ZUR URAUFFÜHRUNG EINES KANONS VON SCHÖNßERG 29

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\X/ enll es sich bei den beschriebenen Vorg~ing('n auch um g;ingige Techniken der ivlolivvariiel"ung
handeh, so ist doch das ,lllgcstrcbl'c Ziel der möglichst vollsl'iindigen thematischen Durchdringung
des Sal'/es bis in die Ncbenslimmen hinein .- auF dem Vordergrund der bereits durch die Mirtel
des KOlHrapunlm bewirkten Einheit in dem hier sichtbar gewordcnen Allsmag hemerkcnswel't
und weis!" auF die spärcre Entwicklung des Komponisten voraus. Die (zT. sogar mehrfache)
Delermination jedes TOllS wird viele Jahre sp~iter auf HClle \X'cise, n;ünlich durch die Anwendung
der Zwölflonmethode erzieh, und auch in dieser Zeit, den hühen zwanziger Jahren, experimentiert" Schönberg wieder auf der Basis (kr verH\gbarcn alten Formen (siehe Klaviersuile 01'. 25);
sogar dic Vcrschiebung rhylhmischer Muster, wie sie sich in op. 25 finden, trifft man bereits in
der li'ühen Gavolte an. Auch in späteren tonalen Werken Ws\" sich das Sn'ebell nach möglichst
wcitgdlcnder tlle!l1<ltisdler und kontraptlnktisdler Dllrdldringung des Sar/,es beobadl[Cn (ein
Mustcrspicl sind die Voikslied··Bearbciwngcn aus dem Jahre j 92R/29).
In seinem .~päten AuE,HZ.l über J,S. Bach (1950) unrerscheider Schönberg '/wischell dem
Verbhren der HJ1/w;dd!llI,~, das auf OIlwitkclllder V(fridl;Ol1 heruhe und der homophonen Musik
zugrundcliege, lind dem der Abljjiddlfll,~; dem VerGdm:n der kOlHrapllnktischen Kompositionsweise. Das AusmaE und die An der Verwendung beider Verfahren in der fi'ühen Gavorte bgr
bereits den Kosmos des musikalischen Denkens Schönbergs erahnen,
i\Jllllcrkllnl~cn:
1
Ausf\ihrlicher dazu siehe 1~I"IlSI Hilmar, I-emlinsky un.cI Schönbcrg, in: Alc';;Ul(kr /,l'mlinsky. Tradition
im Umkreis der \XIi"ner Schule, SIlldien Z\lI" \XIntllngsforschung, Bd. 7, S. 55 r
Ulrich 'j'hiell1l', Studietl Zlltll J\\gctldwcrk Arnold Sehötlbngs., RegcllSbul"g 1979, S. 111.
.l.S. Bach, in: Arnold Schiinhcrg, Stil und Gedanke. ;\ufsiüzezllI" Musik, (~es,lmllldlcSehrirtCll, Img. VOll]V;!1l
Vojtcch, ßd. 1, [Frallld"lIn] 1976, S. :;51 r
Rlldolf SIe p h an:
ZUR URAUFFÜHRUNG EINES KANONS VON SCHÖNßERG
, Am SOJJtltag, dem 27. Januar 1980, wunk im Ra!.lmen einer Matinee um ]'"rallk \XIcdckind lInd Albal)
Berg, die eine \X'ochc nach der eindrucksvollen AU/{(ihrung der Oper "Culu" in der KOJllisd1l'1l Oper Z\I
lkdill veransral(n wurde, ein bis (bhin l!lllwkanntes kleit1l's \X'erk von Arnold Schön berg zum ersten ivlak
der Öffcntlichkeit vorgeführt. !)aZll nsehien im Programm der folgende, hier um !\nmerlwllgcn erg:ill'l.lC,
Ilinweis.
Es ist ein gUler aller Musikerbrauch, Persönlichkeiten und Institutionen, die sich Verdienste
erworben haben, durch ein Zeugnis der eigenen Kunstfertigkeit" in Cestalr eines Kanons zu ehren.
Dieser Brauch ist in unserem Jahrhundert" in sbesol1ckre durch Amokl Schönberg (aber auch
andere Meister, wie Ernst Krenek oder Paul Hindcmith) gepflegt" worden. So hat Schön berg Zl1m
50. Ceburtsrag seines Schulers und Freundes Alban Berg (9. Februar 19.35) einen Kanon
geschrieben; er hat sich glücklich im Nach!a(~ Bergs crhalren. Diescr Kanon isr nun nicht nur ein
Freundschaflszeichen [ür den Komponisn:n der Oper "Lulu", sondern zugleich auch eine
Gegengabe.
Alban Berg halle niimlich zl1m Hinhigjiihrigcn Jubitiulll des Franldllllcr Opernhauses im
Sommer des Jahres 1930 einen Kanon geschrieben, der lextlich und musikalisch ße?ug aur die
km? 7.llvor am 1. I.'ebruar 1930 sl:\lt!~ehabtc crrolgrcichc LJ r,lllffnhrlll1g, vOll Schönb('re~s komi··
scher Oper "VOll hellte aur morgen" nimmt. Bergs Cedidu, das dem Kanon zugrunde liegl, lamet:
"J" dehNs Lebt}!s j/iJ?!2.';'{ .!ilhr(,11
hds! du {'/./fdm'lI
IJid h·clfd.(' fli/d SO/gO!
:, UNI}" ilielJ! /!ogcbnlJ; dCi/II, fllilS
bläu, mit's ucsdJt"J"! 1('(/1;
I/Oll hClllc
tlI{
/(10"
U!{{}",
morgeJl"
B,~rg··Bi()graph \Villi Reich gemeilll
hai, die /,wölllo!ll'eihe dieser Opn, sondern eitle alldere, rreilich verwandle Reihe, die jedoch
durch eingeschohene Töne aufgelockert l'rscheint. Vermutlich handelt es sich bei der dem J(;1ll0!l
zugrundclicgl'llden Reihe llm die, von der Berg annahm, d:d~ sie der Schiillhcrgschcn Oper
zugrunde liege. ('schönberg hat sich ehen auch gegeniibcr seinen engsten Freunden über seine
"Melhode" der Komposilion mit zw;)lf nur allkinandcr bezogenen Tönen lwhanli::h :\usge·
schwiegen und so vide Finzelhciten im Unklaren gd'lSSCll.)
Schiinhcrg nimlllt IlUIl seinerseits in seinem Bt'rg gc\vidrnctcn Ka!1on lkwg at I!' dt'ssl'll "l "ulu""
Musik, eine Musik also, die ihm, Schönhcrg, als Cesclwnk Ztlm 60. (;cbtlrlstag (13. Septemlll'l
193tj) gewidmet worden war. Im iI)Stnllllclll~l!en Bag, der eine Ikgicidllllki ion hat, erscheinen die
sogenannten ,,!':rdgeistljuanen" aus der "l.ulu"
mit ihnen beginlH das \\fcrk
tmd die
Singstil1lnl1.~n grcikn de!1 Anbng des Erslen Aufzugs alle I\l\\'a tritt ins Atelier des Malers ein,
tim seinen Valer abzuholen: "l),ul' ich cilltrctcn?" Schiinberg greill auch die 'J 'onf()lgc dieser Frage
Als C;rllndbge der Kmonn1l'lodie dient zwar nicht, wie der
aue
j){o/ ic!J ('il/lrc!I'/! ... ? ])lf ./;""(/g.l/ noch? .(le; ,~<r!,!'I4fr.! IJrii/,r!,sl Ci"!!ß: briJ/gsf
hati".' \\'I'jr 1<tIIlIIsI du ./i"({,r!,m! J)m./ ich eiil/Fe/i'!! ... ? (//SJ)
l:IJ!~
briilgs! Fro{dr
Und an den Rand schrieb Schiinhcrg: "l.iebster Freund, emo))s sind nun l'innd unendlich, sonst
ich keinen SOO!l hagen, auch wenn ich noch so gerne unendlich oll ,I lerein' schreien möchte.
Dicsl'l" Canoll iSl !eider unendlich mies und ich h{!(F', du 1.Jr'i'dirbsl dir rfli dciul'Ili 50. GdJ/fI"/J/r/,r!,
"ichl die .S·lillll/lIIJ/g dtlllli!. \'{fartc lieber bis zum 60. oder 70. (bis 100, wit' wir sagen) !)eill Arnold
Schotlllwrg". Der I<anon, ohgleich (wegen der zahlreichen ()1([avkl~ingL~) gewig kein I\ticislcrwerk, hat Berg gleichwohl tier hcgliickt. Und in der Tat steIIr cr das einzige bisher bekannt
gewordene J)o!cumenr dar, worin sich Schön berg musikalisch auf' ein \Verk eines seiner
(ehcmaligen) Schüler bezieht.
lid~e
28
29
Anmerkungen:
Richard Hof f man n :
1. Die Reihe Schönbergs, die der Komposition der Oper "VOll heute auf morgen" zugrunde liegt, butet:
SCHÖNBERGS KONZEPT EINER GEIGEN-ETÜDE
Beispiel 1
~~=-~~~~-i>"=t=7==~~2riii=U~C~C:~-~~~t=1~-Jl~;~~.i~~~=i>~C:~~ll
10
11
12
10
!1
12
Sie verfügt also über zwei Nachs;i!zc. Da die Reihe (T) so ,lIlgeiegt ist, da(~ die Qllin((J"ansposition der
Umkehmng der C;rulldreihe (US) zur vollsr:indigell Darstellung des musildischen Raumes geeignet ist·- die
erst~1l sec!ls '!'ön~ dieser QI~intlra,nSp()si:ion ert,änzcll sich n,llr den. ersten sechs 'I'ÖllC11, der Crundreihe Cr)
wr I.wöllrönlgkelt - kann (he 2, hJl"ln (Skalen{onn) der zwCHen RcdH.:nhiilf,c auch als Skalen form der crslell
H;ilf're der QuiIllllmkchrung (ln <lu{gdilfSt werden, mithin <luch die Skalen form der zweiten I Hilfle VOll lJ'
als solche der erstell I tiHtr.: VOll T.
Bergs KanOIl weist eine zweiteilige Anbge auf, wobr.:i der zl'ieite Teil dell erStell auf einer ,lnderen
Tr<lnspositio!lsslUre in Umkehrll!lg wiederholt. Jedem dcr beiden Teilr.: licgen bei idelltischem Ober.· lind
UnterSrilllmenlxlar zwd ReihenI"()rmcll zugrunde, die im TrilOllllwerldtllis zlIeil1<lnder stehen, Mit dem
Tritonus als TranspositionsilllC!yali hat es eille besondere Bewandtnis, tb die ersten acht llnd die letzten vier
Töne ~.weicr (!"itonusverwandtl'r Reihenformen bei v('\";inde[cl" Abfolge miteinander idemisch sind. ])ies
!t:ingt damit 'fusallllllm, dalS die ktzl"en vier 'j'öne der Schönbergschcn Reihe einen jcner symmetrischen
Akkorde ergeben, die Ilir die Au!1ösllng der Tonalit;i! eine t'Iltsprcchcnde RoHe gespielt habm. Es handelt
sich um den J)olllin<lll1scptaldwrd mit verminderter QllilHC, der einen Ausschnitt allS dn CallzlOllskab
<LlI'stcllt und allS zwr.:i mi{(:inander verschriinkten Tritoni besteht (woraus sich auch die IdcllIlt:i! bei
TritollllStransjlositioll ngibt-). Beq~s lCllolllllelodie greilt JlUll diese.> SlI"ld<ttu"fllerknd (k'r Reihe Schönbngs auf: indem sie deren erste acht Töne (bei wrtauschKltl 7. llnd 8. Ton) l11il eillelll "Nachsatz" w1'bindct,
d('J" die Ichlent!ell vier Rei!Jmlöne tlnt\'r Vnwmt!ung der in ihrer Folge jeweils leicht lllodi(Jzier1Cll ~.weilell
l·tillie der Reihcn(H"llll'!l T I, und Ti in ein \'ollsliindigcs (;allZtonI!:Id auswcitet.
U~'21
7
10
12
II
<)
~C:~"Ä.,~8~.,k"q..g"L km q.. k.. ]Jr~Jlq-f'h'l-qf'--~~
I
I (, 8
12
W;ihrend einer meiner KomposiL"ionsstundcn .... ich glaube es war Ende 1947 erkläne Schönberg,
cs wäre höchste Zeir, daß ein Geig<:r der jüngeren Generation dill-Ich, bestehend aus Etüden, aufder
Grundlage der zeitgenössischen Lirerarur, anfenigen und herausbringen sollte, Es bestehe dafür
bestimmt ein Markt und er, Schönberg, wiire bereit, mir Ratschläge be:diglich der Auswahl der
Exzerpte aus der progressiveren Streicherliteratur des 20, Jallrhunderts zu gebell, Auch wollre er, daß
ich ungefahr 12 Capricen in einem nichHonalcn Stil (also keine Skalen oder zerlegte Dreiklänge!)
erllnden, erllnden, wclcheeine "moderne", den sysLematischen Lagenwechsd womöglich vermeidende, Spiel methodik entwickeln sollte,
Eine der wichtigen Grundlagen dieser nellen Spieltechnik war das Vermeiden von unnötigcm
Lagenwechsd: so wenig portamento wie möglich, (In einer FufSnote am Anfang der "Prelude to
Genesis Suire" heißt es in Bei',ug <lufdie Takte 12 bis 15 der Stimme der Ersten Geige, welche sogar
miteinell1 Fingersatz versehen ist: "Immer ohne Vibrato lind Ponamel1lo nach Hollywood ..An; auch
groge Intervalle dürfcn nicht durch Gleiten verbunden werden, sondern, wenn nötig, durch
Ausgreifen, Dieses Gleiten ist abscheulich semimclHal.« Beispiel 1, siehe Seire 32,
Smn der einheidichen Klangfarbe eines auf nur einer Saite gespielten 'l'honas bevo1"!',ugre Schönherg
das Überqueren von mehreren Saiten, selbst wenn dadurch der Canmhile-Charaktcr einigermafSen
eingebüEr werden mugre,
Das beiliegende BlatT Beispiel 2, Seite 33, von Schönberg <Iufein eigenhändig liniertes Notenpapier,
mir Bleistift geschrieben, zeigt das l-laupnhema des Schel-.ws des zweiten Streichquartetts, I, op, 10,
mir dem von Schönherg sogen'lI1nten "KlctlerJ1ngersatz",
l~_~f--LI_!I'~"
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10
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l);triibn hinaus bngl :llIch die CesanllanLlgc dc; Kanons mit dem C!"wiihlHl'll Slruhul"lncrlmta! der Reilw
ZlIS:l111nKI1, die di" Finsat'l.tÖ1W der vin vCllI'cndctcn neihcn(o!"llw!l lJ"', U {', 'J" (, und '1 ,-, (c-fls-h-c) Illil (km
letzt,'n der drei !)ominalltscptakkol"de mit wl"mindcncr (~\liIll idcl\ti.'>c!t .~illd, die sich aus delll TOllvorr;H dCI
(kill "Nachsatz" ·(.ugnlllddicgendell C,1llZI0IlSbla auf (' hikkll lassen.
~Lllt:
2. 111 du (;('Slalt, wie Schönbcrgs Rcinschrilt dell Berg gcwidmel('lj Kanon iiberlidl:n
ihm liegt keine
Zwölfi.ollreihe zugrunde. , ist ('1' nicht Sll\:n!;, d, h. korrekt. lkr ["1",1(, Ton des Sopralls llJiif<lc richtig ges
heil~ell, abn Schöllbng Sdll"eibl zweimal ,lusdriicklich cilll'n AII!löscr vor, Nillll1lt man &lS (~cschl"idwll('
:\b richtig :lll, so erscheint das Motiv Alw,l.~ cll!stdlt.
In dn AltstilllllW Illii{\tc die 'J'onfolge des AnI;Ill!~s St<lll h .. gis .. c (..c .. c) .. cis-g.. lls kOl"l"ckl ab (km dl'iul'Jl 'J'olll'iIH::n
! blbton höhn stehen: h .. gis .. cis (.. cis-cis) .. d .. as .. g, Bei dm z:lhlreichcll SilllUlt~ll)(,1l Okt;lwn und Einkbngm
erscheint die sllb.cssivc ()ktav 'l.lVisdwll Jhg und Alt in Takt J nicht ins (;('wi(ht hlilend. Aha vielleicht bo.icht
sich das \Xlort "mies" <lufdic Ahweichung von Bergs MOliv. Abn: ob "mies" oder nicht, der Kanon ist cinerdl'l
(in Illehrf<ldwr Hinsicht) wichtigsten, die Schönbcrg komponiert h'll.
J )ic Illlclpret:ltio!l du Reihe Bel"gs in (k'r l'I"Stt'll Anlllnkllll'l; wird lJlrich Kr;inwr \'(:rdankl.
J)el" Kanoll wtll"de
Illitt!m'i('ile vel"ön~'Il\licht in der Schönberg.. (;csalllta!lsga)c (/\ 1H, 1980, S. 181]; B 18, 1991, Faks, J, dazu
13 18, S, 121-12'5),
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2
Es fdgen sechs, von Schönberg vorgeschlagene Kategorien, welche in dem "Praktischen Lehrgang flir
den Violin-Unrcrricht" Anwendung flndcn sollten
1) auf allen vier Seiten (iihnJich wie Seveie)
2) 'l'ransJlosit"ionen der Übungsflgur von tiefster bis zur höchslen Ltge
3) Umkehrungen und OlmlVvcrschiebungen
-1) VCITcilung der (;ruppen auf verschiedensl"c AlT
5) Modulat"ion (sic!) ..· "mache ein aufHarmoJ)ik bezogen<.'" Schema"
6) Episoden, (Vennudich meinre Schönhcrg das Komponieren von "musikalischen « Etüden, iihnljch
wie c.;avinies, B6'iol", oder sogar die 24 Capricen von Paganini,)
l~ine l~tüde für Ceige-· ,,'l'cma con Varjaz:ioni« ist mein Versuch, Schönbergs Angaben aus/uführen
und teilweise zu verwirklichen.
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