Text als Verlinkung zu Konni Stauss

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Anthropologische Philosophie
Dialogische Psychotherapie
Vortrag gehalten auf dem 1. Dozententreffen der Süddeutschen Akademie
für Tiefenpsychologie
Bad Grönenbach, 6. März 1999
von Dr. med. K. Stauss
Allgemeines
Dialogische Psychotherapie ist eine Therapie durch Begegnung, unabhängig von der
angewandten Methodik oder Technik. Sie propagiert, daß alles wirkliche Leben Begegnung
ist.
Grundsatz der Dialogischen Therapie:
Ansatz, Prozeß und Ziel ist in der dialogischen Perspektive begründet:
• Ansatz: Philosophie des Therapeuten
• Prozeß: Interaktion zwischen Patient und Therapeut
• Ziel: größere Beziehungsfähigkeit des Patienten (Hycner, 1989)
Buber
Die Grundfrage von Buber lautete: Wer ist der Mensch, wie kann er sich in der Welt
zurechtfinden. Buber war klar, daß die Antwort dieser Frage nicht im menschlichen Subjekt
liegt (Decartes, Kant, Hegel). Die Antwort muß in der Ich-Du-Relation gefunden werden. Der
Ausgangspunkt seiner Philosophie ist nicht die Sphäre der "Subjektivität", sondern die Sphäre
"zwischen" den Wesen zu sehen. Buber setzt nicht einfach beim Menschen noch bei der Welt
an, sondern bei diesem Dazwischen - der relatio. Bei der Beziehung zwischen Mensch und
Welt, alles wirkliche Leben ist nach Buber Begegnung. Die Ich-Es-Relation kennzeichnet für
Buber die Erfahrung der Gegenstände-Objekte, ohne die der Mensch nicht leben kann, die
ihm aber letztendlich im Grunde fremd bleiben müssen. In der Ich-Es Haltung ist der andere
ein Mittel zum Zweck. Sie ist ein notwendiger Aspekt des menschlichen Lebens. Die Ich-Es
Haltung wird nur dann problematisch, wenn sie unsere ganze Existenz beherrscht, wenn wir
sie auch dann einnehmen, wo eine wirkliche Begegnung zwischen Mensch und Mensch
erforderlich ist. Die Moderne hat dazu geführt, daß sich der Mensch die Welt immer mehr
erschloß und sich verfügbar gemacht hat, aber leider sehr oft auf Kosten seiner Beziehungskraft. Die Ich-Du-Beziehung meint die Welt der Beziehung und deren drei Bereiche:
das Leben mit der Natur (Schöpfung), das Leben mit dem Menschen und das Leben mit
spirituellen Wesenheiten. Erst durch die Beziehung zu einem Du wird der Mensch zu einem
Ich. Beziehung ist ein fundamentales Merkmal der menschlichen Existenz. Entsprechend
übersetzte Buber Joh. 1, Vs.1 mit : „Am Anfang war Beziehung“.
Die Ich-Du Beziehung meint echtes Interesse an den Menschen mit denen wir interagieren.
Wir respektieren die „Anderheit“, Einzigartigkeit und Getrenntheit, ohne das Bezogensein in
der gemeinsamen Menschlichkeit zu verschleiern.
Die Ich-Du-Beziehung wird im Gegensatz zur Ich-Es-Beziehung charakterisiert durch
1.
2.
3.
4.
Gegenseitigkeit
Offenheit
Direktheit
Gegenwärtigkeit (Hier und Jetzt).
Buber’s theologische Pointe gipfelt in dem Satz: Jede Ich-Du-Beziehung weist auf ein ewiges
Du hin, das seinem Wesen nach nicht Du werden kann. Dieses ewige Du wird nicht erkannt
durch theoretische Sätze, metaphysische Spekulationen, sondern durch eine persönliche
Beziehung zum ewigen Du. In dieser persönlichen Begegnung mit dem ewigen Du ereignet
sich die Offenbarung, für Buber nicht nur eine Episode am Sinai, sondern im Hier und Jetzt,
und zwar immer dann, wenn ich offen bin es zu empfangen. So wird die Bibel für ihn ein
lebendiger Bericht von der dialogischen Begegnung zwischen Menschen und Gott (Küng, S.
544 f., 1991).
„Die Welt ist dem Menschen zwiefältig nach seiner zwiefältigen Haltung.
Die Haltung des Menschen ist zwiefältig nach der Zwiefalt der Grundworte, die er
sprechen kann.
Die Grundworte sind nicht Einzelworte, sondern Wortpaare
Das eine Grundwort ist das Wortpaar Ich-Du.
Das andere Grundwort ist das Wortpaar Ich-Es.
Das Grundwort Ich-Du kann nur mit dem ganzen Wesen gesprochen werden.
Das Grundwort Ich-Es kann nie mit dem ganzen Wesen gesprochen werden.
Es gibt kein Ich an sich, sondern nur das Ich des Grundwortes Ich-Du und das Ich des
Grundwortes Ich-Es.
Drei sind die Sphären, in denen sich die Welt der Beziehung errichtet.
Die erste: das Leben mit der Natur.
Die zweite: das Leben mit Menschen...Wir können Du geben und empfangen.
Die dritte: das Leben mit geistigen Wesenheiten...Wir vernehmen kein Du und fühlen
uns doch angerufen.
In jeder Sphäre, durch jedes uns gegenwärtig Werdende blicken wir an den Saum des
ewigen Du hin, aus jedem vernehmen wir ein Wehen von ihm, in jedem Du reden wir
das ewige an, in jeder Sphäre nach seiner Weise. (Buber, 1984, S. 10)
„Die verlängerten Linien der Beziehungen schneiden sich im ewigen Du. Jedes
geeinzelte Du ist ein Durchblick zu ihm ( dem ewigen Du). Durch jedes geeinzelte Du
spricht das Grundwort das ewige an. ... Es vollendet sich einzig in der unmittelbaren
Beziehung zu dem Du, das seinem Wesen nach nicht Es werden kann“ ( Buber, 1984,
S. 76).
Entwicklung der Ich-Du Beziehung
„Zwar sagt das Kind erst Du ehe es Ich sagen lernt; aber auf der Höhe des
persönlichen Daseins muß man wahrhaft Ich sagen können, um das Geheimnis des Du
in seiner ganzen Wahrheit zu erfahren. Der Mensch, der zum einzelnen geworden ist,
ist, auch wenn wir uns auf das Innerweltliche beschränken, für etwas da, er ist für
etwas dieser Einzelne geworden: für die vollkommene Verwirklichung des Du (Buber,
1982, S. 114)
Das Dialogische Therapierational
Störung
Die Störung, die der Patient entwickelt ist ein „Zeichen“ (Buber). Sie macht deutlich in
welcher Weise seine Existenz gebrochen, entfremdet ist. Die Störung ist die Antwort auf
unsere Haltung dem Leben gegenüber. Der Patient ist aufgerufen, wenn er ein
„Aufmerkender“ ist, auf dieses Zeichen eine Antwort zu finden. Er hat die Wahl dieses
Zeichen zu ignorieren und die Auseinandersetzung zu vermeiden und damit Widerstand zu
leisten. Den Preis den er zu bezahlen hat, ist, daß der Status quo aufrechterhalten wird oder
sich verschlimmert. Durch Vermeidung der Problematik ergibt sich eine kurzfristige
Erleichterung, um den Preis langfristiger negativer Konsequenzen.
Weisheit des Widerstandes
Widerstand ist der Ausdruck der Verletzbarkeit des Patienten, ist ein Signal für die Angst,
Risiken einzugehen, die durch die vorausgegangenen Erfahrungen nicht unterstützt werden.
Widerstand ist ein Selbstschutz, eine Mauer mit zwei Seiten:
• Von „Außen“ betrachtet ist der Patient verschlossen.
• Subjektiv von „Innen“ betrachtet ist sie die Mauer, die frühe und tiefe Wunden
umschließt.
Die intrapsychischen Wurzeln des Widerstandes sind interpersonell. Sein Ursprung liegt in
der Offenheit und Verletzlichkeit des Kindes.
Die Weisheit des Widerstandes ist, daß er das Überleben garantierte. Diese Weisheit gilt es in
der Dialogischen Therapie zu schätzen.
Der Patient muß die Paradoxie begreifen, daß sein Widerstand wächst, wenn er versucht ihn
zu überwinden. Er muß seinen Widerstand erleben und ihn als integralen Bestandteil von sich
anerkennen, zu schätzen und zu akzeptieren lernen.
Es geht darum die „Aussage“ des Widerstandes zu verstehen, seine Botschaft herauszufinden.
Der Widerstand soll nicht bestraft, sondern umarmt werden. Der Widerstand eröffnet die
Begegnung mit dem Ort der Verletztheit.
Die Aufgabe des Therapeuten besteht darin dem Patienten an dem Punkt seines Widerstandes
zu begegnen. Die Begegnung am Punkt des Widerstandes soll den Widerstand einschließen
und nicht bedrohen.
„Wir sind also am Widerstand interessiert und möchten mehr über ihn wissen,
darüber, warum der Patient sich so verhalten muß. Hier ist die Paradoxie: Obwohl
der Patient versucht, uns einen Strich durch die Rechnung zu machen, Informationen
zurückzuhalten, die Kooperation verweigert oder mit subtilen Mitteln zu vermeiden, an
der Therapieaufgabe mit zuarbeiten, gibt der abwehrende Patient gleichzeitig eine
Menge an Informationen und arbeitet im weiteren Sinne voll bei der Behandlung
mit...Anstatt sich vom Widerstand erschrecken zu lassen, sollte der Therapeut ihn
vielmehr begrüßen“(Schlesinger, 1982).
Dort wo der Widerstand auftritt, an diesem Punkt ist der Patient am meisten verletzt worden.
Der Patient versteckt sich hinter seinem Widerstand, gleichsam im letzten Winkel des Selbst.
Es geht darum sich eine Einladung zu verschaffen , nicht darum sich den Zutritt zu erzwingen.
Man fragt das wahre Selbst des Patienten so vorsichtig wie eine verschrecktes Kind um
Erlaubnis, die geheiligte Privatheit des Verstecks betreten zu dürfen. Der Therapeut fühlt nach
, wie es ist mit dieser Angst, Schmerz zu leben. Der Patient erfährt: jemand ist bei mir der
Anteil nimmt.
Dahinter steckt die existentielle Erkenntnis, daß alle Menschen sich verbergen und
voller Angst sind. Seine Verborgenheit ist eine existentielle Realität und kein
pathologischer Zustand ( Hycner, 1989).
Der Patient muß sich seiner Abwehrmechanismen bewußt werden, die ihn an einem gesunden
Leben hindern. Aber zu einem gesunden Leben gehört auch die Erkenntnis, daß bestimmte
Widerstände Teil unserer Existenz sind. Völlige Offenheit ist weder nötig noch möglich.
Unsere Aufgabe ist es ein kreatives Gleichgewicht zwischen Verborgensein und Offensein zu
finden.
Verantwortung
Er ist aufgerufen ein Antwortender zu werden, das heißt Verantwortung zu übernehmen.
Nimmt er den Dialog mit der Störung auf, so eröffnet er ihm den Zugang zu seinen
verleugneten Anteilen seines Selbst.
Die Therapiemotivation aus dialogischer Sicht ist nicht nur der Leidensdruck, sondern der
Anruf zur Verantwortungsübernahme. Er muß sich entscheiden, sich dem Problem
antwortend zu stellen, um mehr Mensch zu werden, oder ob er die Auseinandersetzung
vermeidet und Widerstand leistet. Wenn er dies tut, die Freiheit der Wahl hat er, dann sollte er
sich nicht darüber beklagen, daß er an der Störung leidet.
Die Störung ist also ein Anruf der Existenz, des Lebens, an den entfremdeten Menschen. Er
ist aufgerufen der Störung antwortend gerecht zu werden und sie als ein Zeichen und Antwort
zu verstehen, damit er mehr Mensch werden kann.
Ätiologieverständnis
Psychophatologie kann gesehen werden als ein Rückzug aus dem „Zwischen“ oder dessen
„Erstarrung“, es ist das Ergebnis eines abgebrochenen Dialogs. Die Person ist in ihrer tiefsten
Hinwendung zu anderen nicht „gehört“ worden, aus diesem Grund richtet sich ihre „Stimme
monologisch und auf tragische Weise nach Innen (Hycner, 1996).
Wir Menschen sind dialogisch gepolt oder anders gesagt wir haben ein dialogisches
Grundbedürfnis.
Störungen und damit Krankheiten entstehen als Ausdruck der Nichtbefriedigung der
Zwischenmenschlichen/interpersonellen Bedürfnisse (dialogischer Bedürfnisse).
Diese Bedürfnisse sind in der dialogischen Therapie:
1. Bedürfnis nach Begegnung.
Ich werde und bin Mensch durch die Beziehung zu anderen Menschen, und ich kann und will
bedeutungsvolle Beziehungen mit anderen eingehen, wobei ich ihre und meine
Einzigartigkeit achte. Das bedeutet meine Existenz ist unauflöslich mit den anderen
verwoben.
Alles wirkliche Leben ist Begegnung, das Dialogische als das wesentliche Element der
menschlichen Existenz. Das Psychische ist nur eine Begleitmelodie des Dialogischen.
Das Dialogische ist also nicht innerhalb des Menschen sondern im Bereich „zwischen“ zwei
Menschen. Es ist eine spezifische Interaktion, die ein echtes Interesse an der Begegnung mit
den anderen hat. Menschliche Existenz ist in ihrem tiefsten Wesen Beziehung.
Der ontologische Charakter der Existenz ist beides:
Distanz und Beziehung ( Buber 1965).
2. Bedürfnis nach Autonomie
Das Zwischenmenschliche ist der Bereich, in dem wir sowohl getrennt als auch in Beziehung
sind. Gesunde Existenz bedeutet das rhythmische Gleichgewicht von Getrenntheit und
Bezogenheit.
Modern ausgedrückt das rhythmische Gleichgewicht zwischen Bindungsbedürfnissen und
Autonomiebedürfnissen.
3. Bedürfnis nach Bestätigung dieser Bedürfnisse und seiner Existenz
Der Mensch braucht die Bestätigung durch andere. Das Fehlen der Bestätigung ist die
Grundlage aller Psychopathologie . Die Bestätigung des „Seinsdürfens“ ist das
„Himmelsbrot des Selbstseins (Buber 1962, S. 423). Durch die Bestätigung wird das
Bedürfnis nach Selbstwert befriedigt.
4. Bedürfnis nach körperlichem und seelischem Wohlbehagen
Gelingt es diese drei interpersonellen Bedürfnisse gleichzeitig zu befriedigen, dann reagieren
der Körper und die Seele konsitenter, das heißt man fühlt sich körperlich und seelisch wohl.
Das bedeutet , daß der Mensch Lust und nicht Unlust orientiert ist. Seine Intention ist sich
seelisch und körperlich wohl zu fühlen. Dieses Wohlfühlen ist die seelische Begleitmelodie
einer gelungenen Begegnung.
5. Bedürfnis nach Ganzheit, nach Spiritualität
Wenn Menschen ohne Beziehungen zu anderen und ohne Gefühl für eine umfassende
Wirklichkeit sind, kommt es zu Angst-, Leere- und Entfremdungsgefühlen. Durch die
Entfremdung kommt es zur „Lücke“, die mit Ersatzgöttern gefüllt werden muß ( Drogen,
Macht, Sex etc.). Das Leben ohne die spirituelle Dimension ist ein abgestumpftes Leben. Wir
vergessen das ursprünglichste aller Wunder, daß wir existieren, das Faktum unseres Seins.
Die Überbetonung der Ich-Es Haltung, die Fixierung auf die objektive Dimension der
Existenz, die zu einer Objektivierung des Selbst und der anderen führt, macht den Kontakt zu
einem umfassenden Seinsgefühl so schwierig.
Die Ich-Es Orientierung ist zwar eine sichere, aber eingeschränkte Art zu leben, die nur ein
Minimum an emotionalem Risiko erfordert. Sie ist ungefährlich, aber emotional
unbefriedigend.
Der spirituelle Ansatz in der Dialogischen Therapie ist in der Überzeugung gegründet, daß
jeder Dialog im Dialog mit dem Sein wurzelt und aus ihm erwächst . Spiritualität heißt nicht
die irdische Realität hinter sich zu lassen, sondern die Eintrittspforte in den spirituellen
Bereich ist die Ich-Du Beziehung mit einer „Anderheit“. Die Anderheit kann eine Person oder
die Natur sein ( Buber, 1923). Die Verbundenheit , die wir im Augenblick der Ich-Du
Begegnung erleben, verbindet uns mit einem ewigen Du.
„Geist in seiner menschlichen Kundgebung ist Antwort des Menschen an sein
Du...Geist, ist nicht im Ich sondern zwischen Ich und Du. Er ist nicht wie das Blut, das
in dir kreist, sondern wie Luft, in der du atmest. Der Mensch lebt im Geist, wenn er
seinem Du zu antworten vermag. Er vermag es, wenn er in die Beziehung mit seinem
ganzen Wesen eintritt. Vermöge seiner Beziehungskraft allein vermag der Mensch im
Geist zu leben“ (Buber, 1923, S. 49)
„ Der Mensch kann dem Göttlichen nicht nahekommen, in dem er über das
Menschliche hinaus langt; er kann ihm nahekommen, in dem der Mensch, der zu
werden er, dieser einzelne Mensch da, erschaffen ist“ (Buber 1963, S. 947)
Wie der Körper im drei dimensionalen Raum lebt ( Raum und Zeit), lebt die Seele in einem
drei dimensionalen Beziehungsraum:
1. Beziehung/Verbundenheit zu mir - Ich-Beziehung
2. Beziehung/Verbundenheit zum anderen - Du-Beziehung
3. BeziehungVerbundenheit zur Schöpfung, zum Leben, zu Gott - Gottesbeziehung
Das oberste Ziel der Seele
Der oberste Sollwert der seelischen Aktivität ist die gleichzeitige Befriedigung dieser fünf
Grundbedürfnisse, damit die Seele ganzer , konsistenter wird.
• Bindungsbedürfnisse
• Autonomiebedürfnisse
• Bedürfnis nach Bestätigung/ Selbstwerterhöhung
• Bedürfnis nach seelischem und körperlichem Wohlbehagen
• Bedürfnis nach Ganzheit
Die Störung ist Ausdruck der seelischen Inkonsistenz, und damit des Verlustes der Ganzheit,
eine Antwort auf die mangelnde Befriedung der seelischen Grundbedürfnisse. Ein seelisch
kranker Mensch ist immer ein in seinen interpersonellen Bedürfnissen verletzter Mensch.
Verarbeitung der Verletzung
Diese Verletzung der Grundbedürfnisse führt zu einer elementaren Selbstbezogenheit, die
eine Flucht vor der Begegnung anzeigt. Diese Verletzungen werden verarbeitet durch
Verinnerlichung in Form einer Beschädigung des Selbst in Beziehung zu anderen
(strukturelle Schädigung in den Dimensionen: Selbstwahrnehmung, Selbststeuerung,
Objektwahrnehmung, Kommunikation und Bindung) und oder durch spezifische Konflikte,
die einen unflexiblen Umgang mit spezifischen Grundthemen des menschliche Lebens
anzeigen (Arbeitskreis OPD,.196)
In der Sprache der dialogischen Therapie nennt man diese Form der Verarbeitung die
dialektisch, intrapsychischen Folgen der verletzten Grundbedürfnisse.
Diese dialektischen, intrapsychischen Folgen kann man schematheoretisch auch als
lebensgeschichtlich gewachsene Schemata von zurückliegenden traumatischen
Begegnungserfahrungen bezeichnen.
Diese Begegnungsschemata werden externalisiert und bestimmen das jetzige
Begegnungsverhalten des Patienten.
Durch die Externalisierung werden die alten traumatischen Beziehungserfahrungen
wiederholt und die Grundbedürfnisse weiterhin nicht befriedigt. Es kommt zu dem Phänomen
des „Scheinens“. Modern nennt man dieses „Scheinen“ Copingmechanismen. Der Pat.
versucht mit dem Scheinen bestmöglich seine Grundbedürfnisse nach Bindung, Autonomie,
Selbstwert, Wohlbehagen und Ganzheit zu befriedigen. Allerdings auf eine brüchige Art und
Weise. Werden diese Kompensationsmechanismen nicht mehr lebbar, dann kommt es zur
Störungsbildung als Antwort auf das brüchige, Arrangement. Der Anruf zur grundlegenden
Veränderung ist unüberhörbar.
Verantwortung
Der Wunsch nach Veränderung erwächst aus dem Bewußtsein: „so kann es nicht mehr
weitergehen“, der eingeschlagene Weg ist ein Irrweg und führt ins Abseits. Die Erfahrung des
Tiefpunktes, daß ich mit meinen Bewältigungsmitteln, mein Leben nicht mehr meistern kann.
Das Eingeständnis der Machtlosigkeit und der bedingungslosen Kapitulation. .Wir werden
vom Dasein her gefragt: Leben und Tod lege ich Dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das
Leben damit Du lebst, Du und Deine Nachkommen (Deuteronium, 30/19). Es geht darum, daß
wir keine Fragen an das Dasein mehr stellen, sondern die Fragen, die das Dasein an uns stellt,
antwortend gerecht werden.
„Echte Verantwortung gibt es nur, wo es wirkliches Antworten gibt.
Auf das, was einem widerfährt, was man zu sehen, zu hören, zu spüren bekommt. Jede
konkrete Stunde mit ihrem Welt- und Schicksalgehalt, die der Person zugeteilt wird, ist
dem Aufmerkenden Sprache. Dem Aufmerkenden; denn mehr als dessen bedarf es
nicht, um mit dem Lesen der einem gegebenen Zeichen anzuheben. (Buber, 1984, S.
162)“
Der Motor der Veränderung ist die existentielle Krise, die weder gewollt noch gemacht
werden kann. Wir müssen nicht unser Leben ändern, sondern durch die Krise wird es notwendig. Es ist ein Dürfen zum geschenkten Zeitpunkt (Kairos). Der Weg des Menschen
beginnt, der Genesungsweg wird zu einem Pilgerpfad.
Der Weg des Menschen
Nach Buber beginnt der Weg des Menschen erst, wenn er erkannt hat, daß er sich versteckt,
das Leben vermeidet und so sich selber verloren hat.
„Zu jeder Zeit und zu jeder Stunde ruft Gott den Mensch an.: „Wo bist Du in Deiner
Welt.“ ( im Urtext heißt es ajekka und klingt wie ein heiliges Pfeilwort) Wenn Gott so
fragt, will er vom Menschen nicht etwas erfahren, was er noch nicht weiß, er will im
Menschen etwas bewirken, was eben nur durch eine solche Frage bewirkt wird,
vorausgesetzt, daß sie den Menschen ins Herz trifft, daß der Mensch sich von ihr ins
Herz treffen läßt.
Adam versteckt sich, um nicht Rechenschaft ablegen zu müssen, um der
Verantwortung für sein Leben zu entgehen. So versteckt sich jeder Mensch, denn jeder
Mensch ist Adam und in Adams Situation. Um der Verantwortung für das gelebte
Leben zu entgehen, wird das Dasein zu einem Versteckapparat ausgebaut. Und indem
der Mensch sich so „vor dem Angesicht Gottes“ versteckt, verstrickt er sich immer
tiefer und tiefer in die Verkehrtheit. So entsteht eine neue Situation, die von Tag zu
Tag, von Versteck zu Versteck immer fragwürdiger wird. Diese Situation kann genau
gekennzeichnet werden: dem Auge Gottes kann der Mensch nicht entgehen, aber
indem er sich vor ihm verstecken sucht, versteckt er sich vor sich selber.
Diese Frage „will den Menschen aufrühren, sie will seinen Versteckapparat
zerschlagen, sie will ihm zeigen, wo er hineingeraten ist, sie will in ihm den großen
Willen erwecken, heraus gelangen. Alles kommt darauf an, ob der Mensch sich der
Frage stellt... Die Stimme ist die Stimme eines verschwebenden Schweigens, und es ist
leicht, sie zu übertäuben. Solange dies geschieht, wird das Leben des Menschen zu
keinem Weg. Mag der Mensch noch soviel Erfolg, noch soviel Genuß erfahren, mag er
noch so große Macht erlangen und noch so Gewaltiges zustande bringen: sein Leben
bleibt weglos, solange er sich der Stimme nicht stellt.
Adam erkennt die Verstrickung, er bekennt: „Ich habe mich versteckt“, und damit
beginnt der Weg des Menschen ( Buber, 1999, S.11-13).“
Es gibt eine dämonische Frage, eine Scheinfrage, die die Frage Gottes, die Frage der
Wahrheit äfft. Sie ist daran zu erkennen, daß sie nicht bei dem „Wo bist du?“ innehält,
sondern fortfährt: „Von da heraus, wo du hineingeraten bist, führt kein Weg mehr.“
Es gibt eine verkehrte Selbstbesinnung, die den Menschen nicht zur Umkehr bewegt
und auf den Weg bringt, sondern ihn damit dorthin treibt, wo sie anscheinend vollends
unmöglich geworden ist und der Mensch nur kraft des dämonischen Hochmuts, des
Hochmuts der Verkehrtheit, weiterleben vermag (Buber, 1999, S. 14).“
Ontologische Dimension der Schuld
...Ich werde „vor die Gegenwärtigkeit eines Seins gestellt, „ mit dem ich keine Spielregeln
vereinbart habe und mit dem sich keine vereinbaren lassen. Die Gegenwärtigkeit des Seins,
vor der ich gestellt bin, wechselt ihre Gestalt, ihre Erscheinung, ihre Offenbarung, sie ist
anders als ich, oft erschreckend anders, und anders als ich sie erwartet habe, oft
erschreckend anders. Halte ich ihnen stand, gehe ich auf sie ein, begegne ich ihnen wirklich,
d.h. mit der Wahrheit meines ganzen Wesens, dann, und nur dann, bin ich „eigentlich“ da:
ich bin da, wenn ich da bin, wo dieses „Da“ ist, das wird jeweils weniger von mir, als von der
ihre Gestalt und Erscheinung wandelnden Gegenwärtigkeit des Seins bestimmt. Wenn ich
nicht wirklich da bin, bin ich schuldig. Wenn ich den Ruf des gegenwärtigen Seins „Wo bist
du?“ antworte: „Da bin ich“, aber ich bin nicht wirklich da, d.h. nicht mit der Wahrheit
meines ganzen Wesens, dann bin ich schuldig. Das ursprüngliche Schuldigsein ist das Beisich-Bleiben. Zieht aber eine Gestalt und Erscheinung des gegenwärtigen Seins an mir
vorüber, und ich war nicht wirklich da, dann kommt aus der Ferne ihres Verschwindens ein
zweiter Ruf, so leise und heimlich, als käme er aus mir selbst: „Wo bist du gewesen?“. Das
ist der Ruf des Gewissens Nicht mein Dasein ruft mich, sondern das Sein, das nicht ich ist,
ruft mich (Buber, 1982, S. 99-100).“
Therapie
Heilung aus der Begegnung und nicht alleine durch „Reparatur“.
...“die Beziehung zwischen einem echten Psychotherapeuten und seinem Patienten.
Wenn er sich damit begnügt, diesen zu „analysieren“ , d.h. aus seinem Mikrokosmos
unbewußte Faktoren ans Licht zu holen und die durch ein solches Hervortreten
verwandelten Energien an eine bewußte Lebensarbeit zu setzen, mag ihm manche
Reparatur gelingen. Er mag bestenfalls einer diffusen, strukturarmen Seele helfen,
sich einigermaßen zu sammeln und zu ordnen. Aber das, was ihm hier eigentlich
aufgetragen ist, die Regeneration eines verkümmerten Person-Zentrums wird er nicht
zu Werke bringen. Das vermag nur, wer mit dem großen Blick des Arztes die
verschüttete latente Einheit der leidenden Seele erfaßt, und das ist eben nur in der
partnerischen Haltung von Person zu Person, nicht durch Betrachtung und
Untersuchung eines Objektes zu erlangen“ (Buber, 1984, S. 132).
Jede Therapie beruht auf der Begegnung zwischen Therapeut und Patient. Dialogische
Psychotherapie ist zentral auf die Heilung aus der Begegnung ausgerichtet.
Eine Therapie in der der Patient viele psychologische Einsichten gewonnen hat, aber diese in
der „realen Welt“ seiner Beziehungen nicht anwenden kann, hat versagt ( Hycner, 1989).
„Der Therapeut ist der Hüter des Dialogischen, im Dienste des „Zwischen“.
Der Therapeut ruht nicht auf der weiten Ebene des Systems gesicherten Aussagen über
das Absolute, sondern auf dem schmalen, felsigen Grat über dem Abgrund, wo es
keinerlei Sicherheit eines aussagbaren Wissens gibt, aber die Gewißheit der
Begegnung mit dem verhüllt Bleibenden“ ( Buber 1963, S. 383).
Die Herausforderung besteht darin, wie man die sicherheitgebende Theorie nutzen kann ,ohne
das Unbekannte abzuwehren und ohne das gemeinsame Fundament der Menschlichkeit zu
übersehen.
Jedes Verhalten soll im Kontext der Existenz verstanden werden. Pathologie ist eine Störung
der ganzen Existenz der Person und ein „Zeichen“ für das was geschehen muß, damit sie
wieder ganz werden kann.
Die Ursache der Störung ist die mangelnde Bestätigung durch den Ich-Du Dialog mit anderen.
Hier ist der archimedische Punkt der Veränderung und damit der Therapie. Der Therapeut
weiß um die ontologische Dimension der Begegnung. Die menschliche Existenz ist
unauflöslich mit den anderen verwoben. Der Mensch ist ausgerichtet auf Begegnung, er ist
nur als ein Teil eines Beziehungssystems denkbar. Er lebt ständig real in Beziehungen, ist
innerlich mit Beziehung befaßt. Er ist ausgerichtet auf Beziehung. Durch Beziehung eignet er
sich die Welt ständig an und macht daraus „seine Welt“. Menschliche Existenz ist in ihrem
tiefsten
Wesen
Beziehung.
Durch
die
Begegnung
können
wir
unsere
Beziehungsbasisbedürfnisse befriedigen. Krankheit ist ein Mangelsyndrom bezüglich der
Befriedigung dieser Bedürfnisse.
Wie die Therapieforschung eindrucksvoll bestätigt hat, hängt der Erfolg zu 70 % von der
Qualität der therapeutischen Beziehung ab.
Die Qualität der therapeutischen Beziehung zeichnet sich aus der dialogischen Perspektive
durch vier Merkmale aus:
1. Gegenwärtigkeit
2. Einklammerung
3. Umfassung
4. Bestätigung
1. Gegenwärtigkeit
Um dem Patienten in seiner Welt begegnen zu können, muß der Therapeut für ihn
„gegenwärtig“ sein.
„Was erwarten wir, wenn wir verzweifelt und doch zu einem Menschen gehen. Wohl
eine Gegenwärtigkeit, durch die uns gesagt wird, daß es ihn dennoch gibt, den Sinn“ (
Buber 1962, S. 278).
2. Einklammerung
Der Therapeut kann den Patienten in seiner Welt, sein In-der-Welt-Sein-Schema nur dann
begegnen, wenn er seine eigenen Annahmen, Weltsicht und Bedeutungen zeitweilig
einklammert. Es ist die Aufgabe des Therapeuten zu entdecken und zu verstehen, welche
Bedeutung ein Ereignis für diesen besonderen und einzigartigen Menschen hat. Der Patient
hat ein feines Gespür für die Echtheit der Gegenwärtigkeit und schätzt dieses Bemühen sehr
hoch ein. Jeder Mensch sucht in seinem tiefsten Wesen verzweifelt nach Bestätigung, hat
das große existentielle Bedürfnis, von einem anderen tief verstanden zu werden.
3. Umfassung
Umfassung ist das Auf und Ab zwischen Zentrierung in der eigenen Existenz und der
Fähigkeit, auf die „andere Seite zu wechseln“. Sie geht über Empathie hinaus. Seine ganze
Existenz dem anderen zu wenden und zu versuchen seine Erfahrung genauso zu erleben, wie
die eigene, kann man nicht absichtlich herbeiführen. Sie bedarf allerdings der bewußten
Anstrengung.
Zur Umfassung sind zwei Schritte notwendig.
• Tiefes Verständnis für das Erleben des Patienten.
• Die Fähigkeit sich zu distanzieren und eine andere Perspektive anzubieten.
Der Therapeut arbeitet in dem Spannungsfeld zwischen voller und tiefer Wertschätzung des
Patienten einerseits und der notwendigen eigenen Zentrierung angesichts abweichender oder
sogar widersprüchlicher Erfahrungen andererseits.
Dieses Spannungsfeld ist das Herzstück der Psychotherapie: die echte Begegnung des
Standpunktes des Therapeuten mit dem des Patienten ( Hycner, 1989).
Dem Patienten in seiner Welt begegnen
„Sich wirklich annehmend in die Welt eines anderen zu begeben, schafft eine
ganz besondere Bindung, die meiner Erfahrung nach nicht ihresgleichen hat“
(Rogers, C. 1986).
4. Bestätigung
Der Mensch braucht die Bestätigung durch andere. Das Fehlen der Bestätigung ist die
Grundlage aller Psychopahtologie . Die Bestätigung des „Seinsdürfens“ ist das
„Himmelsbrot des Selbstseins (Buber 1962, S. 423).
Die Therapie bietet die Möglichkeit der „Segnung“ der Existenz durch Bestätigung.
Bestätigung ist die Anerkennung der Einzigartigkeit der Existenz des anderen. Bestätigung
bejaht die Existenz des anderen, auch wenn das gegenwärtige Verhalten nicht akzeptabel ist.
Bestätigung macht Auseinandersetzung möglich ( sorgende Konfrontation). „Ich sage Ja zu
der Person, die ich bekämpfe“ ( Buber, 1963, S. 277).
Technik
Technik muß aus dem Kontext der Beziehung entstehen. Gegen Technik spricht nichts,
wenn sie nicht willkürlich auf die Situation aufgesetzt ist.
Wie bei einem Jazzmusiker, muß man erst die Technik beherrschen, bevor man improvisiert.
Der dialogische Ansatz steht dem Einsatz von Techniken nicht ablehnend gegenüber.
Vielmehr liefert er einen Rahmen, innerhalb dessen angemessene Techniken entstehen
können. Eine Technik kann dialogisch sein, solange sie nicht nur als „reine Technik“
eingesetzt wird. Sie sollte Teil sein des ständigen Bemühens um eine Vertiefung der
Bewußtheit auf der Beziehungsebene, des Kontakts“ ( Hycner, 1996).
Der Einsatz von diagnostischen Mitteln (OPD, ICD 10) und Techniken zu Veränderungen, die
die größte empirisch abgesicherte Wirksamkeit haben, ist Ausdruck des professionellen
Könnens des Therapeuten.
Ein Therapeut ohne technisches Können ist eine Dilettant.
Ein Therapeut ohne dialogische Fähigkeiten ist ein seelenloser Technokrat
Literatur:
Arbeitskreis OPD. (1996). Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik: Grundlagen
und
Manual. Toronto, Seattle,: Huber.
Buber, M. .(1958). Ich und Du. Heidelberg: Lambert, Schneider.
Buber, M. (1962). Gottesfinsternis. In Werke I: Schriften zur Philosophie. München: Kösel.
Buber, M. (1963). Schriften zum Chassidismus. München: Kösel.
Buber, M. (1965). The knowledge of man: A philosophy of interhuman. New York: Harper &
Row.
Buber, M. (1982). Das Problem des Menschen. Heidelberg: Lambert Schneider.
Buber, M. (1984). Das Dialogische Prinzip. Heidelberg: Lambert Schneider.
Buber, M. (1999). Der Weg Des Menschen nach der chassidischen Lehre. In 13. Auflage.
Gütersloh: Güterloher Verl.-Haus.
Hycner, R. (1996) Die Ich-Du-Beziehung, Martin Buber und die Gestalttherapie.
Gestaltkritik, 1
Hycner, R. (1989). Zwischen Menschen. Ansätze zu einer Dialogischen Psychotherapie. In
Edition
Humanistische Psychologie. Köln: Internationales Institut zur Förderung der
Humanistischen Psychologie.
Küng, H. (1991). Das Judentum (S. 544). München/Zürch: Piper.
Rogers, C. (1986). Interview von Warren Bennis.
Schlesinger, H. J. (1982). Resistance as a process. New York: Plenum Press.
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