Programmhefttext - Ensemble unitedberlin

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DI
18.05.2010 20.00 Uhr
Werner-Otto-Saal
Vom Gehorsam. Von der Verweigerung
ensemble unitedberlin
Sonar Quartett
Salome Kammer Sopran
Ferenc Gábor Leitung
Nicolaus Richter de Vroe (geb. 1955)
„lum'q'uart'inance“ – Streichquartett Nr. 2
Hermann Keller (geb. 1945)
Sonate für Streichtrio und Klavier
Nicolaus Richter de Vroe
„dank kurzer anspannung“ für Oboe, Violoncello und Klavier
Arnulf Herrmann (geb. 1968)
„Fiktive Tänze“ (Erster Band) für Ensemble
I. Gerader Tanz –
II. Verlangsamter Tanz –
III. Kurzer Rausch (Schiefe Perioden) –
IV. Auszeit –
V. Schwieriger Tanz
Pause
Friedrich Goldmann (1941 – 2009)
„3 Strophen“ für Klarinette und Violine
Nicolaus Richter de Vroe
„Ein Besuch. Bericht für Stimme und Instrumentalensemble“
- Uraufführung -
Gefördert von der Ernst von Siemens Musikstiftung
Handy ausgeschaltet? Vielen Dank!
Vom Gehorsam. Von der Verweigerung
Zwanzig Jahre Mauerfall, Wende, Ende der DDR, Wiedervereinigung ... Zwei
Jahrzehnte, eine veränderte Welt. Ost und West versöhnt? Nord und Süd
auseinanderklaffend wie nie? Globalisierung als Chance oder Bedrohung? Eine
Gesellschaftsform, die sich Gerechtigkeit auf die Fahnen schrieb, ist an der eigenen
Pervertierung zugrunde gegangen. Und nun das Leben ein Markt, der Mensch Ware?
Sehnsucht nach einem anderen Weg, aber kein Modell, das ihn zeigt? Große Freiheit –
aber wozu?
Kunst kann keine Lösungen bieten, Kunst kann Fragen stellen. Kunst kann keine
Regierungen stürzen, Kunst kann zum Denken anregen. Kunst kann sich affirmativ
betätigen, Kunst kann subversiv sein. Kunst kann vom Gehorsam künden, Kunst kann
sich verweigern. Hören, Lesen, Sehen, Begreifen – Kunst entfaltet sich konkret, für
jeden anders, immer neu. Wie bestimmt der Kontext die Sicht? Gebrauchte Kunst, missbrauchte Kunst, brauchbare Kunst? War der Herbst '89 eine Revolution? Und war es
eine, die erste vielleicht, ohne Musik? Keine Untergangsklänge, kein Singen vom
Aufbruch? Oder doch Signale, das Locken zum Widerstehen? Ist sie anders, die Musik
von davor, von danach? Hört man sie anders?
Das ensemble unitedberlin hat für seine Konzertreihe vier Komponisten
ausgewählt, die ihre Sozialisierung in der DDR erfuhren: Lutz Glandien, Helmut Zapf,
Jakob Ullmann und Nicolaus Richter de Vroe. Geboren um 1955, wuchsen sie hier auf,
hatten ihre Wege beschritten, ebene kaum. Gestolpert, aufgestanden, geblieben,
gegangen. Sie hatten sich gerieben an einer gesellschaftlichen Realität, die ihre Werke
– so oder so – bedingte. Wie bedingt sie die Gegenwart? Der Blick hat sich geweitet.
Wurde Neues ihrer Kunst wesentlich? Machte sich die „Wende“ als Zäsur bemerkbar?
Die vier Konzerte (22.09.09, 08.12.09, 02.03.10 und 18.05.10) gaben und geben
persönliche Kommentare zum gesellschaftlichen Umbruch von '89: „Zeitgenössische“
Musik – aus der eigenen Feder und von komponierenden Kollegen. Rückblicke und
Ausblicke. Gehorsam, Verweigerung, Widerstand?
Richter de Vroe: Streichquartett Nr. 2
Nicolaus Richter de Vroe ist ein Wanderer zwischen den hier fokussierten Welten, womit
er einerseits die Versuchsanordnung unterläuft und andererseits ihr perfekter
Seismograph ist. 1955 in Halle an der Saale geboren, studierte er Komposition und
Violine in Dresden sowie von 1972 bis 1978 Violine am Moskauer TschaikowskyKonservatorium. 1980 wurde er als Geiger an die Berliner Staatskapelle engagiert;
gleichzeitig führte er seine Kompositionsstudien bei Friedrich Goldmann und Georg
Katzer an der Akademie der Künste in Berlin zum Abschluss. Nachdem er bereits von
1978 bis 1980 in verschiedenen Kammermusik-, Improvisations- und ExperimentalEnsembles mitgewirkt hatte, initiierte er 1982 die Gründung des Ensembles für Neue
Musik Berlin. Seine eigenen Kompositionen werden seit Mitte der 1980er Jahre bei allen
ARD-Anstalten sowie bei namhaften Festivals für Neue Musik aufgeführt. 1988 wurde
Nicolaus Richter de Vroe Mitglied des Symphonieorchesters des Bayerischen
Rundfunks, wo er sich seit Mitte der 1990er Jahre auch als musica-viva-Beauftragter
sowie seit 2000 mit der Einstudierung zeitgenössischer Werke für die
Kammermusikreihe der Orchesterakademie engagiert. Er ist Gründer des
Spezialensembles für Neue Musik Xsemble München (1989), Mitinitiator der Münchner
Gesellschaft für Neue Musik MGNM (1996) sowie seit 2008 Mitglied der Sächsischen
Akademie der Künste.
Auf seinen Lebensstationen hat Richter de Vroe die politischen und
gesellschaftlichen Ursachen und Rahmenbedingungen für Gehorsam und Verweigerung
in unterschiedlichsten Schattierungen kennen gelernt. Vielleicht ist dies der Grund dafür,
dass sich sein Schaffen durch einen bemerkenswert offenen und unideologischen Stil
auszeichnet, in dem alerte Neugier und situative Entscheidungen wichtiger sind als
Schulen und Verfahren. Nicolaus Richter de Vroes kompositorischen Werdegang quer
durch die Systeme repräsentieren im heutigen, vom Komponisten selber kuratierten
Programm drei Werke: Das Streichquartett „lum’q’uart’inance“ aus dem Jahr 1986,
„dank kurzer anspannung“ für Oboe, Klavier und Violoncello aus dem Jahr 2001 und die
Uraufführung des soeben fertig gestellten Ensemblewerks „Ein Besuch“.
Das Streichquartett „lum’q’uart’inance“ schrieb ich 1986 möglicherweise unter
dem Eindruck der sich anbahnenden Veränderungen, wie sie Mitte der achtziger Jahre
wachsend wahrnehmbar wurden. Es sind Entwicklungen von Dunkeltönen und
Helligkeits-Valeurs, die der Form zugrunde liegen (Nicolaus Richter de Vroe).
Aus bestem Grund verschränkt der Titel dabei spielerisch die Begriffe „luminance“
(Leuchtkraft, Brillanz) und „quartet“, zeigt sich doch, wozu das Streichquartett in der
Lage ist, wenn Goethes „vernünftige Leute“ mal ausgesperrt und stattdessen vier
hellhörige, zu allem entschlossene Klangvisionäre aufeinander losgelassen werden.
Befreit vom Konversationszwang, kann dann ein Quartettklang entstehen, der, wie hier,
von der fragilen Tonlosigkeit des Beginns bis zum brachialen Schluss zwingend
entwickelt ist, ohne rhetorische Konventionen strapazieren zu müssen.
Keller: Sonate für Streichtrio und Klavier
Herrmann Keller und ich wohnten [in den 1980er Jahren] im gleichen Haus in der
Rykestraße. Die durchlässigen Wände gewährten uns gegenseitig erste embryonale
Hörproben von Entstehendem – etwa seinem Klavierkonzert oder meinem 1.
Streichquartett „TetraД I“ (Nicolaus Richter de Vroe).
Kellers Sonate für Streichtrio und Klavier aus dem Jahr 2002 entlockt einer
altehrwürdigen Interaktionsform erstaunliche Brisanz. Das liegt nicht nur daran, dass
Violine, Viola und Klavier durch Präparierung neue, z.T. vierteltönig geprägte Profile
erhalten, sondern vor allem an der fantasievollen Spontaneität des Tonsatzes, in der
freie und quasi-improvisatorische Passagen sowie leuchtende Glissandoflächen
besonderes Gewicht erlangen; darüber hinaus kehrt das vielfach perkussiv akzentuierte
Geschehen das physische Moment der Klangerzeugung lustvoll nach außen. „Wer sich
nicht“, so Keller über seine Ästhetik, „in die Nähe der Grenzen wagt, wer sich ängstlich
bemüht, in der Mitte zu bleiben, der wird sich nicht dort, nicht im Zentrum seiner selbst
wiederfinden, sondern abseits irgendwo hingeworfen an einen zufälligen Ort.“
Hermann Keller wurde 1945 in Zeitz, Sachsen-Anhalt, geboren. Von 1963 bis
1968 studierte er an der Franz-Liszt-Hochschule Weimar Komposition bei Johann
Cilenšek und Klavier bei Ingeborg Herkomer. Eine Aspirantur und Lehrtätigkeit an der
Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin schlossen sich an. Seit 1971 arbeitet er
regelmäßig mit Jazzmusikern zusammen. Sein Berliner Improvisations-Quartett bzw. Trio erreichte internationale Bekanntheit. Seit 1981 ist Hermann Keller freischaffend als
Komponist, Pianist und Improvisationsmusiker tätig. Er unterrichtet Musiktheorie und
Improvisation an der Freien Musikschule Musikhaus e.V., die er 1990 mitbegründete.
Seine Kompositionen wurden u.a. im Gewandhaus zu Leipzig, im Künstlerhaus Boswil,
bei der Musikbiennale Berlin, den Berliner Festwochen, der Klangwerkstadt Mannheim,
dem MDR Musiksommer und den Rheinsberger Musiktagen aufgeführt.
Richter de Vroe: „dank kurzer anspannung“
Mit Blick auf den oft recht skrupulösen Fortgang meiner Arbeiten forderte mein Lehrer
Friedrich Goldmann regelmäßig „mehr Leichtigkeit“ ein. Anlässlich eines Konzertes zu
seinem 60. Geburtstag im Jahr 2001 ergriff ich die späte Gelegenheit, diese Forderung
einzulösen: Es entstand in kürzester Schreibzeit das kleine Stück musikalischen
Theaters „dank kurzer anspannung“, welches ihm gewidmet ist (Nicolaus Richter de
Vroe).
Dieser Geburtstagsgruß für Oboe, Violoncello und Klavier wendet seinen
kompositionspsychologisch abgeleiteten Titel alsbald ins Szenische. Aber sehen und
hören Sie selbst …
Hermann: „Fiktive Tänze“
Arnulf Herrmann repräsentiert die jüngere Generation aus Goldmanns Schule, die sich
durch Erfindungsreichtum, Wachheit und handwerkliche Avanciertheit auszeichnet
(Nicolaus Richter de Vroe).
Darüber hinaus verlief Hermanns Entwicklung in geographischer Hinsicht
gewissermaßen spiegelbildlich zu derjenigen Richter de Vroes: 1968 in Heidelberg
geboren, studierte Herrmann zunächst in München Klavier, anschließend Komposition
(bei Wilfried Krätzschmar), Musiktheorie und Klavier an der Musikhochschule Dresden.
Von 1995 bis 1996 war er am Pariser Conservatoire Schüler von Gérard Grisey und
Emanuel Nuñes, ehe er seine Ausbildung in Berlin bei Hartmut Fladt und Jörg Mainka
(Musiktheorie) sowie bei Friedrich Goldmann, Gösta Neuwirth und Hanspeter Kyburz
abschloss. Arnulf Herrmann verbindet eine enge Zusammenarbeit mit einigen der
führenden internationalen Ensembles für zeitgenössische Musik, so mit dem Ensemble
Intercontemporain (dessen alle zwei Jahre durchgeführtes Comité de Lecture er 2005
gewann), mit dem Klangforum Wien und besonders mit dem Ensemble Modern. Seine
Stücke werden im In- und Ausland gespielt und sind auf Festivals wie z.B.
Donaueschinger Musiktage, Wittener Tage für neue Kammermusik, Wien Modern,
Ultraschall Berlin präsent. Herrmann erhielt verschiedene Preise und Auszeichnungen,
u.a. den Hanns Eisler Preis für Komposition (2001) und den International Rostrum of
Composers (für „Terzenseele“, 2006). 2008 wurde ihm der Förderpreis/Kunstpreis des
Landes Berlin verliehen. Ebenfalls 2008 war Arnulf Herrmann Stipendiat der Villa
Massimo in Rom. 2010 erhielt er den Kompositionspreis (Förderpreis) der Ernst von
Siemens Musikstiftung. Arnulf Herrmann ist Dozent für Komposition, Analyse und
Instrumentation an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin.
Seine „Fiktiven Tänze“ für 17-köpfiges Ensemble entstanden 2008 (ein zweiter
Band, nun für reines Bläserensemble, folgte 2009). „Fiktive Tänze“ – der Titel mag
verwundern, doch bei näherer Betrachtung benennt er ein wesentliches Merkmal einer
traditionsreichen Gattung: Von den stilisierten, lebensweltlich entschlackten Tanzsätzen
der Barocksuiten über Brahms’ „Ungarische Tänze“, die ebenfalls weder zum Tanzen
noch eigentlich ungarisch sind, hat man es in der Sphäre der Kunstmusik – und
insbesondere im Umfeld der „Neuen Musik“ – fast immer mit „fiktiven Tänzen“ zu tun. (In
gewisser Hinsicht ist die Kunstmusik per definitionem auch so etwas wie die
Emanzipation vom „grobkörperlichen“ Tanz, der denn auch als sinnliche Spielart von
„Gebrauchsmusik“ unter den Generalverdacht ästhetischer Minderleistung und/oder
moralischer Anrüchigkeit gestellt wurde.)
Eine Auseinandersetzung mit diesem schillernden Phänomen hat Arnulf
Herrmann in seinem Auftragswerk für die Donaueschinger Musiktage unternommen.
(Auch Nicolaus Richter de Vroe hat 1993 die „Tänze für Orchester“ mit dem Titel
„Entfernt“ komponiert). Und in den fünf attacca aufeinander folgenden Sätzen spielt der
Bezug auf ein Rhythmusmodell bzw. die Wiederholung von Motivgruppen naturgemäß
eine zentrale Rolle; hinzu kommt ein ausgiebiger Gebrauch von Mikrointervallik, der
konventionelle thematische Hörgewohnheiten in die Schranken verweist. Der fokussierte
Rhythmus wird vom Klavier, das mit 61 Kunststoffkeilen präpariert ist, angestimmt: Vier
gleiche Schläge im ungeraden ¾-Takt – ein „Gerader Tanz“ also unter widrigen
synkopischen Umständen. Er ist die facettenreich modulierte Grundlage nicht nur für
den ersten Satz, der sich alsbald u.a. durch motivische Imitationen anreichert und
verdichtet. Im zweiten Satz („Verlangsamter Tanz“) treten die Pauken hinzu, um
zusammen mit dem Kontrabass die Vorherrschaft zu übernehmen und den
rhythmischen Grundschlag „schwebend, schwerelos“ (Vortragsanweisung) zu machen.
Dabei sekundieren insbesondere die häufigen Taktwechsel sowie die taktweise
Neuanordnung der motivischen Binnenstruktur; am Ende erklingt in aller Stille das
rhythmische Ausgangsmotiv in seiner Grundgestalt (Pauke). Es folgt ein „Kurzer Rausch
(Schiefe Perioden)“, der „eruptiv im Kleinen“ (Vortragsanweisung) als virtuoses
Vexierspiel wirbelnder Motivgruppen seinem Namen alle Ehre macht, während in
„Auszeit“ zu den Trillern der Flöte (ein gleichsam in die Höhe transponierter Orgelpunkt)
die Streicher ein rhythmisiertes Flageolett-Glissando anstimmt, das schließlich – wie, bis
auf den letzten, alle Sätze in der ein oder anderen Form – in eine aufsteigende Linie
ausläuft. Dieser letzte Satz gibt sich von vornherein als „Schwieriger Tanz“ zu erkennen,
und seine schier unerschöpfliche, von Becken und Großer Trommel unwiderstehlich bei
Laune gehaltener Fantasie skelettiert sich schließlich nur widerwillig, aber folgerichtig zu
jener nackten Repetition, mit der er endet.
Goldmann: „3 Strophen“
Von 1980 bis 1983 war ich Kompositionsschüler bei Friedrich Goldmann an der
Akademie der Künste der DDR. Es war eine sehr spannende, von künstlerischer und
sozialer Orientierungssuche geprägte Zeit, die bis heute intensiv nachschwingt
(Nicolaus Richter de Vroe).
2001, im Jahr seines 60. Geburtstags, komponierte Friedrich Goldmann „3
Strophen“ für Klarinette und Violine. Der Komponist hat sein Werk „eine Art ‚gespaltenen
Gesang‘“ genannt – „eigentlich einstimmig, aber auf zwei Instrumente verteilt.“ Das ist
eine etwas bescheidene Umschreibung für ein höchst variantenreiches Spiel mit der
allfälligen Unisono-Utopie bzw. der Erwartung, alles möge gleichsam „in Reihe und
Glied“ klingen. Zwischen Abweichung und Linientreue, Verweigerung und Gehorsam
stellt Goldmann der kaum je erreichten (und überhaupt wünschenswerten?)
Einstimmigkeit die leichtfüßige Differenz gegenüber. Und das ist wahrlich kein Anlass zu
Betrübnis – immerhin, das wussten schon die alten Griechen, entsteht erst aus dezidiert
unterschiedlichen Einzelstimmen die echte „harmonia“.
Friedrich Goldmann wurde 1941 im Erzgebirge geboren und war von 1951 bis
1959 Mitglied des Dresdner Kreuzchores. Bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue
Musik nahm er 1959 an einem Seminar für Komposition bei Karlheinz Stockhausen teil.
Nach dem Kompositionsstudium an der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“ in
Dresden bei Johannes Paul Thilmann war er Meisterschüler an der Akademie der
Künste der DDR bei Rudolf Wagner-Régeny und studierte Musikwissenschaft an der
Humboldt-Universität Berlin bei Georg Knepler. Ab 1968 arbeitete Friedrich Goldmann
als freischaffender Komponist in Berlin; seit Ende der 70er Jahre war er auch als
Dirigent tätig. Nach dem Mauerfall war Friedrich Goldmann bis 1997 Präsident der
Deutschen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik. 1991 wurde er als
Professor für Komposition an die Hochschule der Künste Berlin (heute Universität der
Künste) berufen. Dort leitete er bis 2006 das Institut für Neue Musik. Im Juli 2009 starb
Friedrich Goldmann im Alter von 68 Jahren.
Richter de Vroe: „Ein Besuch“
Franz Kafkas 1917 entstandener Text „Ein Besuch im Bergwerk“ steht im Mittelpunkt
und auch im Vordergrund der für dieses Konzert entstandenen Ensemblekomposition
„Ein Besuch“. In diesem Bericht eines Bergarbeiters kommen vielfältigste Aspekte von
Herrschaft, Hierarchie, Zwang und Entfremdung subtil-grotesk aus der Perspektive
eines scheinbar Naiven zum Ausdruck.
Ich will dem Motto dieses Konzertes gerecht werden, indem ein Stoff zugrunde
gelegt ist, welcher, ohne vordergründig zu politisieren, Dinge aufzeigt, die nach dem
Mauerfall ihre Aktualität im Sinne der conditio humana behalten haben.
Die strenge Rhythmisierung des gesprochenen Textes folgt einem „natürlichen“
Erzählduktus und eröffnet gleichzeitig die Möglichkeit präzisester rhythmischer
Verknüpfung mit dem Instrumentalensemble. Dieses schafft mit reduzierten Gesten
einen Projektionsraum für den Text, ohne ihn bewusst zu kommentieren oder gar zu
illustrieren (Nicolaus Richter de Vroe).
Porträt der Mitwirkenden
ensemble unitedberlin
Das 1989 gegründete Ensemble – Sinnbild der wiedergewonnenen Verbindung von
Musik und Musikern in der lange geteilten Stadt – ist nicht nur im musikalischen,
sondern auch im internationalen Sinne grenzüberschreitend: Gastkonzerte auf Festivals
neuer Musik in Albanien, Brasilien, Israel, Polen, Russland, Spanien, Südkorea, China,
Ungarn und in der Schweiz begleiten die regelmäßige Arbeit in Berlin. Jüngste
internationale Engagements waren Auftritte bei der Biennale Venedig, beim Steirischen
Herbst in Graz und in der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom. Integrale
Aufführungen im Bereich der neuesten Musik, eingebettet in den Kontext des modernen
Kammermusikrepertoires – von Schönberg und Webern bis zu Nono und Cage.
Zahlreiche Konzertprogramme in enger Zusammenarbeit mit Komponisten wie Vinko
Globokar, Wolfgang Rihm, Mauricio Kagel, Christian Wolff, Toshio Hosokawa, Helmut
Lachenmann und György Kurtág. Die Aufführungen wurden von den Komponisten in der
Erarbeitung betreut und mit Vorträgen, instrumentalen Workshops und
Dokumentarprojekten ergänzt.
Ein besonderes Merkmal des ensemble unitedberlin ist die spartenübergreifende
Arbeit. Die fünfteilige Reihe „Musik im Dialog: Farbe, Form, Figur“ widmete sich den
Bezügen zwischen bildender Kunst und Musikstücken der letzen fünfzig Jahre. In Vinko
Globokars Musiktheaterwerk „Les Emigrés“ werden Fotografie und Film als Gattungen
des szenografischen Geschehens integriert, in Schönbergs „Die glückliche Hand“ und
Karl Amadeus Hartmanns „Simplicius Simplicissimus“ das Theater. Gegenwärtige
Projekte sind neben der vierteiligen Reihe im Konzerthaus Berlin u.a. ein Projekt mit
neuen Kompositionen für ein Ensemble aus asiatischen und europäischen
Musikinstrumenten sowie ein Porträtkonzert mit Werken von Vinko Globokar unter
Beteiligung des Komponisten.
Zahlreichen CD-Produktionen. Über die CD des Ensembles mit Werken von Luigi
Nono (WERGO 6631-2) schrieb Paul Griffiths: „There have been a lot of Nono releases
since the composer's death in 1990. This is one of the best“ (New York Times, 29.
Dezember 1998).
www.unitedberlin.de
Martin Glück Flöte
Rafael Grosch Oboe
Erich Wagner Klarinette
Stefan Siebert Fagott
Noam Yogev Horn
Ulf Behrens Trompete
Helmut Polster Posaune
Michael Vogt Tuba
Adam Weisman, Edwin Kaliga Schlagzeug
Yoriko Ikeya Klavier
Andreas Bräutigam, Susanne Zapf, Yuki Kasai Violine
Jean-Claude Velin, Nikolaus Schlierf Viola
Lea Rahel Bader, Cosima Gerhardt Violoncello
Matthias Bauer Kontrabass
Sonar Quartett
Das Ensemble setzt seinen Schwerpunkt auf die Musik des 21.Jahrhunderts, arbeitet
eng mit Komponisten zusammen, gestaltet Workshops und ist präsent auf großen und
kleinen Festivals wie z.B. Ultraschall Festival, Young China vom Hessischen Rundfunk,
Siemens Arts Programm, Randspiele Zepernick, Ostrava Days, Intersonanzen
Potsdam, Pan Music Festival Seoul, Forum Neuer Musik Köln, Tage zeitgemäßer Musik
Bludenz. Seit seiner Gru! ndung 2006 fördert es junge Komponisten. In der selbst
initiierten Konzertreihe „Berlin im Quadrat“, unterstu! tzt durch die Initiative Neue Musik
Berlin und den Deutschen Musikrat, wurde dies zum Leitfaden der Programmatik.
Daneben gilt das Interesse des Quartetts auch der Literatur vergangener Epochen und
selten gespielter Werke der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
2009 CD-Debüt mit drei Streichquartetten von Georg Katzer in Zusammenarbeit
mit dem Deutschlandfunk und NEOS, 2010 folgt eine Einspielung von Werken Walter
Zimmermanns bei Mode Records. Aufnahmen mit Werken von Paul Heinz Dittrich und
Ursula Mamlock sind in Planung.
www.sonarquartett.de
Yuki Kasai, Susanne Zapf Violine
Nikolaus Schlierf Viola
Cosima Gerhardt Violoncello
Salome Kammer
studierte von 1977 bis 1984 Musik mit Hauptfach Violoncello u.a. bei Maria Kliegel und
Janos Starker in Essen. 1983 wurde sie als Schauspielerin von den Städtischen Bühnen
in Heidelberg. 1988 zog sie für die Dreharbeiten zu dem Film-Epos „Die zweite Heimat“
von Edgar Reitz nach München. In dieser Zeit begann sie, ihre Stimme auszubilden (u.
a. bei Yaron Windmüller). Seit 1990 ist sie in Konzerten für Neue Musik als Vokalsolistin
zu hören. Ihr weitgefächertes Repertoire umfasst u.a. Werke von Schönbergs, Weill,
Nono, Cage, Berio, Zender, Rihm, Kurtág und Eisler, aber auch die Rolle der Eliza
Doolittle in „My Fair Lady“. Mitwirkung bei zahlreichen Produktionen neuer Opern (u.a.
Lachenmanns „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ in Stuttgart und Paris,
Widmanns „Das Gesicht im Spiegel“ in München, Mundrys „Die Odyssee - Ein Atemzug“
in Berlin und Langs „I hate Mozart“ in Wien). 2007 Uraufführung von Georges Aperghis'
„Zeugen“ bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik, 2008 Eötvös' „Lady
Sarashina“ in Lyon und Paris auf, 2008/2009 Ligetis „Aventures & Nouvelles Aventures“
in München und Weill-Abend beim Rheingau Musik Festival. In dieser Saison u.a.
Auftritte bei den Bregenzer Festspielen, beim Beethovenfest Bonn, beim Kurt Weill Fest
Dessau und Kurtágs „Kafka-Fragmente“ in Paris. Zahlreiche Rundfunk- und CDProduktionen. Salome Kammer unterrichtet Theorie und Praxis der Aufführung Neuer
Musik an der Hochschule für Musik und Theater München.
www.salomekammer.de
Ferenc Gábor
stammt aus Siebenbürgen und begann seine musikalische Karriere als Bratschist. Von
1986 bis 1994 war er Mitglied des Israel Philharmonic Orchestra, seither ist er SoloBratschist des Konzerthausorchesters Berlin (ehem. Berliner Sinfonie-Orchester). Als
Gastdirigent tritt Ferenc Gábor weltweit auf. Er dirigiert verschiedene große SinfonieOrchester, Opernensembles sowie auch kleinere Ensembles mit besonderer Besetzung
wie die Bochumer Symphoniker, Kammerensemble der Berliner Philharmoniker und des
Konzerthausorchesters, das Savaria Sinfonie-Orchester, das National-Sinfonieorchester
Costa Rica und das Transilvania-Philharmonie-Orchester Cluj. Als Dirigent und als
Dozent an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler” in Berlin leitet er verschiedene
Projekte mit zahlreichen Jugendorchestern und Ensembles wie z.B. das
Jugendfestspieltreffen Bayreuth oder das Landesjugendorchester NRW. Seit 2004
nimmt er an den Projekten bei der Jungen Deutsche Philharmonie teil. Aufführungen
von Opern und Orchesterwerken des zwanzigsten Jahrhunderts haben ihm den Ruf
eingebracht, ein hervorragender Interpret und Kenner der neuen Musik zu sein.
Zahlreiche Uraufführungen. Regelmäßige Zusammenarbeit mit dem ensemble
unitedberlin. 2003 erschien mit ihm eine CD bei Hungaroton Classic. Seit 2002 arbeitet
Ferenc Gábor mit der Berliner Sinfonietta92 zusammen, 2007 gründete er das
Solistensemble Ligatura Berlin. Im Februar 2009 dirigierte Ferenc Gábor eine Konzert
des Budapest Festival Orchesters in der Toulouser Reihe „Les Grands Interprètes“.
www.ferencgabor.com
© Horst A. Scholz
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