Disputationsvortrag

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Kausales Schließen in komplexen Systemen
Philippe Büttner
Ziel der Arbeit
• Erforschung der menschlichen Problemlösefähigkeiten und
• Beschreibung durch formale Modelle
Zentrale Fragen
• Wie wird Kausalwissen kognitiv organisiert?
• Wie kommt es zur Anwendung?
• Wie beeinflusst es die Problemlösefähigkeit?
6. Juni 2014
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Methodisches Vorgehen
Erste Studie
Konditionales Schließen in MMS
Modellierung
Konstruktion eines kognitiven Modells
Zweite Studie
Konditionales Schließen bei Einsichtsproblemen
Modellerweiterung
Replizieren empirischer Daten (zweite Studie)
Vorhersage empirischer Daten (Validierung)
Validierungsstudie
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Fokus des Vortrags
Erste Studie
Konditionales Schließen in MMS
Modellierung
Konstruktion eines kognitiven Modells
Zweite Studie
Konditionales Schließen bei Einsichtsproblemen
Modellerweiterung
Replizieren empirischer Daten (zweite Studie)
Vorhersage empirischer Daten (Validierung)
Validierungsstudie
6. Juni 2014
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Problemraumtheorie (Newell & Simon, 1972)
1. Ausgangszustand
2. Zielzustand
3. Problemraum wird durch mögliche Zwischenzustände
definiert, die der Problemlöser erreichen kann.
Beispiel:
Doppelstockexperiment
(Köhler, 1917)
in Kognitive Psychologie
(Anderson, 2007)
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Wenn allerdings
„… Problemlösen nur darin bestünde, den Problemraum
Schritt für Schritt in möglichst günstiger Weise
abzusuchen, dann stünde weder zu erwarten, dass
Problemlöser an bestimmten Stellen einfach nicht mehr
weiter wissen, noch, dass die Lösung aus heiterem Himmel
erfolgt. Außerdem kann nicht erklärt werden, wieso
manche Probleme, bei denen der Problemraum sehr klein
ist (wenige Möglichkeiten zulässt), extrem schwierig zu
lösen sind.“
(Knoblich & Öllinger, 2006, S. 50)
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Vier-Phasen-Modell (Wallas, 1926)
• Versuch mit einzelnen
Stöcken die Banane zu
erreichen
• wendet sich vom Problem ab
nach wiederholtem Scheitern
• Durch das Spielen mit den
Stöcken entdeckt er die
Eigenschaft des
Zusammensteckens
• Löst das Problem sofort nach
der Entdeckung
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Vorbereitungsphase
Inkubationsphase
Illuminationsphase
Verifikationsphase
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Einsicht
• Das unmittelbare Erkennen der Zusammenhänge
beschreibt Köhler mit dem Begriff Einsicht.
• Die beobachtbaren Verhaltensqualitäten sind:
Plötzlichkeit der Problemlösung,
glatter Verlauf einer zum Ziel führenden
Handlungsreihe
(Dorsch et al., 1991, S. 163)
• Aha-Erlebnis
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Repräsentationale Veränderungstheorie
(Ohlsson, 1984a, 1984b, 1992)
• Einsicht kann als das Entkommen einer mentalen
Sackgasse aufgefasst werden
• Sackgasse beschreibt den mentalen Zustand der
Ratlosigkeit -> subjektive Unlösbarkeit
• Ursprüngliche Problemrepräsentation beinhaltet keine
Möglichkeit der Problemlösung
Folge -> Sackgasse
• Durch unbewusste Prozesse kann eine Sackgasse
überwunden werden
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Erweiterte Repräsentationale Veränderungstheorie
(Kaplan & Simon, 1990)
• Anfänglichen Enkodierung werden relevante Aspekte nicht
aktiviert
Folge -> unvollständiger Problemraum
• Durch eine Elaboration zuvor ignorierter Aspekte
• wird der Problemraum vervollständigt
• Warum werden relevante Aspekte ignoriert?
• Auf welcher Grundlage könnten Elaborationsprozesse
stattfinden?
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mCAMS (AutoCAMS 2.0)
Simuliert ein Lebenserhaltungssystem
Masteralarm
Kritische
Kennwerte
Bereiche
(im Normalbereich)
Zwei-VentilSubsystem
Ein-VentilSubsystem
Ventilsteuerung
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Diagnosefenster
3 mögliche Fehlerkategorien
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Störung „ Automatik defekt“
Durch das
Steuern der
muss die
Ventile
Ursache der
Störung
diagnostiziert
werden
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Störung „Automatik defekt“
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Störung „Automatik defekt“
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Störung „Automatik defekt“
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Störung „ Ventil lässt sich nicht öffnen“
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Störung „Ventil lässt sich nicht öffnen“
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Störung „ Ventil lässt sich nicht öffnen“
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Lernen einfacher Zusammenhänge
1. Wenn das Ventil steuerbar ist (es sich also öffnen oder
schließen lässt), dann ist die Automatik defekt.
2. Wenn das Ventil nicht manuell steuerbar ist und der
Kennwert befindet sich oberhalb des Toleranzbereiches,
dann ist es blockiert und lässt sich nicht öffnen.
3. Wenn das Ventil nicht manuell steuerbar ist und der
Kennwert befindet sich unterhalb des Toleranzbereiches,
dann ist es blockiert und lässt sich nicht schließen.
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Störungsszenario im Zwei-Ventil-Subsystem
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Störungsszenario im Zwei-Ventil-Subsystem
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Störungsszenario im Zwei-Ventil-Subsystem
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Störungsszenario im Zwei-Ventil-Subsystem
• Es kann vorerst keine Aussage darüber gemacht werden,
welche Ursache vorliegt
• Zwei Ursachen sind möglich
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Störungsszenario im Zwei-Ventil-Subsystem
• Es können zwei unterschiedliche Ursachen mit identischer
Symptomatik erzeugt werden
• Für die Lösung ist strukturelles Wissen erforderlich
• Erfordert ebenso Wissen über zwei Interaktionsschritte
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Störungsszenario im Zwei-Ventil-Subsystem
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(Vermeintlich)
offensichtliche
Verborgene
Ursache
Alternativursache
„Automatik defekt“
„Ventil schließt nicht“
1
2
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Zweite Studie
• Probanden der ersten Studie konnten das
Störungsszenario des vierten Subsystems nicht lösen
• Äußere Faktoren konstant halten
• Wissensstand der Probanden manipulieren
(Strategie- versus Strukturwissen)
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Strategiegruppe (N=15)
Strukturgruppe (N=15)
Erhält Interaktionsschritte
Ventileigenschaften
Problemraumtheorie
Repräsentationale
Veränderungs Theorie
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Versuchsplan
• Unabhängige Variable „Wissensform“
Strategie (N=15) versus Struktur (N=15)
• Abhängige Variable
Anzahl falscher Diagnosen in Blöcken
1 Block = 6 Trials (3 Auto. defekt + 3 schließt nicht)
Ablauf
• Lernphase: Zwölf Störungen innerhalb
Ein-Ventil-Subsysteme
• Hauptteil: 42 Störungen (7 Blöcke) innerhalb
Zwei-Ventil-Subsysteme
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Ergebnisse
Strukturgruppe hat signifikant weniger Trials
benötigt das Problem zu lösen!
t21,345 = ,014; p < ,05; g = ,971; 1 − β = ,83
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Diagnoseverhalten der Probanden
Häufigkeit Störung „Ventil schließt nicht“ pro Block
Häufigkeit der verborgenen Alternativdiagnose im Mittel pro Block
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Kognitive Modellierung
• versucht für „ausgewählte kognitive Leistungen
Symbolstrukturen (für Daten und Regeln) anzugeben und
zu zeigen, dass mit eben diesen Regeln die zu erklärende
kognitive Leistung erbracht werden kann“.
(Tack, 1995, S.117)
• Über das Anbinden der kognitiven Architektur (ACT-R) an
mCAMS, wird eine Interaktion ermöglicht
• Theorien über kognitive Prozesse können getestet werden
• Verhalten kann statistisch vorhergesagt werden
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Modellierung einer mentalen Sackgasse
Basiert auf der Annahme, dass beim Lernen der einfachen
Zusammenhänge den Diagnosekategorien Eigenschaften
zugesprochen werden
Kategorie
öffnet
schließt
Auto. defekt
wahr
wahr
schließt nicht
wahr
falsch
öffnet nicht
falsch
wahr
• Bei der Rekonstruktion einer Ursache wird diese nicht
zufällig selektiert, sondern
• nach ihrer ursprünglich erlernten Eigenschaften
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Modellierung einer mentalen Sackgasse
• Durch die Interaktion wird beobachtet, dass sich beide
Ventile vermeintlich öffnen und schließen lassen
• Die verborgene Alternativursache wird aufgrund ihrer
Eigenschaften zunächst ignoriert
• Der Problemraum ist eingeschränkt
• Eine vollständige Lösung nicht möglich
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Die Sackgasse überwinden
• Auffinden der Interaktionsschritte
da Störungen sonst nicht voneinander diskriminiert
werden können
durch schrittweise Suche (Problemraumtheorie)
• Zusammenhang zwischen Interaktionsschritte und den
Ventilanzeigen
quantitativer Zuwachs an Wissen nach jedem Trial
offensichtliche Ursache wird eindeutig identifiziert
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Zusammenhang zwischen Interaktionsschritte und
der offensichtlichen Ursache
(chunk
chunkchunk-type konditional subname level location step1 step2
valveM1 valveA1 valveM2 valveA2 diagnose result)
step1
Erster Interaktionsschritt
schließen
step2
Zweiter Interaktionsschritt
Auto
valveM2
Ventilanzeige manuelles Ventil (step2)
grün
valveA2
Ventilanzeige Automatik-Ventil (step2)
transparent
diagnose
potentielle Ursache
Auto. defekt 6
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qualitativer Sprung
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Die Sackgasse überwinden
Basiert auf der Annahme, dass weitere Lösungsprozesse
initiiert werden, sobald äußere Geschehnisse unerwartet
verlaufen.
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Strukturbedingung (a posteriori)
r² = 0,997; RMSD = 0,49
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Vorgabe der Strategie
(chunk
chunkchunk-type konditional subname level location step1 step2
valveM1 valveA1 valveM2 valveA2 diagnose result)
result
step1
Ventile schließen
step2
Automatik
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Expertenbedingung (a priori)
erhielt Struktur- und Strategiewissen
r² = 0,97; RMSD = 0,47
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Strategiebedingung (a posteriori)
r² = 0,983; RMSD = 0,44
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Kontrollbedingung (a priori)
erhielt weder Struktur- noch Strategiewissen
r² = 0,97; RMSD = 0,52
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Wie entsteht eine mentale Sackgasse?
Attribuierung als Lernprozess
• Bei der Beobachtung kausaler Ereignisse, werden den in
diesem Zusammenhang stehenden Dingen Eigenschaften
zugesprochen.
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Wie entsteht eine mentale Sackgasse?
Attribuierung als Lernprozess
• Bei der Beobachtung kausaler Ereignisse, werden den in
diesem Zusammenhang stehenden Dingen Eigenschaften
zugesprochen.
Aktivierung als Lösungsprozess
• Die Eigenschaften bzw. Attribute dienen der späteren
Rekonstruktion möglicher Ursachen eines Ereignisses
Mentale Sackgasse
• Für die Lösung relevante Aspekte werden genau dann
ignoriert, wenn ihre Attribute entweder unbekannt sind
oder nicht mit den geforderten Prämissen übereinstimmen.
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Wie überwindet man eine mentale Sackgasse?
• Das Faktenwissen bzw. das Weltwissen muss verändert
werden.
• Schwierigkeit liegt darin, dass dies Chunks betrifft, die
nicht Teil der Repräsentation selbst sind.
Sie müssen erst ausfindig gemacht werden
• Attribute eines Chunks müssen so verändert werden, dass
das im Chunk repräsentierte Konzept als solches noch
plausibel bleibt.
• Häufigkeit der Aktivierung
repräsentierte Struktur passt sich der Problemstruktur
näherungsweise an
zuvor ignorierte Chunks werden isoliert betrachtet
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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
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Literatur
Anderson, J. R. (2007): Kognitive Psychologie. 6. Aufl. Spektrum, Heidelberg.
Dorsch, F., Häcker, H. O. & Stapf, K.-H. (1991): Psychologisches Wörterbuch. Hans
Huber, Bern.
Kaplan, C. A. & Simon, H. A. (1990): In Search of Insight. In: Cognitive Psychology,
22: 374–419.
Knoblich, G. & Öllinger, M. (2006): Einsicht und Umstrukturierung beim Problemlösen.
In: Funke, J. (Hg.), Denken und Problemlösen, 3–86. Enzyklopädie der Psychologie
C/II/8, Hogrefe, Göttingen.
Köhler, W. (1973): Intelligenzprüfungen an Menschenaffen: Mit einem Anhang: Zur
Psychologie des Schimpansen. Springer, Berlin.
Newell, A. & Simon, H. A. (1972): Human Problem Solving. Prentice Hall, Englewood
Cliffs, New Jersey.
Ohlsson, S. (1984a): Restructuring revisited: I0. Summary and critique of the Gestalt
theory of problem solving. In: Scandinavian Journal of Psychologie, 25: 65–78.
Ohlsson, S. (1984b): Restructuring revisited: II. An information processing theory of
restructuring and insight. In: Scandinavian Journal of Psychologie, 25: 117–129.
Ohlsson, S. (1992): Information-processing explanations of insight and related
phenomena. In: Keane, M. T. & Gilhooly, K. J. (Hg.), Advances in the psychologie of
thinking, 1–44. Harvester-Wheatsheaf, London.
Wallas, G. (1926): The art of thought. Harcourt Brace Jovanovich, New York.
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Problemlösen bei linksseitiger
Hemisphärendominanz
• Rausch (1977):
Rechtshemisphärischer Schädigung halten an
Strategien fest, auch wenn sich diese als falsch
erweisen
Linkshemisphärischer Schädigung wechseln ständig
Strategien, auch wenn diese sich bereits bewährt haben
• Fiore & Schooler (1998):
Rechter Hemisphäre wird eine besondere Bedeutung
bei der Lösung von Einsichtsproblemen zugeschrieben
Rausch, R. (1977): Cognitive strategies in patients with unilateral temporal lobe excisions. In: Neuropsychologia, 15(3): 385–395.
Fiore, S. M. & Schooler, J. W. (1998): Right Hemisphere Contributions to Creative Problem Solving: Converging Evidence for Divergent Thinking. In:
Beeman, M. J. & Chiarello, C. (Hg.), Right Hemisphere Language Comprehension: Perspectives From Cognitive Neuroscience, 349–372. Psychology
Press.
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Diagnosekategorien:
Auto. defekt
öffnet nicht
schließt nicht
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Ergebnisse Exp 1 und Modell 1
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Spreading Activation
• Collins & Loftus (1975):
Durch Priming werden verwandte Worte schneller
erkannt, wie z.B. Urlaub und Ferien, anstatt Urlaub und
Tisch
Netwerkmodell
Konzepte über Knoten vernetzt
Assoziationsstärke hängt von der Anzahl der
Eigenschaften ab, die sie miteinander teilen
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Neun-Punkte-Problem (Scheerer, 1963)
Problemstellung:
• Verbinden Sie alle neun Punkte
• mit vier geraden Linien
• ohne den Stift abzusetzen
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Mögliche Lösungen:
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Das unvollständige Schachbrett (Wickelgren, 1974)
• Ist ein vollständiges Bedecken der Felder mit 31
Dominosteinen, die immer zwei benachbarte Felder
überdecken, möglich?
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Kaplan & Simon (1990)
• Anfängliche Repräsentation repräsentiert einen
Problemraum mit Millionen von Möglichkeiten
• Das jedoch 30 Felder weiß und 32 Felder schwarz sind wird
anfänglich nicht repräsentiert
• Problemlöser benutzen Heuristiken, um Invarianten
unterschiedlicher Repräsentationen aufzudecken
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Einsicht (Dorsch et al., 1991, S. 163)
Einsicht, das unmittelbare Verstehen eines Sachverhalts, das
Erkennen der Zusammenhänge, der Ursachen und
Wirkungen eines Geschehens und einer Handlung.
Einsichtiges Verhalten ist das einer Aufgabe angepasste
Verhalten. Die beobachtbaren Verhaltensqualitäten der E.
sind nach Köhler:
• Plötzlichkeit der Problemlösung,
• glatter Verlauf einer zum Ziel führenden Handlungsreihe,
• Verhaltens- und Ausdrucksänderung kurz vor der
eigentlichen Endhandlung (das Aha-Erlebnis begleitend),
• subjektive Neuartigkeit der Problemlösung.
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