Element of Lights

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The Bell Laboratory & Pantha du Prince
Elements Of Light
Elektronische Musik mit Glockenklang als akustischem Hauptakteur? Wer das Schaffen
von Hendrik Weber mitverfolgt hat, wird in der hier vorliegenden Veröffentlichung die
konsequente Fortführung seiner in den letzten zehn Jahren mit großer Ernsthaftigkeit
und Akkuratesse betriebenen künstlerischen Bemühungen erkennen. Das in
Zusammenarbeit mit The Bell Laboratory konzipierte und eingespielte Projekt ist nicht
mehr und nicht weniger als der Versuch, die Formsprache von Techno, einer Musik, die
während der 80er und 90er Jahre in der Clubkultur begründet wurde und die sich
mittlerweile zu einer Kunstform in ihrem eigenen Recht entwickelt hat, über sich selbst
hinauszutreiben.
Unterstützt durch den norwegischen Komponisten Lars Petter Hagen und sechs
Perkussionisten unterschiedlichster künstlerischer Herkunft hat Hendrik Weber mit
»Elements Of Light« eine genreübergreifende sonische Plattform geschaffen. Sounds und
Strukturmerkmale aus House und Minimal Music, Jazz und Neuer Musik, Gamelan und
sakralen Klängen westlicher Prägung laufen ineinander und organisieren sich zu einer
komplexen musikalischen Textur, ohne die einzelnen Elemente in ihrer Eigenheit zu
beschädigen, ohne das eine zu den Bedingungen des anderen zum Verschwinden zu
bringen. Alles soll sich frei entfalten, schwingen und ausklingen, sich dem Lauf der
Geschehnisse mit seinen Gesetzmäßigkeiten fügen - eine Welt, in der die Intentionen
eines Autoren nur noch sehr bedingt eine Rolle spielen.
Das Album besteht aus fünf miteinander verwobenenen Einheiten, jeweils benannt nach
einem physikalischen Phänomen, das an der Entstehung von Licht beteiligt ist: »Waves«,
»Particle«, »Photon«, »Spectral Split«, »Quantum«. Sie zusammen ergeben einen einzigen
Track, der ohne Pausen auskommt, und setzen einen majestätisch dahinfließenden und
doch fragilen Spannungbogen in Gang. Phasen fast metaphysischer Ruhe stehen in
stetigem Wechsel mit klimaktischen Aufschwüngen von hoher Ereignisdichte. Bei aller
Unterschiedlichkeit der Gestaltungsmittel bleiben die musikalischen Abläufe über die
gesamte Spieldauer von 43:30 Minuten hinweg so plausibel und kohärent, dass an
keiner Stelle der Verdacht des Eklektizismus aufkommt.
»Elements Of Light« ist eine Reise von Klang in Zeit und Raum, eine schon allein in
physischer Hinsicht, aber auch in den kulturellen Bedeutungen des Wortes
grenzüberschreitende Musik, für die es erst in Ansätzen einen sozialen und
institutionellen Rahmen gibt. Es ist nicht unbedingt ein Widerspruch, sondern eine von
vielen in seinem Werk anzutreffenden (und ausgehaltenen) kognitiven Dissonanzen,
dass dieses Album in seiner Gestalt und in seinem Habitus dennoch weiterhin den Geist
von Techno atmet, wenn auch in einem stark erweiterten Sinn. Eine bis aufs rhythmische
Gerüst skelettierte Interpetation elektronischer Musik, wie sie durch Basic Channel,
Maurizio und Wolfgang Voigt auf den Weg gebracht wurde, trifft auf Anrufungen
überindividueller Ordnungen und säkularisierte Epiphanien. Sie sind inspiriert von einer
intensiven Auseinandersetzung mit künstlerischen Vorbildern – allen voran John Cage
und Iannis Xenakis, Steve Reich und LaMonte Young, Sun Ra und Moondog.
Bereits auf seiner letzten Veröffentlichung unter dem Namen Pantha du Prince, dem zu
Recht als künstlerischer Durchbruch gefeierten »Black Noise«, waren kompositorische
Strukturen und Klangfarben zu hören, die das musikalische Geschehen auch auf diesem
Werk prägen. Nicht nur elektronisch generierte und vorgefundene, also bereits
digitalisierte und gesamplete Materialien kamen auf dem Vorgänger zum Einsatz,
sondern auch Field Recordings und Geräusche, die durch die Anwendung von
Kontaktmikrophonen an natürlichen und hergestellten Objekten entstanden waren. Das
versetzte Hendrik Weber in die Lage, eine schier unbegrenzte Anzahl an Sounds in seine
Datenbank einzuspeisen. Das Ergebnis war ein elektroakustischer Kosmos, der die
Grenze zwischen organischen und synthetischen Sounds, von Kunst und Natur, wenn
nicht aufhob, so doch in die Schwebe brachte, eine zutiefst poetische Herangehensweise
ans Musikmachen.
Mit »Elements Of Light« wurde das künstlerische Risiko spürbar erhöht. Nahm er bei
»Black Noise« die Rolle eines Kuratoren, eines Produzenten und eines Arrangeurs ein,
der in den Strom digital abgespeicherter und prozessierter Information mit all ihren
kulturellen und kollektivgeschichtlichen Resonanzräumen eintaucht, der sich ganz dem
Sog und der Logik seiner Werkstoffe hingibt, um sie in eine bislang bislang ungehörte
Konfiguration zu bringen und sie mit den Verfahren der Postproduktion nach Belieben
zu modellieren und umzugestalten, so hat sich Weber diesmal ein schwergewichtiges
Gegenüber ins Haus geholt.
Das Album ist kein am Computer entstandenes Artefakt, sondern die in Echtzeit und
unter den Bedingungen eines Studioraums aufgenommene Begegnung eines TechnoMusikers und eines Carillons mit 64 metallenen Glocken, ergänzt durch eine Vielzahl
melodischer und rhythmischer Perkussionsinstrumente: Hochtechnologie im Dialog mit
einem archaischen Klangkörper, der vor 3.500 Jahren im China zu Zeiten der ShangDynastie erfunden wurde und seit dem Mittelalter auch in Europa verbeitet ist.
Die Idee zu dem Projekt kam im Sommer 2010 auf, als sich Hendrik Weber für einen
Auftritt in Oslo aufhielt. Bei einem gemeinsamen Mittagessen schlugen die Musiker und
Kuratoren Mattis With und Håkon Vinnogg, die beiden Köpfe von Panta Rhei Project,
einen Spaziergang zum Oslaer Rathaus vor, der für die Entwicklung eines gemeinsamen
Vorhabens von Bedeutung sein könnte. Im Obergeschoss des modernistischen
Verwaltungsgebäudes befindet sich sich ein weltberühmtes Glockenspiel, auf dem
wechselnde Instrumentalisten mehrmals am Tag ein Konzert geben. Hendrik Weber war
beeindruckt, wie die Frequenzen und Obertöne, frei von jeder Willkür, ihr Eigenleben
entfalten, aufeinander einwirken und sich zu einem öffentlichen Klangereignis
vereinigen, dessen Resonanzraum mehr oder weniger die gesamte Innenstadt der
norwegischen Metropole ist.
Während der folgenden Monate entstand die musikalische Grundstruktur einer
Symphonie für Elektronik, Carillon und Perkussion. Hendrik Weber arbeitete hier
zunächst auf gleiche Weise wie bei allen bisherigen Veröffentlichungen von Pantha du
Prince: allein im Berliner Heimstudio. Bereits an diesem Punkt war bereits klar, dass er
im Vergleich zu seinem letzten Album die Fülle der verwendeten Materialien reduzieren
musste, um das Stück aufführbar zu halten, die Anzahl von Ereignissen pro Minute ist
geringer. Das könnte ein Grund sein, warum der so entstandene Track erstaunlich kurz
wirkt. »Elements Of Light« ist in dieser Hinsicht auch eine Meditation zum Verhältnis
zwischen erlebter und objektiv messbarer Zeit.
Als es darum ging, die Komposition so zu arrangieren und zu notieren, dass sie für
einen mit natürlichen Instrumenten arbeitenden Klangkörper umsetzbar wird, kamen
wieder die beiden Macher von Panta Rhei Projekts ins Spiel. Sie schlugen ihm Musiker
vor, die in der Lage sein könnten, mit ihm im Studio zu arbeiten, kümmerten sich um
die Beschaffung geeigneter Instrumente und brachten ihn mit Lars Petter Hagen
zusammen, einen Spezialisten für elektroakustische Musik, der als musikalischer
Kollaborateur bei der Erstellung der Partitur, der Orchestrierung und der Ausgestaltung
des Ensembles, The Bell Laboratory, eine entscheidende Rolle spielte.
Für die Aufnahmen musste das tonnenschwere musikalische Gerät von Dänemark nach
Deutschland verfrachtet werden. Bei den sich anschließenden Sessions wurden die
Manuale von Vegar Sandholt bedient, dem gleichen Carillonisten, den Hendrik Weber bei
seinem Besuch in der norwegischen Hauptstadt gehört hatte. Mit Håkon Stene
(Norwegische Musikakademie), Erland Dahlen (Nils Petter Molvaer Trio), Martin
Horntveth (Jagga Jazzist) und Heming Valebjorg (Osloer Philharmoniker) kamen weitere
vier Spieler hinzu. Sie bereicherten das Instrumentarium um seltene Perkussions, die sie
selber gefunden hatten und in das Projekt einbrachten.
Die Zusammenkünfte verliefen in einer Atmosphäre von Gleichberechtigung und
künstlerischer Komplizenschaft. Obwohl die musikalischen Abläufe über weite Strecken
im Vorfeld festgelegt und auskomponierten worden waren, gab es doch genügend Raum
für individuelle Beiträge und Ideen. So sind der Anfangsteil und die Schlusspartie,
genauso wie der in der Mitte gelegene Part »Choir Chimes«, das Ergebnis
improvisatorischer Aktivitäten.
Das Carillon mit seinem schwer vorhersagbaren Klangverhalten bleibt indes das
Gravitationszentrum von »Elements Of Light«. Es schafft unverrückbare Tatsachen,
musikalische Determinanten, nach denen sich auch die computergesteuerten Prozesse
richten müssen. Nie schwingen seine Töne so ein, wie es elektronische Simulationen
errechnen würden. Das macht dieses Instrument zu einem der Ursprünge
zufallsgenerierter Musik.
Die Erhabenheit des durch das Carillon ausgelösten Klanggeschehens erinnert daran,
dass Musik innerhalb ritueller Verwendungszusammenhänge entstanden ist. Sie war, wie
der Ökonom Jacques Attali in seinem wirkungsmächtigen Essay »Bruits« (engl. »Noise«)
dargelegt hat, in ihren Anfängen ein Attribut erst religiöser, dann feudaler und oft auch
militärisch durchgesetzter Macht, bevor sie sich zu einem nunmehr demokratisierten
Selbstverständigungsmedium des Bürgertums wandelte.
Mit »Elements Of Light« übersetzt Pantha du Prince spirituelle Erfahrungen, die
üblicherweise in der Sphäre des des Sakralen ihre Heimat haben, in einen der Welt und
dem Reich des Mondänen zugewandten Kontext. Wer in eines seiner Konzerte mit The
Bell Laboratory geht, wird auf geradezu bildhafte Weise erfahren, wie die Glocke, als
totemistische Skulptur, vom Kirchturm genommen und unter die Leute, mitten ins
Publikum, getragen worden ist. Auf der Tanzfläche angekommen, befördern seine
gleichermaßen auf den Verstand und auf die Sinne zielenden akustischen Signale ein
von vielen geteiltes Erlebnis.
»Elements Of Light« strebt nach Entgrenzung und Erleuchtung, gebunden an eine ganz
und gar diesseitige Gemeinschaft, deren Wurzeln im Tribalismus der Technokultur
liegen. Es geht um die Gleichzeitigkeit von Konzentration und Körperlichkeit, die man in
Anlehnung an einen ästhetischen Leitbegriff des Schriftstellers Robert Musil als den
»anderen Zustand« umschreiben könnte. »Wenn sich das Ich ausschaltet«, sagt Hendrik
Weber, »verliert die dadurch hergestellte Ordnung nicht automatisch den Verstand, sie
kann auch an Klugheit gewinnen. Das ist die Intelligenz des Schwarms, nicht unbedingt
im Sinne fragwürdiger Cyberideologie, sondern verstanden als Grundlage einer soziale
Skulptur.«
Christoph Gurk
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