Patentfreie Produktion

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1 Glücksökonomie – Wer teilt, hat mehr vom Leben
Patentfreie Produktion – alle können sich nehmen, was sie brauchen
»Wirklichkeit ist keine starre Realität, sie ist voller Möglichkeiten – und sie ist in uns.
Sie kann von uns geändert und neu gestaltet werden.«
Hans Peter Dürr
Bei der Herstellung materieller Güter experimentieren Menschen weltweit mit Konzepten
offener Quellen – doch die Bedingungen sind hier verzwickter als bei Software: Zwar können
auch Produktionspläne dank digitaler Technik einfach weitergegeben werden, aber damit
existiert der Gegenstand selbst noch nicht. Wer ihn produzieren will, benötigt Maschinen und
Material, das möglicherweise sehr vielfältig ist. In jedem Fall müssen Prototypen entwickelt
und auf ihre Funktionstüchtigkeit hin getestet werden; bei technisch anspruchsvollen
Konstruktionen ist das immer ein längeres und meist auch teures Ping-Pong-Spiel zwischen
Plan und Objekt.1
Open-Source-Hardware
Die digitale Informationstechnik hat die weiträumige Trennung von Produktentwicklung und
-herstellung ermöglicht. Ingenieure und Designer großer Konzerne arbeiten heute in Europa
oder den USA, die Fertigungshallen stehen in Asien oder Lateinamerika. Dort stellen schlecht
bezahlte Menschen unter teilweise katastrophalen Bedingungen Einheitsprodukte für die
ganze Welt her, die dann anschließend über den halben Globus zu den Käufern reisen.
Auch bei Open-Source-Hardware sind Entwicklung und Produktion räumlich getrennt. Doch
hier werden nicht die fertigen Gegenstände transportiert, sondern die Konstruktionspläne
dort heruntergeladen, wo etwas gebraucht wird. Weil die Pläne veränderbar sind, können
Nutzende sie an die jeweiligen Bedürfnisse und verfügbaren Ressourcen vor Ort anpassen.
Potenziell ist eine auf Open-Source-Hardware basierende Produktion somit dezentral,
regional angepasst und kommt ohne weite Transporte aus. In den jeweiligen Regionen
können neue Jobs entstehen, kleinteilige Wirtschaftskreisläufe aufblühen.
Open-Hardware-Projekte für Alltagsgegenstände gibt es inzwischen viele. In Freiburg
entwickeln einige Menschen den Lastenfahrradanhänger »Carla Cargo«, der stabil genug ist,
um 16 Gemüsekisten oder 100 Kilogramm sonstige Ladung zu transportieren; er soll an jedes
Rad ankoppelbar sein. Auch Bauanleitungen für preiswerte Laborgeräte, mit denen
Wissenschaftler in armen Ländern DNA synthetisieren oder Schüler Wasser testen können,
eine Kamera oder einen Lasercutter gibt es schon, um nur einige zu nennen.2
Neben konkreten Projekten entstehen auch neue Infrastrukturen: Die Plattform
www.sensorica.co/ gibt Hilfe für die Organisation hierarchiefreier Projekte und will Menschen
zusammenbringen, die Beiträge technischer, organisatorischer oder finanzieller Art leisten
möchten. Die Website http://owiowi.org/ sammelt offene Baupläne und gibt Ratschläge, wie
man Dinge ressourcenschonend konstruiert und eine gute Dokumentation erstellt. Bei
http://openmaterials.org/ teilen Menschen ihre Informationen und Erfahrungen über
Werkstoffe aus.
Bisher engagieren sich in diesen Netzwerken vor allem Tüftler, die Dinge für sich selbst
basteln oder Kleinserien fertigen. Manche diskutieren aber auch schon, wie eine nachhaltige
2 Glücksökonomie – Wer teilt, hat mehr vom Leben
Wirtschaft aussehen könnte, die auf offener, von Gleich zu Gleich geteilter Hardware als
Gemeingut beruht.
Open Source Ecology
Ein Projekt, das viele elektrisiert, findet seit einigen Jahren auf einem 15 Hektar großen Hof
im US-Staat Missouri statt. Den hat der aus Polen stammende Physiker Marcin Jakubowski
gekauft, nachdem er zu der Überzeugung gelangt war, in seinem Studium wenig Brauchbares
gelernt zu haben. Über ein »Wiki« suchte er Unterstützer aus aller Welt für ein ambitioniertes
Vorhaben: Er will 50 Maschinen konstruieren, mit denen sich ein ganzes Dorf aufbauen und
dauerhaft aufrechterhalten lässt – von der Ziegelpresse über Traktor und Bulldozer bis zu
einem Hochofen zum Aufbereiten von Alteisen. Das Ganze soll modular, hyperflexibel und
preiswert sein. Motoren sollen für verschiedene Geräte genutzt werden, indem sie mal hier
und mal da eingebaut werden. Jakubowski geht davon aus, dass der Maschinenpark nur ein
Zehntel so teuer sein wird wie heutige Hightech-Produkte. Außerdem will er, dass technische
Laien die Geräte vor Ort zusammenbauen und reparieren können – denn Langlebigkeit steht
bei »Open Source Ecology« (OSE) ganz oben auf der Agenda.
Tatsächlich sehen die meisten der bereits entstandenen und durch Internet-Videos
dokumentierten Maschinen sehr robust und simpel konstruiert aus. Die Grundstrukturen
bestehen aus gleichmäßig gelochten Metallgestängen, die von riesigen Muttern
zusammengehalten werden.
Einige Millionen Dollar Startkapital hat die Stiftung eines erfolgreichen Softwareentwicklers
spendiert, der gesellschaftlichen Wandel durch Teilen von Wissen fördern will. Allerdings
lässt die Dokumentation bisher zu wünschen übrig, und auch Marcin Jakubowskis Zeitplan
war zu ambitioniert: Statt der 50 Prototypen existieren bisher erst 13. Die Verwendung der
Gelder ist wenig transparent und der Initiator zentriert das Projekt stark auf sich selbst,
berichten Beteiligte.
Dennoch: Die Idee, ein kostengünstiges, in aller Welt frei zugängliches Konstruktionsset für
ein Dorf zu liefern, hat viele Menschen inspiriert, die Hackerethik auch auf Hardware zu
übertragen. »Die Vision ist, auf der Grundlage von Open Source, Modularität und offenen
Standards Technologien zu entwickeln, die weltweit austauschbar, reparabel und innovativ
sind«, sagt Nikolay Georgiev, der eine Zeit lang die Öffentlichkeitsarbeit für OSE in Europa
geleitet hatte. Weil jeder berechtigt ist, die Idee zu nutzen, haben sich inzwischen drei neue
OSE-Gruppen gegründet – eine davon in Deutschland. »Forken« heißt es im Jargon, wenn
offene Quellen sich in verschiedene Ströme aufteilen – abgeleitet vom englischen Wort für
Gabel.
Strom ohne Steckdose
Auch Alex Shure, ein Erfinder aus Berlin, gehört zum deutschen OSE-Netzwerk. Unter der
Garage seiner Wahlfamilie in Siegen hat der 27-Jährige eine Werkstatt eingerichtet – dort gibt
es feine japanische Handsägen, eine Drehbank und eine selbstgebaute CNC-Fräse. Alles, was
er hier entwickelt, stellt Alex Shure als offene Quellen zur Verfügung.
Da ist etwa ein handschmeichelnder, faustgroßer Holzwürfel, mit dem sich Licht dimmen und
Musiklautstärke regeln lässt. Von der darin enthaltenen Elektronik ist nichts zu sehen – die
Schaltung funktioniert drahtlos. Durch Unterschiede in der Oberflächenbeschaffenheit der
Würfelseiten lassen sich die Funktionen ertasten. »Ich habe den Würfel meiner Oma und
3 Glücksökonomie – Wer teilt, hat mehr vom Leben
meinem zweijährigen Patenkind gegeben, um zu verstehen, was ich noch verbessern muss«,
berichtet Shure. Nachdem er beobachtet hatte, dass eine zu große Bewegung notwendig war,
um das Licht voll zu dimmen, verkleinerte er den Drehwinkel. Außerdem baute er einen
winzigen Motor mit einer Unwucht ein, sodass das Gerät vibriert, wenn der jeweilige
Endpunkt erreicht ist. Das ist mehr als eine Spielerei – das Potenzial ist immens: Würde sich
die Technik durchsetzen, wären sehr viele Stromleitungen in Wohnungswänden überflüssig.
Alex Shure beschäftigt sich intensiv mit Elektrizität. Solaranlagen und Windräder liefern
Gleichstrom, der in Wechselstrom umgewandelt wird, um ihn ins öffentliche Netz einspeisen
zu können. Umgekehrt überführen Netzteile den Wechselstrom aus der Steckdose in
Gleichstrom mit wenigen Volt Spannung, wenn damit Smartphones, LED-Lampen oder
moderne Fernseher betrieben werden sollen. »In allen Wohnungen liegen Dutzende von
Transformatoren herum, und zu jedem Smartphone wird ein neues Ladegerät mitgeliefert –
das sind auch wieder große Mengen Kupfer und andere Rohstoffe«, erklärt er. Zudem ist jede
Wandlung mit Energieverlusten verbunden. Deshalb macht Shure es anders: Er speichert
Sonnenenergie vom Dach in einer Batterie und versorgt seine Bürolampen und die CNC-Fräse
direkt mit Gleichstrom. Weil er sich bei alledem im Niedrigspannungsbereich unter 60 Volt
bewegt, ist das legal und ungefährlich.
Shures Ziel ist es, dass sich viele mit solchen Fragen und Zusammenhängen beschäftigen und
weiterexperimentieren. Deshalb stellt er auch Unfertiges auf http://etemu.com/ online: »Ich
muss ja nicht alles selbst zu Ende denken.« Shure bastelt auch an einer Forschungsplattform
für ein vertikales Windrad mit, hat in Siegen Transition-Town- und Foodsharing-Gruppen
initiiert, kocht und quatscht gerne – und stressen will er sich auch nicht. »Mein höchster
Grundsatz ist, dass ich glücklich bin bei der Arbeit und selbstbestimmt.«
Eine formale Berufsausbildung hat Alex Shure nicht. Nach zwei Semestern Elektro- und
Informationstechnikstudium ist er durch die Welt getingelt, hat mancherorts einige Monate
verbracht und viel Wissen aufgesaugt: in einer Schreinerei, einer Zimmerei, bei einem
Automobilzulieferer, einem IT-Unternehmen, einem Kindergarten, einer Metallwerkstatt.
Gelegentlich fotografiert er Hochzeiten oder unterstützt kleine Firmen bei ihren Hard- und
Softwareproblemen, um ein wenig Geld zu verdienen. Viel braucht er nicht – in der OpenSource-Szene ist Teilen auch im Alltag angesagt.
Annette Jensen und Ute Scheub
1 http://www.we-magazine.net/we-volume-02/the-emergence-of-open-design-and-openmanufacturing/#.Uz_SdKKzOh8
2 http://openpcr.org/
http://fablabatschool.org/profiles/blogs/gogofuge-manual
http://graphics.stanford.edu/papers/fcam/
http://redmine.laoslaser.org/projects/laos/wiki
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