine interkonfessionelle Ehe rechtlich nicht vorgesehen, doch erkennt der
Staat im Ausland geschlossene Zivilehen formal an. In vielen Fällen kommt es, um den Frieden zwischen säkularen und orthodoxen Staatsbürgern zu wahren, zu Kompromisslösungen bezüglich der öffentlichen Ordnung und der Rolle der Religion im Staat. Eine totale Grenzziehung von Staat und Religion kommt in Israel nicht vor, denn ein grosser Teil seiner Einwohner beruft sich auf die jüdische Tradition und prägt somit die sozialen, kulturellen und politischen Verhältnisse. Eine Grenzziehung zwischen
Recht, Moral und Religion ist in diesem Fall nicht eindeutig gegeben.
Bei einem solchen Konflikt zwischen säkularem Staatsrecht und partikularem Religionsrecht bieten sich
menschenrechtliche Vermittlungsvorschläge an, die aber nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können und die sich beide schlussendlich an der Würde des Menschen, d.h. an den Individualrechten orientieren.
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1) Verbindliche, säkulare Rechtsordnung als übergreifender Konsens
Menschenrechte sind als Kern eines interkulturellen, säkularen „overlapping consensus“ anzusehen, wie
es Heiner Bielefeldt im Rückgriff auf John Rawls in seinem Buch „Philosophie der Menschenrechte –
Grundlagen eines weltweiten Freiheitsethos“ vorschlägt.
2) Materiale Inkulturation der Menschenrechte in das jeweilige Ethos
Andererseits stützen wir uns auf Jürgen Habermas, der, wie andere auch, von den partikularen kulturellen Gruppen eine kritische Selbstreflexion ihres Wahrheitsanspruches fordert, was die ethische Freiheit
eines jeden garantieren soll und damit die Möglichkeit, als religiöse Gruppe in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft zu bestehen.
Zu 1) Verbindliche, säkulare Rechtsordnung als übergreifender Konsens
Der menschenrechtliche Freiheitsanspruch eines jeden Individuums besagt hinsichtlich der freien Religionsausübung, dass jeder das eigene Ethos nur in den Grenzen der gleichen ethischen Freiheiten aller
verwirklichen darf. 1 Der hier formulierte egalitäre Universalismus, der paradigmatisch von Kant erarbeitet wurde, erfordert nicht, dass die Religionen ihre partikularen, theologischen und ethischmoralischen Überzeugungen relativieren oder gar verwerfen müssen. Vielmehr wird die praktische
Wirksamkeit dieser Dogmen und Glaubenssätze im politisch-rechtlichen Bereich der Öffentlichkeit
eingeschränkt. Habermas gibt zu, dass unter dieser Forderung, die verbietet, dass der Bereich der staatlichen Grund- und der Menschenrechte nicht von Anschauungen und Rechtsvorstellungen einer bestimmten Religion besetzt wird, vor allem gläubige Menschen zu „leiden“ haben.
Doch kann den Anforderungen einer pluralistischen Gesellschaft nur ein solches, nämlich neutrales
Rechtssystem genügen, welches zwar die institutionellen Rahmenbedingungen sicherstellt, dass alle
Gruppierungen zu ihrem Recht gleicher ethischer Freiheit kommen, aber nicht vorschreibt, welche Konzeption des Guten in den einzelnen Gruppierungen nun zu verfolgen ist. Grenzen hat diese ethische
Freiheit dann, wenn das Individualrecht eines Mitgliedes und damit staatlich sanktioniertes Recht verletzt wird.
Habermas betont die wichtige Unterscheidung zwischen einer Person als (religiösem) Gemeindemitglied einerseits und als Staatsbürger andererseits.
Kurzum: staatlich wird nicht vorgeschrieben, was man als Gemeindemitglied zu glauben und für richtig
zu halten ist; doch dürfen diese partikularen Überzeugungen nicht auf die staatsrechtliche Ebene übertragen werden, denn das staatliche Grundrecht und auch den universalistischen Menschenrechten muss
jeder Bürger, bzw. jeder Mensch, unabhängig von seiner Gesinnung als gültig und gerecht für jeden
anerkennen können. John Rawls formuliert dies so:
Der Begriff der Gerechtigkeit ist unabhängig von dem des Guten und ihm gegenüber vorrangig in
dem Sinne, dass seine Grundsätze die zulässigen Konzeptionen des Guten begrenzen. 2
Jener Konsens von Rechten, denen jeder Mensch zustimmen können soll, sieht Rawls nun in einer Konzeption von Gerechtigkeit als Fairness, auf die ich hier nicht weiter eingehen will:
In einem solchen Konsens [akzeptiert] jede der umfassenden philosophischen, religiösen und moralischen Lehren Gerechtigkeit als Fairness auf ihre eigene Art, das heisst jede umfassende Lehre wird
von ihrem eigenen Standpunkt aus dahin geführt, die in Gerechtigkeit als Fairness angegebenen öffentlichen Gründe der Gerechtigkeit zu akzeptieren. 3
Indem wir Rawls eigene Konzeption der Gerechtigkeit als Fairness mit der Konzeption der Menschenrechte tauschen, kommen wir auf einen Begriff des overlapping consensus (übergreifender Konsens),
der in seinem Kernbereich die Idee der Menschenrechte hat.
1
Habermas, Kulturelle Gleichbehandlung – und die Grenzen des Postmodernen Liberalismus, in: ders., Naturalismus und Religion, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2001, S. 320.
2
Rawls, Die Idee des politischen Liberalismus, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1994, S. 290.
3
Rawls, Die Idee des politischen Liberalismus, a. a. O., S. 287.
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Î Es stellt sich nun die Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit es möglich ist, dass
die verschiedenen Gruppierungen mit ihren umfassenden philosophischen, religiösen und moralischen
Lehren die Menschenrechte auf ihre eigene Art akzeptieren können?
Erstens muss den Menschenrechten den Status positiven Rechts zukommen, d.h. sie haben den Charakter von staatlich sanktioniertem Recht und sind nicht eine ‚bloss‘ moralische Wertorientierung. Mit der
Positivierung der Menschenrechte in staatliches Recht müssen Menschenrechte allfällige partikulare,
einseitige Formulierungen vermeiden, um die staatliche Forderung der Rechtsgleichheit aller Personen
zu erfüllen. Mit diesem Schritt verzichten die Menschenrechte auf ihre umfassende Gültigkeit, d.h. sie
unterlassen es, vorzuschreiben, welche Konzeption des Guten verfolgt werden muss und garantieren im
Gegenzug, dass allen Individuen die Möglichkeit gegeben ist, ihre je eigene Lebensgestaltung vorzunehmen. Hier kommen wir nochmals auf die anfangs getroffene Feststellung zurück, dass die Verfolgung und das Gelingen des je eigenen Lebensplans nicht als egoistisches, rücksichtsloses Durchsetzen
der je eigenen Interessen aufgefasst werden soll, sondern hinsichtlich einer Konzeption des Menschen
als immer schon kulturellen Wesen, das zu seiner Identitätsbildung der Gemeinschaft bedarf.
Also: Menschenrechte erheben nicht den Anspruch, eine allumfassende Weltdeutung aufzustellen, wie
wir sie in den Religionen oder auch in Ideologien finden, vielmehr begrenzen sich die Menschenrechte
auf den politisch-rechtlichen Bereich. Dieser Bereich des Rechts wiederum ist gewachsen durch die
Geschichte, veränderbar und in ihm drückt sich einerseits ein Freiheitsethos aus, das allen Akteuren
erlaubt, in den Grenzen der Toleranz den je eigenen Lebensplan in Gemeinschaft und Freiheit zu verfolgen.
Nach Habermas ist denn eine demokratische Staatsordnung notwendige Bedingung für die Legitimation
von einem Rechtssystem, da in einer Demokratie die Adressaten des Rechts gleichzeitig auch seine
Autoren sind. Habermas argumentiert hier mit einer modernen Version des Kategorischen Imperativs.
Also haben wir mit dem positiv gesatzten Recht nicht allein eine blutleere, rein administrative Verordnung zur Konfliktregelung, wie eine Strassenverkehrsordnung. Denn besonders mit dem Einbezug von
Prinzipen wie den Menschenrechten werden die Grundrechte mit moralischen Vorstellungen untermauert und haben somit einen normativen Anspruch.
Î Doch warum sollen dann verschiedene Gruppierungen mit je eigenen moralischen und rechtlichen
Normen das Grundgesetz annehmen, da es ja nicht „neutral“ ist?
2) Materiale Inkulturation der Menschenrechte in das jeweilige Ethos
Habermas stellt an die verschiedenen partikularen Gruppierungen die Forderung, den egalitären Universalismus der Rechtsordnung und auch der Menschenrechte ins jeweilige Ethos der religiösen Weltbilder
einzubetten. Damit formuliert er eine umfassende Toleranzzumutung, das eigene Ethos nur innerhalb
der gleichen ethischen Freiheiten aller auszuüben.
Die Zumutung ergibt sich nicht aus einer Relativierung eigener Überzeugungen, sondern aus der
Einschränkung ihrer praktischen Wirksamkeit, also aus der Konsequenz, das eigene Ethos nur begrenzt ausleben zu dürfen und die praktischen Folgen des Ethos der anderen hinnehmen zu müssen.4
Besonders der Begriff der Menschenwürde bietet sich für eine Vermittlung von menschenrechtlichem
Denken und religiösen Auffassungen an. Ich sage absichtlich Vermittlung und nicht Legitimation. Denn
wenn man die Menschenrechte unmittelbar aus der Würde der Person herleitet und zusätzlich Menschenwürde als biblische Gottesebenbildlichkeit versteht, so geben wir dem Recht eine theologische
Begründung, womit die universale Gültigkeit der Menschenrechte nicht mehr aufrecht erhalten werden
kann.
Andererseits, so bemerkt Heiner Bielefeldt in seiner Konzeption eines weltweiten Freiheitsethos, können Menschenrechte in der Orientierung an der Würde des Menschen, die dieser nicht sich selbst verdankt, zugleich in einer theozentrischen Perspektive gewürdigt werden, die den Anthropozentrismus
überschreitet. Somit öffnet sich die Bedeutung der Menschenrechte auch dem religiösen Diskurs. Dass
die Menschenrechte in einer säkularen Sprache formuliert sind und keiner wie auch immer religiösen
Legitimation bedürfen, ist die Voraussetzung zu ihrer Eignung als Kern eines overlapping consensus.
4
Habermas, Zwischen Naturalismus und Religion, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2005, S. 320f.
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Da die Menschenrechte auf eine inhaltliche, d.h. materiale Bestimmung dessen, was und wie zu glauben
ist, verzichten, kann ein rechtliches Freiheitsprinzip etabliert werden, in welchem den verschiedenen
Gruppierungen gleiche ethische Freiheit zugesprochen wird und somit die Inklusion aller Staatsbürger
ungeachtet ihrer Glaubens- und Gewissensorientierung ermöglicht. Voraussetzung dazu ist, dass auch
die Religionen ihren vollumfänglichen Wahrheitsanspruch mildern, dergestalt, dass die theologischen
Gehalte zwar nicht in ihrer Substanz relativiert werden, aber ihr Bereich der Anwendung im öffentlichen Raum beschränkt wird.
Analog den Menschenrechten, die sich inhaltlich-materialer Vorschriften enthalten und sich auf den
politisch-rechtlichen Bereich beschränken, verzichten die Religionen auf ihren Anspruch, diesen politisch-rechtlichen Bereich zu vereinnahmen, z. B. in Form einer Theokratie. Diese Trennung von Staat
und Religion bedingt aber keine Schmälerung der Wahrheitsfähigkeit von theologischen Gehalten. Denn
die Säkularität der Menschenrechte garantiert, dass erstens der Staat und das Recht nicht religiös indoktriniert werden; zweitens, dass Religionsgemeinschaften vor staatlichen Eingriffen geschützt sind und
drittens, dass der einzelne Mensch seine Gewissensfreiheit gegenüber beiden - Staat und die organisierte
Religion- behält.
Diese dritte Art der Freiheit, nämlich jene des Individuums gegenüber ideologischer Indoktrinierung
von staatlicher oder religiöser Seite, ist nach Habermas die notwendige Bedingung, dass religiöse Gemeinschaften auch in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft sich erhalten und reproduzieren
können. Religionsgemeinschaften dürfen keinen Zwang ausüben, damit ein Mitglied sich den Gruppeninteressen unterordnet, mit der Absicht damit die Gemeinschaft zu stärken. Erst eine Traditionsaneignung unter Dissensbedingungen, wie Habermas es formuliert, kann das Überleben jener Religionsgemeinschaft sichern. Habermas wendet sich also gegen die Ansicht, dass kulturelle Gruppenrechte das
Überleben einer Religionsgemeinschaft sichern (also: Rechte, die aktiv das Bestehen der Gemeinschaft
als solcher sichern. Eine solche Politik bestrebt aktiv, dass Angehörige jener Gemeinschaft erzeugt werden; Habermas nennt dies bisweilen „Artenschutz“ 5 ):
Der ökologische Gesichtspunkt der Konservierung von Arten lässt sich nicht auf Kulturen übertragen. Kulturelle Überlieferung und die in ihnen artikulierten Lebensformen reproduzieren sich normalerweise dadurch, dass sie diejenigen, die sie ergreifen und in ihren Persönlichkeitsstrukturen
prägen, von sich überzeugen, d.h. zur produktiven Aneignung und Fortführung motivieren. 6
Vielmehr sei es das Individuum in seiner Freiheit, das entscheidet, ob es das partikulare Normensystem
einer bestimmten Religionsgemeinschaft akzeptieren will und somit die in einer pluralistischen Gesellschaft gegebenen, alternativen Lebensentwürfen für sich verwirft. Damit eine Religionsgemeinschaft
aber überhaupt als wünschenswerte Lebensvorstellung wahrgenommen wird, erfordert die Teilnahme
der Religionsgemeinschaft am gesellschaftlichen Diskurs und eine strukturelle und nicht materiale Anpassung an moderne Lebensbedingungen im Allgemeinen. 7 Das Menschenrecht auf Religionsfreiheit
beinhaltet in erster Linie nicht die Freiheit von Religion im öffentlichen Raum, sondern: die Freiheit zu
Religion.
Teil III: Philosophische Verortung des IHRF
a) Diskurstheoretischer Ansatz: IHRF als neutrale Plattform
b) Menschenrechtsbildung zur Förderung von Gleichheit und Menschenwürde, Partizipation und
Empowerment
Nun sind die Schwierigkeiten in pluralistischen Gesellschaften zwischen den verschiedenen Glaubenskonzeptionen, Moralauffassungen und Wertevorstellungen nicht rein theoretischer Natur. Dass es darauf
ankommt, die Welt zu verändern, wissen wir und diesem Anspruch stellt sich das Internationale Menschenrechtsforum.
5
Habermas, Anerkennungskämpfe im demokratischen Rechtsstaat, in: Taylor, Charles: Multikulturalismus und die
Politik der Anerkennung. Frankfurt/M.: S. Fischer 1993, S. 173f.
6
Habermas, Kulturelle Gleichbehandlung – und die Grenzen des Postmodernen Liberalismus, in: ders., Naturalismus und Religion, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2001, S. 315.
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Referat Benjamin Weiner/Stefanie Budmiger
a) Diskurstheoretischer Ansatz: IHRF als neutrale Gesprächsplattform
Wir verstehen uns als neutrale Plattform, die den menschenrechtlichen Diskurs zwischen verschiedenen
Akteuren ermöglichen soll. Kommunikationsprozesse werden eingeleitet, wo alle Beteiligten trotz ihrer
oftmals gegenteiligen Meinung als gleichberechtigte Gesprächspartner berücksichtigt werden.
Wenn sich also der CEO von Nestlé, ein katholischer Bischof und eine pakistanische Menschenrechtsaktivistin einem öffentlichen Dialog stellen, 8 ist das gelebte Anerkennungspolitik und soll eine Signalwirkung auf das real-gesellschaftliche Zusammenleben haben, das im besten Fall nicht nur Toleranz,
sondern auch Anerkennung fordert und fördert.
Dass jedoch alleine eine demokratische Struktur des Staates nicht hinreichende Bedingung ist, damit
Menschenrechte gewahrt werden, Fremdenfeindlichkeit bekämpft und soziales Handeln erreicht wird,
zeigt sich zur Zeit ebenfalls in der Schweiz. Ein Komitee von Rechtspolitikern 9 versucht den Bau von
Minaretten zu verbieten und lancierte dafür eine Volksinitiative, die von gut 120‘000 Bürgern unterschrieben wurde. Formal erfüllt die Vorlage alle Kriterien und wird darum höchstwahrscheinlich noch
in diesem Jahr dem Volk zur Abstimmung vorgelegt. Der Bundesrat betonte zwar in seiner Stellungnahme im vergangenen August, dass die Volksinitiative „Gegen den Bau von Minaretten“ gegen international garantierte Menschenrechte verstosse und im Widerspruch zu zentralen Werten der schweizerischen Bundesverfassung stehe. 10
b) Menschenrechtsbildung zur Förderung von Gleichheit und Menschenwürde, Partizipation und Empowerment
Menschenrechte müssen also immer wieder aufs Neue erkämpft werden und fallen uns nicht als angeborene Ideen apriori zu. Politische Willensbildung beginnt bereits in der Schule. Das IHRF unterstützt und
fördert die Menschenrechtsbildung mit dem Ziel, dass bereits Kinder verschiedene Kulturen nicht nur
kognitiv zu erkennen lernen, sondern auch lernen sie anzuerkennen. Menschenrechtsbildung strebt die
Entwicklung von Werten, Haltungen und Verhalten an, die die Menschenrechte achten und fördern.
Damit soll erreicht werden, dass Kinder, Heranwachsende und Erwachsene sich ihrer Handlungsmöglichkeiten bewusst zu werden und sich aktiv gegen Menschenrechtsverletzungen einzusetzen.
Das Ziel des Multikulturalismus – die gegenseitige Anerkennung ebenbürtiger Mitglieder - verlangt
veränderte interpersonale Beziehungen, die sich über kommunikatives Handeln und Diskurs herstellen und letztlich nur über identitätspolitische Auseinandersetzungen in der demokratischen Öffentlichkeit einspielen.“
Anders formuliert Albert Einstein denselben Gedanken:
Liebe Nachwelt! Wenn Ihr nicht gerechter, friedlicher und überhaupt vernünftiger sein werdet, als
wir sind, bzw. gewesen sind, so soll euch der Teufel holen.
Literatur
Bielefeldt, Heiner: Philosophie der Menschenrechte - Grundlagen eines weltweiten Freiheitsethos,
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft2005.
Bin-Nun, Ariel: Einführung in das Recht des Staates Israel, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1983.
Habermas, Jürgen: Kulturelle Gleichbehandlung – und die Grenzen des Postmodernen Liberalismus, in:
ders., Naturalismus und Religion, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2001.
Ders., Zwischen Naturalismus und Religion, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2005.
Ders., Anerkennungskämpfe im demokratischen Rechtsstaat, in: Taylor, Multikulturalismus und die
Politik der Anerkennung. Frankfurt/M.: S. Fischer 1993.
Rawls, John: Die Idee des politischen Liberalismus, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1994.
8
Vgl. Vorprogramm des 6. IHRF 2009. Abzurufen unter:
http://www.ihrf.phz.ch/content.php?link=6_ihrf_2009.htm&nav=4
9
Vgl. Argumentarium der Initianten. Abzurufen unter: http://www.minarette.ch/
10
Vgl. Mediencommunique des Eidgenössischen Bundesrates vom 27. August 2008. Abzurufen unter:
http://www.news.admin.ch/message/?lang=de&msg-id=20878
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