2005_d Dialog

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„Chancen und Grenzen des interreligiösen Dialogs am Beispiel von Hindus und Christen in Indien“,
Hoffnung (Münsterschwarzach: Missionszeitschrift, 2005), 11-12.
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CHANCEN UND GRENZEN DES INTERRELIGIÖSEN DIALOGS
AM BEISPIEL VON HINDUS UND CHRISTEN IN INDIEN
Francis X. D’Sa S.J.
0. EINFÜHRUNG
Im 19. Jahrhundert erlebten die Hindus eine Art Renaissance, die eine neue Etappe in der
Wirkungsgeschichte ihrer Traditionen bedeutete. Interessanterweise war dies das
Ergebnis der Begegnung mit den Christen und ihren Lehren. Gleichsam ein Spiegel
ermöglichte diese Begegnung, die eine Selbst-Entdeckung und eine Selbst-Kritik
bedeutete. Die Selbst-Entdeckung bestand darin, dass sie sich der großartigen Schätze
ihrer eigenen Traditionen bewusst wurden. Hingegen widerspiegelte die Selbst-Kritik die
Starrheit, der die Traditionen anheim gefallen waren. Vergessen worden war der Geist,
der belebt, groß geschrieben aber war der Buchstabe, der tötet.
Diese Renaissance der Hindu-Traditionen brachte zwei Strömungen hervor: eine, die
zurück in die Vergangenheit schaute und die andere vorwärts in die Zukunft – eine
Polarisierung, die die Hindus heute noch nicht überwunden haben. Die Strömung, die das
goldene Zeitalter in der Vergangenheit entdeckt zu haben meinte, hat heute so sehr
zugenommen, dass aus ihr diverse religiöse Gruppierungen und politische Parteien
hervorgegangen sind.
Die zukunftsorientierte Strömung war am Anfang massiv von den Ideen des Westens im
Allgemeinen und den Gedanken des Christentums im Besonderen beeinflusst. Die Kritik
an der Gottesidee und noch mehr am Kastenwesen der Hindu-Traditionen hat ihren
Ursprung in der christlichen Perspektive, was Gott, Mensch und Welt betrifft. Diese
Strömung ist heute nicht weniger stark, nur hat sie eher ein säkulares als ein religiöses
Kolorit angenommen. Ihre Geschichte hätte eine andere Richtung genommen, wäre das
Christentum des 19. Jahrhunderts offener gewesen.
Unter der Kolonial-Herrschaft waren die Kirchen (und die Missionare) dem Hinduismus
gegenüber aggressiver als heute. Es gab selten Christen und christliche Theologen, die
die Hindu-Bemühungen das Christliche zu verstehen, wohlwollend betrachteten,
geschweige denn die Religion der Hindus positiv würdigten. Diese negative wenn nicht
beleidigende Einstellung der christlichen Denker und Führer hat tiefe Spuren in den
Herzen der rechtgläubig denkenden Hindus hinterlassen. Kein Wunder, dass diese Spuren
im politisch unabhängigen Indien zunehmend wieder aktiver wurden und noch immer
werden.
Um nur einige Beispiele zu nennen, da gab es Raja Ram Mohan Roy (1772-1833), der
von dem Monotheismus des Christentums und der ethischen Lehre Jesu begeistert war,
der aber den „Trinitarismus“ thematisch ablehnte. Es gab christlicherseits keinen einzigen
Theologen, der Mohan Roys kritische Gedanken dem Hinduismus gegenüber aufgriff und
eine Brücke zu ihm zu bauen sich bemühte. Dann gab des Keshub Chandra Sen (18381884), der unter anderem eine begeisterte Schrift über die christliche Trinität verfasste
und als erster eine ehrwürdige indische Bezeichnung für sie verwendete (sacchidananda,
d.h. sat [Sein], cit [Bewusstsein], ananda [Wonne]) und den zeitlosen Christus überall
und zu allen Zeiten, in allen Kulturen und Religionen am Werk sah. Darüber hinaus
gründete Keshu Chandra Sen eine der christlichen Kirche ähnliche Hindu-Gemeinschaft.
Doch auch er fand keinen Dialog-Partner, der seine Bemühungen zu schätzen wusste.
Schließlich und endlich gab es Brahmabandhav Upadhyay (1861-1907), der zusammen
mit Rabindranath Tagore, dem Nobelpreisträger, die Erziehungsstätte Shanti-Niketan
gründete. Er wurde zuerst Anglikaner und dann Katholik. Wir verdanken ihm ein
einmaliges Sanskrit-Lied zur Ehre der Trinität, in dem urchristliche Gedanken und
upanishadisches Gut miteinander in Einklang kommen. Brahmabandhav Upadhyay hatte
kreative, wenn auch umstrittene Ideen, was die „Inkulturation“ des Christentums angeht
(z.B. die Nomenklatur des Advaita [=Nicht-Zweiheit] als die Ausdrucksweise des
Christentums in Indien, Sanskrit als die Sprache der Priester-Ausbildung, usw.). Bis zum
Ende seines Lebens ernteten seine Bemühungen nur Angriffe von den obersten Instanzen
der katholischen Kirche.
Diese zwei Tendenzen der Hindu-Traditionen sind zwei Reaktionen auf das Christentum
des 19. Jahrhunderts.
Im 20. Jahrhundert ist die Situation in das Gegenteilige umgeschlagen: die Christen
öffneten sich den Hindu-Traditionen gegenüber; nicht wenige widmeten sich dem
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ernsthaften Studium ihrer Schriften, Geschichte und Gewohnheiten. Das war eine
großartige Vorbereitung auf den künftigen Dialog zwischen den zwei Religionen. Die
Hindus aber scheinen diese Versuche zu ignorieren. Obwohl die Mehrheit der Hindus den
Christen gegenüber wohlwollend ist, werden die inter-religiösen und wissenschaftlichen
Beiträge nicht zur Kenntnis genommen. Das ist nun seitens der Mehrheit keine
beleidigende Einstellung, sondern Ausdruck einer zunehmend „säkularistischer“
werdenden Mentalität.
In diesem Zusammenhang darf man aber folgendes nicht übersehen. Zum einen haben die
Hindus kein missionarisches Sendungsbewusstsein. Dementsprechend besteht bei ihnen
auch kein großes Verlangen nach Dialog. Der Drang nach Dialog spielt in den
hinduistischen Traditionen eine geringe Rolle. Zum anderen haben die Hindus im großen
und ganzen eine tolerante Haltung den anderen Religionen gegenüber. Solche Toleranz
hält weder eine tiefere Bekanntschaft mit, noch ein fundiertes Wissen von anderen
Traditionen für notwendig.
Wie steht es nun um den Dialog mit den Hindu-Traditionen? Um diese Frage
beantworten zu können, wenden wir uns zuerst an das Dialog-Verständnis des
Dokuments „Dialog und Verkündigung“ vom Päpstlichen Rat für den interreligiösen
Dialog. Das Dokument spricht von vier Arten von Dialog: (a) dem Dialog des Lebens,
wo die Menschen verschiedener Traditionen im harmonischen Zusammenleben
Vertrauen schenken und gewinnen; (b) dem Dialog des gemeinsamen Engagements
angesichts der Lösung gemeinsamer Probleme; (c) dem Dialog der Experten, der Zweifel
und Missverständnisse beseitigt und schwierige Punkte klärt; und schließlich (d) dem
Dialog des spirituellen Austausches, wo die Dialog-Partner durch ihre Zeugnisgeben es
jeweils ermöglichen, in die Glaubens-Welt des anderen einzutreten.
Es ist unentbehrlich für den Gesamt-Prozess des Dialogs, dass Glaubensgemeinschaften
lernen miteinander zu leben und zu arbeiten. Diese zwei Schritte erzeugen gegenseitiges
Vertrauen und dadurch öffnen sich die Gemeinschaften aufeinander hin. Wo der dritte
und der vierte Schritt Offenheit und Vertrauen voraussetzen können, werden die
Ergebnisse ganz fruchtbar. Andererseits hat der Dialog der Experten eine besondere
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Rolle. Er baut Brücken der gegenseitigen Verständigung dadurch, dass er Sympathie für
die andere Tradition erzeugt und so ein tieferes Zusammenleben ermöglicht.
In diesem Kontext gibt es einen Aspekt des inter-religösen Dialogs, der unsere
Aufmerksamkeit verdient, weil er die Wirkung solcher Verständigung, die man früher
vernachlässigte, verdeutlicht. Diesen Aspekt nennt der Philosoph-Theologe-Mystiker
Raimon Panikkar den „intra-religiösen“ Dialog.
Was Panikkar damit meint ist folgendes: Wenn wir etwas von einer anderen Religion
verstehen und von seiner Sinnsuche und Sinnstiftung erfasst werden, dann bewirkt dies
eine Veränderung in unserer Sinnsuche und Sinnfindung. Unsere eigene Verstehenswelt
erfährt Vertiefung und unser Glaubenshorizont wird weiter, breiter und noch umfassender
als früher. Der Glaubenshorizont als Sinnhorizont ermöglicht, dass etwas, was uns früher
nicht als sinnvoll vorkam, jetzt als sinnvoll erscheint und Teil unseres Sinnhorizonts
wird. Durch das Studium und die Reflexion darüber entdeckt man etwas von dem, woran
eine andere Religion glaubt, als sinnvoll und relevant auch für uns. Dieser Dialog findet
in unserem Innern statt; daher das „intra“, des intra-religiösen Dialogs. Das Neue, das in
unserem Sinnhorizont Platz gefunden hat, tritt gleichsam in einen Dialog mit der ganzen
Konstellation, die unseren Sinnhorizont ausmacht. Dadurch wird unser Sinnhorizont
aufgeschlossener und offener.
Können wir uns diesen intra-religiösen Dialog konkreter im Falle von Christentum und
Hinduismus vorstellen? Panikkar hat sich durch seine Pionier-Arbeit in diesem Bereich
verdient gemacht. Er hat z.B. die Zusammenhänge zwischen dem hinduistischen KarmaGesetz und der geschichtlichen Dimension des Menschen ausgearbeitet. Panikkar spricht
vom Karma als einer allem zugrunde liegenden Einheit, von der „kosmischen Solidarität“
und „ontologischer Verwandtschaft“. Der Grund dafür liegt darin, dass Karma die
Gesamtsumme aller inneren Geschehnisse ist, die aus der Interaktion zwischen Kosmos
und Mensch entstehen. Jede Handlung und jede Wirkung affizieren das Gesamt-Karma.
Im Weltbild des Karma geht nichts verloren, alles wird integriert in das Ganze. Und
umgekehrt: Jedes Seiende, jedes Ding, jedes Geschehen wird vom Gesamt-Karma
geformt und bestimmt.
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Und was noch wichtiger ist: In der Karma-Welt, in der alles mit allem verbunden ist, gibt
es kein Individuum und kein Geschehen, das vom Gesamt-Karma getrennt ist. So ein
karmisches Verständnis von Geschichte, das sich auf sämtliche Weltgeschehnisse
bezieht, könnte das anthropische Verständnis von Geschichte ergänzen und es
relativieren. Denn in dem anthropischen Verständnis, wo der Mensch den Mittelpunkt der
Ereignisse ausmacht, hängt das Wahrheitsverständnis vom Geschehen ab. Hat ein
Geschehen wirklich stattgefunden, so ist es wirklich und wahr. Hat es aber nicht
stattgefunden, dann ist es weder wirklich noch wahr. Hier ist die Gefahr der
Verabsolutierung dieser Wahrheits-Perspektive groß. Das karmische Verständnis von
Geschichte hingegen zeigt einen anderen Aspekt des Wahrheitsverständnisses. Die
Wahrheit des Hintergrunds, die erst die Wahrheit des Vordergrunds ermöglicht. Die
Hintergrundwahrheit ist nicht eine beweisbare Wahrheit und daher hat sie nicht den
Charakter eines geschichtlichen Ereignisses.
Ein anderes wichtiges Beispiel für Panikkars inter-religiöses Denken sind seine
Christologie und Christophanie. Zunächst einmal ist Christologie für Panikkar die Lehre
über den Christos. Darüber haben die ersten ökumenischen Konzilien gerungen und in
der Tat sind sie zu großartigen Formulierungen (allerdings zu Formulierungen, die die
semitisch-griechisch-römische Welt voraussetzen) gekommen. Panikkars Vertrautheit mit
den hinduistischen und buddhistischen Glaubenswelten hat auch sein ChristusVerständnis befruchtet wie bei kaum einem anderen Theologen.
Um es kurz zu machen, Panikkar macht eine doppelte Unterscheidung. Die erste
Unterscheidung ist zwischen Jesus und Christus. Jesus ist der Christus aber der Christus
ist mehr als Jesus. Es ist aber wahr, dass der Christus sich voll und ganz in Jesus
geoffenbart hat. Und dennoch hat seine Göttlichkeit sein Menschsein nicht aufgehoben.
Wozu hilft diese Unterscheidung? Die Christen kennen nur das Gesicht des Christus, das
in Jesus geoffenbart wurde. Aber der Christus offenbart sich immer und überall. Panikkar
hat das Christus-Gesicht, das im Hinduismus geoffenbart wurde, als den unbekannten
Christus des Hinduismus bezeichnet. Unbekannt, weil wir gewöhnt sind, den Christus nur
mit Jesus in Verbindung zu bringen. Der kosmotheandrische Christus (= kosmos, theos,
aner), der ganzheitliche Christus, ist die umfassende Offenbarung Gottes, die allein für
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die Offenbarung – ob im Christentum oder Hinduismus oder wo auch immer –
verantwortlich ist. Dieses Christusverständnis ermöglicht es Panikkar, die Eigenart der
jeweiligen Glaubenswelt aufrechtzuerhalten, ohne die Absolutheit des Christus
aufzugeben.
Die zweite Unterscheidung Panikkars ist ebenfalls von den Hindu-Traditionen
beeinflusst, die Wert auf Erfahrung und weniger auf Glaubenssätze legen. Christologie ist
nur die Schwelle, aber Christophanie ist das eigentliche Wohnzimmer. Jesus ist die
Christophanie, die Manifestation des Christus. Weil er sich voll und ganz entäußerte,
konnte Gottes Geist seine Wohnung in ihm nehmen. Dadurch konnte Jesus seine
Gotteskindschaft entdecken und bekennen „Ich und der Vater sind eins!“
Im Klartext, Jesus brachte uns an erster Stelle nicht Lehren, sondern Leben. Auch wir
sind dazu berufen, unsere Gotteskindschaft zu entdecken.
Der Dialog der Religionen hat seine Eigendynamik, die nicht manipulierbar ist. Aber
Panikkars Arbeiten geben uns eine Ahnung von den Chancen und Gefahren des Dialogs.
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