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Robotik-Register
„Wir beobachten derzeit einen Hype“
Das Robotiksystem da Vinci ist derzeit das einzige mit breiter internationaler Zulassung.
Weitere Geräte drängen auf den Markt.
Quelle: Intuitive Surgical
22.12.2015 Chirurgieroboter kosten sehr viel Geld. Eine Investition, die sich lohnt,
versprechen die Hersteller. Denn mit Hilfe robotischer Assistenzssysteme können
Chirurgen in Bereiche des menschlichen Körpers vordringen, zu denen der
Zugang sonst sehr schwer ist. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und
Viszeralchirurgie (DGAV) will die Qualität der Operationsergebnisse beobachten. Im
nächsten Jahr startet sie deshalb ein Register für roboterassistierte Eingriffe. Über
die Beweggründe sprach Medizintechnologie.de mit Professor Heinz Buhr,
Präsident der DGAV, der das Register federführend mitgestaltet hat. von Jana
Ehrhardt-Joswig
Herr Professor Buhr, die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie
(DGAV) startet im kommenden Jahr ein Robotik-Register. Warum?
Wir beobachten derzeit einen regelrechten Robotik-Hype. Die Firmen pushen diese
Technologie sehr, demnächst wird es auf dem deutschen Markt Geräte von mehreren
Anbietern geben. Diesen Trend möchte die DGAV begleiten und die Qualität der
Verfahren beobachten. Unser erstes Register war ein Notes-Register. Notes steht für
„Natural Orifice Translumenal Endoscopic Surgery“, das ist ein minimal-invasives
Operationsverfahren, bei dem der Zugang zur Bauchhöhle über natürliche
Körperöffnungen erfolgt. Zuvor hatten sich Ende der 80-er Jahre minimal-invasive
Verfahren in Deutschland etabliert. Damals ging ein Lauffeuer durch die Chirurgie. Alle
wollten das anbieten. Dabei sind sehr viele Komplikationen aufgetreten. Das sollte uns
mit den Notes-Operationen nicht wieder passieren. Deshalb haben wir 2008 das
Register gegründet. Mittlerweile ist es das weltweit größte Notes-Register. Auf diesem
Boden sind dann mehrere andere Register entstanden. Und nun eben das RobotikRegister. Wir wollen sehen, ob die Roboterassistenz etwas bringt, oder ob da einige
Chirurgen ihren Spieltrieb ausleben.
Auf welche Indikationen wird sich das Register beziehen?
Wir bleiben bei den allgemein-viszeralchirurgischen Eingriffen. Wir starten mit
Operationen am Mast- und Dickdarm und wollen das sehr bald auf Operationen an der
Bauchspeicheldrüse und an der Luftröhre ausweiten.
An wie vielen Kliniken in Deutschland werden diese Eingriffe roboterassistiert
durchgeführt? Und wie viele davon werden sich am Register beteiligen?
Bislang verfügen nur sehr wenige
Kliniken über Chirurgieroboter, ich
schätze mal 15. In erster Linie sind
das Krankenhäuser der
Maximalversorgung oder
Universitätskliniken. In den
allermeisten Fällen haben diese
Krankenhäuser die Roboter
ursprünglich für die Urologie
angeschafft, und die Allgemeinund Viszeralchirurgen nutzen sie
mit. An der Erstellung des RobotikRegisters sind vier Kliniken beteiligt.
Das erscheint mir sehr wenig.
Wenn man ein Register aufbauen
möchte, das man innerhalb von
DGAV-Sekretär Heinz Buhr: "Ich gehöre einer
Generation an, die das Gewebe spüren möchte."
Quelle: DGAV
kurzer Zeit wissenschaftlich
auswerten kann, kann man nur mit wenigen Kliniken starten. Sonst bekommt man das
nicht hin. Außerdem bin ich fest davon überzeugt, dass sehr bald mehr Kliniken
mitmachen werden, wenn wir erst einmal mit dem Register angefangen haben.
Wie viele Datensätze werden diese Kliniken innerhalb eines Jahres liefern?
Wir werden ungefähr auf 200 Datensätze im Jahr kommen.
Welche Daten wollen Sie erfassen?
Wir werden das Robotik-Register an unser anderes Register für kolorektale Eingriffe –
also für Operationen am Mast- und Dickdarm – anflanschen. Darin erfassen wir 40
Risikofaktoren, beispielsweise ob der Patient Diabetiker, Raucher, pflegebedürftig oder
alkoholabhängig ist, die gesamte Diagnostik, und 20 Qualitätsindikatoren, also
Outcome-Parameter. Diese ergänzen wir um Robotik-spezifische Aspekte. Das sind
dann Fragen wie: Wo sitzt der Tumor? Wie lange dauert es, um den Roboter
anzuschließen? Wird ein zusätzlicher Trokar benötigt? Welche Anastemosetechnik
wurde angewendet? Und noch zahlreiche andere.
Das klingt nach einem relativ großen Aufwand für den Chirurgen, der das alles
dokumentieren muss. Was hat er im Gegenzug davon?
Er kann jeden Tag ins Register schauen und die Qualität seiner Arbeit analysieren. Er
sieht dann schwarz auf weiß, bei wie vielen Patienten nach der Operation eine
Wundinfektion oder eine Anastomoseninsuffizienz – das ist ein Nahtbruch – aufgetreten
ist. Er kann das nicht nur für sich selbst analysieren, sondern – anonymisiert – für seine
gesamte Abteilung. Die Klinik bekommt einmal im Jahr einen Report und kann dem
entnehmen, wie sie im Vergleich zu anderen Kliniken steht.
Mehr über Robotik auf
Medizintechnologe.de
Erste Hinweise auf
zusätzliche Vorteile
Neben den Vorteilen für die einzelnen Chirurgen und
Krankenhäuser verfolgen wir aber auch ein
übergeordnetes Ziel. Wie Sie wissen, wird das neue
Institut für Qualität und Transparenz im
Gesundheitswesen demnächst damit anfangen, die
Dossier: Unterstützen,
Qualität von Krankenhäusern zu beurteilen. Dazu
nicht ersetzen
werden sehr wahrscheinlich die Routinedaten der
Krankenhäuser herangezogen. Die Risikofaktoren der
Patienten gehen nur eingeschränkt aus diesen Abrechnungsdaten hervor. Wir liefern mit
unserem Registerreport eine Risikoadjustierung. Das heißt, dass wir die aufgetretenen
Komplikationen mit den vor der Operation bestehenden Risikofaktoren der Patienten
abgleichen. Erst dadurch wird eine faire Betrachtung von Komplikationen möglich.
Letzter Punkt: Auf Basis unserer Registerdaten hat das Institut für Informatik der
Ludwig-Maximilians-Universität München einen Risikorechner entwickelt. Der Chirurg
gibt die Risikofaktoren des Patienten in ein Computerprogramm ein, und die Software
errechnet dann das Operationsrisiko. Anders ausgedrückt: Kann der Patient einen
großen Tumoreingriff verkraften, oder ist ihm mit einem kleineren Eingriff,
beispielsweise einem künstlichen, vorgeschalteten Darmausgang eher geholfen?
Wer finanziert das Register?
Wir finanzieren das Register über die Mitgliedsbeiträge. Kliniken, die am Register
teilnehmen möchten, zahlen 300 Euro. Es sei denn, sie sind von uns zertifiziert, dann
entstehen ihnen für die Registerteilnahme keine zusätzlichen Kosten.
Was glauben Sie persönlich, noch ganz ohne ein Robotik-Register ausgewertet zu
haben: Wer schneidet besser ab: der Chirurg mit dem Skalpell oder der mit dem
Chirurgieroboter?
Ich glaube nicht, dass der Chirurg mit dem Skalpell wesentlich schlechter abschneidet.
Ich gehöre aber auch noch einer Generation an, die das Gewebe spüren möchte.
Es gibt Geräte, die dem Chirurgen eine taktile Rückmeldung geben, so dass er spürt,
durch was er gerade schneidet.
Chirurgie ist höchste Ästhetik. Wer sehen kann, wie der Mastdarm unten im kleinen
Becken von tausend kleinen Fasern festgehalten wird, bekommt höchste Achtung vor
der Schöpfung. Wenn man in den richtigen anatomischen Schichten operiert, dann
blutet es auch nicht. Man schneidet also nicht, man operiert einfach.
Ist zitterfreies Operieren denn kein Vorteil? Und ist der Roboter dem Chirurgen in
dieser Hinsicht nicht überlegen?
Ein Chirurg zittert nur, wenn er überfordert ist.
Vielen Dank für das Gespräch!
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