Identifiers and Identification Methods on tabulae ceratae

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Éva Jakab
University of Szeged
Identifiers and Identification Methods on tabulae ceratae
(The lecture will be in English
At present I can offer a German draft)
Juristische Urkunden in Latein wurden im antiken Rom auf tabulae (Wachstäfelchen)
geschrieben. Die meisten Quellen sind aus Campanien (Pompeji, Herculaneum, Puteoli)
überliefert. Streufunde sind auch aus einzelnen Provinzen bekannt (Ägypten, Dakien,
Britannia). Die hier untersuchte Gruppe von Urkunden stammt aus dem 1. und 2. Jh. n.Chr.
Juristische Probleme wegen falscher Identifikation sind auch in den Entscheidungen der
klassischen römischen Juristen überliefert. Unser erster Text soll zeigen, welcher Natur sie
waren:
D. 47.2.52.21 Ulpianus 52 ad edictum
Cum Titio honesto viro pecuniam credere vellem, subiecisti mihi alium Titium egenum, quasi
ille esset locuples, et nummos acceptos cum eo divisisti: furti tenearis, quasi ope tua
consilioque furtum factum sit: sed et Titius furti tenebitur.
I wish to lend money to a respectable Titius and you present me a penniless Titius, as if he were
opulent, and then share the money with him; you will be liable for theft since theft is committed
through your advice and assistance; Titius will also liable for theft.
Ulpian, der berühmte Jurist bespricht hier einen Betrug, der im römischen Alltag nicht selten
vorgekommen sein dürfte. Ein Geldverleiher (faenerator oder argentarius) wollte sein
Kapital gewinnbringend anlegen und suchte dafür einen passenden Schuldner.
Wahrscheinlich baute er den Kreis seiner Klienten mit der Hilfe von Agenten (Vermittlern)
auf. In diesem Fall dürfte er jedoch an einen unehrlichen Agenten geraten sein. Dieser nutzte
das Phänomen der großen Ähnlichkeit der römischen Eigennamen aus und stellte ihm
zunächst einen redlichen, kreditwürdigen und zahlungsfähigen Vertragspartner vor. Zur
numeratio (Zuzählung der Darlehensvalute) erschien aber ein Schuldner gleichen Namens,
der arm, unzuverlässig und insolvent war.
Unser Gläubiger hat offenbar die Methoden der Identifikation nicht genügend beherrscht oder
unvorsichtig angewendet.
I. Römische Namen als Mittel der Identifikation
Tia nomina: praenomen, nomen gentile, cognomen; eventuell mit agnomina; selten wird auch
die tribus erwähnt.
Peregrine als Parteien: Vatersname, Herkunft.
Anteil der lateinischen, griechischen usw. Namen in den drei grossen Archiven aus
Campanien.
Beruf, sozialer Stand.
Soldaten: Sonderregel, mit Regiment.
Freigelassene – mit dem Namen des Patrons zur Identifizierung; ähnlich auch Sklaven.
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II. Namen: Unterschiede in verschiedenen Typen von Urkunden.
a) Testamente – feierliche Deklarierung des letzten Willens, nach strikten Formregeln. Ein
gutes Beispiel liefert Text 2:
FIRA III 47 (AD 142)
Antonius Silvanus eq(ues) alae I Thracum Mauretanae, stator praef(ecti), turma Valeri,
testamentum fecit. Omnium bonorum meorum castrensium et domesticum M. Antonius
Satrianus filius meus ex asse mihi heres esto …
Antonius Silvanus horseman of the first Mauretanian squadron of Thracians, attendant to the
prefect, in the unit of Valerius made the will. Of all my goods military and domestic let M.
Antonius Satrianus my son be my heir by the as …
(on page 7-8 follow 9 signatores)
Nemonius duplicarius turmae Mari signavi
Iulius Tiberinus sescuplicarius turmae, Valeriou
Turbinius eques signifer turmae Proculi
Valerius [--] Rufus eques signifer …
Maximus duplicarius …. Signavi
….
Antonius Sianus signavi
Das Testament erfüllte im antiken Rom eine wichtige soziale Funktion. Es diente dazu, die
familiären, gesellschaftlichen und politischen Kontakte des Verstorbenen für die Nachwelt
einprägsam zu demonstrieren. Dem entsprechend wurde der Testator besonders feierlich, mit
allen seinen ehemaligen Ämtern und seiner politischen Laufbahn bezeichnet.
b) Testationes (objektiv stilisierte Urkunden, in der dritten Person formuliert, meistens von
einem Schreiber oder Notar angefertigt). Dokumente dieser Art verwenden überwiegend
mehr als eine Methode der Identifikation. Testationes wurden gerne über Kaufverträge,
nomina arcaria (Geldgeschäfte) oder Rechtsgeschäfte bei Versteigerungen ausgestellt. Der
nächste Text zeigt ein gutes Beispiel:
Sale contract (FIRA III 88, AD 142)
Dasius Breucus emit mancipioque accepit puerum Apalaustum, sive is quo alio nomine est,
n(atione) Graecum, apocatum pro uncis duabus, (denariis) DC de Bellico Alexandri, f. r. M.
Vibio Longo.
Eum puerum sanum traditum esse, furtis noxisque solutum, erronem fugitivum caducum non
esse praestari: et si quis eum puerum quo de agitur partemve quam quis ex eo evicerit, quo
minus emptorem supra scriptum eunve ad quem ea res pertinebit uti frui habere possidereque
recte liceat, tunc quantum id erit, quod ita ex eo evictum fuerit, tantam pecuniam duplam
probam recte dari fide rogavit Dasius Breucus, dari fide promisit Bellicus Alexandri, idem fide
sua esse iussit Vibius Longus …
In pag. IV nomina signatorum:
Appi Procli veterani legionis XIII Geminus. Antoni Celeris. Iuli Viatoris. Ulpi Severini. L.
Primi Primitivi. M. Vibi Longi fideiussoris. Bellici Alexandri venditoris.
Dasius Breucus has bought and accepted by a mancipatio a boy Apalaustus or if he is known by
any other name, of Greek nation, accounted for two unciae, for 600 denarii from Bellicus son of
Alexander, with the warranty of M. Vibius Longus.
It is stipulated that this boy was handed over physically sound, not charged with theft and
damage, not a truant or fugitive; but if anyone will claim this boy or any portion of him, as a
result that it would not be granted for the above written purchaser (buyer), or to whom the thing
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may belong, to use, to enjoy the fruits, to hold and possess him rightfully, in that case the
double amount of his value at the time of claiming him shall be paid rightfully, Dasius Breucus
asked in faith and Bellicus, son of Alexander, promised in faith. M. Vibius Longus promised
the same in his faith.
Die Urkunde berichtet von einem Sklavenkauf, der in den canabae neben dem Lager der
Legion XIII Gemina in Dakien abgeschlossen wurde. Wir können beobachten, dass die
Parteien mit ihrem vollen Namen dokumentiert sind. Der Verkäufer trägt einen griechischen
Namen: Bellicus, Sohn des Alexander. Es dürfte sich um einen fliegenden Händler gehandelt
haben, der in dieser Siedlung nicht ansässig war. Offenbar ist der Verkäufer ein Fremder,
deshalb musste er mit einem Bürgen auftreten. M. Vibius Longus steht für seine Geschäfte
ein, wenn sich die jeweiligen Partner später mit Beschwerden melden sollten. Der Bürge dient
natürlich vor allem dazu, für Verpflichtungen des Verkäufers im Falle von künftigen
Beschwerden der Käufer (sogar in einem eventuellen Prozess) Garantie zu leisten. Es liegt
jedoch nahe, dass er für den Fremden auch eine Bezugsperson ist, er kann ihn in seiner
Heimatstadt vorstellen und empfehlen.
c) Chirographa. Das Chirographum ist eine subjektiv stilisierte, in der ersten Person
formulierte Urkunde, die oft (aber nicht zwingend) von der Partei eigenhändig geschrieben
wurde. Schauen wir zum Beispiel den nächsten Text an:
Labour contract (FIRA III 150, AD 164)
[--]cus scripsi rogatus per [--]m Restitutum agnomine Senioris, quia se litteras scire negavit:
fatetur se locasse et locavit operas suas opere aurario ius [---] quidquit opus fuerit ex hac die
in idus Novembres proximas ventures Tito Beusantis qui et Bradua denariis quinque …
[---] I have written asked by Restitutus called also Senior, because he says he is illiterate: he
declared to have let out himself and he let his work for gold-mining [---] any work which will
be from today to the next Ides of November for hundred and five denarii to Titus Beusantis
called also Bradua …
Der üblicherweise kurz gefasste Text folgt einem einfachen Schema und fasst die
wesentlichen Punkte der Vereinbarung zusammen. Die Parteien werden mit der Kurzform
ihrer Namen bezeichnet; weitere Signalements (Herkunft, Beruf usw.) sind selten. Die
chirographa werden typischerweise unter Anwesenden, einander bereits seit langem
bekannten Geschäftspartnern, abgeschlossen. Es handelt sich dabei um langfristige
geschäftliche Beziehungen, deshalb sind spezielle Methoden der Identifizierung überwiegend
entbehrlich. Es ist bemerkenswert, dass gerade das oben zitierte Chirographum agnomina
verwendet.
III. Siegel
Die Siegel dienten auf tabulae als weitere Methode zur Identifikation. Die Römer waren
bereits in der Antike bekannt dafür, dass sie persönliche Siegelringe getragen haben. Plinius
d.Ä. (nat. 33.21) beschreibt die Siegelringe als römische Eigenart. Ateius Capito, ein
bekannter Jurist aus Augustus’ Zeit, schreibt das Untersiegeln mit Siegelringen bereits den
veteres zu (Macrob. Sat. 7.13.12). Der Siegelring verkörpert die Person selbst, seine fides
(Ehre, Vertragstreue), seinen sozialen Status. Cicero schrieb, dass der Siegelring eine testis
(Zeuge) der Persönlichkeit, der gesellschaftlichen Ehre sei. Ursprünglich durften allein
freigeborene römische Bürger Siegelringe tragen – das Urkundenmaterial zeigt aber, dass im
Alltagsleben von Puteoli auch Sklaven als Vertragsparteien Siegel verwendet haben.
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Die juristischen Dokumente wurden üblicherweise untergesiegelt. Man findet jedoch auf den
tabulae eine sehr unterschiedliche Anzahl von Zeugen; auf dieses Problem werden wir noch
zurückkommen.
Es liegt nahe, dass das Untersiegeln eine wichtige, für die Römer sogar zentrale Methode der
Identifikation war.
IV. Bürgen
Die Bürgen treten in Urkunden auf, in denen eine der Parteien eine künftige Verpflichtung
eingeht. Sie wurden oft in Rechtsgeschäften mit herangezogen, in denen Fremde als
Kontrahenten agierten. Auch die Bürgen dienten in diesen Fällen, wie bereits oben erwähnt
wurde, mittelbar als Identifikatoren,
TEXT 3 Sale contract (FIRA III 88)
V. Testes, signatores
Die Zeugen und die Siegel hatten in der römischen Rechtsgeschichte ursprünglich
unterschiedliche Funktionen. Als Zeugen durften zunächst nur freie römische Bürger
auftreten. Die Verwendung von Siegeln ist seit dem 1. Jh. v.Chr. bezeugt.
E. Meyer stellt darauf ab, dass die Anzahl der Siegel in testationes und chirographa deutlich
unterschiedlich ausfiele. Sie meint, dass die testationes mehr Formalitäten verlangten und mit
7 bis 11 Siegeln untersiegelt gewesen seien. Die chirographa basierten hingegen auf der fides
und zeigten deshalb nur 3 bis 6 Siegel; es handele sich nicht um echte Zeugen, eher um
Begleitpersonen, Freunde, die dem Kontrahenten spontan Gesellschaft leisteten und auf
dieser Weise dem Geschäft beiwohnten.
Sind diese Feststellungen stichhaltig?
Kontrolliert man das Archiv der Sulpizier aus diesem Aspekt, bekommt man eher ein anderes
Bild. Die Aussagen von Meyer finden keine Bestätigung.
Legal procedure
Auctions,
Sales
nomina arcaria
Type of
Locationes,
Loans, apochae
mandata
testatio
Testatio
testatio
chirographum
chirographum
Survived
39
20
3
5
21
Tab. II pag. 4
9
7
2
3
8
9 (6 to 9 sign.)
7
2
3
8
document
survived
Sigantores
Worin liegen die Gründe für diese etwas verzerrte Auslegung?
Die Urkunden sind überwiegend fragmentarisch überliefert. Von einem Triptychon kennen
wir selten alle sechs Seiten der drei tabulae vollständig. Es lässt sich jedoch mit Sicherheit
feststellen, dass die Siegel der Zeugen konsequent immer auf tabula II pagina 4 liegen.
Daraus folgt, dass man keine Aussagen über die Anzahl der signatores wagen darf, wenn
diese Seite nicht vollständig überliefert und gelesen wurde.
Die tabellarische Übersicht zeigt, dass die Anzahl der Siegel in den Urkunden, deren
betroffene Seite erhalten ist, in testationes und tabulae keine wesentlichen Abweichungen
zeigt. Diese Beobachtung spricht also entschieden gegen die These von Meyer.
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Das Untersiegeln diente in der historischen Entwicklung des römischen Rechts
unterschiedlichen Zwecken: Einerseits dient Untersiegeln als Identifikation der Kontrahenten
und des Vertragsinhalts; andererseits dient Untersiegeln zum Verschluss des Vertragstextes
im Interesse der Authentizität.
Es ist noch zu bemerken, dass die signatores auf den tabulae konsequent in der Reihenfolge
angeführt wurden, die ihrem sozialen Stand genau entsprach (Andreau, Jongman, Camodeca).
Die Anwesenheit von Zeugen und das Untersiegeln boten jedoch nicht immer genügend
Sicherheit gegen Fälschungen. Bereits Seneca d.J. klagte über die schwindende fides und die
immer größer werdende Bedeutung von Formalitäten in der Urkundenpraxis (Sen. benef.
2.23.2).
VI. Regeln und Gesetzgebung
Die Methode der zuverlässigen, individuellen Identifikation mit Siegelringen hatte ihre
Grenzen, weil der Vertragspartner auch einen fremden Ring (den Siegelring eines anderen,
mit oder ohne dessen Erlaubnis) benutzen konnte. Es reicht hier, auf den berühmten Fall einer
skandalösen Testamentsfälschung aus dem 1. Jh. n.Chr. hinzuweisen, die sich in den obersten
gesellschaftlichen Schichten abspielte (Plin. nat. 33.26).
Gegen Testamentsfälschungen erliess bereits Sulla ein Gesetz (lex Cornelia, 70 v.Chr.). Erst
unter Nero wurde ein Senatus Consultum (Anordnung des Senats) beschlossen, um die
Fälschungen von tabulae (von privaten oder öffentlichen Verträgen auf Wachstäfelchen) zu
verhindern.
Suet. Nero 17
Adversus falsarios tunc primum repertum, ne tabulae nisi pertusae ac ter lino foramina traiecto
obsignarentur; cautum ut testamentis primae duae cerae testatorum modo nomine inscripto
vacuae signaturis ostenderentur, ac ne quis alieni testamenti scriptor legatum sibi ascriberet ...
It was then [in Nero’s emperorship] for the first time (devised) against forgers that no tabulae
should be sealed unless they were bored through and a string passed three times through the
holes; and it was laid down for wills that the first two wax-tablets should be presented blank to
the sealers with only the name of the testators written, that no writer of a will for another should
write in a legacy for himself …
Einen ausführlicheren Bericht über den Inhalt des Senatus Consultum bietet eine spätantike
Quelle, die Sammlung der Werke des klassischen Juristen Paulus:
Paul Sent. 5.5.6
Amplissimus ordo decrevit eas tabulas, quae publici vel privati contractus scripturam
continent, adhibitis testibus ita signari, ut in summa marginis ad mediam partem perforatae
triplici lino constringantur atque impositae supra linum cerae signa imprimantur, ut exteriori
scripturae fidem interior servet. Aliter tabulae prolatae nihil momenti habent.
The Senate decreed that those tabulae which contain the writing of either public or private
contractus in front of witnesses have to be sealed in this way: the tablets, having been
perforated on the top edge towards the middle, are to be bound around with a tripled string, and
the seals of the wax placed on top of the string are to be impressed, so that the inner writing
preserves the fides (trust, authenticity) of the exterior writing. Tablets produced in another way
have no value (as a proof).
Die beiden Quellen ergänzen einander und zeigen eindeutig, dass im 1. Jh. n.Chr. neue
Vorschriften über dei Anfertigung von tabulae eingeführt wurden. Bereits früher wurde der
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Siegelfaden nicht einfach um die Täfelchen herumgeschlungen, sondern mittels Einkerbung
der Oberfläche der Holztäfelchen unverschiebbar befestigt. Diese Art der Fadenführung und
der Untersiegelung findet man sowohl in Diptychen als auch in Triptychen belegt; bei den
letzten wurde der Faden in einer Rinne in der Mitte geführt. Das Senatus Consultum hat die
Durchbohrung der Täfelchen angeordnet, damit der Faden durch die Löcher geführt und
danach versiegelt wird. Diese Methode bot mehr Schutz gegen Fälschungen, weil die
Innenschrift der tabulae nicht mehr zugänglich war, ohne die Siegel gebrochen zu haben.
Die Reformen sollen die fides, die Zuverlässigkeit, Authentizität der Beurkundung
sicherstellen. Die Fälschung und Authentizität der Geschäftsurkunden hängt eng mit der
Identifikation der Parteien zusammen.
VII. Spezielle Probleme der Identifikation bei Geldgeschäften, die durch Agenten abgewickelt
werden
Zur Erörterung der juristischen Probleme werden wir erneut mit einem Fallbeispiel beginnen:
D. 47.2.52.16 Ulpianus 37 ad edictum
Iulianus libro vicensimo secundo digestorum scripsit, si pecuniam quis a me acceperit, ut
creditori meo solvat, deinde, cum tantam pecuniam eidem creditori deberet, suo nomine
solverit, furtum eum facere.
In the twenty-second book of his digest, Julian writes that if someone accepts money from me
to pay to my creditor and, since he owes the creditor the same amount, he pays it on his own
behalf, he is guilty of theft.
Ulpian behandelt einen Fall, worin der Schuldner einen Dritten beauftragte, die von ihm
geschuldete Summe seinem Gälubiger zu überreichen. Er wusste aber nicht, dass dieser Dritte
denselben Betrag demselben Gläubiger auch selbst schuldete. Beim Zahlen wurde die Person
des Zahlenden (gewollt) fälschlich identifiziert, deshalb erfolgte die Leistung (solutio) nicht
zu Gunsten des Schuldners (Auftraggebers), sondern des Beauftragten. Die Stelle zeigt, dass
Rechtsgeschäfte, insbesondere Geldtransaktionen, bei denen die Hilfe von Agenten in
Anspruch genommen wird, spezielle Identifikationsprobleme aufweisen.
Im Archiv der Sulpicii sind zahlreiche Beispiele zu finden, in denen Agenten (Vermittler:
Freie, Freigelassene oder Sklaven) kontrahierten. Es ist immer sorgfältig zu prüfen, auf
wessen Konto die Vermögensverschiebungen anzurechnen sind.
TPSulp. 45
Diognetus, der Sklave des Gaius Novius Cyperus, hat einen Vertrag iussu domini, auf
Anweisung seines Herrn, abgeschlossen. In diesem Fall ist es eindeutig, dass der Mietzins aus
der Verpachtung der horrea (Lagerräume) unmittelbar auf dem Konto des Cyperus verbucht
wurde.
Hesychus agierte auch als einfacher Bote, als er tausend Sesterzien einem gewissen Gaius
Novius Eunus überreichte:
TPSulp. 51: “I, Gaius Novius Eunus, have written that I received as loans from Euenus
Primianus, freedman of Tiberius Caesar Augustus, who was absent, through his slave
Hesychus, and that I owe him HS 10,000 in cash …”
7
Vertragsparteien sind der Freigelassene Eunus Primianus als Gläubiger und Gaius Novius
Eunus als Schuldner.
Die Struktur des Rechtsgeschäfts weicht jedoch in TPSulp. 56 von den oben zitierten Fällen
stark ab: Niceros, der Sklave, der als Kassenverwalter der colonia Puteoli tätig war, hob
tausend Sesterzien im Bankhaus der Sulpizier als Darlehen für seine eigene Zwecke ab, zu
Lasten seines peculium.
TPSulp. 56: “I, Niceros, slave of the colonia Puteoli and treasurer, have written that I
received from and owe to Gaius Sulpicius Cinnamus loans of HS 1,000 in cash”.
Leider sind die Abhängigkeitsverhältnisse (und damit der Weg des Geldes) nicht in jeder
Urkunde so klar angeführt. In unserem nächsten Text handelt Pyramus, der Sklave einer
gewissen Caesia Priscilla, in der Bank der Sulpizier.
TPSulp. 58
Praeter HS viginti milia nummum in rationem Priscillae dominae meae; eaque HS quattuor
millia, quae supra scriptum sunt, proba recte dari fide rogavit Caius Sulpicius Faustus fide
promisi Pyramus Caesiae Priscillae servus …
… except the 20,000 sestertii for the account of my domina Priscilla; and that the 4,000
sestertii, written above, will be given properly and in good coin, Caius Sulpicius Faustus called
promise for in his faith, Pyramus, slave of Caesia Priscilla promised duly given in faith.
Das Rechtsgeschäft wurde auf einem Triptychon dokumnetiert, aber nur die scriptura interior
blieb erhalten. Es zeigt das Ende eines Vertragstextes mit den Siegeln der Zeugen auf dem
verso. Die tabula wurde in Puteoli ausgestellt (Z. 9); sie enthält eine stipulatio
(Verbalvertrag) zwischen Caius Sulpicius Fasutus und Pyramus, dem Sklaven der Caesia
Priscilla (Z. 8).
Der Bankier Faustus hat offenbar 4.000 Sesterzien zu Handen des Pyramus ausbezahlt und
verlangte ein förmliches Versprechen bezüglich der Rückzahlung. Es liegt nahe, dass die
causa stipulationis, das Grundgeschäft ein Darlehen (mutuum) war.
Es fragt sich jedoch, ob das Darlehen auf das Konto der Herrin oder auf das peculium des
Sklaven aufgenommen wurde. Hat Pyramus im eigenen Namen, oder als Agent für seine
domina gehandelt?
Auf den ersten Blick scheinen beide Versionen denkbar. Die Autoren, die sich mit der
Urkunde beschäftigt haben, stellten darauf ab, dass Pyramus das Darlehen für sich selbst
aufgenommen habe (Camodeca). Dagegen sprechen meines Erachtens die Wendung in
rationem Priscillae (Z. 2-3) und die damit erwähnte, bereits bestehende Schuld von 20.000
Sesterzen.
Ulpian definiert die ratio wie folgt:
D. 2.13.6.3: “… a ratio is a transaction involving two aspects, giving and receiving,
credit and debit, incurring and discharging an obligation on one’s own account…”
Die rationes sind Kassenbücher, Abrechnungen, die im antiken Rom sowohl in Bankhäusern
als auch in jedem privaten Haushalt geführt wurden. Es liegt nahe, dass die ratio hier das
Konto der Priscilla bezeichnet, das im Bankhaus der Sulpizier über ihre Geldbewegungen
(credita und debita) geführt wurde. Folgt man dieser Auffassung, muss die frisch begründete
Obligation aus einem Darlehensvertrag zwischen Faustus und Priscilla entstanden sein, wobei
Pyramus bloß als Agent mitgewirkt hat.
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Faustus dürfte trotzdem verlangt haben, dass die Stipulation (wie in seiner Geschäftspraxis
üblich) auch in diesem Fall zur Sicherung der Rückzahlung abgeschlossen werde. Da der
Verbalkontrakt die Anwesenheit der Parteien verlangt, konnte diese Obligation nur zwischen
Faustus und Pyramus erzeugt werden. Aus der Stipulation stand dem Bankier keine direkte
actio ex stipulatu gegen die Schuldnerin, Caesia Priscilla, zu. In einem künftigen Prozess
konnte er aber mittels der adjektizischen Klagen gegen die Herrin vorgehen; es stand ihm z.B.
die actio quod iussu zu, weil Pyramus die 4.000 Sesterzen auf Anweisung seiner domina
abgehoben und die Stipulation über die Rückzahlung geleistet hat.
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