Elemente einer Harmonisierung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs in der Europäischen Union Rechtsvergleichende Untersuchung im Auftrag des Bundesministerium der Justiz von Professor Dr. Dr.h.c.mult. Gerhard Schricker und Dr. Frauke Henning-Bodewig, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht, München Juli 2001 2 Inhaltsverzeichnis A Gutachtliche Stellungnahme .......................................................... 4 I. Allgemeines ...............................................................................................................4 1. Das Recht des unlauteren Wettbewerbs - Begriff, Schutzzweck, Abgrenzung..........4 a) Rechtsentwicklung ................................................................................................................4 b) Wandel des Schutzzwecks....................................................................................................5 c) Gesetzestechnik ....................................................................................................................6 d) Wettbewerbsverhältnis ..........................................................................................................6 e) Weite Definition des Rechts des unlauteren Wettbewerbs ...................................................7 f) Abgrenzung im Verbraucherschutzrecht...............................................................................7 g) Abgrenzung zum Immaterialgüterrecht .................................................................................8 h) Freiwillige Selbstkontrolle......................................................................................................8 i) Sanktionen und Verfahren.....................................................................................................9 2. Europäisches Gemeinschaftsrecht und Recht des unlauteren Wettbewerbs ............9 a) Ausgangspunkt......................................................................................................................9 b) Anwendbares Recht: Marktrecht versus Ursprungslandprinzip ..........................................10 c) Freier Warenverkehr ...........................................................................................................13 d) Freier Dienstleistungsverkehr..............................................................................................16 e) Rechtsangleichung im Recht des unlauteren Wettbewerbs ...............................................17 3. Internationales Recht..............................................................................................19 a) Die Pariser Verbandsübereinkunft ......................................................................................20 b) Das TRIPS-Übereinkommen...............................................................................................21 c) Europäische Menschenrechtskonvention. Grundrechte .....................................................22 II. Themen einer möglichen Harmonisierung.............................................................23 1. Auszugrenzende Themen.......................................................................................23 a) Bereits harmonisierte Bereiche: irreführende Werbung......................................................23 b) Vergleichende Werbung......................................................................................................26 c) Kennzeichenrecht................................................................................................................28 d) Geographische Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen ....................................30 e) Boykott, Diskriminierung, Preisunterbietung, Schutz von Vertriebsbindungen...................31 f) Rabatte, Zugaben, besondere Verkaufsveranstaltungen ...................................................31 2. Themen für Harmonisierungsüberlegungen............................................................32 3. Regelungstechnik ...................................................................................................32 III. Einzelthemen der Harmonisierung......................................................................34 1. Generalklausel .......................................................................................................34 2. Hervorrufen von Verwechslungen...........................................................................40 3. Sklavische Nachahmung (wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz) ......................43 4. Anschwärzung, persönliche Bezugnahme ..............................................................50 3 5. Geheimnisschutz....................................................................................................53 6. Tarnung von Werbung............................................................................................54 7. Belästigende Werbung ...........................................................................................65 8. Gewinnspiele..........................................................................................................72 9. Progressive Kundenwerbung..................................................................................77 10. Verletzung von Grundwerten .................................................................................79 11. Wertreklame ..........................................................................................................91 12. Verletzung außerwettbewerbsrechtlicher Rechtsnormen ..................................... 101 B Zusammenfassung ..................................................................... 104 I. Allgemeines ........................................................................................................... 104 1. Das Recht des unlauteren Wettbewerbs - Begriff, Schutzzweck, Abgrenzung...... 104 2. Europäisches Gemeinschaftsrecht und Recht des unlauteren Wettbewerbs ........ 104 3. Internationales Recht............................................................................................ 105 II. Themen einer möglichen Harmonisierung........................................................... 106 III. Einzelthemen der Harmonisierung.................................................................... 107 1. Generalklausel ..................................................................................................... 107 2. Hervorrufen von Verwechslungen (wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz) ....... 107 3. Sklavische Nachahmung ...................................................................................... 107 4. Anschwärzung, persönliche Bezugnahme ............................................................ 107 5. Geheimnisschutz.................................................................................................. 108 6. Tarnung von Werbung.......................................................................................... 108 7. Belästigende Werbung ......................................................................................... 108 8. Gewinnspiele........................................................................................................ 108 9. Progressive Kundenwerbung................................................................................ 109 10. Verletzung von Grundwerten ............................................................................... 109 11. Wertreklame ........................................................................................................ 109 12. Verletzung außerwettbewerbsrechtlicher Rechtsnormen ..................................... 110 4 A Gutachtliche Stellungnahme I. Allgemeines 1. Das Recht des unlauteren Wettbewerbs - Begriff, Schutzzweck, Abgrenzung a) Rechtsentwicklung Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung ist das Recht des unlauteren Wettbewerbs, wie es traditionell als Teil des gewerblichen Rechtsschutzes (industrial property) aufgefasst wird. Insoweit kann im internationalen Vertragsrecht auf Art. 1 und Art. 10bis der Pariser Verbandsübereinkunft in der Stockholmer Fassung vom 14.7.1967 Bezug genommen werden1, in der Literatur auf das unter Leitung von Eugen Ulmer begonnene, seit 1965 veröffentlichte rechtsvergleichende Gutachten “Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der EWG”2. Nach der herkömmlichen Konzeption ist das Recht des unlauteren Wettbewerbs dazu bestimmt, die als Anbieter konkurrierenden Unternehmen einzeln und als Gruppen gegen missbräuchliche Wettbewerbshandlungen zu schützen. Es geht dabei um die Abwehr von Verfälschungen des Wettbewerbs, nicht um den Schutz der Freiheit des Wettbewerbs, wie ihn das hier nicht zu behandelnde Kartellrecht verfolgt3. Die Verbindungslinien zwischen beiden Materien dürfen freilich nicht übersehen werden. 1 BGBl 1970 II 391, 1984 II 799. S. dazu die Kommentierung von Schricker in UWG Großkomm, Einl., Rdnr. F 19 ff. 2 Die deutsche Ausgabe ist in 6 Bänden veröffentlicht; verschiedene Bände sind auch in anderen Sprachen der Gemeinschaft erschienen; s. Ulmer, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der EWG, Bd. I, Vergleichende Darstellung mit Vorschlägen zur Rechtsangleichung, 1965; Ulmer/Schricker/Wunderlich, Bd. II/1, Belgien, Luxemburg, 1967; Ulmer/ Baeumer/van Manen, Bd. II/2, Niederlande, 1967; Ulmer/Reimer, Bd. III, Deutschland, 1968; Ulmer/Kraßer, Bd. IV, Frankreich, 1967; Ulmer/Schricker, Bd. V, Italien, 1965; Ulmer/Graf v. Westerholt, Bd. VI, Vereinigtes Königreich, 1981; Ulmer/Alexandridou, Bd. VII, Griechenland, 1994. 3 S. zur Abgrenzung Köhler/Piper, UWG, 2. Aufl., Einf., Rdnr. 46. 5 Historisch wurde das Recht des unlauteren Wettbewerbs richterrechtlich oder gesetzgeberisch als Sonderdeliktsrecht aus dem allgemeinen Recht der unerlaubten Handlungen herausentwickelt. Sein Zweck ist der Schutz der Unternehmen, die sich als Wettbewerber auf dem Markt betätigen. In der französischen Rechtsprechung um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, hat sich der Begriff des unlauteren Wettbewerbs weltweit verbreitet (concurrence déloyale, unfair competition, competencia desleal, concorrenza sleale usw.). Für die europäische Entwicklung ist allerdings charakteristisch, dass “unfair competition” als Begriff des positiven Rechts im Vereinigten Königreich und in Irland bis heute nicht rezipiert wurde; hierauf wird noch zurückzukommen sein. b) Wandel des Schutzzwecks Die Rechtsentwicklung ist jedoch bei diesem traditionellen Regelungsmodell nicht stehen geblieben. In Deutschland hat sich schon seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Erkenntnis durchgesetzt, dass unlauterer Wettbewerb nicht nur die individuell oder kollektiv betroffenen Mitbewerber, sondern auch das Interesse der “Allgemeinheit” angeht. Hieraus hat sich im deutschen Recht die Schutzzwecktrias von Anbieterschutz, Schutz der Abnehmer, insbesondere der privaten Letztverbraucher, und Schutz der Allgemeinheit im Sinne des Schutzes öffentlicher Interessen entwickelt. Im UWG verbinden sich diese drei Schutzzwecke, was freilich nicht ausschließt, dass sie im Einzelfall nicht gleichgewichtig und u. U. nur selektiv zur Anwendung gelangen4. Die dreifache Aufgliederung der Schutzzwecke wurde auch in Art. 1 der EG-Richtlinie über irreführende Werbung übernommen, wenn es dort heißt5: “Zweck dieser Richtlinie ist der Schutz der Verbraucher, der Personen, die einen Handel oder ein Gewerbe betreiben oder ein Handwerk oder einen freien Beruf ausüben, sowie der Interessen der Allgemeinheit gegen irreführende Werbung und deren unlautere Auswirkungen.” 4 S. im einzelnen, Schricker, GRUR Int. 1970, 32 ff.; ders., in UWG Großkomm, Einl., Rdnr. F 359. Umfassend zum heutigen Stand des deutschen Rechts, Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht, 2000. 5 GRUR Int. 1984, 688, 689. 6 c) Gesetzestechnik Die gesetzliche Integration von Wettbewerber- und Verbraucherschutz ist auch in anderen Mitgliedstaaten der EU zu beobachten, so etwa in Belgien, Dänemark und Spanien. In anderen Ländern ist dagegen das Recht des unlauteren Wettbewerbs im traditionellen deliktsrechtlichen Sinn erhalten geblieben; unabhängig davon und daneben wurden Verbraucherschutzgesetze, insbesondere in Gestalt von Werbegesetzen erlassen (Finnland, Frankreich, Italien, Portugal). Es existieren aber auch Mischformen: So wird in Griechenland das nach deutschem Vorbild geschaffene UWG von der neueren Lehre im Sinne der Schutzzwecktrias fortgebildet; daneben steht ein inhaltlich sich z. T. damit überschneidendes Verbraucherschutzgesetz. In Spanien gilt der dreifache Schutzzweck sowohl für das Gesetz über unlauteren Wettbewerb als auch das Werbegesetz. Wo die EG-Richtlinie über irreführende Werbung umgesetzt wird, führt dies in der Regel auch zur Übernahme der Schutzzwecktrias. Praktisch kann die Definition des Schutzzwecks Auswirkungen sowohl auf die Formulierung des Rechtswidrigkeitskriteriums in der Generalklausel und auf die Ausbildung von Einzeltatbeständen haben als auch auf die Regelung der Rechtsverfolgung. d) Wettbewerbsverhältnis Klassische Gesetze gegen unlauteren Wettbewerb pflegen ihre Anwendung davon abhängig zu machen, dass im Rahmen eines Wettbewerbsverhältnisses gehandelt wird. Aus der Sicht betroffener Verbraucher erscheint diese Voraussetzung nicht unabdingbar; wesentlich ist hier, dass die Abnehmer vom Marktverhalten eines Anbieters betroffen werden, ganz gleich, welches seine Wettbewerbsposition ist. Konsequent werden die Schutzgesetze nicht mehr gegen unlauteren Wettbewerb konzipiert, sondern allgemein als Gesetze betreffend Geschäftspraktiken (Belgien) oder Gesetze über Marktverhalten oder Marktvertrieb (Dänemark, Schweden). Auch in Deutschland hat das Merkmal des Wettbewerbsverhältnisses stark an Bedeutung verloren; es wird von der Rechtsprechung weit aufgefasst und von vielen Autoren für überflüssig gehalten6. Dies schließt nicht aus, dass die Unlauterkeit im Einzelfall voraussetzt, dass Täter und Opfer Wettbewerber sind. 6 S. im einzelnen Köhler/Piper, Einf., Rdnr. 240 ff. m.w.Nachw.; umfassend Federer, Das Wettbewerbsverhältnis im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 1989. 7 Zur Abgrenzung des einer besonderen Kontrolle unterliegenden Bereichs - sei es durch ein Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, ein Marktverhaltensgesetz, Werbe- oder Verbraucherschutzgesetz - dient mehr und mehr das in der Richtlinie über irreführende Werbung zur Definition des Begriffs der Werbung gewählte Kriterium des Absatzförderungszwecks im geschäftlichen Bereich, der sowohl Handel, Gewerbe und Handwerk als auch die freien Berufe einschließt und ein konkretes Wettbewerbsverhältnis nicht mehr impliziert. Die Rechtsangleichung sollte diesem modernen Ansatz folgen. e) Weite Definition des Rechts des unlauteren Wettbewerbs Nach allem empfiehlt sich, für die vorliegende Untersuchung und für die Arbeiten zur Rechtsharmonisierung von einem weiten Begriff des Rechts des unlauteren Wettbewerbs auszugehen. Erfasst werden sollen grundsätzlich alle Regelungen zur Kontrolle geschäftlicher Handlungen, die der Vermarktung von Waren und/oder Dienstleistungen dienen, ganz gleich, ob sie im Recht des unlauteren Wettbewerbs, in Gesetzen über Handelspraktiken oder Marktvertrieb, in Werbe- oder Verbraucherschutzgesetzen enthalten sind. Es kann dabei um den Schutz der Anbieter, Nachfrager insbesondere der privaten Letztverbraucher und der Allgemeinheit oder aller drei Interessenpositionen gehen. Die Erfahrung lehrt, dass diese Schutzzwecke vielfach eng verbunden sind. Für eine Zugrundelegung der Schutzzwecktrias bei künftigen Rechtsangleichungsvorgaben spricht auch ihre Anerkennung in der Richtlinie über irreführende Werbung. f) Abgrenzung im Verbraucherschutzrecht Eine nähere Abgrenzung ist insbesondere im Rahmen des Verbraucherschutzrechts erforderlich. Nicht alles, was dem Verbraucherschutz dient, ist in die vorliegende Untersuchung einzubeziehen. Als eigenständig außer Betracht bleiben das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, die Produkthaftung und das Recht der Verbraucherverträge. Eigene Wege geht auch die Entwicklung produktspezifischer Regelungen, wie insbesondere des Lebensmittel- und Arzneimittelrechts. Ein Sondergebiet bilden ferner die medienspezifischen Werberegelungen, wie das Fernsehwerberecht, das hier vergleichend einbezogen wird. Insgesamt erscheint es zweckmäßig, von den auch in Art. 10bis PVÜ enthaltenen Grundtatbeständen des Hervorrufens von Verwechslungen, der Anschwärzung und der irreführenden Werbung auszugehen und zu verfolgen, wie sich die Palette durch Einbeziehung vergleichbarer Tatbestände in der 8 Gesetzgebung der Mitgliedstaaten erweitert hat. Ein pragmatisches Vorgehen erscheint dabei angezeigt. g) Abgrenzung zum Immaterialgüterrecht Die immaterialgüterrechtlichen Sonderschutzrechte wie Patent, Gebrauchsmuster, Geschmacksmuster, Urheberrecht und Marke liegen außerhalb des hier zu behandelnden Bereichs. Auch wenn ihnen wettbewerbliche Bedeutung zukommt, sind sie doch vom Recht des unlauteren Wettbewerbs zu unterscheiden; letzterem gegenüber genießen sie Vorrang als Gegenstand von Spezialregelungen. Ergänzend kann das Recht des unlauteren Wettbewerbs aber durchaus zur Anwendung kommen, insbesondere zum Schutz sondergesetzlich nicht geschützter Leistungen gegen unlautere Ausbeutung7. So schließt denn auch die Markenrechtsrichtlinie8 die Anwendung “anderer Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, wie der Vorschriften gegen den unlauteren Wettbewerb” nicht aus; nach Art. 14 (2) der Markenrechtsverordnung9 bleibt das Recht unberührt, Klagen betreffend eine Gemeinschaftsmarke auf innerstaatliche Rechtsvorschriften, insbesondere über den unlauteren Wettbewerb zu stützen. Im deutschen Markenrecht werden “andere Vorschriften” in § 2 vorbehalten; dies wird von der h.M. im Sinne der traditionellen ergänzenden Anwendbarkeit des UWG interpretiert10. h) Freiwillige Selbstkontrolle Systeme der freiwilligen Selbstkontrolle bzw. Selbstdisziplin sind in der Gemeinschaft weit verbreitet. Ihre Codices sind meist an den Verhaltensregeln für die Werbepraxis der Internationalen Handelskammer orientiert11. Die Bedeutung der Selbstkontrolleinrichtungen ist von Land zu Land verschieden. Wo das staatliche Recht des unlauteren Wettbewerbs bzw. seine Praxis 7 S. allgemein zum Verhältnis von Urheberrecht und Recht des unlauteren Wettbewerbs Schricker, Urheberrecht, Kommentar, 2. Aufl., Einl., Rdnr. 36 ff.; zum Patentrecht Bernhardt/Kraßer, Lehrbuch des Patentrechts, 4. Aufl., § 2 I d. 8 S. die Erwägungsgründe, abgedruckt bei v. Mühlendahl, Deutsches Markenrecht, Texte und Materialien, S. 306. 9 S. v. Mühlendahl/Ohlgart, Die Gemeinschaftsmarke, S. 248. 10 S. Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 2 Rdnr. 1, 7 ff. 11 S. zusammenfassend UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 417 ff. Die Verhaltensregeln (Fassung 1987) sind bei Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., Anhang IX zu § 3 UWG, S. 1262 ff., abgedruckt. 9 schwach entwickelt ist, kann die Selbstkontrolle wichtige lückenfüllende und ergänzende Funktionen ausüben (so im Vereinigten Königreich, in den Niederlanden und in Italien, zeitweise auch in Schweden). Bei strengem und extensiv angewendetem Wettbewerbsrecht, wie in Deutschland bleibt die Selbstkontrolle dagegen eine wenig bedeutende Randerscheinung. Ein neues Anwendungsfeld könnte die Selbstregulierung im Bereich internationaler Computernetzwerke erlangen12. Allgemein kommt den selbstdisziplinären Verhaltensregeln für die Rechtsfortbildung eine gewisse wegweisende Bedeutung zu. In der Richtlinie über irreführende Werbung wird der Selbstkontrolle ausdrücklich Raum gelassen, jedoch nicht zur Substitution, sondern nur zur Ergänzung staatlicher Verfahren (Art. 5). Die vorliegende Untersuchung wird die freiwillige Selbstkontrolle in diesem Sinne mit in Betracht zu ziehen haben. Die Richtlinie über vergleichende Werbung hat zu Art. 5 der Irreführungsrichtlinie hinzugefügt, dass die Mitgliedstaaten die freiwillige Kontrolle fördern können. i) Sanktionen und Verfahren Rechtsangleichungsmaßnahmen der EU im Bereich des Wirtschaftsrechts befleißigen sich meist großer Zurückhaltung im Bereich von Sanktionen und Verfahren, da enge Verbindungen zum allgemeinen Zivil- und Verfahrensrecht vorliegen. Die Richtlinie über irreführende Werbung geht hier schon relativ weit, allerdings im Sinne elastischer Regelungen, die den Mitgliedstaaten zum Teil die Wahl zwischen unterschiedlichen Optionen erlauben. Soweit in der vorliegenden Untersuchung Aussagen zur Sanktionsseite zu machen sind, werden sie an die Vorgaben der Richtlinie anzuknüpfen haben. 2. Europäisches Gemeinschaftsrecht und Recht des unlauteren Wettbewerbs a) Ausgangspunkt Anders als das Kartellrecht (s. Art. 81 ff. EGV, früher Art. 85 ff.) ist das Recht des unlauteren Wettbewerbs im primären Gemeinschaftsrecht des EGV13 12 S. dazu Jung, GRUR Int. 1998, 841. 13 Wir nehmen hier und im folgenden Bezug auf den EGV in der Neufassung durch den Vertrag von Amsterdam vom 2.10.1997, BGBl 1998 II 386, in Kraft seit 1.5.1999, BGBl II 296. 10 nicht geregelt. Allerdings wird in der Präambel des EGV als dessen Ziel auch genannt, einen “redlichen Wettbewerb zu gewährleisten”; beabsichtigt ist die Errichtung eines Systems, das “den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt”14. In der Literatur wird vereinzelt aus diesen Programmsätzen und aus den kartellrechtlichen Normen die Existenz einer gemeinschaftsrechtlichen Generalklausel des unlauteren Wettbewerbs abgeleitet, jedoch erscheint deren unmittelbare Anwendbarkeit zweifelhaft15. Die ganz h.M. steht dagegen auf dem Standpunkt, dass das Recht des unlauteren Wettbewerbs Sache der Mitgliedstaaten bildet, solange nicht eine Harmonisierung durch sekundäres Gemeinschaftsrecht erfolgt ist. Die Anwendung des nationalen Rechts ist jedoch im Einzelfall durch den EuGH hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit des EGV zu überprüfen (s. unten c, d). Das Primärrecht des EGV und insbesondere die gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte sind auch bei der Schaffung und Auslegung sekundärrechtlicher Regelungen zu beachten16 und sind insoweit bei den Überlegungen zur Rechtsharmonisierung im Auge zu behalten. b) Anwendbares Recht: Marktrecht versus Ursprungslandprinzip Soweit das nationale Recht des unlauteren Wettbewerbs anwendbar ist, gelten auch seine Kollisionsnormen, d. h. das nationale Internationale Privatrecht (IPR) des unlauteren Wettbewerbs. Nach deutschem IPR17 ist grundsätzlich das Recht des jeweiligen Marktes anzuwenden, auf dem der Schwerpunkt der wettbewerblichen Interessenkollision liegt. Werden mehrere Märkte in paralleler Weise berührt (“Multistate-Wettbewerb”) sind die nationalen Rechte nebeneinander, jedes für den jeweiligen nationalen Markt heranzuziehen. Märkte, die nur marginal berührt werden, bleiben außer Betracht (“kollisionsrechtliche Spürbarkeitsgrenze”). Diese in Lehre und Praxis entwickelten Re- 14 Art. 3 lit g EGV. 15 S. insbesondere Fikentscher, s. die Nachw. in UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 324, und bei G. Schmid, Freier Dienstleistungsverkehr und Recht des unlauteren Wettbewerbs, dargestellt am Beispiel der Telefonwerbung, 2000, S. 123 ff. 16 S. G. Schmid, Freier Dienstleistungsverkehr und Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 119/120 m.w.Nachw. 17 S. die Gesamtdarstellung in UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 155 ff.; Katzenberger in Schricker/Henning-Bodewig, Neuordnung des Wettbewerbsrechts, 1998/1999, S. 218 ff. 11 geln sind im wesentlichen auch nach der Neufassung der Art. 40, 41 EGBGB anwendbar18. Im Kollisionsrecht der übrigen Mitgliedstaaten der EU wird i.d.R. auf den Begehungsort bzw. Marktort abgestellt19. Die Europäische Harmonisierung im Bereich des Rechts des unlauteren Wettbewerbs hat sich zunächst nicht spezifisch mit dem Kollisionsrecht befasst. So gehen die Arbeiten zur Harmonisierung des Rechts der irreführenden Werbung ohne weiteres davon aus, dass Werbekampagnen, die die EGBinnengrenzen überschreiten, dadurch behindert werden können, dass sie in den Mitgliedstaaten, dem nationalen IPR entsprechend, nach unterschiedlichem materiellem Recht beurteilt werden20. Die Diskrepanz soll durch Angleichung des materiellen Rechts, nicht durch kollisionsrechtliche Regelungen überwunden werden. Ein abweichender Ansatz wurde in der Fernsehrichtlinie von 1989 gewählt21. Nach dem Sendelandprinzip (Art. 2, 2a der RiLi) ist für grenzüberschreitende Sendungen in der EU das Recht des Sendelandes, insbesondere für die Beurteilung von Fernsehwerbung anzuwenden. Der Empfangsstaat darf jedoch außerhalb des in der Richtlinie geregelten Bereichs seine allgemeinen Vorschriften, etwa zur Bekämpfung irreführender Werbung, zur Anwendung bringen; insofern findet das Sendelandprinzip seine Grenzen22. Während nach der Fernsehrichtlinie grundsätzlich noch Raum für die ergänzende Anwendung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs der kollisionsrechtlich betroffenen nationalen Rechtsordnung bleibt, scheint die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr23 das Ursprungslandprinzip grund18 S. Köhler/Piper, UWG, 2. Aufl., Einf., Rdnr. 92. Speziell zu den Problemen der Wettbewerbsverstöße im Internet s. Mankowski, GRUR Int. 1999, 995. 19 S. die Übersicht in UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 223 ff. 20 Vgl. UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 332. S. auch G. Schmid, S. 78, mit Hinweis auf die Arbeiten für ein EU-Übereinkommen über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht (“Rom II”). 21 GRUR Int. 1990, 134. S. dazu UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 365 ff. S. zur Änderung der Richtlinie Abl. Nr. L 202 vom 30.7.1997, S. 60. 22 UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 273 ff.; EuGH, GRUR Int. 1997, 913 - De Agostini. 23 Vom 8.6.2000, GRUR Int. 2000, 1004. 12 sätzlich rigoros, ohne Vorbehalte zugunsten einer wettbewerbsrechtlichen Kontrolle im Eingangsland durchführen zu wollen24. Die nach Art. 3 Abs. 1 vorgeschriebene Kontrolle des Niederlassungsstaats des Diensteanbieters nach einheimischem Recht (Art. 3 Abs. 1) und das Verbot der Einschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs zu Lasten aller anderen Mitgliedstaaten (Art. 3 Abs. 2) wird zwar für Urheberrecht und gewerbliche Schutzrechte durchbrochen (Art. 3 Abs. 3, Anhang 1. Spiegelstrich), nicht aber für das Recht des unlauteren Wettbewerbs. Dieses zählt vielmehr, auch soweit es um nicht durch die Richtlinie geregelte Aspekte geht, voll zum “koordinierten Bereich” im Sinne von Art. 2h. Die Konsequenzen dieses neuen Ansatzes sind noch unklar; insbesondere ist unklar, ob im online-Bereich nun auch für die Richtlinie das Herkunftslandprinzip über die irreführende und vergleichende Werbung gilt25 Auch bei den ausnahmsweise im Empfangsstaat gemäß Art. 4 zulässigen Maßnahmen wird die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs nicht genannt, allerdings der Schutz der Verbraucher erwähnt (Art. 3 Abs. 4 (a) (i)). Die Richtlinie erklärt zwar, keine zusätzlichen Regeln im Bereich des Internationalen Privatrechts schaffen zu wollen (Art. 1 Abs. 4), jedoch wird durch das Ursprungslandprinzip im Ergebnis die bisherige international-privatrechtliche Ordnung zweifellos durchbrochen. Unter dem Aspekt der Rechtsharmonisierung erscheint das Vordringen des Ursprungslandprinzips bedenklich. Gewiss, der einzelne Diensteanbieter muss sich nur auf den Standard seines Niederlassungsstaats einstellen; um das Lauterkeitsrecht sonstiger berührter Staaten der Gemeinschaft braucht er sich nicht zu kümmern. Zu einer Angleichung der unterschiedlichen nationalen Wettbewerbsrechte führt dies unmittelbar jedoch nicht. Im Wettbewerb zwischen den Diensteanbietern haben die in Niedrigstandard-Ländern niedergelassenen Anbieter einen rechtlichen Standortvorteil. Es ist zu befürchten, dass dies zu einem Sog der Niedrigstandard-Länder führt und dass es als Reaktion hierauf zu einem Zwang für die Länder mit einem höheren Standard kommt, diesen abzusenken, um im Standardwettbewerb mithalten zu können. Insgesamt trägt das Ursprungslandprinzip somit eine Tendenz zur Erosion des Rechts des unlauteren Wettbewerbs in sich. Das Ursprungslandprinzip kann zwar zur Vermeidung unerwünschter Mehrfachkontrollen beitragen; akzeptabel ist es jedoch nur im Verhältnis zwischen Ländern nicht wesentlich abweichender Standards. Im Ergebnis liefert es somit ein gewichtiges Argument für eine weitere Angleichung des materiellen Wettbewerbsrechts26. 24 S. dazu Bodewig, GRUR Int. 2000, 475 ff.; Mankowski, ZVglRWiss. 201, 137 ff. 25 Ausführlich Henning-Bodewig, WRP 2001, 771. 26 So auch Bodewig, GRUR Int. 2000, 475, 483. 13 c) Freier Warenverkehr Die Anwendung des nationalen Rechts des unlauteren Wettbewerbs wird vom EuGH - i.d.R. aufgrund Richtervorlage seitens der nationalen Gerichte - in ständiger Praxis auf ihre Vereinbarkeit mit der Grundfreiheit des freien Warenverkehrs (Art. 28 ff. EGV, früher Art. 30 ff.) überprüft. Diese viel beachtete Rechtsprechung kann hier als bekannt vorausgesetzt werden und wird nur kurz skizziert27. Ausgangspunkt ist das Dassonville-Urteil des EuGH28, das den Begriff der kontingentsgleichen Beschränkung im Sinne des seinerzeitigen Art. 30 EGV so weit gefasst hat, dass auch die Anwendung des nationalen Rechts des unlauteren Wettbewerbs, insbesondere durch die Gerichte, hierunter fallen kann. Das Privileg der in Art. 36 (jetzt Art. 28) enthaltenen Ausnahme zugunsten u.a. des gewerblichen und kommerziellen Eigentums wurde dem Recht gegen unlauteren Wettbewerb versagt29. Zugunsten des Lauterkeitsrechts kann jedoch die in der Cassis-de-Dijon-Entscheidung herausgearbeitete immanente Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit zum Zuge kommen, soweit zwingende Erfordernisse der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes dies erfordern30. In der Annahme einer Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs durch Anwendung nationaler Rechtsvorschriften war der Gerichtshof zunächst großzügig. Was die materielle Rechtfertigung der Beschränkungen betrifft, so ist eine zunehmende Strenge zu beobachten; der Gerichtshof betont das Postulat der freien Information der Abnehmer und wendet sich gegen abstrakte Irreführungsverbote. 27 Für eine ausführlichere Darstellung s. UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. 376 ff.; Hösch, Der Einfluss der Freiheit des Warenverkehrs (Art. 30 EWGV) auf das Recht des unlauteren Wettbewerbs, 1993; Reese, Grenzüberschreitende Werbung in der Europäischen Gemeinschaft, 1994. 28 GRUR Int. 1974, 467, 468. 29 EuGH, GRUR Int. 1982, 117, 120 - Irische Souvenirs. Weitere Nachweise s. im UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 378. 30 EuGH, GRUR Int. 1980, 660. 14 Toleriert wurden: - der Schutz gegen sklavische Nachahmung nach holländischem Recht31; - das niederländische Zugabeverbot32. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des freien Warenverkehrs wurde in folgenden Fällen angenommen: - Schutz einer grenzüberschreitenden Vertriebsbindung nach dänischem Recht33; - Schutz gegen eine als geografisch irreführend betrachtete Firma im deutschen Recht34; - als irreführend gemäß § 3 UWG erachteter Schutzhinweis auf Markenrecht35; - Luxemburgisches Verbot der Preisgegenüberstellungswerbung36; - Verbot der Preisgegenüberstellung nach § 6e UWG37; - Anwendung der französischen Irreführungsvorschriften auf die Werbung für parallel importierte Kraftfahrzeuge38. Angesichts einer steigenden Flut von Vorlagen zu gewerbe- und wettbewerbsrechtlichen Fällen entschloss sich der EuGH ab der KeckEntscheidung39 zu einer zurückhaltenderen Beurteilung der Voraussetzung 31 EuGH, GRUR Int. 1982, 439 - Multi Cable Transit. 32 GRUR Int. 1983, 648 - Zugabeverbot. 33 EuGH, GRUR Int. 1982, 393 - Imerco Jubiläum. 34 EuGH, GRUR Int. 1985, 110 - r + r. 35 EuGH, GRUR Int. 1991, 215 - Pall/Dahlhausen. 36 EuGH, GRUR Int. 1990, 955 - GB-INNO. 37 EuGH, GRUR Int. 1993, 747 - Yves Rocher. 38 EuGH, GRUR Int. 1993, 951 - Nissan. Die Entscheidung betrifft die Auslegung der Richtlinie über irreführende Werbung. 39 EuGH, GRUR Int. 1994, 56 - Keck; s. auch EuGH, GRUR Int. 1994, 172 Hünermund; s. dazu Joliet, GRUR Int. 1994, 1 ff.; Heermann, GRUR Int. 1999, 579 ff. m.w.Nachw. 15 der Beschränkung des freien Warenverkehrs. Danach sollen nur noch Vorschriften, denen Einfuhrerzeugnisse entsprechen müssen, erfasst werden (wie hinsichtlich Bezeichnung, Form, Abmessungen, Gewicht, Zusammensetzung, Aufmachung, Etikettierung, Verpackung), nicht aber lediglich Vorschriften bezüglich bestimmter “Verkaufsmodalitäten”, sofern sie den Absatz inländischer und Einfuhrerzeugnisse in gleicher Weise berühren. Nach Art. 30 (jetzt Art. 28) überprüft und nicht für gerechtfertigt erachtet wurde - die Anwendung des deutschen Irreführungsverbots auf eine Marke40; - die Anwendung von § 3 UWG auf Angaben auf einem Schokoladenriegel41. Grundsätzlich toleriert wurde das österreichische Verbot der Einfuhr von Zeitschriften mit Preisrätseln oder Gewinnspielen42. Insgesamt ist festzustellen, dass die geschilderte Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit zwar keine unmittelbare Rechtsharmonisierung in der Gemeinschaft zustande bringt, da sie immer nur punktuell einen Einzelfall regelt. Sie kann aber doch eine weitergehende Ausstrahlungswirkung haben und den nationalen Gesetzgeber beeinflussen; so hat etwa die Yves RocherEntscheidung in Deutschland zur Aufhebung der Gefährdungsverbote der §§ 6d und 6e UWG geführt. Es muss angesichts der Liberalisierungstendenzen des Gerichtshofs insbesondere ein Anliegen des nationalen Gesetzgebers sein, eine Inländerdiskriminierung zu vermeiden, wenn grenzüberschreitende Vorgänge durch EG-Recht privilegiert werden, reine Inlandsvorgänge aber unter der Herrschaft des strengeren nationalen Rechts bleiben. Ein weiteres Beispiel für die Auswirkungen der Rechtsprechung des Gerichtshofs bildet seine in Bezug auf die Richtlinie über irreführende Werbung und auf diverse produktspezifische Werberegelungen entwickelte europarechtliche Definition des Verbraucherleitbildes im Sinne eines “durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers”43, dem die deutschen Gerichte zunehmend auch für rein innerstaatlich zu beurteilende Fälle 40 EuGH, GRUR Int. 1994, 231 - Clinique. 41 EuGH, GRUR Int. 1995, 804 - Mars. 42 EuGH, GRUR Int. 1997, 829 - Familliapress. 43 EuGH, GRUR Int. 1998, 795, 797 Nr. 31 - Gut Springenheide; EuGH, GRUR Int. 1999, 345, 348 Nr. 38 - Sektkellerei Kessler; EuGH, GRUR Int. 2000, 354, 356 Nr. 27 - Lifting. 16 Rechnung zu tragen scheinen44. So lassen sich aus der Rechtsprechung des EuGH wichtige Anhaltspunkte für die Entwicklung europäischer Lauterkeitsstandards gewinnen; eine gesetzgeberische Rechtsharmonisierung wird hierdurch aber nicht ersetzt. d) Freier Dienstleistungsverkehr Zu den Grundfreiheiten des EGV gehört neben dem freien Warenverkehr die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff. EGV, früher Art. 59 ff.). In der Auslegung dieser an sich schwächer instrumentierten Vorschriften ist eine gewisse Annäherung an die Praxis zum freien Warenverkehr zu beobachten. Beschränkungen dürfen nicht diskriminierend sein und müssen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden, wozu insbesondere der Verbraucherschutz gehört45. Eine Anwendung der Art. 49 ff. kommt vor allem hinsichtlich der Werbung und sonstiger geschäftlicher Aktivitäten von Dienstleistungsunternehmen im grenzüberschreitenden Verkehr in Betracht. In diesem Sinne wandte die Alpine Investment-Entscheidung des EuGH46 Art. 49 f. auf die grenzüberschreitende Telefonwerbung für Finanzdienstleistungen an, wobei die im einzelstaatlichen Recht verfügte Beschränkung unter dem Aspekt des Schutzes des einheimischen Finanzsektors und der Anleger für gerechtfertigt erachtet wurde. Im übrigen wäre daran zu denken, Werbung und sonstige Verkaufsförderungsmaßnahmen für sich allein als selbständige Dienstleistungen zu erfassen, und zwar auch dann, wenn sie sich auf den Warenverkehr beziehen. Eine derartige verselbständigende Betrachtung des Mediums hat sich von Anfang an für die Fernsehwerbung durchgesetzt, die als solche zum Gegenstand von die Dienstleistungsfreiheit betreffenden Entscheidungen des EuGH47 gemacht und sekundärrechtlich geregelt wurde48. 44 S. im einzelnen Niemöller, Das Verbraucherleitbild in der deutschen und europäischen Rechtsprechung, 1999 m.w.Nachw. Kritisch Beater, GRUR Int. 2000, 963 ff.; v. Wild, Der “vernünftige Verbraucher” im Wettbewerbsrecht, 1998. 45 S. zum Ganzen G. Schmid, Freier Dienstleistungsverkehr und Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 188 ff., 229 ff.; UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 402 ff.; Paefgen, Globales und Euro-Marketing, 1989, S. 95 ff. 46 GRUR Int. 1995, 900. 47 S. z.B. EuGH, GRUR Int. 1980, 608 - Debauve. S. ferner G. Schmid, S. 261 ff. 48 S. die Fernsehrichtlinie GRUR Int. 1990, 134. 17 Eine Übertragung der in der “Keck”-Rechtsprechung des EuGH zum Ausdruck gebrachten restriktiven Betrachtung des grenzüberschreitenden Beschränkungseffekts vom Bereich des freien Warenverkehrs auf den freien Dienstleistungsverkehr lässt sich bisher in der Praxis des EuGH nicht beobachten. Die Meinungen über die Statthaftigkeit einer solchen Übertragung in der Literatur sind geteilt49. e) Rechtsangleichung im Recht des unlauteren Wettbewerbs Die Überlegungen zur Angleichung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten gehen bis Anfang der sechziger Jahre zurück50. Das Ulmer-Gutachten51 machte auf der Basis von Art. 10 bis PVÜ und in Fortführung dieses Ansatzes Vorschläge für eine Harmonisierung betreffend die Generalklausel unlauteren Wettbewerbs und eine Reihe von Einzeltatbeständen (Hervorrufen von Verwechslungsgefahr, Anschwärzung, persönliche und vergleichende Werbung, täuschende Werbung, Schutz der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, Schutz der geographischen Angaben, Zugaberecht)52. Grundlage bildete dabei der traditionelle Unternehmerschutz. Die sozialrechtliche Note wurde nur zögernd ins Spiel gebracht; so wurde zwar eine Verbandsklage der Wettbewerber befürwortet, eine Verbraucherverbandsklage wurde aber als eine “zu starke Abweichung von der Tradition der Wettbewerbsklage” ausgeschlossen53. Für eine auf der Schutzzwecktrias (s. oben I 1 b) fußende Harmonisierung erweist sich der Ulmersche Ansatz als zu eng. Die Arbeiten der Kommission zur Rechtsangleichung konzentrierten sich zunächst darauf, Wettbewerbsverzerrungen und Hindernisse für den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, insbesondere bezüglich der Werbung, auszuräumen. Hauptthemen bildeten die irreführende und unlautere Werbung. 49 S. zum Ganzen, G. Schmid, S. 308 ff. m.w.Nachw. 50 S. zum Gang der Arbeiten UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 330 m.w.Nachw.; s. ferner die Referate von Ohly, Henning-Bodewig, A. Meyer und Tilmann in Schricker/Henning-Bodewig, Neuordnung des Wettbewerbsrechts, S. 69 ff. 51 S. oben I 1 a. 52 S. Ulmer, Bd. I, Vergleichende Darstellung, Rdnr. 405 ff. 53 S. Rdnr. 399. 18 Ein Richtlinienentwurf von 1978/197954 sah folgendes Harmonisierungsprogramm vor: - irreführende Werbung; - unlautere Werbung, und zwar a) persönliche Werbung b) Anschwärzung c) Missbrauch von Angstgefühlen d) Diskriminierung wegen Geschlecht, Rasse oder Religion e) Missbrauch des Vertrauens, der Leichtgläubigkeit oder des Mangels an Erfahrung des Verbrauchers oder unangemessene Beeinflussung - grundsätzliche Zulässigkeit der vergleichenden Werbung. Für den weiteren Fortgang der Arbeiten war das Erstarken der Verbraucherschutzpolitik in der Gemeinschaft wesentlich: Zum einen brachte sie mit der Sorge um die Verbesserung des Schutzes der Verbraucher, insbesondere gegen irreführende Werbung, ein weiteres Motiv für die Rechtsangleichung; zum anderen führte sie zur Verschiebung der Federführung für die Angleichungsarbeiten von der für den gewerblichen Rechtsschutz auf die für den Verbraucherschutz zuständige Generaldirektion55. Zugleich wirkte sich der Beitritt des Vereinigten Königreichs und Irlands nachteilig auf die weitere Verfolgung einer dem unlauteren Wettbewerb im kontinentaleuropäischen Sinne gewidmeten Rechtsangleichung aus, da das Recht dieser Staaten Gesetze gegen unlauteren Wettbewerb nicht enthält, ja der Rechtsbegriff des unlauteren Wettbewerbs und insbesondere die Generalklausel, auf Widerstand stößt56. Im Ergebnis kam es zu einer Reduktion auf das Thema der irreführenden Werbung, wie es zum Gegenstand der Richtlinie von 198457 gemacht wurde58. 54 GRUR Int. 1980, 30. 55 S. im einzelnen UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 331. 56 S. umfassend Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 73 ff. 57 GRUR Int. 1984, 688. 58 S. dazu UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 332 ff. 19 Bereits in den Erwägungsgründen der Richtlinie wurde diese als Gegenstand einer “ersten Phase” der Harmonisierung bezeichnet; in einer “zweiten Phase” sollte die unlautere und soweit erforderlich auch die vergleichende Werbung behandelt werden59. Während die Arbeiten zur unlauteren Werbung nicht fortgeführt wurden, wurde die vergleichende Werbung in der Richtlinie vom 6.10.1997 zur Änderung der Richtlinie über irreführende Werbung geregelt60. Wie noch zu zeigen sein wird, liegt letzterer Richtlinie ein weiter Begriff der vergleichenden Werbung zugrunde, der möglicherweise Fälle der Anschwärzung, persönlichen und anlehnenden Werbung im Ergebnis mit einbezieht. Lediglich hingewiesen sei auf einschlägige produkt- und medienspezifische Werberegelungen, wie insbesondere in der Fernsehrichtlinie, die hier im Interesse der Begrenzung des Stoffes nicht grundsätzlich, sondern nur von Fall zu Fall einbezogen werden können. Einen anderen Ansatz als die Harmonisierung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs verfolgen die unter dem Stichwort der “kommerziellen Kommunikationen” betriebenen Arbeiten61, wenn inhaltlich auch gewisse Überschneidungen vorliegen. So statuiert die Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr bestimmte Transparenzpflichten, d.h. verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, die eindeutige Erkennbarkeit von kommerziellen Kommunikationen zu gewährleisten, etc. Die eigentliche Bedeutung dieser Richtlinie liegt jedoch weniger in der durch sie bewirkten (moderaten) Harmonisierung als in der Einführung des Herkunftslandprinzips auch für den nicht harmonisierten Bereich (s. oben, II 2. b). 3. Internationales Recht Bei den Überlegungen zur Schaffung eines vereinheitlichten Rechts des unlauteren Wettbewerbs in der EU muss auch bedacht werden, welche Vorgaben durch internationale Verträge gesetzt werden, die für die Mitgliedstaaten und/oder die Gemeinschaft verbindlich sind. hier geht es in erster Linie um die Pariser Verbandsübereinkunft (im Folgenden a), sodann das TRIPS59 GRUR Int. 1984, 688. 60 GRUR Int. 1997, 985. S. dazu Henning-Bodewig, GRUR Int. 1999, 385; s. auch zur “vorgezogenen Anwendung” der Richtlinie BGH, GRUR Int. 1999, 453 - Vergleichen Sie. Vergleiche ferner Ohly/Spence, GRUR Int. 1999, 681 ff.; Sack, GRUR Int. 1998, 263. 61 S. kritisch dazu Henning-Bodewig, GRUR Int. 1999, 233 ff.; dies., WRP 2001, 771. 20 Übereinkommen (unten b) und schließlich um die Europäische Menschenrechtskonvention (unten c). a) Die Pariser Verbandsübereinkunft Sämtliche Mitgliedstaaten der EU, nicht aber die Gemeinschaft selbst, sind Mitglieder der Pariser Verbandsübereinkunft von 1883, die nach mehrfachen Revisionen in der Stockholmer Fassung von 1967 vorliegt62. Zum Schutz des gewerblichen Eigentums im Sinne der PVÜ gehört auch die Unterdrückung des unlauteren Wettbewerbs (Art. 1 Abs. 2). Hierauf erstreckt sich der Grundsatz der Inländerbehandlung (Art. 2/3). Die PVÜ verpflichtet die Mitgliedstaaten, “einen wirksamen Schutz gegen unlauteren Wettbewerb zu gewähren” (Art. 10bis Abs. 1). Art. 10bis Abs. 2 enthält eine generalklauselartige Definition des unlauteren Wettbewerbs, Art. 10bis Abs. 3 nennt beispielhaft als wichtigste Einzeltatbestände das Hervorrufen von Verwechslungen (Nr. 1), die Anschwärzung durch falsche Angaben (Nr. 2) und - in eingeschränkter Weise - auch die irreführende Werbung (Nr. 3). In den Ländern, in denen internationale Verträge bereits aufgrund der Ratifikation innerstaatlich zur Geltung gelangen (so z.B. in Deutschland und Frankreich) und nicht in ein nationales Gesetz umgegossen werden müssen (so z.B. im Vereinigten Königreich), wird Art. 10bis Abs. 2 und 3 überwiegend für unmittelbar anwendbar erachtet63. In Belgien und Italien ersetzte sogar der - für innerstaatlich anwendbar erklärte Art. 10bis zeitweise das nationale Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb. Art. 10bis PVÜ hat in der Vergangenheit zweifellos starken Einfluss auf die Entwicklung nationaler Gesetze gegen unlauteren Wettbewerb ausgeübt. So findet man denn im Recht der Mitgliedstaaten heute verbreitet sowohl Verbote des Hervorrufens von Verwechslungen, der Anschwärzung und der irreführenden Werbung als auch wettbewerbsrechtliche Generalklauseln, die nach dem Vorbild von Art. 10bis Abs. 2 formuliert sind. Im Vereinigten Königreich und in Irland ist es dagegen nicht zur Ausbildung eines Rechts des unlauteren Wettbewerbs gekommen, insbesondere lehnt man die Einführung einer Generalklausel ab64. Vom Vereinigten Königreich und Irland abgesehen, dürfte die 62 S. zur Ratifikation durch die Bundesrepublik BGBl 1970 II 391, BGBl 1984 II 799. Zu Entwicklung und Grundlagen der PVÜ s. UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 19 ff.; Henning-Bodewig in Schricker/Henning-Bodewig, Neuordnung des Wettbewerbsrechts, 1998/1999, S. 21 ff. 63 S. die Nachweise in UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 46 ff. m.w.Nachw. und bei Reger, Der internationale Schutz gegen unlauteren Wettbewerb und das TRIPS-Übereinkommen, 1998, S. 17. 64 S. dazu umfassend Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, 1997, S. 73 ff. 21 Bedeutung von Art. 10bis PVÜ für die Entwicklung eines harmonisierten Rechts des unlauteren Wettbewerbs in der Gemeinschaft heute als gering zu erachten sein; die Rechtsentwicklung geht über den Minimalstandard des Art. 10bis hinaus. Dies gilt auch für die von WIPO 1996 veröffentlichten Model Provisions on Protection Against Unfair Competition, die neben dem Hervorrufen von Verwechslungen, der Anschwärzung und der irreführenden Werbung als weitere Tatbestände nur die Verwässerung von Kennzeichenrechten und den Geheimnisschutz behandeln65. b) Das TRIPS-Übereinkommen Das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums vom 15.4.199466 befasst sich nur in sehr selektiver Weise mit Sachverhalten, die dem Recht des unlauteren Wettbewerbs zugeordnet werden können. Zum einen geht es um den Schutz geographischer Angaben (Art. 22 - 24)67, zum anderen um den Schutz “nicht offenbarter Informationen” (Art. 39)68. Beide Gruppen von Vorschriften nehmen auf Art. 10bis PVÜ Bezug; zusätzlich wird noch in Art. 2 Abs. 1 auf die PVÜ verwiesen; jedoch gilt diese Verweisung nur für die in Teil II, III und IV des TRIPS-Übereinkommens geregelten Materien, im Bereich des unlauteren Wettbewerbs also zunächst nur für geographische Angaben und Geheimnisschutz. Soweit zum Schutz des geistigen Eigentums im Sinne des TRIPS-Übereinkommens Normen aus dem Recht des unlauteren Wettbewerbs eingesetzt werden, etwa zum Schutz eines gewerblichen Modells, bleibt es den Vertragsstaaten überlassen, insoweit die TRIPS-Vorschriften heranzuziehen69. Sofern das jeweilige nationale Verfassungsrecht eine unmittelbare Anwendung internationaler Verträge aufgrund Ratifikation erlaubt, werden die hinreichend bestimmten Normen von TRIPS über wiegend für unmittelbar anwendbar erachtet70. Danach gelten die 65 S. dazu Henning-Bodewig in Neuordnung des Wettbewerbsrechts, S. 37 ff. 66 BGBl 1994 II 1730. S. zu Hintergrund und Entstehungsgeschichte Reger, Der internationale Schutz gegen unlauteren Wettbewerb und das TRIPSÜbereinkom-men, S. 59 ff. S. ferner Henning-Bodewig in Neuordnung des Wettbewerbsrechts, S. 33 ff. 67 S. dazu Reger, S. 154 ff. 68 S. dazu Reger, S. 235 ff. 69 EuGH, GRUR Int. 2001, 327 Leitsatz Nr. 3. 70 Reger, S. 82 ff. m.w.Nachw. S. auch EuGH, GRUR Int. 2001, 327 - Dior. 22 Art. 22 - 24 im wesentlichen als unmittelbar anwendbar71; für Art. 39 wird in der Literatur eine unmittelbare Anwendung jedoch abgelehnt72. c) Europäische Menschenrechtskonvention. Grundrechte Die Europäische Menschenrechtskonvention73 verbindet die Mitgliedstaaten der EU und wird auch vom EuGH im Sinne eines Teilstücks der noch nicht kodifizierten, aus einer Zusammenschau der Verfassungen der Mitgliedstaaten gewonnen Grundrechte der Gemeinschaft berücksichtigt74. Für das Recht des unlauteren Wettbewerbs, insbesondere für die Werbung, hat vor allem das Kommunikationsgrundrecht des Art. 10 EMRK Bedeutung gewonnen75. Nach h.M. gilt das Grundrecht der Meinungsfreiheit auch für Werbung und sonstige zum Zweck des Wettbewerbs gemachte Äußerungen (“commercial speech”). Geschäftliche Äußerungen können jedoch schärferen Einschränkungen im Rahmen des Art. 10 Abs. 2 EMRK unterworfen werden als etwa politische Meinungsäußerungen76. Der Einfluss der Grundrechte der nationalen Verfassungen auf die wettbewerbsrechtlichen Wertungen ist vor allem für das deutsche Recht des unlauteren Wettbewerbs charakteristisch77. In anderen Mitgliedstaaten sind derartige Gedankengänge weniger ausgeprägt oder gar nicht zu finden. Dass ein 71 Reger, S. 212 ff. 72 Reger, S. 282 f. 73 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950, BGBl 1952 II 685, 953, BGBl 1954 II 14. 74 S. zum Entwurf der Charta der Grundrechte der Europäischen Union Sonderbei-lage zu NJW 2000 mit Einführung von Hilf, a.a.O. S. 5 ff. Im vorliegenden Zusam-menhang sind Art. 11 (Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit) und Art. 16 (Unternehmerische Freiheit “nach Gemeinschaftsrecht und den einzelstaat-lichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten”) zu erwähnen. 75 S. dazu zusammenfassend und m.w.Nachw. UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 406 ff. 76 S. zu Anwendungsfällen UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 408 ff.; Köhler/Piper, Einf., Rdnr. 278. 77 S. Köhler/Piper, UWG, 2. Aufl., Einf., Rdnr. 274 ff.; Drexl in Schricker/Henning-Bodewig, Neuordnung des Wettbewerbsrechts, S. 163 ff. S. rechtsvergleichend Skouris (Hrsg.), Advertising and Constitutional Rights in Europe, 1994. 23 Verfassungsgericht, wie im Benetton-Fall das letzte Wort spricht78, begegnet man in anderen Mitgliedstaaten kaum. Das Gemeinschaftsrecht beansprucht Vorrang auch vor dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten79. II. Themen einer möglichen Harmonisierung 1. Auszugrenzende Themen a) Bereits harmonisierte Bereiche: irreführende Werbung Die irreführende Werbung wurde nach langen Vorarbeiten zum Gegenstand der Richtlinie 84/450/EWG vom 10.9.198480 gemacht. Die Richtlinie ist in den meisten Mitgliedstaaten umgesetzt worden, wobei vielfach der Wortlaut mehr oder weniger genau übernommen wurde81. In Deutschland unterblieben gesetzgeberische Maßnahmen zur Umsetzung, da man davon ausgeht, dass § 3 UWG in seiner Auslegung durch die Rechtsprechung dem Standard der Richtlinie genüge82. Der Standard der Richtlinie ist, was die irreführende Werbung betrifft, nur als Mindeststandard zu verstehen83. Es wird allgemein angenommen, dass das deutsche Recht strenger als die Richtlinie sei, was durch Art. 7 erlaubt wird. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten in der EU ist bei der Anwendung des strengen deutschen Rechts aber das vorrangige Primärrecht der Warenund Dienstleistungsfreiheit des EGV zu berücksichtigen (s. oben I 2 c, d). Dies könnte zu einem gespaltenen Standard führen: Bei rein innerstaatlichen Fällen gelangt § 3 UWG in der vollen Strenge seiner Auslegung zum Zuge; in grenzüberschreitenden Fällen muss die im Rahmen der Warenverkehrs- und 78 BVerfG, ZIP 2001, 39. 79 Vgl. BVerfGE 73, 339, 366 ff.; BVerfGE 75, 223, 233 f. 80 GRUR Int. 1984, 688. 81 So etwa in Griechenland, Italien, Portugal und Spanien. 82 S. dazu UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 349. 83 Art. 7 der Richtlinie von 1984; Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie in der Fassung der Richtlinie vom 6.10.1997. S. dazu UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 351. 24 Dienstleistungsfreiheit entwickelte liberalere Haltung des EuGH in Rechnung gestellt werden. Hieraus kann eine Inländerdiskriminierung resultieren84. Eine Abhilfe aus deutscher Sicht könnte darin gesehen werden, dass Art. 7 Abs. 1 abgeschafft und der Standard der Richtlinie zum fixen Standard gemacht würde, der nicht nur nicht nach unten, sondern auch nicht nach oben überschritten werden darf. Dieser Weg wäre allerdings nur zu beschreiten, wenn die Maßstäbe in der deutschen Praxis tatsächlich auseinander klaffen würden. Dies scheint bisher aber nicht der Fall zu sein. Der BGH hat vielmehr in mehreren Entscheidungen erkennen lassen, dass er gewillt ist, die vielfach kritisierten Überspitzungen der deutschen Praxis85 abzubauen und zu einem moderaten Verbotsstandard zu gelangen, der dem europäischen Standard im wesentlichen entsprechen dürfte86. Dieser Prozess richterrechtlicher Korrektur sollte nicht durch gesetzgeberische Interventionen, weder auf deutscher noch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene, gestört werden. Ein zentraler Begriff im Rahmen dieser Entwicklung ist derjenige des Verbraucherleitbilds. Während das bisherige deutsche Recht mit der Maßgeblichkeit einer Regelirreführungsquote von 10-15% und dem Erfahrungssatz vom “flüchtigen Durchschnittsverbraucher” praktisch dazu gelangte, die Verurteilung von der Reaktion kleiner Gruppen wenig lebenstüchtiger, erfahrener und aufmerksamer Verbraucher abhängig zu machen, setzt der EuGH die Eingriffsschwelle mit dem Leitbild des “durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers” wesentlich höher87. Der Standard wurde auch ins Markenrecht übertragen88. Bei der Beurteilung der irreführenden Werbung ist damit eine gewisse Relativierung der Ergebnisse demoskopischer Umfragen verbunden, deren Anwendung der EuGH dem nationalen Richter zunächst nunmehr bei Vorliegen besonderer Umstän- 84 S. zum Ganzen UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 353 ff.; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., Einl., UWG Rdnr. 650, 652, 653. 85 S. zur Kritik z.B. Schricker, GRUR Int. 1990, 112 ff.; Sosnitza, Wettbewerbsbeschränkungen durch Rechtsprechung 1995, S. 181 ff. 86 S. aus der Praxis des BGH, z.B. BGH, GRUR 2000, 73 - Tierheilpraktiker; BGH, GRUR 2000, 619 - Orient-Teppichmuster; BGH, GRUR 2000, 914 Tageszulassung II; BGH, GRUR 2000, 1084 - Unternehmenskennzeichnung. S. zur Entwicklung der Praxis der Instanzgerichte die Nachw. im UWG Großkomm/ Schricker, Einl., Rdnr. F 400. 87 EuGH, GRUR Int. 1998, 795 - Gut Springenheide; EuGH, GRUR Int. 2000, 354, 356 - Lifting. S. auch oben I 2 c. 88 EuGH, GRUR Int. 1999, 734, 836 Nr. 26 - Lloyd; BGH, GRUR 2000, 506, 508/509 - Attaché/Tissérand. 25 de zu erlauben schien89. Jedoch wird in einer späteren Entscheidung die Heranziehung demoskopischer Beweismittel wohl generell in das Ermessen des nationalen Richters gestellt90. Im deutschen Schrifttum ist äußerst strittig, inwieweit es beim Verbraucherleitbild um Faktisches oder Normatives, um Korrektur von Erfahrungsregeln oder korrigierende Interessenbewertung geht oder ob das neue europäische Leitbild für das deutsche Recht nicht überhaupt abzulehnen sei91. Der BGH hat sich zwar mit einer vorsichtigen und elastischen Akzeptanz begnügt92, jedoch ist unverkennbar, dass sich die deutsche Praxis in Richtung auf einen am europäischen Leitbild ausgerichteten nationalen Irreführungsstandard hinbewegt. Gleiches gilt für das Kriterium der Relevanz, bei dem der EuGH betont, dass die Irreführung geeignet sein muss, die Kaufentscheidung des Publikums wesentlich zu beeinflussen93. Gleiche Formulierungen finden sich nunmehr auch beim BGH94. Mit dem vom EuGH entwickelten Verbraucherleitbild wird der hauptsächlichen Kritik an der Irreführungsrichtlinie, dass sie nämlich den Irreführungsstandard nicht bestimme, der Wind aus den Segeln genommen. Der EuGH hat diese Lücke in der Tat geschlossen. Der von der Richtlinie intendierte Harmonisierungseffekt zeichnet sich bereits deutlich ab: Einerseits wird das allzu strenge deutsche Recht abgemildert, andererseits ist in Niedrigstandardländern, wie Italien, eine deutliche Anhebung des Verbotsniveaus aufgrund der umgesetzten Richtlinie zu beobachten95. Soweit noch wesentliche Unterschiede in der Praxis der Mitgliedstaaten bestehen, betreffen sie vor allem die Rechtsverfolgung. Dies ist eine Folge der elastischen Sanktionenregelung der Richtlinie, die den Mitgliedsländern die Wahl zwischen Behörden- und Gerichtsmodellen eröffnet und sich z.B. auch 89 EuGH, GRUR Int. 1998, 795, 797 Nr. 35/36 - Gut Springenheide. 90 EuGH, GRUR Int. 2000, 354, 356 Nr. 31 - Lifting. 91 S. statt aller Schweizer, GRUR 2000, 923 ff. m.w.Nachw. Kritisch Beater, GRUR Int. 2000, 963 ff. 92 BGH, GRUR 2000, 619, 621 - Orient-Teppichmuster (“flüchtig” und “verständig” schlössen sich nicht aus; es komme auf die Kaufsituation an). 93 EuGH, GRUR Int. 1993, 951, 952 - Nissan. 94 S. z.B. BGH, GRUR 2000, 239, 241 - Last-Minute-Reise; BGH, GRUR 2000, 914, 915 - Tageszulassung II. 95 S. z.B. für Italien Schricker/Bastian, Recht der Werbung in Europa, Italien, Rdnr. 39 ff., 45. 26 damit zufrieden gibt, dass im Vereinigten Königreich nach den die Richtlinie umsetzenden The Control of Misleading Advertisements Regulations von 1988 - unter Ausschluss einer Klage Betroffener oder ihrer Verbände - allein der Director General of Fair Trading ein Verbot bei Gericht beantragen kann, was er bisher nur in einer Hand voll Fälle getan hat96, während man in Deutschland zivilgerichtliche Verfahren wegen unlauteren Wettbewerbs nach Tausenden zählt. Eine wesentliche Rolle spielt dabei auch die Höhe und Verteilung der Kosten der Rechtsverfolgung. Wo der Kläger auch bei einem Obsiegen seine Kosten ganz oder zumindest teilweise zu tragen hat, wird eine erhebliche Hemmschwelle beim Gang zu Gericht zu überwinden sein, während das deutsche System der grundsätzlich vollen Kostenerstattung Klagen ermuntert, und die Rechtsverfolgung sogar zu einem Geschäft machen kann, von dem wenig seriöse Kläger profitieren können. Nach allem ergibt sich, dass derzeit kein relevanter Bedarf nach einer Änderung der Irreführungsrichtlinie im materiellrechtlichen Teil besteht. Einer Überarbeitung bedürfte jedoch der Sanktionsteil (Art. 4-6). Sie müsste im Rahmen einer allgemeinen Regelung der Sanktionen bei unlauterem Wettbewerb erfolgen. Schwierigkeiten würde dabei zweifellos die Verflechtung mit dem allgemeinen Prozess-, Straf- und Verwaltungsrecht machen. Ein Ansporn könnte indessen von den Rechtsdurchsetzungsvorschriften des TRIPSÜbereinkommens ausgehen. b) Vergleichende Werbung Die Richtlinie 97/55 EG vom 6.10.1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450 EG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung97 ist relativ jung; sie bildet die Frucht einer jahrzehntelangen Diskussion. In Deutschland wurde die Richtlinie erst vor kurzem umgesetzt98; die Rechtsprechung hat sie bereits im Vorgriff hierauf berücksichtigt99. Entscheidungen des EuGH zur vergleichenden Werbung sind bisher nicht bekannt geworden. Bei diesem Stand der Dinge ist an Nachbesserungen der Richtlinie 96 S. UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 312 ff., 316; Schricker/Ohly, Recht der Werbung in Europa, Vereinigtes Königreich, Rdnr. 49/50. 97 GRUR Int. 1997, 985. 98 S. Gesetz vom 1.9.2000, BGBl I 1374, das einen neuen § 2 ins UWG eingefügt hat. S. zur Rechtsentwicklung und Auslegung der Richtlinie Henning-Bodewig, GRUR Int. 1999, 385 ff. Zu den Umsetzungsproblemen s. auch die GRUR-Eingabe GRUR 1999, 136. 99 BGH, GRUR 1998, 824 - Testpreis-Angebot; BGH, GRUR 1999, 69 Preisvergleichsliste II; BGH, GRUR 1999, 501 - Vergleichen Sie. 27 durch weitere Harmonisierungsarbeiten wohl nicht zu denken. Zwar ist die Richtlinienregelung in einzelnen Punkten kritisiert worden; jedoch können über ihre praktische Bewährung noch keine Aussagen gemacht werden. Der in der Richtlinie geregelte Komplex sollte somit bei den weiteren Harmonisierungsarbeiten (zunächst) außer Betracht bleiben. Dabei muss freilich geklärt werden, wie weit der Anwendungsbereich der Richtlinie tatbestandlich reicht. Dies ist im einzelnen unklar und strittig. Kernstück der Richtlinie ist jedenfalls die kritisierende vergleichende Werbung im traditionellen Sinn (“A ist besser als B”). Da jedoch die vergleichende Werbung als jede Werbung definiert wird, die den betroffenen Mitbewerber oder sein Angebot erkennbar macht, ohne dass eine Erwähnung des Werbenden verlangt wird (Art. 1 Nr. 3, in die Irreführungsrichtlinie eingefügt als Art. 2 Nr. 2a), dürfte auch die einseitige Kritik, insbesondere die Anschwärzung erfasst werden (“B ist teuer”), wobei das Unlauterkeitskriterium in der Irreführung (Art. 1 Nr. 4 (1) (a))100 und/oder der Herabsetzung oder Verunglimpfung (Art. 1 Nr. 4 (1) (e)) liegen kann. Von manchen Autoren wird die Begriffsbestimmung der Richtlinie jedoch im Sinne des herkömmlichen deutschen Begriffs der vergleichenden Werbung restriktiv ausgelegt, so dass die einseitige Kritik und insbesondere die Anschwärzung nicht unter die Richtlinie fallen würde101. Zweifelhaft kann ferner erscheinen, ob die persönliche Bezugnahme (“B schlägt seine Frau”) unter die Richtlinie fällt. Angesichts des in Art. 1 Nr. 4 (1) (c) aufgestellten Standards der Objektivität und des Bezugs auf Waren und/oder Dienstleistungen wird man die (wahrheitsgemäße) Bezugnahme auf abträgliche persönliche Verhältnisse als unzulässig anzusehen haben102. Weiterhin ist zu überlegen, ob auch die sogenannte anlehnende Werbung (“A ist so gut wie B”)103 in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt104. Auf eine Einbeziehung deutet neben der weiten Definition der vergleichenden Wer100 Eine Anwendung der Richtlinientatbestände über irreführende Werbung dürfte dagegen ausscheiden, s. UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 340. 101 So Köhler, UWG, 2. Aufl., § 2 Rdnr. 18/19; Tilmann, GRUR 1999, 546. 102 So auch Baumbach/Hefermehl, § 2 Rdnr. 17 (anders wohl Rdnr. 2); Sack, GRUR Int. 1998, 263, 270. A.a. wohl Köhler, § 2 Rdnr. 18. 103 S. dazu Peschel, Die anlehnende vergleichende Werbung im deutschen und französischen Wettbewerbs- und Markenrecht, 1996. 104 Dafür Sack, GRUR Int. 1998, 263, 271; Baumbach/Hefermehl, § 2 Rdnr. 15; Henning-Bodewig, GRUR Int. 1999, 385, 393/394. Dagegen wohl Köhler, § 2 Rdnr. 19. 28 bung die Verbotsvoraussetzung in Art. 1 Nr. 4 (1) (g) hin, wonach der Ruf einer Marke, eines Handelsnamens oder anderer Unterscheidungszeichen eines Mitbewerbers oder der Ursprungsbezeichnung von Konkurrenzerzeugnissen nicht in unlauterer Weise ausgenützt werden darf. Einschlägig könnte ferner das Verbot der Darstellung einer Ware oder Dienstleistung als Imitation oder Nachahmung sein (Art. 1 Nr. 4 (1) (h)). Was die anlehnende Werbung betrifft, ist allerdings auch darauf hinzuweisen, dass noch ungeklärt erscheint, ob nicht das in Art. 5 Abs. 2 der Ersten Markenrechtsrichtlinie105 fakultativ vorgesehene und im deutschen Recht in § 14 Abs. 2 Nr. 3 umgesetzte Verbot der unlauteren Ausbeutung von Unterscheidungskraft oder Wertschätzung einer Marke für nicht ähnliche Waren oder Dienstleistungen auch im Bereich der Ähnlichkeit entsprechend gilt106. Zusammenfassend ist festzustellen: Bei einer weiten Auslegung der Richtlinie über vergleichende Werbung erfasst sie folgende Themen, für die somit eine neuerliche Harmonisierung derzeit nicht in Betracht kommen dürfte: - kritisierende vergleichende Werbung Anschwärzung sonstige Kritik im Wettbewerb persönliche Werbung anlehnende Bezugnahme. Hinsichtlich der vier letztgenannten Themen ist die Situation freilich unklar und strittig. Es spricht einiges dafür, zumindest die Anschwärzung (einschließlich der wahrheitsgemäßen Kritik und der persönlichen Bezugnahme), die einen klassischen Tatbestand des unlauteren Wettbewerbs bildet, zum Gegenstand gesonderter Harmonisierungsüberlegungen zu machen. c) Kennzeichenrecht Im Kennzeichenrecht begegnet man in der Gemeinschaft im Ganzen gesehen einem unterschiedlich gestalteten Nebeneinander von Sondergesetzen und wettbewerbsrechtlichen Normen. So gibt es im Markenrecht einerseits Modelle, nach denen das Wettbewerbsrecht subsidiär hinter dem Sondergesetz zurücktritt, wie in Deutschland107, andererseits wird ein kumulatives Nebeneinander von Marken- und Wettbewerbsklage, wie in Italien, zugelassen108. 105 GRUR Int. 1989, 294. 106 S. die Vorlage des BGH, GRUR Int. 2000, 1017 - Davidoff. 107 S. oben I 1 g. 108 S. Ulmer/Schricker, Bd. V, Italien, Rdnr. 77. 29 Die Markenrechtsrichtlinie und die Gemeinschaftsmarkenverordnung überlassen es den Mitgliedstaaten, über die Anwendung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs zu befinden (s. oben I 1 g). Gemeinschaftsrechtlich noch nicht behandelt sind - von ihrer Rolle als relative Schutzhindernisse für eingetragene Marken abgesehen - die nicht eingetragenen Marken, die Unternehmenskennzeichen (Handelsname, Geschäftsbezeichnung, Geschäftsabzeichen)109 und die Werktitel. Auf dem Gebiet des Kennzeichenrechts, aber auch außerhalb desselben ist der Unlauterkeitstatbestand des Hervorrufens von Verwechslungen beheimatet. Er findet sich in Art. 10bis Abs. 3 Nr. 1 PVÜ, in Art. 2 des WIPOMustergesetzes und im Recht der Mitgliedstaaten110. Auch im Vereinigten Königreich und in Irland ist in Gestalt des “passing off” ein einschlägiger, praktisch wichtiger Deliktstatbestand vorhanden. Was die europäische Harmonisierung betrifft, so ist zunächst festzustellen, dass für die nicht eingetragene Marke, die Unternehmenskennzeichen und die Werktitel eine kennzeichenrechtliche Regelung nach Art der Ersten Markenrichtlinie angemessen erscheint. Dies heißt freilich nicht, dass ein wettbewerbsrechtlicher Unlauterkeitstatbestand des Hervorrufens von Verwechslungen überflüssig wäre. Solange die sondergesetzliche Regelung nicht geschaffen ist, sollte ein einheitlicher Schutz auf wettbewerbsrechtlicher Basis angestrebt werden. Er kann auch als Ergänzung der Sondergesetze Anwendung finden sowie für die Nachahmung kennzeichnender Merkmale, die nicht von den Sondergesetzen erfasst werden, wie Werbekonzeptionen, Fernsehformate, Gebäudefassaden und sonstige werbliche Elemente. Das in der Richtlinie über vergleichende Werbung enthaltene Verbot der Verursachung von Verwechslungen (Art. 1 Nr. 4 (1) (e)) reicht nicht aus, da der Tatbestand eine erkennbare Bezugnahme voraussetzt. Offen ist allerdings, ob der weite Begriff der Irreführung in der Richtlinie über irreführende Werbung nicht auch das Hervorrufen von Verwechslungen erfasst111. Im Ergebnis ist festzustellen, dass im Kennzeichenrecht zwar dem Sondergesetz der Vorrang gebührt, dass aber ein wettbewerbsrechtliches Verbot des Hervorrufens von Verwechslungen hierdurch nicht entbehrlich wird und des- 109 Hinsichtlich des Handelsnamens findet sich eine rudimentäre internationale Regelung in Art. 8 PVÜ; s. zu ihrer Tragweite UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 77 ff. 110 Vgl. Ulmer, Bd. I, Rdnr. 121 ff. 111 S. dazu UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. 337. 30 halb auch in das lauterkeitsrechtliche Harmonisierungsprogramm aufgenommen werden sollte. d) Geographische Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen Der wichtigste Bereich des Schutzes geographischer Bezeichnungen, die Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, bilden Gegenstand der VO (EWG) Nr. 2081/92 vom 14.7.1992112. Ein Irreführungsschutz nach nationalem Recht für nicht unter die VO fallende Bezeichnungen ist nicht ausgeschlossen113. International bildet der Schutz geographischer Bezeichnungen Gegenstand einer Reihe von Verträgen, die vom Madrider Herkunftsabkommen über zweiseitige Verträge bis zu Art. 22-24 des TRIPS-Übereinkommens reichen114. In den Mitgliedstaaten bestehen z.T. kennzeichenrechtliche Regelungen; z.T. wird das Recht des unlauteren Wettbewerbs, insbesondere das Irreführungsverbot angewendet. In Deutschland ist man bekanntlich aus Anlass der Reform des Markenrechts zu einer kennzeichenrechtlichen Sonderregelung übergegangen (s. §§ 126 ff. MarkenG). Angesichts des bereits bestehenden Gemeinschaftsrechts, des internationalrechtlichen Rahmens und der Besonderheiten der Materie ist der Schutz der geographischen Bezeichnungen bei den Arbeiten für eine allgemeine Harmonisierung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs auszuklammern. Auch im Ulmer-Gutachten wurde der Abschluss eines besonderen Abkommens vorgesehen115. 112 GRUR Int. 1992, 750. S. dazu UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 145 ff. 113 EuGH, GRUR 2001, 64 - Warsteiner. 114 S. zum internationalen Schutz geographischer Angaben UWG Großkomm/ Schricker, Einl., Rdnr. F 101 ff.; Streber, Die internationalen Abkommen der Bundesrepublik Deutschland zum Schutz geographischer Herkunftsangaben, 1994. 115 S. Ulmer, Bd. I Rdnr. 429 ff. 31 e) Boykott, Diskriminierung, Preisunterbietung, Schutz von Vertriebsbindungen Bereits das Ulmer-Gutachten116 hat auf den kartellrechtlichen Bezug der Tatbestände des Boykotts der wirtschaftlichen Diskriminierung, der Preisunterbietung und der Verstöße gegen Vertriebsbindungen aufmerksam gemacht. Im Ergebnis hat das Gutachten davon abgesehen, Vorschläge für eine lauterkeitsrechtliche Harmonisierung zu machen. In der Tat werden Boykott und Diskriminierung in den Mitgliedstaaten vielfach, und oft schwerpunktmäßig, dem Kartellrecht zugewiesen; auch die Art. 81 ff. EGV können zur Anwendung kommen. Hinsichtlich der Preisunterbietung können nicht nur die kartellrechtlichen Vorschriften gegen den Missbrauch von Marktmacht, sondern auch Spezialregelungen, insbesondere betreffend den Verkauf unter Einstandspreis oder Selbstkosten herangezogen werden. Beim Schutz von Vertriebsbindungen geht es zumindest um kartellrechtliche Vorfragen hinsichtlich der Erlaubtheit der Bindungssysteme; die Verletzung wird z.T. im Vertragsrecht, z.T. im Deliktsrecht behandelt117. In all den genannten Bereichen ist freilich eine Anwendung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs nicht ausgeschlossen. Indessen fällt das Hauptgewicht auf das Kartellrecht und die Sondergesetze. Von einer Einbeziehung in das Harmonisierungsprogramm sollte deshalb abgesehen werden. f) Rabatte, Zugaben, besondere Verkaufsveranstaltungen Mit der Aufhebung des deutschen Rabattverbots werden Rabatte in der ganzen Gemeinschaft erlaubt sein118. Die europäische Harmonisierung hat davon auszugehen und kann sich auf die Regelung von Einzelproblemen beschränken. Anders ist die Lage beim Zugaberecht oder generell gesprochen bei den Koppelungsgeschäften als Erscheinungsform der Wertreklame119. Hier bestehen in einer beachtlichen Zahl von Mitgliedstaaten rechtliche Beschränkungen. Eine Harmonisierung wäre hier durchaus zu bedenken, wie sie schon 116 Ulmer, Bd. I Rdnr. 313. 117 S. dazu rechtsvergleichend Kraßer, Der Schutz Vertriebsbindungen gegenüber Außenseitern, 1972. 118 von Preis- und S. Bodewig/Henning-Bodewig, Rabatte und Zugaben in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, WRP 2000, 1341 ff. 119 S. Bodewig/Henning-Bodewig, a.a.O. 32 das Ulmer-Gutachten angeregt hat120. Bei den diesbezüglichen Überlegungen sollte von dem weiteren Rahmen der Wertreklame ausgegangen werden. Bei den Sonderveranstaltungen hat bereits das Ulmer-Gutachten auf die meist lokale Beschränkung der Wettbewerbskonflikte hingewiesen121. Im Versandhandel und insbesondere beim E-commerce mag freilich anderes gelten. Indessen sollte man hier darauf vertrauen, dass das Ursprungslandprinzip der E-commerce-Richtlinie eine liberalisierende Wirkung ausübt und dass Überspitzungen durch Anwendung der Waren- und Dienstleistungsfreiheit abgebaut werden. Zu den vordringlichen Harmonisierungsanliegen gehört das Recht der besonderen Verkaufsveranstaltungen jedenfalls nicht. 2. Themen für Harmonisierungsüberlegungen Unter Berücksichtigung der nationalen Regelungen und unter Ausklammerung der vorstehend unter 1 als ungeeignet erachteten Gegenstände bleiben für Überlegungen zu einer Harmonisierung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs folgende Themen, die anschließend, soweit erforderlich, unter III im einzelnen erörtert werden sollen: - Generalklausel - Hervorrufen von Verwechslungen - Sklavische Nachahmung - Anschwärzung, Kritik, persönliche Bezugnahme - Geheimnisschutz - Tarnung von Werbung - Belästigende Werbung - Gewinnspiele - Progressive Kundenwerbung - Verletzung von Grundwerten - Wertreklame - Verletzung außerwettbewerbsrechtlicher Normen 3. Regelungstechnik Die vorliegende Untersuchung macht keine Vorschläge zur Regelungstechnik. Die Frage, in welcher Weise die hier behandelten Aspekte auf Gemeinschaftsebene geregelt werden sollten, wird von pragmatischen Überlegungen und politischen Konstellationen abhängen. Hinzuwirken wäre jedoch auf größtmögliche Kohärenz. So müssten insbesondere Verbindungen zu den be120 Rdnr. 455 ff. 121 Rdnr. 461. 33 reits vorhandenen einschlägigen Richtlinien hergestellt werden, die nicht nur die inhaltliche Systematik, sondern auch die Terminologie122 und Fragen des anwendbaren Rechts zu berücksichtigen hätten. Hingewiesen sei jedoch auf einen neuen Ansatz, den insbesondere die GD SANCO der EG-Kommission zu präferieren scheint. Danach wären (bestimmte) wettbewerbsrechtliche Vorschriften auf Gemeinschaftsebene mittels “Ko-Regulierung” zu ergänzen. Gedacht ist nicht an reine SelbstkontrollCodices, sondern an unter staatlicher Mitwirkung zwischen allen Beteiligten (d.h. ihren Verbänden) ausgehandelte “guidelines”. Vorbild wären die guidelines der Verbraucherombudsmänner der nordischen Staaten. Sie hätten keine unmittelbare gesetzliche Wirkung, dienten jedoch der Präzisierung des verbotenen Verhaltens. Der Vorteil derartiger “guidelines” wäre, dass sie das verbotene Verhalten relativ ausführlich erläutern könnten und damit zur Rechtssicherheit beitragen würden; zudem wären sie flexibler als gesetzliche Regelungen. Der Ansatz der Ko-Regulierung ist relativ neu: Er wurde bislang, soweit ersichtlich, lediglich in einer Studie von Micklitz123, die hier ansonsten nicht mehr berücksichtigt werden konnte, diskutiert. Aus deutscher Sicht besteht die Schwierigkeit, dass es an einer Verbraucherbehörde (i.S.d. OmbudsmannSystems) fehlt. Gleichwohl sollte der Gedanke der Ko-Regulierung im Auge behalten werden, da er insbesondere zur Präzisierung von relativ vagen rechtlichen Verhaltensnormen (z.B. Werbung vor und mit Kindern, Umweltschutz) nützlich sein könnte. 122 Zum Beispiel knüpft die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr an “kommerzielle Kommunikation” an, während die übrigen Richtlinien von Werbung (und Vertriebsmaßnahmen) sprechen; mal heißt es “reglementierte Berufe”, mal “freie Berufe” etc. 123 Die Studie “Feasibility of a General Legislative Framework on Fair Trading” ist bislang nur im Internet veröffentlicht; sie ist abrufbar unter http://eu.int/comm/dgs/health consumer/library/surveys/sur 21 sum.end.pdf. 34 III. Einzelthemen der Harmonisierung 1. Generalklausel Vorschlag: Das harmonisierte Recht bedarf notwendig einer Generalklausel. Sie sollte sich an die Einzeltatbestände anschließen. Wesentlich für die Unlauterkeit sollte sein, dass im geschäftlichen Verkehr unter Verletzung der guten Sitten die Interessen der Anbieter, Abnehmer und/oder der Allgemeinheit beeinträchtigt werden oder der Gefahr einer Beeinträchtigung ausgesetzt sind. Wettbewerbsverhältnis oder Wettbewerbsabsicht sollten nicht vorausgesetzt werden. Begründung: a) Die Generalklausel bildet das Herzstück des Rechts gegen unlauteren Wettbewerb. Vorbild im internationalen Recht ist der 1925 geschaffene Art. 10bis Nr. 2 PVÜ: “Unlauterer Wettbewerb ist jede Wettbewerbshandlung, die den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel zuwiderläuft.” Es handelt sich dabei nicht nur um eine Definition, sondern um eine nach überwiegender Meinung unmittelbar anwendbare Verbotsnorm124. Gemäß Art. 10bis Nr. 1 in Verbindung mit Nr. 2 sind derzeit weltweit 160 Staaten als Mitgliedsländer der PVÜ gehalten, den ausländischen Verbandsbegünstigten nach Maßgabe dieser Generalklausel Schutz gegen unlauteren Wettbewerb zu gewähren. Die WIPO-Model Provisions werden durch eine ähnlich gebildete Generalklausel eingeleitet. Die Wettbewerbsgesetze der Länder der Welt enthalten ganz überwiegend Generalklauseln oder jedenfalls generalklauselhafte Verbotstatbestände. In der Europäischen Gemeinschaft sind folgende “Generalklauselländer” zu nennen: 124 Belgien (Art. 93, 94 Gesetz über Handelspraktiken); Dänemark (§ 1 S. 2 Marktgesetz von 1994); Deutschland (§ 1 UWG); Finnland (§ 1 UVG, Kap. 2 § 1 Nr. 1 VSG); Frankreich (Art. 1382 f. Code Civil); UWG Großkomm/Schricker, Einl., Rdnr. F 46 ff. m.w.Nachw. 35 - Griechenland (Art. 1 UWG, Art. 9 Nr. 5 Verbraucherschutzgesetz); Italien (Art. 2598 Nr. 3 Codice Civile); Luxemburg (Art. 16 Handelspraktikengesetz); Niederlande (Art. 6: 162 Nr. 2 Burgerlijk Wetboek); Österreich (§ 1 UWG); Portugal (§ 260 Gesetz über gewerblichen Rechtsschutz); Schweden (§ 4 Abs. 1 Marktvertriebsgesetz) Spanien (Art. 5 Gesetz über unlauteren Wettbewerb, Art.6 lit b Werbegesetz). Beiseite stehen lediglich das Vereinigte Königreich und Irland. Die Generalklauseln sind verschiedenen Schichten der Rechtsentwicklung zuzuordnen. Nur vereinzelt handelt es sich noch um die allgemeine deliktsrechtliche Generalklausel des Zivilgesetzbuchs (Frankreich). Häufiger findet man Generalklauseln in lauterkeitsrechtlichen Sondergesetzen nach deutschem Vorbild (Deutschland, Griechenland, Österreich). Aber auch moderne Marktvertriebsgesetze enthalten Generalklauseln (Dänemark, Schweden). Wo Lauterkeitsrecht und Verbraucherschutz bzw. Werbung unterschiedlich geregelt werden, benötigt man zwei nach dem jeweiligen Schutzzweck ausgerichtete Generalklauseln (Finnland, Griechenland, Spanien). b) Das Erfordernis einer Generalklausel im Lauterkeitsrecht wird i.d.R. damit begründet, dass die ständig und vielfältig sich fortentwickelnden Geschäftspraktiken vom Gesetzgeber unmöglich vorhergesehen und in präzise Sondertatbestände eingefangen werden können. Auch kann der Tendenz des Geschäftslebens, vor konkreten Gesetzesvorschriften auszuweichen und das angestrebte Ziel auf Umwegen zu erreichen, schwerlich anders als durch eine Generalklausel begegnet werden. Die Generalklausel ist das Korrelat der Wettbewerbsfreiheit. Wo die freie Entfaltung des Wettbewerbs gestattet wird, bedarf es einer Kontrolle zur Abwehr der missbräuchlichen Ausnutzung dieser Freiheit. Dogmatisch liegen die lauterkeitsrechtlichen Generalklauseln auf derselben Ebene wie die kartellrechtlichen Missbrauchstatbestände, die i.d.R., wie etwa Art. 82 EGV, ebenfalls als Generalklauseln ausgestaltet sind, und letzten Endes sind die lauterkeitsrechtlichen Generalklauseln mit den allgemeinen zivilrechtlichen Missbrauchstatbeständen wie etwa § 826 BGB verwandt. c) Im Vereinigten Königreich und in Irland wird gegen die lauterkeitsrechtlichen Generalklauseln des kontinentaleuropäischen Rechts traditionell eingewendet, dass sie den Richter überforderten, das Gleichgewicht zwischen Gesetzgeber und Richter in unerwünschter Weise verschöben, die Rechtssicherheit 36 gefährdeten und der Wettbewerbsfreiheit im Wege stünden125. Im neueren Schrifttum sind zwar Zweifel hinsichtlich der Berechtigung dieser Bedenken im heutigen rechtlichen und wirtschaftlichen Umfeld laut geworden126, jedoch haben bis heute weder die Gerichte einen Deliktstatbestand (tort) des unlauteren Wettbewerbs entwickelt noch hat sich der Gesetzgeber zum Erlass eines entsprechenden Gesetzes bereit gefunden127. Dass das angel-sächsische Rechtssystem generell mit einer wettbewerbsrechtlichen Generalklausel inkompatibel sei, lässt sich angesichts ihrer Aufnahme in das Recht anderer Common-Law-Länder nicht mehr behaupten128. Auch im europäischen Gemeinschaftsrecht ist zunehmend von “unlauterem” (unfair) Verhalten die Rede, so dass sich die englischen Richter mit diesem Begriff ohnehin vertraut machen müssen129. Im internationalen Recht verweisen Art. 22 (2) lit b und Art. 39 (1) (2) des TRIPS-Übereinkommens für den Schutz geographischer Herkunftsangaben und den Geheimnisschutz auf Art. 10bis PVÜ; da Art. 10bis keine einschlägigen Sondertatbestände enthält, kann dies nur eine Verweisung auf die Generalklausel bedeuten; Art. 39 (2) erhebt denn auch die anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe und Handel zum Kriterium130. Last not least sind das Vereinigte Königreich und Irland gemäß Art. 10bis Nr. 1, 2 PVÜ verpflichtet, verbandsbegünstigte Ausländer nach Maßgabe der Generalklausel gegen unlauteren Wettbewerb zu schützen, auch wenn die Vorschrift in den fraglichen Ländern nicht als unmittelbar anwendbar betrachtet wird131. 125 S. zu den Einwänden, Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, 1997, S. 73 ff. 126 S. die Nachweise bei Ohly, S. 95 ff. 127 Ohly, S. 99. 128 S. rechtsvergleichend Ohly, S. 81 ff. 129 S. z.B. Art. 8 Abs. 5, Art. 9 Abs. 1 lit e der GemeinschaftsmarkenVO, Art. 4 Abs. 3, Art. 5 Abs. 5 der Ersten Markenrechtsrichtlinie (“in unlauterer Weise ausnutzen oder beeinträchtigen”); Art. 12 lit c der GemeinschaftsmarkenVO, Art. 6 Nr. 1 lit c der Richtlinie mit Hinweis auf die “anständigen Gepflogenheiten”. Bereits Art. 1 der Irreführungsrichtlinie spricht von den “unlauteren Auswirkungen der irreführenden Werbung”. 130 S. zur Frage der auf dem Weg über TRIPS erreichbaren direkten Anwendbarkeit von Art. 10bis im Vereinigten Königreich Drexl, GRUR Int. 1994, 777 ff. 131 Vgl. UWG Großkomm/Schricker, Einl. Rdnr. F 43. 37 In methodischer Hinsicht hat die Untersuchung von Ohly132 gezeigt, dass die Kluft zwischen Generalklausel und angelsächsischem Rechtsdenken nicht unüberbrückbar erscheint. In der Tat besteht zwischen der richterrechtlichen Ausfüllung von Generalklauseln, wie sie etwa in Deutschland praktiziert wird und der angelsächsischen Präjudizientechnik im Ergebnis eine deutliche Verwandtschaft. Es dürfte heute aussichtsreicher sein als je, die beiden dem angelsächsischen Rechtssystem angehörenden Mitgliedsländer für die Einführung einer gemeinschaftsrechtlichen Generalklausel im Rahmen einer Lauterkeitsrichtlinie zu gewinnen. Wesentlich hierfür werden der rechtssystematische Einbau der Generalklausel in die Richtlinie, die Definition des Bezugskriteriums für die Unlauterkeit und die Ausgestaltung der Sanktionen sein. d) Rechtssystematisch kann die Generalklausel unterschiedlich in das Wettbewerbsgesetz eingebaut werden. Zum einen kann die Generalklausel dem Gesetz vorangestellt und beispielhaft ( “... insbesondere ist unlauter ...”) durch die nachfolgenden Einzeltatbestände konkretisiert werden (so z.B. Art. 9 Nr. 5 des griechischen Verbraucherschutzgesetzes). Zum zweiten können die Einzeltatbestände voranstehen, wobei die Generalklausel ergänzend hierauf Bezug nimmt ( “unlauter handelt auch, wer durch ein anderes Mittel, ...”) (so z.B. Art. 2598 Nr. 3 des italienischen Codice Civile). Drittens schließlich können Generalklausel und Einzeltatbestände unverbunden nebeneinander stehen, wobei es Lehre und Rechtsprechung überlassen bleibt, das Verhältnis zu definieren (so in Deutschland). Im Blick auf das mögliche Misstrauen gegenüber dem weiten Anwendungsbereich der Generalklausel, wie es namentlich im Vereinigten Königreich und in Irland besteht, erscheint es wünschenswert, den Inhalt der Generalklausel schon durch die systematische Verbindung mit den Einzeltatbeständen möglichst zu konkretisieren. Dies kann durch die vorstehend als erste und zweite angeführte Variante der Gesetzestechnik geschehen. Vorzuziehen ist die zweite Variante, die zunächst konkrete Beispiele der Unlauterkeit gibt und dann anknüpfend an diese den Spielraum für die Generalklausel eröffnet. Ausgesprochen oder unausgesprochen kann damit das Kriterium der Vergleichbarkeit zwischen gesetzlich geregelten Einzeltatbeständen und solchen, die aus der Anwendung der Generalklausel gewonnen werden, in die Rechtsfindung eingeführt werden133. 132 Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 315. 133 Für einen derartigen Gesetzesaufbau bereits Schricker, GRUR Int. 1990, 771, 776. 38 e) Kriterium der Unlauterkeit sind nach Art. 10bis Nr. 2 PVÜ die “anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel”. Diese Bezugnahme auf die Geschäftssitten steht in Übereinstimmung mit dem auf den Wettbewerberschutz beschränkten Schutzzweck der Vorschrift134. Wie bereits gezeigt wurde, hat sich der Schutzzweck der einschlägigen Gesetze aber weiterentwickelt und zielt heute, wie in der Irreführungsrichtlinie paradigmatisch formuliert, auf eine Trias von Unternehmer-, Verbraucher- und Allgemeinheitsschutz ab (S. dazu oben I 1 b). Diese dreifache Schutzrichtung muss auch im Lauterkeitskriterium der Generalklausel ihren Niederschlag finden. Wo es auch um den Schutz von Verbrauchern und Allgemeinheit geht, kann nicht allein die Unternehmermoral entscheiden. In diesem Sinne hat der Begriff der “guten Sitten” in Deutschland eine evolutive Auslegung in Richtung auf die Maßgeblichkeit nicht nur des Anstandsgefühls der Gewerbetreibenden, sondern auch des sittlichen Bewusstseins der Allgemeinheit geführt135. In anderen Ländern wird der Mehrschichtigkeit des Schutzzwecks bereits durch die Regelung in entsprechend ausgelegten parallelen Gesetzen mit jeweils schutzzweckspezifischen Generalklauseln Rechnung getragen (so in Finnland, Griechenland, Spanien) oder durch komplexe (so in Schweden) oder multiple Generalklauseln (so in Belgien). Im Rahmen einer europäischen Regelung dürfte eine einheitliche Generalklausel mit Berücksichtigung der mehreren Schutzzwecke den Vorzug verdienen. f) Was das Kriterium der Unlauterkeit betrifft, so nehmen die existierenden Generalklauseln überwiegend auf außerrechtliche Normen Bezug, die einerseits dem Bereich der Übung, andererseits der ethischen Bewertung zuzuordnen sind. Als Beispiele sind zu nennen: - - - “anständige Gepflogenheiten” (Art. 10bis PVÜ, Art. 1a WIPOModel-Provisions, § 260 portugiesisches Gesetz über gewerblichen Rechtsschutz, § 1 finnisches UVG; Art. 6 lit b spanisches allgemeines Werbegesetz); “gute Sitten” (§ 1 deutsches UWG, § 1 österreichisches UWG, § 1 griechisches UWG sowie Art. 9 Nr. 5 Verbraucherschutzgesetz, § 1 S. 2 dänisches Marktgesetz); “Treu und Glauben” (Art. 5 spanisches Gesetz über unlauteren Wettbewerb); “berufliche Korrektheit” (Art. 2598 Nr. 3 des italienischen Codice Civile). 134 S. dazu UWG Großkomm/Schricker, Einl. Rdnr. F 55. 135 S. zur Rechtsentwicklung Schricker, GRUR Int. 1970, 32 ff.; zum heutigen Stand s. Köhler/Piper, UWG, 2. Aufl., Einf. Rdnr. 21 ff. 39 g) Neben dem Element des Normverstoßes enthalten manche Generalklauseln noch das Kriterium der Güter- oder Interessenverletzung. So muss z. B. nach Art. 2598 Nr. 3 des italienischen Codice Civile die unkorrekte Handlung “geeignet (sein), das Unternehmen eines anderen zu schädigen”. Die Schadenszufügung bildet auch eine Voraussetzung der deliktsrechtlichen Generalklauseln nach dem Modell des Art. 1382 des französischen Code Civile. Moderne Gesetze differenzieren bei den Generalklauseln nach der jeweiligen Schutzrichtung. So erfasst die Konkurrenten-Generalklausel in Art. 93 des belgischen Handelspraktikengesetzes jede gegen die anständigen Gebräuche verstoßende Handlung, durch die ein Verkäufer “die beruflichen Interessen eines oder mehrerer anderer Verkäufer verletzt oder verletzen kann”, während es nach der Verbraucher-Generalklausel des Art. 94 auf die Verletzung der “Interessen eines oder mehrerer Konsumenten” ankommt. Derartige Formulierungen bieten den Vorteil, in der Generalklausel die Schutzzwecktrias deutlich zu machen und eine Konkretisierung der für sich allein oft als allzu vag empfundenen Verweisung auf Sitten- oder Anstandsnormen zu bringen. h) Es kann hier nicht unternommen werden, eine fertig formulierte lauterkeitsrechtliche Generalklausel zu präsentieren136. Die Ergebnisse der vorstehenden Überlegungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: - Ein harmonisiertes Recht des unlauteren Wettbewerbs bedarf notwendig einer Generalklausel. - Die Generalklausel sollte sich an die Liste der Einzeltatbestände anschließen, die als konkrete Anwendungsfälle die Generalklausel verdeutlichen. - Die Generalklausel sollte der Funktion gerecht werden, sowohl Anbieter als auch Abnehmer und die Allgemeinheit zu schützen. - Eine Verweisung auf außerrechtliche Normen erscheint im Interesse der Elastizität der Generalklausel unentbehrlich. - Das Kriterium, auf das verwiesen wird, sollte möglichst neutral sein, nicht nur auf das Anstandsgefühl oder die Gebräuche der geschäftlichen Welt Bezug nehmen, wie Art. 10bis PVÜ. Es bietet sich als häufigstes Kriterium im Recht der Mitgliedstaaten die Formel von den “guten Sitten” an. - 136 Zu einem solchen Versuch s. Schricker, GRUR Int. 1990, 771, 776. 40 2. - Die Schutzrichtung sollte durch das Moment der Eignung der Handlung, die Interessen von Anbietern, Abnehmern und/oder Allgemeinheit zu beeinträchtigen, in der Generalklausel zum Ausdruck kommen. - Erfasst werden sollten alle Handlungen im geschäftlichen Verkehr; auf Wettbewerbsverhältnis oder Wettbewerbsabsicht sollte es nicht ankommen. Hervorrufen von Verwechslungen Vorschlag: Das Hervorrufen von Verwechslungsgefahr ist als unlauterer Wettbewerb zu verbieten. Der Schutz sollte vom sondergesetzlichen Schutz für Marken und andere Kennzeichenrechte unabhängig sein. Geschützt werden sollten originär kennzeichnungskräftige Elemente ab Erstbenutzung, sonstige Elemente ab der Erlangung von Kennzeichnungskraft. Begründung: a) Wie vorstehend bereits ausgeführt wurde (s. oben II 1 c) bestehen Berührungspunkte zwischen dem Tatbestand unlauteren Wettbewerbs durch Hervorrufen von Verwechslungen und dem Sonderschutz der Kennzeichenrechte (Marke, Handelsname, Werktitel). Gleichwohl ist ein Bedürfnis für einen Wettbewerbsschutz festzustellen137. b) Für die Mitgliedstaaten der EU gilt nach Art. 10bis (3) Nr. 1 PVÜ die Verpflichtung zur Untersagung in Bezug auf “alle Handlungen, die geeignet sind, auf irgendeine Weise eine Verwechslung mit der Niederlassung, den Erzeugnissen oder der gewerblichen oder kaufmännischen Tätigkeit eines Wettbewerbers hervorzurufen.” Die WIPO Model Provisions enthalten einen durch Beispiele erläuterten erweiterten Tatbestand: “Art. 2 Causing Confusion with Respect to Another‘s Enterprise or Ist Activities 137 Das Ulmer-Gutachten, Bd. I Rdnr. kennzeichenrechtliche Regelungen. 411 ff. bevorzugt allerdings 41 (1) [General Principle] Any act of practice, in the course of industrial or commercial activities, that causes, or is likely to cause, confusion with respect to another‘s enterprise or its activities, in particular, the products or services offered by such enterprise, shall constitute an act of unfair competition. (2) [Examples of Confusion] Confusion may, in particular, be caused with respect to (i) a trademark, whether registered or not; (ii) a trade name; (iii) a business identifier other than a trademark or trade name; (iv) the appearance of a product; (v) the presentation of products or services; (vi) a celebrity or a well-known fictional character. Auch im Recht der Mitgliedstaaten finden sich gesetzliche Verbote des Hervorrufens von Verwechslungen, und zwar in Dänemark (§ 5 Marktgesetz) Griechenland (Art. 13 UWG) Italien (Art. 2598 Nr. 1 Codice Civile) Luxemburg (Art. 17g Handelspraktikengesetz) Österreich (§ 9 UWG) Portugal (§ 260 lit a Gesetz über gewerbliche Schutzrechte) Spanien (Art. 6 lit b Werbegesetz, Art. 6 UWG). In anderen Mitgliedstaaten, wie etwa in Deutschland und Frankreich, kann die Generalklausel des unlauteren Wettbewerbs zur Anwendung kommen. Im Vereinigten Königreich und Irland erfasst der ungeschriebene tort-Tatbestand des “passing off” das Hervorrufen von Verwechslungsgefahr in umfassender Weise138. Wenn auch vielfach vom Schutz gegen Verwechslungen die Rede ist, besteht doch weitgehende Übereinstimmung, dass der Schutz bereits bei der Gefahr einer Verwechslung eingreift139. c) Wesentliche Unterschiede bestehen im Verhältnis des Wettbewerbsschutzes zum Schutz der eingetragenen Marken (s. oben II 1 c; s. auch Schri138 S. Ulmer/v. Westerholt, Bd. VI Großbritannien Rdnr. 128 ff. 139 S. zu Art. 10bis Abs. 3 Nr. 1 PVÜ UWG Großkomm/Schricker, Einl. Rdnr. F 61 ff. 42 cker/Stauder, Handbuch des Ausstattungsrechts, 1986, S. 15 ff.). Nach den WIPO Model Provisions soll der Schutz gegen unlauteren Wettbewerb “apply independently of, and in addition to, any legislative provisions protecting ... trademarks ...” (Art. 1 (2)). Nach diesem Grundsatz verfährt man etwa im italienischen Recht (Schutzkumulation, s. oben II 1 c). In Deutschland herrscht dagegen das Prinzip des Vorrangs des Markenschutzes, das für das Recht des unlauteren Wettbewerbs nur eine ergänzende Funktion übrig lässt140. In Belgien geht man soweit, anzunehmen, dass markenfähige Zeichen, auch wenn sie nicht eingetragen sind, nicht wettbewerbsrechtlich geschützt werden dürfen141. Es liegt auf der Hand, dass hier eine Harmonisierung am Platze ist. Denn auch in Bezug auf Art. 10bis Abs. 3 Nr. 1 PVÜ ist das Verhältnis zum Markenrecht wenig geklärt142. Als gemeinschaftsrechtliche Regelung empfiehlt sich die Einführung eines Lauterkeitsschutzes gegen Verwechslungsgefahr von umfassendem Geltungsbereich, wie ihn die WIPO Model Provisions vorsehen. Ein derartiges Verständnis liegt auch dem passing-off-Schutz des angelsächsischen Rechts zugrunde143. Eine gewisse Abstimmung mit dem Markenrecht wird im Einzelfall freilich gleichwohl erforderlich sein. d) Der Wettbewerbsschutz gegen Verwechslungsgefahr knüpft an unterscheidende geschäftliche Merkmale an, die vom Verletzer in verwechselbarer Weise übernommen werden. Die Voraussetzungen für den Schutz solcher Merkmale sind in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgeprägt144. Während sich manche Mitgliedstaaten mit der Benutzungsaufnahme begnügen (so z.B. Italien), wird in anderen Ländern verlangt, dass sich die Benutzung zu einer Bekanntheit oder Verkehrsgeltung verdichtet (z.B. in Deutschland) oder einen goodwill begründet (z.B. im United Kingdom). Die unterschiedlichen Schutzvoraussetzungen sollten in der Gemeinschaft harmonisiert werden. Es empfiehlt sich im Interesse eines umfassenden Wettbewerbsschutzes bereits die Benutzungsaufnahme (public use) genügen zu lassen, soweit es sich um von Haus aus unterscheidungskräftige Merkmale handelt; fehlt es an der originären Unterscheidungskraft, so ist Ver140 Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 2 Rdnr. 1. 141 Ulmer/Schricker, Bd. II/1 Belgien, Rdnr. 17 ff. 142 S. UWG Großkomm/Schricker, Einl. Rdnr. F 58 ff. 143 Graf v. Westerholt, Die Passing-off-Klage im englischen Recht, S. 7 ff. 144 S. Schricker/Stauder, Handbuch des Ausstattungsrechts, S. 24 ff. 43 kehrsdurchsetzung, d.h. nachträgliche Erlangung von Unterscheidungskraft zu verlangen. In Deutschland könnte damit der viel kritisierte Unterschied im Schutz von Benutzungsmarken, Handelsnamen und Werktiteln überwunden werden. e) Zusammenfassend ist die Einführung eines gemeinschaftsrechtlichen Schutzes gegen unlauteren Wettbewerb in der Form des Hervorrufens von Verwechslungsgefahr zu empfehlen. Der Schutz sollte vom sondergesetzlichen Schutz für Marken und andere Kennzeichenrechte unabhängig sein. Geschützt werden sollten originär kennzeichnungskräftige Elemente ab Erstbenutzung, sonstige Elemente ab der Erlangung von Kennzeichnungskraft. 3. Sklavische Nachahmung (wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz) Vorschlag: Eine Regelung der sklavischen Nachahmung außerhalb des Tatbestandes der Verwechslungsgefahr erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt wegen der unterschiedlichen Rechtsauffassungen in der EU mit Schwierigkeiten verbunden. Gleichwohl sollte der Versuch einer Angleichung unternommen werden. Bei der Diskussion möglicher Regelungsmodelle könnte u. a. von der AIPPIResolution (1995) und dem WIPO-Vorschlag ausgegangen werden. Diese stellen vor allem auf die Ausbeutung von goodwill und Ruf und/oder die Beeinträchtigung des Unterscheidungsvermögens (dilution) ab. Begründung: a) Der ergänzende Leistungsschutz liegt, ebenso wie der Schutz vor Verwechslungsgefahr auf der Schnittstelle zwischen Wettbewerbsrecht und Immaterialgüterrecht. In ihm geht es um die unmittelbare Übernahme bzw. um die (sklavische) Nachahmung fremder Leistungen oder Leistungsergebnisse, die in der Regel nicht oder nicht mehr sondergesetzlich geschützt sind. Die Leistungen oder Leistungsergebnisse, um die es geht, können dabei höchst unterschiedlicher Art sein: die Spanne reicht von technischen Erzeugnissen über Modeschöpfungen bis hin zu Werbekampagnen oder Computerspielen. Es entspricht allgemeiner Auffassung in der Gemeinschaft, dass die spezifischen Wertungen der Sondergesetze des geistigen Eigentums, die einen Schutz an bestimmte Voraussetzungen knüpfen und nur für eine bestimmte Dauer gewähren, nicht durch einen ergänzenden Leistungsschutz im Wettbewerbsrecht unterlaufen werden dürfen. Auf der anderen Seite entspricht es auch allgemeiner Auffassung in der Gemeinschaft, dass der wettbewerbs- 44 rechtliche Leistungsschutz zur Schließung von Schutzlücken im Immaterialgüterrecht notwendig ist und dass jedenfalls bestimmte Fälle der sklavischen Nachahmung mit den Vorstellungen von einem lauteren Wettbewerb nicht zu vereinbaren sind. b) Dieses Spannungsverhältnis hat dazu geführt, dass in allen Mitgliedstaaten zwar im Ergebnis in bestimmten Fällen Rechtsschutz gegen die unmittelbare Leistungsübernahme und die sklavische Nachahmung gewährt wird, die dogmatische Begründung hierfür jedoch Schwierigkeiten bereitet. Theoretisch erfolgt die Abgrenzung zu den Immaterialgüterrechten dadurch, dass der Grundsatz der Nachahmungsfreiheit nicht sondergesetzlich geschützter Leistungen und Leistungsergebnisse betont und der wettbewerbsrechtliche Schutz auf “spezifisch wettbewerbsrechtliche Umstände” der Übernahme oder Nachahmung beschränkt wird. In der Praxis werden diese “spezifischen Umstände” jedoch unterschiedlich gewichtet. Die Rechtsprechung ist häufig eher um Einzelfallgerechtigkeit als um eine klare Linie bemüht. Sie lässt mitunter den Eindruck entstehen, dass es letztlich doch um den Schutz bestimmter Leistungen und Leistungsergebnisse geht, und das eigentlich “Anstößige” in der Nachahmung als solcher gesehen wird. Es ist insofern aufschlussreich, dass der EuGH in der “Dior/Tuk”-Entscheidung145 ohne Umschweife von dem “Schutz eines gewerblichen Modells vor Nachahmung durch das Wettbewerbsrecht“ spricht. c) Nur wenige europäische Rechtsordnungen haben bislang den Versuch unternommen, den schwierigen Bereich des ergänzenden Leistungsschutzes im Wege einer sondergesetzlichen Regelung zu erfassen. Zu nennen wären: - Art. 5 des Schweizer UWG: Danach handelt unlauter, wer ein ihm anvertrautes Arbeitsergebnis unbefugt verwertet oder “das marktreife Arbeitsergebnis eines anderen ohne angemessenen eigenen Aufwand durch technische Reproduktionsverfahren als solches übernimmt oder verwertet”. - § 8 des schwedischen Marktvertriebsgesetzes: Danach darf “ein Gewerbetreibender ... beim Vertrieb keine Nachbildungen verwenden, die dadurch irreführend sind, dass sie leicht mit den bekannten oder unterscheidungskräftigen Produkten eines anderen Gewerbetreibenden verwechselt werden können. Dies gilt jedoch nicht für Nachbildungen, deren Form vorrangig dazu dient, das Produkt funktionstauglich zu machen”. - Art. 2598 Nr. 1 des italienischen Codice Civile: Danach begeht “unbeschadet der Bestimmungen über den Schutz der Unterscheidungszeichen und gewerblichen Schutzrechte“ ... unlauteren Wettbewerb, wer 145 GRUR Int. 2001, 327 - Leitsatz 3. 45 „... die Erzeugnisse eines Wettbewerbers sklavisch nachahmt oder mit irgendeinem anderen Mittel Handlungen begeht, die geeignet sind, Verwechslungen mit den Erzeugnissen und der Tätigkeit eines Wettbewerbers herbeizuführen.” - Art. 11 des spanischen UWG: Danach stellt die Nachahmung von nicht sondergesetzlich geschützten Leistungen, - die laut Art. 11 (1) grundsätzlich frei ist - unlauteren Wettbewerb dar, wenn sie beim Verbraucher “Assoziationen” erzeugt oder eine “ungerechtfertigte Ausnutzung des fremden Rufs oder der fremden Mühe mit sich bringt” (Abs. 2); dies soll wiederum nicht gelten, wenn die Ausnutzung oder Assoziation “unvermeidbar” ist. Abs. 3 verbietet das systematische Nachahmen. d) Die schwedische, die italienische und (am weitestgehend durch den Begriff “Assoziationen”) die spanische Regelung knüpfen an die (vermeidbare) Verwechslungsgefahr an. Ein derartiger Schutz ist jedenfalls dem Grundsatz nach in allen Mitgliedstaaten unproblematisch. Er wird in den kontinentaleuropäischen Mitgliedstaaten (zumindest) auf der Grundlage der wettbewerbsrechtlichen oder deliktsrechtlichen Generalklausel gewährt, in Großbritannien und Irland auf der Grundlage des common law-Tatbestands des passing off. Das wettbewerbsrechtlich Unlautere liegt dabei weniger in der sklavischen Nachahmung als solcher als vielmehr in der (vermeidbaren) Irreführung des Publikums über die betriebliche Herkunft. Da nach der hier vertretenen Auffassung ohnehin eine spezielle Regelung über die Verwechslungsgefahr aufzunehmen wäre, bedarf es keiner zusätzlichen Regelung unter dem Gesichtpunkt des ergänzenden Leistungsschutzes. Eventuelle Unterschiede bei der Eingriffsschwelle wären bei dem Tatbestand der Verwechslungsgefahr zu berücksichtigen. e) Erhebliche Unterschiede in den Rechtsauffassungen der Mitgliedstaaten bestehen hingegen, wenn es um den Schutz gegen sklavische Nachahmung außerhalb des Bereichs der Verwechslungsgefahr geht. In den kontinentaleuropäischen Ländern, die einen Schutz gegen Nachahmung auf der Grundlage der Generalklausel gewähren, können zwar Aspekte wie der Missbrauch anvertrauter Unterlagen, die Systematik der Nachahmung oder auch subjektive Elemente Berücksichtigung finden. Ob hingegen die Ausnutzung des fremden Rufs oder die Aufwendungen eines anderen bzw. die Verminderung der Unterscheidungskraft zu den “spezifisch wettbewerbsrechtlichen Begleitumständen” zählen oder ob gar, wie in der Schweiz, unabhängig von allen spezifischen Umständen allein die Übernahme eines marktreifen Leistungsergebnisses mit technischen Mitteln den Unlauterkeitsvorwurf zu begründen vermag, wird in den Mitgliedstaaten unterschiedlich beantwortet146. 146 Instruktiv sind insofern die Länderberichte der AIPPI zu Frage 115 (“Wirksamer Schutz gegen den unlauteren Wettbewerb”), abgedruckt im Jahrbuch 1995/I der AIPPI. 46 Diese Unterschiede zeigen sich deutlich bei einer Gegenüberstellung der Rechtsauffassungen in Großbritannien und Frankreich. In Frankreich (und Belgien, Italien) gilt die sklavische Nachahmung als “concurrence parasitaire” und damit als Inbegriff des gegen die anständigen Gebräuche auf kaufmännischem Gebiet verstoßenden Verhaltens (Art. 1382 Code Civil). Großbritannien und Irland lehnen einen derartigen wettbewerbsrechtlichen Tatbestand hingegen traditionell ab; sie sehen hierin eine unzulässige Vorverlegung der durch die Immaterialgüterrechte ohnehin bewirkten „Monopolstellung“. Die Rechtsschutzmöglichkeiten werden folglich auf den passing-off-Rechtsbehelf beschränkt, der die Gefahr einer unmittelbaren Verwechslung der Produkte durch das Publikum voraussetzt. Die Auswirkungen dieser unterschiedlichen Ansätze zeigen sich zur Zeit besonders deutlich bei der Beurteilung der sog. “look alikes”. Bei diesen wird die Aufmachung eines bekannten Produktes, z.B. der Coca Cola-Flasche kopiert, die Verwechslungsgefahr jedoch durch eine abweichende Markierung ausgeschlossen. Während Länder wie Frankreich, Belgien, Italien hier wegen der Ausnutzung des Goodwills der bekannten Produkte auch außerhalb des Marken- und Designrechts großzügig Rechtsschutz gewähren, wird ein derartiger Schutz in Großbritannien und Irland abgelehnt147. Aber auch die Mitgliedstaaten, die eine vermittelnde Haltung einnehmen, tun sich in Fällen des “Schmarotzens” an fremder Leistung mit der Begründung des Schutzes schwer148: So wird in Deutschland dem parasitären Aspekt und dem Amortisationsgedanken etwa bei Sachverhalten wie dem “Einschieben in eine fremde Serie”, dem Schutz vor minderwertigen Nachahmungen oder dem Schutz kurzlebiger Modeerzeugnisse Rechnung getragen. Die dogmatische Begründung hierfür, etwa wenn es um die zeitliche Begrenzung des Schutzes geht, ist jedoch nicht immer überzeugend. In jüngster Zeit scheint die Rechtsprechung zudem wieder restriktiver zu werden; z.B. soll das Herstellen von Kompatibilität mit einem eingeführten System eines Konkurrenten nicht unlauter sein149. 147 Vgl. dazu Mills, Own Label Products and the ‚Lookalike‘ Phenomenon: A Lack of Trade Dress and Unfair Competition?, 116 [1995] 4 EIPR. 148 Zu den einzelnen Begründungsversuchen in Deutschland vgl. Köhler, WRP 1999, 1075. 149 BGH, GRUR 2000, 521 - “Modulgerüste”. 47 Ähnliche Probleme gibt es auch in anderen Staaten150; z.B. bei der Beurteilung der Nachahmung von “Lego”-Steinen unter Ausnutzung des auf Fortsetzungsbedarfs angelegten Systems151. f) In Anbetracht dieser Gegensätze darf nicht verwundern, dass es auf Gemeinschaftsebene bislang an einer übergreifenden Regelung des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes fehlt. Geregelt wurden lediglich Teilbereiche, in denen Mitgliedstaaten (in Ermangelung spezieller Gesetze) zunächst über das nationale Wettbewerbsrecht bestimmten Leistungen Schutz gewährt haben, z.B. den ausübenden Künstlern, Datenbanken, der berühmten Marke. Dieser wettbewerbsrechtliche Schutz wurde dann nach und nach in die einschlägigen Spezialmaterien (Urheberrecht, Markenrecht, Designrecht) oder in gesonderte Richtlinien (Datenbanken) übernommen. Ob die beabsichtigte Richtlinie zur Verbesserung der Bekämpfung der Produktpiraterie darüber hinaus einen Anstoß zu einer wettbewerbsrechtlichen Regelung der sklavischen Nachahmung auf Gemeinschaftsebene zu geben vermag, ist offen152. Bislang jedenfalls ist der Schutz gegen unmittelbare Leistungsübernahme, wie auch der EuGH mit “Dior/Tuk”-Urteil festgestellt hat, rein national. Auch der EuGH war bislang mit dieser Problematik nur wenig befasst153. g) Auf internationaler Ebene haben sich bislang vor allem die AIPPI und die WIPO mit dem Problemkreis der sklavischen Nachahmung beschäftigt. (1) Die 1995 verabschiedete Resolution der AIPPI154 lautet, dass: - “die sklavische oder quasi-sklavische Nachahmung und die unmittelbare Leistungsübernahme eines Produktes oder einer Dienst leistung nicht nur dann Handlungen unlauteren Wettbewerbs darstellen, wenn sie eine Verwechslungsgefahr hervorrufen, sondern auch, wenn sie den Ruf des nachgeahmten Produktes oder der Dienstleistung ausbeuten oder ihr Unterscheidungsvermögen erheblich beeinträchtigen; 150 S. die Vorlageverfahren zu EuGH - “Dior/Tuk”, GRUR Int. 2001, 327. 151 Dazu Kur, GRUR Int. 1995, 469. 152 Das Grünbuch der Kommission zur Bekämpfung von Nachahmungen und Produkt- und Dienstleistungspiraterie vom 15.10.1998 (KOM (98) endg.) bezieht sich unmittelbar nur auf die Verletzung von Immaterialgüterrechten. 153 In der 1982 ergangenen Entscheidung “Multi Cable Transit” (GRUR, 1982, 439) wurde das niederländische Verbot der sklavischen Nachahmung als mit Art. 30 EGV vereinbar angesehen. 154 Abgedruckt im Jahrbuch 1995/I der AIPPI. 48 - bei Vorliegen dieser Umstände kein ungerechtfertigtes und unbegrenztes Monopolrecht gewährt, sondern eine bestimmte unlautere Geschäftspraktik verboten wird; - die sklavische oder quasi-sklavische Nachahmung eines Produkts oder einer Dienstleistung keine unlautere Wettbewerbshandlung darstellt, sofern sie für die technische Funktion des Produktes oder der Dienstleistung notwendig ist; - nationale Rechtsordnungen vorsehen können, dass andere Umstände ein Verbot der sklavischen oder quasi-sklavischen Nachahmung eines Produktes oder einer Dienstleistung rechtfertigen können.” (2) Die Vorschläge in den WIPO Model Provisions enthalten zwar keine Sonderregelung der sklavischen Nachahmung, wohl jedoch in Art. 3 eine “Damaging Another‘s Goodwill or Reputation” betitelte Regelung. Diese lautet: (1) [General Principle] Any act or practice, in the course of industrial or commercial activities, that damages, or is likely to damage, the goodwill or reputation of another‘s enterprise shall constitute an act of unfair competition, regardless of whether such act or practice causes confusion. (2) [Examples of Damaging Goodwill or Reputation] (a) Damaging another‘s goodwill or reputation may, in particular, result from the dilution of the goodwill or reputation attached to - - a trademark, whether registered or not; a trade name; a business identifier other than a trademark or a trade name; the appearance of a product; the presentation of products or services; a celebrity or a well-known fictional character. (b) [Definition of “Dilution”] For the purposes of these Model Provisions, “dilution of goodwill or reputation” means the lessening of the distinctive character or advertising value of a trademark, trade name or other business identifier, the appearance of a product or the presentation of products or services or of a celebrity or well-known fictional character. h) Beide Ansätze sehen, ebenso wie die Regelung in Art. 11 des spanischen UWG, das maßgebliche Unterlauterkeitskriterium neben der Verwechslungsgefahr in der Ausbeutung von Ruf und goodwill und der Verwässerungsgefahr. Sie entsprechen damit primär französischem Rechtsdenken, wären je- 49 doch auch mit dem in den meisten anderen kontinentaleuropäischen Staaten vertretenen Ansatz nicht generell unvereinbar. Nicht vereinbar sind sie freilich mit dem in Großbritannien und Irland vertretenen passing-off-Ansatz. Innerhalb der EU ist in diesem Bereich daher keine einheitliche Linie zu erkennen; die Gegensätze zwischen den Rechtssystemen treten vielmehr offen zutage. i) Vor diesem Hindergrund dürfte eine Regelung des ergänzenden Leistungsschutzes auf Gemeinschaftsebene mit Schwierigkeiten verbunden sein. Eine Regelung im Sinne von Art. 5 des Schweizer UWG, die an die Ersparnis eigener Aufwendungen und den Einsatz moderner Kopiermethoden anknüpft, ist mit grundlegenden Vorstellungen der common law-Länder unvereinbar. Aus der Sicht anderer Staaten ist sie wiederum zu eng, da es in der Praxis häufig nicht um das “glatte” Kopieren (mit Hilfe technischer Mittel), sondern um das fast identische Nachahmen geht155. Konsensfähiger wären schon die von AIPPI und WIPO verfolgten Ansätze und die Regelung im spanischen UWG156. Auch hier ist zwar zu befürchten, dass sie aus der Sicht von Großbritannien und Irland eine Ausweitung des (ohnehin kritisch gewerteten) Monopolschutzes der Immaterialgüterrechte bedeuten. Andererseits hat das Problem der “look alikes” auch in diesen Ländern zu einem gewissen Überdenken geführt. So wurde in Großbritannien zwar eine die “look alikes” erfassende Ergänzung des Trade Mark Acts 1994 abgelehnt, gleichzeitig jedoch die Prüfung einer generellen Einführung eines Verbots der “unfair competition” zugesagt157. Auch wenn dies bislang nicht geschehen ist, sollte diese Bereitschaft für Harmonisierungsmaßnahmen genützt werden. j) Auf Gemeinschaftsebene ist daher eine Regelung des wettbewerbsrechtichen Leistungsschutzes nicht nur wünschenswert, sondern auch erforderlich. Denn die unterschiedliche Beurteilung innerhalb der EU vermag den freien Warenverkehr zu behindern und erfordert bereits deshalb eine einheitliche Regelung158. Sie würde zudem der unbefriedigenden Situation ein Ende bereiten, dass mit Hilfe vorgeschobener Begründungen ein Handlungsunrecht kon155 Dies ist wahrscheinlich auch der Grund, warum es zu Art. 5 in der Schweiz kaum Gerichtsentscheidungen gibt. 156 Für das deutsche Recht s. weiter die von Fezer, Festschrift GRUR, Bd. II, 1991, 939 und von Köhler, WRP 1999, 1074 gemachten Vorschläge. 157 Vgl. dazu Mills, a.a.O. 158 Dies zeigt sich auch an der Entscheidung des EuGH in Sachen “Tuk/Dior”, GRUR Int. 2001, 327. 50 struiert wird, während es häufig in Wahrheit um den Schutz bestimmter Leistungen oder Leistungsergebnisse geht. k) In Anbetracht der unterschiedlichen Beurteilung dieses Problemkreises in den Mitgliedstaaten und der großen Bandbreite der betroffenen Leistungen oder Leistungsergebnissen können hier keine fertigen Regelungsvorschläge unterbreitet werden. Eine mögliche Regelung dieses komplexen Tatbestandes auf Gemeinschaftsebene wird in besonderen Maße einen Kompromiss zwischen verschiedenen Ansätzen erfordern. Für die Diskussion können daher nur folgende Anregungen gegeben werden: - Bezüglich der Schutzwürdigkeit der nachgeahmten Leistung oder des Leistungsergebnisses sollte derselbe Maßstab wie bei dem hier vorgeschlagenen Tatbestand der Verwechslungsgefahr (oben III.2.) gelten; - angeknüpft werden könnte an die Ausbeutung von Ruf und goodwill eines anderen und die (erhebliche) Beeinträchtigung des Unterscheidungsvermögens (Vorschläge der AIPPI, WIPO, Art. 11 des spanischen UWG); - als weitere Umstände, die ein Verbot rechtfertigen könnten, wäre an den Missbrauch anvertrauter Unterlage, das Erschleichen von Unterlagen etc. oder an das systematische Nachahmen zu denken; - denkbar wäre jedoch auch eine Regelung, die die unmittelbare Leistungsübernahme oder sklavische Nachahmung schutzwürdiger Leistungen und Leistungsergebnisse generell verbietet und Ausnahmen für einen “fair use” bereitstellt. Jede Art von Harmonisierung im Bereich des ergänzenden Leistungsschutzes wird dabei erhebliche Vorarbeiten, insbesondere rechtsvergleichender Art, erfordern. Diese müssten auch das bislang weitgehend ungeklärte Verhältnis von Innovation und Imitation erfassen und die Abgrenzung zu den einzelnen Regelungen der geistigen Eigentumsrechte einbeziehen; dabei wäre insbesondere der Frage nachzugehen, welche Teilbereiche sinnvoll durch eine Ergänzung der Sonderschutzrechte erfasst werden können und wo ein genuin wettbewerbsrechtlicher Handlungsbedarf besteht. 4. Anschwärzung, persönliche Bezugnahme Vorschlag: Die Anschwärzung, die sonstige einseitige Kritik wie auch die persönliche Bezugnahme sollten der Richtlinienregelung für die vergleichende Werbung 51 unterstellt werden. Wahre, sachliche Angaben sollten toleriert; Anschwärzung und persönliche Bezugnahme verboten werden. Begründung: a) Die Anschwärzung gehört zu den klassischen Tatbeständen unlauteren Wettbewerbs. Art. 10bis Abs. 3 Nr. 2 PVÜ verbietet “die falschen Behauptungen im geschäftlichen Verkehr, die geeignet sind, den Ruf der Niederlassung, der Erzeugnisse oder der gewerblichen oder kaufmännischen Tätigkeit eines Wettbewerbers herabzusetzen.” Art. 3 der WIPO Model Provisions untersagt, offenbar ohne Rücksicht auf den Wahrheitsgehalt, “Any act or practice, in the course of industrial or commercial activities, that damages or is like to damage, the goodwill oder reputation of another‘s enterprise ...” Hierbei leuchtet in systematischer Hinsicht freilich die Anführung der Verwässerung als Beispielsfall wenig ein, s. Art. 3 (2). Dass mit der zitierten Vorschrift des Art. 3 weniger die Anschwärzung, sondern andere Fälle von Rufschädigung, und zwar vor allem die Verwässerung, gemeint sind, wird durch die Existenz eines eigenen Anschwärzungs-Tatbestands bestätigt. Er findet sich in Art. 5: “Any false or injustifiable allegation, in the course of industrial or commercial activities, that discredits, or is likely to discredit, another‘s enterprise or its activities, in particular the products or services offered by such enterprise, shall constitute an act of unfair competition.” b) Die Anschwärzung wird in den Wettbewerbs- und sonstigen einschlägigen Gesetzen der Mitgliedstaaten fast durchwegs verboten, so in Belgien (Art. 23 Nr. 6 Handelspraktikengesetz) Dänemark (§ 2 Abs. 2 Marktgesetz) Deutschland (§§ 14, 15 UWG) Finnland (§ 2 (1) (2) UWG) Griechenland (Art. 11, 12 UWG) Italien (Art. 2598 Nr. 2 Codice Civile) Luxemburg (Art. 17h Handelspraktikengesetz) Österreich (§ 7 UWG) Portugal (§ 260 lit b Gesetz über gewerbliche Schutzrechte) Spanien (Art. 9 UWG, Art. 6 lit a Werbegesetz). 52 In anderen Ländern, wie in Frankreich und in den Niederlanden, kann die Generalklausel herangezogen werden; im Vereinigten Königreich und Irland existieren ungeschriebene tort-Tatbestände159. c) Trotz dieser Übereinstimmung in den Grundzügen gibt es Rechtsunterschiede, die eine Harmonisierung erforderlich erscheinen lassen. Vor allem bestehen Diskrepanzen und Unklarheiten bezüglich der wahrheitsgemäßen Kritik. Manche Mitgliedstaaten verbieten grundsätzlich jede Art von Herabsetzung, ohne eine Beschränkung auf unwahre Angaben (so z.B. Belgien). In anderen Mitgliedstaaten sind nur unwahre Angaben verboten. Es fragt sich dann, ob wahre Angaben grundsätzlich erlaubt sind (so im Vereinigten Königreich160) oder ob sie unter Umständen nach der Generalklausel verboten werden können (so in Deutschland). Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Beweislastverteilung (s. die Beweislastumkehr in § 14 UWG). d) Es wurde bereits vorstehend (II 1 b) darauf hingewiesen, dass es angesichts der Definition der vergleichenden Werbung in der einschlägigen Richtlinie nahe liegen würde, die einseitige Kritik im Wettbewerb, insbesondere in Form der Anschwärzung unter die Richtlinienregelung zu subsumieren. Die Diskrepanzen hinsichtlich der wahrheitsgemäßen Angaben würden dann ausgeräumt; derartige Angaben würden unter gewissen Voraussetzungen toleriert werden, wie dies rechtspolitisch wünschenswert erscheint, während die Anschwärzung durch unwahre Angaben dem Verbot verfiele. Auch eine Regelung der Beweislastumkehr wäre damit gewonnen (s. Art. 6 lit a der Richtlinie). Ob die Richtlinie so weit ausgelegt werden kann, dass sie auch einseitige, nicht als Vergleich gestaltete Angaben erfasst, ist strittig. Der einfachste Weg zur Rechtsangleichung wäre eine Klarstellung, dass die Richtlinie auch auf die einseitige, nicht im strengen Sinn vergleichende Kritik zur Anwendung gelangt. Zusätzlich wäre noch eine Überprüfung der Verbotskriterien ratsam, um eine reibungslose Einordnung der einseitigen Angaben zu gewährleisten. e) Durch eine Klarstellung der Anwendbarkeit der Richtlinie könnte auch eine Regelung für die sogenannte persönliche Bezugnahme geschaffen werden. Auch hier ist unklar und strittig, ob die Richtlinie bereits jetzt zum Zuge kommt, da es sich i.d.R. um einseitige Behauptungen handelt. Aus der Konzentration des Erlaubtheitsspielraums der Richtlinie auf sachliche und wesentliche Angaben kann auf ein Verbot der unsachlichen, persönliche Um159 S. Ulmer/Graf v. Westerholt, Bd. VI Rdnr. 281 ff. 160 Ulmer/Graf v. Westerholt, Bd. VI Rdnr. 290. 53 stände ungehörigerweise in den Wettbewerbskampf einbeziehende Äußerungen geschlossen werden. Dies könnte im Text der Richtlinie noch verdeutlicht werden. Der Wahrheitsgehalt darf die persönliche Werbung nicht rechtfertigen161. 5. Geheimnisschutz Vorschlag: Harmonisierung des Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen in Ausführung von Art. 39 des TRIPS-Übereinkommens. Regelung des Geheimnisbegriffs und der Verletzungstatbestände unter besonderer Berücksichtigung der Position der Arbeitnehmer. Begründung: a) Art. 10bis PVÜ enthält keinen Sondertatbestand der Verletzung von Betriebsund Geschäftsgeheimnissen; jedoch kann die Generalklausel des Art. 10bis Abs. 2 zur Anwendung kommen. Auf diese verweist Art. 39 des TRIPSÜbereinkommens bezüglich des Schutzes nicht offenbarter Informationen. Dabei wird zwischen dem allgemeinen Schutz nicht offenbarter Informationen(Abs. 2) und dem Sonderfall des Schutzes von Daten unterschieden, die Regierungen oder Regierungsstellen vorgelegt wurden (Abs. 3). Art. 39 enthält einen Schutzverpflichtung der Mitgliedstaaten (Abs. 1), definiert den Begriff der nicht offenbarten Informationen (Abs. 2) und gibt in einer Fußnote Beispiele für Verletzungstatbestände. Art. 39 bedarf der Ausführung durch die Gesetzgebung; eine unmittelbare Anwendung wird in der Literatur ausgeschlossen (s. oben I 3 b). b) In den Mitgliedstaaten wird der Geheimnisschutz z.T. in den Strafgesetzbüchern, z.T. in den hier einschlägigen Sondergesetzen geregelt. Zu erwähnen sind die Regelungen in Dänemark (§ 10 Marktgesetz) Deutschland (§§ 17-20a UWG) Finnland (§ 4 UVG) Griechenland (§§ 16-18 UWG) Luxemburg (Art. 17 lit j Handelspraktikengesetz) Österreich (§§ 11, 12 UWG) Portugal (§ 260 lit i Gesetz über gewerbliche Schutzrechte) Spanien (Art. 13 UWG) 161 So auch der Vorschlag des Ulmer-Gutachtens, Bd. I Rdnr. 415. 54 In anderen Mitgliedstaaten kann ein zivilrechtlicher Schutz aus den Generalklauseln abgeleitet werden (so z.B. in Frankreich). Die WIPO Model Provisions sehen einen generalklauselhaften Schutztatbestand für “Secret Information” vor (Art. 6). c) 6. Die Regelungen in den Mitgliedstaaten weisen zahlreiche Unterschiede auf. Dabei spielt insbesondere auch die strafrechtlich-kasuistische Regelungstechnik eine Rolle. Eine Rechtsangleichung wurde bereits im UlmerGutachten ins Auge gefasst162. Angesichts der Bedeutung, die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse im grenzüberschreitenden Verkehr in der Gemeinschaft haben, erscheint eine Harmonisierung erforderlich. Hierfür kommen folgende Themen in Betracht: - Definition des Geheimnisbegriffs unter Einbeziehung sowohl technischer Betriebsgeheimnisse als auch kommerzieller Geschäftsgeheimnisse unter Berücksichtigung von Art. 39 Abs. 2 des TRIPS-Übereinkommens. - Bestimmung der Verletzungstatbestände (Spionage, Erlangung durch Vertrags- oder Vertrauensbruch, unbefugte Verwertung oder Offenbarung). - Regelung der Rechte und Pflichten von Arbeitnehmern während des Arbeitsverhältnisses und nach dem Ausscheiden in Bezug auf Geheimnisse des Arbeitgebers. Tarnung von Werbung Vorschlag: Werbung und sonstige Maßnahmen der Absatzförderung sollten als unlauterer Wettbewerb verboten werden, wenn ihr kommerzieller Charakter für das angesprochene Publikum nicht klar und unmissverständlich erkennbar ist. Erfolgt eine Verbreitung über Medien, die nicht nur Werbeträger sind, sondern zugleich anderen Zwecken (Information, Unterhaltung etc.) dienen, so ist von einer Werbung oder sonstigen Absatzförderungsmaßnahme insbesondere dann auszugehen, wenn für das Einräumen der Werbemöglichkeit ein Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung gefordert oder angenommen wird. Die natürliche oder juristische Person, in deren Auftrag die Werbung oder Absatz- 162 S. dort Bd. I Rdnr. 420 ff. 55 förderungsmaßnahme erfolgt, muss eindeutig identifizierbar sein, sofern das angesprochene Publikum hieran ein berechtigtes Interesse hat. Begründung: a) Werbung und sonstige Maßnahmen der Absatzförderung, deren kommerzieller Charakter nicht eindeutig erkennbar ist, schaden Verbrauchern, Mitbewerbern und der Allgemeinheit. Sie sind unvereinbar mit elementaren Anforderungen an die Fairness im Wirtschaftsleben und sollten daher auch auf Gemeinschaftsebene verboten werden. b) Die getarnte Werbung ist nicht mit der suggestiven Werbung zu verwechseln. Grundsätzlich muss es jedem Werbungstreibenden freistehen, sein Produkt auch mit Hilfe “unsachlicher” Motive und so einprägsam wie möglich zu bewerben (dazu unten, III 10 c). Solange der Verbraucher erkennen kann, dass es sich hierbei um eine kommerzielle Beeinflussung handelt und keine sonstigen Unlauterkeitsumstände vorliegen, ist gegen die suggestive Werbung als solche nichts einzuwenden. c) Anders sieht es aus, wenn der Verbraucher den kommerziellen Charakter nicht zu erkennen vermag. Denn der Verbraucher wertet Aussagen entsprechend ihrer jeweiligen Herkunftsquelle, misst etwa einer identischen Ansage in einem redaktionellen Zeitungsartikel, einem Testbericht, dem Gutachten eines Arztes oder aber einem Werbespot unterschiedliche Bedeutung zu. So erwartet der Verbraucher von Werbeaussagen generell keine Objektivität und Neutralität, sondern setzt diese als “Selbstanpreisung” in Relation zu anderen Werbeaussagen und neutralen Informationen. Die Werbung unter dem Deckmäntelchen eines redaktionellen Zeitungsbeitrags, einer wissenschaftlichen Stellungnahme, einer privaten Äußerung verhindert diese Relativierung. Auf Seiten der Verbraucher droht damit die Gefahr von wirtschaftlichen Fehlentscheidungen. Auf Seiten der (offen werbenden) Konkurrenten wird die wirtschaftliche Chancengleichheit verletzt, da ihr Angebot nicht beachtet wird oder zumindest als weniger glaubwürdig erscheint. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene kann es zu Wettbewerbsverzerrungen kommen, da nur die als solche erkennbare Werbung die ihr in der Marktwirtschaft zugedachte Rolle zu erfüllen vermag. Aus der Sicht der Verbraucher ist die Verschleierung des kommerziellen Charakters jedoch noch aus anderen Gründen unlauter. So verhindert die Tarnung die Möglichkeit einer kognitiven Kontrolle und verletzt damit das Grundrecht des Verbrauchers auf freie Entfaltung seiner (wirtschaftlichen) Persönlichkeit. Der Verbraucher wird zum Spielball von für ihn nicht durchschaubaren Marktmechanismen und unterliegt damit der Gefahr der Manipulation. Die klare Erkennbarkeit des kommerziellen Charakters ermöglicht dem Verbrau- 56 cher darüber hinaus, unerwünschten Werbemaßnahmen auszuweichen, z.B. Anzeigen in Zeitungen zu überblättern, Werbespots im Fernsehen auszuschalten oder unerbetene elektronische Werbepost herauszufiltern. Sie vermag ihn daher zugleich vor Belästigungen (s. unten III 7) zu schützen. d) Die Tarnung von Werbung kann auf vielfältige Weise erfolgen. (1) Die krasseste Form ist die sogenannte subliminale Werbung, d.h. die unterschwellige Beeinflussung durch für das menschliche Auge nicht mehr bewusst wahrnehmbare Sequenzen. Obgleich die subliminale Werbung in der Fernsehrichtlinie und im Recht einiger Mitgliedstaaten (Spanien, Portugal, Griechenland, Italien) explizit verboten ist, soll sie hier nicht gesondert behandelt werden. Abgesehen davon, dass ihre Wirkung wahrnehmungspsychologisch umstritten ist und Fälle der subliminalen Werbung kaum vorzukommen scheinen, besteht kein Bedürfnis für eine Sonderregelung, da sich die subliminale Werbung ohne weiteres als Unterfall der getarnten Werbung erfassen lässt. (2) Häufiger sind Werbung oder andere Maßnahmen der Absatzförderung, die als neutrale (wissenschaftliche) Stellungnahmen getarnt sind oder die private oder berufliche Zielsetzungen vortäuschen. Hier reicht die Spanne von der angeblich neutralen Umfrage eines Meinungsforschungsinstituts, die in Wahrheit der Ermittlung von Daten für ein gezieltes Direktmarketing dient, über die “Empfehlung” eines Umweltverbandes für ein bestimmtes Verpackungsmaterial, das den Absatz des empfohlenen Produktes fördern soll, bis zum angeblich privaten Brief, der Werbung oder eine Rechnung enthält163. Derartige Aussagen sind je nach Glaubwürdigkeit, die dem Äußernden zukommt, mehr oder minder gravierend. (3) Am häufigsten findet sich die getarnte Werbung jedoch in den Medien, also Presse, Rundfunk, Kino, neuerdings auch Internet. Diese sind zwar auch Werbeträger, dienen jedoch vorwiegend oder zugleich der Information, der Meinungsbildung oder der Unterhaltung. Für sie bedeutet die getarnte Werbung eine besondere Gefahr, da die Vermischung des redaktionellen Teils oder des Programms mit den Absatzinteressen einzelner Unternehmen nicht nur die Glaubwürdigkeit des Mediums unterminiert, sondern zugleich seine Unabhängigkeit in Frage stellt. Das Verbot der redaktionellen Werbung in der Presse, des Produkt Placement im Fernsehen dient daher auch der Unabhängigkeit und Neutralität der Medien164. Andererseits darf ein derartiges Ver163 S. die Zusammenstellung bei Köhler/Piper, § 1 UWG Rdnr. 16 ff.; HenningBodewig, Tarnung von Werbung, GRUR Int. 1991, 858. 164 BGH GRUR 1990, 611 - “Werbung im Programm”. 57 bot die Tätigkeit der Medien in ihrem medialen Funktionsbereich (Programmteil, redaktioneller Teil) nicht übermäßig behindern, da auch insofern die Pressefreiheit und die Meinungsäußerungsfreiheit zu beachten sind165. Dieses Spannungsverhältnis erfordert besondere Sorgfalt bei der Eingrenzung des wettbewerbsrechtlich verbotenen Verhaltens und setzt in besonderem Maße eine Abwägung verfassungsrechtlich geschützter Positionen voraus. e) Auf europäischer Ebene finden sich bislang ausdrückliche Tarnungsverbote nur für bestimmte Medien, nämlich Fernsehen und Internet. (1) So müssen gemäß Art. 10 der Fernsehrichtlinie von 1989 Fernsehwerbung und Teleshopping “als solche klar erkennbar und durch optische und/oder akustische Mittel eindeutig von anderen Programmteilen getrennt sein”. Ausdrücklich verboten ist der Einsatz subliminaler Techniken sowie die Schleichwerbung. Letztere wird gemäß Art. 4 (1) (d) definiert als die Erwähnung oder Darstellung von Waren etc. im Programm, “wenn sie vom Fernsehveranstalter absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen ist und die Allgemeinheit hinsichtlich des eigentlichen Zwecks dieser Erwähnung oder Darstellung irreführen kann”. Indiz für die Absicht ist die Annahme oder Forderung eines Entgelts oder einer ähnlichen Gegenleistung. Auch beim Sponsoring (Art. 17) dient zumindest ein Teil der Regelungen der Vorbeugung einer nicht offengelegten Einflussnahme des Sponsors auf den Inhalt der gesponserten Sendung; aus diesem Grunde sind Sponsorprogramme eindeutig als solche zu kennzeichnen und dürfen keine verkaufsfördernden Hinweise enthalten. (2) Die am 8. Juni 2000 verabschiedete Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr enthält in Art. 6 und 7 Informationspflichten bezüglich kommerzieller Kommunikationen, die eine Tarnung des kommerziellen Charakters verhindern sollen. So müssen gemäß Art. 6 (1) a kommerzielle Kommunikationen “klar als solche zu erkennen sein” und gemäß Art. 6 (1) b muss die “natürliche oder juristische Person, in deren Auftrag kommerzielle Kommunikationen erfolgen, klar identifizierbar sein”. Auch Verkaufsförderungsmaßnahmen wie Preisnachlässe, Zugaben, Geschenke, Preisausschreiben und Gewinnespiele müssen als solche klar erkennbar sein. Gleiches gilt gemäß Art. 7 (1) für unangeforderte Werbung per E-Mail. (3) Ob es darüber hinaus auf europäischer Ebene ein allgemeines, d.h. medienunabhängiges Verbot der getarnten Werbung gibt, ist unklar. Der Wortlaut der Richtlinie über die irreführende und vergleichende Werbung von 1984, die in Art. 2 “jede Werbung, die in irgendeiner Weise - einschließlich ihrer Aufma165 Vgl. insofern die Entscheidungen zur namentlichen Erwähnung von Unternehmen im redaktionellen Teil, z.B. BGH GRUR 1994, 819 “Produktinformation II”, GRUR 1998, 481 - “Auto 94". 58 chung - täuscht oder zu täuschen geeignet ist”, verbietet, wäre an sich weit genug, um auch die Tarnung von Werbung zu erfassen. Andererseits beziehen sich die beispielhaft aufgeführten Irreführungsgegenstände in Art. 3 eher auf den Inhalt der Werbebotschaft, nämlich auf das werbende Unternehmen, das Produkt, den Preis, die Geschäftsbedingungen oder sonstige Faktoren des Angebots. In den Vorläufern der Richtlinie von 1984 war “die Werbung, die nicht ohne weiteres als Werbung zu erkennen ist” denn auch zunächst als Fall der unlauteren Werbung166, dann als Fall der irreführenden Werbung167 genannt worden; spätere Entwürfe und der letztlich verabschiedete Text enthalten keine ausdrückliche Regelung. Dogmatisch dürfte der Fall der Tarnung von Absatzmaßnahmen eher der Unlauterkeit als der Täuschung zuzuordnen sein, wenngleich eine genaue Grenzziehung nicht immer möglich ist. Ohne ausdrückliche Klarstellung in der Irreführungsrichtlinie bestehen jedenfalls erhebliche Zweifel, ob die Tarnung von Werbung unter den Begriff der Irreführung subsumierbar ist. f) Es bedarf daher eines unmissverständlichen Verbots der Tarnung von Absatzmaßnahmen auf Gemeinschaftsebene. Dieses wäre nach dem gegenwärtigen Stand der Rechtslage in den meisten Mitgliedsstaaten auch ohne weiteres konsensfähig. Denn die meisten Mitgliedstaaten haben Art. 11 der internationalen Verhaltensregeln für die Werbepraxis der Internationalen Handelskammer in der einen oder anderen Weise umgesetzt. Dieser lautet in seinem 1. Teil: “Alle Werbemaßnahmen, gleichgültig in welcher Form oder in welchem Werbeträger sie veröffentlicht werden, sollen als solche klar erkennbar sein.” (1) Ausdrückliche gesetzliche Verbote der getarnten Werbung finden sich zudem in der neueren Gesetzgebung von sechs Staaten, nämlich Belgien, Italien, Portugal, Spanien, Griechenland und Schweden. - Belgien: Art. 23 Abs. 4 des Gesetzes über die Handelspraktiken vom 14.7.1991 verbietet jede Werbung, die in Anbetracht ihres Gesamteindrucks, einschließlich ihrer Aufmachung nicht unmissverständlich als solche erkannt werden kann und die nicht gut lesbar, sichtbar und unzweideutig die Bezeichnung “Werbung” trägt. 166 Art. 5 Nr. 1 c des 1. Vorentwurfs einer Richtlinie zur Angleichung des Rechts der Mitgliedstaaten über lauteren Wettbewerb vom Oktober 1975. 167 Art. 4 Nr. iv des 2. Entwurfs einer ersten Richtlinie vom September 1976. 59 - Italien: Gemäß Art. 4 Abs. 1 der Verordnung über irreführende Werbung von 1992 muss “die Werbung klar als solche erkennbar sein”. - Portugal: Gemäß Art. 8 des Werbegesetzes von 1990 muss Werbung “unmissverständlich als solche identifiziert sein, gleich, was das benutzte Mittel der Verbreitung ist. Die im Radio und Fernsehen veranstaltete Werbung muss durch akustische oder optische Signale klar getrennt sein”. Gemäß Art. 9 ist zudem die versteckte Werbung oder Schleichwerbung verboten. - Spanien: Gemäß Art. 11 des Werbegesetzes von 1988 müssen “die Verbreitungsmedien” erkennbar die Werbung vom übrigen Teil abgrenzen und “die Werbenden müssen gleichermaßen unzweifelhaft den werbenden Charakter ihrer Anzeigen offen legen.” - Griechenland: Gemäß Art. 9 Abs. 4 c und d des Verbraucherschutzgesetzes von 1994 ist es verboten, ohne ausdrückliche und deutliche Ankündigung Werbung als redaktionellen Beitrag oder Kommentar, als wissenschaftliche oder technische Stellungnahme erscheinen zu lassen. - Schweden: Gemäß Art. 5 des Marktgesetzes von 1995 sind alle Vertriebsmaßnahmen als solche zu kennzeichnen und es muß deutlich angegeben werden, wer für den Vertrieb verantwortlich ist. (2) In anderen Ländern wird die getarnte Werbung auf der Grundlage der Generalklausel erfasst: - Deutschland: Die Tarnung von Absatzmaßnahmen gilt als Verstoß gegen die Generalklausel des § 1 UWG; die neuere Literatur und Rechtsprechung betonen dabei ein allgemeines, medienunabhängiges Tarnungsverbot. Daneben kann auch § 3 UWG, irreführende Werbung, eingreifen168 - Österreich: Auch in Österreich gilt die Tarnung von Werbemaßnahmen als Verstoß gegen die Generalklausel des österreichischen UWG169. - Dänemark: Die Tarnung von Werbung verstößt nach Auffassung des Konsumentenobudsmannes gegen die Generalklausel des § 1 MfL des Marktgesetzes170. 168 Ausführlich Baumbach/Hefermehl, § 1 UWG, Rdnr. 27 ff.; Köhler/Piper, § 1 UWG Rdnr. 12 ff. 169 Vgl. z.B. ÖGH, GRUR Int. 1993, 503 - “Römerquelle II”. 170 Schricker/Kur, Recht der Werbung in Europa, Dänemark 1998, Rdnr. 102. 60 (3) In Mitgliedstaaten, die die Werbung vorwiegend über die Selbstkontrolle regeln - die Niederlande, Vereinigtes Königreich, Irland -, finden sich ausdrückliche Verbote der getarnten Werbung in den entsprechenden Codices: - Niederlande: Ziff. 10 des Nederlandse Reclame Code bestimmt, dass “Werbung durch Aufmachung, Präsentation, Inhalt oder sonstige Weise eindeutig als solche erkennbar sein muss”; weiter muss gemäß Ziff. 7 zu erkennen sein, durch wen die Produkte angeboten werden. - Vereinigtes Königreich und Irland: Clause 23.1. des BCA ordnet an, dass jede Werbung als solche identifizierbar und vom redaktionellen Teil der Medien ohne Schwierigkeiten unterscheidbar sein muss. (4) In den meisten Mitgliedstaaten besteht somit die Möglichkeit, die Tarnung von Werbung zu verbieten. Allerdings gibt es auch Mitgliedstaaten (Frankreich, Luxemburg), in denen Zweifel darüber bestehen, auf welcher Rechtsgrundlage dies zu geschehen hat, insbesondere ob es sich bei der getarnten Werbung um einen Unterfall der irreführenden Werbung handelt. g) Um diese Unklarheiten auszuräumen, bedarf es auf Gemeinschaftsebene eines allgemeinen Verbots der Tarnung von Werbung und sonstiger Absatzmaßnahmen. Dieses Verbot sollte medienunabhängig sein und nicht nur Werbung, sondern alle Maßnahmen der Absatzförderung erfassen. Denn die Tarnung von Werbung ist der zwar praktisch wichtigste, nicht jedoch der einzige Fall der wettbewerbswidrigen Verschleierung des kommerziellen Charakters. Wie die Regelung in der Richtlinie elektronischer Geschäftsverkehr zeigt, ist ein Verbot auch bei Zugaben, Gewinnspielen, Preisausschreiben etc. angebracht. Auch aus diesem Grunde ist ein eigenständiges Verbot der Tarnung auf Gemeinschaftsebene erforderlich; die bloße Klarstellung der Erstreckung der Irreführungsrichtlinie, auf diesen Tatbestand wäre zu eng, da die Irreführungsrichtlinie auf Werbung beschränkt ist. h) Ein Verbot der Tarnung von Absatzmaßnahmen ist daher auf Gemeinschaftsebene konsensfähig. Es bedarf jedoch der näheren Ausgestaltung. Denn in der Praxis bereitet die Handhabbarkeit des Tarnungsverbots häufig Schwierigkeiten171. Diese sind regelmäßig darauf zurückzuführen, dass von dem Inanspruchgenommenen das Vorliegen einer “Werbung” oder einer sonstigen “Maßnahme der Absatzförderung” bestritten wird. Probleme bereitet dabei insbesondere die Frage, inwieweit subjektive Kriterien eine Rolle spielen und vor allem - wie diese nachgewiesen werden können. 171 Vgl. für Deutschland nur die umfangreiche Rechtsprechung und Literatur zur redaktionellen Werbung, wiedergegeben z.B. bei Baumbach/Hefermehl, § 1 UWG, Rdnr. 30 ff.; Köhler/Piper, § 1 UWG, Rdnr. 38 ff. 61 Grundsätzlich lässt sich der Begriff der Werbung im Wettbewerbsrecht nicht ohne subjektive Komponente bestimmen. So enthält bereits der Werbebegriff in der Irreführungsrichtlinie und in der Fernsehrichtlinie ein subjektives Element (“jede Äußerung mit dem Ziel, den Absatz von Waren ... zu fördern”172) und auch die Definition der kommerziellen Kommunikationen in der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr ist nicht rein objektiv gefasst173. Sofern, wie hier vorgeschlagen, der Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts von einer zu Zwecken der Absatzförderung erfolgenden Handlung im geschäftlichen Bereich abhängt (oben I.), entsteht zumindest in den Fällen, in denen der Vorwurf der getarnten Werbung gegen eine andere Person als den Werbungstreibenden erhoben wird - also insbesondere gegen Mitarbeiter von Medien, Verlage -, häufig das Problem der sog. gemischten Motivation. Wie die Erfahrung in Deutschland gezeigt hat, wird der in Anspruch genommene Journalist, Presseverlag etc. regelmäßig einwenden, dass die Darstellung, Erwähnung etc. im redaktionellen Teil zwar möglicherweise objektiv den Wettbewerb des begünstigten Unternehmens gefördert habe, dies jedoch nicht unmittelbar beabsichtigt gewesen sei, da die Darstellung aus seiner Sicht ganz, überwiegend oder jedenfalls auch aus Gründen der Information oder Unterhaltung erfolgt sei. Die Praxis in den Staaten, die für die Anwendung ihrer Wettbewerbsgesetze eine subjektive Komponenten (Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs etc.) fordern, hat gezeigt, dass es in diesen Fällen extrem schwierig ist, die Absicht, fremden Wettbewerb zu fördern, zu quantifizieren. Die Absicht kann jedoch nicht einfach unterstellt werden, da gerade hier das Grundrecht der frei172 In der Fernsehrichtlinie findet sich zusätzlich das Erfordernis “gegen Entgelt”. 173 Art. 19 f) lautet: “kommerzielle Kommunikation” (sind) alle Formen der Kommunikation, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds eines Unternehmens, einer Organisation oder einer natürlichen Person dienen, die eine Tätigkeit in Handel, Gewerbe oder Handwerk oder einen reglementierten Beruf ausübt; die folgenden Angaben stellen als solche keine Form der kommerziellen Kommunikation dar: Angaben, die direkten Zugang zur Tätigkeit des Unternehmens bzw. der Organisation oder Person ermöglichen, wie insbesondere ein Domain-Name oder eine Adresse der elektronischen Post; Angaben in bezug auf Waren und Dienstleistungen oder das Erscheinungsbild eines Unternehmens, einer Organisation oder Person, die unabhängig und insbesondere ohne finanzielle Gegenleistung gemacht werden. 62 en Meinungsäußerung (Art. 10 Menschenrechtskonvention) eine einengende Auslegung verbietet174. Andererseits würde gerade im gefährlichsten Bereich der Tarnung von Absatzmaßnahmen, nämlich dem der redaktionellen Werbung, des Product Placements etc., ein Verbot der Tarnung leer laufen, wollte man jede auch nur mitschwingende Absicht der Information oder Unterhaltung genügen lassen. Es erscheint daher unvermeidbar, an Indizien anzuknüpfen. Als Indiz für die Absicht, fremden Absatzinteressen zu dienen, bietet sich der entgeltliche Charakter einer objektiv werbewirksamen Erwähnung oder Darstellung an. Die Lebenserfahrung spricht dafür, dass etwa ein Redakteur, der im redaktionellen Teil ein Produkt lobend erwähnt und speziell hierfür vom Begünstigten ein Entgelt oder eine sonstige wirtschaftliche Leistung fordert oder annimmt, eben nicht überwiegend journalistisch handelt, sondern sich von den Absatzinteressen seines Geldgebers leiten lässt. Ein derartiges Indiz für das Vorliegen von Werbung findet sich auf Gemeinschaftsebene bereits bei der Definition der Schleichwerbung in der Fernsehrichtlinie und in der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr, wo (negativ formuliert) eine kommerzielle Kommunikation nicht vorliegen soll, wenn die fragliche Angabe etc. “insbesondere ohne finanzielle Gegenleistung gemacht wurde”. Eine entsprechende Vermutung sollte daher auch in einer europäischen Regelung des Verbots der Tarnung von Werbung gelten. Sie schließt weder aus, dass das inkriminierte Verhalten auch anhand anderer Indizien nachgewiesen werden kann, noch, dass trotz Geldannahme im Einzelfall das Vorliegen einer Absatzmaßnahme verneint wird. i) Das Problem der gemischten Motivation ist typischerweise ein Problem der Medienhaftung. Es kann in Einzelfällen jedoch auch beim Werbungtreibenden selbst auftreten. Dient eine (Image) Werbung etwa dazu, eine antirassistische, kosmopolitische oder tabulose Geisteshaltung des Werbungtreibenden zu demonstrieren (wie z.B. bei der “Benetton”-Werbung) oder will der Werbende hiermit auch seiner politischen Meinung Ausdruck verleihen (wie z.B. bei der “Togal”-Werbung), so ist zugunsten des Werbungstreibenden das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG; Art. 10 Menschenrechtskonvention; evtl. Abstufung für commercial speech) zu beachten. Eine Einschränkung dieses Grundrechts kommt dann nur zum Schutz von “hinreichend gewichtigen öffentlichen und privaten Belangen in Betracht175. Hierzu zählt jedoch unzweifelhaft der Schutz des Publikums vor Ir174 S. dazu die Ausführungen oben (I.3.c). Der verfassungsrechtliche Aspekt spielt insbesondere im Recht der nordischen Länder eine große Rolle. 175 BVerfG, GRUR Int. 2000, 170, Rdnr. 55 - “Benetton”. 63 reführung und damit auch der Schutz vor einer Verschleierung des kommerziellen Charakters. Die Verfolgung von (gesellschafts)politischen Zielsetzungen rechtfertigt daher nicht die Tarnung von Absatzmaßnahmen, sondern erfordert im Gegenteil in besonderem Maße ihre Offenlegung. Bei demjenigen, dem der objektive Werbeerfolg selbst zugute kommt, ist der Anwendungsbereich der wettbewerbsrechtlichen Regelungen daher auch dann eröffnet, wenn mit der Absatzmaßnahme zugleich andere Ziele verfolgt werden. j) Überlegenswert wäre, das Verbot der Tarnung auch auf die hinter der jeweiligen Absatzmaßnahme stehende Person zu erstrecken. Für die onlineWerbung werden derartige Transparenzpflichten bereits in Art. 6 b der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr statuiert, wonach “die natürliche oder juristische Person, in deren Auftrag kommerzielle Kommunikationen erfolgen, ... klar identifizierbar sein muss”. Auch die Rechtsordnungen einiger Mitgliedstaaten kennen entsprechende Informationspflichten (z.B. Schweden, wo laut Art. 5 des Marktgesetzes “klar anzugeben (ist), wer für das Marketing verantwortlich ist”). Für den Verbraucher kann die Kenntnis des hinter einer Werbung stehenden Unternehmens durchaus von Interesse sein, etwa wenn er aus bestimmten Gründen bei einem bestimmten Unternehmen nicht kaufen will (z.B. Scientology-Unternehmen). Andererseits lässt sich in Anbetracht der bestehenden Unternehmensverflechtungen und der Möglichkeit, “neutrale” Gesellschaften vorzuschieben, häufig schwer ausmachen, wer letztlich wirklich für eine Werbung „verantwortlich” ist. Bei Vertriebsmaßnahmen ist demgegenüber eine Offenlegung, auch wenn sie auf eine “vorgeschobene” Firma hinauslaufen sollte, generell von Nutzen. Denn der Verbraucher nimmt häufig ein bestimmtes Angebot wahr, um eine Zugabe, “Bonuspunkte”, ein Geschenk etc. zu erhalten. Die Angabe der natürlichen oder juristischen Person, gegen die dann eventuelle Ansprüche zu richten sind, kann daher zur Durchsetzung dieser Ansprüche wichtig sein. Zumindest für diesen Bereich sollte daher eine entsprechende Transparenzvorschrift statuiert werden. k) Demgegenüber sollten keine speziellen Anforderungen genannt werden, wie im Einzelfall die klare Erkennbarkeit des kommerziellen Charakters (oder der Person des Auftraggebers) zu bewerkstelligen ist. Das Verbot der Tarnung von Absatzmaßnahmen findet seine Grundlage in dem das Wettbewerbsrecht beherrschenden Wahrheitsgrundsatz. Entscheidend ist also die Täuschung der Werbeadressaten über den kommerziellen Charakter. Auszugehen ist, wie allgemein im Irreführungsrecht, von der Sicht eines verständigen Durchschnittsverbrauchers. Vermag dieser den kommerziellen Charakter zu erkennen, so ist unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten kein Nachteil zu befürchten; es bedarf dann keiner formalistischer Angaben. In Anbetracht der Schwere der drohenden Interessenverletzung muss der kommerzielle Cha- 64 rakter allerdings “klar und unmissverständlich” erkennbar sein (so auch die Richtlinie elektronischer Geschäftverkehrs). Entscheidend ist also, dass der Adressat im konkreten Fall den kommerziellen Charakter zu erkennen vermag. An diese Erkennbarkeit können je nach Art der konkreten Werbung oder Absatzmaßnahme unterschiedliche Anforderungen angelegt werden. Denn die Verbrauchererwartung, von der die Beurteilung der Tarnung abhängt, kann je nach dem Grad der Objektivität und Neutralität, die einem Äußernden, einem Medium generell, einer einzelnen Sendung dieses Mediums etc. beigemessen wird, sehr unterschiedlich sein. So wird die bezahlte Einblendung einer Marke in einen Kinospielfilm176, einer Fernseh-Quizshow, einer Nachrichtensendung, einer GesundheitsratgeberSendung, dem redaktionellen Teil der Presse, einem Preisrätsel in der Presse177 durchaus unterschiedlich hinsichtlich der Verbotsgrenzen und damit auch der Notwendigkeit aufklärender Hinweise zu beurteilen sein. l) Dies schließt nicht aus, dass für einzelne Medien die Art und Weise, in der die klare Erkennbarkeit von Werbung zu gewährleisten ist, näher präzisiert werden sollte. Auf Gemeinschaftsebene ist dies bereits beim Fernsehen geschehen, da bei diesem Medium die Grenze zwischen Programm und Werbung besonders leicht überschritten wird und die Auswirkungen dieser Überschreitungen besonders gravierend sind. Die Fernsehrichtlinie fordert aus diesem Grunde in Art. 10 Abs. 1 und 17, dass Werbung “durch optische/akustische Mittel eindeutig von anderen Programmteilen getrennt” sein muss, dass einzelne Werbespots die Ausnahme sind und dass der Sponsorhinweis als solcher gekennzeichnet sein muss. Entsprechende Grundsätze finden sich auch in den meisten Pressegesetzen der Mitgliedstaaten (Kennzeichnung als Anzeige etc.). Auch unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung von Belästigungen der Verbraucher kann eine Regelung gerechtfertigt sein, wonach bestimmte kommerzielle Mitteilungen (z.B. E-Mail-Werbung) generell auf uniforme Weise zu kennzeichnen sind, damit der Verbraucher diese dann durch Hilfsmittel “herausfiltern” kann. Derartige Trennungsgebote durch optische oder akustische Signale sind als präventive Irreführungsverbote zu werten. Sie medienunabhängig für jede Art der kommerziellen Kommunikation zu fordern, ohne dabei auf die konkrete Gefahr einer Irreführung über den kommerziellen Charakter abzustellen, wäre verfassungsrechtlich bedenklich. Derartige Vorschriften sollten daher auf diejenigen Medien und Sachverhalte beschränkt bleiben, bei denen auch der In176 Vgl. etwa BGH, GRUR 1994, 744 - “Feuer, Eis & Dynamit”. 177 BGH, GRUR 1994, 823 - “Preisrätselgewinnauslobung II”, GRUR 1997, 145 - “Preisrätselgewinnauslobung IV”; dazu Köhler/Piper, § 1 UWG Rdnr. 58 f. 65 stitutionenschutz eine Rolle spielt oder aber es um die Verhinderung spezifischer Belästigungen des Verbrauchers geht. 7. Belästigende Werbung Vorschlag: Werbung und sonstige Maßnahmen der Absatzförderung, die den Verbraucher in unzumutbarer Weise belästigen, indem sie ihn durch aggressive Verkaufsmethoden in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen oder gegen seinen manifestierten Willen durch unerbetene Haustürgeschäfte, Werbesendungen, Telefonanrufe, Faxe, E-Mails etc. in sine Privatsphäre eindringen, sind als unlauterer Wettbewerb zu verbieten. Die Nichtbeachtung von “opt- out”Systemen, die von den betreffenden Branchen einzurichten sind, sollte stets als unlauterer Wettbewerb angesehen werden; für bestimmte Bereiche wäre auch eine „opt-in“-Lösung zu erwägen. Begründung: a) Ein Verbot der belästigenden Werbung ist zum Schutz der Verbraucher vor übermäßig aufdringlichen Werbe- und Marketingpraktiken erforderlich. Es bezweckt, dem Verbraucher einen gewissen Freiraum vor kommerziellen Beeinflussungen zu gewährleisten. Denn ebenso wie der Unternehmer das Recht hat, den Absatz seiner Produkte durch möglichst eindringliche Werbung und Marketing zu fördern, hat der Verbraucher das Recht, sich einer zu aufdringlichen Beeinflussung zu entziehen. Mit einem gleichberechtigten Schutz der Verbraucher im Wettbewerbsrecht ist es jedenfalls nicht zu vereinbaren, den Verbraucher gegen seinen Willen mit Werbung und Marketing zu behelligen, ihn zu bedrängen oder auf andere Weise in seiner Entscheidungsfreiheit zu beeinträchtigen oder ihn gegen seinen Willen in seine Privatsphäre mit Werbung und Marketing zu verfolgen. b) Die belästigende Werbung ist damit - ebenso wie die getarnte Werbung - ein Unterfall der “ungehörigen Einwirkungen auf den Abnehmer”178. Kennzeichnend für sie ist, dass nicht der Inhalt der Werbebotschaft, sondern die Art und Weise der Übermittlung gegen das faire Verhalten im Wettbewerb verstößt. Natürlich kann eine Belästigung auch vom Inhalt einer Werbebotschaft ausgehen, zum Beispiel bei der schockierenden Werbung (Benetton-Werbung). Gleichwohl soll diese Art der Belästigung hier ausgeklammert bleiben, da der 178 Bei Baumbach/Hefermehl, § 1 UWG, Rdnr. 57 ff. etwa dem “Kundenfang” zugeordnet. 66 spezielle Unlauterkeitsvorwurf, der der belästigenden Werbung gemacht wird, jedenfalls nicht unmittelbar zutrifft. c) Dieser spezielle Unlauterkeitsvorwurf liegt bei der belästigenden Werbung vor allem in der individuellen Betroffenheit des einzelnen Verbrauchers, der i.d.R. direkt (und nicht nur indirekt wie bei der Medienwerbung) angegangen wird. Traditionell steht dabei die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers im Vordergrund, d.h. dieser soll zumindest die Chance haben, sich ohne Druck für oder gegen ein Angebot entscheiden zu können. Mit zunehmender “Werbeflut” hat jedoch auch der Gedanke an Bedeutung gewonnen, dass der Verbraucher zumindest in seiner häuslichen Privatsphäre grundsätzlich selbst darüber entscheiden können soll, ob er mit Werbung und Marketing in Berührung kommen will oder nicht. Ein relativ neues Problem ist schließlich, dass bestimmte Formen der Werbung sich deshalb belästigend auswirken, weil sie Vorrichtungen, z.B. elektronische Einrichtungen des Werbeadressaten blockieren oder den Verbraucher zwingen, Mühe und Kosten zu ihrer Vermeidung oder Herausfilterung aufzuwenden179. Letzteres gilt auch für unerbetene Kontakte im geschäftlichen Bereich. Diese unterschiedlichen Ansätze erschweren - auch ohne Einbeziehung der möglicherweise vom Inhalt der Werbung ausgehende Belästigung - die Erfassung des Kerns der Unlauterkeit der belästigenden Werbung. Hinzu kommt, dass es sich häufig auch um ein quantitatives Problem handelt. Zwar gibt es bestimmte Fallgestaltungen der belästigenden Werbung, etwa das Hereinzerren eines Passanten in ein Geschäft, die ohne weiteres als unlauter empfunden werden. Häufiger begründet jedoch erst die Übersteigerung, die besondere Aggressivität den Vorwurf der Unlauterkeit. Diese Abgrenzungsfragen sind ernst zu nehmen. Denn nicht jede laute und aufdringliche Werbung kann unter das Verbot fallen; dass Werbung von manchen Verbrauchern sogar als sehr lästig empfunden wird, z.B. die Unterbrecherwerbung im Fernsehen, rechtfertigt noch nicht ihre generelle Einschränkung. Es kann somit nur darum gehen, die Fälle zu erfassen, in denen sich die Belästigung zu einer solchen Intensität verdichtet hat, dass sie von einem großen Teil der Verbraucher als unerträglich empfunden wird. d) Die genannten Schwierigkeiten, insbesondere durch das quantitative Element, haben dazu geführt, dass hier kein allgemeines Verbot jeder belästigenden Absatzmaßnahme vorgeschlagen wird, sondern die Hauptfälle der Belästigung (Entscheidungsfreiheit, Privatsphäre) aufgezählt werden. Die wichtigsten Anwendungsfälle der belästigenden Werbung sind jedoch bei dem Aspekt der Privatsphäre expressis verbis genannt; ihre nur beispielhafte Auf179 Köhler/Piper, § 1 UWG, Rdnr. 107. 67 zählung gewährleistet, daß auch andere vergleichbare Sachverhalte einbezogen werden können. e) Der Vorschlag trägt in besonderem Maße dem Selbstbestimmungsrecht des Verbrauchers Rechnung. Entscheidend ist, dass der Verbraucher die Möglichkeit hat, sich bestimmten Belästigungen durch Werbung und Marketing zu entziehen. Will er dies nicht, so besteht kein Grund, ihn vor sich selbst zu schützen. Die Untergrenze eines jeden Schutzes liegt daher in der Verpflichtung zur Beachtung sogenannter “opt-out”-Systeme. Dies ist weit zu verstehen; der unmißverständlich nach außen getragene Wunsch des Verbrauchers, durch Werbung und sonstige Maßnahmen der Absatzförderung nicht behelligt zu werden, sollte - auch im geschäftlichen Bereich - stets respektiert werden. Um die „opt-out“-Lösung verbraucherfreundlicher zu machen, müssten branchenübergreifende Systeme, die einfach und ohne Aufwand die Möglichkeit eines Sperrvermerks erlauben, geschaffen werden. Der hier vorgeschlagene Zusatz, dass die Nichtbeachtung derartiger Systeme stets unlauteren Wettbewerb darstellt, soll vor allem den Einwand des Werbenden ausschließen, er habe einen derartigen Vorbehalt nicht gekannt, nicht kennen können oder es sei nur mit unzumutbarem Aufwand möglich gewesen, ihn zu beachten. Die „opt-out“-Lösung ist als Untergrenze des Schutzes der Verbraucher anzusehen. In einigen besonders sensiblen Bereichen wird sie jedoch nicht ausreichen, um einen Schutz vor spezifischer Belästigung zu gewährleisten. Hier sollte die Zulässigkeit von der vorherigen Zustimmung des Verbrauchers abhängen („opt-in“). Vorbilder hierfür gibt es bereits im Gemeinschaftsrecht. f) So finden sich auf europäischer Ebene Regelungen zum Schutz vor unaufgeforderter Telefonwerbung, Fax-Werbung, E-Mail-Werbung und dem Zusenden unbestellter Waren. Dabei wird teils die „opt-out“-Lösung, teils aber auch die „opt-in“-Lösung präferiert: - Telefon: Art. 10 (1) der Richtlinie 97/7 EG (Fernabsatzrichtlinie) und Art. 12 (1) der Richtlinie 97/66/EG (Richtlinie über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre) verbieten die telefonische Kommunikation mit dem Verbraucher mittels voicemail-Systemen („opt-in“), ansonsten dann, wenn der Verbraucher den Kontakt “offenkundig ablehnt” (opt-out). Nach Art. 14 Satz 1 Fernabsatzrichtlinie können die Mitgliedstaaten jedoch strengere Vorschriften zum Schutz der Verbraucher erlassen, d.h. auch bei individuellen Telefonkontakten die vorherige Zustimmung fordern. Dem entspricht, daß Art. 12 (2) der Richtlinie 97/66/EG den Mitgliedstaaten die Wahl zwischen einer „opt-in“ und einer „opt-out“-Lösung läßt. 68 - Telefax: Gemäß Art. 12 der Fernabsatzrichtlinie und Art. 12 (1) der Richtlinie 97/66/EG sind unaufgeforderte Faxe zu Werbezwecken generell verboten („opt-in“). - E-Mail: Nach Art. 7 Abs. 1 der E-commerce-Richtlinie sind kommerzielle Kommunikationen per elektronischer Post auf jeden Fall klar und unzweideutig als solche zu kennzeichnen; weiter ist sicherzustellen, dass die Anbieter nicht angeforderter kommerzieller Kommunikationen regelmäßig Robinson-Listen konsultieren und auch beachten („optout“). Eben so wie bei der Fernabsatzrichtlinie lässt auch die Ecommerce-Richtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, strengere Vorschriften zu treffen, z.B. die unaufgeforderte E-Mail-Werbung gänzlich zu verbieten; das Herkunftslandprinzip gilt beim “spamming” nicht. Gemäß Art. 12 (1) der Richtlinie 97/66/EG sind Absatzförderungsmaßnahmen mittels Voice Mail-Systeme nur mit vorheriger Einwilligung des Verbrauchers gestattet. Nach Auffassung der Kommission fallen hierunter auch E-Mails, so daß jedenfalls für automatisch erfolgende EMail-Werbung die „opt-in“-Lösung gilt; bei individuellen E-Mails zu Absatzzwecken ist die Situation bislang unklar.180 - Zusenden unaufgeforderter Waren: Gemäß Art. 9 Fernabsatzrichtlinie ist das Zusenden unbestellter Waren mit Zahlungsaufforderung verboten; der Verbraucher ist auf jeden Fall von jeglicher Gegenleistung frei und das Ausbleiben einer Reaktion seinerseits kann nicht als Zustimmung zum Vertragsschluss gewertet werden. Haustürgeschäfte: Haustürgeschäfte sind demgegenüber von der Richtlinie 85/577/EWG nicht generell verboten; der Schutz des Verbrauchers soll hier auf vertragsrechtlichem Wege (Widerrufsrecht etc.) erreicht werden. 180 Nach dem Vorschlag einer Richtlinie vom 12.7.2000 (Com (2000) 385 final), S. 25 soll der Wortlaut „calling systems“ in Art. 12 (1) der Richtlinie 97/66/EG durch „communications systems“ ersetzt werden, um hiermit auch die E-MailWerbung zweifelsfrei zu erfassen. Zugleich soll die E-Mail-Werbung jedoch der Fax-Werbung gleichgestellt werden. Nach Art. 12 (1) ist die ohne vorherige Zustimmung erfolgende Fax-Werbung jedoch generell - d.h. auch als individuelle Kommunikation - verboten. Ob die opt-in-Lösung auch für die individuelle E-Mail-Werbung gelten soll, ist also unklar (dies ließe sich nicht mit dem Austausch des Worts „call“ durch „communiation“ erreichen. 69 g) Die vorhandenen Regelungen auf Gemeinschaftsebene bestehen somit vor allem bei unerbetenen Kommunikationsmaßnahmen per Telefon, Fax und EMail, wobei eine Präferenz für eine “opt-in”-Lösung jedenfalls dann besteht, wenn Voice-Mail-Systeme etc. Verwendung finden. Indirekt berücksichtigen jedoch auch andere Werberegelungen auf Gemeinschaftsebene, dass der Verbraucher nur ein begrenztes Maß an Werbung akzeptiert. Besonders deutlich wird dies bei der Fernsehrichtlinie, die die tägliche und stündliche Werbezeit begrenzt und einzelne Unterbrecherwerbung weitgehend verbietet. Im Übrigen überlässt das europäische Recht jedoch den Schutz vor Belästigungen dem nationalen Recht. Derartige nationale Regelungen zum Schutz vor Belästigung sind jedenfalls nicht grundsätzlich mit Art. 28 oder Art. 49 EG unvereinbar. So hat der EuGH z.B. ein französisches Verbot des Vertriebs von pädagogischem Material an der Haustür als mit Art. 28181 bzw. ein Verbot der unaufgeforderten Werbung für Finanzdienstleistungen per Telefon als mit Art. 49 EG vereinbar angesehen182 . Nationale Regelungen gegen andere Formen der Belästigung wurden allerdings bislang nicht auf ihre Übereinstimmung mit dem primären Gemeinschaftsrecht überprüft. h) Im nationalen Recht der Mitgliedstaaten sind gleichfalls nur einzelne Aspekte der belästigenden Werbung gesetzlich geregelt. In der Mehrzahl der Länder bildet das unbestellte Zusenden von Waren Gegenstand sondergesetzlicher Regelungen. In Portugal wird etwa das Bedrängen des Verbrauchers im Zusammenhang mit Werbegeschenken und in Spanien die Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Werbung verboten, wobei allerdings unklar ist, ob diese Vorschrift auch die belästigende Werbung erfasst. Außerhalb der EU findet sich eine generelle Regelung der belästigenden Werbung in Art. 3 Buchst. h des Schweizer UWG, wonach es untersagt ist, “den Kunden durch besonders aggressive Verkaufsmethoden in seiner Entscheidungsfreiheit zu beeinträchtigen”. Das weitgehende Fehlen von spezialgesetzlichen Regelungen in den Mitgliedstaaten bedeutet jedoch nicht, dass die belästigende Werbung toleriert würde. Die Mehrzahl der Mitgliedstaaten verfügt über wettbewerbsrechtliche Generalklauseln und erfasst jedenfalls bestimmte Fallgruppen der belästigen181 EuGH Slg 89, 1235 - “Buet”. 182 EuGH GRUR Int. 1995, 900 - “Alpine Investment”. 70 den Werbung auf dieser Grundlage. Weiter greift gerade in diesem Bereich häufig die Selbstkontrolle ein. In der Sache dürfte daher ein breiter Konsens bestehen, dass jedenfalls die im folgenden genannten Formen der belästigenden Werbung nicht mit einem fairen Wettbewerb zu vereinbaren sind. i) Folgende Formen der belästigenden Werbung sind als bedenklich anzusehen und bedürften der Regelung: (1) Anreißen: Unter Anreißen versteht man das gezielte Ansprechen von Verbrauchern zu Zwecken des Vertragsschlusses außerhalb von Geschäftsräumen. Es ist tendenziell als unzulässig anzusehen, da die konkrete Gefahr besteht, dass der überrumpelte Verbraucher allein deshalb den Vertrag abschließt, um der Belästigung zu entgehen. Damit ist jedoch nicht jedes Ansprechen in der Öffentlichkeit unzulässig. Werbematerial darf stets ausgeteilt werden; weitgehende Ausnahmen bestehen auch für Jahrmärkte, Messen oder sonstige Plätze, an denen der Verbraucher damit rechnen muß, angesprochen zu werden. Stets unzulässig ist das Ansprechen des Verbrauchers dagegen in einer für diesen erkennbar schwierigen Situation. So ist etwa die Ausnutzung der psychisch belastenden Situation nach einem Unfall oder unmittelbar nach einem Todesfall nicht mit der Lauterkeit des Wettbewerbs zu vereinbaren. (2) Haustürwerbung: Vertreterbesuche an der Haustüre werden von vielen Verbrauchern als besonders lästig empfunden, da hier unmittelbar die häusliche Privatsphäre betroffen ist. Sie gelten gleichwohl in vielen Ländern183 als zulässig, da es sich um eine seit langem übliche und geduldete Absatzmethode handelt; eine Ausnahme macht etwa Dänemark, wo Art. 2 des Verbrauchervertragsgesetzes ein generelles Verbot vorsieht. Die meisten Mitgliedstaaten beschränken sich darauf, den Käufer durch Einräumung eines Rücktrittsrechts vertragsrechtlich zu schützen. Diese Regelung ist jedoch unzulänglich. Sie berücksichtigt nur unzureichend den gerade von der Haustürwerbung ausgehenden hohen Belästigungsfaktor. Zumindest in den Fällen, in denen der Verbraucher erkennbar keine Haustürgeschäfte wünscht, sollte der gleichwohl erfolgende Vertreterbesuch daher stets unlauter sein. (3)Telefonwerbung: Die Telefonwerbung mittels automatischer Anrufsysteme (Voice Mail Systeme) ist bereits heute gemeinschaftsweit nur mit vorheriger Zustimmung des Verbrauchers zulässig. Aber auch individuelle unaufgeforderte Telefonanrufe zu Werbezwecken in Privathaushalten können eine erhebliche Belästigung darstellen. Aus diesem Grunde werden sie in einigen Ländern (Deutschland, Griechenland, Dänemark) von der Rechtsprechung generell verboten. Ob eine derartige generelle „opt-in“-Lösung auf EU-Ebene 183 Für Deutschland vgl. etwa BGH, GRUR 1994, 380 - “Lexicotheque”. 71 konsensfähig wäre, ist zweifelhaft, da zumindest einige Mitgliedstaaten Telefonanrufe im privaten Bereich tolerieren. Als Untergrenze des Schutzes sollte jedoch die „opt-out“-Lösung gelten. Die Mitgliedstaaten müssen verpflichtet werden, einfache und leicht zugängliche Robinsonlisten einzuführen, deren strikte Beachtung dem Direktmarketing obliegt. Gleichwohl erfolgende Anrufe in Privathaushalten stellen dann - gleichgültig, ob verschuldet oder nicht - einen Wettbewerbsverstoß dar. Der Begriff “Privathaushalt” sollte dabei nicht zu eng verstanden werden, sondern auch die Handywerbung (auch per SMS) erfassen. Ein weitergehendes generelles Verbot des “cold calling”, insbesondere auch im geschäftlichen Bereich, erscheint demgegenüber nicht angezeigt. Die strenge deutsche Rechtsprechung wird von vielen als überzogen empfunden; in der Praxis wird sie in großem Ausmaß missachtet. Es ist dabei auch dem sich wandelnden Verhältnis der Verbraucher zu den telekommunikativen Medien Rechnung zu tragen. Im geschäftlichen Bereich erscheint das “opt-outSystem” daher als ausreichend. (4) Fax-Werbung: Fax-Werbung ist bereits auf Gemeinschaftsebene ohne vorherige Zustimmung des Verbrauchers verboten. (5) E-Mail-Werbung: Ebenso wie bei der Fax-Werbung steht auch bei der EMail-Werbung weniger der Gedanke der persönlichen Belästigung als vielmehr der Gedanke der Ausnutzung und Blockierung von elektronischen Einrichtungen des Verbrauchers im Vordergrund. E-Mail-Werbung per automatische Systeme ist bereits heute bei richtiger Auslegung der Richtlinie 97/66/EG gemeinschaftsweit verboten. Bei individueller E-Mail-Werbung ist nach der E-commerce-Richtlinie stets die eindeutige und klare Kennzeichnung als Werbung vorgeschrieben; dies eröffnet dem Verbraucher immerhin die Möglichkeit, unerwünschte Werbung ungelesen herauszufiltern. Darüber hinaus hat der Verbraucher die Möglichkeit, durch “opt-out”-Register unaufgeforderte E-Mails zu kommerziellen Zwecken generell zu verhindern. (6) Briefkastenwerbung: Das Zusenden von Werbedrucksachen etc. mittels Post oder durch Einwurf wird in den meisten Ländern toleriert. Auch sie kann jedoch zu einer Belästigung, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der “Verstopfung” von Briefkästen führen. In einigen Ländern (Deutschland, Niederlande, Schweden) wird daher zumindest die Werbung, die entgegen einem Eintrag in eine entsprechende Robinson-Liste oder einem Hinweis am Briefkasten eingeworfen wird, als unlautere Werbung angesehen. Dieser Weg sollte weiterverfolgt werden. (7) Zusenden unbestellter Waren: Das Zusenden unbestellter Waren, das mit einer Zahlungsaufforderung verbunden ist, ist bereits nach Art. 9 der Fernab- 72 satzrichtlinie untersagt. Auf jeden Fall ist der Verbraucher von jeglicher Gegenleistung für den Fall befreit, dass unbestellte Waren geliefert oder Dienstleistungen erbracht werden, wobei das Ausbleiben einer Reaktion nicht als Zustimmung gewertet werden darf. Gleichwohl erscheint eine wettbewerbsrechtliche Regelung unter dem Gesichtspunkt der Möglichkeit einer spezifisch wettbewerbsrechtlichen Sanktionierung derartiger Praktiken überlegenswert. 8. Gewinnspiele Vorschlag: Zu Absatzförderungszwecken veranstaltete Gewinnspiele, bei denen ein Einsatz zu leisten ist, sind, - ebenso wie die Werbung für diese, - als unlauterer Wettbewerb zu verbieten. Gleiches gilt, wenn der Eindruck erweckt wird, dass der Kauf von Waren oder die Inanspruchnahme entgeltlicher Dienstleistungen die Gewinnchancen erhöhen könnten. Auf die Bedingungen der Teilnahme, die Modalitäten des Gewinnspiels und die Durchführung der Gewinnverteilung ist klar und unmissverständlich hinzuweisen. Überlegenswert wäre, ob derjenige, der bei sweepstakes etc. den Eindruck erweckt, der Empfänger eines Loses sei bereits Gewinner eines Preises, zur Einlösung verpflichtet sein sollte. Begründung: a) Gewinnspiele (Lotterien, Glückspiele, Preisausschreiben, sweepstakes etc.) sind eines der effektivsten Mittel der Absatzförderung; kurzfristige Umsatzsteigerungen von 30-50 % sind keine Seltenheit. Sie erfreuen sich zunehmender Beliebtheit und zwar auch im grenzüberschreitenden Handel, insbesondere im online-Handel. Auf das Publikum üben Gewinnspiele eine starke anlockende Wirkung aus. Zugleich bilden sie eine ständige Quelle rechtlicher Probleme; z.B. betrafen 35 % der von der Schweizerischen Lauterkeitskommission im Jahre 2000 behandelten Fälle Gewinnspiele184. b) Das wettbewerbsrechtlich Bedenkliche von Gewinnspielen wird darin gesehen, dass sie als aleatorische Werbemittel stark an die Spielleidenschaft des Publikums appellieren und damit zum Abschluss von Verträgen, die ansonsten kaum abgeschlossen würden, verleiten können. Zugleich kommt es bei Gewinnspielen häufig zu im Vorfeld der Irreführung liegenden Fehlvorstellun- 184 Tätigkeitsbericht 2000 der Schweizer Lauterkeitskommission. Instruktiv ist auch der der Entscheidung des österreichischen OGH zugrundeliegende Sachverhalt, GRUR Int. 1999, 181 - “Hauptpreis”. 73 gen der Verbraucher, sei es über die Gewinnchancen, die Teilnahmevoraussetzungen oder die Modalitäten der Gewinnverteilung. c) Dies rechtfertigt jedoch kein grundsätzliches Verbot aller Gewinnspiele. Vielmehr ist zwischen den einzelnen Erscheinungsformen der Gewinnspiele zu unterscheiden, insbesondere danach, ob es sich um Glückspiele oder Geschicklichkeitsspiele handelt und ob ein Einsatz geleistet werden muss oder nicht. (1) Glückspiele, bei denen ein Einsatz in Geld zu leisten ist und die der selbständigen Einnahmeerzielung dienen (wie etwa Lotto, Pferdetoto), werden in allen Mitgliedstaaten einer mehr oder minder starken staatlichen Kontrolle unterworfen und sind zumeist von einer Genehmigung abhängig. Die hinter dieser staatlichen Regulierung stehenden Überlegungen schlagen auch dann durch, wenn es um die Beurteilung von zu Absatzzwecken veranstalteten Gewinnspielen geht, bei denen der Verbraucher einen Einsatz auch in Form des Erwerbs von Waren, von Eintrittsgeldern, käuflich zu erwerbenden Teilnahmescheinen etc. - leisten muss. Derartige Gewinnspiele sind jedenfalls dann, wenn es sich nicht um Geschicklichkeitsspiele handelt, in den meisten Mitgliedstaaten (Deutschland, Österreich, Belgien, Frankreich, Italien, Dänemark, Finnland, Schweden, Griechenland, Portugal, Großbritannien, Irland) entweder als Umgehung der staatlichen Regelung der Lotterien oder aber als unlauterer Wettbewerb verboten. Das entscheidende Unlauterkeitskriterium wird dabei darin gesehen, dass die Spielleidenschaft des Publikums unmittelbar zum Warenabsatz ausgenutzt wird und der Verbraucher für eine regelmäßig äußerst vage Gewinnchance dazu gebracht wird, finanzielle Aufwendungen zu machen. Als derartige “Aufwendung” gilt in den meisten Mitgliedstaaten allerdings nicht der Kaufpreis für eine Zeitschrift, in der sich Preisrätsel befinden185; lediglich Österreich verbietet in § 9 a UWG sogenannte “große” Gewinnspiele in periodischen Zeitschriften unter dem Gesichtspunkt der Zugabe186. (2) Bei aleatorischen Veranstaltungen ohne Kopplung an einen Einsatz sind die Meinungen geteilt. In Deutschland187 gelten Gewinnspiele ohne Einsatz als grundsätzlich zulässig, sofern nicht im Einzelfall der aleatorische Anlockeffekt missbraucht wird, z.B. durch das Inaussichtstellen übermäßig wertvoller Preise, die verdeckte Kopplung mit dem Warenabsatz, das Herbeiführen eines 185 Für Deutschland vgl. Köhler/Piper, § 1 UWG Rdnr. 233. 186 S. dazu EuGH, GRUR Int. 1997, 829 - “Familiapress”. 187 BGH, WPR 2000, 724 - “Space Fidelity Peep Show”. 74 psychologischen Kaufzwangs oder die sonstige Art und Weise der Durchführung des Gewinnspiels. Von einer grundsätzlichen Zulässigkeit gehen in der Gemeinschaft auch Frankreich, Italien, Portugal, Griechenland, Spanien, die Niederlande und Finnland aus. Die Haltung in diesen Mitgliedstaaten entspricht in etwa der Regelung in Art. 20 f des griechischen Verbraucherschutzgesetzes, wonach eine Werbung unlauter ist, “die übermäßig zum Kauf anreizt und die Neigung des Publikums für Glückspiele und Gewinne in unanständiger Weise missbraucht”. In anderen Ländern werden Gewinnspiele ohne Einsatz demgegenüber strenger beurteilt. Dabei wird i.d.R. zwischen vom Zufall abhängigen Gewinnspielen und Geschicklichkeitsspielen (z.B. Preisrätsel) differenziert. - In Österreich verbietet § 28 UWG, Waren oder Leistungen in der Form zu vertreiben, dass die Lieferung der Ware oder die Verrichtung der Leistung vom Ergebnis einer Verlosung oder einem anderen Zufall abhängig gemacht wird. - In Belgien untersagt Art. 23 Ziff. 10 des Handelspraktikengesetzes jede Werbung, die beim Verbraucher “die Hoffnung oder Gewissheit hervorruft, ein Produkt, eine Dienstleistung oder einen anderen Vorteil durch Zufall gewonnen zu haben oder gewinnen zu können”; hiermit sollen insbesondere sweepstakes unterbunden werden. - Im Vereinigten Königreich ist nach Sec. 14 Lotteries and Amusements Act 1976 jedes Gewinnspiel verboten, bei dem der Erfolg nicht in “erheblichem Maße” von der Geschicklichkeit abhängt. - In Schweden werden nicht von der Geschicklichkeit abhängige Gewinnspiele als gegen die Generalklausel des Art. 4 Markgesetz verstoßend angesehen. d) Die Rechtslage in den Mitgliedstaaten weist daher kein einheitliches Bild auf. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass mit einem Einsatz (Geldeinsatz oder Warenerwerb) verbundene Glückspiele im Grundsatz verboten sind, während reine Geschicklichkeitsspiele (Preisrätsel etc.) ohne Einsatz im Grundsatz zulässig sind. Vom Zufall abhängige Gewinnspiele ohne Einsatz und mit einem Einsatz verknüpfte Geschicklichkeitsspiele werden demgegenüber unterschiedlich beurteilt; die Spanne reicht von der grundsätzlichen Unzulässigkeit bis zur grundsätzlichen Zulässigkeit; eine besonders strenge Linie verfolgen hier Großbritannien und Irland. e) Ein derartiges Gefälle ist unter gemeinschaftsrechtlichen Gesichtspunkten bedenklich. Bereits in der Vergangenheit wurden Gewinnspiele, etwa sweepstakes, stark im grenzüberschreitendem Handel eingesetzt, wobei die Veranstalter derartiger Spiele bei einem Verbot in dem einen Mitgliedstaat häufig auf einen anderen Mitgliedstaat auswichen. Diese Gefahren werden 75 durch den online-Handel, in dem Gewinnspiele zunehmend zur Absatzförderung eingesetzt werden, noch verstärkt. Denn für diesen Bereich gilt grundsätzlich das Herkunftslandprinzip mit der Folge, dass ein aus einem Mitgliedstaat herrührendes Gewinnspiel, das dort zulässig ist, von allen anderen Mitgliedstaaten gleichfalls als zulässig akzeptiert werden muss (s. oben I 2 b). Die Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Handel nimmt in Art. 1 Abs. 5 vom Anwendungsbereich (und damit vom Herkunftslandprinzip) lediglich “Gewinnspiele mit einem einen Geldwert darstellenden Einsatz bei Glückspielen, einschließlich Lotterien und Wetten” aus. Demgegenüber gilt das Herkunftslandprinzip, wie es in Erwägungsgrund 16 heißt, uneingeschränkt für “Preisausschreiben und Gewinnspiele, mit denen der Verkauf von Waren oder Dienstleistungen gefördert werden soll und bei denen etwaige Zahlungen nur dem Erwerb der angebotenen Waren oder Dienstleistungen dienen”. Hier sind zumindest Auslegungsprobleme bezüglich der Frage, was “nur” dem Verkauf von Waren dient, vorprogrammiert. f) Auf Gemeinschaftsebene gibt es bislang keine (materiell-rechtliche) Regelung der Gewinnspiele. Gemäß Art. 6 d der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr besteht lediglich eine Transparenzregelung: Danach müssen Preisausschreiben oder Gewinnspiele klar als solche erkennbar sein und die Teilnahmebedingungen müssen leicht zugänglich sein sowie klar und unzweideutig angegeben werden. Diese Regelung ist jedoch nicht ausreichend. Sie gilt zum einen nur für den online-Bereich und wird zum anderen den Gefahren, die von Gewinnspielen ausgehen, nicht gerecht, da gerade bei dem bedenklichsten Aspekt der Gewinnspiele, nämlich der Verknüpfung mit dem Erwerb von Waren, Transparenzpflichten nicht genügen, um den Gefahren für den lauteren Geschäftsverkehr und den Schutz der Verbraucher wirksam zu begegnen. g) Eine Regelung auf Gemeinschaftsebene sollte deshalb sicherstellen, dass keine derartige Verknüpfung mit dem Warenabsatz erfolgt und dass insbesondere bei sweepstakes (aus der Sicht des “verständigen Verbrauchers”) nicht der Eindruck erweckt wird, die Zusendung eine Loses bedeute bereits einen Gewinn. Um letzteres wirkungsvoll zu unterbinden, wäre eine Regelung überlegenswert, die bei Erwecken eines derartigen Eindrucks dem Verbraucher einen Anspruch auf Aushändigung des Preises gibt. Eine derartige Regelung könnte an die in manchen Mitgliedstaaten (Deutschland: §661 a BGB) 76 vorgesehene zivilrechtliche Möglichkeit der Einklagbarkeit von Gewinnen anknüpfen und die Unsicherheit beseitigen, wann der Teilnehmer als “Gewinner” anzusehen ist188. Sofern nicht bereits unter dem Aspekt der Tarnung von Absatzmaßnahmen (s. oben III. 6) geregelt, wäre weiter dafür zu sorgen, dass die Veranstalter von Gewinnspielen und die letztlich zur Preisausgabe Verpflichteten klar und unmissverständlich angegeben werden. Sofern nicht bereits unter dem Aspekt der Respektierung von Grundwerten der Gesellschaft (s. unten, III 10)geregelt, sollte zudem Sorge dafür getragen werden, dass an Kinder und Jugendliche gerichtete Gewinnspiele sich besonderer Zurückhaltung befleißigen. h) Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass eine Regelung der zu Absatzzwecken veranstalteten Gewinnspiele auf Gemeinschaftsebene folgende Aspekte zu berücksichtigen hätte: - Verbot der Kopplung des Gewinnspiels an den Erwerb von Waren oder die Inanspruchnahme entgeltlicher Dienstleistungen; - Verbot des Erweckens des Eindrucks, die Gewinnchancen könnten durch den Erwerb von Waren etc. vergrößert werden; - bei sweepstakes Verbot des Erweckens des Eindrucks (aus der Sicht des verständigen Durchschnittsverbrauchers), die Zusendung eines Loses bedeute bereits den Gewinn; - Verpflichtung des diesen Eindruck Erweckenden zur Aushändigung des angeblich gewonnenen Preises; - (zivilrechtlicher) Anspruch auf Aushändigung gewonnener Preise; - klare und unmissverständliche Angabe der Teilnahmebedingungen, der Modalitäten des Gewinnspiels und der Durchführung der Preiserlangung; - Rücksichtnahme auf besonders anfällige Zielgruppen (Kinder, Jugendliche). 188 Der österreichische Oberste Gerichtshof hat einem Verbraucher, der auf eine sweepstake-Werbung hereingefallen war und sich als “Gewinner” glaubte, die zur Rechtsverfolgung notwendigen Rechtsanwaltskosten als (wettbewerbsrechtlichen) Schadensersatz zuerkannt, vgl. GRUR Int. 1999, 181- “Hauptpreis”. 77 9. Progressive Kundenwerbung Vorschlag: Systeme der progressiven Kundenwerbung (Schneeballsysteme etc.), bei denen dem Verbraucher Waren oder Dienstleistungen angeboten und den Abnehmern besondere Vorteile für den Fall versprochen werden, dass diese andere zum Vertragsschluss zu entsprechenden Bedingungen veranlassen, sind als unlauterer Wettbewerb zu verbieten. Das Verbot sollte weit genug sein, um auch Kettenbriefsysteme mit gewerblichem Charakter zu erfassen. Neben zivilrechtlichen Sanktionen sollten auch strafrechtliche Sanktionen vorgesehen werden. Begründung: a) Unter dem Begriff der progressiven Kundenwerbung (“Schneeball”- oder “Pyramidensysteme”) werden Vertriebssysteme zusammengefasst, bei denen dem Abnehmer ein Einsatz abverlangt wird, ihm jedoch besondere Vorteile versprochen werden, wenn er weitere Abnehmer zum Abschluss ähnliche Verträge bewegt189. Kennzeichnend ist dabei, dass der Erstkunde für die Waren, zu deren Ankauf er zumeist verpflichtet wird, in der Regel selbst keine Verwendung hat, so dass er schon deshalb gezwungen ist, weitere Abnehmer anzuwerben. Kennzeichnend ist weiter die Eingliederung der Abnehmer in das Vertriebssystem des progressiv werbenden Unternehmens. Eine verwandte Form der progressiven Kundenwerbung stellen die sog. Kettenbriefsysteme dar, bei denen ein finanzieller Einsatz in Geld zu leisten ist (mitunter auch eine “Bearbeitergebühr”) und eine Rückerstattung mit erheblichem Gewinn für den Fall der Anwerbung weiterer Abnehmer versprochen wird190. Auf der Grenze zur progressiven Kundenwerbung liegt der sog. Strukturvertrieb (Multi-Level-Marketing = MLM)191. Er weist Ähnlichkeiten mit den Systemen der progressiven Kundenwerbung insofern auf, als der Erstabnehmer seinerseits weitere Kunden werben muss, um Provisionen, Vergünstigungen oder Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Organisation zu erlangen. Bei den “seriösen” MLM-Systemen (Tupperware, Avon) ist der Erstkunde jedoch nicht verpflichtet, von ihm nicht benötigte Waren abzunehmen oder Vorauszahlungen zu leisten. Diese Systeme gelten daher als grundsätzlich zulässig. 189 Zur Definition Baumbach/Hefermehl, § 6 c UWG Rdnr. 1 ff.; Köhler/Piper, § 6 c UWG Rdnr. 2 190 Vgl. etwa BGH, NJW 1987, 851 - “Kettenbriefaktion”. 191 Dazu etwa Thume, WRP 1999, 280. 78 b) Bei der progressiven Kundenwerbung wird das wettbewerbsrechtlich Unlautere darin gesehen, dass der Erfolg des Systems von dem in geometrischen Reihen erfolgenden Anwachsen neuer Kunden abhängt. Da schon nach wenigen Stufen die gesamte Bevölkerung eines Landes erfasst sein müsste, können die angeblichen Vorteile bereits begriffsnotwendig von den Kunden späterer Stufen nicht mehr realisiert werden. Derartige Systeme brechen daher häufig schon nach kurzer Zeit zusammen, ohne dass später angeworbene Teilnehmer die Chance haben, von den versprochenen Vorteilen zu profitieren. Progressive Kundenwerbungssysteme sind daher per se irreführend und mitunter sogar betrügerisch; sie haben häufig zugleich Glückspielcharakter. Gleichwohl sind sie, wie die Erfahrung in fast allen europäischen Ländern gelehrt hat, wegen der Verklausulierung ihrer Teilnahmebedingungen und ihrem stets sich wandelnden Erscheinungsbild weder auf der Grundlage des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbots noch auf der Grundlage des strafrechtlichen Betrugstatbestandes befriedigend erfassbar. c) Die Schwere der den Verbrauchern drohenden Vermögensschäden und die häufig kriminelle Energie der Betreiber derartiger Systeme erfordern daher eine Sonderregelung innerhalb des Wettbewerbsrechts. Diese sollte tatbestandlich weit genug sein, um auch die Variationen zu erfassen, bei denen die versprochenen Vorteile nicht vom Veranstalter selbst, sondern von Dritten (insbesondere weiteren Angeworbenen) gewährt werden. Auch die nicht minder gefährlichen Kettenbriefsysteme mit gewerblichem Charakter, bei denen es um Geldspekulationen geht und der Initiator zumeist im Hintergrund bleibt, sollten zweifelsfrei hierunter fallen192. Weiter sollten neben zivilrechtlichen auch strafrechtliche Sanktionen vorgesehen werden. d) Ein derartiges Verbot dürfte auch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene, wo die progressive Kundenwerbung bislang keine ausdrückliche Regelung gefunden hat, ohne weiteres konsensfähig sein. In Deutschland, Belgien, dem Vereinigten Königreich, Irland, Griechenland, Portugal, Frankreich, Deutschland sind progressive Kundenwerbungssysteme durch sondergesetzliche Regelungen verboten; diese sind zumeist strafbewehrt. In den meisten anderen Ländern werden sie auf der Grundlage der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel erfasst. Das Eingriffsniveau ist freilich nicht immer gleich; auch fällt die Abgrenzung zu den erlaubten Vertriebssystemen (Strukturvertrieb etc.) unterschiedlich aus. 192 In diese Richtung gingen auch die Vorschläge der Arbeitsgruppe “Überprüfung des Wettbewerbsrechts”. WRP 1997, 167, 171. 79 e) Im Ergebnis ist daher ein gemeinschaftsweites ausdrückliches Totalverbot der progressiven Kundenwerbung angebracht. Derartige Systeme bewirken eine erhebliche Schädigung der Verbraucher, ohne dass ihnen schutzwürdige Interessen der sie Veranstaltenden gegenüberstünden. Da es sich zumeist um international operierende Täter handelt, die im Falle eines Verbots vorzugsweise auf andere Länder ausweichen, mindert ein einheitliches Verbotsniveau innerhalb der EU die Gefahren eines derartigen Ausweichens. Ein explizites Verbot ermuntert zugleich Gerichte der Länder mit geringerer Rechtsdurchsetzung dazu, diese eindeutig wettbewerbswidrige Praktik zu unterbinden. 10. Verletzung von Grundwerten Vorschlag: Werbung und sonstige Maßnahmen der Absatzförderung sind als unlauterer Wettbewerb zu verbieten, wenn sie gegen Grundwerte der Gesellschaft verstoßen, insbesondere die Menschenwürde verletzen, nach Rasse, Geschlecht, Nationalität diskriminieren, religiöse Gefühle verletzen, abergläubige Vorstellungen, Gefühle der Angst, des Mitleids oder des sozialen Engagements missbrauchen, Umweltschutzzielen zuwiderlaufen oder die Unerfahrenheit bzw. Leichtgläubigkeit von Kindern oder Jugendlichen ausnutzen. Bei einem “Social”- oder Umweltsponsoring muss es sich um einen substantiellen, tatsächlich erbrachten Beitrag zu dem in der Werbung unmissverständlich offengelegten Zweck handeln; hierfür sollte der Werbende beweispflichtig sein. Begründung: a) Die hier unter dem Oberbegriff der “Verletzung von Grundwerten” zusammengefassten Sachverhalte - im englischen treffend als “public policy issues” bezeichnet - gehören gleichfalls zur Fallgruppe der unlauteren Beeinflussung der Verbraucher. Kennzeichnend für sie ist, dass die Einflussnahme auf eine Art und Weise erfolgt, die grundlegenden Wertungen der Gesellschaft oder allgemein akzeptierten gesellschaftspolitischen Zielsetzungen zuwiderläuft. Da das Wettbewerbsrecht auch dem Schutz der Allgemeinheit dient, sind derartige Praktiken, wenn sie zu Absatzzwecken erfolgen, mit dem “fair play” im Wirtschaftsleben nicht zu vereinbaren. Dies sollte auch auf Gemeinschaftsebene zum Ausdruck kommen. b) Nicht verkannt werden darf freilich, dass es sich um eine relativ diffuse Sachverhaltsgruppe handelt. Die mit der Klammer der “Verletzung von Grundwer- 80 ten” zusammengefassten Sachverhalte weisen keine festen Konturen auf; ihre Unlauterkeit hängt zudem häufig von quantitativen Gesichtspunkten ab, d.h. davon, wie intensiv und plakativ ein bestimmtes Werbemotiv eingesetzt wird. Sie können zudem nicht auf völlig einheitlichen Wertungen aufbauen. c) So liegt zwar nahe, den gemeinsamen Nenner derartiger Fallgestaltungen in dem Aspekt der unsachlichen Anlockung zu sehen. Die Einflussnahme auf den Verbraucher erfolgt in der Tat vorwiegend durch “unsachliche” Motive, d.h. Werbung und Marketing stellen primär auf andere Aspekte als den Preis, die Eigenschaften oder die sonstigen Bedingungen des Angebots ab. Dieser Weg soll hier gleichwohl nicht beschritten werden. Denn zum einen gibt es Fallgestaltungen, die trotz sachlichen Zusammenhangs zwischen Werbemotiv und beworbenen Produkt unter “public policy”Gesichtspunkten nicht hingenommen werden können (z.B. Werbung für die Sicherheit eines Autos mit Abbildung von Unfallopfern). Bei ihnen liegt der Kern der Unlauterkeit nicht im fehlenden Sachbezug, sondern in der ungebührlichen Manipulation bestimmter Gefühle (hier: Angst), um hierdurch den Absatz zu fördern. Zum anderen begründet die Anknüpfung an die Unsachlichkeit die Gefahr von Missverständnissen. Sie setzt sich dem Vorwurf aus, man wolle jede nicht streng an Preis, Qualität etc. ausgerichtete Werbung verbieten oder zumindest tendenziell als unlauter einstufen193. Diese Annahme beruht auf einem Missverständnis des sog. Leistungswettbewerbs194, der als wettbewerbspolitische Zielsetzung die Zulässigkeit der “unsachlichen” Werbung nicht einschränken kann. Generell ist jedoch zu fragen, ob das Leitbild des Leistungswettbewerbs mit seiner Ausrichtung auf Preis, Qualität etc. noch der gewandelten Funktion des Konsums in der heutigen Gesellschaft entspricht. Auszugehen ist davon, dass der Verbraucher im Konsum auch andere Bedürfnisse befriedigen will; dem entspricht, dass der Unternehmer häufig nur durch subjektive Produktdifferenzierungen, eine Marktnische für sein Produkt findet. Das regelmäßig durch unsachliche Werbung begründete oder verstärkte Produktimage spielt daher sowohl aus Unternehmer- wie auch aus Verbrauchersicht eine wichtige Rolle in der modernen Wirtschaft bzw. Gesellschaft. Damit gerät jedoch die volkswirtschaftlich begründete Prämisse des Leistungswettbewerbs ins Wanken, dass vorwie193 Ein derartiges Missverständnis klingt auch in der Entscheidung des BVerfG GRUR 2001, 170 - “Benetton” an. 194 Zum Leistungswettbewerb s. insbesondere Baumbach/Hefermehl, Einl. UWG Rdnr. 96 ff.; P. Ulmer, GRUR 1977, 565. 81 gend die an Preis, Qualität etc. ausgerichtete Werbung zu einer optimalen Güterverteilung zu führen vermag. Eine Erstreckung des Leistungswettbewerbs auf den Wettbewerb um subjektive Präferenzen führt jedoch zu einer Aufweichung seiner Konturen und lässt Zweifel an der Brauchbarkeit als Leitbild aufkommen. Im Ergebnis ist jedenfalls davon auszugehen, dass auch die sog. Imagewerbung, z.B. die Lifestyle-Werbung, die völlig losgelöst von dem beworbenen Produkt ein bestimmtes Lebensgefühl zu kreieren versucht, denselben wettbewerbsrechtlichen Schranken wie die “sachliche” Werbung unterliegt. Der fehlende Produktbezug mag daher im Rahmen der Bewertung aller Umstände eines konkreten Falles eine Rolle spielen; als maßgeblichen Anknüpfungspunkt sollte man ihn, schon um Missverständnisse zu vermeiden, nicht herausstellen. Soweit ersichtlich, entspricht dies auch der Sicht der anderen Mitgliedstaaten, die - bis auf Dänemark195 - nicht auf die Unsachlichkeit der Anlockung abstellen. d) Aber auch der Aspekt der gefühlsbetonten Werbung erscheint nicht als der richtige Ansatzpunkt. Zwar zeichnen sich die hier interessierenden Fallgestaltungen dadurch aus, dass der Verbraucher emotional angesprochen wird, d.h. dass zu Absatzzwecken an Gefühle des Mitleids, der Angst, der sozialen Verantwortung appelliert wird. Dies allein macht Werbung oder Marketing jedoch nicht unlauter196. Werbung und Marketing müssen in der gegebenen Marktwirtschaft, um erfolgreich zu sein, (auch) Gefühle der Konsumenten ansprechen. Erst der übersteigerte oder der missbräuchliche Einsatz bestimmter dieser Gefühle vermag also die Unlauterkeit zu begründen. Wie das BVerfG in der “Benetton”Entscheidung197 festgestellt hat, rechtfertigt das Erwecken oder Ausnützen von Gefühlen des Mitleids - auch wenn kein Sachzusammenhang zwischen beworbenen Produkt und Werbemotiv besteht - nicht eine Einschränkung des Grundrechts der Meinungsfreiheit oder der Pressefreiheit, auf die sich der mit mitleiderregenden Motiven etc. Werbende und ihre Medien regelmäßig berufen können. Dem ist zuzustimmen, zumal die meisten Mitgliedstaaten eine 195 § 2 Abs. 2 des dänischen Marktgesetzes lautet: “Die Bestimmung des Abs. 1 gilt auch für Angaben, die aufgrund ihre Form, oder weil sie sich auf nicht zur Sache gehörende Umstände beziehen, gegenüber anderen Gewerbetreibenden oder Verbrauchern unlauter sind.” 196 Vgl. hierzu etwa Kort, WRP 1997, 526; Menke, GRUR 1995, 534. 197 BVerfGE 12.12.2000, GRUR 2001, 170. 82 dem deutschen Recht vergleichbare Fallgruppe der gefühlsbetonten Werbung weder explizit noch im Rahmen der Generalklausel kennen. e) Die Unsachlichkeit der Anlockung und die Gefühlsbetontheit sind daher im Rahmen der wettbewerbsrechtlich gebotenen Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen, vermögen für sich genommen jedoch nicht ein Verbot bestimmter Werbe- und Marketingpraktiken zu tragen. Entscheidend ist vielmehr, dass die genannten Verhaltensweisen aus übergeordneten Gründen missbilligt werden. Die dadurch gesetzten Grenzen sind auch im Wirtschaftsleben zu respektieren und werden auch in anderen Gesetzen des gewerblichen Rechtsschutzes berücksichtigt, z.B. im Markenrecht beim Eintragungsverbot der gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßenden Zeichen. Es liegt nahe, dass auch das Wettbewerbsrecht, das sich der Lauterkeit des Verhaltens im Wettbewerbs verschrieben hat, derartigen “public policy issues” direkt Rechnung tragen muss. f) Dem steht nicht entgegen, dass die gegen Grundwerte der Gesellschaft verstoßenden Absatzmaßnahmen traditionell eine Domain der Selbstkontrolle bilden. Sie sind z.B. in den Internationalen Verhaltensregeln der Internationalen Handelskammer zu finden, die in vielen Mitgliedstaaten übernommen wurden. Gleichwohl erscheint es nicht angebracht, sie ausschließlich der Selbstkontrolle in den Mitgliedstaaten zu überlassen. In der Mehrzahl der Mitgliedstaaten ist die Selbstkontrolle zu schwach entwickelt, als dass ihr mehr als eine ergänzende Funktion der rechtlichen Regelungen zukäme. Zumindest in diesen Ländern besteht daher die Gefahr, dass die “nur” von der Selbstkontrolle erfassten Verhaltensweisen als weniger gravierend angesehen werden (und damit letztlich auch bei der Auslegung der Generalklausel unberücksichtigt bleiben). Diese Ansicht ist jedoch unzutreffend. Im Zuge eines sich verschärfenden Wettbewerbs und einer Liberalisierung spezieller Wettbewerbsregelungen besteht sogar ein besonderes Bedürfnis, in allgemein verbindlicher Weise die Eckpfeiler dessen festzulegen, was zu Absatzzwecken “redlicherweise” eingesetzt werden darf und was nicht. Derartige Fragen ausschließlich der Selbstkontrolle zu überlassen, entspricht jedenfalls nicht dem heutigen Ansatz des Wettbewerbsrechts, das nicht nur Individualinteressen schützt, sondern auch Allgemeininteressen. Die traditionelle Verankerung in der Selbstkontrolle macht daher gesetzliche Regelungen nicht überflüssig. g) Es erscheint schließlich auch nicht ausreichend, allein auf eine befriedigende Erfassung durch die wettbewerbsrechtliche Generalklausel zu vertrauen. Die hier vorgeschlagene Generalklausel ist zwar weit genug, um auch ein “unsoziales” Marktverhalten zu erfassen. Andererseits ist die Generalklausel im Recht der meisten Mitgliedstaaten traditionell von Wettbewerberinteressen 83 dominiert. Sie wird zudem infolge ihrer relativen Unbestimmtheit auf unterschiedliche Weise durch die nationalen Gerichte interpretiert und unterschiedlich intensiv durchgesetzt. Gerade weil das hier als unlauter angesehene Marktverhalten eine gewisse Konturenschwäche aufweist, könnten nationale Richter ohne ausdrückliche Regelung vor einer (theoretisch möglichen) Subsumption unter die Generalklausel zurückschrecken. h) Aus Gründen der Rechtssicherheit und der leichteren Handhabbarkeit wäre auf Gemeinschaftsebene sogar eine möglichst präzise Erfassung der verbotenen Verhaltensweisen wünschenswert. Dies stößt jedoch an Grenzen: Eine erschöpfende Beschreibung der einzelnen Fallgruppen des zu missbilligenden Verhaltens würde den Rahmen einer gesetzlichen Regelung sprengen und allein wegen ihres Umfangs den Verdacht einer Überbetonung des Verbraucherschutzgedankens entstehen lassen. Zu einem optimalen Ergebnis könnte demgegenüber eine Unterfütterung einer relativ knappen gesetzlichen Regelung im Wege spezieller “guidelines”, z.B. zur Umweltwerbung oder zur Kinderwerbung führen; diese könnten das verbotene und erlaubte Verhalten ausführlich festlegen. Ein Vorbild sind insofern die Richtlinien der Verbraucherombudsmänner in den nordischen Staaten. Aber auch die Kommission kann „Empfehlungen“ geben, wie dies bereits für die Werbung für sog. “alcopops”, (d.h. speziell Jugendliche ansprechende alkoholische Getränke) geschehen ist198. Eine derartige “Ko-Regulierung”199 erscheint somit gerade in dem hier interessierenden Bereich sinnvoll; sie würde zudem Wettbewerbsrecht und Selbstkontrolle, die bei der Ko-Regulierung eine wichtige Rolle spielt, harmonisch miteinander verbinden. i) Auf Gemeinschaftsebene könnte man sich dann auf eine relativ knappe Regelung der gegen Grundwerte der Gesellschaft verstoßenden Absatzmethoden beschränken. Eine derartige Regelung wäre auch konsensfähig, da sowohl das sekundäre Gemeinschaftsrecht als auch das nationale Recht der Mitgliedstaaten zumindest Ansatzpunkte für ein Verbot der wichtigsten Praktiken enthält. (1) Im sekundären Gemeinschaftsrecht fehlt es zwar bislang an einer übergreifenden Regelung. Ansätze hierzu - als Unterpunkte der unsachlichen Werbung -, die in den Vorschlägen von 1978200 und 1979201 über eine Richtli198 Empfehlung des Rates „Alkoholkonsum von Kindern und Jugendlichen“, Kom (2000) 736 endg. 199 Dazu oben, II.3. 200 GRUR Int. 1978, 246. 201 GRUR Int. 1980, 30. 84 nie zur irreführenden und unlauteren Werbung enthalten waren, wurden bekanntlich nicht realisiert. Für einen wichtigen Bereich, nämlich die Fernsehwerbung und das Teleshopping, enthält Art. 12 der Fernsehrichtlinie jedoch bereits ein entsprechendes Verbot. Danach darf Fernsehwerbung nicht: - die Menschenwürde verletzen; Diskriminierungen nach Rasse, Geschlecht oder Nationalität enthalten; religiöse oder politische Überzeugungen verletzen; Verhaltensweisen fördern, die die Gesundheit oder Sicherheit gefährden; Verhaltensweisen fördern, die den Schutz der Umwelt gefährden. Public policy-Gesichtspunkte stehen weiter hinter Art. 16 der Fernsehrichtlinie, der den Schutz von Kindern und Minderjährigen vor Fernsehwerbung regelt und Art. 15, der die Alkoholwerbung beschränkt. Sie kommen weiter in Erwägungsgrund 10 der Richtlinie 31/2000/EG zum Ausdruck, wonach kommerzielle Kommunikationen beim elektronischen Geschäftsverkehr Ziele des Allgemeininteresses, insbesondere den Jugendschutz, den Schutz der Menschenwürde und den Schutz der öffentlichen Gesundheit zu beachten haben. (2) Auch im Recht der Mitgliedstaaten, insbesondere in den jüngeren Wettbewerbsgesetzen, finden sich ausdrückliche gesetzliche Regelungen. - So verbietet § 2 Abs. 2 des dänischen Marktgesetzes Angaben, die “aufgrund ihrer Form oder weil sie sich auf nicht zur Sache gehörende Sache gehörende Umstände beziehen, gegenüber anderen Gewerbetreibenden oder Verbrauchern unlauter sind”. - Das griechische Wettbewerbsgesetz untersagt in Art. 9 Nr. 5 die diskriminierende und die Angstgefühle erweckende Werbung und verbietet bei besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen (z.B. Kindern) die “übermäßig anlockende” Werbung. - Art. 7 des portugiesischen Werbegesetzbuches enthält unter der Überschrift “Grundsatz der Rechtmäßigkeit” einen umfassenden Verbotskatalog. Genannt werden die Verletzung grundlegender Werte, verfassungsrechtlich geschützter Grundsätze und Institutionen, nationaler oder religiöser Gefühle, die Stimulierung von Gewalt, der Angriff auf die Menschenwürde oder die Diskriminierung nach Rasse oder Geschlecht. Auch die Benutzung von obszöner Sprache und die Förderung umweltschädlichen Verhaltens sind verboten. - Das spanische Werbegesetz verbietet in Art. 3 a jede Werbung, die gegen die Würde der Person verstößt oder die durch die Verfassung anerkannte Werte und Rechte verletzt; speziell genannt werden der Schutz von Kindern, Jugendlichen oder Frauen. - Die italienische Verordnung Nr. 74 vom 25.1.1992 nimmt ausdrücklich auf die Werbung für gefährliche Erzeugnisse Bezug und schränkt die an Kinder oder Jugendliche gerichtete Werbung ein. 85 In anderen Mitgliedstaaten (Deutschland, Belgien, Niederlande, Österreich) können die fraglichen Verhaltensweisen auf der Grundlage der Generalklausel erfasst werden. In allen Mitgliedstaaten wurden weiter die Vorschriften der Fernsehrichtlinie umgesetzt. Es dürfte daher weitgehender Konsens darüber bestehen, dass zumindest die in Art. 12, 15, 16 der Fernsehrichtlinie genannten Verhaltensweisen auf Gemeinschaftsebene generell, d.h. medienunabhängig, unterbleiben sollten. j) Im Folgenden werden die wichtigsten Fallgruppen der gegen Grundwerte verstoßenden Verhaltensweisen, bei denen ein ausdrückliches Verbot auf Gemeinschaftsebene angebracht und konsensfähig erscheint, erläutert. Ausgangspunkt ist dabei die Regelung in der Fernsehrichtlinie, da nicht ersichtlich ist, warum die dort statuierten Anforderungen nur für den Fernsehbereich Geltung beanspruchen sollten. (1) Die erste Fallgruppe - Verstoß gegen die Menschenwürde und Diskriminierung nach Rasse, Geschlecht, Nationalität - ist aus dem Verfassungsrecht der meisten Mitgliedstaaten bekannt. Auch diejenigen Staaten, die keine geschriebene Verfassung kennen (Niederlande, Großbritannien, Irland), sind zumindest durch die Europäische Menschenrechtskonvention an ihre Handhabung gewöhnt. Der Anwendungsbereich dürfte daher so fest umrissen sein, dass keine Gefahr einer Erfassung auch harmloser Anspielungen und Darstellungen besteht. Weitere Einschränkungen im Sinne von “ungebührlich”oder “missbräuchlich” sind daher nicht erforderlich. Überlegenswert wäre allenfalls, diese relativ hohe Eingriffsschwelle in zwei “Unterfällen” abzusenken. So gibt es Verhaltensweisen, die zwar nicht diskriminierend sind, jedoch die Marktintegration innerhalb der Europäischen Union behindern. Der Europäische Gerichtshof hat in der Entscheidung “Buy Irish”202 hervorgehoben, dass das nationale Werbeargument unmittelbar gegen das primäre Gemeinschaftsrecht verstößt. Die Unterbindung derartige Werbemotive, die auf nationale Gefühle setzen, sollte daher auch auf Gemeinschaftsebene als gemeinschaftswidrig und damit unlauter angesehen werden. Zur Diskussion gestellt werden sollte weiter, ob bezüglich des Einsatzes sexueller Motive der (verfassungsrechtlich geprägte) Ansatz der Diskriminierung nicht zu eng ist. So kann das sexuelle Motiv in Werbung und Marketing in einer Weise eingesetzt werden, die zwar nicht geschlechtsdiskriminierend ist, wohl jedoch den Empfindungen der Mehrzahl der Werbeadressaten und/oder grundlegenden gesellschaftspolitischen Vorstellungen widerspricht. Derartige Darstellungen sind nicht nur schockierend, sondern stellen eine eklatante 202 EuGH, NJW 1983, 2755. 86 Verletzung dessen dar, was die Marktgegenseite, die Verbraucher, als Mittel der fairen Absatzförderung akzeptiert. Sie sind i.d.R. zugleich als jugendgefährdend anzusehen, so dass ihr Verbot - wie das BVerfG in der “Benetton”Entscheidung203 ausdrücklich klargestellt hat - auch gegenüber der verfassungsrechtlichen Position des Werbenden gerechtfertigt wäre. Die Schwierigkeit liegt hier in der Abgrenzung: Es müsste sichergestellt sein, dass nur der wirklich missbräuchliche Einsatz sexueller Motive, der zudem in erheblichem Maße erfolgen muss, erfasst wird, damit eine Abgrenzung zu der lediglich geschmacklosen oder schockierenden Werbung möglich bleibt. (2) Der Tatbestand der Verletzung von konfessionellen, religiösen oder politischen Überzeugungen ist Art. 12 der Fernsehrichtlinie entnommen. In den Mitgliedstaaten zugenommen haben Beanstandungen von Werbemaßnahmen, in denen religiöse Symbole etc. eingesetzt wurden (Abendmahlszene204, Papstwerbung 205). Die Schwierigkeit einer Regelung auf Gemeinschaftsebene besteht darin, dass eine gewisse Erosion religiöser Vorstellungen stattgefunden hat, die jedoch nicht in allen Ländern gleich ausgeprägt ist. Aus diesem Grunde sollte nur eine erhebliche Verletzung von in der jeweiligen Religion oder Konfession und bei der konkreten Zielgruppe vorherrschenden Empfindungen zu einem Verbot führen. Es muss zudem den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, strengere Vorschriften vorzusehen, wie dies etwa in Portugal der Fall ist. (3) Die Werbung unter Ausnutzung abergläubischer Vorstellungen (Amulette, Horoskope etc.) oder von Angstgefühlen ist gleichfalls durch Art. 12 der Fernsehrichtlinie untersagt und wird in den meisten Mitgliedstaaten auch außerhalb der Fernsehwerbung verboten. Praktische Bedeutung hat dabei die Werbung mit der Angst. Bei ihr bereitet die Grenzziehung jedoch besondere Probleme. Denn der Einsatz von “angstbesetzten” Werbemotiven wie Krankheit, Armut, Unfällen, Krieg, Terroranschlägen ist häufig nicht nur sachbezogen, sondern (bei Medikamenten, Geldanlagen, Versicherungen oder generell allen Argumenten mit der “Sicherheit”) zu einem gewissen Grade unvermeidbar. Erst das Überschreiten einer bestimmten Schwelle kann daher wettbewerbswidrig sein206. 203 GRUR Int. 2001, 170, Rdnr. 55. 204 OLG Frankfurt MD 1994, 442 - “Paradise now”. 205 Vgl. etwa (dänisches) See- und Handelsgericht, GRUR Int. 1993, 553 “Papstwerbung”. 206 So hat der BGH zu Recht eine Werbung für ein Stärkungsmittel mit dem Spruch “Erkältung und grippale Effekte überrollen Berlin” als zulässig angesehen, vgl. BGH GRUR 1986, 902 - “Angstwerbung”. 87 Fehlt jeder sachliche Bezug zwischen beworbenem Produkt und dem Angst einflößenden Werbemotiv, handelt es sich also um eine reine Imagewerbung im Sinne der sog. Schockwerbung, so sollte nach der hier vertretenen Auffassung die Eingriffsschwelle niedriger sein. Der mit Angst erzeugenden Motiven Werbende kann sich auch nicht auf die Meinungsfreiheit berufen. Das BVerfG hat in der “Benetton”-Entscheidung207 klargestellt, dass zwar “ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt des Bürgers ... kein Belang (ist), zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken darf”, zugleich jedoch betont, dass etwas anderes gelten könne, wenn “ekelerregende, furchteinflößende oder jugendgefährdende Bilder gezeigt werden”. Als „furchteinflößend“ ist freilich nicht alles anzusehen, was nur vage und sehr indirekte Gefühle des Unbehagens hervorruft (z.B. Angst vor Umweltkatastrophen durch Abbildung einer ölbeschmutzten Ente208). Die Darstellung muß vielmehr von einem durchschnittlich sensiblen Werbeadressanten als konkrete Ängste auslösend oder verstärkend empfunden werden. (4) Unlauter kann weiter die missbräuchliche Ausnutzung charitativer Gefühle sein. Sie sollte allerdings nicht pauschal als gefühlsbetonte Werbung verstanden werden. Im deutschen Wettbewerbsrecht209 wird zwar vertreten, dass der Einsatz von Motiven oder Argumenten, die auf die Wohltätigkeit oder das Mitleid abzielen, regelmäßig unlauter sei, wenn zwischen beworbener Ware und sozialem Engagement kein sachlicher Zusammenhang besteht. Diese Auffassung ist jedoch in dieser Allgemeinheit nicht gerechtfertigt, da sie nicht berücksichtigt, dass ein Interesse des Verbrauchers daran bestehen kann, mit Hilfe von Konsumentscheidungen soziale Zwecke (mit) zu verfolgen. Sie findet in dieser Allgemeinheit auch in den anderen europäischen Ländern kein Pendant und wäre auf Gemeinschaftsebene kaum konsensfähig. Im übrigen bestehen die oben bereits erläuterten Bedenken gegen eine Überbewertung des Gesichtspunkts der gefühlsbetonten Werbung. 207 BVerfG, GRUR Int. 2001, 170, 174 oben. 208 BGH, GRUR 1995, 598. Ob Kriegsbilder derartige Angstgefühle auslösen, ist umstritten, vgl. das (finnische) Marktgericht, GRUR Int. 1996, 251 einerseits und das norwegische Marktgericht, GRUR Int. 1996, 256 andererseits. 209 Vgl. BGH GRUR 1987, 534 - “MacHappy Day”. 88 Die unzweifelhaft gerade mit den sog. “social sponsoring”210 verbundenen spezifischen Gefahren lassen sich jedenfalls auch auf andere Weise als durch ein Verbot in den Griff bekommen. So wird befürchtet, dass mit einem unbedeutenden, jedoch werbemäßig groß herausgestelltem sozialen Engagement eine nicht gerechtfertigte anlockende Wirkung erzeugt wird, oder aber dass das soziale Engagement letztlich weitaus geringer ausfällt, als es der Verbraucher (ohne explizit irregeführt zu werden) erwartet. Wie etwa Art. 4 Abs. 1 h der Internationalen Verhaltensregeln der Internationalen Handelskammer vorschreibt, sollte daher als Mindesterfordernis “das Ausmaß der Unterstützung für wohltätige Zwecke” angegeben werden und zwar deutlich und unmissverständlich. Weiter sollte es sich um einen substantiellen Beitrag zu dem angegebenen Zweck handeln, der dann auch tatsächlich erbracht werden muß. Hierfür wäre, um jeden Missbrauch auszuschließen, der mit einem “social sponsoring” Werbende beweispflichtig zu machen. (5) Was die Werbung mit Umweltschutzargumenten betrifft, so findet sich das Verbot eines Einsatzes von Verhaltensweisen in Werbung und Marketing, die den Schutz der Umwelt gefährden, bereits in Art. 12 Fernsehrichtlinie und in den Internationalen Verhaltensrichtlinien der IHK. Praktisch bedeutsamer ist die umweltbezogene Werbung, d.h. das (werbemäßige) Herausstellen angeblicher Vorteile des beworbenen Produkts für die Umwelt. Die bisherige Rechtsprechung in Deutschland211 zu diesem Problemkreis erscheint teilweise übermäßig einengend und dürfte gemeinschaftsweit nicht konsensfähig sein. Allerdings sind in Anbetracht der starken emotionalen Werbewirkung, die von Umweltargumenten ausgeht und der Gefahr, dass der angebliche Umweltvorteil vom nicht sachkundigen Verbraucher größer eingeschätzt wird als er tatsächlich ist, sowohl Aufklärungspflichten als auch eine Beweislastumkehr angebracht. Der mit Umweltschutzargumenten Werbende hat also in der Werbung (in der üblichen Kurzform) anzugeben, weshalb sein Produkt im Verhältnis zu anderen Produkten weniger umweltbelastend ist und er muss zum Nachweis dieser Behauptung in der Lage sein. Eine derartige Regelung könnte auch bei dem Verbot der Irreführung erfolgen. Beim Umwelt-Sponsoring gilt dasselbe wie beim social-sponsoring: Es ist klar und unmissverständlich anzugehen, worin die Unterstützung liegt; es muss sich um einen substantiellen Beitrag zu den angegebenen Zweck handeln, dieser muss aktuell sein und tatsächlich erbracht werden. Auch hierfür sollte der mit einem Umwelt-Sponsoring Werbende beweispflichtig sein. 210 Dazu Federhoff-Rink, WRP 1993, 799. 211 Wiedergegeben etwa bei Baumbach/Hefermehl, § 1 UWG Rdnr. 179 ff.; Köhler/Piper, § 3 UWG Rdnr. 272 ff. 89 (6) Große Bedeutung unter public policy-Gesichtspunkten ist dem Schutz von Kindern und Jugendlichen vor übermäßig aggressiven oder anlockenden Absatzmaßnahmen einzuräumen. Denn Kinder und Jugendliche sind in hohem Maße beeinflussbar durch Werbung und Marketing und damit wehrloser gegenüber werblichen Einflussnahmen. Anders als Erwachsene verfügen sie noch nicht über die notwendige Erfahrung, um Werbung oder Wertreklame als Mittel der Absatzförderung realistisch einzuordnen. So nehmen gerade Kinder Werbeaussagen für bare Münze, sind von angeblichen “Geschenken” magisch angezogen, werden von den bunten Bildern des Fernsehens stark beeindruckt und vermögen bei der Fernseh- und Printwerbung nicht (anhand der für Erwachsene ausreichenden Hinweise) zwischen Werbung und Programm/Text zu unterscheiden. Schließlich sind sie in besonderem Maße beeinflussbar durch “Leitbilder”, etwa Popstars, deren Verhalten starke Nachahmungseffekte auszulösen vermögen. Eine Einbeziehung einer Regelung der Werbung vor und mit Kindern und Jugendlichen in das Wettbewerbsrecht ist daher zwingend geboten. Sie entspricht nicht nur dem gewandelten Schutzzweck des Wettbewerbsrechts, das Interessen der Allgemeinheit und damit des Jugendschutzes zu berücksichtigen hat, sondern trägt auch dem Umstand Rechnung, dass zumindest Jugendliche heute über eine beträchtliche Kaufkraft verfügen, selbst Konsumentscheidungen fällen und folglich als Marktpartner in ihrer spezifischen Schutzbedürftigkeit ernst zu nehmen sind. Dies gilt in besonderem Maße vor dem Hintergrund einer Liberalisierung des Wettbewerbsrechts. Aufhebungen von Restriktionen (z.B. Rabattgesetz und Zugabeverordnung) wirken sich faktisch anders bei Kindern und Jugendlichen als bei Erwachsenen aus. Der Maßstab eines “verständigen Durchschnittsverbrauchers”, der häufig ohne Differenzierung zur Rechtfertigung für eine Liberalisierung herangezogen wird, ist bei Kindern und Jugendlichen generell ungeeignet. Ebenso wie bei der irreführenden Werbung die Frage, ob eine Werbung täuschend ist oder nicht, nach der konkret angesprochenen Zielgruppe zu beantworten ist, ist auch in allen sonstigen Fällen von Werbung, Marketing und Sponsoring auf die besondere Situation von Kindern und Jugendlichen abzustellen. Dies entspricht nicht nur der gefestigten Auffassung der meisten Mitgliedstaaten, sondern ist auch auf Gemeinschaftsebene bereits in Art. 16 Abs. 1 der Fernsehrichtlinie verankert. Dieser lautet: “Die Fernsehwerbung darf Minderjährigen weder körperlichen noch seelischen Schaden zufügen und unterliegt daher folgenden Kriterien zum Schutz Minderjähriger: 90 - - - Sie soll keine direkten Kaufappelle an Minderjährige richten, die deren Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit ausnutzen. Sie soll Minderjährige nicht unmittelbar dazu auffordern, ihre Eltern oder Dritte zum Kauf der beworbenen Ware oder Dienstleistung zu bewegen. Sie soll nicht das besondere Vertrauen ausnutzen, das Minderjährige zu Eltern, Lehrern und anderen Vertrauenspersonen haben. Sie soll Minderjährige nicht ohne besonderen Grund in gefährlichen Situationen zeigen. Diese Regelung sollte medienunabhängig gelten und zwar mit folgenden Abweichungen bzw. Ergänzungen: - Anders als in Art. 16 d der Fernsehrichtlinie wonach Minderjährige “nicht ohne besonderen Grund in gefährlichen Situationen gezeigt werden dürfen”, sollten bereits Verhaltensweisen verboten werden, die von der jeweiligen Zielgruppe als Anregung zu einem gefährlichem Verhalten verstanden werden könnten. - Werbung und Marketing sollten nicht die Leitbildfunktion von “Stars”, die bei Kindern und Jugendlichen einen häufig größeren Einfluss als etwa Lehrer besitzen, missbräuchlich ausnutzen. - Formen der Wertreklame wie Werbegeschenke und Zugaben sollten nur sehr zurückhaltend eingesetzt werden und nicht (aus der Sicht der konkreten Zielgruppe) übermäßig anlockende Wirkung entfalten. - Und schließlich sollte verhindert werden, dass aus der Sicht der angesprochenen Zielgruppe Werbung und Programm bzw. redaktioneller Teil ineinander übergehen, z.B. weil (reale oder virtuelle) Leitfiguren, über die auch im redaktionellen Teil der Zeitschrift, der TV-Sendung etc. berichtet wird, zugleich in der Werbung eingesetzt werden. Entscheidend sollte dabei die Einsichtsfähigkeit der jeweils konkret angesprochenen Altersgruppe sein. Denn der Erfahrungsstand von Kindern und Jugendlichen kann weit auseinanderliegen; der Einsatz einer bei Kleinkindern beliebten Fernsehfigur in Werbung und Marketing (Teletubbys) ist anders zu beurteilen als der einer bei Zwölfjährigen aus Computerspielen bekannten virtuellen Figur (Pokemon) oder der Werbeauftritt eines bei Jugendlichen beliebten Popstars (Madonna). k) Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die vorstehenden Aspekte nur die wichtigsten Punkte einer möglichen wettbewerbsrechtlichen Regelung der zu missbilligenden Verhaltensweisen umreißen. Sie müssten durch detaillierte Verhaltensregeln ausgefüllt werden, die dem nationalen Richter das nötige 91 Rüstzeug an die Hand geben, um die rechtlich missbilligten Verhaltensweisen von den zulässigen Absatzförderungsmaßnahmen zu unterscheiden. Derartige begleitenden Regelungen würden zugleich dem Werbetreibenden die Gewissheit geben, dass er sich bei einem mit den Verhaltensregeln übereinstimmenden Marktverhalten in einem “safe harbour” befindet. 11. Wertreklame Vorschlag: Maßnahmen der Absatzförderung wie Preisnachlässe, Sonderangebote, Geschenke, Zugaben, Kopplungsgeschäfte und Kundenbindungssysteme sollten, ebenso wie die für sie betriebene Werbung, nur dann als unlauterer Wettbewerb verboten werden, wenn die Bedingungen ihrer Inanspruchnahme und der tatsächliche Wert des Angebots und der gewährten Vorteile nicht klar und unzweideutig erkennbar sind. Bei Preisnachlässen obliegt der Nachweis, dass der höhere Preis zuvor während einer angemessenen Zeit praktiziert wurde, dem den Preisnachlass Gewährenden. Begründung: a) Bei der sogenannten Wertreklame handelt es sich um eine aus Unternehmersicht besonders effiziente Marketingmethode, die grundsätzlich auch für die Verbraucher vorteilhaft ist. Geschenke, Zugaben, Kopplungsgeschäfte, Sonderangebote, Preisnachlässe, Kundenbindungssysteme und ähnliche Verkaufsförderungsmaßnahmen vermögen jedoch auch spezifische Gefahren zu entfalten, die nicht befriedigend mit den allgemeinen Vorschriften des Wettbewerbsrechts, insbesondere dem Irreführungsverbot, aufgefangen werden können. Diese Gefahren rechtfertigen jedoch kein generelles Verbot derartiger Absatzförderungsmaßnahmen allgemein oder einzelner von ihnen. Vielmehr genügen im wesentlichen Transparenzvorschriften und (für Preisnachlässe) eine Beweislastumkehr. b) Kennzeichnend für die Wertreklame ist, dass der Verbraucher nicht mit Hilfe von Werbung, sondern durch die “Verlockung”212 mittels geldwerter Vergünstigungen zum Kauf einer Ware oder Inanspruchnahme einer Dienstleistung bewogen werden soll. Erreicht werden kann dies auf vielfältige Weise. Es kann sich um ohne jede Kaufverpflichtung gewährte Vorteile handeln (Werbegeschenke). Die kosten212 Ausführlich Baumbach/Hefermehl, § 1 UWG Rdnr. 85 ff. 92 lose Vergünstigung kann dem Verbraucher nur bei Kauf einer Ware oder entgeltlicher Inanspruchnahme einer Dienstleistung gewährt werden (Zugaben). Produkte oder Dienstleistungen können ausschließlich gemeinsam zu einem Gesamtpreis angeboten werden (Kopplungsgeschäfte), wobei häufig eines dieser Produkte besonders attraktiv ist (Vorspannangebot). Auch individuell gewährte Preisnachlässe (Rabatte) zählen zur Wertreklame, ebenso wie die in den letzten Jahren zunehmend praktizierten Kundenbindungssysteme. Gewinnspiele oder Preisausschreiben werden teilweise gleichfalls zur Wertreklame gerechnet, sollen hier jedoch wegen ihrer spezifischen Problemstellung gesondert behandelt werden (oben, III. 8). c) Aus der Sicht der Unternehmen sind die vorgenannten sales promotionTechniken unverzichtbarer Teil eines effizienten Produktmarketings. Mehr noch als die Wort- oder Bildwerbung vermögen sie Aufmerksamkeit oder Sympathie zu erregen, den Verbraucher mit einem ihm unbekannten Produkt bekannt zu machen und ihn zum Kauf eines bestimmten Produktes oder zur Inanspruchnahme einer bestimmten Dienstleistung zu bewegen. Aber auch aus der Sicht der Verbraucher ist die Wertreklame grundsätzlich positiv zu beurteilen. In vielen Fällen erhält er tatsächlich etwas unentgeltlich oder doch zumindest vorteilhafter als üblich, profitiert also unmittelbar von den Marketinganstrengungen des Herstellers. Unter gesamtwirtschaftlichen Aspekten wird besonders der durch Preisnachlässe etc. geförderte Preiswettbewerb positiv beurteilt. d) Mit der gesteigerten Anlockwirkung auf den Verbraucher sind freilich auch Gefahren verbunden. So kann es leichter als bei der Wort- und Bildwerbung zu Irreführungen oder unsachlichen Beeinflussungen kommen, da der Verbraucher die ihm angeblich gewährten Vorteile selten richtig einzuordnen vermag, insbesondere nicht erkennt, dass er diese häufig indirekt mit bezahlt. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht wird befürchtet, dass die Wertreklame vorzugsweise von großen Anbietern eingesetzt wird und damit Marktzutrittsschranken für kleinere Unternehmen errichtet, bzw. zu einem Verdrängungswettbewerb führt. e) Diese Bedenken - die unter den Stichworten der Verfälschung des Leistungswettbewerbs, der Marktbehinderung, der Irreführung und der unsachlichen Beeinflussung zusammengefasst werden213 - haben dazu geführt, dass Wertreklame traditionell strenger beurteilt wird als andere Formen der Werbung. Insofern ist jedoch in den letzen Jahren ein Wandel eingetreten. Im Zuge der Diversifizierung des Handels, neuer Formen des Wettbewerbs (etwa kostenlos verteilte Presseerzeugnisse) ist eine zunehmende Gewöhnung des “ver213 S. Köhler/Piper, Einl. ZugabeVO, Rdnr. 2. 93 ständigen Durchschnittsverbrauchers” auch an unübliche Werbemethoden eingetreten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es keine Bedenken mehr gegen bestimmte Ausprägungen der Wertreklame gebe. Der Hauptgrund für eine gegenüber anderen Werbeformen restriktivere rechtliche Beurteilung wird heute in der Gefahr der mangelnden Durchschaubarkeit der tatsächlich gewährten Vorteile gesehen. Diese Gefahr ist jedoch je nach Art der Wertreklame unterschiedlich stark ausgeprägt, korreliert insbesondere mit der Nähe zum Vertragsschluss, so dass eine differenzierende Betrachtungsweise geboten ist. f) Auf europäischer Ebene ist die Wertreklame bislang nur fragmentarisch geregelt. Die Irreführungsrichtlinie erfasst in Art. 3 Ziff. 2 Buchstabe b zwar Irreführungen über den Preis, die Art und Weise seiner Berechnung und die Bedingungen des Angebots, worunter auch Irreführungen über den wahren Wert eines angekündigten Vorteils fallen können. Es muss sich dann allerdings um eine Werbeäußerung i.S.v. Art. 2 Ziff. 1 handeln. Gemäß Art. 6 (1) c der Richtlinie 2000/31/EG müssen Verkaufsförderungsmaßnahmen im Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs nicht nur als solche erkennbar sein, sondern “die Bedingungen für ihre Inanspruchnahme müssen leicht zugänglich sein sowie klar und unmissverständlich angegeben werden”. Dieses Transparenzerfordernis gilt allerdings nur, wenn die Verkaufsförderungsmaßnahmen in einem Staat zugelassen sind, zwingt die Mitgliedstaten also nicht, bestimmte Formen der Wertreklame zuzulassen oder zu verbieten. Gleichwohl wird erwartet, dass von der Richtlinie elektronischer Geschäftsverkehr ein faktischer Druck zur Angleichung auch des nationalen Rechts der Wertreklame ausgehen wird. Das in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie verankerte Herkunftslandprinzip verpflichtet die Mitgliedstaaten, kommerzielle Kommunikationen, die im Herkunftsland des Diensteanbieters zulässig sind, auch im Empfangsland zu akzeptieren. Das Herkunftslandprinzip zwingt damit zwar nicht zur Änderung von Regelungen der Wertreklame im Empfangsstaat, setzt bei relativ strengen Regelungen den nationalen Gesetzgeber jedoch wegen der damit verbundenen Inländerdiskriminierung unter Reformdruck. Ob die von der Kommission angestrebte indirekte Angleichung der nationalen Vorschriften über die Wertreklame auf diese Weise erreicht werden kann, darf allerdings angezweifelt werden214. 214 So wurde die Aufhebung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung in Deutschland zum 1. August 2001 u.a. mit dem Herkunftslandprinzip begründet. Anders als bei Rabatten, wo Deutschland in der Tat eine singuläre Stellung einnahm, führt die Aufhebung der deutschen Zugabeverordnung jedoch nicht zur Rechtsangleichung, da Zugaberegelungen in mehreren anderen Ländern bestehen und offenbar nicht an ihre Aufhebung gedacht ist. 94 Wie oben (I.2.b) ausgeführt, ist dieser Weg jedoch nicht unbedenklich, da er zu einer Angleichung auf dem niedrigsten Schutzniveau der Gemeinschaft führen könnte und damit verkennt, dass Regelungen jedenfalls bestimmter Formen der Wertreklame im Interesse der Verbraucher und des lauteren Wettbewerbs liegen. So hat der EuGH215 1982 entschieden, dass nationale Zugabeverbote nach Art. 30 EG gerechtfertigt sein können. Ob dies auch für andere Formen der Wertreklame gilt, wurde allerdings bislang nicht geprüft. Die Entscheidung des EuGH zeigt jedoch, dass die Unterbindung jedenfalls bestimmter Formen der Wertreklame gemeinschaftskonform ist. g) Das Recht der Wertreklame ist daher bislang nationales Recht. Das Fehlen gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben hat dazu geführt, dass gerade hier zum Teil sehr große Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtsordnungen bestehen216. - Frankreich: Rabatte und Werbegeschenke sind grundsätzlich zulässig. Demgegenüber sind Zugaben gemäß Art. L 121-134 Code de la Consommation strikt (strafrechtlich) verboten; hiervon gibt es nur wenige, restriktiv gehandhabte Ausnahmen. - Belgien: Das belgische Gesetz über die Handelspraktiken von 1991 enthält kein generelles Verbot der Rabattgewährung, regelt jedoch die Ausgabe von Rabattmarken und Wertgutscheinen. Kopplungsgeschäfte sind nach Art. 54 Abs. 1 grundsätzlich verboten; die Ausnahmen in Art. 55-57 restriktiv gefasst. - Luxemburg: Das Luxemburger Handelspraktikengesetz von 1992 regelt aufgeschobene Rabatte und zu Preisnachlässen berechtigende Wertgutscheine. Gemäß Art. 19 Abs. 1 sind Zugaben auf allen Handelsstufen verboten. Kopplungsgeschäfte sind gemäß Art. 19 unter engen Voraussetzungen erlaubt (die angebotenen Produkte müssen eine Gesamtheit bilden, jedes Produkt muss gesondert zum gewöhnlichen Preis erworben werden können, der Käufer muss hierauf hinweisen und die Preisermäßigung darf nicht ein Drittel der zusammengezählten Preise übersteigen). - Niederlande: Rabatte sind im niederländischen Recht traditionell zulässig. Zugaben waren durch das “Gesetz zur Beschränkung des Geschenkwesens” verboten; dieses Gesetz wurde jedoch 1997 ersatzlos aufgehoben. 215 GRUR Int. 1983, 648. 216 Ausführlich Bodewig/Henning-Bodewig, WRP 2000, 1341. 95 - Dänemark: Das dänische Marktgesetz von 1994 verbietet vor dem Kauf ausgegebene Rabattmarken etc. Zugaben sind nach § 6 Abs. 1 gegenüber dem Endverbraucher verboten; Ausnahmen bestehen u.a. für Flugbonusprogramme. Daneben besteht ein “loyalty programme in marketing” der nordischen Verbraucherombudsmänner. - Finnland: Das finnische Verbraucherschutzgesetz von 1978/2000 kennt kein generelles Rabattverbot, verbietet auch gekoppelte Angebote und Zugaben gemäß Kapitel 2 § 4 nicht, schreibt jedoch bestimmte Informationen vor. Auch in Finnland gilt das “loyalty programme” der Verbraucherombudsmänner. - Schweden: Das schwedische Marktgesetz von 1996 kennt (anders als das Gesetz von 1971) kein generelles Verbot der Zugaben oder Kombinationsangebote. Gemäß § 13 MFL muss der Gewerbetreibende jedoch Angaben machen, die es dem Verbraucher ermöglichen, den Wert eines “Vorteilsangebots” korrekt einzuschätzen. Auch Schweden ist in das “loyalty programme” der Verbraucherombudsmänner eingebunden. - Großbritannien: Die Ausgabe von Rabattmarken ist nach dem Trading Stamps Act 1964 geregelt. Ansonsten kennt das britische Recht keine gesetzliche Regelung der Wertreklame. Der “British Code of Sales Promotion Practices” regelt jedoch die Voraussetzungen, unter denen Preiswerbung und Zugaben zulässig sind, insbesondere die Werbung mit “gratis”. - Irland: Wie Großbritannien besteht eine gesetzliche Regelung lediglich für Rabattmarken nach dem Trading Stamps Act 1980. Im übrigen gilt auch hier ein “Code of Sales Promotion Practices” (SCPP), der bestimmte Grundsätze der Wertreklame festlegt. - Griechenland: Das griechische Recht kennt weder ein allgemeines Rabatt- noch ein ausdrückliches gesetzliches Zugabeverbot. - Italien: Im italienischen Recht findet sich weder zu Rabatten noch zu Zugaben eine ausdrückliche Regelung. - Portugal: Das portugiesische Recht kennt weder ein allgemeines Rabatt- noch ein allgemeines Zugabeverbot. Nach Art. 14 der Gesetzverordnung Nr. 253/86 vom 25.8.1986 sind lediglich Verkäufe unter Einstandspreis verboten. - Spanien: Das spanische Recht kennt keine allgemeine Regelung von Rabatten. Gemäß Art. 8 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (LCD) von 1991 sind Geschenke zu Werbezwecken verboten, wenn sie den Verbraucher zum Vertragsschluss drängen. Nach Art. 8 Abs. 2 sind Vorteile oder Zugaben unlauter, wenn sie den Verbraucher über das Preisniveau irreführen oder wenn es ihm die Beurteilung des tatsächlichen Wertes der Angaben oder einen Vergleich mit anderen 96 Angeboten erheblich erschweren; hierfür besteht eine Vermutung. Gemäß Art. 8 Abs. 3 ist die Verknüpfung von nicht im Zusammenhang mit dem Vertragszweck stehende Zusatzleistungen verboten. Art. 3234 des LOCM enthalten Regelungen für den Warenverkauf mit Zugaben und Geschenken durch Einzelhändler. - Österreich: Die ursprünglich bestehende, dem deutschen RabattG nachgebildete Rabattregelung wurde durch das Deregulierungsgesetz von 1992 ersatzlos aufgehoben. Zugaben sind nach § 9 a UWG auf allen Handelsstufen verboten; “echte” Kopplungsangebote erlaubt. Von dem Zugabeverbot gibt es einen umfangreichen Ausnahmekatalog; für Zugaben in Form von Preisausschreiben, Gewinnspielen besteht eine Sonderregelung. h) In Anbetracht dieser stark unterschiedlichen Regelungen der Wertreklame im nationalen Recht kommt besondere Bedeutung der Ermittlung der konsensfähigen Grundzüge zu. Diese müssen insbesondere den berechtigten Interessen von Verbrauchern und Wettbewerbern Rechnung tragen. Dabei ist - wie es auch die Regelungen der meisten nationalen Rechtsordnungen nahe legen - zwischen den einzelnen Formen der Wertreklame zu unterscheiden. Für jede einzelne Verkaufsförderungsmaßnahme ist zu ermitteln, ob eine spezifische Regelung erforderlich ist und wenn ja, ob die Statuierung von Transparenzregeln genügt, um den durch sie begründeten Gefahren zu begegnen. i) Preisnachlässe (Rabatte, Sonderangebote etc.): Ein generelles Verbot von Preisnachlässen, die über einen bestimmten Prozentsatz hinausgehen, ist gemeinschaftsrechtlich nicht konsensfähig. Preisnachlässe sind in keinem Mitgliedstaat generell verboten. In vielen Staaten gelten sie sogar als besonders förderungswürdiger Ausdruck eines funktionierenden Wettbewerbs; die wenigen Staaten, die außer Deutschland in der Vergangenheit ein generelles Rabattverbot kannten (Österreich, Luxemburg), haben dieses in den letzten Jahren aufgehoben. In einigen Mitgliedstaaten (Belgien, Luxemburg, Dänemark, England, Irland) werden jedoch aufgeschobene Rabatte und zu Preisnachlässen berechtigenden Wertgutscheine geregelt und einige Mitgliedstaaten (Belgien, Frankreich, Luxemburg, Italien, Portugal) ziehen die Untergrenze von Preisnachlässen im Interesse der Konkurrenten und insbesondere des mittelständischen Handels beim Verlustverkauf. In allen Mitgliedstaaten bestehen im Interesse der Verbraucher mehr oder minder detaillierte Vorschriften für die Preiswerbung, die dem Gedanken der Preisklarheit und Preiswahrheit Rechnung tragen. Ein generelles Rabattverbot ist jedoch nicht nur nicht konsensfähig, es ist auch sachlich nicht gerechtfertigt. Sofern für mittlere und kleine Unternehmen Nachteile entstehen können, sind diese über kartellrechtliche Vorschriften aufzufangen. Die Gefahr von Irreführungen der Verbraucher, die heute vor- 97 wiegend zur Rechtfertigung eines Rabattverbots herangezogen wird217, kann über die Irreführungsvorschriften erfasst werden. Die Erfahrung der Länder, in denen das generelle Rabattverbot in den letzten Jahren aufgehoben wurde (Österreich), zeigt jedenfalls, dass es zur Verhinderung einzelner Missbräuche keines präventiven Irreführungstatbestandes bedarf. Um im Vorfeld zu verhindern, dass dem Verbraucher Preisvorteile vorgegaukelt werden, die dann auf anderem Wege, etwa bei Nebenleistungen wieder “hereingeholt” werden, genügen grundsätzlich Transparenzvorschriften in dem vorgeschlagenen Sinne. Transparenzvorschriften reichen allerdings nicht aus, um die sog. Mondpreise befriedigend zu erfassen, d.h. das Gewähren angeblicher Nachlässe von Preisen, die zuvor nie gefordert wurden. Diese Praktik ist theoretisch zwar unter das Irreführungsverbot subsumierbar218. In der Regel vermag der Kläger jedoch nicht zu beweisen, dass der Verkäufer den angeblich zuvor geforderten Preis in Wahrheit nicht genommen hat. In Anwendung von Art. 6 Buchstabe a der Irreführungsrichtlinie, wonach die Mitgliedstaaten in geeigneten Fällen für eine Beweislastumkehr bezüglich irreführender Tatsachenbehauptungen zu sorgen haben, wird daher vorgeschlagen, dem Verkäufer generell die Beweislast dafür aufzuerlegen, dass der Preis, von dem ein Nachlass gewährt wird, während einer angemessenen Zeit tatsächlich gefordert wurde. Derartige Regelungen existieren teilweise bereits im nationalen Recht (z.B. Belgien), insbesondere bei Sonderangeboten. Die Erfahrungen in diesen Ländern zeigt jedoch auch, dass jede explizite Regelung der Angemessenheit oder des Zeitraums, in dem Sonderangebote in Vorrat zu halten sind, zu einer unerwünschten Kasuistik führt. Diese Fragen sollte daher der Rechtsprechung überlassen bleiben. j) Kundenbindungssysteme: Kundenbindungssysteme sind Weiterentwicklung des früher vorherrschenden Rabattmarkenwesens. Sie weisen z.T. sehr komplexe Modalitäten auf, arbeiten mit verschiedenen Bonus-, Meilen- oder Punktegewährungen, der Ausgabe von Gutscheinen oder pay back-Karten. Häufig schließen sich auch mehrere Unternehmen zusammen oder die Vergünstigung kann bei Dritten eingelöst werden bzw. der Verbraucher erhält bestimmte Artikel besonders preisgünstig (“Zuzahlartikel”). Es existieren jedenfalls eine Vielzahl unterschiedlicher Systeme, die durch die Einbeziehung des Internets (“webmiles” etc.) noch facettenreicher geworden sind. Je nach konkreter Ausgestaltung weisen sie zugabe- oder rabattrechtliche Elemente auf. Derartige Systeme sind häufig für den Verbraucher, auch den “verständigen Durchschnittsverbraucher”, schwer durchschaubar. Anders als bei direkt gewährten Preisnachlässen, Zugaben und Kopplungsgeschäften, die einmalige 217 Vgl. Köhler/Piper, Einf. RabattG, Rdnr. 5 ff. 218 Vgl. etwa BGH GRUR 1974, 341 - “Champagne”. 98 Aktionen sind, ist Ziel zudem die möglichst langfristige Bindung des Verbrauchers an ein bestimmtes Unternehmen. Dies begründet die Gefahr, dass der Verbraucher die bereits angesammelten Punkte etc. nicht durch Käufe bei Dritten aufs Spiel setzen will und damit auch letztlich günstigere Konkurrenzangeboten nicht mehr beachtet. Weiter ist zu bedenken, dass derartige Systeme aus der Sicht der Unternehmen zugleich der Datensammlung dienen und die dadurch ausgelöste Direktwerbung zu einer Belästigung der Verbraucher führen kann. Auf der anderen Seite bilden Kundenbindungssystem einen wichtigen Marketingbestandteil vieler Unternehmen, deren Produkte sich nicht mehr hinreichend über Preis und Qualität differenzieren lassen. Der Verbraucher profitiert hiervon jedenfalls mehr, als wenn Unternehmen eine Kundenbindung durch verstärkte Werbeanstrengungen zu erreichen versuchen. Eine Regelung, die gewährleistet, dass dem Verbraucher die besonderen Bedingungen des jeweiligen Kundenbindungssystems unmissverständlich verdeutlicht werden insbesondere auch die dadurch bewirkte Bindung -, erscheint daher ausreichend. Ein generelles Verbot (wie unter Geltung von Zugabe- und Rabattregelung in Deutschland219) ist daher weder notwendig noch konsensfähig, da die meisten Mitgliedstaaten Kundenbindungssysteme jedenfalls unter rabattrechtlichen Gesichtspunkten weitgehend tolerieren220. k) Werbegeschenke: Werbegeschenke, d.h. geldwerte Zuwendung, die ohne Kauf eines Produktes oder Inanspruchnahme einer entgeltlichen Dienstleistung erlangt werden, sind im Grundsatz in allen Mitgliedstaaten zulässig. Ein Verbot auf europäischer Ebene erscheint daher weder konsensfähig noch gerechtfertigt. Im Gegenteil vermögen Werbegeschenke in Form von Warenproben den Verbraucher mit den Eigenschaften eines ihm unbekannten Produktes bekannt zu machen und erfüllen damit eine wichtige Aufgabe im Wettbewerb. In den übrigen Fällen handelt es sich zumeist um unschädliche Formen der Aufmerksamkeits- und Imagewerbung. Sofern mit Werbegeschenken Nachteile für Verbraucher und die Gesamtwirtschaft verbunden sind, kann ihnen auf anderem Wege als durch eine explizite Regelung begegnet werden. Belästigungen des Verbrauchers (geregelt z.B. in Griechenland) dadurch, dass dieser zum Abschluss eines Vertrages “gedrängt” wird, können von dem vorgeschlagenen Tatbestand der Belästigung 219 BGH, WRP 1999, 424 - “Bonus-Meilen”; vgl. weiter Peters, WRP 1998, 576. 220 Beschränkungen bestehen demgegenüber in den Mitgliedstaaten, die ein Zugabeverbot kennen (wobei wiederum Dänemark eine ausdrückliche Ausnahme für Flugbonus-Programme macht). In den einzelnen Mitgliedstaaten findet sich zu diesem Problemkreis nur wenig Literatur und Rechtsprechung; vgl. Bodewig/Henning-Bodewig, WRP 2000, 1341. 99 (s. oben III 7) erfasst werden. Darüber hinaus rechtfertigt der “psychologische Kaufzwang”, der für besonders sensible Gemüter mit der Annahme eines Werbegeschenks verbunden sein kann, nicht ein Verbot der Werbegeschenke. Die ansonsten bestehenden Bedenken der Marktverstopfung durch massenweise Abgabe von Originalware bzw. einer individuellen Behinderung oder Verdrängung einzelner Mitbewerber, können bei Nachweis der Behinderungsoder Verdrängungsabsicht auf der Grundlage der Generalklausel erfasst werden. Gesamtwirtschaftliche Aspekte wie die Gefährdung einer gesamten Branche sind vorwiegend über das Kartellrecht zu erfassen. Dies gilt auch für das dauerhafte Verschenken von Gratiszeitschriften, mit oder ohne redaktionellen Inhalt, das insbesondere in Deutschland und Österreich zu Rechtsstreitigkeiten geführt haben. Die hier regelmäßig behauptete Gefährdung der (verfassungsrechtrechtlich garantierten) freien Presse genügt jedenfalls nicht, um derartige neue Marketingformen generell oder auf der Grundlage der Generalklausel zu verbieten; hierzu bedarf es zumindest konkreter Anhaltspunkte für die Realisierung eine derartigen Gefahr. l) Zugaben: Bei Zugaben besteht das Problem, dass der Verbraucher häufig nicht in der Lage ist, den wahren Wert der Zugabe - die regelmäßig wertvoller hingestellt wird als sie objektiv ist - einzuschätzen. Derartige subjektive Fehleinschätzungen sind zumeist nicht mit Hilfe des Irreführungstatbestandes erfassbar, was wiederum wegen des mit Zugaben verbundenen starken Anlockeffekts nicht unbedenklich ist. Aus diesem Grund verbieten Belgien, Luxemburg, Frankreich, Österreich, Spanien und Dänemark Zugaben grundsätzlich und Finnland und Schweden statuieren weitreichende Informationspflichten. Auch Mitgliedstaaten wie Großbritannien und Irland, die ansonsten keine gesetzliche Regelung kennen, regeln bestimmte Formen der Zugabe bzw. der für sie betriebenen Werbung. Auf europäischer Ebene dürfte somit ein Konsens darüber bestehen, dass Zugaben spezifische Gefahren entfalten können, die einer Regelung, sei es durch den Gesetzgeber, sei es durch eine effiziente Selbstkontrolle, sei es durch “Ko-Regulierung” (z.B. durch „guidelines“ in den nordischen Ländern) bedürfen. In den Staaten, die ein gesetzliches Zugabe- (oder weiter gefasst: Kopplungsgeschäfte-)Verbot kennen, hat sich jedoch auch gezeigt, dass jedes Zugabeverbot eine detaillierte Regelung der hiervon notwendigerweise zu machenden Ausnahmen nach sich zieht. Dies führt in der Praxis fast zwangsläufig zu einer kaum überschaubaren Kasuistik; als Beispiel seien hier die französische, belgische und luxemburger Regelungen genannt. Ein grundsätzliches Verbot (mit mehr oder minder strikt gefassten Ausnahmen) verhindert 100 zudem häufig auch Formen von Zugaben, bei denen die vorgenannten Gefahren für Verbraucher und Mitbewerber nicht bestehen, und behindert daher die sinnvolle Weiterentwicklung moderner Marketingformen. Zugaben sollten daher im Grundsatz zulässig sein. Allerdings ist die Einschränkung zu machen, dass der wahre Wert der Zugabe klar und unmissverständlich erkennbar sein muss221. Auf welche Weise dies geschieht, sollte dem die Zugabe Anbietenden obliegen. In manchen Fällen, in denen der Verbraucher unschwer den Wert der Zugabe einzuschätzen vermag (ohne daß dies auf Mark und Pfennig genau geschehen müsste), wird es gar keines Hinweises bedürfen, in anderen Fällen wird der Wert explizit genannt werden müssen. Auf keinen Fall ist es gerechtfertigt, dem Verbraucher Such- und Informationskosten zur Ermittlung des Werts der Zugabe, den der sie Anbietende zumeist unschwer angeben kann, aufzubürden. Es sollte weiter der Rechtsprechung oder der Selbstkontrolle überlassen bleiben, bestimmte Arten der Werbung für Zugaben - z.B. die Verwendung des Ausdrucks “gratis” - festzulegen. m) Kopplungsgeschäfte: Mehr noch als bei Zugaben besteht bei Kopplungsgeschäften die Gefahr, dass der Verbraucher den wahren Wert der einzelnen verbundenen Gegenständen nicht richtig einzuschätzen vermag und damit möglicherweise einem Angebot, das letztlich keineswegs günstig ist, ohne Berücksichtigung von Konkurrenzangeboten den Vorzug gibt. Wenn z.B. ein Auto zusammen mit einem Motorroller, einem Drucker, einem Handy und einer Kamera zu einem Gesamtpreis angeboten wird222, wird der Verbraucher häufig die Attraktivität des Preises des Autos, auf das es ihm regelmäßig primär ankommt, überschätzen. Da derartige Fehlvorstellungen und Anlockeffekte i.d.R. nicht mit Hilfe der Irreführungsvorschriften erfasst werden können, verbieten einige Mitgliedstaaten nicht nur Zugaben, sondern generell jede Art von “Kopplungsgeschäfte” (Belgien, Luxemburg) bzw. unterwerfen Kombinationsangebote strengeren Anforderungen. Auch insofern dürfte jedoch ein generelles Verbot nicht erforderlich sein. Auch eine Pflicht, die einzelnen Produkte stets auch ungekoppelt anzubieten, erscheint nicht notwendig. Die spezifisch von Kopplungsgeschäften ausgehenden Gefahren ließen sich zwar durch eine derartige Verpflichtung definitiv ausräumen. Sie führten jedoch andererseits zu einer einschneidenden Be- 221 In diese Richtung geht auch der Vorschlag von Köhler, BB 2001, 265, 270; allerdings mit umgekehrtem Regel-/Ausnahmeverhältnis. 222 S. den Bericht in der SZ vom 19./20. Mai 2001, S. 21 (wonach eine e.V. gegen Edeka vom LG Offenburg abgewiesen wurde). 101 lastung des Anbietenden, der die einzelnen Artikel häufig eben nicht getrennt führen kann oder will. Auch hier ist daher einer Transparenzvorschrift der Vorzug zu geben, wonach der Wert der einzelnen gekoppelten Gegenstände oder Leistungen klar und unmissverständlich erkennbar sein muss223. Ob dies durch das Angebot eines auch unverbundenen Verkaufs, durch Angabe des empfohlenen Verkaufspreises für die jeweils gemeinsam angebotenen Gegenstände durch Angabe ihres Wertes oder auf “sonstige Weise” geschieht, bliebe dem Anbietenden (und damit der nationalen Rechtsprechung) überlassen. 12. Verletzung außerwettbewerbsrechtlicher Rechtsnormen Vorschlag: Die zu Absatzzwecken erfolgende Verletzung außerwettbewerbsrechtlicher Rechtsnormen, die einen mit dem Wettbewerbsrecht übereinstimmenden Schutzzweck aufweisen oder von unmittelbar wettbewerbsregelnder Bedeutung sind, sollte als unlauterer Wettbewerb verboten werden, wenn es hierdurch zu spürbaren Auswirkungen auf den Wettbewerb des jeweiligen Marktes kommt. Begründung: a) Gegen die Lauterkeit im Wettbewerb kann auch verstoßen, wer zu Absatzförderungszwecken gegen außerwettbewerbsrechtliche Rechtsnormen verstößt. Ausgangsüberlegung ist dabei, dass ein fairer Wettbewerb nur möglich ist, wenn für alle Mitbewerber dieselben rechtlichen Rahmenbedingungen gelten, und dass ein Teilnehmer am Wirtschaftsleben, der - um seinen eigenen oder fremden Absatz zu fördern - sich nicht an diese Rahmenbedingungen hält, hierdurch einen Vorteil im Wettbewerb vor gesetzestreuen Konkurrenten erlangen kann. b) Im deutschen UWG gilt der “Rechtsbruch” als einer der praktisch bedeutsamsten Fallgruppen der Generalklausel des § 1 UWG. Zu seiner Begründung haben Rechtsprechung und Literatur ein feinziseliertes Netz von Voraussetzungen geschaffen, das im wesentlichen auf eine Unterscheidung zwischen wertbezogenen (“sittlich-fundierten”) und wertneutralen Normen hi- 223 S. dazu das instruktive Urteil des OLG Frankfurt vom 19.4.2001, AZ 6 U 184/00, nicht veröffentlicht. 102 nausläuft224. Während die Verletzung sittlich fundierter Normen in aller Regel zu einem Wettbewerbsverstoß i.S.v. § 1 UWG führen soll, werden bei den “wertneutralen” Normen zusätzliche wettbewerbsrelevante Umstände gefordert, insbesondere muss es zu einem ungerechtfertigten Wettbewerbsvorsprung kommen können. Diese Unterscheidung ist im Schrifttum zwar auf Kritik gestoßen225. Die Rechtsprechung geht jedoch im Grundsatz davon aus, dass ein Normverstoß jedenfalls dann zu einem Wettbewerbsverstoß führt, wenn die Norm einem wichtigen Gemeinschaftsgut dient und von unmittelbar wettbewerbsregelnder Bedeutung ist226. Das Rechtsinstitut des “Rechtsbruch” hat in der Vergangenheit in Deutschland dazu geführt, dass auf der Grundlage von § 1 UWG eine große Anzahl von Gesetzesübertretungen, häufig auch Bagatellverstöße, als Wettbewerbsverstöße verfolgt wurden. Die hierdurch eröffneten Möglichkeiten für ein “Abmahnungswesen” haben den Gesetzgeber anlässlich der UWG-Novelle von 1994 bewogen, die Aktivlegitimation des nicht unmittelbar betroffenen Mitbewerbers einzuschränken. Demgegenüber wurde von der Einführung einer generellen “Spürbarkeitsschwelle” bei § 1 UWG abgesehen227. Diesem Erfordernis hat die neuere Rechtsprechung jedoch indirekt dadurch Rechnung getragen, dass sie die Auswirkungen des Normverstoßes auf den Wettbewerb stärker als bisher berücksichtigt228 und auch bei wertbezogenen Normen einen Automatismus zwischen Normverletzung und Sittenverstoß gemäß § 1 UWG ablehnt229. Gleichwohl hat die Fallgruppe des “Rechtsbruchs” im deutschen Recht nach wie vor erhebliche praktische Bedeutung; über sie werden häufig straf- oder verwaltungsrechtlich sanktionierte Vorschriften mit dem flexibleren Sanktionssystem und der erweiterten Aktivlegimation des UWG versehen. c) Im Recht der übrigen Mitgliedstaaten ist eine ähnliche dogmatische Durchdringung des Problemkreises der Verletzung außerwettbewerbsrechtlicher 224 Vgl. hierzu Baumbach/Hefermehl, § 1 UWG, Rdnr. 609 ff.; Köhler/Piper, § 1 UWG, Rdnr. 611 ff. 225 Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, 1970; kritisch etwa auch UWG Großkomm/Schünemann, Einl. D 50 f. 226 BGH, GRUR 1990, 611 - “Werbung im Programm”. 227 Auch innerhalb der damals am BMJ eingerichteten Arbeitsgruppe waren die Auffassungen insofern geteilt, vgl. WRP 1997, 167, 168. 228 S. etwa BGH 1993, 980 - “Tariflohnunterschreitung”; Köhler/Piper, § 1 UWG, Rdnr. 622. 229 BGH, GRUR 1999, 1128 - “Hormonpräparate”; BGH, GRUR 2000, 237 “Giftnot-Box”; Köhler/Piper, § 1 UWG, Rdnr. 613. 103 Normen nicht auszumachen. Auch eine vergleichbare Rechtsdurchsetzung ist nicht feststellbar. Soweit ersichtlich, gehen zwar zumindest die europäischen Rechtsordnungen, die eine Generalklausel kennen, davon aus, dass in bestimmten Fällen ein Verstoß gegen außerwettbewerbliche Rechtsnormen zu einem Wettbewerbsverstoß führen kann. Der Ansatz hierfür ist jedoch sehr unterschiedlich. Während in Österreich in etwa die deutsche Position vertreten wird230, nimmt Belgien eine Extremposition ein: Hier gilt jede Verletzung einer jeden außerwettbewerbsrechtlichen Norm, gleichgültig, welchen Normzweck diese verfolgt, als Verstoß gegen die Generalklausel des Art. 93 des Handelspraktikengesetzes231. Im Nachbarland Holland wird demgegenüber die sog. “Relativiteitsleer” vertreten, wonach nur diejenigen Verstöße zu berücksichtigen sind, die den Schutz des Klägers vor dem geltend gemachten Schaden oder der konkreten Interessenbeeinträchtigung bezwecken (jetzt geregelt in Art. 6:167 B.W.). In Spanien ist - als einzigem EU-Land - der Problemskreis spezialgesetzlich geregelt; gemäß Art. 15 UWG ist es verboten, aus der Verletzung von Gesetzen einen bedeutsamen Wettbewerbsvorteil auf dem Markt zu ziehen; die Verletzung wettbewerbsregelnder Normen ist stets unlauter. Welche Voraussetzungen die anderen Mitgliedstaaten im einzelnen aufstellen, lässt sich nicht mit Sicherheit ausmachen, da es sich in der Regel nicht um geschriebenes Recht, sondern um Richterrecht auf der Grundlage der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel handelt. Dieses Richterrecht ist jedoch in keinem der Mitgliedstaaten, auch nicht in Belgien, sehr ausgeprägt. Auch das Problem der missbräuchlichen Abmahnungen scheint ein typisch deutsches zu sein. Da die meisten Mitgliedstaaten der Abmahnung keine vergleichbare Bedeutung einräumen, insbesondere die Kosten dieser nicht geltend gemacht werden können, gibt es selbst in Ländern mit ähnlich weiter Aktivlegitimation keinen Anreiz zur Verfolgung von Bagatellverstößen. d) Auf Gemeinschaftsebene erscheint eine Regelung des Vorsprungs durch Rechtsbruch insbesondere angebracht, ob dieser Tatbestand das notwendige Bindeglied zu den rechtlichen Rahmenbedingungen bildet, innerhalb derer sich ein lauterer Wettbewerb zu bewegen hat. Diese Regelung sollte nicht auf einer Unterscheidung zwischen wertneutralen und sittlich fundierten Normen aufbauen, da diese Unterscheidung den meisten anderen Mitgliedstaaten fremd ist und auch in Deutschland nicht zu überzeugenden Ergebnissen geführt hat. Konsensfähiger zumindest in den kontinentaleuropäischen Staaten wäre eine auf die jeweiligen Schutzzwecke abstellende Regelung; für die Dis230 Vgl. ÖOGH ÖBl. 1991, 67 - “Bankfeiertag”. 231 Dazu Schricker/Henning-Bodewig, Werberecht in Europa, Belgien 1995, Rdnr. 35. 104 kussion könnte die spanische Regelung als Ausgangspunkt herangezogen werden. Mindestvoraussetzung wäre, dass es sich um ein marktgerichtetes Verhalten handelt, das zudem spürbare Auswirkungen auf den Wettbewerb hat. B Zusammenfassung I. Allgemeines 1. Das Recht des unlauteren Wettbewerbs - Begriff, Schutzzweck, Abgrenzung Das Recht des unlauteren Wettbewerbs im traditionellen Sinn (vgl. Art. 1, 10bis PVÜ) ist dazu bestimmt, die konkurrierenden Unternehmen als einzelne und als Gruppen vor Verfälschungen des Wettbewerbs zu schützen. In neuerer Zeit hat sich ein Wandel des Schutzzwecks durchgesetzt: Nach einer verbreiteten und auch in der EG-Richtlinie über irreführende Werbung anerkannten Auffassung geht es um den Schutz nicht nur der Anbieter, sondern auch der Nachfrager, insbesondere der Letztverbraucher und der Allgemeinheit (Schutzzwecktrias). In den Mitgliedstaaten wird dieser Schutz z.T. in einheitlichen, z.T. in unterschiedlichen Zwecken dienenden Gesetzen gewährt. Für die Harmonisierung bietet sich das Modell einer einheitlichen, die in der Schutzzwecktrias zusammengefassten Schutzzwecke berücksichtigenden und zum Ausgleich bringenden Normierung an. Sie sollte jedes Handeln zu geschäftlichem Zweck erfassen und nicht von einem Wettbewerbsverhältnis oder Wettbewerbszweck abhängig sein. Was den Verbraucherschutz betrifft, so bleiben das Vertragsrecht, das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen und die Produkthaftung außerhalb des zu regelnden Bereichs. Gegenüber den Sonderschutzrechten wie Patent, Marke und Urheberrecht ist das Recht des unlauteren Wettbewerbs selbständig und kann insbesondere ergänzend eingreifen. Für die freiwillige Selbstkontrolle sollte Raum bleiben. 2. Europäisches Gemeinschaftsrecht und Recht des unlauteren Wettbewerbs Solange keine Harmonisierung erfolgt ist, bleibt das Recht des unlauteren Wettbewerbs Sache der Mitgliedstaaten. Die Anwendung des nationalen Rechts unterliegt im Einzelfall jedoch der Kontrolle unter dem Aspekt der Waren- und Dienstleistungsfreiheit des EGV. 105 Was die kollisionsrechtliche Beurteilung betrifft, so wird in den Mitgliedstaaten an das Recht des Begehungsortes angeknüpft, was i.d.R. zur Maßgeblichkeit des jeweiligen Marktrechts führt. Abweichend hiervon ist nach der Fernsehrichtlinie und der E-commerce-Richtlinie auf das Recht des Ursprungslands abzustellen. Soweit die einschlägigen Rechtsvorschriften nicht harmonisiert sind, werden durch das Ursprungslandprinzip in bedenklicher Weise NiedrigStandard-Standorte gefördert und ein Sog in Richtung auf den Abbau der wettbewerbsrechtlichen Kontrolle ausgeübt. Unter dem Aspekt der Warenverkehrsfreiheit hat der EuGH zunächst eine weit erstreckte Überprüfung der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften durchgeführt, von der nach der Keck-Rechtsprechung nunmehr Vorschriften betreffend “Verkaufsmodalitäten” ausgeklammert werden. Noch wenig entwickelt ist die Anwendung der Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit. Insgesamt wird in der Rechtsprechung des EuGH eine Tendenz zur Liberalisierung, insbesondere gegenüber dem deutschen Wettbewerbsrecht deutlich. Der EuGH wird aber freilich nur punktuell tätig; eine legislative Harmonisierung wird dadurch nicht ersetzt. Das zunächst auf den Gesamtbereich des Rechts des unlauteren Wettbewerbs erstreckte Harmonisierungsprogramm der Kommission hat sich in der Folge auf die in den beiden Richtlinien von 1984 und 1997 behandelte irreführende und vergleichende Werbung verengt. Maßgeblich hierfür war die vorrangige Ausrichtung auf den Verbraucherschutz und der Widerstand des Vereinigten Königreichs und Irlands gegen eine allgemeine Regelung des in diesen Ländern als Rechtsgebiet nicht vertretenen Rechts des unlauteren Wettbewerbs. 3. Internationales Recht Die Pariser Verbandsübereinkunft, der alle Mitgliedstaaten der EU angehören, unterstellt den Schutz gegen unlauteren Wettbewerb der Inländerbehandlung und verpflichtet dazu, einen solchen Schutz nach Maßgabe von Generalklausel und Einzeltatbeständen in Art. 10bis zu gewähren. Die WIPO Model Provisions knüpfen hieran an und bringen gewisse Ergänzungen. Insgesamt bleibt der Schutz jedoch auf wenige “klassische” Tatbestände beschränkt und wird der modernen Entwicklung nicht gerecht. Das TRIPS-Übereinkommen befasst sich nur mit dem Schutz geographischer Bezeichnungen und nicht offenbarter Informationen (Art. 22-24, Art. 39). 106 II. Themen einer möglichen Harmonisierung Die Richtlinie über irreführende Werbung schreibt zwar nur die Einhaltung eines Mindeststandards vor und enthält sich einer Präzisierung des Begriffs der Irreführung. Entgegen den Befürchtungen einer verbreiteten Kritik wirkt sie sich aber doch deutlich in Richtung auf eine Angleichung des Verbotsniveaus in der Praxis der Mitgliedstaaten aus. In dieser Richtung wird insbesondere der vom EuGH definierte Standard des “durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers” spürbar. So scheint die deutsche Rechtsprechung in einem Abbau ihrer exzessiven Strenge begriffen, während in einem Niedrigstandardland wie Italien eine deutliche Anhebung des Verbotsniveaus zu beobachten ist. Angesichts dieser Entwicklungen erscheint die Richtlinie gegenwärtig nicht korrekturbedürftig; es kann abgewartet werden, zu welchen Ergebnissen ihre Anwendung im weiteren Verlauf führt. Die Regelung der vergleichenden Werbung ist noch zu jung, um bereits hinsichtlich ihrer Effizienz abschließend beurteilt zu werden. Klärungsbedürftig erscheint die Reichweite der Richtlinie hinsichtlich der Anschwärzung und der einseitigen Kritik, der persönlichen Bezugnahme und der anlehnenden Werbung. Zumindest der “klassische” Tatbestand der Anschwärzung wie auch die persönliche Bezugnahme sollten Gegenstand einer weiteren Harmonisierung bilden. Im Kennzeichenrecht bedarf das Nebeneinander von Sondergesetzen und dem allgemeinen Wettbewerbsschutz gegen Verwechslungsgefahr näherer Überlegung. Die GemeinschaftsmarkenVO und die Erste Markenrechtsrichtlinie geben die Bahn für den Wettbewerbsschutz frei. Dieser erscheint zur Ergänzung der Sondergesetze unentbehrlich. Die Tatbestände von Boykott, wirtschaftlicher Diskriminierung, Preisunterbietung und Schutz von Vertriebsbindungen sind überwiegend kartellrechtlich geprägt; sie können bei der lauterkeitsrechtlichen Harmonisierung ausgeklammert werden. Auch wenn vielfach in Sondergesetzen behandelt, sollte das Zugaberecht unter dem weitergreifenden Aspekt der Wertreklame in das Harmonisierungsprogramm einbezogen werden. 107 III. Einzelthemen der Harmonisierung Im Einzelnen sind für eine Harmonisierung folgende Vorschläge zu machen: 1. Generalklausel Das harmonisierte Recht bedarf notwendig einer Generalklausel. Sie sollte sich an die Einzeltatbestände anschließen. Wesentlich für die Unlauterkeit sollte sein, dass im geschäftlichen Verkehr unter Verletzung der guten Sitten die Interessen der Anbieter, Abnehmer und/oder der Allgemeinheit beeinträchtigt werden oder der Gefahr einer Beeinträchtigung ausgesetzt sind. Wettbewerbsverhältnis oder Wettbewerbsabsicht sollten nicht vorausgesetzt werden. 2. Hervorrufen von Verwechslungen (wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz) Das Hervorrufen von Verwechslungsgefahr ist als unlauterer Wettbewerb zu verbieten. Der Schutz sollte vom sondergesetzlichen Schutz für Marken und andere Kennzeichenrechte unabhängig sein. Geschützt werden sollten originär kennzeichnungskräftige Elemente ab Erstbenutzung, sonstige Elemente ab der Erlangung von Kennzeichnungskraft. 3. Sklavische Nachahmung Eine Regelung der sklavischen Nachahmung außerhalb des Tatbestandes der Verwechslungsgefahr erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt wegen der unterschiedlichen Rechtsauffassungen in der EU mit Schwierigkeiten verbunden. Gleichwohl sollte der Versuch einer Angleichung unternommen werden. Bei der Diskussion möglicher Regelungsmodelle könnte u.a. von der AIPPIResolution (1995) und dem WIPO-Vorschlag ausgegangen werden. Diese stellen vor allem auf die Ausbeutung von goodwill und Ruf und/oder die Beeinträchtigung des Unterscheidungsvermögens (dilution) ab. 4. Anschwärzung, persönliche Bezugnahme Die Anschwärzung, die sonstige einseitige Kritik wie auch die persönliche Bezugnahme sollten der Richtlinienregelung für die vergleichende Werbung unterstellt werden. Wahre, sachliche Angaben sollten toleriert; Anschwärzung und persönliche Bezugnahme verboten werden. 108 5. Geheimnisschutz Harmonisierung des Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen in Ausführung von Art. 39 des TRIPS-Übereinkommens. Regelung des Geheimnisbegriffs und der Verletzungstatbestände unter besonderer Berücksichtigung der Position der Arbeitnehmer. 6. Tarnung von Werbung Werbung und sonstige Maßnahmen der Absatzförderung sollten als unlauterer Wettbewerb verboten werden, wenn ihr kommerzieller Charakter für das angesprochene Publikum nicht klar und unmissverständlich erkennbar ist. Erfolgt eine Verbreitung über Medien, die nicht nur Werbeträger sind, sondern zugleich anderen Zwecken (Information, Unterhaltung etc.) dienen, so ist von einer Werbung oder sonstigen Absatzförderungsmaßnahme insbesondere dann auszugehen, wenn für das Einräumen der Werbemöglichkeit ein Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung gefordert oder angenommen wird. Die natürliche oder juristische Person, in deren Auftrag die Werbung oder Absatzförderungsmaßnahme erfolgt, muss eindeutig identifizierbar sein, sofern das angesprochene Publikum hieran ein berechtigtes Interesse hat. 7. Belästigende Werbung Werbung und sonstige Maßnahmen der Absatzförderung, die den Verbraucher in unzumutbarer Weise belästigen, indem sie ihn durch aggressive Verkaufsmethoden in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen oder gegen seinen manifestierten Willen, etwa durch unerbetene Haustürgeschäfte, Werbesendungen, Telefonanrufe, Faxe, E-Mails etc. in seine Privatsphäre eindringen, sind als unlauterer Wettbewerb zu verbieten. Die Nichtbeachtung von “opt-out”-Systemen, die von den betreffenden Branchen einzurichten sind, sollte stets als unlauterer Wettbewerb angesehen werden; für bestimmte Bereiche wäre auch eine „opt-in“-Lösung zu erwägen. 8. Gewinnspiele Zu Absatzförderungszwecken veranstaltete Gewinnspiele, bei denen ein Einsatz zu leisten ist, sind, - ebenso wie die Werbung für diese, - als unlauterer Wettbewerb zu verbieten. Gleiches gilt, wenn der Eindruck erweckt wird, dass der Kauf von Waren oder die Inanspruchnahme entgeltlicher Dienstleistungen die Gewinnchancen erhöhen könnten. Auf die Bedingungen der Teilnahme, die Modalitäten des Gewinnspiels und die Durchführung der Gewinnverteilung 109 ist klar und unmissverständlich hinzuweisen. Überlegenswert wäre, ob derjenige, der bei sweepstakes etc. den Eindruck erweckt, der Empfänger eines Loses sei bereits Gewinner eines Preises, zur Einlösung verpflichtet sein sollte. 9. Progressive Kundenwerbung Systeme der progressiven Kundenwerbung (Schneeballsysteme etc.), bei denen dem Verbraucher Waren oder Dienstleistungen angeboten und den Abnehmern besondere Vorteile für den Fall versprochen werden, dass diese andere zum Vertragsschluss zu entsprechenden Bedingungen veranlassen, sind als unlauterer Wettbewerb zu verbieten. Das Verbot sollte weit genug sein, um auch Kettenbriefsysteme mit gewerblichem Charakter zu erfassen. Neben zivilrechtlichen Sanktionen sollten auch strafrechtliche Sanktionen vorgesehen werden. 10. Verletzung von Grundwerten Werbung und sonstige Maßnahmen der Absatzförderung sind als unlauterer Wettbewerb zu verbieten, wenn sie gegen Grundwerte der Gesellschaft verstoßen, insbesondere die Menschenwürde verletzen, nach Rasse, Geschlecht, Nationalität diskriminieren, religiöse Gefühle verletzen, abergläubige Vorstellungen, Gefühle der Angst, des Mitleids oder des sozialen Engagements missbrauchen, Umweltschutzzielen zuwiderlaufen oder die Unerfahrenheit bzw. Leichtgläubigkeit von Kindern oder Jugendlichen ausnutzen. Bei einem “Social”- oder Umweltsponsoring muss es sich um einen substantiellen, tatsächlich erbrachten Beitrag zu dem in der Werbung unmissverständlich offengelegten Zweck handeln; hierfür sollte der Werbende beweispflichtig sein. 11. Wertreklame Maßnahmen der Absatzförderung wie Preisnachlässe, Sonderangebote, Geschenke, Zugaben, Kopplungsgeschäfte und Kundenbindungssysteme sollten, ebenso wie die für sie betriebene Werbung, nur dann als unlauterer Wettbewerb verboten werden, wenn die Bedingungen ihrer Inanspruchnahme und der tatsächliche Wert des Angebots und der gewährten Vorteile nicht klar und unzweideutig erkennbar sind. Bei Preisnachlässen obliegt der Nachweis, dass der höhere Preis zuvor während einer angemessenen Zeit praktiziert wurde, dem den Preisnachlass Gewährenden. 110 12. Verletzung außerwettbewerbsrechtlicher Rechtsnormen Die zu Absatzzwecken erfolgende Verletzung außerwettbewerbsrechtlicher Rechtsnormen, die einen mit dem Wettbewerbsrecht übereinstimmenden Schutzzweck aufweisen oder von unmittelbar wettbewerbsregelnder Bedeutung sind, sollte als unlauterer Wettbewerb verboten werden, wenn es hierdurch zu spürbaren Auswirkungen auf den Wettbewerb des jeweiligen Marktes kommt.