MITARBEITERFÜHRUNG CHANGE MANAGEMENT GLEICHBEHANDLUNG Kritische Situationen als Entscheidungsgrundlage s. 32 Widerstände messen und überwinden s. 54 Personalrekrutierung im Lichte des AGG s.80 Bitte beachten Sie die ORGANISATION Bei Fragen wenden Sie sich bitte an [email protected]. Widerstände messen und beseitigen AUS DER PRAXIS. Widerstände gegen Innovationen zu überwinden, setzt voraus, sie zu kennen. Die Firma Getrag setzt dazu einen Widerstandsradar ein. Von Bernhard Kuntz G roße Veränderungen im Unternehmen sorgen bei der Belegschaft fast immer für Unruhe. Diffuse Bedenken und Unkenntnis können sich zu echten Ängsten entwickeln, zum Beispiel, Einfluss oder gar den Job zu verlieren oder neue, ungewohnte Aufgaben zu erhalten. Hinzu kommen irrationale Ängste, die unter anderem daraus resultieren, dass die Gerüchteküche brodelt und die Mitarbeiter die Auswirkungen der Veränderungen für sich selbst nicht einschätzen können. Die Befürchtungen und Bedenken müssen ernst genommen werden, „denn sonst verdichten sie sich schnell zu Widerständen, die den Erfolg eines Projekts gefährden", betont Dr. Georg Kraus, Inhaber der Unternehmensberatung Kraus & Partner in Bruchsal. Entsprechend wichtig ist es für Unternehmen, bei Veränderungsprojekten zu wissen, welche Ängste die verschiedenen Mitarbeitergruppen haben, denn nur dann können die Verantwortlichen angemessen darauf reagieren. Doch geeignete Instrumente, die erfassen helfen, wie Mitarbeiter (geplante) Veränderungen einschätzen und welche Befürchtungen und Bedenken, aber auch Hoffnungen sie damit verbinden, gibt es kaum. Kraus bemängelt, dass es insbesondere an Instrumenten fehlt, die den potenziellen Widerstand auch „quantitativ messen und somit den Unternehmen Ansatzpunkte liefern, um vorbeugend die Widerstände zu bearbeiten". Dieselben Erfahrungen machte auch Dr. Bernd personalmagazin 09/06 Langer, Leiter des Verantwortungsbereichs Strukturveränderung im Unternehmen Getrag, Untergruppenbach, einem der führenden Hersteller von Antriebstechnik. Ein Instrument zur Visualisierung Immer wieder stellte er auf der Suche nach Instrumenten, die ihm Kenntnisse über Widerstände verschaffen sollten, fest, dass es nichts gab, was dem Bedarf seines Unternehmens, das weltweit circa 10.500 Mitarbeiter beschäftigt, entsprach. Deshalb beschloss er im Frühjahr 2005 gemeinsam mit Norbert Brost, der ebenfalls im Bereich Strukturveränderung - einer Art interner Unternehmensberatung - bei Getrag tätig ist, solch ein Instrument zu entwickeln. Langer und Brost definierten zunächst die Anforderungen an das Instrument. Es soll einfach handhabbar sein. Es soll die Bedenken und Befürchtungen, aus denen Widerstände resultieren können, nicht nur erfassen, sondern auch als Kennzahl messbar und somit vergleichbar machen. Die Ergebnisse sollen zudem so visualisiert werden, dass sie auch für „Laien" leicht und schnell verständlich sind. Und: Die Entwicklungen der Widerstände sollen über einen Zeitraum hinweg beobachtet werden. Nachdem die Anforderungen definiert waren, wurden die Faktoren, an denen sich Widerstände entzünden, ermittelt. Als Quelle wurde diverse Fachlitera- Widerstände der Mitarbeiter systematisch zu messen, ist besser, als auf den Flurfunk zu vertrauen. tur herangezogen. Diese war aber nicht sehr ergiebig, da laut Langer in ihr die „Resistance objects", also die Faktoren, die zum Widerstand führen, meist nur relativ allgemein beschrieben sind. Faktoren des Widerstands ermitteln Bedenken ein, also zum Beispiel, ob die nötigen personellen Ressourcen zur Verfügung stehen. Als „weich" hingegen alle eher persönlichen und emotionalen Bedenken, zum Beispiel „Sinkt durch das Projekt mein Einfluss?" oder „Fühle ich mich der Veränderung gewachsen?". Als ergiebigere Quellen erwiesen sich die Aussagen von Mitarbeitern, zum Beispiel in Workshops, aber auch die Bedenken, die Mitarbeiter in eher informellen Gesprächsrunden äußern, wie zum Beispiel in der Kantine oder gar nur zu Hause im Gespräch mit dem Lebenspartner. Auch diese zu erfassen, war wichtig, „da die Mitarbeiter gerade die Bedenken, die zu den heftigsten Widerständen führen, nur selten offiziell im Unternehmen äußerten". Als Beispiel nennt Langer Befürchtungen wie: „Wenn unser Bereich umstrukturiert wird, kann ich die erhoffte Beförderung vergessen." Oder: „In dem Projekt mache ich die Arbeit und mein Chef erntet die Lorbeeren." Die Brisanz solcher Bedenken kann man laut Kraus nicht hoch genug bewerten, „denn sie führen oft dazu, dass Mitarbeiter zu einem Projekt innerlich auf Distanz gehen, selbst wenn sie dessen Notwendigkeit erkennen". Nachdem die Auslöser von Widerständen zusammengetragen waren, sortierten Langer und Brost diese nach dem Projektstadium mit folgender Fragestellung: Resultieren sie daraus, dass die Mitarbeiter • die Ausgangslage anders einschätzen, • mit dem Weg zum Ziel nicht einverstanden sind oder • sich mit dem Ziel selbst nicht identifizieren können? Zudem sortierten sie die „Resistance objects" danach, ob diese sich eher auf „harte" oder auf „weiche" Faktoren beziehen. Als „hart" stuften sie alle sachlich begründeten Nachdem die beiden Getrag-Mitarbeiter die „Resistance objects" klassifiziert hatten, entwickelten sie das „Resistance Radar". Seine Grundlage bildet ein circa 120 Fragen umfassender Fragebogen. Er fragt alle Punkte ab, die bei Mitarbeitern Widerstände bewirken könnten. Der Fragebogen enthält selbstbewertende und hypothetische Aussagen. Die Mitarbeiter werden also nicht nur nach ihren eigenen Empfindungen gefragt. Sie sollen auch einschätzen, wie zum Beispiel die Person x oder die Personengruppe y reagiert. Dieser Mix ist wichtig, weil die Bedenken der betroffenen Mitarbeiter bezüglich bestimmter Veränderungen oft ganz anders sind, als Führungskräfte und Projektverantwortliche annehmen. Ihr Widerstand entzündet sich damit auch oft an Punkten, bei denen Vorgesetzte und Projektleiter es nicht erwartet hätten. Bei jeder Frage werden den Befragten die drei Antwortmöglichkeiten „trifft voll zu", „trifft teilweise zu" oder „trifft nicht zu" und dazu passende Hypothesen vorgegeben. Beim Auswerten des Fragebogens werden den Antworten zwischen 1 und 5 „Widerstandspunkte" zugeordnet, wobei 5 Punkte für den graduell stärksten Widerstand stehen. Diese Punkte werden anschließend zum „Total Resistance Factor TRF", einer Kennzahl für den Gesamtwiderstand, ermittelt. Beim Auswerten werden die Antworten der Befragten als Widerstandspunkte auf ein „Widerstandsradarbild", die so genann- Fragebogen und Radarbild 09/06 personalmagazin ORGANISATION te „Resistance Radar Map", übertragen (siehe Grafik). Dies ist so gestaltet, dass unmittelbar erkennbar ist, welche Antworten sich auf die Ausgangslage, den Weg zum Ziel oder das Ziel selbst und welche sich auf harte oder weiche Faktoren beziehen. Das Ziel laut Norbert Brost: „Für die Mitarbeiter sowie die Führungskräfte und Projektverantwortlichen soll mit einem Blick erkennbar sein, wo die Knackpunkte liegen und folglich Interventionen sinnvoll wären." Solche Widerstandsradarbilder lassen sich für alle Mitarbeitergruppierungen erstellen - beispielweise für Mitarbeiter eines Bereichs, für Projektverantwortliche sowie für Führungskräfte. Hierfür müssen nur die Mittelwerte der Antworten der jeweiligen Mitarbeiter zu den einzelnen Fragen errechnet und in ein Schaubild übertragen werden. Durch ein Über- oder Nebeneinanderlegen der Radarbilder ergibt sich dann die Möglichkeit zu erkennen, wo zwischen den Mitarbeitergruppen die größten Unterschiede bestehen. Es kann aber, wenn im Verlauf eines Projekts mehrere Befragungen erfolgen, auch schnell ermit- Bei Fragen wenden Sie sich bitte an [email protected]. telt werden, wo sich Veränderungen von Widerständen zeigen. Sind die Widerstände beziehungsweise Bedenken und Befürchtungen erfasst, können sie auch systematisch thematisiert werden – zum Beispiel in Workshops, die im Vorfeld oder im Verlauf des Projekts stattfinden. Erörtert werden können Fragen wie: • Warum zeigen sich im Bereich x, bezogen auf den Weg zum Ziel, die größten Widerstände? • Warum ist der Widerstand auf der Meisterebene größer als auf der Ebene der Teamleiter? • Warum äußern die Logistikmitarbeiter, die dem Projekt anfangs offen gegenüberstanden, plötzlich starke Bedenken? Planung gezielter Maßnahmen Somit kann auch ermittelt werden: Wo sollten wir etwas beziehungsweise was sollten wir tun? „Die Verantwortlichen stochern also", wie Kraus sagt, „beim Planen von Maßnahmen nicht mehr im Nebel." Im Verlauf eines Projekts verändern sich die Widerstände. Daher erstellt Getrag solche Radarbilder: • vor Beginn eines Projekts zur Risikoabschätzung, • zu Beginn eines Projekts, • bei wesentlichen Meilensteinen, • wenn in einem Projekt massive Störungen auftreten und • zur Überprüfung der Wirksamkeit von Interventionen. Kennzahl zur Risikoeinschätzung Das wiederholte Erfassen der Widerstände im Verlauf eines Projekts und das Berechnen der jeweiligen Mittelwerte hat noch einen weiteren Vorteil. Das Unternehmen verfügt über eine Kennzahl, wie sich die Widerstände entwickeln. Aus dem regelmäßigen Einsatz des „Resistance Radar" bei Projekten ergibt sich ein weiterer Vorteil: Getrag kann die Widerstandswerte der Projekte miteinander vergleichen und so eine dementsprechende Risikoabschätzung vornehmen - auch bezogen auf die verschiedenen Projektphasen und Mitarbeitergruppen. Zudem können Teilprojekte eines Großprojekts miteinander verglichen werden. Folglich können die Verantwortlichen auch gezielt entscheiden, auf welche Teilprojekte oder Mitarbeitergruppen sich zukünftige Coaching-Aktivitäten fokussieren sollen. Eingesetzt hat Getrag das Instrument „Resistance Radar" seit Oktober 2005 in mehreren Projekten, zum Beispiel „Optimierung des Einkaufs" und „Gruppenarbeit in der Produktion" - vor allem in den Getrag-Standorten in Deutschland (sieht man von einigen punktuellen Einsätzen in den Werken USA und Schweden ab). Bernd Langer zieht folgendes Fazit: „Durch das Resistance Radar kann oft vermieden werden, dass sich Bedenken und Befürchtungen zu Widerständen verfestigen." Vielmehr helfe es sogar, dass sich den Befragten neue Denkmuster und Perspektiven eröffnen. Damit steige die Erfolgswahrscheinlichkeit von Projekten. • Bernhard Kuntz, Büro für Bildung und Kommunikation personalmagazin 0 9 / 0 6