Programmheft zum Konzert - Deutsche Radio Philharmonie

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Mittwoch, 6. Mai 2015 | 20.00 Uhr
Hochschule für Musik Saar
7. Ensemblekonzert Saarbrücken
im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Mouvements 2015“
Kontraste
Präsentiert von den
„Freunden der Deutschen Radio Philharmonie“
Veit Stolzenberger, Oboe
Rainer Müller-van Recum, Klarinette
Xiangzi Cao und Johannes Baumann, Violine
Benjamin Rivinius, Viola
Valentin Staemmler, Violoncello
Michael Gärtner und Ronald Lück, Schlagzeug
Kai Adomeit, Klavier
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PROGRAMM
Arnold Schönberg
„Ein Stelldichein“
für Oboe, Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier (1905)
(Fragment, ergänzt von Friedrich Cerha)
Veit Stolzenberger, Oboe
Rainer Müller-van Recum, Klarinette
Xiangzi Cao, Violine
Valentin Staemmler, Violoncello
Kai Adomeit, Klavier
Isang Yun
Ost-West-Miniaturen
für Oboe und Violoncello (1994)
Nr. 1
Nr. 2
Veit Stolzenberger, Oboe
Valentin Staemmler, Violoncello
Béla Bartók
Kontraste
für Violine, Klarinette und Klavier
Verbunkos. Moderato, ben ritmato
Pihenö. Lento
Sebes. Allegro vivace
Xiangzi Cao, Violine
Rainer Müller-van Recum, Klarinette
Kai Adomeit, Klavier
2
P ause
Viktor Suslin
Sonate
für Violoncello und Schlagzeug (1983)
Valentin Staemmler, Violoncello
Michael Gärtner und Ronald Lück, Schlagzeug
Theo Brandmüller
„Geheime Botschaften“,
Quintett für Klarinette, zwei Violinen, Viola und Violoncello (2012)
Lichtchiffren
Lichtkapitelle mit Hall
Traum-Organum
...“den Himmel erfahren“...
Rainer Müller-van Recum, Klarinette
Xiangzi Cao und Johannes Baumann, Violine
Benjamin Rivinius, Viola
Valentin Staemmler, Violoncello
Sendetermin
Direktübertragung auf SR 2 KulturRadio
und nach dem Konzert sieben Tage lang unter www.sr2.de
3
Arnold Schönberg
* 13. September 1874 in Wien
† 13. Juli 1951 in Los Angeles
Der Dichter Richard Dehmel (1863-1920) wäre heute vermutlich vergessen,
hätten nicht viele bekannte Komponisten wie Richard Strauss, Max Reger
oder Jean Sibelius seine Verse vertont. Schönberg stieß bereits 1897 auf
Dehmels im Vorjahr veröffentlichte Sammlung „Weib und Welt“. Er vertonte mehrere Gedichte daraus, vor allem aber ließ er sich zu seinem bis heute
wohl meistgespielten Werk, dem 1899 entstandenen Streichsextett „Verklärte Nacht“ op. 4, durch Dehmels gleichnamiges Gedicht anregen. Zu einer Begegnung der beiden Künstler kam es erst 1912. Dehmel schilderte
Schönberg bei dieser Gelegenheit den starken Eindruck, den das Streich­
sextett bei ihm hinterlassen hatte. Und Schönberg bekannte kurz darauf in
einem Brief: Ich kann Ihnen nicht sagen, wie es mich freut, endlich mit Ihnen
in persönliche Beziehung gekommen zu sein. Denn Ihre Gedichte haben auf
meine musikalische Entwicklung entscheidenden Einfluß ausgeübt. Durch
sie war ich zum ersten Mal genötigt, einen neuen Ton in der Lyrik zu suchen.
Das heißt, ich fand ihn ungesucht, indem ich musikalisch widerspiegelte, was
Ihre Verse in mir aufwühlten. Leute, die meine Musik kennen, werden Ihnen
das bestätigen können, dass in meinen ersten Versuchen, Ihre Lieder zu komponieren, mehr von dem steckt, was sich in Zukunft bei mir entwickelt hat,
als in manchen viel späteren Kompositionen.
„Ein Stelldichein“
Zwar waren Programmmusiken auf der Grundlage von Dichtungen um die
Wende zum 20. Jahrhundert in Mode, doch meist wurden dafür Orchesterbesetzungen, selten nur Kammermusikensembles gewählt. Es ist wenig
bekannt, dass Schönberg fünf Jahre nach seiner „Verklärten Nacht“ noch
einen weiteren Versuch in diesem Genre machte – und abbrach. Erneut
diente ihm ein Gedicht aus Dehmels „Weib und Welt“ als Vorlage, nämlich
„Ein Stelldichein“. Das Fragment für die ungewöhnliche Besetzung mit
Oboe, Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier fand sich in seinem Nachlass in zwei Versionen: Eine erste Niederschrift im Skizzenbuch umfasste
134 Takte, eine Partiturreinschrift nur die ersten 90 daraus. Die längere,
aber gegen Ende unvollständig ausgearbeitete Fassung des Skizzenbuchs
hat der österreichische Komponist Friedrich Cerha (* 1926) ergänzt; sie
kommt im heutigen Konzert zur Aufführung.
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Richard Dehmel: Ein Stelldichein
So war’s auch damals schon. So lautlos
verhing die dumpfe Luft das Land,
und unterm Dach der Trauerbuche
verfingen sich am Gartenrand
die Blütendünste des Holunders;
stumm nahm sie meine schwüle Hand,
stumm vor Glück.
Es war wie Grabgeruch ... Ich bin nicht schuld!
Du blasses Licht da drüben im Geschwele,
was stehtst du wie ein Geist im Leichentuch –
lisch aus, du Mahnbild der gebrochenen Seele!
Was starrst du mich so gottesäugig an?
Ich brach sie nicht: sie tat es selbst! Was quäle
ich mich mit fremdem Unglück ab ...
Das Land wird grau; die Nacht bringt keinen
Funken,
die Weiden sehn im Nebel aus wie Rauch,
der schwere Himmel scheint ins Korn
gesunken.
Still hängt das Laub am feuchten Strauch,
als hätten alle Blätter Gift getrunken;
so still liegt sie nun auch.
Ich wünsche mir den Tod.
(aus der Sammlung „Weib und Welt“, 1896)
Isang Yun
* 19. September 1917 in Tongyông (Südkorea)
† 3. November 1995 in Berlin
Der koreanische Komponist Isang Yun war ein Mittler zwischen zwei Welten. Die Hälfte seines Lebens verbrachte er in seiner Heimat, bevor er 1956
mit einem Kompositionsstipendium nach Europa kam. Weltweites Aufsehen erregte 1967 seine Entführung durch den südkoreanischen Geheimdienst. Yun wurde gefoltert und wegen angeblicher kommunistischer
Agententätigkeit zum Tode verurteilt. Erst 1969 kam er nach internationalen Protesten frei und kehrte in die Bundesrepublik zurück. 1971 wurde er
deutscher Staatsbürger, und von 1970 bis 1985 lehrte er Komposition an
der Hochschule der Künste Berlin. Obwohl Yun sehr genau mit der zeitgenössischen westlichen Musik vertraut war, blieb sein Denken stets der fernöstlichen Philosophie verbunden. Über seine Symbiose beider Traditionen
schreibt er: Wenn in der Musik Europas erst die Tonfolge Leben gewinnt, wobei der Einzelton relativ abstrakt sein kann, so lebt bei uns schon der Einzelton
für sich. Man kann unsere Töne mit Pinselstrichen vergleichen im Gegensatz
zur Linie eines Zeichenstiftes. Vom Ansatz bis zum Verklingen ist jeder Ton
Wandlungen unterworfen …
„Ost-West-Miniaturen“
Seine „Ost-West-Miniaturen“ für Oboe und Violoncello schrieb Yun im März
1994. In den beiden Stücken von jeweils rund fünf Minuten Spieldauer steht
das Blasinstrument – so sieht es der Yun-Experte Walter-Wolfgang Sparrer
– für das Lineare der ostasiatischen Klanggestik, während das Cello, ein Ins­
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trument, das Yun selbst erlernt hat, den westlichen Widerpart bildet. Beispielhaft dafür ist gleich der Beginn der ersten Miniatur: Die asiatische Gestik des Blasinstruments zeigt sich hier paradigmatisch im zunächst lang
ausgehaltenen und nur klangfarblich modifizierten Einzelton. Das Cello
wirkt als Impulsgeber, wenn zum Beispiel die Oboe den Tritonus vom Anfang
[den eröffnenden Doppelgriff F-h] als cis’’-g’’ aufgreift.
Béla Bartók
* 25. März 1881 in Nagyszentmiklós (Österreich-Ungarn, heute Rumänien)
† 26. September 1945 in New York
„Kontraste“
Béla Bartóks Komposition „Kontraste“ verspricht Gegensätze, und diese
findet man tatsächlich auf den verschiedensten Ebenen: Zunächst einmal,
bedingt durch die Kombination je eines Blas-, Streich- und Tasteninstruments, in der Klangfarbe. Dann aber auch im Tempo und den rasch wechselnden Stimmungen und Idiomen. Und schließlich in den musikalischen
Hintergründen der Interpreten, denen das Werk zugedacht war. Der ungarische Geiger Joseph Szigeti hatte die Idee: Er bat seinen langjährigen Kammermusikpartner Bartók, ein Stück zu schreiben, das sie beide zusammen
mit dem berühmten Jazz-Klarinettisten Benny Goodman aufführen konnten. Nach Szigetis und Goodmans Vorstellungen sollte dieses Stück aus einem langsamen und einem schnellen Teil bestehen – ganz nach dem Muster der ungarischen Rhapsodien, das Franz Liszt und auch Bartók selbst (in
seinen beiden Violinrhapsodien) bekannt gemacht hatten.
Tatsächlich wurde die Komposition zuerst (am 9. Januar 1939) in zweisätziger Form und unter dem Titel „Rhapsodie“ aufgeführt. Erst für ein Konzert
im folgenden Jahr fügte Bartók den Mittelsatz ein und vergab den endgültigen Titel „Kontraste“. Das Stück beginnt mit einem „Verbunkos“ – so lautet der Name eines ungarischen Tanzes, der ursprünglich der Anwerbung
von Soldaten diente. Die volkstümlichen Wurzeln der Musik zeigen sich unter anderem im ungarischen Kurz-Lang-Rhythmus des Mittelteils. Der
zweite Satz ist „Pihenö“ (Rast, Entspannung) überschrieben und gehört
dem Typ der Bartókschen Nachtmusiken an – er lässt an geheimnisvolle
Naturgeräusche denken. Mit zwei Besonderheiten wartet der abschließende „Sebes“ (schnelle Tanz) auf: Zum einen sind für den Geigenpart zwei Instrumente erforderlich. Denn die ersten dreißig Takte enthalten eine Begleitung auf leeren Saiten, die nicht wie gewohnt in reinen Quinten
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gestimmt sind. Zwischen den beiden höheren Saiten (Es, A) und ebenso zwischen den tieferen (D, Gis) liegt vielmehr das dissonierende Tritonus-Intervall. Bevor der Geiger selbst die Melodie übernimmt, muss er das Instrument wechseln, da ein rechtzeitiges Umstimmen nicht möglich ist. Nach
diesem eröffnenden tanzartigen Abschnitt fällt – zum anderen – eine verhaltenere Episode in einem merkwürdig schwebenden „bulgarischen“
Rhythmus auf. Sie steht im 13/8-Takt, zusammengesetzt aus 3+2+3/2+3
Schlägen.
Viktor Suslin
* 13. Juni 1942 in Miass, Oblast Tscheljabinsk, Sowjetunion
† 10. Juli 2012 in Hamburg
Viktor Suslin arbeitete nach seinem Klavier- und Kompositionsstudium zunächst als Lektor bei einem Moskauer Musikverlag und als Dozent für Instrumentation und Partiturspiel am Moskauer Konservatorium. Weil sein
kompositorisches Schaffen in der Sowjetunion zunehmend durch Aufführungsverbote behindert wurde, emigrierte er 1981 in die Bundesrepublik
Deutschland, wo er erneut als Lektor (der Sikorski Musikverlage) und Dozent (an der Lübecker Musikhochschule) tätig war.
Sonate für Violoncello und Schlagzeug
Suslins Sonate für Violoncello und Schlagzeug entstand 1983. Sie wurde inspiriert durch die Kunst des aserbaidschanischen Volksmusikers Habil Aliyev, einem Virtuosen auf der Kamantsche. Dieses kleine viersaitige Instrument wird auf den Knien gehalten und mit einem Bogen gestrichen;
Rhythmen der Nagara (einer Trommel) und der Orgelpunkt eines Duduk (eines Doppelrohrblattinstruments) bilden meist die Begleitung. Suslin verband in seinem Stück die Idee dieser traditionellen Improvisationskunst mit
der europäischen Sonatenform, der Zwölftontechnik und mit zahlreichen
neu entwickelten Klangwirkungen. Der erste Satz beginnt mit einem rhythmischen Ostinato, das auch in den folgenden Sätzen wieder auftaucht. Hinzu treten „heulende“ Klänge, die durch die Reibung von Vollgummischlegeln auf Becken oder Trommel erzeugt werden. An zweiter Stelle folgt ein
Variationensatz, der ein Thema des Cellos und das rhythmische Ostinato
verarbeitet. Nach einer zarten Solokadenz des Cellos schließt sich das Finale
an, eine mehrstimmige Klangfarbenkomposition, die in flirrendem Pianissimo verklingt.
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Theo Brandmüller
* 2. Februar 1948 in Mainz
† 26. November 2012 in Saarbrücken
„Geheime Botschaften“
Theo Brandmüller, der seit 1979 Komposition und Orgelimprovisation an
der Hochschule für Musik Saar lehrte, konnte als letztes Werk vor seinem
Tod noch ein Klarinettenquintett vollenden, an dem er schon länger arbeitete. Die Uraufführung durch den Klarinettisten Eduard Brunner und das
Minguet Quartett war für den 8. Dezember 2012 in Mannheim angesetzt,
und Brandmüller beabsichtigte, selbst eine Einführung dazu zu geben. Da
er jedoch Zweifel hegte, ob sein Gesundheitszustand ihm die Anreise erlauben würde, schrieb er den folgenden Kommentar zum Klarinettenquintett:
Schon vor vier Jahren beschäftigte mich diese Gattung, mit dem „Endergebnis“, dass (m)ein 20-minütiges Klarinetten-Solostück mit dem Titel „Ins Freie“
entstand [...] Was mich damals künstlerisch bewegte, dies verdichtete sich
nun in diesem soeben fertiggestellten, neuen Stück „Geheime Botschaften“
zunehmend. Das ehemals „Ins Freie“ schauende Solostück präzisiert seine
Anschauung, seinen „Blick hinauf zum Licht“: Musikalisch vorwiegend aufsteigende Figurationen „greifen sich Lichttöne“, formen diese zu „baumhohe
Gedanken“, die im letzten Satz, „den Himmel erfahren lassen…“ Ja, „es sind
noch Lieder zu singen jenseits der Menschen“, so endet Paul Celans bekanntes Gedicht „Fadensonnen“, das – tief verborgen – die facettenreiche Inspirationsquelle des ganzen Werkes gewesen ist.
Bereits dem Solo-Klarinettenstück „Ins Freie“ (2008) lag im Übrigen ein Gedicht zugrunde – nämlich Friedrich Hölderlins „Hälfte des Lebens“. Die melodischen Linien des Stücks dienten Brandmüller als Faden auch durch das
Quintett [...]. Aus diesem „Urstrom“ des Soloinstruments entfaltet sich das
Gesamtgeschehen, zunächst mit zarten gemeinsam gespielten, eingehängten Tönen, als Unisoni und immer ganz eng mit der Klarinette verwoben. Wie
im zweiten Streichquartett brechen dann die Repetitionstöne ein, das „Lebenszittern“, wie ich sie schon anlässlich des zweiten Streichquartetts genannt habe. Im Verlauf der vier Sätze etabliert sich das Streicherensemble
stärker, bekommt sangliche Annotationen und geht schließlich im vierten
Satz über ins Summen und ins Singen (Bratsche).
Wir möchten Sie höflich darauf hinweisen, dass Bild- und Tonaufnahmen
während der Konzerte der DRP nicht gestattet sind!
Text: Jürgen Ostmann | Text- und Programmredaktion: Nike Keisinger |
Herausgeber: Deutsche Radio Philharmonie
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