2 ÜBERMITTLUNG VON BEZIEHUNGSBOTSCHAFTEN

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Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen.
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ÜBERMITTLUNG VON
BEZIEHUNGSBOTSCHAFTEN
Im pädagogischen Bereich wird die Wichtigkeit nonverbaler Kommunikation als Träger interpersonaler Beziehungsbotschaften zunehmend erkannt und gewürdigt. Der
Stellenwert nonverbaler Kommunikation in pädagogischen Zusammenhängen ist bei
den Gefühlen, Einstellungen und Beziehungen hoch.
Wie wir wissen, ist gerade die Beziehungsebene wichtig für den Verlauf von Unterrichtsprozessen. ... Das finstere Gesicht des Lehrers kann die Schüler verängstigen, eisiges Schweigen von
Schülern den Lehrer lähmen. Fröhliche Mienen wirken ansteckend. (Rosenbusch, 1995, S. 194)
Den Hintergrund für die Interpretation sprachlicher Aussagen bildet das nonverbale
Verhalten. Ob man den Ausführungen Glauben schenkt, ob man ihnen Gewicht beimisst oder sie als unbedeutend erachtet, ob man sie als fesselnd oder als langweilig
erlebt, ja - ob man eine Aussage als Kompliment oder als Beleidigung wertet, hängt
weitgehend von den nonverbalen Belgeitumständen ab. „Das nonverbale Verhalten
ist das Medium, mit dem wir die Emotionen unserer Gesprächspartner wecken und
regulieren. Es trifft meist tiefer als das Wort“ (Frey, 1984, S. 8). Die Beziehungsdefinition findet ausschliesslich nonverbal statt. Es ist nicht gut möglich, immer wieder
zu sagen, dass man jemanden mag oder nicht. Mit einem Lächeln oder Zunicken
kann diese Information jedoch einfach übermittelt werden. Die Möglichkeiten differenzierter und vielseitiger Beziehungsbotschaften sind nahezu unerschöpflich und
kaum als Gesamtes wissenschaftlich zu erfassen. Zustimmendes Kopfnicken, offene
Hand- und Armbewegungen, freudiger Gesichtsausdruck, warmer Blickkontakt,
freundliches Lächeln und spontanes Lachen sind nur wenige, die jedoch wiederum
im schulischen Kontext als Ganzes angesehen werden müssten.
2.1
VOM FENSTER IN DIE SEELE ZUM BLICK IN DEN SPIEGEL
Die Art und Weise, in der wir uns bewegen, die Haltungen, die wir im Gespräch einnehmen, der Gesichtsausdruck, den wir zeigen - all diese Faktoren haben entscheidende Auswirkungen auf den Verlauf und das Ergebnis unserer kommunikativen
Bemühungen. Die Forschung hat diesen Sachverhalt lange Zeit übersehen. Man
glaubte in den Ausdrucksphänomenen den Charakter oder die Gefühle des Menschen lesen zu können:33
Die „Physiognomika“ aus dem 2. Jhd. n. Chr. beinhaltet erste methodische Regeln
der Charakterdeutung (vgl. Dorsch et al., 1994, S. 573). Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts versuchte man in dieser Tradition aus der Ähnlichkeit eines Menschen mit
bestimmten Tieren auf dessen Charakter zu schliessen. Der Schweizer Theologe J.
K. Lavater, der Verfasser der „Physiognomischen Fragmente“ (Grabert et al., 1985,
33
Eisler-Mertz (1977) in ihrem Buch mit dem vielversprechenden Titel: Die Sprache der Hände: Was uns unsere Gesten
verraten: „Der kleine Finger verkörpert unsere Kommunikationsbereitschaft, das Sprechen, Schreiben und Verhandeln“
(Eisler-Mertz, 1977, S. 100). Zu einem weit abgespreizten kleinen Finger ist zu lesen: „Starke Neugierde und unbekümmerte Hinwendung zum Du ist oft mit guter Gesprächsführung gekoppelt. Man ist immer bereit zum Flirt, aber auch
zum Klatsch“ (Eisler-Mertz, 1977, S. 101).
2.1 Vom Fenster in die Seele zum Blick in den Spiegel
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Kapitel 2: Übermittlung von Beziehungsbotschaften
S. 116), vertrat die Ansicht, aus Körperformen auf den Charakter eines Menschen
schliessen zu können. Seine Charakterdeutung stützte er vor allem auf genaue
Ausmessungen der Stirn sowie auf Schattenrisse. Es wurde versucht über die Nasenform oder anderen Kennzeichen festzustellen, ob jemand zum Genie oder zu
einer kriminellen Person bestimmt sei. Lichtenberg kritisierte dieses Unterfangen in
seinem Aufsatz „Über die Physiognomik: Wider die Physiognomen“ (Lichtenberg,
1778), dass die Physiognomen sich irren, wenn sie aus Schattenrissen von Personen urteilen, die sie gar nicht kennen. Er zeigte, anhand von Silhouttenbildnissen
von Schweineschwänzen und Studentenzöpfen, die substanzlose Beliebigkeit und
verglich diese Erforschung von statischen Aspekten mit einem Glücksspiel. Mit dem
Aufkommen der Fotografie entwickelte sich eine Ausdruckspsychologie, welche aufgrund mehr oder weniger statistischer Merkmale auf überdauernde Charaktereigenschaften schliessen wollte.34 Bis in die 50er Jahre versuchten Ausdrucksforscherinnen und –forscher immer wieder, mimische Verhaltenskataloge zusammenzustellen,
die emotionalen Ausdrucksformen in einer Art „Atlas“ der Gefühlsäusserungen dokumentieren sollten. Die Beziehung zwischen Gesichtsausdruck und Emotion empirisch zu belegen gelang nicht (vgl. Frey, 1984, S. 18).
Eine Neuorientierung der Forschung ergab sich durch die Hinwendung zur sozialen
Interaktion und zu deren Elementen (Asendorpf & Wallbott, 1982, zit. n. Rosenbusch
& Schober, 1995, S. 14). Damit dürfte man sich auf Darwin beziehen, der aufgrund
zahlreicher Beobachtungen an verschiedenen Arten den phylogenetischen Ursprung
unseres Ausdrucksverhaltens zu erklären versuchte. Er betont die Kontinuität des
emotionalen Ausdrucks von Säugetieren bis zum Menschen und sieht darin die „Ermöglichung einer genaueren Kooperation von Mitgliedern einer Sozietät“ (Benesch,
1992, S. 225). Mit dem neuen Verständnis des Ausdrucksverhaltens stellt das nonverbale Verhalten in hohem Masse das beziehungsstiftende Element bei der zwischenmenschlichen Verständigung dar. Es prägt die Atmosphäre der sozialen Interaktion und ist wesentlich sowohl an der Entstehung wie auch an der Bewältigung
zwischenmenschlicher Konflikte beteiligt.
Nonverbales Verhalten ist Kommunikation. Gestik, Mimik, Körperhaltung öffnen nicht
ein Fenster zur Seele. Sie sind Mittel zur Regulierung der zwischenmenschlichen
Beziehung. Unser Mitmensch spiegelt sozusagen unser Verhalten, indem er entsprechend reagiert und eine Rückmeldung gibt. Menschliche Beziehungen basieren
stets auf Wechselwirkungen: Unser Verhalten beeinflusst das unseres Gegenübers
und umgekehrt. Ursache und Wirkung lassen sich dabei häufig nur schwer auseinanderhalten. Die nonverbale Kommunikation gewinnt ihre Bedeutung nicht aus der
Bereitstellung von Informationen über das Innenleben eines Menschen, sondern
vielmehr aus den enormen Wirkungen, die sie im Gegenüber auslöst. „Das Verhalten meiner Mitmenschen ist ein Spiegelbild meines eigenen Verhaltens“ (Frey, 1984,
S. 9).
34
Kupfer (1956, S. 9) schrieb z.B. in seinem Lehr- und Übungsbuch der Lebens- und Seelen-Ausdruckskunde: „Wiederholen sich nun bestimmte Reize, so prägen sie typische Merkmale an der Peripherie und rufen im Innern Organbildungen
hervor.“
2.1 Vom Fenster in die Seele zum Blick in den Spiegel
Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen.
2.2
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ZWISCHENMENSCHLICHE BEZIEHUNGEN REGULIEREN
Für Watzlawick (1980, S. 100ff.) hat jede soziale Kommunikation einen Inhalts- und
einen Beziehungsaspekt35. Der Inhalt erweist sich vor allem als Information (Was
gesagt wird). Dabei ist es gleichgültig, ob diese Information wahr oder falsch, gültig
oder ungültig oder unentscheidbar ist. Gleichzeitig enthält jede Mitteilung einen
Hinweis darauf, wie ihr Sender sie vom Empfänger verstanden haben möchte (Wie
es gesagt wird). Die Nachricht definiert also, wie der Sender die Beziehung zwischen sich und dem Empfänger sieht und ist in diesem Sinn seine persönliche Stellungnahme zum anderen (Watzlawick et al., 1990, S. 53ff.). Bei der Aussage: „Es ist
gut, aber!“ wird die Beziehungs- mit der Inhaltsebene verwechselt. Mit dem „Aber“
wird darauf hingewiesen, dass der Inhalt falsch ist. Mit „Es ist gut“ ist nicht der Inhalt
gemeint, denn dieser ist ja offensichtlich falsch, sondern die Beziehung. Bei jeder
Kommunikation sind Inhalt und Beziehung bzw. Sprache und Körpersprache miteinander verknüpft. Da die Beziehungsebene der Inhaltsebene übergeordnet ist
(Watzlawick et al., 1990), sind Probleme auf der Beziehungsebene meist störender
als rein inhaltliche Probleme.
Der Inhalt wird gewöhnlich durch Worte vermittelt. Gleichzeitig gibt das Ausdrucksverhalten Hinweise darauf, wie das Gesagte aufzufassen ist. „Wie's gemeint ist“,
sagt die Ausdruckssprache. Bei der zwischenmenschlichen Verständigung ist das
nonverbale Verhalten in hohem Masse verantwortlich, die Beziehung zu definieren
und aufrecht zu erhalten. Die Beziehung bestimmt so, wie eine Botschaft verstanden
wird.
Die Beziehungsregelung ist die Art und Weise, wie der Sender diese Information
verstanden haben will und teilt mit, wie Interaktionspartner ihr Verhältnis zu anderen
und zu sich selbst sehen. Dabei können grundsätzlich zwei Signale der nonverbalen
Kommunikation unterschieden werden:
•
Signale der Ermutigung (Zuwendung, Blickkontakt, Lächeln, Nicken, Zuhören,
freundliche Stimme)
•
Signale der Abwertung (Blickabwendung, Zeichen für Ungeduld, Unterbrechen,
scharfe Stimme, Übergehen der Äusserungen, Beschäftigung mit anderen Dingen)
Das Tannenbaumschema von Rosenbusch (1995) zeigt besonders eindrücklich,
dass die Beziehungsbotschaften im Unterricht überwiegend nonverbal ausgetauscht
werden.
35
Die Inhalts- und Beziehungsaspekte einer Nachricht hat Schulz von Thun (1994) um den Apell- und Selbstoffenbarungsaspektes erweitert: Worüber informiert der Sender (=Inhalt)? Was hält der Sender vom Empfänger, und wie stehen
die beiden zueinander (=Beziehung)? Wozu will der Sender den Empfänger veranlassen (=Appell)? Was gibt der Sender
von sich kund (=Selbstoffenbarung)?
2.2 Zwischenmenschliche Beziehungen regulieren
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Kapitel 2: Übermittlung von Beziehungsbotschaften
Abbildung 4: Das Tannenbaumschema der Verteilung verbaler und nonverbaler Anteile und die drei Grundfunktionen unterrichtlicher Kommunikation. Aus: Rosenbusch, H. S. 1995. Nonverbale Kommunikation
im Unterricht - Die stille Sprache im Klassenzimmer. In H. S. Rosenbusch & O. Schober (Hrsg.),
Körpersprache in der schulischen Erziehung. (S. 166-206). Baltmannsweiler: Schneider-Verl. Hohengehren, S. 174.
Das Schema oben zeigt die Verteilung verbaler und nonverbaler Kommunikationsmodalitäten. Die Bezeichnung ergibt sich durch die Flächen der nonverbalen Anteile, welche nach unten hin zunehmen. Beim inhaltlichen Aspekt wird angenommen,
dass je konkreter der Sachverhalt ist, umso eher ist es möglich, die inhaltliche Mitteilung auch nonverbal zu vermitteln. Die Lehrperson kann z.B. die Flügelspannweite eines Adlers mit den eigenen Armen zeigen. Da jedoch die Inhalte in der Regel verbal übermittelt werden, ist die Fläche des nonverbalen Anteils gering. Im Unterricht können hingegen prozessuale Aspekte (vgl. Kapitel 1.5.4) weitgehend nonverbal übermittelt werden, z.B. durch Handzeichen, Aufstehen, Zunicken usw. Bei
den Beziehungsbotschaften findet der Austausch überwiegend nonverbal statt:
2.2 Zwischenmenschliche Beziehungen regulieren
Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen.
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Freude, Begeisterung, Zuneigung, Angst werden relativ selten verbalisiert, spiegeln sich jedoch
häufig in der Mimik, Gestik und Paralinguistik von Schülern und Lehrern wider. Man kann sagen,
je bewusster ein Interaktionspartner seine Beziehungen dokumentiert, desto häufiger wird er sich
neben nonverbaler auch verbaler Signale bedienen. Je unbewusster sich Beziehungsbotschaften
abspielen, desto ausschliesslicher werden nonverbale Signale verwendet. (Rosenbusch, 1995, S.
179)
Die Lehrperson kann, bevor sie den eigentlichen Unterricht beginnt, zunächst den
Blickkontakt mit freundlichen und positiv gestimmten Schulkindern pflegen. Sie lässt
sich von diesen freundlich stimulieren und strahlt die Freundlichkeit oder Fröhlichkeit in die gesamte Klasse zurück. Dadurch kann eine angenehmere Interaktionsatmosphäre entstehen.
2.2.1 Beziehung verbessern
Unsere Kommunikation wird bestimmt von der Grundeinstellung, die man sich selbst
und anderen gegenüber einnimmt. Ein positives Vorurteil der Gesprächspartnerin
und dem Gesprächspartner gegenüber lässt einen die Kommunikation angenehm
und wohltuend erleben. Durch diese Einstellung gelingt es, sich selbst und die andere Person als eigenständig wahrzunehmen. Man ist bereit und offen für das, was das
Gegenüber mitzuteilen hat und umgekehrt. Eine solche offene Kommunikation erfordert jedoch auch, dass man sich selber kennt und soziale Fähigkeiten besitzt, um mit
anderen Personen in Kontakt treten zu können.
2.2.1.1 Sich selber kennen
Damit eine Lehrperson z.B. ihr nonverbales Verhalten verbessern kann, schreibt
Meyer (1991, S. 387), dass der erste Schritt darin bestehe, sich die eigenen körpersprachlichen Wirkungen bewusst zu machen, also einen Überblick über Stärken und
Schwächen des körpersprachlichen Ausdrucksrepertoires zu erwerben. Alleine
durch die gezielte Wahrnehmung und Diskussion des Verhaltens in der Klasse, mit
einer Kollegin oder einem Kollegen, können viele Einsichten gewonnen werden, die
zu einer Verbesserung des Unterrichtsablaufes, des gegenseitigen Verstehens und
der zwischenmenschlichen Beziehung führen.
Das Selbst- und Fremdverständnis36 kann durch Rückmeldungen verbessert werden.
Die Kommunikationspartnerin und der -partner liefern die Information für korrigierende Handlungen und Änderung der Selbst- und Fremdwahrnehmung. Solche Rückmeldungen sind wichtig für die menschliche Identitätsfindung.
Identität ist eine Beziehungsleistung. Dass ich mich anders als andere sehe, bedeutet, dass ich
mit anderen zu tun habe, mit ihnen ‘interagiere’, also mit ihnen zusammen rede, handle, plane und dadurch erfahre, wer ich bin. (Baacke, 1993, S. 202)
Die Qualität der sozialen Beziehungen und der sozialen Kommunikation wird im wesentlichen durch das Selbstbild beeinflusst. Indem man sich anderen kommunikativ
öffnet, schafft man sich die Möglichkeit der Rückmeldung durch diese Personen.
„Der Gesprächspartner wird so zum Spiegel, in dem man sich selber erkennt“
(Jourard, 1964, zit. nach Delhees, 1994, S. 398). Indem wir uns selbst erkennen,
haben wir Aussicht, auch den anderen zu erkennen. Selbstenthüllung ist zuerst ein-
36
G. H. Mead hat in seiner Theorie des sozialen Handelns die zwei Instanzen von sich selber herausgearbeitet: Das Wissen, dass man in verschiedenen Situationen dieselbe Person ist (I) und das Wissen über das unterschiedlich wahrgenommene Ich von anderen Personen (me) (vgl. Kaiser & Kaiser, 1991, S. 128).
2.2 Zwischenmenschliche Beziehungen regulieren
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Kapitel 2: Übermittlung von Beziehungsbotschaften
mal ein Weg, sich selber besser kennenzulernen, und zum anderen beeinflusst das
Selbstenthüllungsverhalten auch die Qualität einer Beziehung.
Die Verarbeitung der täglichen Unterrichtserfahrungen ist unter den üblichen Rückkoppelungsbedingungen im Klassenzimmer beeinträchtigt. Lehrpersonen können
vor allem infolge der mangelnden Rückmeldungen auf der Inhaltsebene nicht aus
ihren Fehlern lernen. „Wird die Beziehung zum Lehrer als gut empfunden, so besteht ein ‘Vorurteil’, dass der Unterricht bei ihm auch verständlich und erfahrungsnah
ist und dass sich Anstrengungen lohnen“ (Dreesmann, 1982, S. 100). Schülerinnen
und Schülern ist die Qualität der Beziehung zur Lehrperson das wichtigste Kriterium
für die Qualität des Unterrichts. Geben Schulkinder Rückmeldungen, so erfolgen
diese meist aufgrund von Sympathie- oder Antipathie auf der Beziehungsebene und
nicht so sehr bezüglich der Qualität des Unterrichts auf der Inhaltsebene.37 Ist dieses Verhältnis in Ordnung, kommt es anscheinend zu einem Halo-Effekt (siehe
Fussnote 25, S. 31), bei dem von der guten personalen Beziehung auf eine hohe
Qualität bei anderen Kompetenzen geschlossen wird (vgl. auch „Physische Charakteristiken“, S. 31). Somit können Lehrpersonen, welche am Lern- und Leistungszuwachs der Schulkinder gemessen, schlecht unterrichten, immer noch positive Feedbacks bekommen. Demgegenüber erhalten Lehrpersonen mit überdurchschnittlichen
didaktischen Kompetenzen von ihren Schulkindern nicht automatisch positive Rückmeldungen, wenn die persönliche Beziehung zu ihnen nicht stimmt.
2.2.1.2 Soziale Fertigkeiten (social skills)
Um beispielsweise eine neue Beziehung einzugehen, etwa eine Freundschaft, ist es
erforderlich, verschiedene Stadien dieser Beziehung erfolgreich auszuhandeln. Zu
diesen Fertigkeiten (skills) gehören die graduelle und wechselseitige Selbstenthüllung, das Arrangieren besonderer Gelegenheiten für Begegnungen und die Fähigkeit, den anderen in hinreichender Form zu belohnen. Zur Aufrechterhaltung einer
Beziehung gehören die Beibehaltung dieser Belohnungen sowie die Vermeidung
oder das Umgehen mit den üblichen Ursachen von Konflikten. Argyle (1992, S.
364ff.) fordert deshalb, der Einübung nonverbaler Kommunikationsformen und anderer sozialer Fertigkeiten mehr Gewicht zukommen zu lassen.
Das Erlernen sozialer Fertigkeiten ist ein Prozess, der in einem sehr frühen Stadium
beginnt und das ganze Leben hindurch fortdauert. Es gibt jedoch verschiedene Formen des Trainings sozialer Fertigkeiten („social skills training“, SST) für Beziehungen. Dabei gilt es den adäquaten und flexiblen Einsatz des verbalen und nonverbalen Verhaltensrepertoires und dessen Interpretation zu üben und zu verbessern.
Training für Beziehungen könnte sich auf folgende Komponenten erstrecken (Argyle
& Henderson, 1985, zit. n. Stroebe et al., 1990, S. 246):
37
•
Das Erlernen besserer Fähigkeiten zur Interaktion einschliesslich verbaler
und nonverbaler Kommunikation,
•
den Erwerb von Wissen bestimmter Sachverhalte über Beziehungen und die
Korrektur falscher Vorstellungen sowie
Bei einer 1996 durchgeführten Befragung von 200 Primarlehrpersonen im Kanton Schwyz (innerer Kantonsteil) zu den
Qualifikationen von Lehrpersonen (Büeler, 1996) wurde zusätzlich notiert: „Hinweise und Rückmeldungen sachbezogen
und nicht persönlich aufnehmen“.
2.2 Zwischenmenschliche Beziehungen regulieren
Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen.
•
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das Erlernen der informellen Regeln für Beziehungen.
Zu den wichtigsten Funktionen nonverbaler Botschaften gehört die Steuerung sozialer Situationen, etwa dann, wenn wir ein Gespräch aufnehmen oder beenden
möchten, oder wenn wir uns einer Gruppe anschliessen bzw. uns aus ihr entfernen
wollen. Blick, Körperorientierung oder Lächeln signalisieren das Interesse, an einer
Unterhaltung teilzunehmen. Nonverbale Kompetenzen können über Anschluss an
eine Gruppe oder Ausschluss aus einer Gruppe entscheiden. Menschen mit unzureichenden sozialen Fertigkeiten haben Schwierigkeiten beim Aufbau und bei der
Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen.
Wenn man sich z.B. an einem Gesprächskreis beteiligen möchte, ist es äusserst
unhöflich, sich mit den Ellenbogen Platz im Kreis zu schaffen und sogleich seine
Meinung einzubringen. Es ist besser, wenn man sich dem Kreis langsam nähert und
mit dem Gruppenmitglied, welches einem am zugänglichsten erscheint, Blickkontakt
aufnimmt. Die dadurch angesprochene Person wird sich einem ein wenig zuwenden,
etwas zur Seite rücken, um einen Platz im Kreis frei zu machen. Schliesslich werden
die anderen Gruppenmitglieder die Ankunft des „neuen“ Gesprächsmitglieds mit einem kurzen Blickkontakt und vielleicht auch mit einem Lächeln billigend zur Kenntnis nehmen (Forgas, 1992).
Freundschaften sind wichtig für Kinder (und für Erwachsene). Das Kind entwickelt
sich durch die Auseinandersetzung mit den anderen. „Der Mensch ist ein soziales
Wesen, er lebt mit anderen Menschen zusammen und ist auf dieses Zusammenleben angewiesen“ (Hobmair, et al., 1994, S. 253). Freundschaftliche Beziehungen
können auch den schulischen Erfolg steuern.
When we understand that building caring classroom relationships is the key to creating a successful learning community, we naturally design the first weeks of school to help everyone feel
comfortable and learn about each other. (Dalton & Watson, 1997, S. 10)
Feldman,White & Lobado (1982, zit. n. Rosenbusch, 1995, S. 188) untersuchten den
Zusammenhang zwischen Sensitivität für nonverbales Verhalten als soziale Fertigkeit mit den Faktoren: Freunde haben, hoher Aktivitätsgrad, Extraversion, emotionale Kontrolle.
Die Annahme wurde bestätigt, dass die Aufgeschlossenheit für nonverbale Signale
eine Komponente der allgemeinen sozialen Kompetenz darstellt. In Rollenspielen
wurde herausgefunden, dass Rollenspielfähigkeit und nonverbale En- und Decodierungsfähigkeit zusammenhängen und diese Zusammenhänge sogar bewusst wahrgenommen werden. Das Alter spielte in dieser Untersuchung keine entscheidende
Rolle. Es stellten sich hier auch keine signifikanten Geschlechterunterschiede heraus. Man kann sagen, dass sich durch Rollenspielsituationen die sozialen Fertigkeiten von Kindern verbessern.
2.2.2 Abwehrhaltungen
Mit unserer Körperhaltung können wir offene und geschlossene Haltungen einnehmen und entsprechende Signale senden. So signalisieren beispielsweise geöffnete
Arme nicht nur den Wunsch, jemanden zu umfangen, sondern bedeuten Offenheit,
herzliche Zuneigung und bezeugen den Schutz, den man gewähren möchte. Verschränkte Arme wirken dagegen wie Barrieren. Dabei könnte man auch von Anspannung und Verkrampfung sprechen, im Gegensatz zu Lockerung. Krämpfe blok-
2.2 Zwischenmenschliche Beziehungen regulieren
54
Kapitel 2: Übermittlung von Beziehungsbotschaften
kieren den Informationsfluss und erscheinen an den Stellen, wo wir die Information
vermeiden wollen. Reicht z.B. eine Person aus gesellschaftlicher Verpflichtung jemandem die Hand, mit dem sie nicht in Kontakt treten will, werden die Gelenke an
Hand, Ellenbogen und Schulter blockiert (vgl. Heidemann, 1983, S. 8). Zu den typischen „Barriere-Signalen“ gehören neben dem Verschränken der Arme auch das der
Beine. Mit solchen Körperschildern hat man das Gefühl, von der Umgebung abgeschirmt zu sein. Man fühlt sich hinter solchen Barrieren aus Armen und Beinen sicherer.
Ein klassisches Signal der Anspannung geben solche Menschen zum Beispiel, wenn sie zu einem
formellen Empfang eintreffen und eine offene Fläche durchschreiten müssen, um von ihrem
Gastgeber begrüsst zu werden. Dabei zeigen sie ein ‚BarriereSignal‘; sie schaffen sich einen
schützenden Puffer vor dem Körper. Männer zupfen sich dabei meist am Ärmel oder richten einen Manschettenknopf oder die Armbanduhr. Natürlich sind Ärmel, Manschette und Armbanduhr
völlig in Ordnung und bedürfen keiner Korrektur, aber durch diese Berührung schafft die dominante Persönlichkeit einen Körperschild - den abwehrend vor dem Körper gekreuzten Arm. Genauso wie die Stossstange das Auto vor kleinen Kollisionen bewahrt, gibt der Körperschild unserem Prominenten das Gefühl, von der Umgebung abgeschirmt zu sein. Es ist ein kleiner Tröster,
der, als Kleidungskorrektur getarnt, meist unbemerkt durchgeht. Weibliche Berühmtheiten richten
bei solchen Gelegenheiten mangels Manschetten meist ihre Handtasche neu oder zupfen sich
am Kostüm - jedenfalls wird auch bei ihnen wie durch Zauberhand der Arm schräg vor den Körper geführt, um sie gegen die Spannung des Augenblicks zu schützen. (Morris, 1994, S. 40)
Verschiedene ablehnende Botschaften haben die Tendenz, weiterführende Gespräche zu blockieren. Sie verlangsamen, hindern oder unterbinden den notwendigen
Kommunikationsprozess zwischen den Kommunikationspartnerinnen und -partnern38
völlig.
2.2.3 Die „Unperson“
Kommt eine Person näher als erwünscht, versucht man zuerst, dieser Person auszuweichen. Ist dies nicht möglich, z.B. in einem überfüllten Lift, versucht man sich
kleiner und schmaler zu machen. Ein Blickkontakt wird vermieden, indem man angestrengt auf den Boden blickt oder in der Tasche zu wühlen beginnt. Reicht das immer noch nicht aus, um einer Berührung zu entgehen, hilft man sich damit, dass man
jemanden für sich zur „Unperson“ macht. Man schaut beispielsweise durch diese
Person hindurch und nimmt sie offiziell gar nicht wahr. Es dürften etwa die gleichen
Mechanismen sein, mit denen zu früheren Zeiten die Dienstboten behandelt wurden.
Hier wurden auch intime Dinge ohne Scheu in Anwesenheit von Dienstboten besprochen, da diese tendenziell eher zu den Gegenständen im Raum und nicht zu
den Menschen zählten (Ibelgaufts, 1997, S. 66). Eindringlinge in die persönliche
Zone können die Botschaft aussenden: „Sie sind eine Unperson, und deshalb kann
ich ihre persönliche Zone (siehe Abschnitt: „räumliche Aspekte“, S. 28ff.) verletzen.
Sie sind unwichtig.“ In Situationen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen kann
dieses Signal die Untergebenen demoralisieren und den Vorgesetzten nützlich sein.
Damit kann der Hierarchie-Unterschied entscheidend hervorgehoben werden (Faust,
1980, S. 59f.).
38
Dem Problem dieser Blockaden liegt die Reaktanz-Theorie zugrunde. Reaktanz tritt immer dann auf, wenn während
eines Entscheidungsprozesses Alternativen aufgegeben oder eliminiert werden. Sie stellt eine Art „Gefühl des Bedauerns“ dar, das aus dem Bewusstsein entsteht, dass die freie Entscheidung für eine der Alternativen nunmehr nicht mehr
möglich ist. Die Reaktanz kann sich teilweise in der Steigerung der Attraktivität der nicht mehr offenstehenden Alternative manifestieren (vgl. Mann, 1991, S. 210). Wenn der Freiheitsspielraum eingeschränkt wird, dann versuchen die Individuen, den verlorengegangenen Spielraum wiederherzustellen.
2.2 Zwischenmenschliche Beziehungen regulieren
Lizentiatsarbeit von Urs Büeler: In der Klasse stehen.
55
Dieses Nichtbeachten einer Person ist jedoch für den Aufbau einer gegenseitigen
Beziehung nicht sehr förderlich. In der Erziehung wird manchmal versucht, das störende Kind einfach nicht zu beachten. Somit degradiert man das Kind zu einer „Unperson“. Obwohl man nicht auf die Störung reagiert, bewertet man durch die nonverbal gesendete Botschaft das Verhalten und nimmt das Kind nicht als Person wahr.
Für Cohn (1993) haben in jeder sozialen Interaktion Störungen Vorrang. Das abweichende Verhalten kann sofort aufgenommen und in einer wertschätzenden Haltung
zurückgemeldet werden (vgl. Tausch & Tausch, 1975).
2.2 Zwischenmenschliche Beziehungen regulieren
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